- Wer soll Einzelzimmer bezahlen?
- Wie müssen Heimstrukturen umgebaut/neu gebaut werden?
- Wie müssen sich die Arbeitsprozesse in den Heimen verändern UND wer macht das?
- Seite „Ursula Preuhs“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 16. November 2024, 01:20 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Ursula_Preuhs&oldid=250383110 (Abgerufen: 17. November 2024, 15:23 UTC)
- Ebenda
Ursula Preuhs
Bürgerschaftsabgeordnete


30.9.1931
Hamburg
-
4.11.2024
Hamburg
Hamburg
-
4.11.2024
Hamburg
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bestattet auf dem Tonndorfer Friedhof, Grablage: O-UG1-142
„Ursel Preuhs wuchs in sozialdemokratischem Umfeld zunächst im Arbeiterviertel Hamburg-Barmbek auf, später unter anderem in Jenfeld. Ihr Vater Paul Preuhs, gelernter Klempner, engagierter Sozialdemokrat, war von 1928 bis 1933 als Gewerkschaftssekretär tätig“, 1) heißt es auf Wikipedia.
Ursel Preuhs erlernte den Beruf der Krankenschwester. Sie arbeitete als Verwaltungsassistentin, war als Personalratsvorsitzende tätig und aktives Mitglied in der Gewerkschaft Öffentliche Dienst, Transport und Verkehr (ÖTV). Sie war Mitglied im Bundesabteilungsvorstand der ÖTV und dort für die Rentenversicherungsträger (Landesversicherungsanstalt Hamburg) zuständig.
Im Alter von 22 Jahren trat Ursula Preuhs 1953 der SPD bei. „Ihre politische Heimat war der Distrikt (Ortsverein) Mühlenkamp. Neben verschiedenen Funktionen gehörte sie dem Kreisvorstand Hamburg-Nord an. Von 1966 bis 1986 war sie für ihre Partei Mitglied der Bezirksversammlung Hamburg-Nord.“ 2) 1973 wurde sie Vorsitzenden der Bezirksversammlung Hamburg-Nord. Damit war sie die erste Frau, die in Hamburg solch einen Posten bekam.
1986 wurde Ursula Preuhs Mitglied (SPD) der Hamburgischen Bürgerschaft, was sie bis 1997 blieb. Ihre politischen Schwerpunkte lagen hier im Gesundheits- und Sozialbereich.
„Von 2001 bis 2009 war sie Mitglied im Landesseniorenbeirat Hamburg und bis 2017 Vorsitzende des Bezirksseniorenrates Hamburg-Nord.“ 3)
Besonders lag ihr daran, dass Seniorinnen und Senioren in „Alteneinrichtungen“ ein Einzelzimmer erhalten konnten. Dafür hat sie sehr gekämpft.
Ursula Preuhs war ledig und hatte keine Kinder.
„In meinem ganzen Leben habe ich mir zu allen Gelegenheiten, ob Geburtstag, Silvester oder Weihnachten nur eines gewünscht: Frieden – nicht Gesundheit, nicht Wohlstand, sondern immer Frieden.“ (Ursula Preuhs)
Quellen: Inge Grolle, Rita Bake: „Ich habe jonglieren mit drei Bällen geübt“. Frauen in der Hamburgischen Bürgerschaft 1946 bis 1993. Hamburg 1995, S. 381. 1) Seite „Ursula Preuhs“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 16. November 2024, 01:20 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Ursula_Preuhs&oldid=250383110 (Abgerufen: 17. November 2024, 15:23 UTC) 2) Ebenda 3) EbendaTrauerrede, gehalten von Inka Damerau Liebe Ulla, lieber Heinz, liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde, liebe Trauergemeinschaft, Eine herzliche und kluge, streitbare Sozialdemokratin durch und durch – eine beeindruckende Politikerin - eine politische Freundin. Ursel Preuhs ist tot. Ihr 93-jähriges langes Leben war geprägt von ihrer grundständigen Haltung, dass diese Gesellschaft Freiheit, Demokratie und Frieden braucht. Dafür ist Ursel ihr Leben lang politisch und gesellschaftlich aktiv geblieben. Ihre politische Heimat war die Sozialdemokratie, der sie 1953 beitrat – in dem Jahr, in dem Paul Nevermann als Vorsitzender die SPD-Fraktion in der Bürgerschaft anführte (nach der verlorenen Wahl gegen den vereinigten Bürgerblock). Ihre Erlebnisse in den Kriegsjahren und die permanente Bedrohung der Familie durch die Nazis (Ihr Vater Paul war ein engagierter Gewerkschafter und Sozialdemokrat) in ihrer Kindheit und Jugend – die Erfahrungen in der Nachkriegszeit mit Hunger und Kälte sind bestimmt eine lebenslange Prägung für Ursel gewesen und erkennbar die Triebfeder aus der heraus sie ihre grundsätzliche Haltung immer wieder betont hat, Frieden und Demokratie als unabdingbare Voraussetzung für die Gestaltung der Gesellschaft. Dies bis hinunter in kommunale und soziale Fragen. Das war sozusagen ihr Credo – ihr Handlungsleitfaden. Von 1966 bis 1986 war Ursel Bezirksabgeordnete danach bis 1997 Bürgerschaftsabgeordnete. Sie war über viele Jahre hinweg Mitglied des Kreisvorstands Hamburg-Nord. Im Anschluss an ihre Abgeordnetenzeit in der Bürgerschaft 1997 hat sie weitere 20 Jahre als Vorsitzende des Bezirksseniorenbeirates und parallel auch zeitweise als Mitglied im Landesseniorenbeirates die Senior*innenpolitik im Bezirk und in Hamburg geprägt. Und natürlich war sie Gewerkschafterin. Egal wo: Wenn Ursel sich zu Wort meldete und anfing, mit „Ich sag mal …“, dann wussten alle: Das war nicht einfach daher gesagt, sondern in aller Regel ein kluger Gedanke, ein wichtiger Hinweis, eine gute Lösung, … Meine eigenen Begegnungen mit Ursel begannen, als ich 1991 als Juso-Vertreterin in den SPD Kreisvorstand Hamburg Nord gewählt wurde, später als Kreisvorsitzende und schließlich von 2008 bis 2021 als stellv. Landesvorsitzende. Kontakt und Zusammenarbeit mit Ursel war immer auf Augenhöhe, inspirierend, manchmal anstrengend, aber immer motivierend. Für Ursel lagen die politischen Themen, denen sie sich in der Bezirks- und Landespolitik gewidmet hat, auf der Hand: Bis weit in die 1960er Jahre hinein war der Wiederaufbau der zerstörten Stadt nach dem Krieg das zentrale Thema: Wohnungsbau, Schulbau und Schulversorgung, Kinderbetreuung, Schaffung von Jugendeinrichtungen, die Instandsetzung der Verkehrsinfrastruktur, das Gesundheitswesen und natürlich der Aufbau demokratischer Strukturen. Und weil es ja um die konkreten Lebensverhältnisse der Bürger*innen ging, war Ursel umfassend mit nahezu allen Themen beschäftigt. In ihren Funktionen und Mandaten hat Ursel in vielen dieser Fragen die politische Arbeit langfristig geprägt. Heute wissen wir das: Politik, vor allem in Hamburg Nord war ohne Ursel Preuhs kaum vorstellbar und zeigt bis heute Wirkung. ein Beispiel: Heute wie damals ist der mangelnde Wohnraum – sozusagen als Dauerbrenner unterwegs. Wenn Politikerinnen heute in ihre Planungen gehen, dann können sie auf Standards zurückgreifen, die genau in den 1960 er Jahren und danach erstritten worden sind – dies oftmals auch nach schmerzhaften Lernerfahrungen: So führte der Bau von Großsiedlungen wie Steilshoop, Mümmelmannsberg und Osdorfer Born in der Folge zu sehr streitbaren Auseinandersetzungen innerhalb unserer SPD und in der Stadt: Wie müssen Stadtteile und Quartiere und somit eben auch das Bauen sich entwickeln, damit die Menschen gesund und sozial leben können? – im Kontakt mit anderen? - damit sich Gemeinschaften entwickeln können. Das waren auch höchst streitbare Diskussionen unter den Bedingungen eines anhaltenden Wohnraummangels, dem mit hochverdichtetem Bauen begegnet werden sollte. Und trotz dieses Mangels, der selbstverständlich auch großen Druck erzeugte, hat es Ursel und ihre damaligen Mitstreiter*innen nicht davon abgehalten, die notwendigen Auseinandersetzungen über qualitative Fragen des Wohnens und des Städtebaus zu führen. UND weil es Ursel stets um machbare Lösungen - auch im Sinne der Finanzierbarkeit für Menschen mit nicht so dickem Geldbeutel - ging, entstand nach nächtlichen Diskussionen an ihrem Esstisch u. a. die Idee von Kleingenossenschaften. Diese Idee wurde tatsächlich Wirklichkeit und konnte später am Brödermannsweg in Groß Borstel und mit der Wolfgang Borchert Siedlung verwirklicht werden. Viele von Euch wissen, dass an diesem Esstisch auch noch viele andere gute Gedanken ihren Ursprung hatten – nach langen Diskussionen natürlich. Themen, die Ursel während der ganzen Jahrzehnte ihres politischen Einsatzes fest im Blick hatte waren die Sozial-, Gesundheits- und Seniorenpolitik. Ein Bereich, in dem ich selbst beschäftigt war und bin und worüber wir sofort eine nicht aufhörende Verbindung herstellen konnten. Die Situation von Senior*innen, so u.a. die Lage in den Altenheimen, die bis weit in die 1980er Jahre hinein durch Mehrbettzimmer – gekennzeichnet waren, – teilweise bis zu 8 Personen in einem Zimmer – hat Ursel sehr umgetrieben. Das Fehlen jeglicher Privatsphäre für jeden einzelnen Menschen in seiner letzten Lebensphase - DAS kann und darf so nicht sein! Und so begann sie sich für eine Veränderung dieser Situation einzusetzen. Dabei stieß sie auf die gesamte Komplexität, die für diese Veränderung entschlüsselt und geknackt werden mussteMehr als 20 Jahre Durchhaltevermögen und Dranbleiben waren erforderlich, bis schließlich der Anspruch auf ein Einzelzimmer auch gesetzlich verankert war. Ein langer, harter und sehr erfolgreicher Kampf, von dem heute so viele pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen profitieren. Wohnen und Pflege - mit diesen zwei Beispielen haben wir Ursel im Auge und im Ohr. Stets ist sie von den Menschen ausgegangen. Oberste Priorität war, die Lebensverhältnis zu verbessern und eben entsprechende Strukturen zu entwickeln. Dicke Bretter. Als Ursel Preuhs in den 1960-er Jahren ihre parlamentarische Arbeit in der Bezirksversammlung Hamburg Nord begann, war es in der Gesellschaft und auch in der SPD nicht selbstverständlich, dass Frauen sich politisch engagierten oder gar wichtige Ämter übernahmen. Auch hier war Ursel eine Vorreiterin: 1973 wurde sie Vorsitzende der BV in HH Nord – als erste Frau in Hamburg überhaupt in dieser Position. Und 1983 wurde sie ebenfalls als erste Frau Vorsitzende des Personalrates der Landesversicherungsanstalt. Das hat vielen Frauen Mut gemacht, sich selbst zu engagieren – sich etwas zu trauen. Ein großes Herzensanliegen war Ursel der unmittelbare Kontakt mit Bürgerinnen und Bürgern, mit ihrer Partei und den Genossinnen und Genossen. So war eine ihrer ersten Amtshandlungen als Präsidentin die Einführung einer aktuellen Stunde bei den Sitzungen der Bezirksversammlung – sehr zur Verärgerung der Verwaltung, denn damals durften Bürger*innen zwar zuhören, aber Fragen zu stellen (auf die es dann auch noch eine Antwort geben sollte), das war nicht üblich. Aber Ursel nahm die Menschen ernst und wollte ihnen Gehör verschaffen. Und noch Jahrzehnte später hat sie bis zum Beginn der Pandemie über viele Jahre hinweg Menschen im SPD-Bürgerbüro des Kurt-Schumacher-Hauses zu ihren vielfältigen Anliegen beraten und ihnen oft helfen können. Darin – im Gespräch mit anderen zu bleiben - war sie unermüdlich. Bis in das hohe Alter hinein hat sie ihre Kraft dazu genutzt, zu motivieren und zu ermutigen, sich zu engagieren, dranzubleiben, nicht nachzulassen, die Gesellschaft im Sinne von Demokratie und Frieden und sozialer Gerechtigkeit weiter voranzutreiben und auch zu verteidigen. Aktuell müssen wir erkennen, wie äußerst fragil und angreifbar unsere Demokratie ist. Das hat Ursel in den letzten vielen Jahren sehr umgetrieben und ihr große Sorge bereitet. Im persönlichen Gespräch mit ihr hat die Formulierung dieser Sorge nie gefehlt. Viele von euch werden sich erinnern, dass ein Gespräch mit Ursel nicht selten mit der sehr konkreten Aufforderung beendet wurde, dranzubleiben, sich einzusetzen. „Wir dürfen nicht nachlassen, es uns nicht bequem machen“ – so erinnere ich Gespräche mit Ursel. Und in etwa so weiter: „Wie wirst Du das jetzt angehen?“ Das hat Ursel Preuhs geschafft – sich selbst ein Leben lang der Verantwortung zu stellen – das politische Anliegen zu ihrem persönlichen zu machen und mit der größtmöglichen Authentizität in den Kampf zu gehen. Für mich und viele andere Frauen und Männer war und ist Ursel ein überzeugendes und ermutigendes Vorbild. Ursel war eine große Sozialdemokratin, eine beispielgebende Politikerin, die sich unermüdlich für das Gelingen unserer Demokratie eingesetzt hat. Nicht leichten Herzens, aber mit großer Dankbarkeit nehmen wir heute Abschied von Ursel Preuhs, von ihrer Herzlichkeit und von ihrer Überzeugungskraft – sie wird uns fehlen. „Wie wirst Du das jetzt angehen?“ Ursel – mit Entschlossenheit Du hast uns gezeigt, wie man das macht Mit Entschlossenheit müssen wir ihre Arbeit fortsetzen! Sie hat uns gezeigt, wie man das macht!
Trauerrede von Prof. Heinz Lohmann Als Ursel Preuhs 1931 im AK Barmbek geboren wurde, war die Weimarer Republik schon in ihrer Endphase. Die wirtschaftliche Situation war bedrückend, nicht zuletzt in der Folge der unversöhnlichen Auseinandersetzungen der vorausgegangenen Jahre. Ursels Vater verlor als Gewerkschaftssekretär 1933 mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten seinen Arbeitsplatz und musste um seine Unversehrtheit fürchten. Diese besonderen Lebensumstände und die Folgen des Krieges haben ihre Jugend unauslöschlich geprägt. Die Familie hat diese Zeit in der Nordheide überlebt. Nie vergessen hat Ursel, wie sie als Kind auf der Fahrt von ihrem Wohnort Wenzendorf nach Buchholz zur Schule bei Tieffliegerangriffen mit den anderen Reisenden unter dem Zug Schutz suchen musste. Erst vor kurzem hat Ursel berichtet, wie unendlich schwer es ihr gefallen ist, ihrer Mutter die Zustimmung dazu zu geben, in den dramatischen letzten Kriegsjahren, in denen Armut und Hunger herrschten, den wunderbaren Puppenwagen und später sogar die geliebte Puppe Rosemarie gegen Lebensmittel bei der Krämerfrau im Dorf einzutauschen. „Man musste ja essen,“ hat sie dazu gesagt. All‘ die Erlebnisse in dieser Zeit haben sie dazu gebracht, sich später zu Geburtstagen, Silvester und Weihnachten immer nur eines wünschen: Frieden. Die Eltern hatten sie zu ihrem Ärger immer um spätestens viertel vor Zehn ins Bett geschickt. Aller Protest half nichts. Erst nach dem Krieg hat sie den Grund erfahren. Um 22 Uhr haben ihr Vater und ihre Mutter unter drei Decken die deutschsprachigen Nachrichten von BBC London im Radio gehört. Sie wollten verhindern, dass sich die keine Ursel in der Schule verplappert. Ursel Preuhs wollte eigentlich immer schon Krankenschwester werden. Und selbst die Einwände ihres Vaters, da wäre sie doch viel zu abhängig von den Ärzten hat sie nicht von ihrem Berufswunsch abgebracht. Ihr ging es um den direkten Kontakt zu den Menschen. Auch später in der Diabetikerzentrale der LVA war das für sie der wichtigste Antrieb. Die Situation während ihrer Ausbildung zur Krankenschwester mit dem kasernenähnlichen Reglement im 6-Bett-Zimmer hat ihre Begeisterung für den ersehnten Beruf auf eine harte Probe gestellt, aber sie hat durchgehalten. Wie bei vielen anderen Herausforderungen in ihrem Leben später auch. Ursel war ein durch und durch politischer Mensch. Deshalb gab es nicht hier ein öffentliches und dort ein privates Leben. Aber ihre ersten Urlaubsreisen hat sie mit ihren Freundinnen unternommen, die in ihren politischen Alltag nicht involviert waren. In Hamburg war sie im gesellschaftlichen Dauereinsatz. Wenn man sie anrief und der Anrufbeantworter sprang an, wusste man, es geht ihr gut. Sie ist aktiv. Und selbst abends traf man sich gerne zu strategischen Endlosgesprächen bei ihr. Da gab es auch immer etwas zu Essen. Wer bei ihr nicht satt geworden ist, dem war nicht zu helfen. Ursel selbst war durchaus krüsch, wie man in Hamburg sagt. Sie aß das, was auch ihr Vater gegessen hat und das nicht, was auch ihr Vater nicht aß. Und das war doch so einiges. Aber das, was sie aß, aß sie mit großem Appetit. Bis zuletzt – bis wenige Wochen vor ihrem Tod – hat sie sich auch immer ein gutes Glas Wein oder, wenn es besser passte, ein Glas Bier gegönnt. Sie konnte selbst genießen und anderen etwas gönnen. Unser Hund Lovis – Ursel sagte konsequent Lovi – ist immer, wenn wir sie besuchten, den langen Gang zu ihrer Wohnung entlang geflitzt. Wusste er doch, dass sie an ihrer Wohnungstür nicht mit einem Leckerli, wie zu Hause, sondern mit einer ganzen Hand voll auf ihn wartete. Den strafenden Blick von Ulla hat Ursel dann hinterher weggelächelt. Der „arme Hund“, wie sie öfter spaßeshalber sagte, hat es ihr mit größter Zuneigung gedankt und ist ihr, auch als sie dann im Rollstuhl saß, nicht von der Seite gewichen. Natürlich haben wir in der Hamburgischen Staatsoper Nabucco erlebt. Aber Ursel war durchaus mehr zuzumuten. War sie doch wegen unserer Passion für die experimentelle Gegenwartskunst schon einiges gewohnt. So hat sie eine ganze Reihe von Künstlerinnen und Künstlern persönlich kennen gelernt und sich sogar mit einigen von ihnen angefreundet. Deshalb haben wir gemeinsam in der Elbphilharmonie den Disharmonien von Hans Werner Henzes „Floß der Medusa“ gelauscht und Ursel war begeistert. Über „Die Nase“ von Dimitri Schostakowitsch haben wir lange Zeit diskutiert. Sie hat das dramatische Leben dieses begnadeten Musikers erschüttert, aber gleichzeitig seine geniale Schaffenskraft bewundert. Wir hören deshalb zum Abschluss der Trauerfeier sein Prélude Nr. 1. Ulla und ich sind heute sehr froh, dass wir mit Ursel immer wieder gemeinsam in den Urlaub gefahren sind. Das erste Mal hat vor vielen Jahren der Zufall dafür gesorgt, dass wir wunderschöne Tage im bayerischen Krün erlebt haben. Ursel hatte sich zum Urlaub in der Nähe von Mittenwald und wir uns in der Nähe von Garmisch voneinander verabschiedet, ohne zu realisieren, dass wir auf dem Weg in dieselbe Region unterwegs waren. Gleich am ersten Abend trauten Ulla und ich unseren Augen nicht, als wir bei einem kleinen Erkundungsspaziergang erst ihr uns gut bekanntes Auto und dann sie selbst in einem Hotelrestaurant hinter der Fensterscheibe beim Essen sitzen sahen. Die Besuche an den folgenden Tagen von Museen, Schlössern und Konzerten haben dann Lust auf mehr geweckt. Die Flensburger Förde, Heiligendamm, meine alte Heimat Ostfriesland und Sylt waren Ziele, die wir in den nachfolgenden Jahren, teils mehrfach, besucht haben. Ich sehe mich heute noch mit ihr auf dem Roten Kliff in Kampen stehen und auf das Meer blicken. Sie war schon vorher mehrfach auf der Insel gewesen, aber immer nur beruflich – morgens Anreise, nachmittags Abreise und abends natürlich in Hamburg wieder ein wichtiger politischer Termin. Jetzt hatte sie Zeit und wir konnten über die Urgewalt der Natur philosophieren. Zwar lag die Nordsee völlig ruhig da, aber die Abbruchkante des Kliffs zeigte deutlich, welche Kräfte im Orkan wirksam werden können. Ruhe vor dem Sturm. War das ein Sinnbild unserer Zukunft? Ein verlängertes Wochenende auf Schloss Liebenberg in der oberen Havelniederung nördlich von Berlin hat uns viel Stoff zum Nachdenken geliefert. Von der Kaiserzeit mit politischen Intrigen, über die krisenhaften Jahre der Weimarer Republik, die Zeit des Nationalsozialismus mit Anpassung und Widerstand, den Niedergang der DDR bis hin zum Aufblühen nach der Wiedervereinigung, wird an diesem Ort mehr als 150 Jahre deutsche Geschichte, wie in einem Brennglas erlebbar. Wir haben lange und intensiv darüber diskutiert, warum viele Menschen in Ostdeutschland sich als abgehängt empfinden und was da im Umgang miteinander schiefgegangen ist. „Ich bin völlig unwichtig“, erwiderte Ursel, als wir sie mit der Idee konfrontierten, eine Biografie über sie herauszugeben. Später sagte sie zu Isabel Lenuck, die ihr in langen Sitzungen zuhörte und dann das Buch über Ursels Leben schrieb: „Der einzige Grund, weshalb ich an dieser Biografie überhaupt mitwirke, ist meine Hoffnung, dass die Menschen niemals vergessen mögen, wie wertvoll Freiheit und Demokratie sind. In einem freien Land zu leben, ist keine Selbstverständlichkeit, das habe ich am eigenen Leib erfahren. Nie wieder darf es so etwas Furchtbares wie 1933 geben.“ Unwichtig war Ursel für ihre Freundinnen und Freunde ganz und gar nicht. Einige von ihnen haben sie auch in den letzten Wochen immer wieder im Krankenhaus und ganz zuletzt in den allerletzten Tagen im Pflegeheim besucht, als sie schon nicht mehr sprechen konnte. Sie haben ihr einzelne Abschnitte aus der Biografie vorgelesen oder aus dem Gedächtnis Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse erzählt. Hin und wieder hatten wir den Eindruck, dass sie da ein ganz klein wenig genickt und gelächelt hat. Nachdem es in der Nachkriegszeit in ihrem Leben eigentlich immer bergauf gegangen ist, hat Ursel in letzter Zeit doch gelegentlich das Gefühl beschlichen, es könnte vorbei sein mit den positiven Entwicklungen. Ja, sie machte sich Sorgen, dass unsere Gesellschaft schon an vielen Punkten, kulturell, sozial und politisch, in der falschen Richtung unterwegs ist. Ursel war keine große Strategin. Aber sie hat die Angst der Menschen gespürt, Opfer der Umwälzungen unserer Zeit zu werden. Sie hat mit ihren Mitteln versucht, sich dagegen zu stemmen und eine individuelle Perspektive für den Einzelnen zu eröffnen. Deswegen war sie immer, bis zum Schluss, unterwegs für ein lebenswertes Leben. Danke, Ursel, für alles! Zitate:Literatur: Inge Grolle, Rita Bake: „Ich habe jonglieren mit drei Bällen geübt“. Frauen in der Hamburgischen Bürgerschaft 1946 bis 1993. Hamburg 1995, S. 381. Mit herzlichen Grüßen, für den Vorstand