Friedhof Nienstedten
Mathilde Arnemann, geb. Stammann
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Bildquelle: Staatsarchiv Hamburg
26.3.1809 Hamburg - 21.8.1896 Hamburg
Patriotin, Mäzenin, Wohltäterin, Ehrenbürgerin von Karlsbad
Grablage: A 1
Arnemannweg, seit 1930, Barmbek-Nord
Mathilde Stammann wuchs mit vielen Geschwistern am Neuen Wall Nr. 50 als Tochter des Zimmermeisters und Architekten Johann Christoph Stammann und seiner Ehefrau Sophia Margarethe, geb. Paetz. Der Vater starb früh.
In der Privatschule des Lehrers Unbehagen an der Langen Reihe wurde Mathilde gemeinsam mit Jungen unterrichtet. Möglicherweise hat diese Koedukation das "knabenhafte" Wesen Mathildes mitgeprägt; mit den Schulkameraden blieb sie lebenslang in Kontakt.
In die Zwanzigjährige verliebte sich der vier Jahre ältere hochtalentierte Altonaer Kaufmann und schwedische Konsul Carl Theodor Arnemann; als Witwer und Vater einer kleinen Tochter war er auf der Suche nach einer zweiten Frau. Seine Eltern waren jedoch gegen eine Verbindung mit Mathilde Stammann und verboten ihm den Umgang mit ihr. Als Sohn und Mitinhaber der Firma war er von ihnen abhängig. Um sie günstiger zu stimmen, maß er ihnen gegenüber den Charakter seiner Erwählten an dem Klischee der züchtigen Hausfrau und wies auf ihre inneren Werte hin: "Daß Mathilde im Äußeren oft knabenhaft munter ist, tadele ich sehr und wünsche es anders - im Innern sieht es viel, viel schöner aus. - Ein liebes, treues Herz, ein offener Kopf, den besten Willen und regsten Trieb, recht gut zu werden - dabei gesund, lebensfroh und mit,
ganz gewiß, der tiefsten Liebe zu mir und dem lieben Kinde zugetan - kann ich mehr verlangen?" 1)
Im Dezember 1829 konnte die Ehe doch geschlossen werden, und Mathilde löste die in sie gesetzten Erwartungen, "recht gut zu werden", im Lauf eines langen Lebens ein; zu der Tochter aus erster Ehe kamen sechs Söhne aus der zweiten. Den ungewöhnlichen Reichtum, den ihr Mann durch Erwerb riesiger Ländereien in Norwegen mit ausgedehntem Holzhandel erwarb, nutzte sie für großzügige Wohltätigkeit. Sie gestaltete das Arnemannsche Haus an der Palmaille zum geselligen Mittelpunkt und das ländliche Anwesen in Nienstedten zum "anmutigen Tusculum" für Künstler aller Art. Doch war es nicht der Glanz des Reichtums allein, der Frau Arnemann bekannt machte. Er war beim Tod Carl Theodors 1866 längst verflogen; die Witwe bezog danach in Hamburg an der Fruchtallee eine kleine Wohnung, in der sie nicht mehr "Hof halten" konnte. Es muss der Charme ihrer Persönlichkeit gewesen sein, ihre natürliche Unmittelbarkeit, schlichte Menschenliebe und unprätentiöse Bescheidenheit und nicht zuletzt die bis ins Alter bewahrte Lebendigkeit des Geistes und Herzens, was Hamburgs Zeitgenossen faszinierte und in Mathilde Arnemann eine vorbildliche Frau verehren ließ.
Obwohl Mathilde Arnemann im Umgang mit Menschen so unkonventionell war, mit den Leuten Platt sprach und gesellschaftliche Etikette ablehnte, gibt es doch kein Zeichen dafür, dass sie die bestehende Gesellschaft verändern und die Rolle der Frau neu bestimmen wollte wie die Freisinnigen. "Sie hat in Hamburg kein Werk hinterlassen, das ihren Namen trägt, hat sich keiner politischen, religiösen, frauenemanzipatorischen Richtung, keinem Verein ganz verschrieben, sondern mit spontanem individuellem Handeln auf jeweilige Situationen reagiert.
Dabei zeichnen sich drei Bereiche ab: Als Patriotin war sie in Kriegszeiten immer zur Stelle, um Hilfsdienste für Verwundete und Hinterbliebene zu organisieren und selbst zu leisten. Als Mäzenin ermunterte und unterstützte sie junge Künstler und vermittelte Kontakte zwischen ihnen. Als Wohltäterin half sie in unzähligen Einzelfällen gegen dringendste Not; außerdem entstanden auf ihre Initiative hin einige wohltätige Stiftungen. (…)
Mathilde Arnemann war eine glühende Patriotin. (…) Sie widmete sich im ersten und noch umfassender im zweiten dänischen Krieg auf ihre Weise der patriotischen Sache, nämlich der Pflege von Verwundeten. (…) Spontan fanden sich überall in Deutschland Frauen zusammen, bildeten Ausschüsse, organisierten Unterstützungsaktionen für die notleidende schleswig-holsteinische Bevölkerung (…). Mathilde Arnemann schloss sich dem Vaterländischen Frauenverein (…) an. (…) Sie richtete zwei Lazarette ein. (…) Im sogenannten deutschen Krieg von 1866 kümmerte sie sich um die österreichischen Verwundeten. (…) Es ist nicht ersichtlich, wie stark die ‚große Patriotin" von den politischen Hintergründen tangiert war. Sie griff ein, wo Hilfe not tat. Ihr Patriotismus umfasste sowohl die kriegerisch-nationale als auch die friedlich-gemeinnützige Seite. Während einer Überschwemmung organisierte sie ebenso spontan wie im Kriege eine Hilfsaktion für die Opfer.
Sie verstand sich als hamburgische Republikanerin und lehnte deshalb den Adelstitel ab, der ihr von Kaiser Wilhelm I. als ‚Kriegsauszeichnung" angeboten wurde. Statt dessen nahm sie gerne den selten verliehenen preußischen Louisenorden I. Klasse entgegen, denn er ehrte auf augenfällige Weise ihren weiblichen Patriotismus.
Den Ruf als Wohltäterin verdankte Frau Arnemann noch einer ganz anderen Seite ihres Wesens und ihrer Möglichkeiten. Der Reichtum gestattete ihr und ihrem Mann den Erwerb von Kunstschätzen. Mit dem Sammeln von Kunst verband das Ehepaar die Förderung junger Künstler. (…) Ihre Kunstliebe und -förderung bezog sich auch auf Musik und Dichtung. Wie der Dichter Thorwaldsen logierten bei Arnemanns Felix Mendelssohn Bartholdy, die ‚schwedische Nachtigall" Jenny Lind und viele andere (…), gelegentlich auch Politiker wie der spätere Reichskanzler v. Bülow (…). Mathilde Arnemanns Ansprechpartner in Hamburg bei Hilfs- und Unterstützungsaktionen war Senator Versmann, die Familien waren verwandtschaftlich und als Nachbarn miteinander verbunden.
Bei ihren alljährlichen Kuren in Karlsbad fasste Mathilde Arnemann den Plan, eine solche Erholung auch Menschen zu ermöglichen, die sich das finanziell nicht leisten konnten und initiierte eine Stiftung. Diese erhielt den klingenden Namen ‚Elisabeth-Rosen-Stiftung" nach der Legende von der heiligen Elisabeth, wonach sich die Gaben in deren Korb, die sie den Armen bringen wollten, in Rosen verwandelten, als ihr über die Wohltätigkeit erzürnter Gatte den Deckel hob. Bei der Einweihung 1866 und so auch in den kommenden Jahren verkauften junge Mädchen Rosen an die begüterten Kurgäste, die sich zum eifrigen Spenden angeregt fühlten. (…)
Mathilde Arnemann erschloss finanzielle Ressourcen für die Unterstützung ärmerer Menschen, verstand dies jedoch nicht als Almosen. Es schien ihr wichtig, die Hausfrauen zur Selbsthilfe anzuleiten.
In Altona richtete sie deshalb eine Nähstube ein, freilich ohne großen Erfolg. (…)
In jungen Jahren entwarf sie einen Kleiderschnitt, um von der beengenden Mode loszukommen. Sie hat selbst bis ins Alter Kleider dieser Art getragen. Durch ihre eigene Haltung propagierte sie eine Lebensreform, jedoch ohne diese zum verbindlichen Prinzip zu erheben. Von Frauenemanzipation hielt sie nichts, wenn diese dazu führte, ‚daß die jungen Damen zu Juristen etc. werden". Dagegen ermunterte sie dazu, ‚daß wir wieder ordentliche Weiber bekommen, die nähen, stopfen und flicken können" ". 2)
An einer Säule in der Hamburger Rathausdiele befindet sich ihr Medaillon-Portrait.
Quellen:
Auszüge aus dem Text von Inge Grolle über Mathilde Arnemann, in: Rita Bake, Birgit Kiupel (Hrsg.): Auf den zweiten Blick. Streifzüge durch das Hamburger Rathaus. Hamburg 1997, 101-106.
1) Paul Theodor Hoffmann: Der Altonaer Kaufmann und Patriot Carl Theodor Arnemann. Ein Lebensbild. Hamburg 1935, S. 30.
2) Staatsarchiv Hamburg: Nachlass Eilse Davids 622-1, Briefe von Mathilde Arnemann, Brief vom 11. Juni 1883.
Marie-Luise Bechert, geb. Ostersetzer
25.5. 1908 Grünberg (Schlesien) - 16.12.1953 Hamburg
Organistin, Cembalistin, Chorleiterin
Grab aufgelassen
Marie-Luise Bechert studierte an der Staatlichen Hochschule für Musik in Berlin. 1930 schloss die das Studium mit dem großen Kirchenexamen ab und schloss sich der Orgelbewegung an. Sie erhielt eine Stelle als Organistin und Kantorin an der Berliner Lazaruskirche.
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialilisten galt sie als "Mischling ersten Grades", da ihr Vater Dr. Oskar Ostersetzer bis zu seiner Heirat jüdischen Glaubens gewesen war. Nach seiner Heirat war er zum Protestantismus übergetreten.
Marie-Luise Ostersetzer wurde 1935 aus der Reichskulturkammer ausgeschlossen. "Ihre Anstellung an der Lazaruskirche hatte sie schon vor diesem Berufsverbot verloren und war mit dem Tischlermeister Julius Bechert, den sie 1932 kennen gelernt hatte, nach Ladbergen im Münsteland gezogen. Sie heirateten am 13. Apr. 1935 in Münster (Westfalen). Julius Bechert war nicht jüdischer Herkunft, so dass die Ehe mit ihm einen gewissen Schutz bot." 1)
1939 und 1940 wurden der Sohn und die Tochter geboren. Zwischen 1941 und 1945 hatte sie noch eine Vertretungsstelle als Organistin und trat auch noch öffentlich in Konzerten des Kammermusikkreises (Scheck-Wenzinger) auf.
Ende April 1945 verließ sie mit ihren Kindern Berlin und kam zunächst nach Lübeck und später dann nach Hamburg.
"In Hamburg versuchte Marie-Luise Bechert unter schwierigen Verhältnissen zunächst ohne feste Anstellung und ohne die Unterstützung ihres Mannes, von dem sie sich inzwischen gelöst hatte, einen Neuanfang. (…) Sie begann wieder zu musizieren und trat ab Herbst 1945 beispielsweise in den Kirchen in Nienstedten und Neuenfelde in Abendmusiken auf. Auch nahm sie die Gelegenheit wahr, nachts im NWDR auf dem Cembalo zu üben, und wurde nach einem Vorspiel von Albert Karsch an der musikalischen Gestaltung von Programmen mit Kirchenmusik und alter Kammermusik beteiligt. (…) Erst 1949 erhielt sie als Organistin und Kantorin eine feste Anstellung an St. Katharinen. (…). Offiziell weiterhin an St. Katharinen angestellt, arbeitete sie anschließend in gleicher Stellung in der Kirche St. Pauli-Süd am Pinnasberg. (…) 1950 wurde sie vom NWDR in die Gestaltung des Orgelprogramms zum Bachjahr einbezogen und spielte bzw. leitete aus diesem Anlass auch selbst einige Konzerte mit Orgelmusik (…). 1951 zog sie mit ihren Kindern und der Sängerin Margot Guilleaume (1910-2004), [siehe unter Eintrag: Friedhof Aumühle] die sie beim NWDR kennen gelernt hatte und die ab 1950 an der Hamburger Hochschule für Musik unterrichtete, in eine gemeinsame Wohnung in Othmarschen. Etwa Mitte 1953 erkrankte sie an Krebs. Nach ihrem Tod (…) übernahm Margot Guilleaume die Verantwortung für die Kinder. (…)" 3)
Quelle:
Siehe ausführliche Vita im Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit, unter: https://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00002119
1 bis 3) Sophie Fetthauer: Marie-Luise Bechert, in: Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit, Claudia Maurer Zenck, Peter Petersen (Hg.), Hamburg: Universität Hamburg, 2007 (https://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00002119). Abgerufen 3.6.2018.
Dr. phil. Astrid von Beckerath, geb. Framhein
11.9.1938 Hamburg - 23.2.2023
Vorsitzende der Heinrich Schmilinsky Stiftung
Gudrunstraße 108
Bestattet auf dem Nienstedtener Friedhof, Abt. 16 E, Nr. 82 und 82a
Astrid von Beckerath wuchs in Hamburg Harvestehude auf, machte an der Heilwigschule ihr Abitur und heiratete 1959. Zwischen 1960 und 1964 wurden zwei Töchter und ein Sohn geboren. Anfang der 1970er Jahre wurde sie gefragt, ob sie dem Vorstand des Schmilinsky Stiftes beitreten wolle. Schon ihr Vater hatte soziales Engagement gezeigt und war im Johannis Stift in Hamburg Eppendorf aktiv gewesen. Und so war es für Astrid von Beckerath eine Selbstverständlichkeit sich ebenso sozial zu engagieren.
In der Zeitschrift "Klönschnack" vom Juli 2004 heißt es dazu unter dem Titel: "Mensch des Monats": "Heinrich Schmilinsky hatte vor allem junge, mittellose aber doch aus guten Verhältnissen stammende Hamburgerinnen im Sinn, als er sein Testament schrieb. Sie vor allem sollten es sein, die Asyl und eine gute Ausbildung finden - erst danach nannte Schmilisky die Unterkunft von Frauen, die altersbedingt nicht mehr berufstätig sein konnten. Getreu diesem Vermächtnis fanden auch in dem 1954 in Blankenese neu errichteten Stift selbst in den siebziger Jahren noch Wohnungen, in denen junge Studentinnen für wenig Geld unterkommen konnten. Gerade in dieser Zeit fand allerdings ein rasanter Umbruch der Lebenseinstellungen statt und so funktionierte das Zusammenleben mit den älteren Bewohnerinnen in der Frahmstraße 22 nicht mehr so recht. Astrid von Beckerath, damals noch ‚Nur-Hausfrau und Mutter', sollte vermitteln. Schnell erkannte sie: Die Idee Heinrich Schmilinskys ist überholt. Der Staat selbst sorgte durch Bafög und andere Maßnahmen für die jungen Auszubildenden. So überzeugte sie den Vorstand, die Wohnungen auslaufen zu lassen und sich ganz auf die Unterbringung von älteren Damen zu konzentrieren."

Zur Schmilinsky Stiftung siehe in der Frauenbiografiendatenben unter: https://www.hamburg.de/clp/frauenbiografien-suche/clp1/hamburgde/onepage.php?BIOID=4360
Allerdings war es nicht Heinrich Schmilinsky allein, der das Stift gründete Deshalb wurde die 1899 in St. Georg benannte Schmilinskystraße auch 2017 mitbenannt nach seiner Ehefrau Amalie Cäcilie Schmilinsky, geb. Tanner (1833-1916, die gemeinsam mit ihrem Gatten das Stift gründete. Damit wurde erstmals nach knapp 120 Jahren ein Fehler korrigiert, der bei der damaligen Straßenbenennung entstanden war, weil damals nur Carl Heinrich S. als alleiniger Gründer des Stiftes gesehen wurde.
1979 wurde Adstrid von Beckerath Vorsitzende der Heinrich Schmilisky Stiftung und hatte dieses Amt 36 Jahre inne bis sie es abgab und in den Vorstand wechselte. Bis zuletzt war sie dann Ehrenvorsitzende der Stiftung. Für ihr Engagement erhielt sie die Goldene Ehrennadel des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes verliehen.
In ihrer Zeit als Vorsitzende rief sie für die Bewohnerinnen auch ein Kultur- und Freizeitprogramm ins Leben. Außerdem begann sie, als ihre Kinder erwachsen waren, ein Studium der Kunstgeschichte, Archäologie und Pädagogik. 1992 promovierte sie im Fach Kunstgeschichte. Sie verfasste mehrere Bücher mit kunsthistorischen Inhalten. So gab sie z. B. 1998 mit Marc Antoni Nay das Buch "Spätgotische Flügelaltäre in Graubünden und im Fürstentum Liechtenstein" heraus und schrieb das Buch "Der Hochaltar in der Kathedrale von Chur: Meister und Auftraggeber am Vorabend der Reformation (1994).

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Photo aus: Gisela Bührmann. Arbeiten aus den Jahren 1958-1982. Kunstverein in Hamburg. Ausstellung, Redaktion und Anordnung des Kataloges Carl Vogel. Hamburg 1983.
Gisela Bührmann
11.1.1925 Hamburg - 7.4.2011 Hamburg
Malerin, Grafikerin
Grablage: Abt. 20 Nr. 95
Geboren als Tochter des Hamburger Holzhändlers Ernst Bührmann und seiner Frau Erna, geborene Umlauff, verbringt Gisela Bührmann ihre ersten Lebensjahre zunächst im Hamburg-Stellingen bei den Großeltern im Lokstedter Weg 46. Heinrich Umlauff, der Großvater mütterlicherseits, war Sohn und Inhaber des "Weltmuseums". (Die Firma Umlauff war 1869 als Naturalienhandlung und Muschelwarenfabrik gegründet worden und bezeichnete sich später u. a. als "Naturalienhandlung und Museum". In zweiter Ehe mit einer Schwester des Tierhändlers Carl Hagenbeck verheiratet, pflegte der Firmengründer Johann Friedrich Gustav Umlauff Geschäftsbeziehungen mit den Firmen der Familie Hagenbeck. Das Unternehmen war zunächst u. a. am Spielbudenplatz angesiedelt und seit den 1930er Jahren im Privathaus Hamburg-Stellingen. Heinrich Umlauff, der Großvater, ließ sammeln und ersteigerte Stücke auf Auktionen, wirkte an der Gestaltung von Völkerschauen mit, erwarb aber auch Ethnografica aus den Hagenbeckschen Völkerschauen. Die Firma stattete z. B. die Filmindustrie der Weimarer Republik mit exotischen Gegenständen aus.)
1932 - mit sieben Jahren - zog Gisela Bührmann zusammen mit ihrem Zwillingsbruder und ihren Eltern in eine Villa in Othmarschen um, erbaut von dem modernen Architekten Karl Schneider. Während des Zweiten Weltkrieges übersiedelte Gisela Bührmann wieder zu ihrer Großmutter ins "Museumshaus" nach Stellingen. So stehen ihre ersten
entscheidenden Lebensjahre unter dem tiefen Eindruck der Sammlung des großväterlichen Museums: "Nach eigenem Bekunden begann Gisela Bührmann das Zeichnen inmitten der ethnologischen Exponate im großelterlichen Privathaus, zunächst autodidaktisch. Der eindringliche Blick auf die stillen Dinge, die gesammelt und bewahrt werden, wurde prägend für ihr späteres künstlerisches Werk" 1)
Sie wurde zeitweise als Hilfsarbeiterin in einer Elektrofabrik verpflichtet. 1943 besuchte sie die "Meisterschule für Mode" mit dem offiziellen Untertitel "Fachschule der Hansestadt Hamburg für Damenschneiderei, Berufsfachschule für Modegraphik, Theaterkostümentwurf und textile Handarbeit" in der Armgartstraße 22 (gegründet 1921 als "Staatliche Schule für Frauenberufe", gehört heute zur Hochschule für Angewandte Wissenschaften).
Nachdem das Haus in Stellingen 1943 zerstört worden war, zog sie mit ihrer Mutter in eine Behelfswohnung in Waldmünchen im Bayerischen Wald. 1945 bestand sie im benachbarten Cham ihr Abitur und nahm im darauf folgenden Jahr ein Studium an der Landeskunstschule in Hamburg auf, der späteren Hochschule für Bildende Künste am Lerchenfeld. Sie war Schülerin von Willem Grimm (Hamburger Sezession). Zu ihren Kommilitonen zählten Jutta Metzger, Harald Duwe und Klaus Frank; in Freundschaft verbunden war sie Künstlern wie Paul Wunderlich, Ursula Lefkes, Horst Janssen und Siegfried Jonas.
Mit ihrem 1952 erworbenen Examen als Kunsterzieherin konnte sie als Lehrerin an Hamburger Gymnasien arbeiten. Sie war weiterhin als freie Künstlerin tätig. In einer Dachwohnung in der Sierichstraße 52 lebte sie in Ateliergemeinschaft mit den beiden Grimm-Schülern Kai Sudeck sowie ihrem Lebensgefährten, dem Maler Reinhard Drenkhahn. "Die lebensfrohe, junge Studentin Willem Grimms, deren überragendes Talent sich früh zeigte, musste erleben, dass ihr gleichaltriger Freund und Gefährte Rainer Drenkhahn, der engste Kumpan Horst Janssens, mit 33 Jahren freiwillig aus dem Leben schied. Dieses Ende blieb die entscheidende Zäsur ihres Lebens, war die Ursache ihrer Schwermut, wurde aber auch zu ihrem künstlerischen Stimulans." 2) Sie bewahrte Drenkhahns künstlerischen Nachlass und sorgte für sein Andenken.
1963 mit 41 Jahren erhielt sie das renommierte Stipendium für einen Aufenthalt in der Villa Massimo in Rom. Ein Jahr darauf lernte sie den Kinderarzt und Sammler Dr. Martin Sudeck kennen, mit dem sie bis zu dessen Tod 1992 in Hamburg lebte. Ihre gemeinsame Wohnung am Harvestehuder Weg 63 wurde zu einer nach wissenschaftlichen Prinzipien geordneten Naturaliensammlung, die sie von Sommerurlauben mitbrachten - dies scheint einen Kreis zu schließen zur frühen Prägung Bührmanns im großelterlichen "Weltmuseum".
1968 erhielt Gisela Bührmann den Edwin-Scharff-Preis der Stadt Hamburg. Bis zu ihrem Tod arbeitete sie als freie Künstlerin zurückgezogen im Hamburger Stadtteil Uhlenhorst.
Zu ihrem Oeuvre schrieb der Kunsthistoriker Heinz Spielmann: "1959 entstanden ihre ersten Radierungen, zwei Jahre später ihre, wie sie sagte, ersten für sie selbst gültigen Zeichnungen, und abermals zwei Jahre später folgten während eines Rom-Stipendiums in der Villa Massimo ihre ersten Gemälde. Wenn sie in ihren Zeichnungen und druckgrafischen Blättern bislang Figuren und Szenen, Häuser und Landschaften beschäftigten, so von jetzt an fast ausschließlich das Stillleben, das sie als Thema vier Jahrzehnte lang fesselte und das sie meisterlich beherrschte. Ihre Bilder sind weniger ‚Stillleben" als ‚Nature morte"; sie zeigen tote Lebewesen wie Vögel oder Muscheln, Tier- und Menschenschädel, oft auch verbrauchte Dinge und Gegenstände, die jemand hinterließ. Später malte sie Trümmerfragmente einer Villa, die der Feuerwehr als Brandschutzübung gedient hatte. Vergänglichkeit und Memento mori, immer schon das Thema der Stillleben schlechthin, blieben für sie eine ständige Lebenserfahrung. Aus ihr heraus machte sie aus Trivialem Preziosen.
Ihre Malerei, die anfangs der Zeichnung und ihrem Schwarz-Weiß nahestand, wurde im Laufe von zwei, drei Jahrzehnten farbiger und zugleich reduzierter. Zum Schluss genügten ihr Pflastersteine als Thema. Je länger sie malte, umso sparsamer nutzte sie dafür eine Handvoll Gegenstände, umso subtiler und nuancierter wurde ihre Malerei. Sie fand dafür das Verständnis of the happy few, zu denen Günter Busch, der langjährige Direktor der Bremer Kunsthalle, der Hamburger Galerist Michael Hauptmann, einige private Sammler sowie Horst Janssen und Paul Wunderlich gehörten. Janssen schrieb über sie und ihre Arbeiten: ‚Hätte einer ... noch Wohlgefallen am Maß und am Angemessenen - hier hätte er die Kabinettstücke der Gisela Bührmann ... Und es käme ihm bei aufmerksamer Betrachtung ... womöglich die Erkenntnis: Melancholie kann durchaus die Wurzel einer gemessenen Heiterkeit sein - einer Heiterkeit, weg von der Straße ...
Die wichtigsten norddeutschen Museen bewahren ihre Bilder und Blätter; Schloss Gottorf besitzt ihr gesamtes druckgrafisches Werk. Hamburg ehrte Gisela Bührmann mit dem Edwin-Scharff-Preis und (1970) mit der Aufnahme in die Freie Akademie der Künste, wo ihr Wort den Freunden auch dann - und gerade dann - etwas galt, wenn sie sich abseits aller Konformität äußerte. Anpassung war ihr zuwider, aber welcher Künstler, der dem Zeitgeist Reverenz erweist, verdient sich Respekt und Zukunft - ? " 3)
Text: Dr. Cornelia Göksu
Quellen:
1) Dagmar Lott-Reschke: Gisela Bührmann, in: Hamburgische Biografie. Personenlexikon. Hrsg. v. Franklin Kopitzsch und Dirk Brietzke. Band 6. Göttingen 2012, S. 52.
2) Julika Pohle in "Die Welt" v. 20.09.2012.
3) Heinz Spielmann: Nature morte. Zum Gedächtnis. Kunsthistoriker Heinz Spielmann würdigt die Künstlerin Gisela Bührmann, in: Die Welt vom 12. 5.2011.
Einzelausstellungen:
1972 Kunsthalle Bremen; 1983 Kunstverein Hamburg; 1998 im Schleswig-Holsteinischen Landesmuseum Schloss Gottorf und 2002 im Altonaer Museum Hamburg.
Rosemarie Fiedler-Winter
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5.9.1922 Dresden - 19.11.2012 Hamburg
(Wirtschafts-)Journalistin und ehrenamtlich Gründungs- und Ehrenvorsitzende der Hamburger Autorenvereinigung (HAV)
Grablage: UR21, 24: Urnenreihegrab. Bestattungsplatz in der 3. Reihe, Platz 7
Als "Glücksfall für die Hamburger Autorenvereinigung" und als ihren Inbegriff bezeichnete Ehrenmitglied Siegfried Lenz die Kämpferin für das literarische Leben.
"Rosemarie Fiedler-Winter ging es von Anfang an darum, die Literaturszene Hamburgs als ein zu damaliger Zeit nicht gerade besonders unterstützter Arm der Kulturlandschaft, zu stärken und langfristig zu einem Leuchtturmprojekt zu machen. Ihrem beharrlichen Werben ist es zu verdanken, dass Schriftsteller wie Siegfried Lenz, Walter Kempowski, Günter Kunert, Arno Surminski und Gabriel Laub den Weg in den Hamburger Verband fanden. In hartnäckigen Verhandlungen suchte sie um Unterstützung in den Hamburger Behörden nach. Auf diesem Fundament konnten ihre Nachfolger mit dem Hannelore Greve Literaturpreis einen der höchst dotierten Literaturpreise Deutschlands etablieren." [1]
Es gelang ihr sogar, Walter Kempowski zu werben, "den eine komplexe Persönlichkeit auszeichnete, der erst spät die Anerkennung fand und dann in einem letzten Akt vor seinem Tod der HAV die Erlaubnis erteilte, den Förderpreis, ein Wettbewerbspreis für Kurzgeschichten, mit seinem Namen auszuzeichnen. Dass es Rosemarie Fiedler-Winter gelang den großen Autor in den Schriftstellerverband einer Stadt zu holen, die ihn nach der Entlassung aus der Haft in Bautzen alles andere als willkommen hieß, wird als eine ihrer großen Leistungen im Gedächtnis bleiben" (Zitat wie Anm. 1).
Mit Gabriel Laub und seiner Lebensgefährtin, der Autorin Gerlinde Fischer-Diehl, "etablierte sie die Literatur Salons und konnte dafür Schriftsteller wie die Kanadierin Margaret Atwood, den Italiener Alberto Moravia und deutsche Autoren wie Martin Walser und Hans-Olaf Henkel gewinnen [2]. Zu Gästen und Sponsoren zählten aber auch Ida Ehre [bestattet auf dem Ohlsdorfer Friedhof] oder Dr. Elsbeth Weichmann, den Otto-Versand oder Alfred C. Toepfer. Im Alter von 90 Jahren verstarb sie 2012 in Hamburg - kurz bevor die Hamburger Autorenvereinigung ihr eine Geburtstagsfeier hatte ausrichten können.
So beschreibt der Nachruf auf dem Internetportal der Hamburger Autorenvereinigung HAV ihr Wirken: "Rosemarie Fiedler-Winter wurde in Dresden geboren, studierte in Köln und unternahm nach dem Studium im Auftrag großer Verlage (Frankfurter Sozietät; Burda, München) ausgedehnte Reportagereisen nach Südamerika und in den Mittelmeerraum. Viele Jahre arbeitete sie als freie Wirtschaftsjournalistin in Hamburg. Sie veröffentlichte mehrere Bücher und schrieb mehr als 200 Features, die vom Deutschlandfunk, dem NDR und dem Bayerischen Rundfunk gesendet wurden, sowie etwa 50 Magazinfilme für plusminus und NDR-Wirtschaft. Ihre Spezialgebiete waren Management und Personalpolitik. Sie war Mitbegründerin des Clubs der Hamburger Wirtschaftsjournalisten, dessen Vorstand sie mehrere Jahre angehörte, und war von 1977-2003 Vorsitzende der "Hamburger Autorenvereinigung e.v.", deren Ehrenvorsitzende sie bis zu ihrem Tode war" [3].
"Gino Leineweber, Vorsitzender der Hamburger Autorenvereinigung, äußerte sich tief betroffen über den Tod seiner Vorgängerin: "Allein der Tatsache, dass sie nach der Gründungsversammlung zu einem dringenden Termin aufbrechen musste, ist es zuzuschreiben, dass sie, da alle anderen partout ablehnten, auf fünf Monate begrenzt den Vorsitz der neuen Literaturorganisation Hamburgs übernahm". Aus fünf Monaten wurden 26 Jahre" [4]. In Anerkennung ihres umfangreichen ehrenamtlichen Engagements wurde Rosemarie Fiedler-Winter im Mai 2005 mit dem Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland und von der Hamburger Autorenvereinigung als Ehrenvorsitzende ausgezeichnet [5]. ""Ein Studium der Wirtschaftswissenschaften ist sicher nicht unbedingt eine Voraussetzung, aber schaden kann es sicher nicht, wenn man eine Bande von Autoren zusammen zu halten hat", sagte Siegfried Lenz im Hinblick auf Fiedler-Winters Herkunft" (zitiert nach Anm. 4).
Bestattet wurde Rosemarie Fiedler-Winter am 6. Dezember 2012 auf dem Friedhof Nienstedten. Als Hinterbliebene setzten ihr Sohn Hans-Peter Fiedler und Neffe Johannes Blume mit einer Traueranzeige im Hamburger Abendblatt ein Denkmal: "Nach einem langen, erfüllten und erfolgreichen Leben, sowie zum Schluss schrecklich qualvoller Krankheit, bist Du in eine andere Welt gegangen. In eine Welt ohne Leid und körperliche Lasten. Mit stets bis in die schwersten Stunden wachem Geist hast Du die Menschen um Dich herum und mich immer wieder aufs Neue verzaubert. Du warst etwas mehr als ganz Besonderes für mich und wirst für immer in meinem und unseren Herzen bleiben! Ich danke Dir !!!". Und die HAV schrieb: "Wir verlieren mit ihr (...) einen Menschen, der seine Liebe zur Literatur zu seinem Lebensinhalt gemacht und damit die Hamburger Literaturszene entscheidend geprägt hat" [6].
Veröffentlichungen von Rosemarie Fiedler-Winter:
- Der Zeitungsjunge von Rio
- Engel brauchen harte Hände. Vom Wirken bedeutender Frauen. Düsseldorf 1973.
- Ach, ja, die Liebe. Anthologie, hg. v. R. Fiedler-Winter, o. J.
- Überall kann Heimat sein, München 1997.
- Frei sein für andere
- Die Managementschulen, Düsseldorf 1973.
- Die Moral der Manager. Dokumentation und Analyse, Stuttgart 1977.
- Flexible Arbeitszeiten. Beispiele aus der Praxis, Landsberg/Lech 1995.
- Innovative Mitarbeiterbeteiligung. Der Königsweg für die Wirtschaft. Beispiele aus der Praxis, 2000.
- Ideenmanagement. Mitarbeitervorschläge als Schlüssel zum Erfolg, 2001.
- "... denk" ich an Hamburg: Geschichten von gestern und heute, Anthologie, hg. v. R. Fiedler-Winter, München 2004.
- Kinderhospiz Sternenbrücke. Beiträge v. R. Fiedler-Winter, Hamburg, ca. 2005.
Text: Dr. Cornelia Göksu (CG)

Quellen (alle abgerufen am 24.1.2017 CG):
1 hh-av.de/greve-literaturpreis/
Preisträger_innen: 2004: Siegfried Lenz / 2006 : Hans Pleschinski / 2008: Arno Surminski / 2010 : Lea Singer / 2012: Gerhard Henschel / 2014: Herta Müller / 2016: Hanns-Josef Ortheil
2 kultur-port.de/index.php/kunst-kultur-news/6021-rosemarie-fiedler-winter-gruendungs-und-ehrenvorsitzende-der-hamburger-autorenvereinigung-verstarb-gestern
3 - hh-av.de/mitglieder/rosemarie-fiedler-winter/
- Ginny G. v. Bülow: Worte zum Abschied für unser Mitglied Rosemarie Fiedler-Winter, auf der Website der "Auswärtigen Presse", 30.11.2012; die-auswaertige-presse.de/2012/11/worte-zum-abschied-fur-unser-mitglied-rosemarie-fiedler-winter/#more-18442
4 Zitat aus Artikel "Beförderin des literarischen Lebens", gezeichnet mit dem Pseudonym (tha) in: Hamburger Abendblatt v. 22.11.2012, S. Rosemarie Fiedler-Winter
5 Nachruf von Dr. Lázló Kova unter die-auswaertige-presse.de/tag/fiedler-winter-rosemarie/
6 Zwei Traueranzeigen in: Hamburger Abendblatt v. 1./2.12.2012 von ihrem Sohn Jens-Peter Fiedler sowie dem Neffen Johannes Blume als Hinterbliebenen; die zweite Anzeige von der HAV c/o Zeitform Kunst-Büro, Maren Schönfeld, Eulenstraße 51, 22765 Hamburg.

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Dr.rer.pol. Elisabeth Flitner, geb. Czapski
25.10.1894 Jena - 21.5.1988 Tübingen
Nationalökonomin und Sozialwissenschaftlerin
Grablage: Abt C2 Nr. 146-147
Elisabeth Flitner war das fünfte von acht KIndern von Margarete Czapski, geb. Koch und des Physikers Siegfried Czapski, der starb, als Elisabeth 13 Jahre alt war.
1915 gehörte Elisabeth Flitner zum ersten Jahrgang von Abiturientinnen in Thüringen.
Elisabeth Flitner studierte Nationalökonomie und Sozialwissenschaften in Berlin, München und Heidelberg. 1925 promovierte sie in Jena mit der Arbeit über das Problem der Bedürftigkeit in der Kriegsfamilienfürsorge.
Schon während ihres Studiums hatte die damals 23-Jährige den Pädagogen Wilhelm Flitner (1889-1990) geheiratet. Die beiden hatten sich im Serakreis um den Verleger Eugen Diederichs kennengelernt. Bei diesem Kreis handelte es sich um eine freistudentische Gruppierung innerhalb der frühen Jugendbewegung und der Lebensreformbewegung.
Das Paar lebte bis 1926 in Jena, dann wurde Wilhelm Flitner als außerordentlicher Professor für Philosophie und Pädagogik an die Universität Kiel berufen und war dort bis 1929 tätig. Danach kam er als ordentlicher Professor an die Universität Hamburg. Dort leitete er das Seminar für Erziehungswissenschaft sowie das Pädagogische Institut. Elisabeth Flitner zog mit den gemeinsamen Kindern - das Paar bekam vier Kinder - immer mit.
Elisabeth Flitner war als Volkshochschuldozentin tätig. 1933 wurde sie wegen ihrer jüdischen Herkunft aus dem Dienst entlassen.
Während der Kriegszeit wurde ihr Haus zu einer Begegnungsstätte für Menschen, die dem Nationalsozialismus ablehnend gegenüberstanden
Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus arbeitete Elisabeth Flitner ab 1945 als Dozentin an der Fachschule für Sozialberufe in Hamburg und organisierte Selbsthilfeeinrichtungen für notleidende Frauen. Außerdem war Elisabeth Flitner langjährige Vizepräsidentin und zuletzt Ehrenvorsitzende des Deutschen Kinderschutzbundes.
Elisabeth Flitner war nicht die Ehefrau, die hinter ihrem Mann stand. Sie hatten als Wissenschaftlerin und Erwachsenenbildnerin Einfluss auf ihren Mann und nahm teil an den Diskussionen um die gesellschaftliche "soziale Frage".
Text: Rita Bake
Quelle:
de.wikipedia.org/wiki/Elisabeth_Flitner abgerufen 13.1.2018.
Johanna Harry
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9.7.1864 - 8.2.1934
Brotfabrikantin
Grablage: 16 D
Heute ist die Harry-Brot GmbH eine Großbäckerei mit Sitz in Schenefeld. Begonnen hatte alles mit der Gründung einer Bäckerei in Altona im Jahre 1688. Damals war Johan Hinrich Harie von Bremerhaven nach Altona gezogen. Nachdem Andreas Harry - in siebter Generation der Gründerfamilie - verstorben war, führte seine Witwe Johanna das Geschäft 37 Jahre lang weiter. 1929 übernahm ihr Sohn Franz Harry die Hannoversche Brotfabrik.

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Lotte Herrlich
1883 Chemnitz - 1956 Eutin
Fotografin
Grablage: Abt. 20, Nr. 141
Lotte Herrlich wurde als Fotografin besonders in den 1920er Jahren bekannt und zwar mit Aufnahmen aus der Nudistenbewegung (Freikörperkultur in der Lebensreformbewegung). In Wikipedia steht über sie: ". Sie begann mit dem Fotografieren nach der Geburt ihres Sohnes. Autodidaktisch bildete sie sich weiter und fand über Landschaftsaufnahmen und Porträtstudien zum Akt. Ihre Fotos wurden in Publikationen verschiedener (meist kurzlebiger) Verlage, insbesondere dem Lichtkamp-Verlag (Herausgeber: Hanns Altermann) und Organisationen dieser Bewegung verwendet. Daneben veröffentlichte sie zahlreiche Bücher zum Thema Aktfotografie und Naturismus." 1)
In einem anderen Interneteintrag heißt es: "Das
Hauptinteresse an der Aktstudie erwuchs bei Lotte Herrlich nach der Geburt ihres Sohnes Rolf, den sie in allen Stufen des Erwachsenenwerdens im Bild festhielt." 2)
Lotte Herrlich soll rund 1000 Kinderbilder und 900 Aktphotograpien hergestellt haben. Neben Aktphotographien schuf sie auch Photos mit Landschafts- und Tiermotiven.
Sie selbst schrieb 1921 an ihren Herausgeber Giesecke: " … und als ich auch in die Geheimnisse der bildmäßigen Landschaftsphotographie eingedrungen war und einige kleine Erfolge zu verzeichnen hatte, wagte ich mich an das Höchste und Schwerste: den Akt. Gleich meine ersten Versuche, die Halbsilhouetten ‚Flötenbläser" und ‚Eitelkeit" - erwarb die ‚Schönheit" [Zeitschrift]. Weitere folgten und bald war ich in der Lage, drei Sammelmappen mit Akten erscheinen zu lassen und drei Postkartensierien mit Kinderakten …In erster Linie ist die Gestalt des reifen Menschen in ihrer vielseitigen interessanten Schönheit, die mich zu ernsterer Arbeit anregt … an Modellen hat es mir dazu nie gefehlt, man brachte mir viel Vertrauen entgegen, und seltsamerweise gerade in gebildeten, vornehmen Kreisen weit mehr als von Seiten der Berufsmodelle, die ich aber auch bald ganz ausschalten konnte …. Und wenn es auch nicht immer leicht ist, sich in Stellungen und Beleuchtungen nicht zu wiederholen, besonders, da ich nicht über ein Atelier verfüge, sondern die längste Zeit des Jahres nur auf zwei wenig große Zimmer angewiesen bin, so werde ich doch nicht müde werden, die liebliche, keusche Anmut des Mädchenkörpers, die kraftvolle, interessante Schönheit des muskolösen Männerkörpers mit Hilfe meiner Kamera dazustellen." 3)
Auf dem Grabstein - ein Kissenstein- stehen ihr und der Name ihres Sohnes Rolf.
Die Zeitschrift "Die Schönheit" war die bekannteste Publikation der Körperkulturbewegung und erschien zwischen 1902 und 1932. "Die Beilage enthielt neben Anzeigen für lebensreformerische Produkte, einem ‚Büchermarkt" und Regionalinformationen auch Kontaktanzeigen, die über die Leserschaft der Schönheit Auskunft geben. Fast ausschließlich bestand sie aus dem mittelständischen, bürgerlichen Milieu. Die Zeitschrift sah sich für ‚freie und vornehme Frauen und Männer" bestimmt, die das ‚gesunde und sinnliche Denken veredeln und verfeinern" sollten. Weiterhin ist es auffällig, dass nur ausgesprochen selten Männer und Frauen über vierzig Jahren in den Anzeigen zu entdecken waren.
Die Themen Jugend, Kunst und Literatur zeigten aber auch erste rassenhygienische Ansichten zu Nacktheit und Schönheit waren, aus denen sich perfekte Körper ergaben. So erschien eine der letzten Ausgaben 1932 mit dem Aufmacher: ‚Gesunde Frau - gesundes Volk!" " 4)
Quelle:
1) Wikipedia: Lotte Herrlich (abgerufen am 7.1.2018)
2) Michael G, unter: www.michis-seiten.de/seite080.html
3) Zit. nach: Michael G. a.a.O.
4) Wikipedia: "Die Schönheit" abgerufen: 8.1.2018
Heidi Kabel, verh. Mahler
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Quelle: Friedhof Nienstedten
27.8.1914 Hamburg - 15.6.2010 Hamburg
Bundesweit beliebte Volksschauspielerin am Ohnsorg-Theater von 1932 bis 1996, erlangte Popularität durch die ab 1954 gesendeten Fernsehübertragungen, bereits zu Lebzeiten eine hochverehrte "Hamburger Legende".
Namensgeberin für: Heidi-Kabel-Platz, benant 2011
Grablage: Abt. 16 B, Nr. 81
Heidi Bertha Auguste Kabel kam aus "gutem Hause": Ihre Wiege stand in den Großen Bleichen 30, direkt gegenüber dem ehemaligen Gebäude des Ohnsorg-Theaters. Ihr Vater war der Druckereibesitzer Ernst Kabel, zeitweilig Vorsitzender des Vereins geborener Hamburger. Der von ihm begründete Betrieb Kabel Druck sowie sein Kabel-Verlag existieren bis heute. Heidi Kabels Mutter war Hausfrau.
Heidi Kabel kam eher durch Zufall zum Theaterspielen. 1932 begleitete sie eine Freundin zum Vorsprechen in die "Niederdeutsche Bühne Hamburg" (gegründet 1902 im Restaurant Kersten am Gänsemarkt als "Dramatische Gesellschaft Hamburg" durch den Philologen, Bibliothekar und Schauspieler Dr. Richard Ohnsorg). Dabei wurde sie von Ohnsorg entdeckt und erhielt 1933 ihr erstes Engagement in dem Stück "Ralves Carstens". Heidi Kabel nahm Schauspielunterricht. Dass sie ursprünglich Konzertpianistin werden wollte, geriet bald in Vergessenheit. 1937 heiratete sie ihren Kollegen, den Schauspieler und Regisseur Hans Mahler. Der Ehe entstammen drei Kinder (geboren 1938, 1942 und 1944); Tochter Heidi Mahler wurde ebenfalls Volksschauspielerin und trat mit ihrer Mutter häufig gemeinsam auf.
Die erste Zeit ihrer Ehe war für Heidi Kabel sehr anstrengend: Nun erging es ihr so wie den meisten berufstätigen Ehefrauen: Sie wurde doppelt belastet, musste einen eigenen Haushalt und einen Mann versorgen und darüber hinaus noch ihre Rollen lernen. Das "Los", dass ihre hausfraulichen Bemühungen nicht genügend gewürdigt wurden, teilte sie mit den meisten Hausfrauen. Dazu Heidi Kabel in ihren Erinnerungen über ihren Ehemann Hans Mahler: "Glaubte er wirklich, ich koche und schrubbe aus Zeitvertreib? Merkte er nicht, wie schwer es mir fiel, unseren winzigen Haushalt am Laufen zu halten? Heute weiß ich, daß Mahler keine Ausnahme war. Noch heute wissen die meisten Männer nicht, welche Anstrengungen es kostet, Hausarbeit zu verrichten." [1]
Erst nach dem Tod seiner Mutter, der ihn sehr getroffen hatte, änderte sich seine Einstellung zu häuslichen Verrichtungen. Mahler "vergrub sich noch mehr in seine Bücher, in seine Rollen und beschäftigte sich immer mehr mit seinem Sohn. Plötzlich wurde er ein besorgter Familienvater. Er half mir mit im Haushalt, ohne daß ich ihn dazu auffordern musste, und es machte ihm nichts mehr aus, wenn ich nach der Theatervorstellung noch tingeln musste, Jan [der Sohn] von meinen Eltern abzuholen und ihn im Kinderwagen in die Steinstraße [die dortige Wohnung] zu schieben, ihn sauber zu machen und ins Bett zu bringen". [2]
Dann kam die Zeit des Nationalsozialismus. " (…) auch die beiden Jungvermählten spürten die widrigen Zeiten. Immer offensichtlicher wurde das grausame Regiment der Nationalsozialisten. Juden wurden deportiert. Menschen aus dem Bekanntenkreis waren urplötzlich wie vom Erdboden verschwunden. Doch Heidi Kabel schloss die Augen vor dem politischen Horror, wie so viele andere auch. Im privaten wie im Berufsleben bewies die junge Frau Rückgrat. In übergeordneten Dingen nicht unbedingt. Eine Revolutionärin war das spätere SPD-Mitglied nie. Es passt ins Bild, dass Hans Mahler und Heidi Kabel gemeinsam in die NSDAP [Heidi Kabel war Mitglied der NS-Frauenschaft, nicht der NSDAP, die Verf.] eintraten. Vielleicht nicht unbedingt aus ideologischer Überzeugung, der Karriere wegen schon. Für die ansonsten couragierte Künstlerin spricht wiederum, dass sie die Verantwortung nicht anderen zuschob. ‚Ich habe Hänschen dazu gedrängt", erklärte sie". [3]
Heidi Kabel schreibt dazu in ihren Erinnerungen, sie habe ihren Mann nur deshalb zur Mitgliedschaft in der NSDAP gedrängt, weil sie ihn endlich habe heiraten wollen. Dazu benötigte das Paar aber finanzielle Mittel, z. B. um Möbel kaufen und eine Wohnung mieten zu können. Deshalb erschien ihr die 1936 ausgeschriebene Stelle des Intendanten am Lüneburger Theater als Hoffnungsschimmer und sie drängte ihren Mann, sich zu bewerben. Voraussetzung für die Stelle war allerdings die Mitgliedschaft in der NSDAP. Mahler war damals aber kein NSDAP-Mitglied und wollte dies auch nicht sein. Heidi Kabel empfand solch eine Mitgliedschaft nur als Formsache: "Es war alles eine Formsache. Es wurden nun mal eben Parteimitglieder bei der Vergabe von Anstellungen bevorzugt. (…) ich kam nur immer zu demselben Schluß, Mahler musste der NSDAP beitreten, um Intendant in Lüneburg zu werden. Nur wenn er den Posten bekäme, wäre unsere gemeinsame Zukunft gesichert. (…)
Hans Mahler trat 1936 [ richtig: 1937] der NSDAP bei. Um ihm meine Verbundenheit zu zeigen, trat ich in die NS-Frauenschaft ein. Für mich war dieser Beitritt zu einer NS-Organisation nichts weiter, als wenn ich irgendeinem Verein beigetreten wäre. (…)." [4]
Doch Mahler bekam die Stelle nicht, denn andere Bewerber, die schon seit Längerem in der NSDAP waren, wurden bevorzugt. "Damals keimte in mir ein Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen. Nachträglich wollte ich Mahler und mir beweisen, daß ich Recht hatte, ihn zu diesem Schritt gedrängt zu haben. Ich ertappte mich dabei, daß ich immer öfter den politischen Teil in der Zeitung las, mir die vorfabrizierte Meinung zu eigen machte und schönredete. (…) Mahler wich jedem Gespräch mit mir über Politik aus (…). " [5]
"Am Morgen des 10. November 1938 bemerkte ich auf dem Weg ins Theater Menschenansammlungen vor Geschäften, (…) auf denen zu lesen war ‚Jude" oder ‚kauft nicht beim Juden". (…) Im Theater erwischte ich eine Morgenzeitung, und da war zu lesen, daß der deutsche Gesandtschaftsrat in Paris von einem jungen Juden ermordet worden war und daraufhin im ganzen Deutschen Reich das Volk Synagogen und jüdisches Eigentum angezündet und zerstört hätte. Leise sagte Rudolf Beiswanger [Beiswanger war Kommunist] zu mir: ‚Das glaubst du doch wohl nicht (…)?" Ich wußte nun überhaupt nicht mehr, was ich noch glauben sollte. Für mich war eine Regierung immer das Symbol für Gerechtigkeit und Ordnung gewesen, und ich konnte mir nicht vorstellen, daß derartige gewaltsame Zerstörungen mit staatlicher Duldung vor sich gegangen waren. Sicher war es wieder nur die SA gewesen, diese Truppe junger Raufbolde, die immer übers Ziel hinausschoß (…). Zu Hause (…) sprach ich mit Mahler darüber (…). Zum erstenmal hörte ich nun, was ich nicht in der Zeitung lesen konnte: Daß es Lager gab, in die man Andersdenkende einsperrte, daß es eine Presse-Zensur gab (…), und hätte mir nicht all" das mein Mann erzählt, ich hätte es nicht geglaubt. In mir sperrte sich immer noch etwas. (…) Millionen in unserem Land konnten sich doch nicht so sehr irren. (…)" [6]
Der im August 1938 geschlossene Nichtangriffspakt zwischen Hitler und Stalin erschütterte Heidi Kabel: " (…) über Nacht wurden aus unseren Erzfeinden, den bolschewistischen Untermenschen, unsere Freunde. (…) Ich war erschüttert. Wie konnte ein deutscher Staatsmann, der uns allen immer wieder als höchste Tugenden Ehre, Glaube und Treue gepredigt hatte, über Nacht mit unseren Erzfeinden paktieren. (…) Abends nach der Vorstellung saß ich mit Mahler in unserem Wohnzimmer. Es fiel mir schwer, mit ihm in ein Gespräch zu kommen (…). Dann platzte ich damit heraus, (…) ‚Hans, ich will raus aus dem Verein!" Ich sagte wirklich Verein und meinte die Partei. ‚Ich will mit den Leuten nichts mehr zu tun haben, deren Ziele sind nicht meine. Die belügen uns von morgens bis abends (…). Ich will keinen Krieg, ich will in Ruhe und im Frieden leben (…). Ich möchte nicht immer vor vollendete Tatsachen gestellt werden, und ich möchte meine Meinung wenigstens sagen dürfen. Durch meinen Austritt möchte ich erklären, daß ich mit vielem nicht einverstanden bin. Das Recht habe ich doch?" Er sprach leise und langsamer als sonst (…): ‚Vielleicht hast du das Recht, deinen Austritt zu erklären, aber was dann kommen wird, hat mit dem Recht, das du zu haben glaubst, nicht mehr viel zu tun. Du wirst vielleicht für einige Zeit verschwinden, verhört werden, aber auf jeden Fall Arbeitsverbot bekommen, man wird uns die Existenzgrundlage nehmen (…). Man kann heute nicht mehr von diesem fahrenden Zug springen (…)."" [7]
Der Verlust der Existenzgrundlage hätte man nicht zu fürchten brauchen. Trat jemand in der Zeit des Nationalsozialismus aus der NSDAP aus, kam es in der Regel zu Nachfragen oder Schikanen durch die Partei, nicht aber zum Verlust der bürgerlichen Existenz. (Siehe dazu Wolfgang Benz (Hrsg.): Wie wurde man Parteigenosse? Frankfurt a. M. 2009.)
Nach dem Ende der NS-Herrschaft wurde Heidi Kabel mitgeteilt, ein Komitee habe beschlossen, dass sie wegen ihrer Mitgliedschaft in der NS-Frauenschaft und Hans Mahler wegen seiner Zugehörigkeit zur NSDAP nicht mehr auf der Ohnsorg-Bühne stehen dürften. Dazu Heidi Kabel in ihren Erinnerungen. "Wir wurden zu den Proben eingeteilt, es war Mitte Juli 1945. Wir standen in den Startlöchern.
Als wir dann eines Morgens pünktlich zu den Proben erschienen, trafen wir schon vor der Tür auf Dr. Ohnsorg, der wohl auf uns gewartet hatte. (…) ‚Kinners, es tut mir furchtbar leid, aber ihr könnt nicht proben, die Kollegen haben sich geweigert, sie wollen nicht mehr mit euch auf der Bühne stehen." (…)
Als wir zu unseren Männern ins Wohnzimmer zurückkamen, hatte ich meine Sprache wiedergefunden. Ausgerechnet die Kollegen! Mit denen ich fast dreizehn, mein Mann zwanzig Jahre auf der Bühne gestanden hatte, die wußten, was wir dachten, was wir fühlten, genauso wie wir es von ihnen wußten.
Oder es nur zu wissen glaubten? Denn wie sonst konnte sich die Mehrzahl von ihnen weigern, mit uns auf der Bühne zu stehen. Wir waren ja nicht die beiden einzigen Parteimitglieder des Ensembles gewesen, und wie oft hatten wir mit allen darüber gesprochen. Ich war ja diejenige gewesen, die mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln meinen Mann überredet hatte, 1936 [richtig ist 1937] in die NSDAP einzutreten. Gegen seine Überzeugung. Mir zuliebe. (…) Jede Kollegin und jeder Kollege kannte meine damaligen, egoistischen Beweggründe und wie oft hatten wir vor allen offen bekannt, daß wir die Rechnung ohne den Wirt gemacht hatten! So kam ich darauf, daß noch andere Gründe eine Rolle gespielt haben mußten. Wem standen wir im Weg? Wer wollte unsere Rollen? Wer witterte für sich eine Chance, wenn wir ausgeschaltet waren? Da fielen mir dann etliche ein, auch Parteimitglieder wie wir, Kollegen, die wir für Freunde gehalten hatten, die es vielleicht sogar waren, bis zu diesem Tag, als sie die Gelegenheit nutzten, ihren Vorteil zu unseren Lasten wahrzunehmen." [8]
Im Hamburger Staatsarchiv befindet sich eine Kopie eines Schreibens vom Richard-Ohnsorg-Theater an Herrn Stadtamtmann Cousin Hamburg, Rathaus vom 6. September 1945. Aus diesem Schreiben geht hervor, wer die Entscheidung traf, dass Heidi Kabel und Hans Mahler Auftrittsverbot bekamen.
In diesem Schreiben wird mitgeteilt, dass am 25. August 1945 ein Treffen - gemeint ist das Treffen des Entnazifizierungs-Kommitees - stattfand unter dem Vorsitz von Captain Davies und dem Beisitz von Mr. Olden (John Olden war damals der britische Theateroffizier, späterer Ehemann der Schauspielerin Inge Meysel ). In Vertretung für die Deutsche Schauspieler Vereinigung waren vertreten Frau Ida Ehre und Herr Cecil Goericke. Die Schauspielerin Ida Ehre hatte in der gesamten Zeit des Nationalsozialismus wegen ihrer jüdischen Herkunft Auftrittsverbot gehabt und im Sommer 1945 das Haus an der Hartungstraße 9 als neues Theater erhalten (Hamburger Kammerspiele). Die Niederdeutsche Bühne war vertreten durch Herrn Beiswanger und Herrn Streblow.
Weiter heißt es in dem Schreiben: In der Versammlung wurden alle Fälle individuell behandelt und Captain Davies fällte folgende Entscheidung: Magda Bäumken -Bullerdiek, Heidi Mahler-Kabel, Otto Lüthje und Hans Mahler werden für 12 Monate suspendiert, danach werde eine neue Diskussion stattfinden. Irmgard Deppisch-Harder und Christina Hansen dürfen spielen. [9]
Nach der Suspendierung vom Ohnsorg-Theater tourte Heidi Kabel, um die Familie finanziell durchzubringen, über Land und sang Seemannslieder.
Da ihnen, wie Heidi Kabel in ihren Lebenserinnerungen schreibt, die Auftrittssperre nicht schriftlich mitgeteilt worden sei, erkundigte sich das Ehepaar Kabel bei dem zuständigen Besatzungsoffizier, der die Rechte der Theaterkammer wahrnahm und erfuhr - so erinnert sich Heidi Kabel -, dass es gar kein Auftrittsverbot gäbe. Heidi Kabel dazu in ihren Erinnerungen: "Der Offizier (…) lächelte freundlich und sagte: ‚Gehen sie sofort in die Großen Bleichen ins Theater. Sie können beide sofort wieder arbeiten. (…) Sie können mir glauben, es liegt nichts gegen sie vor." ‚Ja, aber könnten sie mir [sagte Heidi Kabel] nicht vielleicht einen Brief, einen Zettel mitgeben, wo dann …", ich kam nicht mehr weiter, denn er sagte: ‚Sie müssen wissen, ich kann kein Berufsverbot aufheben, das gar nicht bestanden hat."" [10]
Dann war der Weg für die beiden Schauspieler, die im Entnazifizierungsverfahren als Mitläufer (Hans Mahler) und als Entlastete (Heidi Kabel) eingestuft worden waren, wieder frei für die Bühne.
1949 wurde Hans Mahler Intendant des Ohnsorg-Theaters. Von da an hatte er großen Einfluss auf die Karriere Heidi Kabels. Über 66 Jahre blieb sie auf der Bühne. Mehr als 80 Fernsehübertragungen der vom Niederdeutschen ins "Missingsch" ("Hamburgisch" mit plattdeutschem Satzbau) adaptierten Theaterstücke aus dem Hamburger Ohnsorg-Theater machten sie überregional bekannt. Die Volksschauspielerin wurde zum Markenzeichen des guten, tapferen Nachkriegsdeutschlands - Trümmerfrau im Wirtschaftswunder. Populäre Bühnenstücke aus dem TV mit Kolleginnen wie Erna Raupach-Petersen, Christa Wehling , Gisela Wessel, Anni Hartmann, Herma Koehn oder den Kollegen Werner Riepel, Jochen Schenk, Heini Kauffeld, Jürgen Pooch, Edgar Bessen, um nur einige zu nennen, sind etwa: Tratsch im Treppenhaus - Mein Mann, der fährt zur See - Verteufelte Zeiten - Das Hörrohr (alle mit Henry Vahl) - Kein Auskommen mit dem Einkommen - Die Kartenlegerin - Mensch sein muss der Mensch - Wenn der Hahn kräht - Der Bürgermeisterstuhl - Amanda Voss wird 106. Ihre Dramatik zwischen Klamauk, Schwank und Tiefgang hat Heidi Kabel 1992 so charakterisiert: "Boulevard ist sehr schwierig. Die meisten verwechseln Heiterkeit mit Oberflächlichkeit". Geprägt hat die markante Stimme Heidi Kabels auch zahllose Hörspiele und den Schulfunk des N(W)DR seit den 1950-er Jahren. Ihre Bäuerin Emma Piepenbrink ist ebenso wie die Schulfunkreihe "Neues aus Waldhagen" längst Radio-Kult.
Ihre Karriere als Filmschauspielerin lief über ein dreiviertel Jahrhundert. Auch dort verkörperte sie die "einfache Haufrau" mit Ehrlichkeit, Naivität und einer gehörigen Portion Mutterwitz; eine "gute Seele, die mit hanseatischem Charme als liebenswerte, aber auch pfiffige Dame das Publikum vereinnahmte. Zu ihren bekanntesten Filmen zählen der Heimatkrimi ‚Wenn die Heide blüht" (1960), der hanseatische Witzklassiker ‚Klein Erna auf dem Jungfernstieg " und ‚Auf der Reeperbahn nachts um halb eins" (beide 1969) sowie die TV- Mehrteiler ‚Rummelplatzgeschichten" (1983/84) und ‚Tante Tilly" von 1987", in dem sie die Miss Marple von Altona gibt." (Zitat nach WHO"s Who online). Für ihre mehr als 100 Fernsehauftritte - in Serien wie "Hafenpolizei" bis "Großstadtrevier" - wurde sie mit den renommiertesten Preisen der deutschen Medien bedacht, z. B. "Goldener Bildschirm" 1967 und 1972, " Bambi" 1984 sowie 2004 für ihr Lebenswerk, "Goldene Kamera" und 1985 sowie 1994 sogar zur "Ehrenkommissarin der Hamburger Polizei" ernannt.
Am Silvesterabend 1998 nahm die mittlerweile 84-jährige Schauspielerin mit einer Aufführung des Stückes "Mein ehrlicher Tag" im Hamburger Kongresszentrum CCH Abschied von der Bühne. Als Schauspielerin und Persönlichkeit war sie längst Legende. 2003 verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand. Sie zog in eine Seniorenresidenz in Hamburg-Othmarschen. Obwohl Heidi Kabel sich seit 2002 zunehmend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte, übernahm sie im Alter von 92 Jahren in Detlev Bucks Verfilmung "Hände weg von Mississippi" eine kleine Rolle an der Seite ihrer Tochter Heidi Mahler.
Auch als Sängerin wurde Heidi Kabel bekannt. Sie nahm einige Schallplatten mit meist Hamburger Liedern auf. Die bekanntesten sind "Hammonia - Mein Hamburg, ich liebe dich", "In Hamburg sagt man Tschühüß", "An de Eck steiht"n Jung mit"n Tüdelband", "Hamburg ist ein schönes Städtchen", "Tratschen, das tu ich nich", "Der Junge von St. Pauli", "Kleine Möwe, flieg nach Helgoland" und "Ich bin die Oma aus dem Internet", wobei Letzteres nur als Werbeslogan bekannt wurde.
Heidi Kabel war ebenfalls für ihr soziales Engagement bekannt. Sie sammelte 1992 im Hamburger Hafen Geld für die Aktion Sorgenkind und wandte sich 1994 mit einer Petition an den Hamburger Senat, um auf das Schicksal einer vor dem Krieg geflohenen und nun von Abschiebung bedrohten jugoslawischen Familie aufmerksam zu machen. Sie unterstützte unter anderem Hamburger Obdachlosenprojekte, das Kinderheim von St. Pauli und den Verein der Freunde des Tierparks Hagenbeck. Sie starb am 15. Juni 2010 im Alter von 95 Jahren. Die "Botschafterin des Herzens" und "Göttin des trockenen Humors" (Nachruf Hauke Brost in Bild, 25.6.2010) wurde auf dem Nienstedtener Friedhof in Hamburg neben ihrem Ehemann beigesetzt. Auf dem Grabstein steht eingemeißelt: To"n Leben hört de Dood.
Text: Cornelia Göksu und Rita Bake
Quellen:
1 Heidi Kabel: Manchmal war es nicht zum Lachen. Hamburg 1979, S 145.
2 Heidi Kabel, a. a. O., S. 166
3 Jens Meyer-Odewald: Abendblatt Serie über Heid Kabel Teil 3: Familienmensch in guten und schlechten Zeiten, Hamburger Abendblatt vom 19.6.2010.
4 Heidi Kabel, a. a. O., S. 119.
5 Heidi Kabel, a. a. O., S. 121.
6 Heidi Kabel, a. a. O., S. 161.
7 Heidi Kabel, a. a. O., S. 174.
8 Heidi Kabel, a. a. O., S. 202ff.
9 Staatsarchiv Hamburg: Bestandsnummer: 131-14 Verbindungsstelle zur Militärregierung), Signatur der Archivguteinheit: III 1 Band 1 29.6.-29.9. Hinweis von Dr. Brigitta Huhnke, die diese Quelle recherchiert hat.
10 Heidi Kabel, a. a. a. O., S. 214f.

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Martha Langer, geb. Bretschneider
6.8.1884 Altona - 5.7.1973 Hamburg
Hotelbesitzerin
Kirchenallee 34-36 (Hotel Reichshof: Wirkungsstätte)
Elbchaussee, Nienstedtener Friedhof, Grablage: Abt. 16 D, Nr. 38a-d
Seit 1904 war Martha Langer, Tochter eines Hamburger Konditormeisters, mit Emil Langer (1864-1928) verheiratet. Der ehemalige Schiffskoch und Küchendirektor auf Hapag-Passagierdampfern hatte den Traum von einem eigenen Hotel. Nachdem das Ehepaar Langer 1906 auf einem Spaziergang eine zum Verkauf stehende Grünfläche an der Kirchenallee gegenüber dem sich damals im Bau befindenden Hamburger Hauptbahnhof gesehen hatte, kauften die Langers die Grünfläche und Emil Langer ließ dort 1910 einen Hotelgroßbau errichten, der für die damalige Zeit eine Bausensation war. Das Hotel hatte 300 Zimmer mit Telefonanschlüssen. Nach seinem Tod übernahm seine Ehefrau das Hotel Reichshof und baute es weiter aus. Respektvoll wurde sie von den Mitarbeitenden "Madame" genannt.
Martha Langer war auch Besitzerin des Travemünder Kurhauses.
In der NS-Zeit trat Martha Langer im Oktober 1937 der NSDAP bei. Seit 1934 war sie auch Mitglied der DAF und in der NS Frauenschaft, wie sie in ihrem Entnazifizierungsfragebogen angab, als zahlendes Mitglied.1)
Die Deutsche Arbeitsfront wurde im Mai 1935 gegründet und war ein rechtlich der NSDAP angeschlossener Verband "mit ca. 23 Mio. Mitgliedern (1938) die größte NS-Massenorganisation. Als Einheitsgebilde ‚aller schaffenden Deutschen" konzipiert, schuf ihr Reichsleiter Robert Ley ein vielgliedriges, bürokratisch aufgeblähtes Organisationsimperium, mit dem er nahezu alle Felder der nat.soz. Wirtschafts- und Sozialpolitik einzudringen trachtete. Entscheidender Einfluß auf materielle Belange in diesem Bereich blieb der DAF jedoch verwehrt, vielmehr musste sie sich auf die allgemeine Betreuung und weltanschauliche Schulung ihrer Mitglieder beschränken."2)
Die NS-Frauenschaft wurde am: "1.10.1931 als Zusammenschluß verschiedener Verbände von der NSDAP gegründet. Seit dem 293.1935 als offizielle Gliederung der NSDAP in die Partei eingeordnet, kam der N. die Aufgabe zu, Frauenarbeit im Sinne der NS-Ideologie zu leisten. (…) 1936 wurden die Bedingungen für die Aufnahme in die N. verschärft, um den Auswahlcharakter der Organisation zu erhalten. Seitdem wurden nur noch Frauen aufgenommen, die sich bereits im Sinne der Partei verdient gemacht hatten. Politisch blieb die N. ohne Bedeutung (…) und übte nur geringen Einfluß auf die NSDAP aus. Sie beschränkte sich vielmehr auf eine gezielte ideologische und praktische Schulung von Frauen innerhalb der ihnen zugeordneten häuslichen und familiären Welt." 3)
In ihrem Entnazifizierungsverfahren wurde Martha Langer in die Kategorie V eingestuft: unbelastet.
Obwohl Martha Langer Mitglied der NSDAP und anderer NS-Organisationen war, half sie in der NS-Zeit Jüdinnen und Juden. So schreibt Ingeborg Hecht, Tochter eines jüdischen Vaters und einer nichtjüdischen Mutter, in ihrem Buch: "Als unsichtbare Mauern wuchsen. Eine deutsche Familie unter den Nürnberger Rassegesetzen", dass Martha Langer in die NSDAP eingetreten war, um keinen Verdacht auf sich zu lenken. Sie soll in ihrem Hotel Wände gezogen haben, wodurch geheime Räume entstanden, in denen sie verfolgte Jüdinnen und Juden versteckte, sie mit Nahrung versorgte und mit Papieren und Geld, um emigrieren zu können. 4)
Auch Friedrich-Paul von Groszheim, der zwischen 1950 und 1972 im Hotel Reichshofe arbeitete, berichtet in dem von Lutz van Dijk und Günter Grau verfassten Buch: "Einsam war ich nie. Schwule unter dem Hakenkreuz 1933-1945" von diesen geheimen Räumen: "Meine Chefin (…), die gleichzeitig Besitzerin des Hotels war, war eine bemerkenswerte Frau mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und viel humanitärem Engagement. Bereits während des Krieges hatte Frau Martha Langer in einem Teil ihres Hotels geheime Wände ziehen lassen, um dahinter verfolgten Juden Zuflucht zu gewähren." 5) (freundlicher Hinweis zu dieser Quelle von Arndt Kohlmann).
Für ihre Courage wurde Martha Langer nach 1945 in Israel geehrt. Ingeborg Hecht schreibt, dass Martha Langer zu Ehren ein Baum in der "Straße der Gerechten unter den Völkern" in Yad Vashem gepflanzt wurde. 6)
Text: Rita Bake

Quellen
1) Staatsarchiv Hamburg 221-11 Fa 761
2) (Marie- Luise Recker: Deutsche Arbeitsfront, in: Wolfgang Benz, Hermann Graml, Hermann Weiß (Hrsg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus 2. Aufl., München 1998, S.418f.
3) Anja von Cysewski: NS-Frauenschaft, in: Wolfgang Benz, Hermann Graml, Hermann Weiß (hrsg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus. 2. Aufl., München 1998, S.617f.
4) Ingeborg Hecht: Invisible walls. A german family under the nuremberg laws, translated from the german by John Brownjohn, and To remember ist o heal. Encounters between victims of the Nuremberg laws, translated from the german by John A. Broadwin. Illinois 1999, S. 256.
5) Lutz van Dijk, unter Mitwirkung von Günter Grau: Einsam war ich nie. Schwule unter dem Hakenkreuz 1933-1945. Berlin 2003, S.28.
6) Ingeborg Hecht, a. a. O.
Leonore Mau
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1.8. 1916 Leipzig - 22. 9. 2013 Hamburg
Fotografin
Grablage: Abt. 21 Nr. 84a Grabname Fichte
Leonore Mau studierte Bühnenbildnerei an der Leipziger Kunsthochschule für Graphik und Buchkunst und absolvierte eine Ausbildung zur Pressefotografin. Sie heiratete den Architekten Ludwig Mau, mit dem sie zwei Kinder hatte. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs floh die Familie nach Hamburg. Ab 1953 war Leonore Mau als Fotografin für verschiedene Zeitschriften tätig, machte zunächst vor allem Architekturaufnahmen.
1950 kaufte sie ihre erste Leica auf Raten. Den damals 26-jährigen Hubert Fichte lernte sie 1961 bei Besuchen in ihrem damaligen Zuhause in Blankenese kennen. Diese Begegnung veränderte beider Leben radikal. Der bis dahin ziellos durch Europa streifende Fichte begann zu schreiben. Leonore trennte sich mit 55 Jahren von ihrem Ehemann. Seit 1962 lebte und arbeitete sie zusammen mit dem bald berühmten Schriftsteller ("Die Palette" 1968). 1964 begleitete sie Hubert Fichte nach Berlin und porträtierte das Who"s Who der damaligen Literaturszene. Sie bezogen einer Wohnung in Othmarschen.
Gemeinsam reisten sie 1969 erstmals nach Brasilien.
Bis zum Anfang der 1980er Jahre unternahmen Sie selbst organisierte Feldforschungsreisen. Dazu schrieb Ursula Herrndorf in einem Porträt mit der 89-jährigen Künstlerin 2005: " Leonore Mau spricht viele Sprachen. Englisch und Französisch natürlich, Portugiesisch und Kreolisch. Wie viele noch, weiß sie schon gar nicht mehr. Die meisten aber hat sie gelernt, um eine ganz andere als die europäische Kultur zu erkunden." Unzähligen Reisen führten sie nach Brasilien, Haiti, Kuba, Venezuela oder Westafrika (Herrndorf 2005).
"Die nächste Reise von 1971 an dauerte zwei Jahre. Abstecher führten die beiden nach Argentinien und Chile, wo sie Präsident Salvador Allende und den Dichter Jorge Louis Borges trafen.?Besonders aber führte die Reise in die Armenviertel. Den World-Presse-Preis erhielt sie 1975 für ihr Foto eines afrikanischen Jungen mit Tablettenmaske. ‚Da, wo man Trommeln hört, muß man hingehen, um die ursprünglichen Riten zu erleben", erinnerte sich die Fotografin 2005. ‚Die Menschen haben ein Gespür. Sie merken, wenn man vor dem Haus steht". Leonore Mau und Hubert Fichte wurden meistens eingelassen. ‚Wenn man die Sprache spricht, ist es nicht schwierig, an die Menschen ranzukommen". Ihre Freunde haben die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen: Ihr hättet tot sein können! ?Aber Leonore Mau hatte niemals Angst. Auch nicht, als sie später, 1981, bei den Priesterinnen der ‚Casa de Minas" lebten und hautnah kulturelle Handlungen des ‚Candomblé" (Voodoo) erfuhren. Fotografien voller Magie sind in all diesen Jahren entstanden. Aufnahmen von verstörender Schönheit. Nah, aber niemals voyeuristisch erzählen sie von Wahnsinn, Krieg und Verfall, Tod und Leben" (Herrndorf 2005)? "Leonore Mau fotografiert die Sekunde der Ekstase, wie sie explodiert aus Gebet, Wasser, Rauch, Milch, Blut; und ihr weltliches Gegenstück, die Versunkenheit. Sie bildet das Reich der Religionen ab, heilige Orte und Handlungen", so urteilte der Kunsthistoriker Wolfgang v. Wangenheim in der Frankfurter Rundschau vom 23.3.1985.
So entstand in Wort und Bild ein einmaliges Lebenswerk, veröffentlicht in Büchern wie "Xango" oder "Petersilie". Die Poesie und Präzision ihrer Arbeit haben die beiden berühmt gemacht. Ihre einmaligen Fotos verkaufte sie erfolgreich an alle großen zeitgenössischen Printmedien wie Stern und Spiegel. 2006 präsentierten die Hamburger Deichtorhallen Zeugnisse dieser Lebensreise unter dem Titel "Hubert Fichte und Leonore Mau. Der Schriftsteller und die Fotografin" in einer Ausstellung mit rund 200 Fotografien und 400 Vitrinen voller "Ethnopoesie".
Über die Wechselwirkung des schreibenden Hubert Fichte und der Fotografien Leonore Mau schrieb die Ethnologin Denise Fragner (Magisterarbeit 2010): "Die Lakonie seines Stils und sein Programm der Sprachverknappung, das manchmal nur den Namen nennt, um die Dinge kurz zu belichten, ist ohne das Medium Fotografie nicht vorstellbar. In seinem Schreiben - besonders im Roman ‚Eine glückliche Liebe" - reflektiert Jäcki, der Ethnologe, über die Arbeitsweisen von ihm selbst und seiner Begleiterin, der Fotografin Irma. Im Roman schildert Fichte die beiden als Konkurrenten, und besonders Jäcki beneidet Irma darum, mithilfe der Kamera ein vollständiges, genaues Abbild dessen, was sie sieht, zu bekommen. Abgesehen von ihrer Eigenschaft als Fotografin taucht Irma als Lebenspartnerin, Reisegefährtin und Diskussionspartnerin auf. Einzig in Xango (Textband) erscheint sie unter dem Namen ‚Leonore" " (Denises Fragner 2010). Leonore Mau selbst übte zeitlebens Diskretion hinsichtlich ihrer Beziehung: "Wir hatten die gleichen Antennen. Er hat nie fotografiert. Das war meine Sache. Aber manchmal hat er plötzlich gesagt: ‚Komm, ich mache mal ein Foto von dir." Diese Aufnahmen sind die besten Porträts von mir" (Herrndorf 2005).
Aufgrund des Mangels an anderen Quellen sind die Textpassagen, in denen Fichte die Beziehung zwischen Jäcki und Irma beschreibt, als Grundlage für die Beschreibung der Beziehung zwischen Fichte und Mau verwendet worden. So ziehen einige Fichte-ForscherInnen den Roman "Hotel Garni", die Geschichte der Empfindlichkeit", Band 1, heran (Fichte 1987). In ihm beschreibt Fichte, wie sich der schwule Schriftsteller Jäcki und die Fotografin Irma auf einer berufsbedingten Reise annähern. Sie erzählen einander ihr Leben und von ihrer Sexualität. Gegen Ende des Buches schlafen sie miteinander - für Jäcki ist es das erste Mal, dass er mit einer Frau schläft. Da sich die Erzählungen der beiden an die Biografien von Fichte und Mau anlehnen, wird Hotel Garni als eine Art Dokument des Kennenlernens von Fichte und Mau betrachtet (z. B. bei Schoeller 2005)."
Nach dem Tod Fichtes 1986 fand Leonore Mau wieder zu ihren Anfängen zurück: 1988 begleitete sie das Pina Bausch Ensemble in Wuppertal mit ihrer Kamera. Zuletzt entstanden vor allem Aufnahmen von Stillleben, Masken und Skulpturen sowie Objècts trouvés aus ihrer Wohnung unter dem Titel "Fata Morgana".
Mit 97 Jahren verstarb sie am 22. September 2013 in Hamburg. In einer umfangreichen Retrospektive hat die S. Fischer Stiftung und die Stiftung F.C. Gundlach (zusammengestellt von Franziska Mecklenburg) die Fotografin und ihre einzigartige Motivwelt mit der Hommage "Das zweite Gesicht" postum von Februar bis März 2014 gewürdigt.
Leonore Mau lebte zuletzt in Hamburg-Othmarschen.
Werke von Leonore Mau (Auswahl)
- Die afroamerikanischen Religionen (zusammen mit Hubert Fichte), Bd. 1. Xango 1984; Bd. 2. Petersilie. Frakfurt/M. 1980.
- Psyche. Annäherung an die Geisteskranken in Afrika (zusammen mit Hubert Fichte). Frankfurt/M 2005.
- Hälfte des Lebens. Leonore Mau: Hubert Fichte. Eine fotografische Elegie, befasst sich mit den Reisen und dem Werk des Schriftstellers und der Fotografin. Ronald Kay, der auch Teile der Geschichte der Empfindlichkeit sowie andere Fotobände Maus herausgab, montiert hier Texte Fichtes mit Maus Aufnahmen. Obwohl sich die Publikation ausdrücklich auf beide bezieht, endet der Band mit dem letzten Foto, das Mau von Fichte vor dessen Tod machte.
- Die Ausstellung: Das Zerbrechen des Bewusstseins, die 2002 in Basel stattfand, zeigt verschiedene Stationen der Reisen von Mau und Fichte. Der Ausstellungskatalog bildet eine Ausnahme gegenüber den anderen Publikationen Maus, da er nicht mit Texten von Fichte unterlegt ist. Ronald Kay verfasste einen Begleittext, der sich mit fotografietheoretischen Überlegungen befasst (Peter Paschek (Hg.): Das Zerbrechen des Bewusstseins. Fotos von Leonore Mau. Katalog zur Ausstellung Kunsthalle Basel 23.
- Die Kinder Herodots. Ein Buch. Fischer, Frankfurt/M. 2006, zusammen mit Hubert Fichte
- Ensemble. Pina Bausch - Das Tanztheater Wuppertal - Portraits. Edition diá, St. Gallen/Berlin/São Paulo 1988.
Literatur
- Friedrich Pfäfflin, Wilfried F. Schoeller (Hrsg.), Leonore Mau (Ill.): Hubert Fichte und Leonore Mau: der Schriftsteller und die Fotografin, eine Lebensreise. S. Fischer, Frankfurt/Main 2005 (Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung in den Deichtorhallen Hamburg)
- Ronald Kay (Hrsg.): Hälfte des Lebens. Leonore Mau, Hubert Fichte, eine fotografische Elegie. Hamburg 1996.
- Friedrich Pfäfflin, Wilfried F. Schoeller (Hrsg.): Hubert Fichte und Leonore Mau: der Schriftsteller und die Fotografin, Frankfurt/Main 2005.
- Ursula Herrndorf: Augenblicke Gemeinsame Augenblicke In: Hamburger Abendblatt vom 13. 9. 2005.
- Stiftung F.C. Gundlach, "Ein außergewöhnliches Maß an mangelndem Ellenbogen ": Nachruf Leonore Mau unter dem LINK: fcgundlach.de/de/94/nachruf-leonore-mau.html
- Denise Fragner: Links das Morgenrot. Sehen, Subjekt und Sinnlichkeit im Werk des Ethnologen und Schriftstellers Hubert Fichte. Diplomarbeit zur Magistra der Philosophie (Mag. Phil.) Wien, Juni 2010.

- Einige Bilder sind zu sehen unter dem Link: deutschefotothek.de/Leonore Mau, z.B. Motiv: Hubert Fichte, in einem Zimmer der Familie Mau sitzend, Hamburg, Wilmanspark, 1961 auf).
- Dokumentarfilm von Natalie David (Künstlerin und ehemalige Assistentin von Mau), traf sich 2005 einige Monate lang mit Mau. Die Erzählungen Maus, zusammen mit ihren Fotografien und Textpassagen aus Fichtes Büchern, gelesen von Hildegard Schmahl und Dietmar Mues, setzte David zu einem Film mit dem Titel "Diese Fotografin heißt Leonore Mau zusammen" (DVD, Copyright Nd. und S. Fischer Stiftung)

© kulturkarte.de/schirmer
Christa Möbius, geb. Czwalina
29.6.1930 - 1.10. 2012 Hamburg
Mitbesitzerin des Theaterschiffes "Das Schiff" gemeinsam mit ihrem Mann Eberhard Möbius
Grablage: Abt. A2 Nr. 122, U1)
Nicolaifleet, Holzbrücke 2 (Wirkungsstätte, Anlegestell des "das Schiff")
Deichstraße (Wohnadresse)
Elbchaussee 374 (letzte Wohnadresse: Elbschloss Residenz)

Über seine 52 Jahre währende Ehe mit seiner Christa äußerte Eberhard Möbius (11.10.1926-10.6.2020) einmal, dass sie eine demokratische Ehe geführt haben, ohne Streit und für alles eine Lösung parat.
Christa Möbius war die Tochter einer Gesangspädagogin und wollte selbst auf die Bühne und singen. Später hat sie dann einen
Blumenladen aufgemacht, erzählte Eberhard Möbius wenige Monate vor seinem Tod Rita Bake in einem Telephonat.
Kennengelernt hatten sich die beiden wie folgt: "Die schwere, körperliche Arbeit als Kesselreiniger brachte ihn in den 50er Jahren in die Hansestadt. Nach Feierabend widmete Möbi sich seiner großen Leidenschaft, dem Theater. Als er einer Gesangspädagogin bei einer Inszenierung helfen sollte, öffnete ihm eines Tages deren Tochter die Tür. Eberhard Möbius: ‚Unglaublich - diese Mähne, diese langen Beine. Sie lächelte. Und sie hat 52 Jahre lang die Tür nicht mehr zugemacht.'" 1)
1961 heirateten Eberhard und Christa Möbius. Das Paar war - wie Eberhard Möbius sagen "eine Symbiose". Beide waren sie politisch auf einer Linie und favorisierten die SPD. Auch besprachen sie alles miteinander, so Eberhard Möbius.
1974 verwirklichte das Paar seinen Traum von einem eigenen Theaterschiff, das sie ganz prosaisch "Das Schiff" tauften Das Team "Möbius/Möbius" suchte im Hafen nach einem geeigneten Schiff und kaufte schließlich das unwirtschaftlich gewordenen Frachtschiff "MS Rita Funck". Auf der Familienwerft Garbers wurde es zu einem Theaterschiff umgebaut. Christa Möbius klopfte Rost ab. Ein Jahr später erhielt das nun umgebaut Schiff seinen Liegeplatz im Nikolaifleet an der Holzbrücke. In einem Nachruf zum Tode von Eberhard Möbius hieß es im Hamburger Abendblatt: "Von 1975 an hatten ‚Möbi' und Gattin Christa den umgebauten Dampfer (…) nicht nur im Nikolaifleet (…), sondern fest im hanseatischen Kulturleben verankert. Ob Welt- und Schauspielstars wie Peter Ustinov und Gert Fröbe, der Kieler Heinz Reincke, der Wiener Helmut Qualtinger, Senta Berger, Uwe Friedrichsen oder Peter Striebeck - jene ‚Ehrenmatrosen' sorgen mit ihrer Kleinkunst 25 Jahre lang ebenso für ein fast immer ausverkauftes Unterdeck wie Möbius und Crew mit alljährlich neuen Kabarettprogrammen. Und seine 2012 gestorbene ‚Hamburger Deern' Christa sorgte trotz der damals nur knapp 100 Plätze für solide Finanzen, die Heuer der Künstler und deren Sichtung. Der Traum von einem theaterschiff schlummerte schon lange vorher in Möbius - auf ihrer Hochzeitsreise hatten seine Christa und er in der Kvarner Bucht in Kroatien erlebt, welch Begeisterung solch ein Kulturdampfer bei Landratten auslösen kann." 2)
Christa Möbius kümmerte sich aber nicht nur um die Finanzen, sie organisierte auch den Barbetrieb, machte die Kostüme und handelte mit den Schauspielerinnen und Schauspielerin die Jahresverträge aus. Und als die Beiden gut Geld verdienten, kam Christa Möbius auf die Idee, jährlich einen Schiffspreis zu vergeben, der Kindern aus Kriegsgebieten und dem Zirkus Willibald aus Wilhelmsburg zu Gute kommen sollte. Zehn Jahre lang wurde der Preis vergeben.
Im Jahr 2000 gab das Ehepaar Möbius die Leitung des Schiffes in die Hände der Familie Schlesselmann.
Nach Christa Möbius Tod im Jahr 2012 schrieb Eberhard Möbius seiner verstorbenen Frau kleine Bücher, damit er das Gefühl hatte, sie sei noch bei ihm. "Sie sitzt mir auf der Schulter" erzählte er. Nach ihrem Tod ließ er für sie vor dem Hamburger Michel fünf Michel-Tafeln setzen. Auf eine der Tafeln ließ er eingravieren: "Möchte doch ein Engel dir, als du starbst, das Haupt gehalten haben und mit meiner Stimme dir gesagt; dass ich innig dich und ewig liebe." Auf einer anderen Tafel steht: "Fliegen können" aus einem Gedicht, "das Eberhard Möbius zu einem Bild von Marc Chagall geschrieben hat. Darauf ist der Maler zu sehen, der eng umschlungen mit seiner Frau Bella über seine Heimatstadt fliegt - ein Bild inniger Liebe und Hingabe. (…) ‚Dieser Satz steht für alles: für Gedanken, Wünsche, Erinnerungen', sagt der 91-Jährige. Er steht auch für seine große, unverbrüchliche Liebe zu seiner Seelenverwandten Christa." 3)
Acht Jahre nach dem Tod seiner Frau verstarb auch Eberhard Möbius. Beide sind auf dem Nienstedtener Friedhof bestattet.
Text: Rita Bake
Quellen:
1) Christina Prinz: Hausbesuch: "Ein unbeschreibliches Leben …" Eberhard Möbius, Kabarettist, in: Hamburger Könschnack, vom 29.9.2016, unter: https://www.kloenschnack.de/magazin/gesellschaft/ein-unbeschreibliches-leben/
2) Stefan Reckziegel: Trauer um "Möbi", Hamburgs Kultur-Kapitän. Eberhard Möbius, der Begründer des Hamburger Theaterschiffs und Erfinder des Alstervergnügens, starb im Alter von 93 Jahren. Bis zum Schluss war ein aktiver und pointensicherer Teil der Hamburger Kulturszene,in: Hamburger Abendblatt vom 11.6.2020.
3) https://www.st-michaelis.de/michel-stiftung/michel-geschichten/detail/liebe-verleiht-fluegel-eberhard-moebius
Dr. Maria Poelchau
© kulturkarte.de/schirmer
11.4.1926 - 8.7.2016 Hamburg
Redakteurin, Literatur-Übersetzerin
Grablage: Abt. C3 Nr. 100 und 104
Ihr Vater war Hans Ulrich Poelchau; ihre Mutter Therese Margarethe Hardy, genannt "Resi" [1]. In ihrem Nachruf auf Dr. Maria Poelchau zeichneten die Literatur-Übersetzerinnen Annette Kopetzki und Miriam Mandelkow ein anschauliches Porträt ihrer ehemaligen Kollegin:
"Wer das Glück hatte, Maria Poelchau kennenzulernen, wird sie nicht vergessen. Von seinem Entstehen Mitte der achtziger Jahre an hat sie das Hamburger Übersetzertreffen, bei dem sie nie fehlte, mit ihrem Witz und Scharfsinn bereichert. ‚Ihre lebhafte Anteilnahme, ihre wunderbar lakonische (Selbst-)Ironie, ihre Toleranz und hanseatische Diskretion, ihre von
Understatement geprägte Eleganz" - so erinnern sich Hamburger Kollegen an Maria. Dem Übersetzertreffen blieb sie lange treu, auch als sie als Redakteurin, Kolumnistin und Übersetzerin in den Ruhestand gegangen war. Sie beriet Frischlinge und beteiligte sich an berufspolitischen Auseinandersetzungen, die sie aus gemessener Distanz betrachtete. Von ihrem Engagement profitierte in besonderem Maße die Englischgruppe: Monat für Monat erschien Maria morgens um zehn mit den von ihr gründlich durchredigierten Übersetzungen ihrer jüngeren Kollegen, äußerte taktvoll Kritik und warf sich mit ansteckendem Vergnügen in die Wortspielsuche.
"Uh? Ah! Hm? Ha!" Unvergessen bleibt auch Maria Poelchaus Auftritt im Hamburger Literaturhaus. Zur Premiere der legendären Veranstaltungsreihe ‚Übersetzer packen aus" im November 1997 trat sie gemeinsam mit vier Kolleginnen und Kollegen an, dem gediegenen Hamburger Lesepublikum die Kunst des Übersetzens zu vermitteln. Und holte mit ihrer Demonstration scheinbar unübersetzbarer amerikanischer Interjektionen die Zuhörer vor Lachen von den Stühlen. Dabei zeigte Maria nicht nur, dass Details teuflisch sein können, sondern auch, dass sie mimisches Talent besaß. Und sehr, sehr viel Charme.
Nicht nur uns Hamburgern ist sie so in Erinnerung.
Sie war bei den Jahrestagungen des VdÜ (Verband der Literaturübersetzer) in Bergneustadt dabei und nahm an den ersten Seminaren in Straelen teil. Maria war mit vielen Größen der ersten Übersetzergeneration nach dem Krieg befreundet, darunter Klaus Birkenhauer, Helmut Frielinghaus, Ursula Brackmann und Hanns Grössel.
Die Disziplin und Sorgfalt, die sie dem Übersetzen widmete, zeigt sich auch in ihrem Lebenslauf. Nach dem Studium der Anglistik, Germanistik und Psychologie in Hamburg und Heidelberg, das sie 1945 in Hamburg begann und mit einer Promotion über John Donne abschloss, schrieb sie Literaturkritiken für die ZEIT und arbeitete von 1966-69 als Redakteurin und Übersetzerin der deutschen Ausgaben der renommierten Time-Life-Bücher.1987 gab sie eine Sammlung von Briefen Rilkes an ihre Mutter Resi Hardy heraus. 1991erhielt sie den Hamburger Förderpreis für literarische Übersetzung, der damals erst im zweiten Jahr vergeben wurde. Übersetzt hat sie vor allem Sachbücher zur Psychologie und Kunstgeschichte, Biographien und Romane, u. a. von Leslie Epstein und Joyce Carol Oates.
Maria war nicht nur eine großherzige Freundin, sondern auch eine phantastische Gastgeberin. In ihrer schönen Wohnung in einem ehemaligen Hamburger Hospital, wo dezent in den Räumen verteilte Antiquitäten von Marias Stilbewusstsein zeugten, kochte sie für ihre Gäste mehrgängige Menüs - natürlich mit derselben nonchalanten Leichtigkeit, mit der ihr alles von der Hand zu gehen schien. Am 8. Juli 2016 ist Maria Poelchau im Alter von 90 Jahren gestorben." [2].
Sie wurde auf dem Friedhof Nienstedten bestattet (Traueranzeige im Hamburger Abendblatt, 16./17.7.2016, S. 28).
Text: Dr. Cornelia Göksu
Quellen:
1 Vielen Dank für den freundlichen Hinweis von Mirjam Madlung, Lektorat +Übersetzung, Hamburg, E-Mail v. 10.8.2016. Therese Margarethe Hardy und (Hans) Ulrich Poelchau sind im digitalen Heiratsregister "Hamburg, Deutschland 1874 - 1920" aufgeführt. Dort ist "Hans Ulrich" bzw. "Hans U." auch in den "Chroniken der dt. Marinebesatzung 1891-1918" verzeichnet, vgl. LINK: http://search.ancestry.de/cgibin/sse.dll?gsfn=Hans+Ulrich&gsln=Poelchau&gss=angs-g&sbo=2&rank=1&gl=ROOT_CATEGORY&gst=&uidh=000&ghc=10
2 Zitiert aus dem Nachruf des VdÜ (Verband deutschsprachiger Übersetzer literarischer und wissenschaftlicher Werke e.V./Verband der Literaturübersetzer) von Dr. Annette Kopetzki ( annettekopetzki.de) und Miriam Mandelkow ( suhrkamp.de/autoren/miriam_mandelkow_5907.html), abgerufen als pdf unter literaturuebersetzer.de August 2016. Wir danken den Autorinnen für die einmalige Abdruckgenehmigung Ihres Textes im Rahmen dieser Kurzbiografie (Mails v. 9.9.2016).

© Mo Küssner
Anneliese Scheder-Bieschin, geb. Kadelbach
25.7.1935 Cammin/Pommern (vermutlich Bistum Cammin, ehem. Hinterpommern, jetzt Kamie? Pomorski/Polen) - 13.2.2013 Hamburg
Glaskünstlerin
Grablage: Grabstätte der Familie Scheder-Bieschin in Abt. 16 B Nr. 128 - 129 + 136 - 137 1)
"... so ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung, Römer 13.10". Mit diesem Bibelvers verabschiedete sich die Familie in der Traueranzeige. Denn "meine liebe Frau, unsere Mutter und Großmutter" sei "ganz unerwartet" von ihnen gegangen 2).
Laut ihrer damaligen Website schuf die Künstlerin Anneliese Scheder Bieschin 1984 "erste Glasbilder in Kupferfolientechnik und mit Bleiprofilen" (vgl. dazu die Tiffany-Technik).
Vier Jahre später besuchte sie die Bundesfachlehranstalt für Glaser und Fensterbauer, Karlsruhe 3), und belegte dort den Sonderfachkurs "Bleifeld für Fensterbauer". In den folgenden beiden Jahren entwarf sie "drei große Fenster für einen argentinischen Auftraggeber" und erhielt den Auftrag zur Gestaltung der Fensterpartie für "eine Bar in Punta del Este, Uruguay". 1991 entstanden die Portalfenster für die Galerie Kramer, Hamburg. Drei Fenster für einen Andachtsraum der Seemannsmission Kiel-Holtenau schuf die Künstlerin 1992. 1993 folgten drei Glasfenster für das schwimmende "Theater Zeppelin" auf einem alten Schiff, das am Kaiser-Friedrich-Ufer 27 liegt. 1995 gestaltete sie die Fenster für einen Andachtsraum in der Senioren-Einrichtung Probst-Becker-Haus, Kiel.
Anneliese Scheder-Bieschin bildete bis 2012 zahlreiche kleinere Glasbilder aus dem Glasverschnitt früherer Auftragsarbeiten und experimentierte mit geschmolzenem Glas. Für den Andachtsraum im Gemeindehaus Blankenese gestaltete sie 2000-2001 die Schmuckfenster. 2003 folgte der Entwurf für vier Chorfenster der Stiftskirche des Klosters Heiligengrabe in Brandenburg.
Zwischen 2007 und 2012 entstanden mehrere kleinere Glasbild-Arbeiten, darunter Details aus den Kirchenfenstern der Blankeneser Kirche, außerdem das Glasbild "Ordnung" für die (eigene Familien-)Reederei MACS sowie das Motiv "Leuchtturm", zuletzt ein Glasbild "Vogelschwarm" 2012.
Mit der Anschaffung eines großen Glas-Brenn-(Fusing-)-Ofens hatte Anneliese Scheder-Bieschin seit 1995 ihre kreativen Möglichkeiten erweitern und eigene Arbeiten selbst herstellen können. Daraufhin beteiligte sie sich an der Ausschreibung für das Rosettenfenster über dem Portal der Marktkirche Blankenese. Ihr Entwurf wurde 1998 fertiggestellt. Anneliese Scheder-Bieschin vermittelte ihre Kunst an Interessierte in Seminaren für Glasmalerei. 4)
In einem Gemeindebrief, Ausgabe 70, November 2011 schrieb Frau Inga Schröder zu den Motiven des Rosettenfensters der Marktkirche Blankenese: "Die Blankeneser Kirche, sozusagen eine kleine neugotische Schwester dieser großen Kathedralen, greift dieses Motiv neben vielen anderen Stilelementen der Gotik auch mit dem Motiv des Rosettenfensters über dem Eingang auf. Und auch hier am Blankeneser Markt übt es seine Anziehungskraft auf den Vorbeigehenden aus, zwar nicht durch seine Größe oder als ein mächtiges Rad mit prächtigem Maßwerk, aber doch auf seine ganz entschiedene eigene Art. Mit vielen Glasfenstern in der Westfassade einer Kirche teilt diese Rosette das Schicksal, dass sie von innen gar nicht zu sehen ist, weil die Orgel davor steht. - Darum wurde hier ein teilweise reflektierendes Glas verwendet, sodass die Bilder der Fenster auch von außen erkennbar sind. Erkennbar? Gibt es da etwas zu erkennen in diesen kleinen Glasscheiben? - Ja, das gibt es. Aber - wie bei sehr vielen Glasfenstern in den Kirchen - erschließt sich der Bildinhalt oft erst bei genauem Hinsehen, weil die Glasbilder in den hohen Fenstern meist zu weit vom Betrachter entfernt sind. Bei längerer Betrachtung wird in jedem Blütenblatt der ‚kleinen Rose" eine menschliche Figur sichtbar. Es ist vielleicht sogar auszumachen, dass eine (rechts oben) ermattet auf dem Erdboden liegt und eine andere (rechts unten) sich gekrümmt auf einen Stock gestützt fortbewegt. Da die Künstlerin Anneliese Scheder-Bieschin bewusst abstrahierend gearbeitet hat, ist es gut zu wissen, welches Bildprogramm hier aufgerufen wird.
Wie schon in den vielen Darstellungen an den Eingangsportalen der mittelalterlichen Kirchen geht es auch hier um das Weltgericht, in diesem Fall um die Erklärungen, die Christus seinen Jüngern am Ende des Matthäus Evangeliums über die Kriterien gibt, nach denen das Leben der Menschen beurteilt werden wird:
‚Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben,
ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben,
ich war fremd, und ihr habt mich bei euch aufgenommen,
ich war nackt, und ihr habt mir Kleidung gegeben,
ich war krank, und ihr habt für mich gesorgt,
ich war im Gefängnis, und ihr habt mich
besucht."
Wie beruhigend das alles klingt. Gar nicht nach Gericht und Bestrafung oder Drohung. - Aber die Darstellungen im Rosettenfenster sind gar nicht so beruhigend. Es sind in jedem Fenster nämlich immer nur die hilflosen Menschen allein dargestellt, die helfenden fehlen.- Eine Aufforderung an die Vorübergehenden? Könnte das im oberen rechten Fenster wohlmöglich der Elbstrand und im unteren eine Treppe am Elbhang sein? - Ja, der Betrachter findet sogar noch mehr Hinweise darauf, dass er sich hier mitten in Blankenese befindet.
Der Hungrige (links unten) steht auf dem Markt, der Nackte (in der Mitte rechts) wartet am Eingang des Bahnhofs, der mit den Händen auf dem Rücken gefesselte Gefangene (in der Mitte links) befindet sich vor dem Amtsgericht und der Anklopfende (links oben) vor dem Turm auf dem Süllberg. Eine Aufforderung an die Vorübergehenden?
Wenn das Fenster abends von innen beleuchtet wird, sind nicht nur die einzelnen Bilder klarer erkennbar, sondern man sieht auch besonders deutlich, dass jeweils ein Lichtkegel aus dem Glanz des Sterns im mittleren Fenster auf jede einzelne Figur fällt. Wie tröstlich und beruhigend! - Oder? - Haben wir uns durch die zurückhaltende, abstrakte Gestaltung der Bilder zu genauem Hinsehen einladen lassen? Die Kreisform der Rosette hat eine starke meditative und suggestive Wirkung. Man kann sich ihr mit seinen Gedanken hingeben." 5)
Text: Dr. Cornelia Göksu
Quellen:
1) Für freundliche Informationen zu Geburtsort und Grablage danken wir Frau Karin Dieckmann, Nienstedtener Friedhofsverwaltung, E-Mails v. 23.5.2018 und 10.9.2018 an CG.
2) Traueranzeige in: Hamburger Abendblatt, Wochenendausgabe v. 16./17.2.2013
3) Seit 1999 umbenannt in "Gewerbliche Akademie für Glas-, Fenster- und Fassadentechnik Karlsruhe", vgl. dazu Website unter LINK: http://www.fenster-akademie.de
4) Ende der Daten, entnommen der Website http://glasbilder.net/biografie, zuletzt angeschaut 2013; im Jahr 2015 stand diese Website nicht mehr online. CG.
5) Vollständiges Zitat des Beitrages von Inga Schröder in: Gemeindebrief der Ev.-luth. Kirchengemeinde Blankenese, Ausgabe Nr. 70, November 2011, Seite 12.
Dorothee Sölle, geb. Nipperdey
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Bildquelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Dorothee_S%C3%B6lle
30.9.1929 Köln - 27.4.2003 Göppingen
Evangelische Theologin
Grablage: B 3
Die Grabinschrift lautet: "In Deinem Lichte sehen wir das Licht."
Nancy Lukens schreibt in fembio über Dorothee Sölle: "Trotz Promotion (1954), Habilitation (1971), ordentlicher Professur in New York (1975-87) und Pariser Ehrenpromotion (1977) bekam die profilierte deutsche Theologin und Autorin von keiner deutschen Universität je eine ordentliche Professur angeboten. In Deutschland bezeichnete sie sich am liebsten schlicht als ‚freie Schriftstellerin".
Die Germanistikdozentin und Mutter von drei Kindern gründete 1968 in Köln das ökumenische ‚Politische Nachtgebet", dem es um die Verbindung zwischen aktuellen Themen wie Vietnamkrieg, Obdachlosigkeit, Dritte Welt mit Meditation, Diskussion und gemeinsamen Aktionen ging.
"Zum Feminismus bin ich durch meine amerikanischen Freundinnen gekommen" (Gegenwind). Diese verschafften ihr 1975 den Ruf an das liberal-radikale New Yorker Union Theological Seminary. Unter Feminismus versteht sie den Widerstand von Frauen und Männern gegen die Kultur des Gehorsams und gegen jede Form von Patriarchat.
"Mein Glaube kommt aus der deutschen Erschütterung, aus Auschwitz". Einen radikal anderen Zugang zur Bibel fand Sölle u.a. durch die Begegnung mit mittel- und lateinamerikanischen Basisgemeinden
und der Befreiungstheologie sowie ab 1979 durch die Freundschaft mit Nicaraguas Kulturminister Ernesto Cardenal. Die Bergpredigt enthalte ‚unaufgebbare Forderungen an uns alle" und Gott ‚habe keine Hände als unsere." Ihre zahlreichen Bücher, darunter viele Lyrikbände, sind leidenschaftliche Zeugnisse einer konkret engagierten Christin, Sozialistin, Feministin, Pazifistin und Ökologin.
Für Bischöfin Margot Käßmann war Sölle eine ‚Streiterin für die feministische Theologie", nach deren Tod ‚eine heilsame Unruhe fehlen" wird. Ihr ist es zu verdanken, daß feministische Theologie u.a. über die evangelischen Kirchentage an die Basis gelangte. ‚Daß es heute Bischöfinnen gibt, ist nicht zuletzt ein Werk von Dorothee Sölle" (Antje Vollmer, MdB). ‚Sie erlaubte sich, die jeweils andere zu sein - den Frommen die Politische, den Politischen die Fromme, den Bischöfen die Kirchenstörerin und den Entkirchlichten die Kirchenliebende. Das hat viele irritiert," so Fulbert Steffensky, ehemaliger Benediktinermönch, seit 1969 Ehemann von Dorothee Sölle und Vater ihres vierten Kindes.
"Ich wünsche mir wirklich von ganzem Herzen, daß diese Erde bleibt . . . daß diese Schöpfung bestehen bleibt. Ob ich als Person, also mit Visitenkarte oder Enkelkindern, da vorkomme, ist mir nicht zentral. Gott ist. . . . Der Fluch ist das Töten, nicht das Sterben" sagte sie in ihrem letztem Vortrag am Abend vor ihrem Tod." 1)
Dorothee Sölles Vater war der Arbeitsrechtler und erste Präsident des Bundesarbeitsgerichts Hans Carl Nipperdey (1895-1968). "Die Zeit des Nationalsozialismus brachte einen Karriereschub für ihn. (…). Er konnte seine Lehrtätigkeit fortsetzen und engagierte sich in der nationalsozialistischen Rechtswissenschaft. (…) Er gehörte zu den führenden Rechtswissenschaftlern, welche die Anpassung des Arbeitsrechts an die Ideologie des Nationalsozialismus vorantrieben. Nipperdey war Mitverfasser des Kommentar zum ‚Arbeitsordungsgesetz" von 1934, dem ‚Kernstück des nationalsozialistischen Arbeitsrechts"." 2)
Dorothee Sölles Mutter war Hildegard, geb. Eißer (1903-1990).
1949 begann Dorothee Sölle mit dem Studium der Theologie, Philosophie und Literaturwissenschaften und studierte an den Universitäten Köln, Freiburg und Göttingen. Ihr Studium schloss sie mit der Promotion zum Dr. phil. ab. 1971 habilitierte sie sich an der Universität Köln. Zwischen 1954 und 1960 war Dorothee Sölle als Schullehrerin in Köln beschäftigt. "Seit 1960 war sie auch als Schriftstellerin und freie Mitarbeiterin beim Rundfunk tätig. In den Jahren 1962-1964 war sie wissenschaftliche Assistentin am Philosophischen Institut der TH Aachen und 1964-1967 als Studienrätin im Hochschuldienst am Germanistischen Institut der Universität Köln beschäftigt. Nach der Habilitation 1971 arbeitete sie in Köln als Privatdozentin für Neuere deutsche Literaturgeschichte. Von 1975 bis 1987 lehrte sie auf einer Professur für systematische Theologie am Union Theological Seminary in New York. (…) Wegen Sitzblockaden vor dem NATO-Mittelstreckenraketendepot auf der Mutlanger Heide oder dem Giftgasdepot in Fischbach wurde sie wegen versuchter Nötigung verurteilt. Diese Urteile wurden zum Teil später höchstrichterlich aufgehoben. Ihre für die Landeskirchen provokante Theologie und ihr engagiertes Eintreten für soziale Gerechtigkeit sorgten auch in nichtkirchlichen Kreisen oft für Kontroversen. Ein halbes Jahr vor ihrem Tod, am 26. Oktober 2002, hielt sie die Rede zur Friedensdemonstration in Hamburg. (…)
Sölle war in erster Ehe mit dem Maler und Kunsterzieher Dietrich Sölle verheiratet und hatte aus dieser geschiedenen Ehe drei Kinder: Martin (* 1956), Michaela (* 1957) und Caroline (* 1961). 1969 heiratete Dorothee Sölle in zweiter Ehe den ehemaligen Benediktinermönch Fulbert Steffensky, der später in Hamburg Professor für Religionspädagogik war. Aus dieser Ehe stammt die Tochter Mirjam (* 1970). (…)
Bei der Trauerfeier in der Hamburger St. Katharinen-Kirche würdigte ihre Freundin, die Lübecker Bischöfin Bärbel Wartenberg-Potter, Dorothee Sölles prophetische und poetische Stimme. Die biblische Verheißung eines neuen Himmels und einer neuen Erde sei eines ihrer Lebensthemen gewesen. Sie habe versucht, eine neue Sprache für das Sprechen mit Gott zu finden und alte Gottesbilder - zum Beispiel das eines Herrschers - zu demontieren. Dass sie an deutschen Universitäten nicht akzeptiert worden sei, bewertete Wartenberg-Potter als eine der bemerkenswertesten Torheiten der Kirchengeschichte der Nachkriegszeit. (…)
2011 vergab das ökumenische Netzwerk Initiative Kirche von unten erstmals den Dorothee Sölle-Preis für aufrechten Gang, der künftig alle drei Jahre verliehen werden soll. (…)
Nach ihr ist das Dorothee-Sölle-Haus in Hamburg benannt, das die kirchlichen Dienste und Werke beherbergt, u.a. auch die Nordelbische Kirchenbibliothek. In Köln ist der Platz vor der Christuskirche am Stadtgarten nach ihr benannt." 3)
Quellen:
1) http://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/dorothee-soelle/
2) Wikipedia: Hans Carl Nipperdey (abgerufen am 26.7.2017)
3) Wikipedia: Dorothee Sölle (abgerufen am 26.7.2017)

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Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Maria_Beccadelli_di_Bologna
Maria von Bülow, gesch. Gräfin von Dönhoff, geb. Beccadelli di Bologna, Marchesa di Altavilla, Principessa di Camporeale
6.2.1848 Neapel - 20.1.1929 Rom
Salonnière
Grablage: Abt. 16 D, Nr. 45a-d
Maria von Bülow war in zweiter Ehe mit Bernhard Heinrich Martin Karl von Bülow (3.5.1849-28.10.1929) verheiratet. Nach ihm heißt in Hamburg-Ottensen seit 1909 die Bülowstraße.
In erster Ehe war Maria von Bülow zwischen 1867 und 1882 mit dem preußischen Diplomaten Karl August Graf von Dönhoff (1833-1906) verheiratet gewesen. Das Paar bekam 1868 eine Tochter. In Wien, wo das Diplomatenehepaar gelebt hatte, hatte die hochmusikalische Maria einen Salon geführt, wo sich Künstler und Musiker trafen.
Bernhard Heinrich Martin Karl von Bülow wurde in Klein Flottbek geboren. Sein Vater war Bernhard Ernst von Bülow (1815-1879), seine Mutter Luise Victorine, geb. Rücker, eine hanseatische Bürgerstochter. "In Paris, wo er von 1879 bis 1884 als Botschaftssekretär arbeitete, schloss er Freundschaft mit Philipp zu Eulenburg. Die Freundschaft der "schwesterlichen Seelen" überdauerte den Parisaufenthalt. So oft es ging, traf sich Eulenberg mit seinem "heißgeliebten Bernhard". Bülow träumte manchmal davon, mit Philipp gemeinsam alt zu werden und das
Leben nur "dem Schönen" zu widmen", 1) schreiben Berhard Rosenkranz und Gottfried Lorenz.
Anfang der 1880er Jahre verliebten sich Maria von Dönhoff und Bernhard von Bülow ineinander. Bülow war, wie Marias Ehemann, ebenfalls Diplomat. Da Maria sowohl protestantisch als auch katholisch geheiratet hatte, musste sie nicht nur geschieden, sondern ihre Ehe musste darüber hinaus auch noch vom Papst annuliert werden.1882 wurde die Ehe nach preußischem Recht geschieden und 1884 vom Vatikan annuliert.
Da Ehen mit geschiedenen Frauen gesellschaftlich nicht angesehen waren, was für den preußischen Diplomaten Bernhard von Bülow das Karriereaus bedeutet hätte, drang er hartnäckig darauf, dass er von seinem obersten Vorgesetzen Fürst Bismarck den für eine Heirat mit einer geschiedenen Frau erforderlichen Ehekonsens bekam. Den bekam er und so konnte das Paar schließlich 1886 heiraten. Zwei Jahre später wurde Bülow Gesandter in Bukarest und 1893 Botschafter in Rom. Hier unterhielt seine Gattin ebenfalls einen Salon und führte ihren Mann in die Gesellschaft Roms ein, zu der sie enge Kontakte pflegte.
1897 wurde Bülow zum Staatssekretär des Auswärtigen ernannt und zog mit seiner Frau nach Berlin. Auch dort hielt Maria von Bülöw einen Salon, in dem sich hauptsächlich Politiker, Diplomaten und hochrangige Militärs trafen. Aber auch Maler - wie Max Liebermann und Schriftsteller wie Gerhart Hauptmann. Maria von Bülow spielte mit ihrer Mutter bis zum Ersten Weltkrieg eine wichtige Rolle in der Berliner Gesellschaft.
"1900 wurde [Bülow] von Kaiser Wilhelm II. zum Reichskanzler berufen. Zwischen 1907 und 1909 wurde Bülow in die Eulenburg-Affäre hineingezogen. Adolf Brand verdächtigte ihn, intime Kontakte zu seinem Privatsekretär, dem Geheimen Regierungsrat Max Scheefer, gehabt zu haben. In dem Prozess am 6. November 1907 konnte sich Bülow entlasten, indem er und sein als Zeuge geladener Freund Eulenburg jede Form homosexueller Neigungen bestritten. (…) Im April 1909 gelang Bülow mit Hilfe des Reeders Albert Ballin gegen Zahlung einer Summe von 40.000 RM ein außergerichtlicher Vergleich, so dass eine forensische Untersuchung im Zusammenhang mit dem Vorwurf, homosexuell zu sein, verhindert werden konnte. Durch die Prozesse war Bülow jedoch politisch und nervlich so geschwächt, dass er als Reichskanzler nicht mehr zu halten war. (…) Bernhard Fürst von Bülow war offenbar ein Opfer der Denunziationen von Adolf Brand, Dieser wollte anhand vermeintlich homosexuell veranlagter Persönlichkeiten für die Abschaffung des Paragrafen 175 kämpfen." 2)
Nach dem Rücktritt Bülows 1909 als Reichskanzler, lebte er mit seiner Frau eine Zeit lang in Kleinflottbek. Dort gab die geistreiche Maria von Bülow in ihrer Elbparkvilla große Gesellschaften. Zu diesem Kreis gehörten auch Richard Wagner, Franz Liszt, Hans von Bülow und Gerhart Hauptmann. "Maria von Bülow hatte in Deutschland eine zweite Heimat gefunden. Während des ersten Weltkrieges litt sie schwer an den Konflikten ihrer beiden Vaterländer. Nur die liebevolle Aufmerksamkeit, mit der ihr Gatte sie in dem Asyl zu Kleinflottbek umgab, ließ sie die schwere Zeit einigermaßen erträglich verwinden." 3) Das Paar wohnte häufig auch in Rom und dort in der "Villa Malta". Von 1914-1915 war von Bülow Sonderbotschafter in Rom.
Marie von Bülow starb im Januar 1929 in Rom, ihr Ehemann neun Monate später. Beide wurden in der Familiengruft auf dem Hamburger Nienstedtener Friedhof bestattet.
Quellen:
1) Bernhard Rosenkranz, Gottfried Lorenz: Hamburg auf anderen Wegen. Die Geschichte des schwulen Lebens in der Hansestadt. 2. Auf. Hamburg 2006, S. 313.
2) Ebenda.
3) Paul Th. Hoffmann: Die Elbchaussee. Ihre Landsitze, Menschen und Schicksale. Hamburg 1977 S. 133.
Liselotte von Rantzau, geb. Essberger
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9.10.1918 Kiel - 25.1.1993
Reederin
Grablage: 16 D, Nr. 81 a-d
Namensgeberin für: Liselotte-von-Rantzau-Platz, benannt 2013 in der HafenCity
Liselotte von Rantzau-Essberger wurde 1918 in Kiel als Tochter des Korvettenkapitäns John T. Essberger geboren, der der Gründer der gleichnamigen Tankreederei war. In den 1930er- Jahren kaufte er von den Godeffroys das Haus an der Elbchaussee 547.
Seine Tochter Liselotte kam nach dem Abitur 1935 am Heilwig-Realgymnasium in Hamburg und einer einjährigen Ausbildung in der Haushaltsschule in der Heilwigschule in ein Pensionat bei Lausanne, um als Höhere Tochter den letzten Schliff zu bekommen. Bis zu ihrer Heirat im Jahre 1942 arbeitete sie von 1939 bis 1942 als Sekretärin in
der Reederei Essberger. Sie heiratete Cuno von Rantzau, ebenfalls aus einer Reederfamilie stammend. Damit waren zwei Reederfamilien verbunden worden.
Liselotte von Rantzau trat in der NS-Zeit nicht der NSDAP bei. Von 1940 bis 1942 war sie Mitglied der Deutschen Arbeitsfront (DAF). Auch wurde sie Mitglied der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV). 1)
Die Deutsche Arbeitsfront wurde im Mai 1935 gegründet und war ein rechtlich der NSDAP angeschlossener Verband "mit ca. 23 Mio. Mitgliedern (1938) die größte NS-Massenorganisation. Als Einheitsgebilde ‚aller schaffenden Deutschen" konzipiert, schuf ihr Reichsleiter Robert Ley ein vielgliedriges, bürokratisch aufgeblähtes Organisationsimperium, mit dem er nahezu alle Felder der nat.soz. Wirtschafts- und Sozialpolitik einzudringen trachtete. Entscheidender Einfluß auf materielle Belange in diesem Bereich blieb der DAF jedoch verwehrt, vielmehr musste sie sich auf die allgemeine Betreuung und weltanschauliche Schulung ihrer Mitglieder beschränken." 2)
Die NSV war mit "17 Mio. Mitgliedern (1943) nach der Dt. Arbeitsfront die größte (…)NS-Massenorganisation.(…) Ihren Anspruch auf Monopolisierung der gesamten freien und öffentlichen Wohlfahrt konnte die N. zwar nicht realisieren, doch gelang es ihr, die in der freien Wohlfahrtspflege tätigen Verbände zurückzudrängen bzw. gleichzuschalten (…). Angesichts der ihr zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel (Mitgliedsbeiträge, Spenden, staatliche Zuwendungen) war es ihr möglich, in alle Bereiche der Wohlfahrt zu expandieren (…). Aufgrund ihrer scheinbaren Ideologieferne war die Arbeit der N. populär und die Mitgliedschaft erschien auch für diejenigen, die dem Regime eher zögernd oder kritisch gegenüberstanden, aber aus Opportunitätsgründen in eine Parteiorganisation eintreten wollten, akzeptabel. Tatsächlich war die Arbeit der N. von rasse- und erbbiologischen Selektionskriterien bestimmt (…)." 3)
Nach dem Tod ihres Vaters im Jahre 1959 übernahm Liselotte von Rantzau das Kommando über die Doppelreederei: Deutsche Afrika-Linien/Tankreederei John T. Essberger. Zuvor hatte sie schon zu Lebzeiten ihres Vaters bei ihm die Geschäfte erlernt. "‚Inspiration für diese Arbeit war mein Vater". Beim ihm lernte sie von der Pieke auf das Reedereigeschäft kennen. Erst als Lehrling, später als seine Sekretärin und ständige Begleiterin. Seine Arbeitshaltung, sein zielbewusster Einsatz für das Familienunternehmen und für Afrika waren (…) für Frau von Rantzau Vorbild und Verpflichtung zugleich." 4) 1989 stand "sie einer Flotte von 456 Schiffen vor. Die Reedereigruppe beschäftigte [damals] rund 360 Mitarbeiter an Land und 920 Leute auf See. ‚Die Seeleute sagten am Anfang, sie würden mich nicht akzeptieren …, aber sie taten es dann doch."
Von starkem Willen geprägt, platzte Liselotte von Rantzau mit Energie und Durchsetzungsvermögen in traditionell männliche Stammplätze hinein. (…) Anerkennungsprobleme hatte sie nur am Anfang bei der Übernahme der Reederei. (…) Ihre Kenntnisse, ihre sachlich-bestimmte Art, Verhandlungen zu führen, und ihr zielbewusstes Voranschreiten ließen das männliche Gemurmel auf Konferenzen und in den Vorständen der vielen Gremien, in denen sie tätig war, bald verstummen." 4)
Sie galt "als hervorragende Afrika-Kennerin, und alle Bundesregierungen suchten ihren Rat und ihre Hilfe als Vermittlerin und Botschafterin (…)." 4)
Liselotte von Rantzau war vom Zeitpunkt der Gründung 1971 bis zu ihrem Tode Vorsitzende der Afrika-Stiftung, gleichzeitig Stellvertretende Vorsitzende des 1934 gegründeten Afrika-Vereins und dessen Vorsitzende von 1988 bis 1990 sowie im Vorstand des Afrika-Kollegiums und Mitglied in mehreren deutsch-afrikanischen Gesellschaften. "Ein Drittel ihrer Arbeitszeit verbrachte sie auf Reisen. Niederlassungen wollten besucht, Geschäftsbeziehungen aufrechterhalten werden.
Neue technische Entwicklungen und den Fortschritt im Geist der Zeit begriff sie als Chance. Und so war sie die erste, die auf den Schiffen das Satelliten-Navigationssystem einführte und den Afrika-Terminal als modernsten seiner Zeit erbauen ließ." 4)
Die Aktivitäten des Afrika-Vereins und der Deutschen Afrika-Linie in den 1980er-Jahren werden von postkolonialen Initiativen kritisch gesehen. So schreibt Heiko Möhle: "Obwohl sich der Hamburger Senat in den achtziger Jahren wiederholt für Boykott und Sanktionen gegenüber Südafrika [wegen dessen Apartheid-Politik] aussprach, setzte der Hafen seine Entwicklung zum ‚Tor zu Südafrika" fort. Ein Großteil des Handels wurde weiter mit den Schiffen der Deutschen Afrika-Linie abgewickelt, deren Vorsitzende Liselotte Rantzau-Essberger in den achtziger Jahren den Vorsitz des Afrika-Vereins übernahm. Ihre Schiffe transportierten nicht nur Äpfel und Orangen, sondern auch Uran aus Namibia, das von Südafrika wie eine Kolonie verwaltet wurde. Der Abbau in der ‚Rössing-Mine", der größten Uranmine der Welt, führte zu schwersten gesundheitlichen Schädigungen der Minenarbeiter und Umweltzerstörungen im Abbaugebiet." 5)
Liselotte von Rantzau war z. B. auch Mitglied der internationalen Versicherungsorganisation Lloyd"s of London, stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsrats der Nord-Deutschen Versicherungs-Aktiengesellschaft, Mitglied des Aufsichtsrats der Hamburgischen Landesbank, Mitglied des Präsidiums des Verbandes Deutscher Reeder.
"Ihre drei Söhne, geboren 1943, 1944 und 1948, erzog sie allein, denn die Ehe wurde [1957] geschieden. Während ihrer zehnjährigen ‚Familienphase" war sie nur zeitweise im Reedereigeschäft tätig. (…)". 4)
In ihrer Freizeit sammelte Liselotte von Rantzau Nilpferd-Plastiken.
Liselotte von Rantzau war auch Mäzenatin. So baute sie u. a. die Hamburger Musikfeste mit auf und mitbegründete 1985 den Förderkreis der Philharmonie, förderte die Ziele der Stiftung Hamburgische Kunstsammlungen, deren langjährige Vorsitzende sie war, und engagierte sich in der Städtepartnerschaft zwischen Hamburg und Dresden.
Liselotte von Rantzau erhielt das Große Bundesverdienstkreuz; den Order of Good Hope des Verdienstordens der Republik Südafrika; den Ordre du Mono des Verdienstordens der Republik Togo und noch andere Auszeichnungen.
Quellen:
1) Staatsarchiv Hamburg 221-11, 71113
2) Marie- Luise Recker: NS-Volkswohlfahrt, in: Wolfgang Benz, Hermann Graml, Hermann Weiß (hrsg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus. 2. Aufl. , München 1998, S. 619.
3) Marie- Luise Recker: Deutsche Arbeitsfront, in: Wolfgang Benz, Hermann Graml, Hermann Weiß (hrsg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus. 2. Aufl. , München 1998, S.418f..
4) Helga Mack (+): Portrait über Liselotte von Rantzau, in: Rita Bake, Jutta Dalladas-Dyemai, Martina Gedai, Birgit Kiupel: Leinen los! Eine Expedition zur neuen und alten Geschichte der Frauenarbeit im und für den Hamburger Hafen. Hamburg 1989.
5) Heiko Möhle (Hrsg.): Branntwein, Bibeln und Bananen. Der deutsche Kolonialismus in Afrika. Eine Spurensuche. Neuaufl. Berlin 2011, S. 154f.

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Elsa und Jacob Wolff, © Hans-Jürgen Schirmer
Elsa Wolff-Essberger, geb. Schirmer, verw. Wolff
17.8.1898 - 29.3.1977
Kunstsammlerin und Mäzenin
Grablage: Abt. 16 D, Nr. 81 a-d
Elsa Schirmer wuchs in der Handels- und Hofgärtnerei ihres Vaters Carl Hermann Schirmer (Belieferung des Zarenhofes in St. Petersburg u. a. mit Lilien ebenso war Kunde der bayerische Königshof von Ludwig II) in Hoheluft-West auf (damals noch Eppendorf) zusammen mit den beiden wesentlich älteren Brüdern Hermann (1903 Rekrut als "Langer Kerl" in der 2. Compagnie 1. Garderegiment zu Fuß als Leibregiment des Kronprinzen Wilhelm von Preußen) und Otto sowie der jüngeren Schwester Mariechen.
Elsas Vater war erfolgreich und errang u. a. für seine Maiglöckchenzucht auf der Weltausstellung 1900 in Paris eine Silbermedaille als Auszeichnung. Auch verfasste er damals einen mehrseitigen Bericht im Auftrag des Museumsdirektors Prof. Dr. Brinckmann (Museum für Kunst und Gewerbe) über die Verwendung von Blumenschmuck in der französischen Hauptstadt.
Elsa Schirmer besuchte die Helene-Lange-Schule und nachfolgend das Lyzeum Hansastraße bis zum Jahre 1914. Als anmutiges Gärtnerstöchterlein fiel sie dem 30 Jahre älteren jüdischen Hamburger Cigarren-Fabrikanten (HACIFA) Johannes Jacob Wolff (1868-1926) auf. Als galanter ehemaliger Leutnant der königlich preußischen Fliegertruppe und Jagdflieger (mit privat finanziertem Flugzeug Albatros D. II im 1. Weltkrieg u. a. in der Jagdstaffel 17 von Ernst Udet) hielt der Freidenker Jacob Wolff am 12.9.1917 um die Hand an (Verlobung), um sie danach ins Internat in die Schweiz zu "einem Benimmkursus" zu schicken. So erzählte es Elsa Wolff-Essberger ihren Nachkommen. Nach der Hochzeit zog das Paar in die Badestraße 28, in ein Herrenhaus mit Blick auf die Außenalster. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor: Anneliese (Lisa) Elsa Bepperling,
geb. Wolff (1919-1990). Sie war leidenschaftliche Vertreterin für den Behindertenreitsport sowie für die Weltsprache Esperanto in der UEA. Sie wurde auf dem Ohlsdorfer Friedhof neben dem Grab ihres Vaters Jacob Wolff beerdigt. Eberhard Hans Heinrich Wolff wurde 1920 geboren und starb 1942. Er wurde im Zweiten Weltkrieg als Flieger in der Bretagne 1942 abgeschossen und verstarb dort - sein Ehrengrab befindet sich auf dem Nienstedtener Friedhof neben dem Grab seiner Mutter Elsa.
Das dritte Kind war Inga Melita Elisabeth Bragard, geb. Wolff. Sie liegt auf dem Friedhof in Lüchow. Inga erfüllte das gemeinsame Testament mit ihrer Schwester nur zum Teil: ihre gemeinsamen wertvollen Kunstobjekte sollten der Hamburger Kunsthalle vermacht werden, jedoch das Ölbild "Der Mann in Leder", 1918 gemalt von Max Liebermann und das ihren Vater als Flieger darstellt, sollte das Marinemuseum bekommen. Doch da sie dieses und andere Bilder vorzeitig verkauft hatte, schenkte sie 2004 der Hamburger Kunsthalle das Bild "Die Birkenallee im Wannseegarten nach Westen" für die nachfolgende Liebermannausstellung.
Nach dem Tod von Jacob Wolff am 4.12.1926 infolge eines häuslichen Schwächeanfalls ging Elsa Wolff, geb. Schirmer am 20.7.1929 eine zweiter Ehe ein mit dem Reeder und Marineoffizier John Theodor Essberger (1886-1959), der eine Tankschiffreederei in Hamburg besaß. Gemeinsam erwarben sie von Peter Godeffroy 1933 das von dem Architekten Christian Frederick Hansen 1796 erbaute "Weiße Haus" in Dockenhuden/Blankenese. Mit ihnen zogen ins Haus ein die drei Kinder von Elsa sowie die beiden Töchter aus erster Ehe von John T. Essberger: Anneliese (1920-2003) / verheiratete Justus-Essberger) und Liselotte (1918-1993 /gesch. von Rantzau).
Bis auf den leider verschollenen wunderbaren und von dem Tierbildhauer August Gaul geschaffenen Entenküken-Brunnen, der im Hintergarten in der Badestraße gestanden hatte, fanden viele von Elsa Wolff angekaufte Kunstobjekte ab 1934 einen neuen Standort und wurden von Elsa Wolff-Essberger durch weitere Ankäufe großartig erweitert. So gibt es noch heute von ihr im "Weißen Haus" ein Portraitbild, 1968 erstellt von dem Stifter und Mäzen Alfred Töpfer.
Insbesondere ihrem Großneffen Hans-Jürgen Schirmer (geb. 1949 /ehemaliger Deputierter der Kulturbehörde Hamburg, Kuratoriumsmitglied der Stiftung Hamburger Kunstsammlung und Mitglied der Kunstkommission) faszinierte in jüngeren Jahren bei privaten Besuchen vorerst mehr Elsas Spieluhrensammlung. Doch im heranwachsenden Alter machte auf ihn neben ihren Erwerbungen von Handwerkskunst aus dem Umfeld ihrer Farm in Südafrika insbesondere die bedeutenden Kunstsammlungen Eindruck. Ihm erzählte seine Tante Elsa mit großer Begeisterung von ihren Treffen in der Badestraße u. a. mit den Künstlern Max Liebermann, mit dem Tierbildhauer August Gaul oder dem Maler Emil Orlik, ein enger Freund der Familie Wolff. Später ergänzte sie ihre Erinnerungen mit ihren Aktivitäten als Kuratoriumsmitglied der Stiftung zur Förderung der Hamburger Kunstsammlungen.
Voller Stolz zeigte sie ihrem Großneffen Hans-Jürgen Schirmer auch ihre Kunstwerke, u. a. Barlach, Munch, Anita Rée sowie Cézanne, Degas, Monet, Renoir, Toulouse-Lautrec und Van Meeren, mit denen sie bereits ihr Haus in der Badestraße ausgestattet hatte. Ihre Leidenschaft galt ihrer Porzellansammlung aus Meißen-Porzellan u. a. von Johann Friedrich Böttger aus 1710 sowie den Nymphenburger Rokokofiguren vom Bildhauer Franz Anton Bustelli aus 1754. Ebenso spannend für den Großstadtjungen Hans-Jürgen - wohnhaft damals in ihrem Elternhaus in der Bismarckstraße - waren ihre Einladungen nach Albi bei Toulouse oder zum Auberghof bei Trittau.
Auch mit dem Einsatz von Elsas Vermögen konnte John seine Tankschiffreederei J. T. Essberger und die 1942 übernommene Woermann-Linie (von 1885 mit Route Südwestafrika; heute Namibia) plus Deutsche Ost-Afrika-Linie (von 1890) in Hamburg nach den Kriegseinwirkungen des Zweiten Weltkriegs finanzieren und "auf erfolgreichen Kurs" bringen. Firmensitz war ein weiterer Hansen-Bau in der Palmaille. Hauptstandort für den Schiffsumschlag war u. a. der Afrika-Terminal am Südende vom Baakenhafen, aktuell HafenCity.
In der NS-Zeit trat Elsa Wolff-Essberger im Mai 1933 der NSDAP bei. Die Mitgliedschaft wurde durch "Gnadenerlass des Führers" am 19.12.1939 aufgehoben, heißt es auf der NSDAP-Mitgliedskarteikarte. (Bundesarchiv BArchR 9361-IX KARTEI 8110419). Zu ihrer Mitgliedschaft in der NSDAP erklärte sie im Mai 1948 im Rahmen ihres Entnazifizierungsverfahren: "Im Mai 1933 wurde ich vor die Tatsache gestellt, dass ich in die Partei eingetreten sei. Herr Eger, ein Vertrauensmann der Partei, war zu meinem Mann ins Büro gekommen und hatte ihm mitgeteilt, dass wir in die Partei eintreten müssten, unter besonderem Hinweis auf meine 3 Kinder aus erster Ehe, die als halbarisch galten, und angeblich besseren Schutz durch uns hätten, wenn wir der Partei angehörten. Ich selbst habe nicht mit Herrn Eger gesprochen, habe auch weder die Parteinadel erhalten, noch je eine solche getragen. Die Beitragszahlungen wurden automatisch im Sekretariat vorgenommen. Keiner meiner Freunde wusste, dass ich in der Partei war. Ich hätte mich dieser Tatsache meinem Freundeskreis gegenüber zu sehr geschämt.
Was in meinen schwachen Kräften stand, besonders den Juden angetanes Unrecht zu mildern, habe ich getan. Einige Beispiele dafür:
Ein Brief von Frau Liebermann
Frl. Dr. Levy
Zeugnis von der Wirtschafterin von Frau Medizinalrat Mermann. Letztere ist die Schwester von Frau Rudolf Mosse. Sie war erblindet und lebte in grosser Armut. Sie empfing monatlich regelmässig Unterstützung von mir (Zeugnis Frl. Henckel).
Meine umfangreiche, jüdische Korrespondenz musste ich verbrennen, da 1938 die Gestapo bei uns im Hause war und Nachforschungen androhte. Die von ihr geforderten, silbernen Erinnerungsstücke meines verstorbenen Mannes gab ich deshalb einem treuen Angestellten in Verwahrung. (Zeugnis darüber anliegend).
Mit Admiral Canaris waren mein Mann und ich befreundet. Er hatte Gelegenheit, das gegen uns vorliegende Aktenmaterial der Partei in München einzusehen und riet uns zu äussersten Vorsicht, da Eingaben über unsere Einstellung und über unseren jüdischen Verkehr dort vorlagen, und wir unter Beobachtung ständen. Ich wusste von seinen Tagebuchaufzeichnungen, die ich bereit war zu verwahren.
Bei den mir unterstellten Personen im Haushalt, im landwirtschaftlichen und gärtnerischen Betrieb habe ich keine Parteimitgliedschaft zugelassen.
Eine kameradschaftliche Freundschaft, die mich mit Göring als Kamerad meines verstorbenen Mannes verband, brach ich ab, als dieser anfing, in der Partei eine Stellung zu bekommen.
Es wäre mir ein leichtes gewesen, durch ihn jede Bevorzugung zu erreichen.
Als mir im Jahre 1938 zu Ohren kam, dass das den Juden weggenommene Silber eingeschmolzen werden sollte, ging ich aus eigener Initiative zum Reichstatthalter Kaufmann und erreichte, dass wenigstens das antike Silber gerettet wurde. (siehe Anlage von Dr. Schellenberg).
Unser Freundeskreis bestand nur aus Leuten, die dem Nationalsozialismus ablehnend gegenüberstanden (Dr. Riensberg und Frau, Landgerichtspräsident Dr. Meyer, Admiral Canaris und Frau, der Leiter der Kunsthalle in Bremen, Professor Waldmann und Frau; Geheimrat Justi, heute wieder Direktor der Nationalgalerie in Berlin, Herr und Frau Roosen, Herr und Frau Ludwig Brandt, die vor dem Kriege nach England gingen.)
In meinem Hause befanden sich weder Bilder von Hitler oder führender Persönlichkeiten der Partei, noch wurde der Hitler Gruss ausgeübt. Meine Angestellten im Hause, meine frühere Haustochter, jetzige Frau Ilse Dittmer, und mein früherer Fahrer, Herr Leimitz, werden über den Geist, der in unserem Hause herrschte, aussagen können. Ich möchte da auch auf die Aussagen verweisen, die die Angestellten meines Mannes in ihrer Eingabe vom 17. Oktober 1946 gemacht haben.
Die Tatsache, dass meine Kinder aus der ersten Ehe als Mischlinge galten, hat mir in den vergangenen Jahren viel Kummer und Sorgen bereitet. Ich habe es an nichts fehlen lassen, meinen Mann in seiner ablehnenden Haltung der Partei gegenüber zu bestärken. An irgendwelchen parteilichen Veranstaltungen habe ich zu keiner Zeit teilgenommen. Ich bitte daher um meine Entlastung." Mai 1948. (Staatsarchiv Hamburg 221-11, TN 14481).
In der von Elsa Wolff-Essberger erwähnten Eingabe der Angestellten der Reederei Essberger heißt es: "Die unterzeichneten Kapitäne, Mitarbeiter und Angestellten der Rhederei Essberger, die nicht Parteigenossen waren, und stets eine antifaschistische Einstellung hatten, möchten über Herrn John Essberger, seine Einstellung zur Partei und seine Haltung gegenüber seinen Angestellten und Besatzungen einige Ausführungen machen, da sie gehört haben, dass Herr Essberger jetzt von dem Denazifizierungsausschuss vernommen werden soll. Wir wissen, dass Herr Essberger seit 1933 der Partei angehört hat, dass er Staatsrat war und Vorsitzender des Verbandes Deutscher Reeder, woraus sich später seine Stellung als Leiter der Reichsverkehrsgruppe entwickelte.
Wir wussten auch, dass aus der ersten Ehe seiner Frau drei halbjüdische Kinder vorhanden waren, und ein glückliches Familienleben bestand, und dass er in allem sehr vorsichtig auftreten musste. - Wir haben uns manchmal den Kopf zerbrochen, wie er sein Privatleben mit den Forderungen, die ihm aus seiner Stellung erwuchsen, fertig werden würde. Von uns aus sah die Sache so aus, dass er niemandem jemals nahegelegt hat, oder zugemutet hat, in die Partei oder DAF einzutreten. Es war allgemein bekannt, dass Herr Essberger sich nach Möglichkeit von allen Parteiveranstaltungen usw., an denen er hätte teilnehmen müssen, drückte. (…)
Dass im Privathaus von Essberger"s nichts vom Nationalsozialismus zu spüren war, war Ilse Lafrenz, die im Hause als Haustochter lebte - und später mehrere Jahre in der Rhederei tätig war - bekannt. (…) Frau Essberger war naturgemäß vollkommen ablehnend der Partei gegenüber. (…)." (Staatsarchiv Hamburg 221-11, TN 14481).
In seiner Rezension des 1999 erschienenen Buches "John T. Essberger. Eine deutsche Geschichte der Tankerschifffahrt" von Svante Domizlaf schreibt der Journalist Matthias Schmoock: ""von den aufstrebenden Nationalsozialisten wurde der Reeder (…) ‚ebenso gefördert wie bekämpft". Zwei Menschen haben dazu beigetragen, dass die kritische Distanz zu den braunen Machthabern schließlich überwog: Essbergers zweite Frau Elsa und sein langjähriger Freund, der Hitler-Gegner Admiral Wilhelm Canaris. (…) Zwar wurde die Reederei als ‚NS-Musterbetrieb" ausgezeichnet, parteiintern laut Autor Domizlaff aber auch immer wieder als ‚Judenbude" beschimpft. John T. Essberger taktierte, ohne sich anzupassen - vor allem im Interesse seiner Angestellten. Er war hamburgischer Staatsrat und Reederverbandsvorsitzender bis 1941, doch am Ende stand auch für die Reederei die Katastrophe. Die gesamte Flotte mit dem blauen ‚E" auf weißem Grund ging verloren, John T. Essberger, nach Kriegsende bereits im Pensionärsalter, musste sich an den Wiederaufbau machen. Er schickte einen von den Besatzungsmächten verschmähten Seelenverkäufer über den Atlantik und kam so langsam wieder ins Geschäft. (…) In den 50er-Jahren schien - wie Domizlaff schreibt - ‚keines der Familienmitglieder in der Lage oder ernsthaft gewillt, die Rolle eines Großreeders zu übernehmen". Die Kräfte des genialen Visionärs, John T. Essberger, ließen in diesem Jahrzehnt stark nach, der kunstsinnige Genießer wurde von Depressionen und Todesahnungen gequält. 1959 starb John T. Essberger in einem Hamburger Krankenhaus." (Matthias Schmoock: So Gott will - das Leben John T. Essberger. Zum 75. Firmen- Jubiläum erschien ein Buch über den legendären Reederei-Gründer. Morgen wird in der Börse gefeiert, in: Hamburger Abendblatt vom 3.11.1999.)
Zurück zu Elsa Wolff-Essberger: Ihrer Entnazifizierungsakte liegt auch ein Auszug aus einem Brief von Frau Angelika Levy, datiert Paris, 30.12.33, bei. Hierin heißt es: "Liebe Frau Essberger! Nehmen Sie vielen Dank für Ihren lieben Brief. Er hat mich seltsam berührt. Manchmal weiss man nicht, wo man Freunde hat. Und Sie wissen sicher nicht, dass solche guten Worte das einzige ist, was dem plötzlich so armgewordenen Leben etwas Inhalt und Farbe gibt. Insofern haben Sie vielmehr gegeben, als Sie ahnten."
Über das von Elsa Wolff-Essberger erwähnte Silber, das den Menschen jüdischer Herkunft weggenommen wurde, um es einzuschmelzen, hat der Historiker Jürgen Lillteicher für seine Dissertation, die 2003 erschien, recherchiert. Er schreibt: "Stücke von besonderem Seltenheitswert waren allerdings von diesem Verwertungsprocedere ausgenommen worden, weil die Hamburger Museen in Zusammenarbeit mit Elsa Eßberger, einer bekannten Hamburger Kunstsammlerin, ihr Interesse an diesen Silberstücken bekundet hatten. Dr. Carl Schellenberg vom Museum für Hamburgische Geschichte und Professor Hüseler vom Museum für Kunst und Gewerbe hatten sich an die Erfassung von Gegenständen mit besonderem künstlerischen Wert gemacht und diese dem Reich abgekauft. Ihre Erwerbungen waren recht beträchtlich gewesen. Das Museum für Hamburgische Geschichte hatte Silbergegenstände mit einem Gesamtgewicht von 1.600 kg, die Rathausverwaltung 160 kg, das Museum für Kunst und Gewerbe und das Altonaer Museum lediglich neun kg erworben.
Circa zehn Prozent des in Hamburg angekauften Silbers war auf diese Weise in den Tresoren und Sammlungen der Museen der Stadt verschwunden. Die Stadt hatte hierfür 63.000 RM an das Reich abgeführt.
Um ihre Beteiligung an der nationalsozialistischen Enteignungspolitik zu verbergen, hatte das Rathaus kurz vor der Besetzung Hamburgs angeordnet, sämtliche Registraturen und die gesamte Buchführung der betreffenden Pfandleihanstalten zu verbrennen.
Den Krieg überstand der Hamburger Silberschatz im Bunker auf dem Heiliggeistfeld, und er wäre vermutlich zurück in Sammlungen der städtischen Museen gelangt, wenn nicht Edmund Elias Wiener und die JTC hier entsprechend vehement mit ihren Rückerstattungsforderungen aufgetreten wären. Der Schatz umfasste 30.000 Einzelstücke und wurde nun katalogisiert und im Tresorraum der Landeshauptkasse ausgestellt.
Mit der Katalogisierung der Gegenstände und der weiteren Betreuung dieser außergewöhnlichen Rückerstattungsmaßnahme wurde Dr. Schellenberg beauftragt, der auch nach dem Krieg noch beim Museum für Hamburgische Geschichte beschäftigt war. In strafrechtlicher Hinsicht wurde er wegen der Entwendung der Silbergegenstände nie belangt. Das Rückerstattungsverfahren funktionierte folgendermaßen: Die Rückerstattungsberechtigten stellten einen ordentlichen Rückerstattungsantrag direkt an das Hamburger Wiedergutmachungsamt. Ihrem Antrag hatten sie die Quittung der Leihhäuser beizufügen, die sie damals beim Ankauf erhalten hatten, ebenso eine genaue und detaillierte Beschreibung der Stücke und, wegen der Stempelprägung auf den Silbergegenständen, den Namen des Geschäfts anzugeben, in welchem sie die Stücke gekauft hatten. Die Enteigneten gaben sich alle Mühe, die ihnen entwendeten Gegenstände genau zu beschreiben. Viele reichten Zeichnungen oder Fotografien ein, die das Familiensilber in entsprechenden Wohnzimmern zeigten. Mit einer Quittung der städtischen Pfandleihanstalten oder der Angabe eines Geschäftes, in dem die Gegenstände vor Jahrzehnten gekauft worden waren, konnten jedoch die wenigsten dienen. Hatte Dr. Schellenberg nach genauester Prüfung der Belege die Übereinstimmung mit Gegenständen in seinem Gewahrsam festgestellt, beschieden die Wiedergutmachungskammern den Antrag positiv. (…)
Dr. Schellenberg erkannte schon damals, dass es den ehemaligen Hamburger Juden nicht nur um den reinen materiellen Wert der Gegenstände ging, dieser wäre vermutlich allein durch die Kosten der Reise wieder aufgebraucht worden, sondern um den ideellen Wert der Gegenstände, die in jeder Familie eine besondere identitätsstiftende Rolle spielten. (…) Zum einen war ihm klar, warum die Verfolgten viel investierten, um auch nur ein kleines Silberstück zurückzuerlangen, zum anderen
verklärte er jedoch seine eigene Rolle in der Vergangenheit, wo er selbst aus der Konfiskationsmasse Gegenstände für sein Museum ausgesucht hatte und in der Gegenwart, wo ihm die Rückerstattung des Beutegutes aufgetragen wurde. In der Gegenwart wollte er sich als Helfer und großzügiger Spender und in der Vergangenheit als Retter kultureller Werte verstanden wissen. Einerseits wollte er nicht von sich behaupten, das Silber ausgesondert zu haben, um es den Juden eines Tages wiederzugeben, denn, so Schellenberg, ‚der Gedanke, das Silber eines fernen Tages seinen Eigentümern wiederzugeben, konnte höchstens dem Blute vertraut sein wie beim Erwählten die Wahrheit", andererseits betrachtete er sich dann doch als Retter von Kulturgut, denn ‚wir haben den Auftrag, Kulturgut vor der Vernichtung zu bewahren, im weitesten Sinne verstanden". Dabei schien Schellenberg einige Risiken eingegangen zu sein: ‚Heute bedauern wir, daß wir nicht mehr als zehn Prozent des Gewichts, also 2000 kg dem Feuer vorenthalten haben, so müssen wir uns die Zeit vor zwölf Jahren in die Erinnerung zurückrufen. Jedes Kilo mehr würde die ganze Aktion gefährdet haben für die doppelte Menge wäre in Hamburg kaum das Geld zu beschaffen gewesen und wahrscheinlich hätte auch die Metallspende Einspruch erhoben, die ja das Silber der Kriegswirtschaft zuführen wollte."
Nach 1945 blickte er daher mit einer gewissen Befriedigung auf die NS-Zeit zurück, während der er nach eigener Darstellung viel Wagemut bewiesen hatte. Er brachte zum Ausdruck, dass er nun Emigranten und KZ-Überlebende - nach seinen eigenen
Worten - mit kostbaren Silbergegenständen ‚beschenken" konnte. Diese Interpretation der Rückerstattung als freiwillige Leistung der Stadt Hamburg stand im gewissen Gegensatz zum Grundgedanken der Rückerstattung, sollten doch den Verfolgten Gegenstände zurückgegeben werden, die ihnen vormals gehört und auf die sie somit einen Rechtsanspruch hatten. (…)." (Jürgen Lillteicher: Die Rückerstattung jüdischen Eigentums in Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine Studie über Verfolgungserfahrung, Rechtsstaatlichkeit und Vergangenheitspolitik 1945-1971. Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität
zu Freiburg i. Br. Wintersemester 2002/2003, S.223ff.)
Schellenberg selbst stellte in einem Brief vom 28.5.1947 an Elsa Wolff-Essberger, den er verfasst hatte, weil sie ihn im Rahmen ihres Entnazifizierungsverfahrens gebeten hatte, über ihre Mitwirkung zur Rettung des beschlagnahmten Silbers Auskunft zu geben, die Angelegenheit folgendermaßen dar: "Selbstverständlich bin ich gern bereit, Ihnen und ihrem Herrn Gemahl Ihre Mitwirkung zur Rettung des aus jüdischem Besitz beschlagnahmten Silbers zu bestätigen. Ich meine, die Angelegenheit hatte sich, wie folgt entwickelt: Sie haben mich eines Tages angerufen und mich gefragt, ob ich bereit sei; mich um die Rettung des aus jüdischem Besitz beschlagnahmten Silbers zu kümmern; von anderer Seite sei nach flüchtiger Durchsicht eine Aktion abgelehnt, da sie nicht ‚lohne". (…) Wir haben mehrfach zusammen mit Ihrem Gatten und, wenn er verhindert war, ohne ihn, das Material besichtigt. Als unser Versuch zunächst gescheitert war, haben Sie und ich uns vor einem Teil des aufgehäuften Silberschatzes getroffen, um zu beraten, was noch unternommen werden könnte. Dabei erneuerte sich unsere Überzeugung, dass wir die Sache nicht einfach so laufen lassen wollten. Sie entschlossen sich kurzer Hand den Reichsstatthalter selbst anzurufen, und um einen Vortrag für mich zu bitten. Ich wurde dann zusammen mit Ihnen beim Reichsstatthalter vorgelassen, so dass ich Gelegenheit hatte, die Sachlage darzustellen. Kaufmann traf die nötigen Anordnungen, die es schließlich ermöglichten, dass ich auch einen grossen Teil des einfachen Gebrauchsgeräts retten konnte. Gegenwärtig ordne ich den Silberschatz, so dass die ehemaligen Besitzer oder ihre Erben, wenn sie ihre Ansprüche stellen, befriedigt werden können, sofern sich ihr Eigentum unter dem geretteten Bestand befindet. Schätzungsweise dürfte es sich um 30.000 Einzelstücke handeln (…)." (Staatsarchiv Hamburg 221-11, TN 14481).
Elsa Wolff-Essbergers Entnazifizierungsverfahren endete mit der Einstufung in Kategorie V- entlastet.
Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus sammelte sie weiterhin Kunst und engagierte sich auf diesem Gebiet. So wurde sie z. B. Kuratoriumsmitglied der Stiftung Hamburger Kunstsammlungen.
Nach dem Tod ihres Mannes John Essberger im Jahre 1959 und der Weiterführung der Schifffahrtslinien durch Elsas Stieftochter Liselotte von Rantzau übernahm Elsa Wolff-Essberger die sozialen Belange als "Mutter" der Reederei. Unvergessen sind die Weihnachtsfeiern im "Weißen Haus" für die Firmen- und Hausangestellten.
Vier Schiffe der Reederei wurden im Laufe der Jahre auf den Namen von Elsa Wolff-Essberger getauft; das erste wurde 1930 gebaut auf der Deutschen Werft im Werk am Reiherstieg. Auch wenn Elsa Wolff-Essberger nicht auf die Leitung der Reederei eingewirkt hatte, bestanden Vorlieben für maritime Vorhaben. Eine Herzensangelegenheit war ihr und John der Erwerb 1938 der Holzbark Seute Deern (Baujahr 1919), erkennbar durch die entsprechende Galionsfigur. Seit 1972 liegt sie als Museumsschiff im Alten Hafen in Bremerhaven. Das Schiff auf dem Grabstein der Eheleute Essberger auf dem Friedhof in Hamburg Nienstedten stellt eine Abbildung des ehemaligen Frachtseglers Seute Deern dar.
Weitere Schiffe, die nach Elsa Wolff-Essberger benannt wurden, sind das 1952 vom Stapel gelaufene Motortankschiff Elsa Essberger der Reederei John T. Essberger und der 2013 gebaute Tanker Typ Hazard B.
Elsa Wolff-Essberger unterstützte auch die DGzRS und förderte 1975 über die Reederei die Finanzierung für den Bau des kentersicheren und selbstaufrichtenden Seenotkreuzers J. T. Essberger, dessen Beiboot ELSA heißt. Diese Schiffe sind im Technik Museum Speyer ausgestellt.
Text: Rita Bake und Hans-Jürgen Schirmer