Ilse Frapan

    Pseudonym von Elise Therese Levien
    Lehrerin und Schriftstellerin

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    03.02.1849
    in Hamburg (Neustadt)

    02.12.1908
    in Genf
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    "Wer sich nicht empört gegen die Brutalität seiner Zeit, der ist an der Brutalität seiner Zeit mitschuldig," - so Frapans Credo.
    Als Novellistin war Frapan um 1900 einem Millionenpublikum bekannt. Außerdem trat sie als richtungsweisende Kämpferin für Frauenrechte und soziale Gerechtigkeit in Erscheinung, als Gründerin der "Zürcher Kinderschutzvereinigung", Repräsentantin der "Ethischen Kultur", Tolstojanerin, Friedensaktivistin und Mitstreiterin in der armenischen Unabhängigkeitsbewegung.
    Frapan wuchs in einem selbstständigen Handwerkerhaushalt in der multikulturellen Hamburger Neustadt und im Karolinenviertel auf. Zehn Jahre war sie an der von den freisinnigen Frauen Hamburgs gegründeten "Schule des Paulsenstifts" tätig - einer Mädchenschule in der Tradition der jüdischen Freischulbewegung und der Fröbelpädagogik mit dem Ziel "freie, denkende, selbsttätige Menschen" zu erziehen, die sich durch soziale und religiöse Koedukation mit Ethikunterricht auszeichnete. Ihre Schulleiterin war Anna Wohlwill (siehe Grabstein); eine Kollegin Helene Bonfort (siehe Gedenkstein). Hier lernte Frapan auch ihre Lebensgefährtin kennen, die 1871 aus Žagar? (damals Russland, heute Litauen) eingewanderte jüdische Malerin und Bildhauerin Emma Mandelbaum (1855-1908). Zeitlebens bestimmte dieses typisch hamburgische Milieu Frapans Denken, Handeln und Schreiben: Selbstständigkeit, freie Religiosität, soziales Miteinander und Pluralität. Von Theodor Storm zum Schreiben ermutigt, gingen Frapan und Mandelbaum 1883 zum Studium zu Friedrich Theodor Vischer nach Stuttgart. Entsprechend dem poetischen Realismus ihrer Vorbilder stellte Frapan in ihrem Frühwerk bis Mitte der 1890er Jahre Individualität, Humanität sowie Schuld- und Tragikfähigkeit der Menschen dar - allerdings bei den Unterschichten Hamburgs. Sie beschrieb die Möglichkeit des Menschlichen selbst unter menschenunwürdigen Bedingungen des Großstadtmilieus, auf das sie mit Humor blickte. Darin besteht das Spezifische ihrer Novellistik. Von 1888 bis 1890 gehörte Frapan zum engeren Kreis um Paul Heyse, von dem sie sich aber bald entfremdete. Volksbildung und Frauenbewegung wurden für sie wichtig. Sie war 1891 Mitbegründerin der "Litterarischen Gesellschaft zu Hamburg" und ging 1892 zusammen mit Mandelbaum zum Studium der Naturwissenschaften nach Zürich. Dort gründeten die beiden Frauen unter dem Vorsitz von Emilie Kempin-Spyri den "Frauenrechtsschutzverein", der zusammen mit dem "Martha-Verein" ("Freundinnen junger Mädchen") auch gegen den internationalen Frauenhandel kämpfte. Im Zürcher "Frauenbildungsverein" und in der "Union für Frauenbestrebungen" wirkten die beiden ebenfalls mit. Frapan regte in der "Union" die Diskussion über eine Beteiligung an der Friedensbewegung und die Unterstützung der Haager Friedenskonferenz (1899) an. 1899 erwirkte sie die Gründung der "Zürcher Kinderschutzvereinigung". Im deutschen Arbeiterverein "Eintracht" knüpfte sie Beziehungen zu Sozialisten und als Mitglied der "Schweizer Gesellschaft für Ethische Kultur" setzte sie sich für Menschenwürde ein, pochend auf die sittliche Freiheit jedes Menschen. Um 1898 kamen die beiden Frauen in engen Kontakt zu russischen Studierenden, auch zu dem Armenier Hovannessian Akunian (russisch: Iwan Akunoff, 1869-1947), chemotechnischer Ingenieur aus Schemacha (heute: Aserbaidschan), mit dem verheiratet zu sein Frapan ab 1901 vorgab. Mit Emma Mandelbaum übersetzte sie Tolstois "Auferstehung" und bekannte sich zu dessen christlichem Anarchismus: zu Vergebung, Versöhnung und Gewaltfreiheit, die auch Wehrdienstverweigerung einschloss. Als Friedensaktivistin versuchte sie, Frauen gegen die Verbrechen des deutschen Militärs während des Boxeraufstandes in China zu mobilisieren. Sie forderte keine Gleichstellung von Frauen in einer an kapitalistischen Prinzipien orientierten Gesellschaft, sondern deren Veränderung durch Frauen. Ab 1901 lebte Frapan mit Mandelbaum und Akunian in einer Art Landkommune in Onex bei Genf in unmittelbarer Nachbarschaft des Tolstoi-Biographen Pawel Birjukow, zu dessen Tolstoikolonie sie engen Kontakt hatte.. Von dort aus setzte sie sich auch für die Unabhängigkeitsbewegung der Armenier ein.
    Entsprechend ihrer politischen Weiterentwicklung änderte sich ihr literarisches Schaffen vom poetischen Realismus zu engagierter Literatur. In ihrer Erzählung "Wir Frauen haben kein Vaterland" (1899) wirft sie nicht nur ihrer Vaterstadt vor, Frauen keine Stipendien für ein Studium bereitzustellen, sondern stellt die Doppelmoral von bürgerlicher Familie, Klerikern und staatstragender Kirche sowie die materialistische, male-chauvinistischen Einstellung von Juristen und Rassisten bloß. In ihren Schulbuchtexten "Hamburger Bilder für Hamburger Kinder" (1899) lässt sie aus der Ich-Perspektive namens- und dadurch geschlechtsneutrale Kinder mit einer Art Kamerablick auf Hamburg schauen. Die an kapitalistischen Prinzipien orientierten Strukturen des Zürcher Uniklinikums und grundsätzlich die doppelte Moral der bürgerlichen Gesellschaft greift Frapan in ihrem weiblichen Entwicklungsroman "Arbeit" (1903) an und setzt diesen das Prinzip der Liebe entgegen. Ihr Drama "Die Retter der Moral" (1905), in dem maskierte Frauen die Machenschaften der Sittenpolizei rächen, wurde nach zwei Aufführungen im Ernst-Drucker-Theater sofort abgesetzt. Als Verfasserin kritischer Texte machte sich Frapan nicht beliebt. Als "Ehrenvorsitzende des Hamburger Monistenbundes", Frauenrechtlerin, Friedensaktivistin, Antiimperialistin und Kämpferin für die Rechte der Armenier wurde sie in Hamburg zur "persona non grata". Die Politische Polizei legte von 1903 bis 1909 eine umfangreiche Akte über sie an.
    Unheilbar erkrankt, wurde Frapan von Emma Mandelbaum erschossen, die sich daraufhin selbst tötete. Der Wunsch aus der Hamburger Bevölkerung, die beiden Freundinnen von Genf auf den Ohlsdorfer Friedhof zu überführen, wurde trotz reichlicher Geldspenden nicht realisiert. Diese Gedenktafel bewahrt nun die Erinnerung an sie.
    Text:
    Christa Kraft-Schwenk