Friedhof Bergedorf

Photonachweis: Helmuth Sturmhoebel
Anne Becker, geb. Pritzl
(29.05.1905 Geesthacht - 24.12.1990 Hamburg)
Anlegerin beim Bergedorf-Sander Volksblatt; Sozialdemokratin, Mitglied im Arbeitersportverein "Freie Turnerschaft Bergedorf-Sande von 1885", Gründerin der Lohbrügger SPD-Frauengruppe, seit 1974 Vorsitzende der AWO-Lohbrügge, Trägerin der Silbernen Ehrennadel der Bezirksversammlung Bergedorf
Namensgeberin für Anne-Becker-Ring, Lohbrügge, seit 2016
Grablage: NU, Nr. 13-14
"Anne Becker wurde am 29. Mai 1905 als einziges Mädchen von 5 Kindern im damals hamburgischen Geesthacht geboren. Die Tochter eines Brauergesellen wuchs in bescheidenen Verhältnissen in Bergedorf am ,Lusbusch' auf. So nannte der Volksmund diese Gegend um die erste und zweite Querstraße, die Grabenstraße und den Weg ,Hinter den Querstraßen'.
Viele Bergedorfer missverstanden Lusbusch als Läusebusch.Doch der Name kam von einem
der Grundstücksbesitzer, dem Bauunternehmer Lohse. [1]
Schon in ihrer Kindheit wurde Anne Becker sozialdemokratisch geprägt. Ihre Mutter hatte "Die Gleichheit' abonniert. Früh trat sie in den Arbeitersportverein ,Freie Turnerschaft Bergedorf-Sande von 1885' und die Sozialistische Arbeiterjugend ein. Als nicht getauftes Kind nahm sie mit ihrem zwei Jahre jüngeren Bruder Michael gemeinsam 1921 an der ersten Jugendweihe in Bergedorf teil.
Die gelernte Anlegerin arbeitete beim Bergedorf-Sander-Volksblatt. 1927 zog die Familie nach Lohbrügge, damals Sande, wo sich Anne bis zur Nazidiktatur in der Sozialdemokratischen Partei engagierte. 1943 stand sie als Kriegswitwe mit einem halbwüchsigen und zwei kleinen Kindern allein da.
Anne Becker ließ es sich trotzdem nicht nehmen, nach der Befreiung 1945 neben ihrer beruflichen Tätigkeit, sich bei den Falken, die sie mit gründete und bei der SPD, vor allem im Frauenbereich, politisch zu engagieren. Sie gründete die Lohbrügger SPD-Frauengruppe (später AsF) und veranstaltete nicht nur Treffen, sondern organisierte Tagesfahrten und zweimal jährlich Reisen.
Seit 1974 war sie Vorsitzende der AWO-Lohbrügge. Ihre letzte große Reise betreute sie im Juni 1990. Bis zu ihrem Tod am 24. Dezember 1990 war sie Beisitzerin im SPD-Distriktsvorstand und Vorsitzende der AWO Lohbrügge. An ihrem 85. Geburtstag wurde ihr die Silberne Ehrennadel der Bezirksversammlung verliehen, auf die sie sehr stolz war."
Text: Helmuth Sturmhoebel
1 Nach Alfred Dreckmann: "Wer nicht getauft ist, aufsteh'n", VSA-Verlag, Hamburg 1987
Marie Henning,
(geb. Mahn(c)ke, verh. Rohde, verw. Henning)



Photonachweis: Helmuth Sturmhoebel
(26.12.1895 Nessentiner Hütte - 5.1.1948 Hamburg)
Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft (KPD, 1931-1933)
Grabstätte, Abt.34, Nr. 250
Marie Henning war seit 1913 mit dem KPD-Bürgerschaftsabgeordneten Ernst Henning verheiratet. Das Paar hatte drei Kinder. Nach der Ermordung ihres Mannes durch SA-Männer am 14. März 1931 war Marie Henning, die seit 1920 ebenfalls der KPD angehörte und u. a. in der frauenpolitischen Arbeit der KPD-Bezirksleitung Wasserkante tätig war, von 1931 bis zur Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 ebenfalls Mitglied (KPD) der Hamburgischen Bürgerschaft. 1936 heiratete sie den ehemaligen Reichsbannerführer Carl Rohde, der 1944 bei der Explosion einer Panzerfaust tödlich verunglückte.
Marie Henning wohnte mit ihren drei Kindern in Hamburg-Bergedorf in der Hassestraße 11. Während der NS-Zeit wurde sie mehrfach von der Gestapo inhaftiert, so von Mai bis Juni 1933, im März 1936 und von August bis Ende September 1944.
Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus war Marie Henning bis zu ihrem Krebstod im Komitee ehemaliger politischer Gefangener in Hamburg-Bergedorf aktiv. [1]
Text: Rita Bake
1 Vgl: wikipedia.org/wiki/Marie_Henning (Stand: 12.4.2015)

Photo: Parlamentarischer Informationsdienst der Hamburgischen Bürgerschaft


© kulturkarte.de/schirmer
Kristin Heyne
(25.2.1952 Aumühle bei Hamburg - 30.1.2002 Berlin)
Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft (GAL) von 1989 bis 1990
Grabstätte: Abt. 23, Nr. 84-85
Kristin Heyne, geboren in Aumühle bei Hamburg, war Lehrerin, zeitweilig auch Hausfrau.
Als in den 1980er Jahren anlässlich der Anhörung "Kinderkriegen in Hamburg" Kleinkinder auf dem roten Rathausteppich herumkrabbelten und die Papierkörbe im Rathaus voller Windeln waren, freute sich die damalige GAL-Abgeordnete Kristin Heyne. Selbst Mutter von zwei Kindern und 1982 der GAL beigetreten, gehörte sie zu den Mitbegründerinnen der Grünen Alternativen Liste (GAL). Bis 1986 saß sie für die GAL in der Bezirksversammlung Bergedorf und war im Bezirksvorstand der GAL tätig. 1986 initiierte sie mit anderen Frauen aus der GAL die Frauenliste, die als Frauenfraktion in die Hamburgische Bürgerschaft einzog.
Als Nachrückerin wurde Kristin Heyne vom 16.2.1989 bis Sommer 1990 Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft, ab dem 28.3.1990 als Fraktionslose. Ihre politischen Schwerpunkte als Abgeordnete legte sie auf die Bereiche Energie, Gesundheit, Kinder und Drogen. Wegen ihrer Brustkrebserkrankung legte Kristin Heyne 1990 ihr Bürgerschaftsmandat nieder. Im selben Jahr wurde sie Lehrerin an einer Hamburger Grundschule. In den Jahren zuvor hatte sie nach ihrem Lehramtsstudium in der Erwachsenenbildung und in der Krankenpflege gearbeitet. Nachdem sie den Krebs meinte besiegt zu haben, kandidierte sie 1994 erfolgreich für den Bundestag. In ihrer ersten Legislaturperiode war sie Koordinatorin des Arbeitskreises Wirtschaft und Finanzen der Fraktion der Bündnisgrünen. Außerdem arbeitete sie als Mitglied im Haushaltsausschuss und als
stellvertretendes Mitglied im Wirtschafts- und Finanzausschuss. Ihre Schwerpunktthemen als Bundestagsabgeordnete waren europäische und internationale Finanzbeziehungen und die Ökosteuer. 1998 wurde sie Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Bündnisgrünen Bundestagsfraktion. Im Jahr 2000 brach der Krebs wieder aus, Kristin Heyne kämpfte gegen ihn, und es schien, als ob sie ihn auch das zweite Mal besiegt hätte. So ließ sie sich für den GAl- Vorsitz aufstellen und wurde im November 2001 zur alleinigen ersten Vorsitzenden der GAL Hamburg gewählt. Bisher hatte der Vorsitz stets aus einer Doppelspitze (2 Personen) bestanden. Gleichzeitig behielt sie auch noch ihr Bundestagsmandat. Im Januar 2002 griff der Krebs zum dritten Mal zu. Einen Monat später starb Kristin Heyne.
Text: Rita Bake
Ernestine (Erna), Auguste, Josephine Martens
Erna Martens & Mathilde Hipp
11.4.1861 - 29.1.1941 Bergedorf
Gründerin der Luisenschule in Hamburg Bergedorf
Grablage: Abteilung 32, Nr. 77-82
1885 beschlossen die damals 24-jährigen Lehrerinnen Erna Martens und Mathilde Hipp in Bergedorf eine private Höhere Mädchenschule zu gründen. 1888 war es dann so weit, die beiden Frauen eröffneten diese Schule am 13.4.1888 in der Parterrewohnung im Gebäude Am Baum 1 und nannten sie "Luisenschule" nach Luise Prinzessin zu Mecklenburg u. Strelitz (1776-1810), die 1793 als Siebzehnjährige den späteren König Friedrich Wilhelm v. Preußen geheiratet hatte.
Luise Pusch schreibt in ihrer fembio über Prinzessin Luise: "Die bis heute bei weitem beliebteste deutsche Königin war Luise - schön, anmutig, sanft, heiter, natürlich, charmant, ohne Allüren und Dünkel und ihrem überforderten und oft verstimmten Gatten, dem preußischen König Friedrich Wilhelm III., bedingungslos ergeben - nach einer kurzen Phase jugendlichen Aufbegehrens, das ihr bald restlos ausgetrieben wurde. Sie war das genaue Gegenbild der selbstbewussten Machthaberinnen Isabella, Elizabeth, Maria Theresia oder Katharina und eignete sich daher besonders gut zum geliebten, bald mythisch verklärten Vorbild deutscher Frauen." (http://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/luise-von-preussen/)
Es gab 46 Anmeldungen, fünf Lehrerinnen und vier nebenamtlich tätige Lehrer. Das Schulgeld betrug vierteljährig 20/30/40 RM für die Unter - Mittel- Oberstufe..
Das Erziehungsideal der Gründerinnen lautete: "Erziehung der Zöglinge zu echter Weiblichkeit nach dem Vorbild und zum Gedächtnis der Königin Luise von Preußen.".
Tätiges Christentum, Vaterlandsliebe, Pflichtgefühl, Ordnung und Gehorsam wurden vermittelt. Auch sollte soziales Mitgefühl für die Armen und Schwachen erlernt werden. So nähten und sammelten die Schülerinnen im Cholerajahr 1892 für verwaiste Hamburger Kinder..
Religion und Deutsch, Französisch, Englisch, Geographie, Geschichte, Naturlehre und Zeichnen/Kunst/Musik/Handarbeit standen auf dem Lehrplan. Auch wurde geturnt und gerechnet..
In der Schulordnung hieß es u. a.:.
"Die Schülerinnen der Luisenschule haben sich des Gehorsams, der Bescheidenheit und der Freundlichkeit gegen alle ihre Lehrerinnen und Lehrer sowie gegen sonstige Angestellte der Anstalt zu befleißigen, und untereinander verträglich und gefällig zu verkehren..
In den Stunden ist eine ruhige Körperhaltung zu beachten; jegliches Plaudern, Spielen und Vorsagen während des Unterrichts ist strengstens verboten..
Die Pausen sind durch Bewegungsspiele auszufüllen, wobei lautes Schreien und Toben zu vermeiden ist. (…).
Auf dem Schulwege sowie namentlich beim Betreten und verlassen des Schulhauses wird ein gesittetes, ruhiges Betragen verlangt. Umherstehen auf der Straße ist untersagt."
1889 wurde das Haus Am Baum 1 gekauft und alle Etagen für Schulzwecke genutzt, die Schule wurde 9-klassig und hatte 1892 schon 100 Schülerinnen.
1909 wurde Latein und Mathematik fakultativ für die oberste Klasse eingeführt und es wurde erforderlich, die Luisenschule in eine 10-klassige Höhere Mädchenschule mit der Möglichkeit einer Lyzeumsbildung umzuwandeln. Das Haus wurde räumlich zu klein. Die letzte gemeinsame Arbeit von Erna Martens und Mathilde Hipp bestand in der Planung für den Schulneubau und in der Aufstellung eines Lehrplans für eine 10-klassige Höhere Schule auf der Grundlage der Hamburger und der Preußischen staatlichen Lyzen. Am 1.1.1911 wurde der Schulneubau in der Jacobsstraße (heute: Duwockskamp) bezogen. Ostern 1911 wurde die Schule 10-klassig. Mathematik für die Klassen 7 bis 10 wurde Pflichtfach. Mathilde Hipp ging aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand. "Fräulein" Martens schritt voller Energie und ungebrochener Vitalität als "Der Gewaltige" durch das neue Haus.
Zum 25 jährigen Schuljubiläums 1913 erreichte Erna Martens ihr nächstes Ziel. Nach eingehender Prüfung erteilte die Oberschulbehörde der Luisenschule die Anerkennung als Lyzeum und Erna Martens fungierte nun als "Frau Lyzealdikretor". 1913 hatte die Schule 295 Schülerinnen und 21 Lehrkräfte.
Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, verordnete Erna Martens: "möglichst in Ruhe im eingefahrenen Geleise die Arbeit fortzusetzen" und "alle Kraft für Kriegshilfearbeit einzusetzen". Die Schülerinnen strickten, sammelten, packten Pakete für die Soldaten, schrieben ihnen Briefe und leisteten Erntehilfe.
Nachdem nach jahrzehntelangen Kämpfen von Frauen, diese das Frauenwahlrecht erstritten hatten und im November 1919 das Frauenwahlrecht für die Nationalversammlung verkündet worden war, war es wichtig, dass Frauen über ihr Wahlrecht aufgeklärt wurden. In Bergedorf engagierte sich besonders Erna Martens auf diesem Gebiet und hielt Vorträge auf parteilosen Versammlungen zum Thema "Wahlrecht und Wahlpflicht der Frauen".
Am 3.9.1921 wurde die Luisenschule verstaatlicht und in "Staatliches Lyzeum in Bergedorf" umbenannt, da Königin Luise nicht mehr in die republikanische Landschaft passte. Erna Martens setzte mit Hilfe des Elternrates durch, dass die Luisenschule ihren alten Namen zurückerhielt, indem sie den Behörden glaubhaft machen konnte, mit Luise sei nicht die Königin Luise gemeint gewesen, sondern Luise Soltau, die eine verdienstvolle Förderin gewesen war.
Erna Martens kämpfte dafür, dass das Kollegium geschlossen in den Staatsdienst übernommen wurde. 1921 musste Erna Martens den Schulleiterinnenposten aufgeben, denn zur Direktorin bestimmte die Oberschulbehörde die jüngste Lehrerin des Kollegiums, die damals 30-jährige Helene Popkes (Schulleiterin von 1921- 1933).
Erna Martens war damals 60 Jahre alt und 33 Jahre lang Schulleiterin gewesen. Zu ihrem 60-sten Geburtstag ließen Eltern und Ehemalige ein Bronzerelief von Erna Martens anfertigen. Auf eigenen Wunsch arbeitete Erna Martens noch fünf Jahre lang bis zu ihrem 65-zigsten Lebensjahr als "schlichte" Oberlehrerin an ihrer verstaatlichten Schule und meisterte die neue Situation mit Humor und Anstand. 1925 ging Erna Martens dann in den Ruhestand.

© kulturkarte.de/schirmer
Frieda Stoppenbrink-Buchholz, geb. Buchholz)
(28.4.1897 Breslau - 25.3.1993 Hamburg)
Pädagogin, Heilpädagogin, Vertreterin der Jenaplan-Pädagogik, Reformerin der "Hilfsschulpädagogik"
Grabstätte: Abteilung 41, Nr. 42-44
nach ihr benannt: Frieda-Stoppenbrink-Schule Neuwiedenthaler Straße 4
Dr. Frieda Stoppenbrink-Buchholz, Tochter eines Schriftgießers und seiner Ehefrau, besuchte das Oberlyzeum und schloss ihre Schulausbildung 1916 mit dem Reifezeugnis ab.
Sieglind Ellger-Rüttgardt schreibt in einem Portrait über Frieda Stoppenbrink-Buchholz: "Bereits als Jugendliche entwickelte sie ein starkes soziales Engagement, das stets durch die
direkte Konfrontation mit Not und Elend ausgelöst wurde. Die Fähigkeit, Mitgefühl für den Nächsten zu entwickeln, sich verantwortlich zu fühlen und danach zu handeln, wurde ein für ihr ganzes Leben prägender Charakterzug. Während ihrer letzten vier Schuljahre organisierte sie gemeinsam mit anderen Schülerinnen regelmäßig Sammelaktionen, um notleidende Kinder in Breslau mit Nahrung und Kleidung zu versorgen. (…) Auch die ersten Kontakte zu Hilfsschülern hatte sie bereits als Jugendliche. Eine Tante war als Hilfsschullehrerin in Hamburg tätig (…). Ihr ausgeprägter sozialer Gerechtigkeitssinn sowie ihre frühen und zahlreichen Unterrichtsbesuche in der Hilfsschulklasse ihrer Tante waren sicherlich bedeutsame, aber keineswegs ausschließliche Motive führ ihren Entschluß, den Lehrerinnenberuf zu ergreifen. Diese Entscheidung war zugleich das Ergebnis sehr nüchterner Erwägungen , (…). Aufgrund der bescheidenen Einkommenssituation war es ihren Eltern nicht möglich, der Tochter ein langes Studium zu finanzierten: hier bot sich - wie so oft - der Lehrerberuf als Aufstieg an. (…) So kam es, daß Frieda nach Beendigung des Oberlyzeums in die Seminaristenklasse derselben Schule eintrat und diese nach einem Jahr mit dem Abschluß der Lehramtsprüfung verließ." 1)
1917 trat sie in den Hamburger Schuldienst ein. Zwei Jahre später wurde sie "Hilfsschullehrerin" in Bergedorf. "Angeregt durch die intensive Beschäftigung mit den verschiedenen Strömungen der pädagogischen Reformbewegung machte sich Frieda Buchholz daran, mit viel Eifer, pädagogischem Geschick und großer Kompetenz, die Lernschule alten Stils hinter sich zu lassen. Dabei war das Bemühen um eine innovative Unterrichtspraxis auf engste verknüpft mit prinzipieller Infragestellung der Institution Hilfsschule." 2)
Neben ihrer Tätigkeit als Lehrerin studierte Frieda Stoppenbrink-Buchholz zwischen 1919 und 1925 Pädagogik und Philosophie an der Universität in Hamburg. "Bedeutungsvoll für ihren weiteren Weg wurde der Kontakt zu Peter Petersen, der in Hamburg ab 1920 die Versuchsschule Lichtwarkschule leitete, Seminare und Vorlesungen an der (…) Hamburger Universität hielt und schließlich 1923 einem Ruf an die Universität Jena folgte." 3) Er war es auch, der Frieda Stoppenbrink-Buchholz "aufforderte, über einen Schulversuch an der Hilfsschule im Sinne der pädagogischen Tatsachenforschung zu promovieren.
Diesen Versuch, (…) führte sie von Oktober 1936 bis Oktober 1937 an der Hilfsschule in Hamburg-Bergedorf mit Schülern der Mittelstufe durch - allerdings nur in ihrer eigenen Klasse, weil ihre männlichen Kollegen nicht zuletzt aufgrund der befürchteten Mehrarbeit zu keiner Mitarbeit bereit waren." 4)
Frieda Stoppenbrink-Buchholz "versuchte (..) Elemente des Jena-Plans in ihrer Hilfsschule einzuführen, den Gruppenunterricht und Gesprächskreis, die Gestaltung des gesamten Schullebens u. a. durch Fest und Feier. Schließlich promovierte sie 1939 bei Peter Petersen in Jena über ihre Erfahrungen mit dem Jena-Plan. Ihr Fazit:
‚Auf Grund des halbjährlichen Versuchs kann festgestellt werden, daß die Idee des Jena-Plans auch da erfolgreich zum Erziehungs- und Unterrichtsprinzip gemacht werden darf, wo die pädagogische Arbeit an den Lehrer besondere Anforderungen stellt. Die unter dem Gesichtspunkte der Freimachung des Menschentums im Kinde erfolgte Auflockerung, die Einwirkungsmöglichkeit von Kind zu Kind als aktiver Faktor mitberücksichtigt, hat sich in der Hilfsschule zu erkennbaren Resultaten geführt. Es zeigten sich Ansätze für Kameradschaft und Gemeinschaftsgefühl, Arbeitsfreude fand natürlichen Antrieb, und Erstarkung der Selbständigkeit schuf aus Hilfsschülern bewußt in ihrer Umwelt stehende kleine Menschen mit leisem Gefühl für allgemeine Abhängigkeit und Verbundenheit von und miteinander. Der Jena-Plan hat sich auch in der Hilfsschule bewahrt.'"5)
1939 promovierte Frieda Stoppenbrink-Buchholz mit der Dissertation "Das brauchbare Hilfsschulkind - ein Normalkind". "Trotz der von Peter Petersen vorgeschlagenen und teilweise wohl auch realisierten stilistischen Anpassungsversuche an den neuen Geist - ablesbar etwa an dem Titel des Buches - wurde die veröffentlichte Dissertation ein Stein des Anstoßes. Kein Geringerer als der Leiter des Hamburger Erbgesundheitsgerichts wurde im Juli 1940 bei der Hamburger Schulbehörde vorstellig und führte Klage über die Hilfsschullehrerin Frieda Buchholz, die sich in entschiedener Weise gegen die Sterilisation einer ehemaligen Schülerin ausgesprochen hatte. Der Amtsgerichtsrat bescheinigte ihr ‚eine erschreckende Unkenntnis von den elementarsten Grundsätzen der Erbkunde … und zugleich eine Opposition gegen die vom Nationalsozialismus in den Vordergrund gestellte Erb- und Rassenpflege' und forderte unmißverständlich ihre Entlassung." 6)
Frieda Stoppenbrink-Buchholz, die Anfang der 1920er Jahre Mitglied der SPD geworden und nach 1933 auch nicht in die NSDAP eingetreten war, wurde nicht entlassen, denn "es gab Vorgesetzte in der Hamburger Schulbehörde, die ihr wohlgesonnen waren und die ihre Entlassung zu verhindern wußten." 7)
Frieda Stoppenbrink-Buchholz trat aber 1933 dem Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB) und 1935 der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) bei. Dazu schreibt Sieglind Ellger-Rüttgardt: "(…) zweifellos Formen der Anpassung, mit denen sie versuchte, die materielle Existenz für sich und die bei ihr lebenden Eltern sicherzustellen. Im Unterschied zu vielen anderen ihrer ‚deutschen Volksgenossen', war Frieda Buchholz allerdings darauf bedacht, den schwierigen Balanceakt der Anpassung nicht zu Lasten von Grundüberzeugungen und ethischen Wertmaßstäben zu vollziehen." 8)
Mit der Frage, inwieweit die Inhalte von Frieda Stoppenbrink-Buchholz' Dissertation die Ideologie des NS-Regimes erkennen lassen, beschäftigten sich später Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und kamen zu unterschiedlichen Bewertungen.
"Sieglind Ellger-Rüttgardt schreibt: ‚Hier wurde nicht das Bild des erbkranken, minderwertigen Volksgenossen gezeichnet, sondern engagiert und voller Anteilnahme eine Lanze für jene Schüler gebrochen, die nach Auffassung von Frieda Buchholz vor allem durch ungünstige soziale Verhältnisse und das Versagen der allgemeinen Schule zu Hilfsschülern geworden waren.'" 9)
Und Robert Döpp ist der Ansicht: ‚Jenseits der Frage nach der wissenschaftlichen Dignität ihrer Ergebnisse ist die Arbeit besonders deshalb interessant, weil sie sich mit dem Thema 'Hilfsschule' auf im Sinne der 'eugenischen' Bestrebungen des NS-Regimes ideologisch überaus relevanten Terrain bewegte. Dabei war es Anspruch von Stoppenbrink-Bucholz, die vorgestellten 'brauchbaren Hilfsschulkinder' als 'sehr wertvolle Menschen' zu zeigen und damit einer Charakterisierung durch 'Begriffe wie Schwachsinn, Dummheit, Krankheit, Asozialität' entgegenzutreten... Letzten Endes blieb auch sie in der fatalen ,Logik' ihrer Argumentation gefangen: Das ,brauchbare Hilfsschulkind' ließ sich nur dadurch gegen den Vorwurf der Anormalität mit der drohenden Konsequenz der Zwangssterilisation verteidigen, dass seine prinzipielle ,Brauchbarkeit' im Dienst der nationalsozialistischen ,Volksgemeinschaft' behauptet wurde. Damit wurden aber zugleich ‚Brauchbarkeit' und ‚Normalität' als Maßstab der Beurteilung auch der ‚Schwachsinnigen' aufrechterhalten, dem diese keinesfalls gerecht wurden.'" 10)
"Ab 1941 tauchte Frieda Buchholz in der Kinderlandverschickung unter." 11) 1943 heiratete sie den Volksschullehrer Hermann Stoppenbrink.
Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus übernahm sie 1 1/5 Jahre die Schulleitung der Bergedorfer Hilfsschule. Hier machte ihr besonders das Desinteresse und [das] mangelnde Engagement auf Seiten von Kollegen" 12) zu schaffen.
Als 1948 an der Hamburger Universität eine Dozentur für Hilfsschulpädagogik zu besetzen war, wurde Frieda Stoppenbrink-Buchholz gefragt, ob sie diesen Posten übernehmen wolle. Nur zögernd nahm sie den Posten an, denn eigentlich wollte sie weiterhin bei ihren Schülern in der Bergedorfer Hilfsschule bleiben. Doch schließlich nahm sie die Stelle an. Sieglind Ellger-Rüttgardt schreibt dazu:"Die geweckte Erwartung, durch Einblick in alle Hamburger Hilfsschulen gewissermaßen an der Basis eine veränderte Unterrichtspraxis initiieren zu können, erfüllte sich nicht. Bei den Praktikern stieß sie auf weitgehendes Desinteresse.
(…) Sie hatte den Anspruch, pädagogische Theorie und Praxis miteinander zu verbinden, und sie erntete vermutlich deswegen so geringe Resonanz, weil diese alte Forderung zumindest bis in die jüngste Vergangenheit hinein weitgehend nur deklamatorischen Wert besaß. Die vielgerühmte Dignität der Praxis, von der vornehmlich die männlich geprägte Wissenschaft spricht, hier wurde sie tatsächlich respektiert. Sie schrieb durchaus wissenschaftliche Beiträge, und sie hielt Vorträge, Vorlesungen und Seminare, aber dies alles geschah nicht auf der Basis von reiner Stubengelehrsamkeit oder akademischem Verwertungsinteresse, sondern war eingebettet in praktische Erfahrung und sollte der Praxis selbst wieder zugute kommen. (…)
Die Erkenntnis, daß sie ihre reformpädagogischen Zielvorstellungen nicht verwirklichen konnte, und die Erfahrungen einer belastenden Zusammenarbeit mit einem patriarchalisch agierenden Kollegen lassen die Zeit der Dozentur in ihren Augen (…) als eine berufliche Fehlentscheidung erscheinen: ‚Ich dachte, daß man was erreichen könnte, aber eigentlich bin ich gar nichts geworden.' " 13) .

Quellen:
1) Sieglind Ellger-Rüttgardt: Weibliche Identität als aufrechter Gang - Das Beispiel der Heilpädagogin Frieda Stoppenbrink-Buchholz, in: Astrid Kaiser, Monika Oubaid (Hrsg.): deutsche Pädagoginnen der Gegenwart. Köln, Wien 1986, S. 28.
2) Zit. nach Wikipedia: Frieda Stoppenbrink-Buchholz (abgerufen: 6.1.2018)
3) Sieglind Ellger-Rüttgardt: Weibliche Identität als aufrechter Gang, a. a. O., S. 29.
4) ebenda.
5) Frieda Stoppenbrink-Buchholz: Das brauchbare Hilfsschulkind - ein Normalkind. Weimar 1939, S. 167. Zit. nach: Wikipedia: Frieda Stoppenbrink-Buchholz (abgerufen: 6.1.2018)
6) Sieglind Ellger-Rüttgardt: Weibliche Identität als aufrechter Gang, a. a. O., S. 30f.
7) Sieglind Ellger-Rüttgardt: Weibliche Identität als aufrechter Gang, a. a. O., S. 31.
8) Sieglind Ellger-Rüttgardt: "Man darf nie im Leben etwas gegen sein Gewissen tun." Frieda Stoppenbrink-Buchholz: eine Hamburger Heilpädagogin, in: Reiner Lehberger, Hans-Peter de Lorent: Die Fahne hoch. Schulpolitik und Schulalltag in Hamburg unterm Hakenkreuz. Hamburg 1986, S. 245.
9) ) [Zit. nach Wikipedia: Frieda Stoppenbrink-Buchholz, abgerufen 5.1.2018
10) Robert Döpp: Jenaplan-Pädagogik im Nationalsozialismus. Münster/Hamburg/London 2003, S. 473., zit. nach Wikipedia, a. a. O.
11) Sieglind Ellger-Rüttgardt: "Man darf nie im Leben etwas gegen sein Gewissen tun, a. a. O., S. 248.
12) Sieglind Ellger-Rüttgardt: Weibliche Identität als aufrechter Gang, a. a. O., S. 32.
13) Sieglind Ellger-Rüttgardt: Weibliche Identität als aufrechter Gang, a. a. O., S. 33.
Ortrud Gerda Ursula Westphal
Photo: Ursula Westphal als junge Frau, 1921 © Privatbesitz

(25.6.1906 - 5.5.1944 Heil- und Pflegeanstalt Wien "Wagner von Jauregg" (Steinhof))
Opfer der NS-Euthanasie
Grablage: Abteilung 14 bei Kapelle 1 (Gedenkstein)
Stolperstein: Ecke Gustav Mahler Platz/ Große Theaterstraße: Betriebsgebäude der "Hamburgischen Staatsoper", vor dem Eingang zum Ballett
Ursula Westphal kam im Sommer 1906 während eines Urlaubs des Ehepaares Otto (1876-1946) und Friederike (Frieda), geb. Bruns, auf der Nordseeinsel Spiekeroog zur Welt. Sie war das zweite Kind des Ehepaares, welches 1904 in Mühlhausen im Elsass geheiratet hatte. Ursulas Vater war Zahnarzt und hatte die Praxis seines Vaters in der Großen Theaterstraße in Hamburg übernommen sowie das dazugehörige Etagenhaus, in dem die Familie lebte. Ursulas Großvater, Karl Bruns, war Schriftsteller und arbeitete für den "Hamburger Correspondenten".
1919 starben zwei von Ursulas jüngeren Schwestern, Ruth und Christa. Gleichzeitig erwartete ihre Mutter das achte Kind.
Ursula Westphal besuchte die Klosterschule am Holzdamm, ein Realgymnasium für Mädchen. Ihre Nichte Roswitha Klau-Westphal berichtete 1998 auf einem Symposion "Zur Geschichte der NS-Euthanasie in Wien" über den Leidensweg ihrer Tante Ursula und beschrieb sie als eine schöne junge Frau mit vollen roten Haaren, die wie eine Löwin um Selbstbestimmung und persönliche Freiheit kämpfte.
Zu Hause wurden Ursula viele Hausfrauenpflichten übertragen, so hatte sie mit ihren kleineren Geschwistern an der Alster spazieren zu gehen oder ihrer Mutter bei der Hausarbeit zu helfen. Dagegen rebellierte Ursula. Sie sah es nicht ein, dass immer nur sie und nicht etwa auch ihre Brüder im Haushalt mithelfen sollte. Warum sollte sie z. B. ihrem älteren Bruder, der im Hinterzimmer über seinen Büchern saß, einen Teller mit Butterbroten bringen, sie hatte doch selber Schularbeiten zu machen. Für ihre Aufmüpfigkeit wurde Ursula hart gezüchtigt.
Nach der Mittleren Reife besuchte Ursula die Berufsschule und begann 1924 mit dem Studium an der Kunstgewerbeschule am Lerchenfeld.
1929 mietete der Maler und Graphiker Karl Kluth (1898-1972), einer der führenden Köpfe der Hamburgischen Sezession, das Atelier im Dachgeschoss von Ursulas Elternhaus. Hier malte er ein Bild von ihr, als Akt, auf einem roten Sofa liegend. Dieses Gemälde, Öl auf Leinwand, befindet sich heute in der Hamburger Kunsthalle und galt nach nationalsozialistischer Auffassung als "Entartete Kunst". Es war mit einer der Gründe, warum die 12. Sezessionsausstellung 1933 abgebrochen wurde.
Vielleicht hat Ursula sich zum ersten Mal frei und unabhängig gefühlt, als sie als junge Frau nach Düsseldorf ging, um zur Probe in einem graphischen Betrieb zu arbeiten, doch die Anstellung kam nicht zustande. Sie geriet in finanzielle Not und wurde wegen einer psychischen Erkrankung in die Anstalt Grafenberg eingewiesen und kam anschließend im Sommer 1932 in die Staatskrankenanstalt Friedrichsberg. Ihr eigentlicher Leidensweg aber begann in der Silvesternacht 1932, in der sie nach einer erneuten Erkrankung in die Alsterdorfer Anstalten eingewiesen wurde. Von dort wurde sie zehn Jahre später, am 16. August 1943, zusammen mit 228 Frauen und Mädchen mit Behinderung im Rahmen der "Aktion Brand" in die Wiener Euthanasieanstalt am Steinhof verbracht. Dieser letzte große Transport fand nach den schweren Luftangriffen auf Hamburg statt. Ca. acht Monate später verstarb Ursula angeblich an einer Lungenentzündung.
Dr. Michael Wunder, Historiker und heute leitender Mitarbeiter der "Evangelischen Stiftung Alsterdorf", erwähnte in seinem Vortrag auf dem oben genannten Symposion 1998 in Wien, nachzulesen in der Publikation "Spurensuche Irma" von Antje Kosemund: "Sie [Ursula] galt in Alsterdorf immer als lebenslustig, aber auch als wild und unruhig, was wahrscheinlich auch der Grund ihres Abtransportes war. Sie wog 45 Kilo, als sie in Alsterdorf selektiert wurde. Wenige Monate später heißt es in der Wiener Akte: liegt im Bett, ängstlich, unrein, zupft Wäsche. Ein halbes Jahr später: ganz pflegebedürftig, spricht nichts, liegt immer unter der Decke, immer ruhig. Kurz vor ihrem Tod liest sich der Eintrag: reagiert nicht auf Ansprache. Gewicht 33 Kilo."
Die Tötungsmethode in der Wiener Anstalt war eine rasche Entkräftung durch "Verhungernlassen", gezielte Unterkühlung und Verabreichung von Medikamenten wie z. B. Luminal. Stets wurde ein "natürlicher Tod" wie Lungenentzündung als Todesursache angegeben.
Durch die Bemühungen ihrer Mutter konnte Ursulas Urne im Familiengrab auf dem Friedhof in Hamburg-Bergedorf beigesetzt werden. Dort wurde am 8. Mai 2001 auf Initiative von Roswitha Klau-Westphal und mit Unterstützung der "Evangelischen Stiftung Alsterdorf" sowie der "Geschwister-Scholl-Stiftung" ein Gedenkstein aufgestellt, der an das Schicksal Ursula Westphals erinnert.
Ursula Westphal wurde auf dem Friedhof Hamburg Bergedorf ( August-Bebel-Straße) Abteilung 14 bei Kapelle 1 beigesetzt. Auf dem Friedhof erinnert seit 2001 ein Gedenkstein an die Euthanasieopfer.
Text: Susanne Rosendahl