Hammer Friedhof
Elise Averdieck
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Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Elise_Averdieck
26.2.1808 Hamburg - 4.11.1907 Hamburg
Leiterin des Diakonissenhauses Bethesda, Kinderbuchschriftstellerin.
Grablage: Im Gras liegender Grabstein
Elise Averdieck war die Zweitälteste von zwölf Kindern einer Hamburger Kaufmannsfamilie. Als das Geld in der Familie knapp wurde, ging sie als Gesellschafterin zu Madame Schmilinsky nach St. Georg. Im Alter von 27 Jahren erlebte sie am 3. November 1835 ihre Bekehrung. Der Glaube wurde das Fundament ihres Lebens.
Nach ihrer Tätigkeit als Gesellschafterin pflegte sie fünf Jahre lang kranke Kinder in der Privatklinik des Arztes Dr. Günther am Borgesch. Als er als Professor nach Kiel berufen wurde, eröffnete Elise Averdieck in St. Georg eine Vorschule für Knaben, entwickelte eine eigene Lesefibel und verfasste selbst Kinderbücher, weil ihr die angebotenen nicht kindgerecht erschienen. Sie schrieb Kinderbücher, die im Hamburger Milieu spielten und die Alltagswelt des Kindes darstellten. 1843 wurde Elise Averdieck Lehrerin der Mädchenklasse in Pastor Rautenbergs Sonntagsschule in St. Georg, in der unbeschulte Kinder aus der Armutsschicht lesen lernten und Biblische Geschichte hörten. 1852 errichtete sie mit den Mitarbeitern der Sonntagsschule eine "Kinderkirche" in der Stiftstraße.
Doch damit nicht genug. Elise Averdieck plante auch die Gründung eines christlichen Krankenhauses. Der Zufall wollte es, dass ein Bekannter seine Krankenhausbehandlung nicht bezahlen konnte. Elise Averdieck nahm ihn bei sich zu Hause auf und pflegte ihn zusammen mit ihrer Freundin. Ein Arzt untersuchte den Kranken unentgeltlich. Bald kamen weitere Kranke aus der Armutsschicht, und Elise Averdiecks Zimmer, das sie als Krankenzimmer zur Verfügung gestellt hatte, wurde zu eng. Und wieder eine Fügung: Zur gleichen Zeit zog ein Großteil ihrer Schüler aus Hamburg fort oder wurde aus der Schule entlassen, so dass Elise Averdieck kaum noch Kinder zu unterrichten hatte. Außerdem wurde das Haus frei, in dem sie ehemals die kranken Kinder von Dr. Günther gepflegt hatte. Sie widmete sich von nun an ausschließlich der Krankenpflege. 1856 erfolgte der Umzug in die neuen Räume des ehemaligen Kinderkrankenhauses von Dr. Günther. Das Haus wurde "Bethesda" genannt und finanzierte sich über Spenden. Elise Averdieck wurde zur Vorsteherin für das zu erbauende Krankenhaus gewählt, wurde Diakonissenmutter und bildete Schwestern aus. 1860 fand die Einsegnung der ersten Hamburger Diakonissin statt.
Zur Krankenpflege kam nun noch die Gemeindepflege hinzu. Im Jahre 1881 legte Elise Averdieck die Leitung der Anstalt aus Altersgründen nieder.
Text: Dr. Rita Bake

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Auguste_Jauch
Auguste Jauch geb. Stubbe
20.4.1822 Kiel - 4.1.1902 Hamburg
Wohltäterin
Grablage: Laut Wikipedia soll sie in der Jauchschen Familiengruft auf dem Hammer Friedhof bestattet sein. Das Grab ist nicht auffindbar
Auguste Jauch war die Tochter eines Uhrmachers. Im Alter von 26 Jahren heiratete sie den 18 Jahre älteren Hamburger Großbürger und Oberleutnant der Hanseatischen Kavallerie Moritz Jauch (1804-1876), Sohn eines Großkaufmannes. Das Paar bekam einen Sohn (Hermann, 1855-1916, Erbauer des Herrenhauses Schönhagen).
Auguste Jauch unternahm viele Reisen ins Ausland. Auf einer dieser Reisen, sie weilte damals in Istanbul, erhielt sie die Nachricht vom Tod ihres Ehemannes in Hamburg. Sie soll darauf telegraphisch übermittelt haben: "Beerdigt ihn würdig."
Nach dem Tod ihres Mannes im Jahre 1876 gründete Auguste Jauch aus dem großen Erbe ihres Mannes mehrere wohltätige Stiftungen, wobei der Schwerpunkt auf der Linderung der Not der armen Bevölkerung lag. Darüber hinaus gab sie der Inneren Mission große Geldbeträge.
1889 kaufte sie ein Stiftsgebäude in der Bürgerweide 59 für ihre: "Auguste-Jauch-Stiftung", eine Stiftung zur Vergabe von Freiwohnungen an bedürftige Witwen und zur Speisung armer Kinder. Außerdem wurde im dem Gebäude eine Suppenküche für Arme eingerichtet. Auguste Jauch verwaltete diese Stiftung bis zu ihrem Tode.
In Kiel ließ Auguste Jauch 1884 neben der Jakobikirche ein Damenstift für "gebildete, unverheiratete Damen" errichten.
1891 wandelte sie gemeinsam mit ihrem Sohn das Stammhaus der Familie Jauch am Stadtdeich 9 um in ein Heim "für alleinstehende, in ihrer Arbeitsfähigkeit beschränkte alte Männer aus der Arbeiterschaft". Die Männer erhielten hier freie Unterkunft und freie Kost. Ca. 21 alte Männer konnten aufgenommen werden.
Viele Familiengehörige setzten das wohltätige Wirken von Auguste Jauch in den Stiftungen fort.
Die Stiftsgebäude wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört, das Restvermögen ging in die Hamburger Stiftung Gast- und Krankenhaus über.
Neben ihrem wohltätigen Engagement widmete sich Auguste Jauch auch der Kunst. Sie besaß eine große Sammlung von Gemälden und Asiatica. Einzelne Institutionen bekamen von ihr daraus Einzelstücke gestiftet.
Quelle:
Vgl: Wikipedia: Auguste Jauch (abgerufen 8.1.2018)
Anna Lühring
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Quelle: http://www.fembio.org/biographie.php/frau/ biographie/anna-luehring/
3.8.1796 Bremen - 25.8.1866 Hamburg
Lützower Jäger, Heldenmädchen
Grablage: Lützower Jäger, Heldenmädchen
Namensgeberin für: Anna-Lühring-Weg, seit 1929 in Hamburg-Horn
Anna Lühring wurde als fünftes Kind eines Bremer Zimmermeisters geboren. Über die Mutter ist nichts bekannt. In der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1814 verließ sie in den Kleidern ihres Bruders ihr Elternhaus in der Bremer Brautstraße, um zu den Lützower Jägern zu gelangen, die vorher durch Bremen gezogen waren. Unter dem Namen Eduard Kruse trat sie als freiwilliger Jäger in das Lützower Korps ein und zog mit ihm in den Krieg. Was sie zu diesem Schritt bewogen hatte, ist nicht eindeutig zu ermitteln. Vielleicht waren es die verklärten Vorstellungen vom Heldenruhm, die damals stark verbreitet waren. Vielleicht die Sehnsucht nach Abenteuer und Freiheit. Ihr Vater glaubte an ein Liebesverhältnis zu einem Soldaten, das seine Tochter dazu veranlasst hatte, sich in das Lützower Jägerkorps als Mann verkleidet einzuschleichen Niemand merkte, dass "Eduard Kruse" eine junge Frau war. Anna Lühring gab sich mutig und züchtig. Sie nahm an der Belagerung Jülichs teil, zog mit nach Frankreich. Auf dem Marsch gen Frankreich erreichte das Korps in Aachen ein Brief von Vater Lühring. Dadurch wurde die Identität des Jägers Kruse entdeckt. Doch das inständige Bitten Anna Lührings und ihr vorbildlicher Lebenswandel waren die ausschlaggebenden Kriterien, sie in der Kompanie zu belassen. Allerdings wurden ihre Kameraden nicht in das Geheimnis um den Soldaten Kruse eingeweiht,
nur der Hauptmann und der Kompaniechef wussten Bescheid. Als das Korps in Frankreich einmarschiert war, wurde am 8.4.1814 das Kriegsende verkündet. Die Lützower zogen nach Berlin zurück, wo sich das Korps auflöste. Dort, in Berlin, wurde Anna Lühring von Wilhelm von Preußen empfangen und von der Fürstin Radziwill ausgezeichnet und beschenkt. Vater Lühring jedoch wollte seine Tochter nicht zurückhaben. Er grollte ihr, hatte sie sich in seinen Augen doch zu unanständig verhalten. Der Hofrat und Schriftsteller Karl Gottlob Heun intervenierte beim Bremer Senator Johann Smidt. Der Bremer Senat versprach daraufhin, Anna Lühring gebührend zu ehren. Durch diese Zusage wurde auch Vater Lühring umgestimmt, und so kehrte Anna Lühring 1915 nach Bremen zurück. Der Einzug in Bremen war imposant, neben dem Wagen ritten ehemalige Lützower Jäger, an den Straßenrändern standen jubelnde Menschen. Doch schon bald wurde es wieder still um Anna Lühring. 1820 ging sie nach Hamburg, arbeitete dort in einem Geschäft für weibliche Industrieartikel, heiratete 1823 den Kellner Lucks und wurde 1832 Witwe. Sie lebte an der Horner Landstraße in äußerst bescheidenen Verhältnissen und versuchte sich mit Näharbeiten über Wasser zu halten. Manchmal erhielt sie auch private Spenden. Nachdem sich ehemalige Lützower Jäger für sie eingesetzt hatten, bekam sie ab 1860 von ihrer Mutterstadt Bremen eine regelmäßige kleine Pension. Anna Lühring wurde auf dem Kirchhof zu Hamm in Hamburg beigesetzt. 43 Jahre nach ihrem Tod erhielt die Grabstätte einen neuen Grabstein. Immer dann, wenn patriotische Gesinnung gefragt war, wurde sich Anna Lührings erinnert - so im Ersten Weltkrieg, als auch die weibliche Bevölkerung zu vaterländischen Taten aufgerufen wurde.
Text: Dr. Rita Bake

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Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Amalie_Sieveking
Amalie Sieveking
25.7.1794 Hamburg - 1.4.1859 Hamburg
Vorsteherin des Weiblichen Vereins für Armen- und Krankenpflege, gegr.: 1832.
Grablage: Familiengruft Sieveking auf kleinem Hügel
Namensgeberin für den Amalie-Sieveking-Weg, benannt 1957 in Hamburg Volksdorf und seit 2018 auch des Sievekingdamms

Amalie Sieveking war eine Senatorentochter und -enkelin. Die Eltern starben früh, hinterließen Amalie kein Vermögen. Nach dem Tod der Eltern wurde Amalie von ihren beiden Brüdern getrennt und kam zu Verwandten, wo sie den kranken Sohn des Hauses pflegen und durch Handarbeiten und deren Verkauf zu ihrem Lebensunterhalt beitragen musste. In diesem Haushalt wurde sie mit Religion und Frömmigkeit vertraut gemacht. Amalie Sievekings berufliche Laufbahn führte sie in die pädagogische Richtung. Sie beteiligte sich an der 1815 gegründeten Freischule für Mädchen und richtete selbst eigene Schulkurse ein. Durch sittliche und religiöse Erziehung wollte Amalie Sieveking die Mädchen zu tüchtigen Hausfrauen und Müttern erziehen.
"Umschreibend gestand sie sich im Tagebuch geheime Sehnsüchte ein, die glücklichste Erfüllung jeder Frau an der Seite eines geliebten Mannes zu erreichen. Später beteuerte sie, an Gelegenheit habe es ihr nicht gefehlt, es wird aber nicht klar, worin die Barriere bestand, ob in ihrem eckigen, schroffen Wesen und ihrer wenig charmanten Erscheinung oder in ihrer finanziellen Blöße? Darüber grübelte
Amalie Sieveking nicht weiter, sondern rang sich die Disziplin ab, je länger desto entschiedener das Faktum der Ehelosigkeit anzunehmen und es ins Positive zu wenden. Als sie mit sich darüber im Reinen war, bekannte sie sich nachdrücklich zu dem allgemein verspotteten und gewiss nicht erstrebenswerten sozialen Stand der ‚alten Jungfer'." [1] "Ihr Vetter Karl Sieveking, der die Liebe nicht erwiderte, blieb zeitlebens ihr Freund und Berater." [2]
Religiös wurde Amalie Sieveking durch Pastor Rautenberg und ihren Cousin Karl Sieveking in die Gemeinschaft der Erweckten (Erwecktenbewegung) eingeführt. "Die Elemente ihres ‚lebendigen' Glaubens waren Sünde, Buße, Versöhnung, Heilung, Erleuchtung. So sehr sich Amalie zur Gemeinschaft mit diesen Menschen hingezogen fühlte, so wach blieb ihre Kritik. Über die Erleuchtung schrieb sie: ‚Ist sie nicht nur der Schimmer einer trügerischen Aufklärung, die ihre Fackel nur gezündet am Licht der eigenen Vernunft ?'" [3]
Amalie Sievekings Hinwendung zur Armenpflege war die Folge ihrer Entscheidung, ehelos zu bleiben. So erwuchs der Plan, ähnlich den katholischen Frauenorden, eine Gemeinschaft von Protestantinnen zu gründen. Der Ausbruch der Cholera in Hamburg im Jahre 1831 gab den entscheidenden Ausschlag, auf dem Gebiet der tätigen Nächstenliebe zu arbeiten. Amalie Sieveking meldete sich als Pflegerin in der Cholera-Quarantäne des St. Ericus -Hospitals. Dort beließ sie es jedoch nicht beim Pflegen der Kranken, sondern machte sich sogleich an die Organisation des chaotischen Krankenhauswesens. Gleichzeitig entwarf sie die Statuten für einen zu gründenden Weiblichen Verein für Armen- und Krankenpflege. Armen, die unschuldig in Armut geraten waren, sollte geholfen werden. So genannte verwahrloste Arme erhielten keine Zuwendung.
Um sich über den Zustand der Armen ins Bild zu setzen, machte Amalie Sieveking als Vereinsvorsteherin - diese Position hatte sie 27 Jahre lang inne - den ersten Besuch bei der empfohlenen Armenfamilie.
Amalie Sievekings Helferinnen kamen aus dem gehobenen Bürgertum. Sie hatten genügend Zeit und auch die finanzielle Unabhängigkeit, sich unentgeltlich solch einer Tätigkeit zu widmen. Voraussetzung für die Aufnahme in den Kreis der Helferinnen war eine evangelische Glaubenshaltung und die Überzeugung, dass der Unterschied zwischen Arm und Reich gottgewollt sei. Arme sollten als Unmündige angesehen werden, denen durch Mitgefühl und Zuspruch geholfen werden sollte. Sie erhielten Naturalien, Kleidung, Haushaltungsgegenstände und es wurde ihnen Arbeit vermittelt. Finanzielle Unterstützung bekamen die Armen nur selten. Wer besonders fromm war, erhielt zusätzliche kleine Zuwendungen. "Die bestehende Kluft zwischen Armen und Reichen meinte sie [Amalie Sieveking] in persönlicher Zuwendung zu den Unterschichten überbrücken zu können, indem sie auf die Gleichheit aller Menschen vor Gott hinwies. Gleichwohl nahm sie ‚ihren' Armen gegenüber eine paternalistische Haltung ein, so wie sie auch den Verein für Armen- und Krankenpflege hierarchisch gliederte. Die ständisch verfasste Gesellschaftsordnung galt ihr als gottgewollt. Aus dieser sozialkonservativen Überzeugung heraus hielt sie alle demokratischen Ansätze und gar revolutionären Umstürze für friedensgefährdend." [4]
1840 gründete Amalie Sieveking ein Armenwohnstift, das Amalienstift, welches neun Wohnungen und ein Kinderkrankenhaus mit zwei Zimmern und vierzehn Betten enthielt. Die ehrenamtlichen Helferinnen kontrollierten die Stiftsbewohnerinnen und -bewohner. Hielten diese sich nicht an die strenge Hausordnung und besuchten z. B. nicht die täglichen Andachten, schickten ihre Kinder nicht regelmäßig zur Schule oder machten ihre Wohnung nicht genügend sauber, mussten sie mit Strafe rechnen.
"Das von ihr begründete Werk lebt bis heute fort in einer Stiftung, die ihren Namen trägt. Das Verwaltungsgebäude befindet sich in dem 1840 erbauten ‚Ersten Amalienstift' in der Stiftstraße 65. Hier und in drei weiteren benachbarten Häusern in St. Georg - Minenstraße 11, Alexanderstraße 28 und Brennerstraße 77 - wohnen 165 bedürftige Menschen zu den günstigen Bedingungen der Stiftung. (…) Die Trägerschaft lag bis 1978 beim ‚Weiblichen (Sievekingschen) Verein für Armen- und Krankenpflege' und ging dann auf die Nachfolgeeinrichtung, die ‚Amalie-Sieveking-Stiftung' über. Die Zweckbestimmung der Einrichtungen als Wohnstifte ist unter veränderten Zeitläuften erhalten geblieben.
Im Gedenken an die von Amalie Sieveking gegründete Krankenpflege ist auch das Krankenhaus in Volksdorf benannt worden," [5] schreibt die Historikerin Inge Grolle über Amalie Sieveking. Auch wird Amalie Sieveking mit einem Medaillon in der Rathausdiele geehrt.
Von der 1848 ausbrechenden bürgerlichen Revolution hielt Amalie Sieveking überhaupt nichts. Sie empfand es als völlig widersinnig, der Arbeiterschicht zu erklären, dass diese sich selbst aus ihrem Elend befreien solle. Demokratie bedeutete für Amalie Sieveking Anarchie.
Ebenso war Amalie Sieveking wenig begeistert von der sich im Zuge der bürgerlichen Revolution formierenden religiös-demokratischen Glaubensbewegung, die gegen Priesterherrschaft und engen Dogmatismus angingen. Diese Bewegung "erschien ihr in höchstem Maße verderblich. Denn die Anhänger beriefen sich auf eine Religion der Humanität, auf ein von traditionellen Dogmen gelöstes Christentum der Tat, das allein auf Mitmenschlichkeit im Hier und Jetzt baute und sich vehement gegen die Vertröstung auf ein ungewisses Jenseits richtete. (…) Mit Beklemmung beobachtete Amalie Sieveking, wie attraktiv für Frauen die deutsch-katholische Bewegung war. In deren Zukunftsentwürfen wurde der Weiblichkeit eine erlösende Funktion zugeschrieben; die Befreiung der Menschheit aus den Fesseln weltlicher und geistlicher Herrschaft sollte mit der Emanzipation des Weibes beginnen. In den neu gebildeten freikirchlichen Gemeinden erhielten Frauen volle Mitbestimmungsrechte.
Im Spätherbst 1846 entstand in Hamburg eine deutsch-katholische Gemeinde. Um ihr die Finanzierung eines Predigers und des Gottesdienstraums zu gewährleisten, bildeten Hamburger Frauen aus gutbürgerlichen Familien um Emilie Wüstenfeld und Bertha Traun einen Unterstützungsverein" [6]
Amalie Sieveking verurteilte u. a. Bertha Trauns und Emilie Wüstenfelds Einstellung zur Ehe. Dass Bertha Traun sich scheiden ließ und Emilie Wüstenfeld diesen Schritt guthieß, sogar selbst Scheidungsabsichten hegte, stieß nicht nur bei Amalie Sieveking auf heftige Kritik.
Amalie Sievekings Armenverein wurde zu einer festen Institution der hamburgischen Armenpflege und von den wohlhabenden Bürgern Hamburgs mit reichen Spenden bedacht. Viele Städte in Deutschland und im Ausland gründeten ähnliche Vereine.
Text: Dr. Rita Bake
Quellen:
1 Ulrich Heidenreich, Inge Grolle: Wegbereiter der Diakonie. Johann Wilhelm Rautenberg, Amalie Sieveking. O. O. 2005, S. 72. (Hamburgische Lebensbilder in Darstellungen und Selbstzeugnissen. Hrsg. vom Verein für Hamburgische Geschichte, Bd. 18.)
2 A. a. O., S. 82.
3 A. a. O., S. 80.
4 A. a. O., S. 66.
5 A. a. O., S. 64.
6 A. a. O, S. 115ff.
Vgl. auch: Inge Grolle: "Auch Frauen sind zulässig". Die Frauensäule in der Hamburger Rathaus diele, in: Rita Bake, Birgit Kiupel: Auf den zweiten Blick. Streifzüge durch das Hamburger Rathaus. Hamburg 1997.
Amanda Wichern, geb. Böhme
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Quelle: https://www.wichernhaus.com/de/page/ 5143366681493504/Die+Namensgeberin
12.9.1810 Hamburg - 7.5.1888 Hamburg
Leitende Mitarbeiterin ihres Mannes Johann Heinrich Wichern
Grablage: Ihr Grabstein steht rechts neben dem ihres Mannes. Der Grabstein ihrer Schwiegermutter Caroline Wichern steht links neben dem ihres Sohnes. Damit ist der Grabstein von Johann Heinrich Wichern rechts und links flankiert von den Grabsteinen seiner Ehefrau und seiner Mutter
Namensgeberin für: Wichernsweg
Nachdem Johann Heinrich Wichern 1833 mit seiner Mutter und seiner Schwester ins Rauhe Haus gezogen war, die ersten zwölf Jungen hier untergebracht worden waren und ein Jahr später bereits ein weiteres Haus gebaut worden war, wurden ab 1835 auch Mädchen im Rauhen Haus aufgenommen. Im selben Jahr verlobte sich Johann Heinrich Wichern mit der Sonntagsschullehrerin Amanda Böhme. Er hatte die junge Frau in der Sonntagsschule von Pastor Rautenberg, wo sie als Sonntagsschullehrerin tätig war, kennen und lieben gelernt.
Amanda Böhme, geboren am 12. September 1810 in Hamburg, hatte mit ihren Eltern - ihr Vater war Direktor der hamburgischen Feuerversicherungskasse - und Geschwistern am Besenbinderhof gewohnt. Als Amanda dreizehn Jahre alt war, starb ihre Mutter. Amanda, dunkelhaarig und klein von Statur, sanftmütig und gelassen, übernahm die Erziehung ihrer jüngeren Geschwister - und damit war der Grundstock für ihre weitere Lebenslaufbahn gelegt.
Im Rauhen Haus wohnte das junge Paar mit Wicherns Mutter Caroline im Mutterhaus. Amanda ging der Schwiegermutter bei der Haushaltsführung zur Hand und wollte es der Schwiegermutter recht machen. Doch es gab Konflikte und so manche heimlich vergossene Träne, bis der Gatte es eines Tages bemerkte und eine Aussprache mit seiner Mutter führte. Danach übergab er seiner Frau einen Teil seiner Geldgeschäfte und stellte für die Hilfe im Haushalt eine Küchen- und eine Wäschefrau ein. Damit schien der Konflikt zwischen Schwiegertochter und Schwiegermutter bereinigt gewesen zu sein.
1836 kam Amanda Wicherns erstes Kind zur Welt. Dazu gesellten sich im Laufe der nächsten Jahre noch weitere acht Kinder. Ein Kind starb bereits im Kindesalter, ein weiteres wurde im Alter von 22 Jahren als Soldat im Krieg getötet.
Die Arbeit im Rauhen Haus reichte Wichern nicht, er wollte solche "Werke rettender Liebe" in ganz Deutschland anregen. Deshalb unternahm er viele Vortragsreisen.
Während Johann Hinrich Wichern auf Reisen war, übernahm seine Ehefrau die vielfältigen administrativen Arbeiten für den Geschäftsbetrieb des Rauhen Hauses. Sie war nicht nur - obwohl auch dies schon erheblich war - Mutter und Hausfrau, sie war auch Verwalterin und Managerin des Rauhen Hauses und leitete das Haus in Abwesenheit ihres Mannes. Auch war sie für die im Rauhen Haus aufgenommenen Mädchen und deren Arbeitsgebiete zuständig.
Zum Rollenverständnis zwischen Mann und Frau äußerte sich Johann Hinrich Wichern wie folgt: "Mutter zu sein, ist der erste Beruf einer Frau. Ihr Wirkungskreis ist das Haus. Als Organ, als Diakon Gottes, dient sie dem Tisch, wie der Mann dem Worte dient. Der Dienst bei Tische ist dem Dienst des Mannes am Wort nicht untergeordnet, sondern nebengeordnet. Über diese Trennung jedoch darf kein Zweifel bestehen.
Die Frau hat sich nicht in den lärmenden Streit der Männer zu mischen, und in der Kirche hat sie zu schweigen. Mann und Frau gehören zueinander wie die Räder einer Achse. Sie helfen sich gegenseitig, fortzukommen. Ich bin der Außenminister des Rauhen Hauses und Du der Finanzminister."
1856 waren Amanda Wichern und zwei ihrer Töchter ihrem Mann nach Berlin gefolgt, wo er sich um das Gefängniswesen kümmerte. Die anderen Kinder waren entweder in einem Internat untergebracht, absolvierten eine Lehre oder lebten bei der Großmutter, um in Hamburg weiterhin zur Schule gehen zu können.
Im Laufe der Jahre bekam Johann Hinrich Wichern mehrere Schlaganfälle, seinen ersten 1866. Nach seinem zweiten Schlaganfall 1871 wurde er vom Staatsdienst beurlaubt, und das Ehepaar Wichern kehrte ganz nach Hamburg ins Rauhe Haus zurück. Wichern begann an Depressionen zu leiden. Sieben Jahre bis zu seinem Tod pflegte Amanda aufopferungsvoll ihren Mann. Am 7. April 1881 wurde die Achtzigjährige Witwe. Fünf Jahre später erblindete sie und starb zwei Jahre darauf am 7. Mai 1888.

Seit 1890 gibt es im Hamburger Stadtteil Hamm-Mitte den Wichernsweg , benannt nach dem Theologen Johann Heinrich Wichern, ergänzt 2001/2002 um die ebenso bedeutende Ehefrau Amanda Wichern. Neuer Erläuterungstext: "benannt nach dem Ehepaar Johann Heinrich W. (1808-1881), Theologe, Gründer des Rauhen Hauses, und Amanda W. (1810-1888), Leitende Mitarbeiterin ihres Mannes."
Text: Rita Bake

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Caroline Wichern
13.9.1836 Hamburg-Horn - 19.03.1906 Hamburg-Horn),
(Quelle: Lexikon der Frau. Zürich 1956, S. 1631.)
Dirigentin, Gesangspädagogin, Komponistin
Grablage: Ihr Grabstein liegt auf der Familiengrabstätte Wichern zu Füßen des Grabsteins ihres Vaters Johann Heinrich Wichern
Tochter von Amanda Wichern und dem Begründer des Rauhen Hauses Johann Heinrich Wichern. Leitete von 1860 bis 1880 den Männer- und Knabenchor des Rauhen Hauses, von 1881-1896 Gesangslehrerin in Manchester, danach zurück in Hamburg, wo sie im Rauhen Haus als Dirigentin tätig war. 1900 dirigierte sie in Hamburg ein Orchesterkonzert mit eigenen Kompositionen. Sie gab Liedersammlungen heraus, bearbeitete wallische Volksweisen, komponierte Lieder, Gesänge, Klaviermusik.
Öjendorfer Friedhof
Gerda Aldermann, geb. Ewe
Foto: Privat
6.10.1927 Magdeburg - 7.10.2020 Hamburg
Gewerkschafterin, ehrenamtlich tätig in mehreren Organisationen
Anonym bestattet auf dem Öjendorfer Friedhof
Nach dem Realschulabschluss 1942 besuchte Gerda Aldermann die Höhere Töchterschule bei Fr. Dr. Krausnick in Bad Harzburg. 1945, so schreibt Gerda Aldermann in ihrem Lebenslauf, wurde sie mit ihren Angehörigen aus ihrem Haus auf dem Fliegerhorst in Zerbst, Sachsen-Anhalt vertrieben. Zwischen 1946 und 1948 arbeitete sie bei der Schutzpolizei in Magdeburg als Oberwachtmeisterin der Verkehrspolizei. Von Juli 1948 bis Juni 1949 musste sie dann Zwangsarbeit bei der Wismuth AG, einem Bergbauunternehmen im Übertageabschnitt Affonin, Aue/Erzgebirge leisten.
Am 19. Juni 1949 glückte die Flucht nach Westberlin. Gerda Aldermann wurde als politischer Flüchtling anerkannt.
1950 wurde der Sohn Martin geboren. Gerda Aldermann war nun alleinerziehende Mutter und leistete damals als Schichtschreiberin des Senats von Westberlin Notstandsarbeit auf Trümmergrundstücken. Danach war sie zwischen 1950 und 1961 in der Damenoberbekleidungskonfektion tätig und von 1962 bis 1973 z. B. bei Bayer-Leverkusen und bei Ara-Schuhe Wermelskirchen.
Dann kam sie nach Hamburg und arbeitete zwischen 1974 und 1987 als Versicherungsangestellte bei der Hamburg-Mannheimer Versicherung. Sie wurde Mitglied der DAG, Vertrauensfrau und Betriebsratsmitglied.
Auch frauenpolitisch engagierte sich Gerda Aldermann. So fungierte sie seit 1987 im Landesfrauenrat Hamburg viele Jahre als Delegierte für die DAG und den Deutschen-Staatsbürgerinnen-Verband. Für ihr langjähriges Engagement für Frauen- und Gleichstellungspolitik erhielt sie 1998 den Zitronenjette Preis durch den Landesfrauenrat Hamburg und die Messe "Du und Deine Welt" verliehen.
Gerda Aldermann wurde auch die "Hausphotographin" des Landesfrauenrates. Viele Jahre photographierte sie die vom Landesfrauenrat durchgeführten Veranstaltungen, so auch seine Aktivitäten auf der Messe "Du und Deine Welt" und wurde damit eine stetige und zuverlässlige Bild-Dokumentarin des Landesfrauenrates. In dieser Funktion war sie u. a. auch für den Verein Garten der Frauen, den Staatsbürgerinnen-Verband, die Landeszentrale für politische Bildung und das Senatsamt für die Gleichstellung treu und engagiert tätig. Gab man ihr dafür einen kleinen Obolus für ihre entstandenen Auslagen, dann bedankte sie sich dafür wiederum mit Blumensträußen.
Aber nicht nur als Photographin dieser Institutionen war Gerda Aldermann ehrenamtlich aktiv, sie engagierte sich auch noch auf ganz anderen Gebieten, worüber sie aber kaum mit anderen sprach. In einem Interview mit dem Landfrauenververband beschrieb sie ihre Motivation: "Menschen zu helfen, die krank, hilfsbedürftig und allein sind, war und ist mir stets ein wichtiges Anliegen. Denn mein eigenes Leben war nicht immer einfach." Gerda Aldermann war seit 1975 im Malteser Hilfsdienst tätig, ließ sich 1975 zur Schwesternhelferin ausbilden, um Menschen mit Behinderung, Kranke und alte Menschen zu betreuen. Damals gab es noch keine ambulanten Pflegedienste.
Auch im Schneewinter 1978/79, als der Schneenotstand im Norden ausgebrochen war, sprang Gerda Aldermnann helfend - neben ihrer Berufsarbeit - ein. In der Malteser-Dienststelle Timmendorfer Strand kochte sie Tee und Erbsensuppe für die Helferinnen und Helfer sowie für die vom Schneenotstand Betroffenen.
Aber damit nicht genug: 1979 absolvierte Gerda Aldermann eine Ausbildung als Helferin am Unfallort und versorgte Unfallopfer an der B 404 bei Nütschau. Dazu Gerda Aldermann: "Manchmal, wenn ich erschöpft war, dachte ich an das dankbare Lächeln der Betroffenen, an ihren bedeutungsvollen Händedruck - und dann ging es mir wieder gut."
Trotz ihrer Berufstätigkeit ließ sie sich als Schwesternhelferin beim Tennis am Rotherbaum, beim Horner Derby, beim Alstervergnügen und beim Hafengeburtstag einsetzen.
Nach einer im Jahr 1980 erfolgten weiteren Ausbildung, diesmal zur Hilfsköchin war Gerda Aldermann z. B. zwischen 1978 und 1982 beim Volkslauf in Travemünde tätig, kochte Tee für die Läuferinnen und Läufer und Erbsensuppe für die Helferinnen und Helfer. Kocheinsätze hatte sie auch bei Volks- und Straßenfesten in Hamburg und im Raum Schleswig-Holstein. Damit waren ihre Wochenenden stets ausgefüllt. In der Woche betreute sie dann nach der Erwerbsarbeit noch Kranke, alte Menschen und Menschen mit Behinderung. So begleitete sie z. B. Menschen mit Behinderung nach Münster zum Papstbesuch und auf Tagesfahrten. Daneben fungierte sie auch noch als Helferinnen-Vertreterin im Vorstand des Malteser Hilfsdienstes, betreute die Schwesternhelferinnen und absolvierte 1982 noch eine Ausbildung zur Altenpflegerin im Marienkrankenhaus.
Immer wieder nahm Gerda Aldermann an Fort- und Weiterbildungen teil und nahm dafür oft ihren ganzen Jahresurlaub.
1989, als Gerda Aldermann 62 Jahre alt war, erweiterte sich ihr ehrenamtliches Aufgabengebiet und es begann ihre Arbeit im Volksdorfer Malteser-Hospiz. Dazu Gerda Aldermann: "Meine Aufgaben: Lebens-, Sterbe- und Trauerbegleitung. Die Aufgabe erfüllt mich. Sterbende Menschen an eine zuversichtliche Hand zu nehmen, ihren ausgesprochenen Gedanken zuzuhören und ihnen die Angst vor dem Alleingelassensein zu nehmen, ist für mich Menschenpflicht, die man verantwortungsvoll wahrnehmen muss."
1999, im Alter von 72 Jahren, übernahm Gerda Aldermann weitere Arbeiten in der Patientinnen- und Patientenbetreuung. "Ich betreue Menschen, die unter der Alzheimer Krankheit leiden. Nachdem ich meine anfänglichen Bedenken überwunden und Angstgefühle beiseitegestellt habe, erfahre ich viel Freude, Liebe und Anerkennung. Ehrenamtliche Arbeit für Menschen, die krank, sterbend und allein sind, wird immer wichtiger. Es wird wieder Zeit, dass wir Zeit füreinander haben, besonders für diejenigen, denen nicht mehr viel Zeit verbleibt. Zeit schenken, ein gutes Wort sagen und Berührung …. das sind die wichtigen Dinge des Lebens!"
Gerda Aldermann lebte bis fast zuletzt in ihrer Wohnung. Nur die letzten Lebensmonate verbrachte sie in einem Alten- und Pflegeheim.
Text: Rita Bake
Quellen:
Selbst verfasster Lebenslauf von Gerda Aldermann.
Bericht über Gerda Aldermann in der Vereinszeitschrift des Landfrauenverbandes Hamburg e. V., Dezember 2000.

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Leonore Gottschalk-Solger, geb. Swoboda, später umbenannt in Solger
7.10.1936 Dittersdorf/Kr. Neustadt, Oberschlesien, heute Lkr. Opole/Polen - 31.10.2016 Hamburg
Star-Anwältin, Strafverteidigerin
Grablage: 402-03-111; Qu: 6
Was steckt dahinter? Dieser Titel des Hamburger Verzeichnisses der nach Frauen benannten Straßen von Dr. Rita Bake könnte Leonore Gottschalk-Solger als Lebensmotto gedient haben. Als Leonore Swoboda wurde sie 1936 in Dittersdorf, im damaligen Oberschlesien geboren. "Die Eltern Gabriele (geborene Hanke) und Viktor trugen den slawischen Namen (Swoboda heißt auf polnisch = Freiheit, Unabhängigkeit, CG.), den sie später, als der Vater Offizier und in den Krieg eingezogen wurde, in den deutschen Namen Solger umwandeln ließen. Leonore kam als zweites von vier Kindern
zur Welt. Die Familie lebte in einem Teil der Schule, in der der Vater Lehrer und Schulleiter war. Er beherrschte mehrere Fremdsprachen und hatte Geschichte studiert". Die Mutter kümmerte sich unter anderem um den großen Garten und konnte gut nähen und fabelhaft kochen. Die Swobodas beschäftigten ein Hausmädchen, das sich mit um die Kinder und den Haushalt kümmerte. Es gab eine Tante, deren Mann ein großes Fotoatelier in Schlesien betrieb und auch Kunstfotos machte. (Informationen und Zitat aus Qu: [1], S. 46). Ein Schwager des Vaters war Arzt und lebte in der Nähe von Kattowicz in einem schlossähnlichen Haus mit Türmchen. Eine Tante väterlicherseits war mit einem adligen, sehr reichen ehemaligen Offizier verheiratet. "Am Kriegsende wurden dem ehemaligen Offizier durch Fremdarbeiter, die er angestellt hatte, sämtliche Orden entrissen, was ihn so sehr verstörte, dass er nicht mehr leben wollte." Er beging er erweiterten Suizid und erschoss zuerst seine Frau und dann sich. Leonores Mutter hatte dies, trotz intensiver Bemühungen, nicht verhindern können.
Zu Anfang des 2. Weltkrieges gehörte Leonores Vater zu den ersten, die eingezogen wurden - als Soldat nach Russland. Leonore besuchte von 1942 bis 1944 die Volksschule in Dittersdorf, wuchs in Wohlstand und behütet auf. Auf der Flucht gen Westen, gemeinsam mit ihrer schwerkranken Mutter und ihren Geschwistern, hatte sie bedrohliche, erschütternde Erlebnisse. Diese grauenhaften Bilder haben mich nie losgelassen" (Qu. [1], S. 47 - 50).
Von Schlesien kam die Familie in den Ort Kirchweilheim, Bezirk Bremen. Nach seiner Rückkehr wurde der Vater zunächst Leiter einer Schulbibliothek. Die unternehmungslustige und eigensinnige Leonore entwickelte sich zu einer Leseratte mit minutiösem Gedächtnis. Sie ging auf die Mädchenoberschule in Verden/Aller und bestand ihr Abitur an der Jungen-Oberschule in Bremen-Walle, die auch ihr älterer Bruder besuchte.
Schon als Schülerin war sie mit einer Freundin - teils heimlich - getrampt, nach Paris, Spanien, Italien. Sie interessierte sich für Kunst und wollte Malerin werden. Der Hinweis ihres Vaters, als Frau bräuchte sie nicht zu studieren, stachelte sie an. Einige ihrer Schulkameraden entschieden sich für das Jurastudium. Auch Leonore interessierte sich dafür, obwohl sie ursprünglich Künstlerin werden wollte. Damals war sie eine der wenigen Frauen, die sich ab 1957 an dieser Fakultät einschrieben. Sie studierte in Hamburg und Heidelberg. Als einzige ihres Jahrgangs schaffte sie beide Examina und übte den Beruf später tatsächlich aus, während die anderen Frauen sich ins Familienleben zurückzogen. Mit Jobs, die zeitig am Morgen vor Beginn der Vorlesungen begannen ("ich habe überall gearbeitet, wo man mich ließ", 1, S. 58) , verdiente sie sich ein Zubrot, um sich Extras zu leisten, wie z.B. einen Motorroller. Zuerst wohnte sie zur Untermiete in Kirchdorf, zog dann ins Univiertel. "Als Leonore eine Zeitlang im Statistischen Bundesamt in Bremen jobbte, erfuhr sie, wer alles vorbestraft war, Leute, von denen sie niemals gedacht hätte, Prominente." Die Erfahrungen aus ihren Studi-Jobs haben sie "sehr geprägt. ‚Als ich auf einem Schiff arbeitete, begegnete ich den Hafenarbeitern, die täglich viele Stunden lang schwer schufteten. Ich begriff, dass man von ihnen nicht erwarten konnte, dass sie abends Bücher von Nietzsche lasen.'" Deshalb erbosten sie sich auch später im Beruf verwöhnte Kommilitonen, "die noch bei ihren Müttern wohnten, brave Söhne waren, in Hamburger Clubs gingen" und später als Staatsanwälte auf Menschen herabschauten, "die ein einfacheres oder härteres Leben" hatten (vgl. Qu. [1], S. 59). Gutes Geld verdiente die Studentin Leonore auch mit dem Malen von unsignierten Kopien bekannter Motive in Öl. Viel Zeit gönnte sie ihren künstlerischen Interessen und hielt sich gern in Worpswede auf. [2]
Während des ersten Staatsexamens verliebte sie sich in ihren ersten Mann Klaus Mosel.
Sie arbeitete in dieser Zeit bei der Allianz-Versicherung. In der Abteilung "Todesfälle" lernte sie viel für ihre zukünftige Arbeit. Im Referendariat erhielt sie sofort dramatische Kriminalfälle bei Staatsanwalt Dr. Wiegand. Und sie erfuhr auch von Ungerechtigkeiten vor Gericht ( [1], S. 69/70). In Hamburg gab es eine einzige Anwältin, die sich auf Strafrecht spezialisiert hatte: Tosca Genzmer. "Ich lernte und arbeitete bei ihr und musste unter anderem Mandanten in Gefängnissen aufsuchen.(...) Auch Vertreter der Presse hatten immer gern mit ihr zu tun, denn sie war, wie ihre Mentorin Tosca Genzmer, eine bemerkenswerte Erscheinung in Strafprozessen und deshalb attraktiver zu fotografieren" ( [1], S. 74). Sie arbeitete kurzfristig auch beim Seeamt und wäre gern Seerechtlerin geworden, doch ohne Kapitänspatent hätte sie lediglich ihren Kollegen zuarbeiten dürfen.
Nachdem sie ein Jahr lang in einer Kanzlei angestellt war, machte sie sich als Strafverteidigerin selbstständig und bezog ihr erstes Büro in Öjendorf ( [1], S. 77). Eine weitere starke Seite hatte sich in den Examina offenbart: Sie behielt einen klaren Kopf in Prüfungssituationen. Ergänzt durch ihr fotografisches Gedächtnis, ihren ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, eine gehörige Portion Zähigkeit gepaart mit einfühlsamer Toleranz, zeichnete sich ihr ungewöhnlich erfolgreicher beruflicher Aufstieg ab.
Im "verflixten siebten Jahr" ihrer Ehe trennten sich die Wege. Ihr Unzufriedensein mit dem mangelnden Ehrgeiz ihres Gatten ermutigte diesen dazu, in Rekordzeit ein Jurastudium zu beenden und auch Anwalt zu werden. In der zweiten Ehe mit dem Anwalt Peter Gottschalk wurde 1970 der Son Ilja geboren. Bis zu ihrem Tod lebte sie mit ihrem dritten Ehemann, Laid Frej, in Winterhude. Leonore Gottschalk-Solger hat zwei Kinder: Tochter Katharina Mosel aus erster Ehe ist Anwältin für Erb- und Familienrecht (Kanzlei Linden & Mosel, Köln). Sohn Ilja Gottschalk aus zweiter Ehe ist Geschäftsführer eines Pharma-Vertriebs (gmd-service).
In einer Ära, in der spektakuläre Verbrechen und Strafverfahren von den Printmedien sowie dem Fernsehen ausführlich aufgegriffen und darüber berichtet wurde, wirkte die zierliche, blonde Frau - stets hochwertig, auffallend gekleidet, die im Porsche vorfuhr - ausgesprochen exotisch. Mit ihrer Devise: Ich will vor allem ein faires Verfahren für Alle und wegen ihres zunehmenden Erfolges, war sie bald der Geheimtipp für "besondere Fälle". Darunter befanden sich: "Der Anlageberater Jürgen Harksen, der viele Menschen um ihr Geld brachte. Gerhard Müller, Baader-Meinhof-Kronzeuge. Lutz R., 'Säuremörder von Rahlstedt', der zwei Frauen tagelang gefoltert und in Salzsäure aufgelöst hat. Der Terrorverdächtige Hamadi. Mafiosi. Zuhälter. Vergewaltiger. Drogenbosse. Leonore Gottschalk-Solger hat sie alle verteidigt", so schrieb das Hamburger Abendblatt in einem Porträt [3].
Als Leonore Gottschalk-Solger 2009 ihr Buch mit dem Titel "Die Strafverteidigerin" herausbrachte, schrieb die Presse: "Die 71 Jahre alte Strafverteidigerin mit Gemeinschaftskanzlei an den Colonnaden ist Deutschlands wohl bekannteste Anwältin. Sie sieht sich als Fürsprecherin. "Jeder hat das Recht auf einen fairen Prozess." Seit 40 Jahren vertritt Gottschalk-Solger die härtesten Verbrecher. Jetzt hat sie ein Buch mit ihren interessantesten Fällen herausgebracht ("Die Strafverteidigerin" (…).
In ihrem Büro knallrote Boxhandschuhe neben dem Schreibtisch. Aus Spaß. Denn lachen kann Frau Gottschalk-Solger viel und herzlich. Überhaupt, wer sich klischeehaft eine harte Frau vorstellt, liegt falsch. Leonore Gottschalk-Solger ist Mensch geblieben. Trotz der Abgründe der menschlichen Seele, in die sie oft geblickt hat. "In meinem Beruf muss man Menschen mögen. Für alle da sein. Versuchen zu ergründen, was geschehen ist. Egal, ob jemand reich, mittellos oder ein armes Schwein ist. Man muss helfen wollen", sagt die Frau, die oft mitten in der Nacht von Mandanten angerufen wird, weil sie in Schwierigkeiten stecken. Dann fährt sie los, immer allein. ‚Ich kann genau sagen, auf welcher Polizeiwache es den besten Kaffee gibt.' Eines hat sie im Laufe der Jahrzehnte gelernt. ‚Ich bin der festen Überzeugung, dass fast jeder einen Mord begehen kann. Es ist eine Glücksfrage, ob man gut durchs Leben kommt.'
Dabei ist diese Frau selbst oft genug in Gefahr. Als sie den RAF-Terroristen verteidigte, stand sie mit ihrer ganzen Familie ein halbes Jahr lang unter Polizeischutz. Sie entging nur knapp dem Tod, als sie in den 90er-Jahren Dieter D. vertrat, der seine Freundin auf deren eigenes Verlangen hin getötet hatte. Nach der Urteilsverkündung erstach ein Bekannter des Opfers den Angeklagten im Gerichtssaal. "Es hätte genauso gut mich treffen können. Der Mann hat mich gehasst", sagt die gebürtige Schlesierin. Solche Ängste schiebt sie weg. ‚Das darf man nicht zulassen', so die Mutter zweier erwachsener Kinder. Trotzdem ist die Verteidigerin gegen mögliche Angriffe gewappnet. ‚Ich gehe nie ohne Waffe aus dem Haus.' Sie ist Mitwisserin brisanter Interna in Mafia- und Drogenkreisen. ‚Wenn ich das Buch So war es wirklich geschrieben hätte, wäre ich längst tot', sagt sie.
So viel Einsatz kann nur bringen, wer in seinem Beruf aufgeht. Ihre Tochter Katharina Mosel, ebenfalls Anwältin, soll früher gesagt haben: "Ich muss wohl erst einen Mord begehen, um dich mal zu sehen." So selten war Mama zu Hause. Ihre beiden ersten Ehen sind gescheitert: "Für viele Männer ist es schwierig, mit einer erfolgreichen Frau zu leben." Gerade hatte sie sich mit dem Gedanken angefreundet, Single zu sein, da traf sie ihren heutigen Ehemann. Laid Frej ist 19 Jahre jünger, die Liebe ihres Lebens. "Er stand mir sehr zur Seite, als ich schwer an Krebs erkrankte. Er ist beliebt bei allen, würde jedem helfen." Wie seine Frau." [3]
In der Regel traten ihr die Mandanten nicht gegenüber und gaben die Tat zu. Viele verdrängten, was sie getan hatten. Erst spät erkannte die idealistische Frau, dass aus schwarzen Schafen nicht immer weiße Lämmer werden. Mit toleranter Unterstützung ihrer Mutter und ihrer Familie ließ sie auch Straftäter bei sich zu Hause wohnen, in der Hoffnung, ihre Tochter, ihr Sohn könnten ihnen den Weg in eine bessere Einsicht ebnen. Durch Mitgefühl, nicht Mitleid, versuchte sie den Menschen hinter der Tat auszumachen. Auch deshalb hatte sie im Nebenfach Soziologie gewählt. Als die Strafverteidigerin Petra Winderl nach 30 eigenen Berufsjahren 1990 noch ein Praktikum bei Leonore Gottschalk-Solger machte, erkannte sie, dass diese Frau ihr im Gefängnis schon vor 20 Jahren begegnet war, "im schicken Nerzmantel und Stiefeln, mit einem dunkelroten Aktenkoffer - eine Diva". In den zahlreichen gravierenden Fällen von brutalen Tötungsdelikten und aus dem Sexualstrafrecht dachten und fragten viele: Welch ein furchtbarer Mann! Wie kann man den verteidigen?' Doch Leonore Gottschalk-Solger dachte "niemals so, das hat mich sehr beeindruckt." Sie sah den Menschen dahinter, nicht das "Monster", wollte alle Tragödien ans Tageslicht befördern ( [1], S. 161 f.). So gründete sie die Vereinigung Zuflucht e.V. gemeinsam mit Joachim Ziegenrücker (1912 - 2008), von 1963 bis 1980 Direktor der Evangelischen Akademie in Hamburg, und dem früheren Stern-Redakteur Günther Schwarberg, der immer wieder große Reportagen über die Strafverteidigerin schrieb. Ein Drittel ihrer Arbeit widmete Leonore Gottschalk-Solger "den Menschen, die juristische Hilfe benötigen, weil sie zu Unrecht in Psychiatrien oder Haftanstalten einsaßen, und um die sich keiner mehr kümmerte" ( [1], S. 108).
Gern und oft war sie zu Gast in Talkshows, auf Bällen, Partys, Empfängen. Zeitlebens war sie sportbegeistert, ließ sich in der Kunst des Fechtens unterrichten, schwärmte für den FC St. Pauli und fürs Boxen. Lange vor dem Siegeszug der Gerichtsshows wirkte sie in der Lifesendung "Das Fernsehgericht tagt" im ZDF mit. Ein besonders gruseliger Fall, der des "Säuremörders Lutz R.", wurde mit ihrer Beratung - noch während der Prozess lief - vom WDR als Thriller mit dem Titel "Angst hat eine kalte Hand" verfilmt. In den Hauptrollen spielten Cornelia Froboess, Katja Riemann und Udo Samel ( [1], S. 191 sowie [4]).
Mit 80 Jahren verstarb die "Star-Anwältin" nach schwerer Krankheit. Noch Anfang der 1990er Jahre war sie zwischen Bestrahlungen im UKE und als Verteidigerin in dem mysteriösen Indizienprozess "Mord ohne Leiche" in Lübeck hin- und hergependelt ( [1], s. 162). Die Trauerfeier fand am 11. November 2016 auf dem Öjendorfer Friedhof statt [5].
Text: Dr. Cornelia Göksu
Anmerkungen/ Quellen:
1 Leonore Gottschalk-Solger mit Anke Gebert: Die Strafverteidigerin. Erinnerungen. Reinbek bei Hamburg, 2009. Dieses autobiografische Kompendium fasst Erinnerungen von Frau Gottschalk-Solger an spektakuläre Straffälle zusammen. Dazwischen gesetzt sind Erinnerungsbausteine von Menschen aus dem beruflichen und privaten Umfeld. So etwa die Bild-Reporterin Anja Wieberneit, ihrem Bruder Johannes Solger, ihren Kindern Katharina und Ilja. Aber auch von Ursula Caberta, langjährige Leiterin Arbeitsstelle Scientoloy Hamburg, der Krimiautorin Petra Oelker, Hilmar Zschach, Gerichtsreporter NDR, Petra Winderl, Strafverteidigerin, oder Jürgen Harksen, dem Hochstapler, den sie erfolgreich verteidigt hatte. Historische Fotos runden das Mosaik ab. Diese Quelle dient hauptsächlich als Hintergrund für die vorgelegte Kurzbiografie. CG
2 "Jeder von uns könnte zum Mörder werden". Mit einer der berühmtesten Strafverteidigerinnen Deutschland - Leonore Gottschalk-Solger - sprach Christa Schaffmann:. In: Berliner Zeitung v. 1.7.1995. Vgl. online unter www.berliner-zeitung.de
3 Sabine Sautter: Star-Verteidigerin Leonore Gottschalk-Solger: "Ich trage immer eine Waffe bei mir". In: Hamburger Abendblatt, Ressort "Hamburg persönlich" v. 3.5.2009
4 "Angst hat eine kalte Hand". Kurzvorschau in: Der Spiegel 14 v. 1.4.1996, Rubrik "Fernsehen". Online Version unter www.spiegel.de/spiegel/print/d-9259849.html. Angekündigt als "ein feministischer Thriller ohne Sprüche".
5 "Tod mit 80 Jahren. Trauer um Staranwältin Leonore Gottschalk-Solger". In: Hamburger Abendblatt v. 5.11.2016
6 Freundliche Information von Herrn Olaf Leguttky, Geschäftszimmer Öjendorf - Hamburger Friedhöfe, E-Mail v. 10. Juli 2017 an die Verfasserin.
Margrit Kahl
(16.1.1942 Hamburg - 6.1.2009 Hamburg)
Konzept- und Prozesskünstlerin
Grabstelle: 318-08-554
Lerchenfeld 2, Studium an der Hochschule für bildende Künste HfbK (Wirkungsstätte ) Bornplatz zwischen Grindelhof und Joseph-Carlebach-Platz (Mosaik der ehemaligen Bornplatzsynagoge) (Wirkungsstätte, künstlerisches Schaffen) Künstlerhaus Sootbörn 22, Hamburg Niendorf (Nachlass)

Von 1968 bis 1975 studierte Margrit Kahl an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Ihre Lehrer waren Gustav Seitz für Bildhauerei und Franz Erhard Walther, Bildhauer, Prozess- und Installationskünstler. Ein DAAD-Stipendium ermöglichte ihr 1973 bis 1974 einen Arbeits- und Studienaufenthalt in Warschau.
In Hamburg gründete Kahl 1975 gemeinsam mit Berufskollegen die Künstlerinitiative "Galerie vor Ort". 1982 erhielt sie von der Hamburger Kulturbehörde ein Arbeitsstipendium. In den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts beteiligte sie sich an zahlreichen Ausstellungen. Eine Reihe von Einzelausstellungen vorwiegend in Hamburg, aber auch in Polen und Schweden waren ihr ebenfalls gewidmet.
Mitte der 1980er-Jahre arbeitete sie im Auftrag der Freien und Hansestadt Hamburg an der Gestaltung des Platzes, auf dem die von den Nazis zerstörte Bornplatzsynagoge stand. Er befindet sich im Hamburger Bezirk Eimsbüttel zwischen Grindelhof und Joseph-Carlebach-Platz (Informationen entnommen dem Artikel "Margrit Kahl" in: de.wikipedia.org/wiki/Margrit_Kahl).
In die Granitplatten des nach Joseph Zwi Carlebach (1882-1942), dem ehemaligen Rektor der Talmud Tora Schule und Oberrabiner von Hamburg, benannten Platzes, sind nach dem Entwurf von Margrit Kahl mosaikartig die Grundrisse der früheren Synagoge und die Linien des Deckengewölbes eingearbeitet.
Über dieses künstlerische Werk schrieb die Publizistin Julia Mummenhoff: "(...) Margrit Kahl hat kein 'Monument' im üblichen Sinne geschaffen, das sich erhebt, in den Weg stellt, verstört. Darüberhastende Fußgänger nehmen das Mosaik vielleicht nur als ein dekoratives Ornament wahr, über das sie arglos laufen, ein schönes Muster aus verschlungenen dunklen Linien auf einem helleren Grund. Das Denkmal für die ehemalige Synagoge macht das Gebäude, an das es erinnert ein Stück weit wieder erfahrbar, es ist anwesend und abwesend zugleich. Betrachter, die sich darauf einlassen, können sich vorstellen, wie es mit Leben gefüllt war und wie Zerstörung und Tod sich breit machten. Es ist ein freier Platz entstanden, von dem das Monument ein Teil ist. Ein Denkraum." (Julia Mummenhoff: Margrit Kahl. Synagogenmonument 1988 online auf http://fhh1.hamburg.de/Behoerden/Kulturbehoerde/Raum/artists/kahl.htm).
Margrit Kahl starb am 6. Januar 2009 in Hamburg. Ihr Nachlass wurde vom Forum für Nachlässe von Künstlerinnen und Künstlern (im Künstlerhaus Sootbörn in Hamburg-Niendorf) übernommen (kuenstlernachlaesse.de).
Diesen Artikel stellte Dr. Cornelia Göksu zusammen.
Gertrud Klempau (Gertrud Henriette Dorothea)
3.12.1888 - 30.11.1970 Hamburg
Reformpädagogin
Grablage: 202-09-48 . Die Nutzungsdauer der Grabstätte ist seit 2003 abgelaufen
Gertrud Henriette Dorothea Klempau wurde am 3. Dezember 1888 in Hamburg geboren.
Sie hatte zwei Geschwister, einen Bruder und eine Schwester. "Sie wuchs am Lehmweg in Eppendorf, einem Arbeiterviertel der Hansestadt, auf, wo ihr Vater als Sielarbeiler tätig war. Um den Gestank in den Abwässerkanälen ertragen zu können, aber auch als Schutz gegen die Cholera, tranken die Sielarbeiter viel Alkohol. Gertrud Klempaus Vater wurde dadurch zum Alkoholiker. Sie lernte also früh das Elend kennen, das den Alltag der Arbeiterfamilien bestimmte. Gleichzeitig lernte sie auch Arbeitersolidarität und organisiertes Eintreten für die Forderungen der Arbeiter kennen. (...)
Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen entstand Gertrud Klempaus Wunsch, in der Sozialarbeit tätig zu werden. Vermutlich ist es dem politischen Bewußtsein ihres Elternhauses zuzuschreiben, daß Gertrud Klempau nicht z.B. einen kirchlichen Fürsorgeberuf ergriffen hat, sondern Lehrerin wurde. Ihren Eltern fiel es nicht leicht, ihrer Tochter das Studium am Lehrerbildungsinstitut am Lerchenfeld zu finanzieren, aber auch den beiden anderen Kindern, einem Sohn und einer Tochter, eine berufliche Ausbildung zu ermöglichen. Das gelang nur dadurch, daß die Mutter als Waschfrau dazuverdiente.
Am 1. April 1908 wurde Gertrud Klempau in den Schuldienst aufgenommen, aber erst an ihrem 25. Geburtstag fest angestellt. Von 1908 bis 1914 unterrichtete sie an der Schule Tornquiststraße 19a, im Schuljahr 1914/15 war sie an der Schule Osterstra8e 68 tätig. (...) Als nach dem Sturz des Kaiserreiches, nach der Novemberrevolution in der jungen deutschen Republik auch in Hamburg die ersten Reformschulen als Versuchsschulen eingerichtet wurden, bewarb sich Gertrud Klempau um einen Platz im Kollegium der Schule. (...) Die Zusammenarbeit mit den Eltern, das Leben in der Schulgemeinde lagen Gertrud Klempau besonders am Herzen. In einer Beilage zur Hamburger Lehrerzeitung vom 10. November 1956 schrieb Gertrud Klempau: "Ja, viele Eltern bekamen einen anderen Lebensstil. Ein Maschinist am Hafen hatte sonst nach seiner schweren Arbeit abends seine Zeitung gelesen und war dann bald eingeschlafen. Nach der Einschulung seiner Kinder bei uns widmeten er und seine Frau ihre ganze freie Zeit der Schule, sogar der Schrebergarten, das Hobby für den Sonntag, wurde aufgegeben. Die Freizeitgestaltung war jetzt für sie und mehrere hundert Menschen kein Problem mehr. Fast jeden Abend war das Schulhaus bis 22 Uhr beleuchtet".
Gertrud Klempau war die Initiatorin der Herausgabe einer die Schulgemeinde Telemannstraße verbindenden Elternzeitung. Damit wurde ab 1925 unter Gertrud Klempaus alleiniger Verantwortung, ab 1932 mit Unterstützung eines Presseausschusses unter Mitarbeit der Eltern, Lehrer und Schüler eine Zeitung geschaffen. die über pädagogische Probleme, Klassenfahrten, Reisen der Elternwandergruppe, über Veranstaltungen, Ferienlager, Aufführungen der Eltern-Schüler-Theatergruppe sowie über allgemeine Vorkommnisse und schulpolitische Themen berichtete.
Neben dieser Tätigkeit fand Gertrud Klempau auch Zeit, sich gewerkschaftlich zu engagieren und verschiedene Artikel für die Hamburger Lehrerzeitung zu schreiben. (...) Aus dem einzigen erhaltenen Konferenzprotokollbuch, welches die Jahre 1931 bis 1933 umfaßt, geht hervor, daß Gertrud Klempau stets energisch für die Interessen der Kinder eingetreten ist: Als die finanzielle Lage in vielen Elternhäusern immer kritischer wurde, schlug Gertrud Klempau auf einer Konferenz am 18. August 1931 vor, wegen der hohen Kosten auf das alljährliche Fest der Schulgemeinde zugunsten eines Sportfestes für die Kinder zu verzichten. Als im Dezember 1931 neue Richtlinien für die Vergabe des Schulessens die genaue Überprüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse sowie des Körpergewichtes der Kinder verlangten und dadurch für viele die kostenlose oder stark verbilligte Mahlzeit in Gefahr war, setzte sich Gertrud Klempau dafür ein, daß jeder einzelne Fall mit aller Energie durchgekämpfte wurde.
Ebenso befürwortete sie die Anschaffung eines Radios und eines Plattenspielers, um den Kindern eine Möglichkeit zu bieten, die klassische Musik kennenzulemen. Während ihrer gesamten Tätigkeit war Gertrud Klempau immer bemüht, den Schülern Musik und überhaupt Kunst nahezubringen. obwohl sie nach Aussagen ehemaliger Schülerinnen selbst musisch kaum begabt gewesen sein soll. Sie hatte jedoch viele Ideen und verstand es meisterlich, ihre Schülerinnen und Schüler zu schöpferischem Tun anzuregen. Es ging Gertrud Klempau vor allem darum, den Erfahrungshorizont der Kinder zu erweitern. (...) Wenn es jedoch um politische Fragen ging, war Gertrud Klempau eher zurückhaltend. Das Konferenzprotokollbuch enthält zu derartigen Themen keine Redebeiträge von ihr. Bei weltanschaulichen Kontroversen unter den Eltern oder im Kollegium stand sie meist auf Seiten der Sozialdemokraten. Ob Gertrud Klempau schon zu dieser Zeit Mitglied der SPD gewesen ist, ließ sich bislang noch nicht herausfinden. Die Angst um den Fortbestand der Schule oder auch damalige eher antikommunistische Vorbehalte ließen sie, als die Entlassung Rudolf Klugs aus der Schule Telemannstraße auf der Tagesordnung stand, nicht für ihn Partei ergreifen. Als es dann für den Kollegen Klug zum Schulstreik kam, war sie damit einverstanden, daß den am Streik beteiligten Schülern die Schulspeisung verweigert wurde, und diese Kinder an andere Schulen versetzt wurden.
Gertrud Klempau engagierte sich schon in den Jahren der Weimarer Republik gegen den aufkommenden Faschismus. (...) Ehemalige Schülerinnen und Kollegen aus der Zeit an der Schule Telemannstraße schildern Gertrud Klempau als hervorragende Lehrerin. Eng befreundet war sie mit der etwas älteren Kollegin Mathilde Langenberg . Mit ihr zusammen hatte sie ein Haus in der Heide, das heute noch steht. Dort trafen sich immer wieder Freunde der Reformpädagogik zu Gesprächen. Wolfgang Albrecht, der seinen Schulhelferdienst Ende der Zwanziger Jahre unter der Anleitung Gertrud Klempaus abgeleistet hat, berichtet, daß er oft mit seinem Freund Alwin Sellenschloh, der später Gertrud Klempaus Schülerin Anita Vogt heiratete, auf dem Motorrad in die Heide gefahren ist. Auch Fritz Köhne, der von 1920 bis 1925 Schulleiter der Schule Telemannstraße 10 war, ehe er als Oberschulrat an die Hamburger Schulbehörde berufen wurde, nahm oft an diesen Gesprächen teil.
(...) Ostern 1933 lösten die Nazis die Versuchsschule auf. Die Lehrerinnen und Lehrer wurden an andere Schulen versetzt oder aus dem Schuldienst entlassen. (...) Gertrud Klempau wurde dem Kollegium der Schule Meerweinstraße 26/28 zugeteilt. Auch dort unterrichtete sie, soweit es im Rahmen der Regelschule möglich war, nach den Prinzipien der Reformpädagogik. (...) Gertrud Klempau legte es zwar nicht auf Konflikte an, doch hat sie sich selbst und ihre Vorstellungen von Unterricht und Schulleben nicht aufgegeben. Sie machte weiterhin Hausbesuche, gerade bei den ärmsten Leuten, half mit Kleidung und Geld und bestärkte Schülerinnen und Eltern in ihrem antifaschistischen Denken und Handeln. Im Unterschied zu ihrem Verhalten im Fall Rudolf Klugs änderte sich nach den ersten Erfahrungen mit dem Hitlerregime Gertrud Klempaus Einstellung zu den Kommunisten. Wenn es darum ging, Familien zu unterstützen, fragte sie nicht, ob es sich um Sozialdemokraten, Juden oder Kommunisten handelte. Dabei blieb sie im Rahmen des legalen Spielraums, den die Schule ihr ließ, aber wenn es notwendig war, zeigte sie Zivilcourage. Sie ließ bei ihren Freunden keinen Zweifel aufkommen, auf wessen Seite sie stand.
Als sich Katharina Jacob, die Mutter von Gertrud Klempaus Schülerin Ursel Hochmuth, in den Jahren 1938/39 in Haft befand, erklärte sich Gertrud Klempau sofort bereit, die Vormundschaft für ihre Schülerin, die sonst von den Nationalsozialisten zu linientreuen Pflegeeltern oder in ein Heim gegeben worden wäre, zu übernehmen (3).
In den Kriegsjahren ist Gertrud Klempau noch ein weiteres Mal versetzt worden. Dem Einfluß Fritz Köhnes, mit dem sie eine lebenslange Freundschaft verband, soll es zu verdanken sein, daß sie keine Klasse in die Kinderlandverschickung zu begleiten brauchte, als die Meerweinschule nach den schweren Luftangriffen 1943 geschlossen wurde. Statt dessen wurde Gertrud Klempau in ein Dorf in der Marsch, nach Kremper Heide, geschickt, wo sie eine einklassige Dorfschule unterrichtete. In dieser Zeit wohnte sie im Haus des Dorfapothekers. Der Kontakt zu den Hamburger Freunden und Kollegen riß nicht ab. Im Gegenteil, zusammen mit Anita Sellenschloh , Fritz Köhne und zwei weiteren Kolleginnen entstand um Gertrud Klempau gegen Ende der NS-Zeit ein Gesprächskreis, der sich Gedanken über Möglichkeiten eines fortschrittlichen Schulneubeginns nach Kriegsende machte.
Nach 1945 kam Gertrud Klempau wieder an die Mädchenschule in der Meerweinstraße , 1948 übernahm sie dort ein fünftes Schuljahr, das sie bis zur neunten Klasse führte. Obwohl der Schulbeginn nach dem Kriege im allgemeinen aus pädagogischer Sicht kein Neubeginn, kein Umsetzen reformpädagogischer Theorien war, blieb Gertrud Klempau ihrem fortschrittlichen Stil treu. Sie unternahm Klassenfahrten, obwohl sie beim Gehen schon einen Stock benutzte, war offen für alle Impulse der Kinder und bevorzugte Sitzordnungen an Gruppentischen. An Elternabenden durften die Schülerinnen nicht nur zu Aufführungen anwesend sein. Obwohl die Klasse etwa sechzig Schülerinnen zählte, hatte Gertrud Klempau keine Disziplinschwierigkeiten. Sie war der Auffassung, ein guter Lehrer könne alle gleichzeitig fördern, wenn er die Eigenart und Bedürfnisse eines jeden Kindes respektierte. So kam es vor, daß eine Schülerin sich während des Unterrichts in den Schrank setzte, um Mundharmonika zu spielen. Mit ruhigen Worten erklärte Gertrud Klempau der Klasse die Lage: Das Mädchen war zu Hause derartigen Spannungen ausgesetzt, daß es sich zurückziehen mußte, um wieder zu sich zu finden. Nach einiger Zeit holte sie das Mädchen dann aus dem Schrank. und setzte den Unterricht mit der ganzen Klasse fort" (1). Eine frühere Schülerin aus dieser Klasse erinnerte sich später so an ihre Lehrerin: "Gertrud Klempau (war) eine stabile Erscheinung mit graumeliertem, zu einem Knoten aufgestecktem Haar, einer energischen Nase und klaren, freundlichen blauen Augen. Wir gewöhnten uns schnell an ihre besondere Art ... Sie war eine sogenannte pädagogische "Zehnkämpferin", eine Lehrkraft, die fähig war, Unterricht in verschiedenen Fächern zu erteilen. Ich erlebte sie in Deutsch, Rechnen, Heimatkunde, Religion, Zeichnen, Singen, Nadelarbeit und später in Biologie, Geographie und Geschichte. Wir empfanden Frau Klempau als Klassenmutter und nannten sie heimlich "Mutter modern". Dies bezog sich nicht auf Äußerlichkeiten, sondern auf ihren persönlichen Stil, mit uns umzugehen... Soziales Lernen stand bei ihr im Vordergrund. Nächstenliebe und Gerechtigkeit lebte sie vor, niemand wurde diskriminiert, Auslachen gab es nicht, Offenheit war selbstverständlich (wir durften sogar ins Klassenbuch gucken), mit Gruppenarbeit wurden wir vertraut gemacht. Zu bestimmten Anlässen durften wir Spielzeug, Haustiere und Geschwister in die Schule bringen. Unsere langen Erzählungen von persönlichen Erlebnissen hörte sie sich stets mit Geduld an. Durch Elternabende (auch mit Schülerinnen), viele Ausflüge und Fahrten verband Frau Klempau uns als Klassengemeinschaft... Alle Themen (der Sexualerziehung) wurden angesprochen. ...Über biologische Dinge hinaus sprach Frau Klempau auch über Gefühle, Erotik und Liebe. ‚Persönlichkeit werden' stand nicht im Lehrplan. Trotzdem verhalf uns Frau Klempau dazu. Sie erzählte uns beispielsweise von den Ergebnissen ihrer Elternbesuche und ließ uns so fühlen, wie wichtig wir ihr waren ... Offene Meinungsäußerung war stets möglich, berechtigtes Schimpfen erlaubt, Kritik konnte angemeldet werden. Wir lernten, Konflikte auszutragen'" (Quelle 1, S. 236/237).
In den Jahren nach dem Krieg lebte Gertrud Klempau zunächst in der Kremper Straße 2, nahe der Hoheluftchaussee , "von dort aus ging sie jeden Tag zu Fuß zur Schule und zurück, um mit dem gesparten Geld anderen, besonders ihrem Neffen und dessen Familie durch Geschenke und andere Aufmerksamkeiten Freude machen zu können.
Die Erfahrung mit dem NS-Reich und die Enttäuschung über die Adenauerära, besonders die Tatsache, daß die Aufarbeitung der jüngsten deutschen Geschichte im Unterricht ausgeklammert werden sollte, veranlaßten Gertrud Klempau, sich auch öffentlich politisch zu äußern. Bestürzt über die Wiederaufrüstung in der Bundesrepublik setzte sie sich für Abrüstung und Frieden ein. Vor Gruppen sozialdemokratischer Frauen hielt Gertrud Klempau Vorträge, u. a. zu dem Thema "Sozialdemokratische Frauen und Schule", wobei sie viel über ihre eigene Unterrichtspraxis berichtete. Immer schon auf Seiten der Gewerkschaft, trat sie offen für die Gesamtschule ein. Sie war gegen Ausleseverfahren in der Schule und sprach sich entschieden gegen die bis 1967 für Zehnjährige in Hamburg übliche Aufnahmeprüfung für Gymnasien aus. Ihrer Ansicht nach entwickelte sich die sogenannte Begabung bei vielen Kindern erst später" (1).
Am 31. Dezember 1953 wurde sie in den Ruhestand entlassen: "Auch nach ihrer Pensionierung blieb Gertrud Klempau am Thema Schule und an der Pädagogik interessiert. An einigen Treffen des 1952 von Dr. Fritz Helling initiierten "Schwelmer Kreis" - hat sie teilgenommen (4). In Eisenach besuchte sie in diesem Zusammenhang eine gesamtdeutsche Lehrerkonferenz und hospitierte in Schulen der DDR. Zu ihren ehemaligen Schülerinnen, Schülern und Kollegen behielt Gertrud Klempau Kontakt, mit vielen stand sie in Briefwechsel. An ihren Geburtstagen stand ihre Wohnung in der Ottersbekallee am Weiher in Eimsbüttel, die sie mit ihrer Schwester Erna Suhrbier bewohnte, allen ihren Freunden und Bekannten zu einem alljährlichen Treffen offen. Bis zuletzt nahm Gertrud Klempau regen Anteil am Leben ihrer Mitmenschen und stand ihnen mit Rat und Tat zur Seite. Und als ihr Ende 1969 längeres Sprechen schwerer fiel, war sie trotzdem als Zuhörerin ausgeschlossen. "Sehen Sie, ich schaffe es nicht mehr! Nun reden Siel Aufnehmen kann ich noch gut", sagte sie einem Geburtstagsgast.
Als Gertrud Klempau am 30. November 1970 starb, hielt Hans-Georg Geisler, langjähriger Schulleiter der Schule Meerweinstraße , die Grabrede auf dem Öjendorfer Friedhof. Mit warmen Worten schilderte er Gertrud Klempaus Wesen und das Ziel ihrer pädagogischen Bemühungen, wobei er ein Wort Günter Eichs zu Hilfe nahm: "Nein - schlaft nicht, während die Ordner der Wett geschäftig sind! Seid mißtrauisch gegen ihre Macht, die sie vorgeben, für euch erwerben zu müssen. Wacht darüber, daß eure Herzen nicht leer sind, wenn mit der Leere eurer Herzen gerechnet wird. Singt Lieder, die man aus eurem Munde nicht erwartet. Seid unbequem, seid Sand, nicht Öl im Getriebe der Welt!"
Zehn Jahre später in der Festschrift zum fünfzigjährigen Bestehen der Schule Meerweinstraße schrieb Geisler und gab damit dem Empfinden vieler, die Gertrud Klempau gekannt haben, Ausdruck: "Der Mensch, der mich wegen seines großen Mutes am meisten beeindruckte und dem ich bis zu seinem Tode freundschaftlich verbunden bleiben durfte, war die Kollegin Gertrud Klempau""(1).
Text: Dr. Cornelia Göksu
Quellen:
(1) Pries, Bettina: Gertrud Klempau. Zivilcourage. In: Ursel Hochmuth und Hans-Peter de Lorent (Hg.): Hamburg: Schule unterm Hakenkreuz. Beiträge der "Hamburger Lehrerzeitung" (Organ der GEW= Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) und der Landesgeschichtskommission der VVN = Verein der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten e.V. Mit einem Geleitwort von Professor Joist Grolle. Hamburg 1985, S. 232 - 238 (das Inhaltsverzeichnis dieser Buchpublikation steht online unter http://d-nb.info/860351017/04, abgerufen am 4.5.2017 CG) - die Schreibweise wurde übernommen.
(2) Freundlicher Hinweis von Hans-Peter de Lorent, Mail v. 3.9.2016
(3) Vgl. hierzu die Kurzbiografie zu "Franz Jacob" unter www.stolpersteine-hamburg.de/index.php?&MAIN_ID=7&BIO_ID=1241
(4) Der "Schwelmer Kreis" war eine sich zur demokratischen Schulreform bekennende Ziel des Kreises war eine gesamtdeutsche (Friedens-)Pädagogik, zunächst vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und einer möglichen Wiedervereinigung beider deutscher Staaten. Später wurden Erfahrungen und Positionen ausgetauscht. Die Arbeitsgruppen in einzelnen Städten arbeiteten eng mit den Friedensausschüssen von Gewerkschaften zusammen (vgl. Quelle 1, Fußnote "Schwelmer Kreis", S. 238).
Ingrid Liermann
Ingrid Liermann und Freundin, Foto aus: Homosexuellenverfolgung in Hamburg 1919-1969. Bernhard Rosenkranz, Ulf Bollmann, Gottfried Lorenz, Hamburg 2009, S. 193
(18.4.1926 Hamburg - 11./12.6.2010 Hamburg)
Unternehmerin, Gegnerin und Opfer des Nationalsozialismus
Grablage: 205-02-384
Ingrid Liermann kam als Tochter des ledigen Dienstmädchens Ida Erna Anna Liermann 1926 in armen Verhältnissen zur Welt. Die Chancen auf Bildung und ein gutes Einkommen standen für das Mädchen zu Beginn seines Lebens nicht gut. Während die Hamburger Wirtschaft insgesamt bis 1929 wieder boomte, kämpfte Ida Liermann um ihre und die Existenz ihrer Tochter. Da sie vom Dienstherren geschwängert war verlor die damals 17-jährige Ida Liermann noch während der Schwangerschaft ihre Unterkunft und Arbeit. Mutter und Tochter zogen in der Folgezeit häufig
um und Ida Liermann versuchte sich ein Auskommen mit Gelegenheitsarbeiten, wie z.B. als Reinemachefrau zu sichern. Durch das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz erhielten uneheliche Kinder seit 1924 automatisch einen Amtsvormund. Die alleinige elterliche Gewalt der Mutter zu übertragen schien in der Weimarer Republik undenkbar. Nach 1934 hatte dies fatale Folgen für Ingrid. 1934 war die NS-Täterin Käthe Petersen (1903-1981) in der Hamburger Sozialbehörde als Sammelpflegerin für sog. "geistig gebrechliche" bzw. "gemeinschaftswidrige " Frauen tätig und verfügte nicht selten die Sterilisation ihrer Mündel. "Unerbittlich kämpfte sie (Käthe Petersen, K.N.) für eine weitergehende der Vormund- und Pflegschaften bei den staatlichen Ämtern und für die Verdrängung privater Vormünder und Pfleger aus ihren ehrenamtlichen ausgeübten Stellungen, weil diese zu schwach gegenüber ihren weiblichen Mündeln und pädagogisch unfähig sein." [1]Ingrid Liermann unterstand also der Sammelpflegschaft Käthe Petersen, für die Zwang und Gewalt Mittel waren zu selektieren und NS-Werte durchzusetzen. [2]
Nach der Machtübernahme 1933 veränderte sich aber auch das unmittelbare Wohnumfeld von Ida Liermann und ihrer Tochter Ingrid. Bei einer Alsterfahrt auf einem Kanu erlebte Ingrid als kleines Mädchen wie Kommunisten und Nationalsozialisten sich mit Paddeln schlugen. Ida Liermann war während der Zeit des Nationalsozialismus Sympathisantin der Kommunisten. Die Heirat mit einem NSDAP-Anhänger verhinderte nach Ingrids Ansicht vermutlich, dass ihre Mutter inhaftiert wurde. Im Gängeviertel, wo Mutter und Tochter in den 30iger Jahren wohnten erlebt Ingrid wie ihre Spielkameradin, die jüdischer Herkunft war, von einem Tag auf den anderen verschwand. Die Deportation jüdischer Mitbürger mag der Grund dafür gewesen sein, dass Ida Liermann den Namen von Ingrids Erzeuger nicht preisgab. Er war Jude.
Als Ingrid mit 13 Jahren im Pflichtjahr den Dienst bei einem Bauern, der sie sexuell bedrängte verweigerte, galt sie als auffällig. Sie war wie andere Mündel wie eine moderne Leibeigene, "[...] deren Wert, zumal wenn sie zwangsasyliert waren, nur noch in ihrer Arbeitskraft bestand." [3] Was nun folgte war die stetige Verweigerung Ingrids sich in diese verordnete Arbeitspflicht und unter das NS-Frauenbild unterzuordnen. Dieses Frauenbild bestand in der Vorbereitung der Frauen auf die Rolle als Ehefrau und Mutter im Haushalt. Durch ihre Orientierung auf Frauen geriet Ingrid außerdem in Wiederspruch zu diesem Frauenbild. Als bekannt wurde, dass sie sich zu anderen Mädchen hingezogen fühlte wurde sie im Heim bestraft: "Liermann kalt (baden, K.N.)" hieß es dann. [4]
Mehrere Zwangsaufenthalte in der Averhoffstraße, in der Feuerbergstraße und ab 1942 im sog. "Versorgungsheim" Farmsen und Ausbrüche führten bei Wiederergreifung zu Dunkelarrest.5 Als am 3. Mai 1945 die Hansestadt an die Briten übergeben wird ist Ingrid vor der Verfolgung durch Käthe Petersen noch nicht sicher. Bis März 1947 versuchte die NS-Täterin Petersen ihr Mündel wieder in Farmsen zwangsweise unterzubringen. Ingrid gelang es jedoch unterzutauchen. Mit ihrer Volljährigkeit im Alter von 21 Jahren endete vermutlich der Versuch von Käthe Petersen ihr Mündel im ehemaligen Versorgungsheim Farmsen zwangsweise unterzubringen. [6]
In den 50er Jahren kellnerte sie in den Ika-Stuben, einem Lokal, in dem sich Frauen trafen und liebten. Anfang der 60er Jahre übernahm sie die Ika-Stuben und baute ein Lokal auf, in dem Frauen aus ganz Europa Urlaub machten. In dieser repressiven Zeit, in der die Frauenrolle ausschließlich auf Ehe, Kirche, Haushalt und Familie ausgerichtet war lebten frauenliebende Mädchen und Frauen nur sehr versteckt. In den Ika-Stuben unter der Leitung von Ingrid und ihrer Lebensgefährtin Helga war es nun möglich sich frei zu bewegen und dem Versteckspiel ein Ende zu bereiten. Im Alltag war es Frauen in den 50er und 60er Jahren beispielsweise nicht möglich einen Anzug zu tragen oder als Frauenpaar zu tanzen.Ingrid zog es vor trotzdem einen Anzug auf der Straße zu tragen und war deshalb immer wieder Anfeindungen und Beschimpfungen ausgesetzt. Als sie einmal mit ihrer Freundin Helga im Alsterpavillon tanzen ging, wurden sie aufgefordert das Lokal sofort zu verlassen. [7] Frauenpaare wurden in der frühen BRD nicht geduldet.
Während ihrer Zeit in den Ika-Stuben war Ingrid stets für andere da. Nicht nur für die Besucherinnen des Lokals sondern auch für andere Bedürftige. Sie hat ihre Freigiebigkeit nie in den Vordergrund gestellt, nach dem Motto: "Das tut man, darüber spricht man nicht." [8] Als in Hamburg eine Wiedergutmachung für NS-Verfolgte erfolgte, zögerte sie nicht auch zugunsten einer weiteren Betroffenen Aussagen über die Zeit der NS-Verfolgung zu machen und verhalf dieser zu einer Beihilfe. Sie selbst erhielt ebenfalls eine Beihilfe für Menschen, die von NS-Unrecht betroffen waren. Diese Beihilfe gewährte nur die Freie und Hansestadt Hamburg, nicht der Bund. Bis zu ihrem Lebensende im Juni 2010 war Ingrid Liermann ein freigiebiger und großherziger Mensch, der sich für andere stark machte
Katja Nicklaus
1 Christiane Rothmaler, Die Sozialpolitikerin Käthe Petersen, in: Angelika Eibbinghaus (Hrsg.), Opfer und Täterinnen. Frauenbiografien im Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 1996, S. 107.
2 Zu den Mitteln und Maßnahmen mit denen Käthe Petersen diese Ziele verwirklichte und zu ihrer weiteren Biografie vgl. Rothmaler, Die Sozialpolitikerin Käthe Petersen, S. 98-123.
3 Rothmaler, Die Sozialpolitikerin Käthe Petersen, S. 107.
4 Aus einem Gespräch der Autorin mit Ingrid Liermann.
5 Interview mit Ingrid Liermann durch Petra Vollmer am 23.11.1994, S. 25 und auch Gespräche zwischen Ingrid Liermann und Katja Nicklaus.
6 StaHH 352-12, Gesundheitsbehörde Sonderakten, Ablieferung 1, Nr. 961. Hier Angaben zur Verfolgung von Käthe Petersen nach 1945.
7 Gespräch zwischen der Autorin und Ingrid Liermann.
8 Aus einem Gespräch zwischen Ingrid Liermann und Katja Nicklaus

Quelle: Fritz Storim

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Uta Segler
(10.06.1937 Hamburg - 24.07.2016 Hamburg)
Aktivistin der antifaschistischen Szene und der Friedens- und Frauenbewegung
Grablage 301-04-25
Uta Segler, geboren am 10. Juni 1937, war eine sehr engagierte Aktivistin der antifaschistischen Szene, der Friedens- und Frauenbewegung sowie der Anti-Atomkraft-Bewegung. Im Laufe ihres politischen Engagements nahm sie an zahlreichen Demonstrationen, Ausstellungen und Veranstaltungen teil, wofür sie unter anderem nach Frankreich, Kurdistan, Venezuela oder Mexiko reiste. Sie war Mitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, des Auschwitz Komitees, des Vereins Kinder vom Bullenhuser Damm e.V. und engagierte sich bei der Vernetzung von Gewerkschaften, zudem war sie Feministin und PKK-Anhängerin. Darüber hinaus war Uta Segler Besucherin vieler Live-Musik Veranstaltungen und tanzte gern. Im Sommer 2016 starb sie an Herzversagen.
Text: Annika Hagel
Anni Taube
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1.10.1894 Hamburg - 20.7.1983 Hamburg
Prokuristin, Stifterin
Grablage: anonym auf dem Urnenhain II
Anni-Taube-Stiftung: Unterstützung in Not geratener Hamburger Musiker und Sänger beiderlei Geschlechts in der Kunstrichtung klassische ernste Musik, Privatlehrer der Instrumentalmusik und des Gesangs, wobei schwerpunktmäßig alte, bedürftige Künstler zu berücksichtigen sind.
Zeit ihres Lebens spielte Anni Taube Klavier. Zu ihrem Nachlass gehörte ein Bechstein-Klavier, welches sie einem begabten, nicht besonders begüterten Hamburger Schüler bzw. einer Schülerin vermacht hat, die/der die hamburgische Musikhochschule benennen sollte. Dies geschah 1984.
Die Freude an der Musik veranlasste Anni Taube, ihr Vermögen der zu errichtenden Anni-Taube-Stiftung zu hinterlassen.
Anni Taube, die nach dem Besuch des Lyceums und nach Tätigkeiten als Privat- und Direktionssekretärin von 1930 bis 1953 als Prokuristin in der Firma Emil Hauenschildt, Hamburger Importagentur und Großhandelsfirma arbeitete, war in dieser Tätigkeit zuständig für die Verwaltung zweier hochherrschaftlicher Mietshäuser, die im Besitz der Witwe Antonie Schmahl waren und die nach der Heirat Frau Schmahls mit dem Seniorchef der Firma Hauenschildt, Paul Thiele, in Firmenverwaltung genommen wurden. Da Frau Schmahl jüdischer Abstammung war, musste Anni Taube während der Zeit des Nationalsozialismus starke Repressalien hinnehmen. Dennoch erfüllte sie unbeirrt ihre Aufgabe als Verwalterin und setzte sich nach dem zweiten Weltkrieg massiv dafür ein, dass die Familie Schmahl die Häuser zurückerhielt.
Für diesen beispielhaften Einsatz erhielt sie zwar von den Erben, dem Ehepaar Schmahl Geschenke, ein erhofftes mietfreies Wohnen in ihrer Wohnung im Abendrothsweg 17 wurde ihr jedoch nicht gewährt. Die einmal bestehende Freundschaft zwischen Anni Taube und den Schmahls kühlte im Laufe der Jahre ab. In einem Brief aus dem Jahre 1979 an Frau Emma Schmahl machte die damals 85-jährige Anni Taube ihrem Herzen Luft. Dieser Brief gibt ein eindrucksvolles Zeugnis über die Qualen und Nöte, in die sich Menschen begaben, die aus Redlichkeit und Pflichtgefühl versuchten, den Juden weggenommenen Besitz für diese weiter zu verwalten:
Anni Taube schrieb: "Das, was ich tat, uneigennützig leistete, darf nicht mit Worten verglichen werden wie "Menschen, mit denen wir damals engen Kontakt und deren Beistand wir hatten." Nein, ich habe ein Anrecht darauf, daß auch jetzt noch meiner Person und meiner Leistungen gedacht wird und der Kontakt besser aufrechterhalten bleibt." Nachdem Anni Taube die Verwaltung der Häuser Abendrothsweg übernommen hatte "wuchs schon bald sehr beachtlicher Mehrgewinn aus allen Grundstücken. Für Abendrothsweg manche Nachtarbeit zu Hause unentgeltlich geleistet. (...) 1933-1945: Wirtschaftliche Not fast aller Mieter der großen 5 1/2- und 6 1/2 Zimmer-Wohnungen. Eine nach der anderen wurde leer. Von mir erdachte Teilung der Wohnungen mit einstweilen geringsten Geldmitteln. Einrichtung einer Notküche, gemeinsames Bad, gemeinsame Toilette. (Anfangs doppelte Klosettbrille, nachher nicht mehr nötig.) Bei Teilung der Wohnungen mußten Juden zu Juden, Arier zu Ariern. (...) Weiterer Leerstand, Teilung und Doppel- Vermietung. Nachts und Sontags zu Hause unentgeltlich daran gearbeitet. Oft Besuch von jüdischen Wohnungsreflektanten in meiner Wohnung. Nachbarn merkten es. Hitler und sein Gefolge wurden immer mächtiger. Bei der NS-Ortsgruppe schwoll meine "Akte" an. Schließlich 1943 Denunziation seitens des Abendrothsweg-Mieters Maack bei der Gestapo, und zwar der berüchtigten "Abteilung Goebbels" in der Büsch-Str. (...) Dreistündiges, zum Weißbluten bringendes Verhör betreffs Schmahl-Nachlaß, Vermietung an Juden usw. Ich log wie gedruckt. Draußen, unter den Colonnaden (strömender Regen) wartete unser treuer Mechaniker-Meister Appel. Mich nur noch schlotterndes Etwas geleitete er zu Ehmke, zu stärkendem Essen und Getränk. Er begleitete mich per Taxi nach Hause. Zurück ins Büro, zu Diktat und Unterschriften, unmöglich. Aber das konnte ich dem, inzwischen der NSDAP angehörenden Herrn P.H. [der Juniorchef] beichten. Ich log für Schmahl Nachlaß. P. Th. [der Seniorchef und Ehemann von Frau Schmahl] lag krank zu Bett, erfuhr also auch nichts von mir.
1943/44. Zweimal noch mußte ich wegen Vermietungen an Juden, wegen Schmahl-Nachlaß und sonstiger jüdischer Freundschaften zur Gestapo im Stadthaus. Geschlossene Barrieren. Jahrelang noch träumte mir davon, ich log und - hatte meinen Schutzengel.
2 Nächte hin und zurück Reise nach und von Kopenhagen. Ein Tag Aufenthalt dort mit fiebriger Erkältung, Heiserkeit usw. - Bei einem Spediteur dort aus bei ihm lagernden Möbeln Annie Schmahl"s verfängliche Briefe geholt. Für sie hatte sich Herr Dietz bei der Gestapo durch Hinterlegung seines Parteibuches verbürgt. Annie Schmahl [sagte]: "Nur ein paar Briefe, so wenig, daß sie in die Handtasche passen. Sie müssen heraus!" - Es wurde: Ein großer, schwerer Packen. Im Umkreis kein besseres Packpapier zu haben als Zeitungen des Spediteurs. In kaltem Regen und Wind, mit Schnupfen, Husten und Fieber, wankte ich durch die Straßen Kopenhagens. Dort schon damals NS Spitzelgefahr! Telefonanruf bei einer Schmahl"schen Verwandten. Erst am Nachmittag zu Hause. Taxifahrt zu ihr mit dem schweren Paket in wind- und regenzerfetztem Zeitungspapier. Frau J. und ich zusammen alles dem Feuer übergeben. (...) Nachtfahrt zurück nach Hamburg, hohes Fieber. Vom Bahnhof ins Büro. Von P. Th. und A. Sch. Kein Dank aber der Vorwurf, den Führerschein nicht mitgebracht zu haben!!
Immer wieder neue Abholungen von Juden aus A/Weg 17/19, herzzerreißend. Immer wieder Neuvermietungen und primitive Wohnungsteilungen. Immer wieder Zeitverlust für die Firma E.H. denn sie hatte ein Anrecht auf volle Verwendung meiner Arbeitskraft. (...)
Weitere traurige Geschehnisse: Vertreibung aller jüdischen Mieter. (...). Abholung auf Lastwagen. Ich machte nur 2 Abschiedsbesuche und war "fertig". Tod der Erbinnen Annie Schmahl und Lilli Hartwig. Tod meines Senior-Chefs Paul Thiele. Übergang der Testamentsvollstreckung auf mich. Abholung der lieben Frau Thiele nach Theresienstadt, dort ihr Tod. Sie begriff noch am besten und zeigte sich dankbar für das, was an Arbeit neben Emil Hauenschild auf mir lastete. Vorher (1942) Bombenzerstörung meiner Wohnung und des gesamten Mobiliars. Einzug in Abendrothsweg 17 part. - Hinter-Teilwohnung. Vormieter Eheleute Owert, liebe Menschen, von der Gestapo mit Stöcken geprügelt. Einige Zeit vorher schon hielt ich Herrn O. im Keller meiner Hammer Wohnung versteckt. Sie kamen dann doch an die Masurischen Seen. Nach meinem Einzug in ihrer Wohnung fand ich mich dort erst nach sehr langer Zeit zurecht, dachte an die Tränen. Einer der Mieter in No. 19 war der Blockwart der Ortsgruppe Eppendorf. Nach dort wurde meine Hammer "Akte" überführt.
1943: Hamburger Katastrophe, Zwangseinweisungen von "Ausgebombten". Verstopfung der Wohnungen. (Ich glaube, schließlich waren es ca. 140 Köpfe). Für mich immer wieder vermehrte Arbeit, neben meiner Prokuristentätigkeit bei E.H. Dort war Hochbetrieb, ja Höchstbetrieb in Heeres-Polsterlieferungen. Viel Nachtarbeit geleistet.
1945-1953: 8 Jahre Prozeß vor dem Wiedergutmachungs-Amt, Klage auf Rückgabe der "verschenkten" Häuser. Wäre ich, wie damals geplant, oder durch den Tod vereitelt, zwecks Heirat ins Ausland gegangen, oder wäre ich bei den Fliegerangriffen ums Leben gekommen, - - die Häuser wären nie an Sie zurückgegeben worden. Es hing von mir ab, von bei mir verwahrten stenografischen Notizen, von bei mir versteckten Büchern (die Nazis verboten den Juden, Bücher zu führen). Es hing ab von meinen Kenntnissen aus früherer Zeit. Es hing vor Gericht ab von meinem Eid. In monatelanger nächtlicher Arbeit zu Hause stellte ich die Schmahl"sche Buchführung von 1952 bis 1938 rückwärts wieder her, um den Vermögensstand und dessen Verteilung auf die Erben am Tage der Schenkung an K. H. festzustellen. (...) Es stand auf des Messers Schneide, aber der Prozeß führte zum guten Ende. "freudiger Schreck mit Bettlägerigkeit" angesichts des von Ihnen Beiden nicht geahnten Wertes der Häuser.
Daß Sie dann die Häuser in eigene Regie nahmen, enttäuschte Herrn P.H. Zu mir sagte er: "Dann bekommen Sie künftig DM 100,- Gehalt weniger." Herr Dr. M. war empört. Mich betrübte es nicht weiter, ich sagte der Firma dann ja bald valet.
Über den gewonnenen Prozeß Teilnahme und Freude seitens der älteren Mieter. Herr Levy-Ehrhardt verstand nicht, daß dafür meine kleine Wohnung mir nicht als mietefrei erklärt würde. Ja, ich kann nicht fordern; natürlich betrachtete auch ich dies als das richtigste Aquivalent für das, was ich tat und erreichte. Natürlich freute ich mich über derzeit von Ihnen erhaltene hübsche, nette Gegenstände. (...) ich freute mich über die zwischen uns damals bestehende Freundschaft. Herr Levy-Ehrhardt und auch andere Mieter wollten mich immer wieder von neuem dazu bewegen, von Ihnen bzw. damals Ihrem Gatten Freiwohnung
zu erbitten, " bei Allem dem, was Sie hier geleistet und hier in politischen Gefahren ausgestanden haben:" "Politische Gefahren"! Ja, es stimmt! Gestapo-Vorladungen, Bespitzelungen, Herrn Owert, von Häschern verfolgt, 2 Tage im Keller meiner Hammer Wohnung versteckt. In dem Holzverschlag unter meiner Wohnung am Abendrothsweg hatte ich 2 Liegen mit Kissen und Wolldecken bereit für den Fall, daß meine Schmahls per Strickleiter aus der Dillstraße [damals sogenanntes Judengetto] hätten fliehen müssen. Tempi passati!!"
Als letzten Wunsch erbat sie sich 1972 brieflich vom Ehepaar Schmahl: "So gewähren Sie mir aber nach meinem Ableben die Bitte, mir die Wohnung noch 3-4 Wochen zu belassen, ohne daß meine Testamentsvollstrecker bei der Abwicklung meines Nachlasses Störungen durch Mietreflektanten, geschweige denn durch Handwerker zu gewärtigen brauchen. Die Miete dafür wird Ihnen sicher sein. Mit herzlichen Dank und Gruß herzlichst Ihre....."
Text: Rita Bake

© kulturkarte.de/schirmer
Charlotte Voss
18.5.1911 Wilmersdorf/Berlin - 22.6.1999 Hamburg
Malerin, Dozentin, Leiterin der Kunstschule Gerda Koppel (1954-1956); Dozentin an der Fachhochschule Hamburg, Fachbereich Gestaltung (1956-1977), aktiv im Naturschutzbund
Grablage: 04-12-123/124 (Ruhezeit bis 2024)
Nach dem Abitur sollte Charlotte Voss auf Wunsch ihrer Eltern (der Vater war ein Berliner Kaufmann) eine kaufmännische Berufsausbildung im Familienbetrieb absolvieren. Dem fügte sie sich, begann aber 1933/34 die Kunstgewerbe- und Handwerkerschule Charlottenburg zu besuchen. Margret Grimm schreibt in ihrem Portrait über Charlotte Voss' weiteren Lebensweg: "Die künstlerischen Studien
setzte sie in Hamburg fort, wo sie von 1936 bis 1938 Privatunterricht bei Karl Kluth nahm, einem Maler der Hamburgischen Sezession. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie von 1936 bis 1942 mit Portraitzeichnungen für verschiedene Zeitungen. Von 1942 bis 1945 war sie Kunsterzieherin im Landschulheim Marienau bei Dahlenburg. Ab 1946 erteilte sie privaten Unterricht, 1954 übernahm sie die älteste private, seit 1891 von Frauen geführte Malschule Hamburgs, die Kunstschule Gerda Koppel. Diese erhielt nun den Namen "Schule für freie Malerei und Graphik". 1956 übertrug Charlotte Voss die Schulleitung an ihre Meisterschülerin Heidi E. Pulley Boyes, die die Lehrtradition bis zum 100-jährigen Jubiläum der Schule im Jahr 1991 fortsetzte. Die Schule besteht bis heute unter demselben Namen." 1)
Charlotte Voss ging 1956 als Dozentin an die Fachhochschule Hamburg, Fachbereich Gestaltung. Dort unterrichtete sie bis 1977 eine Grundklasse für Malerei und Zeichnen.
Im Alter arbeitete sie wieder selbst künstlerisch. Charlotte Voss war auch schriftstellerisch tätig. 1986 erschien von ihr im Selbstverlag das von ihr illustrierte Buch "Der Ahn - Eine alte Geschichte in Bildern und Worten", worin die Welt der Dinosaurier verbildlicht wird. Grundlage für dieses Buch bildeten Auftragsarbeiten für Hagenbecks Tierpark, für den sie naturkundliche Zeichnungen von verschiedenen Saurierarten herstellte.
Margret Grimm schreibt weiter über Charlotte Voss: "Zeit ihres Lebens war Charlotte Voss sozial engagiert: In der Justizvollzugsanstalt Neuengamme leitete sie in den 1970er Jahren eine Gesprächsgruppe. Aus dieser Tätigkeit erwuchs die Betreuung eines straffällig gewordenen Jugendlichen. Mit hohem materiellem und ideellem Einsatz sorgte sie Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre für seine Resozialisierung. Als Mitglied des Naturschutzbundes setzte sie sich aktiv für Projekte ein, wie den Erhalt des "Lokstedter Wäldchens" und die Errichtung von Fledermaus-Behausungen im Volkspark. In ihren Texten "Natur und wir" und "Biologie einmal anders", als Handzettel verbreitet, trat sie für einen umweltbewussten Umgang mit der Natur ein."2)
Quelle:
1) Margret Grimm, in: Hamburgische Biografie. Hrsg. von Franklin Kopitzsch und Dirk Brietzke. Bd.5. Hamburg 2010, S. 373.
2) Margret Grimm, a.a.a.O., S. 373f.
Schiffbeker Friedhof
Katharina Corleis, geb. Engelken
15.12.1877 Groß-Fredenbeck bei Stade - 25.6.1935 Suizid im KZ Hamburg-Fuhlsbüttel
Opfer des Nationalsozialismus
Stolperstein vor ihrem Wohnhaus Öjendorfer Weg 41
Grablage: Katharina Corleis wurde am 15.7.1935 auf dem Schiffbeker Friedhof bestattet und zwar auf dem Feld IV Nr. 482. 1962 wurde hier auch ihr Mann Friedrich Corleis beerdigt, später noch weitere Verwandte. Die letzte Bestattung fand 1988 statt. Bestattet wurde Marianne Siemers, geb. Corleis. Die Nutzungsdauer der Grabstätte lief 2008 aus und wurde nicht verlängert. 2014 wurde die Grabstelle an eine andere Familie vergeben.
"Katharina Engelke wurde am 15. Dezember 1877 in Groß-Fredenbeck bei Stade geboren. Ihr späterer Mann, Friedrich Corleis, kam am 23.
April 1879 in Deinste, einem Dorf in der Nähe, zur Welt. Nach ihrer Heirat erwarben sie in Schiffbek ein Grundstück am Öjendorfer Weg 41, wo sie in den dreißiger Jahren ein Eigenheim bauten. Das Ehepaar Corleis bekam zwei Töchter und drei Söhne. Friedrich Corleis arbeitete bei den Gaswerken und nach Feierabend ebenso wie seine Frau und die Kinder in ihrer kleinen Gärtnerei. Der Garten lieferte Obst, Gemüse und Blumen, die die Mädchen in Hamm verkauften. Katharina und Friedrich Corleis waren in der SPD organisiert, außerdem in der Konsumgenossenschaft der "PRO".
Nach dem Verbot der SPD 1933 arbeiteten einige Genossen in Billstedt illegal weiter. Sie vertrieben umfangreiches Material, in dem vor dem Nationalsozialismus und einem durch ihn inszenierten Krieg gewarnt wurde, und stellten es zum Teil auch selbst her. In der Nacht vom 17. auf den 18. Juni 1935 wurden 48 Billstedter Frauen und Männer verhaftet. Unter den acht verhafteten Frauen befanden sich die alte Genossin Benthien, Katharina Strutz, geb. Mehrens, und Katharina Corleis.
In seinen Erinnerungen vom 30. Januar 1946 berichtete Friedrich Corleis: "Meine Frau, Katharina Corleis, wurde um 4 Uhr morgens von der Gestapo in ihrem Haus im Öjendorfer Weg 41 verhaftet. Sie erhob mutig gegen ihre Verhaftung Einspruch und wurde daraufhin in meiner Gegenwart angepöbelt. Man sagte ihr, dass bekannt sei, was sie auf dem Kerbholz habe, denn sie bekleide in der verbotenen SPD einen wichtigen Posten. Außerdem sei sie im Besitz von illegalen Schriften und verteile diese trotz des Verbots weiter." Corleis warf ein, dass sie nur gewöhnliche Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei gewesen seien. Seine Frau wurde ins Polizeigefängnis Stadthaus und von dort ins Konzentrationslager Fuhlsbüttel überführt. Am 26. Juni 1935 bekam Corleis die Mitteilung, seine Frau habe sich in der Nacht zum 25. Juni 1935 in ihrer Zelle erhängt.
Zum 27. Juni wurde er ins Stadthaus bestellt. Dort wurde ihm u. a. mitgeteilt, seine Frau sei in eine größere verbotene SPD-Organisation verwickelt gewesen, die seit Weihnachten 1934 von der Gestapo beobachtet worden sei. Diese Kolonne (Gruppe) habe unausgesetzt Gelder für die SPD gesammelt und daran habe seine Frau maßgeblichen Anteil gehabt. Sie habe mit Sicherheit ein schlechtes Gewissen gehabt und sich deshalb erhängt. Den anderen Verhafteten warf das Hanseatische Oberlandesgericht "Vorbereitung zum Hochverrat" vor. Sechs von ihnen wurden zu Haftstrafen zwischen 15 Monaten und drei Jahren verurteilt.
Friedrich Corleis durfte seine Frau nicht in Billstedt beerdigen, damit die Beerdigung nicht zu Propagandazwecken genutzt werden konnte. Die Verbrennung der Leiche fand im Ohlsdorfer Krematorium statt; bei der vorangegangenen Leichenschau durfte die Familie die Tote nur von Ferne betrachten. Ausdrücklich wurde ihr das Nähertreten verboten. Die Asche wurde Friedrich Corleis zur Beerdigung ausgehändigt. Katharina Corleis wurde auf dem Schiffbeker Friedhof beigesetzt, unter der Bedingung, dass kein Gefolge daran teilnehme.
Katharina Corleis" Enkelin, Helga Witt, war damals zu Besuch bei den Großeltern. Als sie am nächsten Morgen ihre Großmutter nicht vorfand, erfuhr sie von ihrem Großvater, man habe die Großmutter abgeholt.
Die Mitangeklagte Katharina Strutz erklärte später eidesstattlich, "dass die im Konzentrationslager Hamburg-Fuhlsbüttel ums Leben gekommene Frau Corleis, wohnhaft gewesen Hamburg-Billstedt, Öjendorfer Weg, mit mir zusammen in der Nacht vom 17. auf den 18. Juni 1935 durch die Gestapo verhaftet wurde. Wir wurden am 18. Juni 1935 gegen Mittag vom Stadthaus aus nach Fuhlsbüttel gebracht, wo wir (insgesamt 8 Billstedter Frauen) in Einzelhaft kamen. Der Tod von Frau Corleis wurde mir Anfang Juli bekannt, als ich zur ersten Vernehmung im Stadthaus war. Eine mir unbekannte Mitgefangene, die in Gemeinschaftshaft war, teilte mir mit, dass Frau Corleis bereits seit mehreren Tagen tot sei."
Katharina Corleis war die erste Frau, die im Konzentrationslager Fuhlsbüttel ums Leben kam. Sie hatte in Billstedt im Rahmen des "illegalen antifaschistischen Widerstandskampfes" der SPD NS-Gegnerinnen und -Gegner sowie Angehörige von Verfolgten zum Beispiel durch kleine Geldbeträge unterstützt. Mit den Spenden, die sie sammelte und verteilte, half sie Not zu lindern. Einige Menschen konnten dadurch ihre Wohnung behalten, andere bekamen etwas zu essen oder konnten Medikamente oder ein Schulheft für ihr Kind kaufen. Besonders die Menschen, die sich gegen das NS-System stellten, mussten viel entbehren. Oft verloren sie ihre Arbeit und damit ihr Einkommen. So waren die kleinen Hilfen für sie ein Segen. Katharina Corleis wusste, worauf sie sich einließ und was ihr deshalb passieren konnte. Trotzdem tat sie, was sie tat.
© Christiane Chodinski, aus: www.stolpersteine-hamburg.de
Quellen: Kola-Fu Gedenkbuch; StaH 351-11 AfW, 4443; Gedächtnisprotokoll vom 30.01.1946 von Friedrich Corleis; mündliche Mitteilungen von Angehörigen.