Bärbel Scheidat
73 Jahre, Krankenschwester


10.10.1943
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23.2.2017
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23.2.2017
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Rede auf der Trauerfeier von Bärbel Scheidat am 1. April 2017 in Kapelle 10 auf dem Ohlsdorfer Friedhof
Liebe Bärbel, Du hast uns alle zu Deiner letzten Feier hier auf Erden eingeladen. Dafür danken wir Dir und sind auch gekommen, um Dich zu Deinem ewigen Plätzchen in den Garten der Frauen zu begleiten. Dorthin, wo einige unserer Mitglieder schon in Seeligkeit ruhen und wo viele von uns, die heute zu Deiner Feier gekommen sind, auch eines Tages zu Dir stoßen werden. Bis dahin versprechen wir Dir, Dich zu besuchen, Dein Plätzchen zu pflegen und zu hegen, so wie Du es mit anderen Freundinnen des Gartens der Frauen in den letzten Jahren auch für diejenigen getan hast, die dort schon sind.
Liebe Bärbel,
Neben Deiner so sehr geliebten Tochter Silke, Deiner Dir so sehr verbundenen Schwester Gesa, Deinen quasi Enkelkindern Rosa, Kasper und Laurien, von denen Du voller Freude erzählt hast und deren Kinderzeichnungen Du in Deiner Küche hängen hattest, sind noch viele andere Verwandte, Freundinnen und Freunde sowie Weggefährtinnen des Vereins Gartens der Frauen Deiner Einladung gefolgt und haben sich hier in Kapelle 10 versammelt, um mit Dir Deine letzte Feier hier oben auf Ohlsdorf zu begehen.
Dafür hast Du alles vorbereiten lassen. So wie es Deine Art war: Nichts dem Zufall, überlassen, alles Notwendige planen, organisieren, vorbereiten. Ganz Schwester Bärbel perfekt.
Du wolltest als Blumenschmuck Rosen haben. Dein Wunsch war aber nicht nur einfach Rosen. Nein, eine besondere Farbe sollten sie schon haben. Und so warst Du mit Deiner Tochter in der Osterstraße, in der Nähe Deiner Wohnung, und hast an einem dort gelegenen Blumenstand, diese bestimmten Rosen ausgesucht. Und es war auch Dein Wunsch, dass unsere bunten Kerzen Dein Fest erhellen und auf den Boden gestreute Rosenblüten Dein Fest schmücken.
Und natürlich hast Du nicht vergessen, dass auch Musik zu dieser Feier gehört und deshalb werden wir von Dir ausgewählte Titel hören, mit denen Dich viel verbindet. Aber damit noch nicht genug der Vorsorge und Planung für dieses Fest. Als Frau Westphal, die für Dich die Feier ausrichten sollte, zur Vorbesprechung kam, hast Du mit Deiner Tochter auch die Optik der Einladungskarten besprochen, die Gästeliste erstellen lassen und Dein Häuschen ausgesucht, formschön und elegant, in dem Du nun bist und mit uns Deine Feier begehen wirst.
Liebe Bärbel,
Wir sind unendlich traurig, dass Du nicht mehr so unter uns weilst, wie wir es gewohnt sind. Aber Du bist nicht völlig von uns weg. Du bist nur zeitlich ein wenig vor uns gegangen, dorthin, von dem wir nicht wissen, was da ist. Aber, was ich für mich ganz sicher weiß, einen Teil Deines ewigen Lebens hast Du in unserem Herzen, in unserer Erinnerung an Dich. Denn, so wie der Schriftsteller Thorton Wilder es einmal formuliert hat: Es gibt eine Brücke zwischen den Lebenden und den Toten und das ist die Liebe, die Freundschaft.
Musik: Goodbye to my mama
Liebe Bärbel,
Als ich Dich fragte, warum Du diesen Musiktitel für Deine Feier gewählt hast, kam als erste spontane Antwort, weil der Titel von Meryl Streep gesungen wurde, eine Schauspielerin, die Du sehr verehrt und deren künstlerische Leistungen Dich faszinieren. Als zweite Antwort kam nach einiger Zeit, weil der Titel voller Liebe ist, durchdrungen von warmer Zuneigung zu den nächsten Verwandten. Du, die als viertes von fünf Kindern in Neumünster aufwuchs, hast immer eine Mutter vermisst, die Dir Liebe und Zuneigung entgegengebrachte. Du selbst wolltest es dann an Deinem Kind besser machen und hast viel Wert darauf gelegt, dass diese liebevolle Zuneigung zwischen Dir und Deiner Tochter Silke entstehen konnte. Wir, die wir Dich in den letzten Monaten Deines Lebens begleiteten, konnten dieses liebevolle Miteinander zwischen Dir und Deiner Tochter erleben.
Geprägt hat Dich auf besondere Weise auch Dein Beruf als Krankenschwester. Er machte Dich sensibel für die Nöte und Ängste anderer Menschen. Gleichzeitig schuf Deine praktische und pragmatische Herangehensweise an die zu erledigenden notwendigen Dinge des Lebens sehr gute Voraussetzungen für die Ausübung dieses Berufes.
Dir, wie so vielen Mädchen Deiner Generation, blieb der Besuch der höheren Schule verwehrt, trotz schulischer Empfehlung. Denn die Eltern hielten die Investition in solch eine lange Schulbildung nicht für notwendig. Mädchen sollten heiraten, Kinder bekommen und Hausfrau und Mutter sein.
Deine Eltern, der Vater Dachdecker und Seemann, die Mutter Fabrikarbeiterin und Hausfrau, sahen für Dich eine Drogistinnenausbildung vor. Doch damals war die wirtschaftliche Situation in diesem Beruf nicht sehr rosig, deshalb fingst Du 1963, im Alter von zwanzig Jahren, eine Ausbildung zur Schwesternhelferin an. Ab Februar 1964 wurdest Du Schwesternschülerin und absolviertest im Universitätskrankenhaus Eppendorf eine zweijährige Ausbildung und ein einjähriges Praktikum zur Krankenschwester.
1966 wurde Deine Tochter Silke geboren. Da damals Mangel an Krankenschwestern herrschte, richtete das UKE für ledige Krankenschwestern mit deren Kindern eine auf dem UKE Gelände stehende ehemalige kleine Villa an der Straße Butenfeld als so genanntes Wohngemeinschaftshaus ein. Dort wohntest Du zwischen 1966 und 1974 mit weiteren sechs Frauen und sechs Kindern zusammen. Gemeinsam erstelltet Ihr am Küchentisch Euren Dienstplan, so dass die Betreuung Eurer Kinder stets gesichert war. Dieses Leben in einer solidarischen Frauenwohngemeinschaft, in der Eure Kinder gemeinsam aufwuchsen, hast Du sehr genossen.
Deine damalige soziale und gesellschaftliche Situation als ledige Mutter hatte Dich nachhaltig sowohl wachsam als auch stark gemacht, Diskriminierungen von Frauen zu erkennen und Dich für Fraueninteressen einzusetzen. In unseren Gesprächen erzähltest Du noch immer voller Empörung, wie schwer die Gesellschaft den alleinerziehenden Müttern das Leben machte. Euch Müttern wurde nicht zugetraut, Eure Kinder allein großziehen zu können. So bekamst Du für Dein Kind einen gesetzlichen Vormund vorgesetzt. Das hattest Du damals schon als Diskriminierung Deiner Person angesehen und gingst dagegen an. Aber Du hattest keine Chance. Dir wurde gesagt, Du müsstest zuerst einmal beweisen, dass Du sittlich und moralisch in der Lage seist, ein Kind selbst zu erziehen. Auch war es schwer, einen Krippenplatz zu bekommen. Da wurde Dir doch tatsächlich unverfroren ins Gesicht gesagt: Was wollen Sie mit einem Krippenplatz. Es wäre doch wohl besser, wenn Sie Ihr Kind Ihrer verheirateten Schwester geben würden, denn die wäre moralisch besser geeignet, das Kind aufzuziehen.
So war es damals mit der herrschenden Moral bestellt. Und sie machte auch nicht vor Eurer Frauenwohngemeinschaft in der kleinen Villa am Butenfeld Halt, dort, wo Eure Kinder wie Geschwister aufwuchsen, was Deine Tochter Silke als gute Zeit in Erinnerung hat. Nein, auch dort wurdet Ihr von außen und von Seiten der Krankenhausleitung beobachtet. Herrenbesuch war nicht erlaubt. Und auch die damaligen Gesetze für ledige Mütter waren nicht auf Deiner Seite. Erst ab 1970, damals war Silke vier Jahre alt, bekamt Ihr das alleinige elterliche Sorgerecht und es wurde kein gesetzlicher Vormund mehr für das Kind bestellt.
Liebe Bärbel,
Trotz aller Widrigkeiten und Diskriminierungen, die Du ertragen musstest, hast Du Dich nicht unterkriegen lassen. Im Beruf machtest Du Karriere. Dein Pflichtgefühl, Dein Organisationstalent und Dein umsichtiges und perfektes Handeln, auch in hektischen und schwierigen Situationen, machten Dich zu einer Institution. Schwester Bärbel war im UKE bekannt. Deine Berufstätigkeit hat Deiner Tochter Silke in ihrer weiteren Entwicklung nicht geschadet. Solche Vorwürfe musstet Ihr berufstätigen Mütter Euch ja immer wieder vom Gros der Gesellschaft vorwerfen lassen. Silke ist heute Oberärztin im UKE, dort wo sie prägende Jahre ihres Kinderlebens verbracht hat.
Als Du, liebe Bärbel, 1972, nach dem damaligen Ausscheiden der Oberschwester in der Chirurgie, diesen Posten bekommen solltest, wurdest Du leider krank. Mit Anfang 30 musstest Du sechs Monate lang in der Psychiatrie behandelt werden. Bei Dir war eine manisch-depressive Erkrankung ausgebrochen. Mit dieser Erkrankung hast Du dann noch bis 1990 gearbeitet. Dann gingst Du im Alter von 47 Jahren in Rente.
Aber was bedeutete schon das Wort Rente für Dich! An Ausruhen war nicht zu denken. Du begannst zu lernen, Dich fortzubilden.
Musik: Gospel: Nobody Knows the Trouble I've Seen
Dieses Lied, dass Du Dir für Deine Feier ausgesucht hast, macht deutlich, wohin Dein gesellschafts-politisches Interesse fortan ausgerichtet war: auf die Beschäftigung mit dem durch politische Willkür erfahrenen Leid von Menschen.
Dieses Lied gilt als die ergreifendste Klage über die Leiden der Sklaverei. Du beschäftigtest Dich fortan mit dem erfahrenen Leid von NS-Opfern, besonders auch mit denen, die der Euthanasie zum Opfer fielen und mit der Rolle der verantwortlichen Ärzteschaft dabei.
Die Lektüre des Buches "Exodus" von Leon Uris war für Dich der Auslöser, Dich mit der NS-Geschichte und der Verfolgung und Entrechtung der Juden zu beschäftigen. In diesem Buch spielt auch eine Krankenschwester eine bedeutende Rolle. Das Epos erzählt die Geschichte einer amerikanischen Krankenschwester, eines jüdischen Freiheitskämpfers und zahlreicher weiterer Menschen, die hineingerissen werden in den Kampf eines Volkes um Freiheit und Eigenständigkeit. Um Eigenständigkeit und Freiheit hast auch Du Dein Leben lang gekämpft.
Über jüdische Geschichte und Politik lerntest Du viel in Volkshochschulkursen. Daneben nahmst Du Privatunterricht, um Englisch zu lernen und lerntest Plattdeutsch bei Peter Nissen, einem der Dramaturgen des Ohnsorg-Theaters.
Gut zwei Wochen nach Deinem 65. Geburtstag, am 10. Oktober 2008, bist Du dem Verein Garten der Frauen beigetreten. Besonders interessierten Dich die Führungen durch den Garten der Frauen, und Du selbst übernahmst dann auch bald selbst Führungen. Deine Schwerpunktthemen bei diesen Führungen entsprachen Deinen gesellschafts-politischen Interessen. So stelltest Du besonders die NS- und Euthanasie Opfer sowie die Widerstandskämpferinnen gegen das NS-Regime vor, deren Grab- bzw. Erinnerungssteine im Garten der Frauen stehen. Deine letzte Führung durch den Garten der Frauen unternahmst Du noch im Oktober 2016.
Schließlich übernahmst Du noch eine weitere Aufgabe. Über sechs Jahre lang koordiniertest Du die Wasserturmgruppe, sorgtest dafür, dass der Wasserturm jährlich für die dortigen Ausstellungen tipp top gemacht wurde und dass die von Mai bis Ende September stattgefundene sonntägliche Tafel der besonderen Art am Wasserturm durchgeführt werden konnte.
Dein Engagement für den Garten der Frauen war groß. Selbst noch in Deinem Krankenbett machtest Du bei dem Dich umsorgenden Pflegepersonal und bei der Paliativärztin Reklame für den Garten der Frauen. Ich musste Dir mehrere unserer Dokumentationen und Flyer mitbringen, die Du dann verteilt und dazu noch Spenden eingesammelt hast.
Liebe Bärbel,
Für Deinen großen Einsatz für den Garten der Frauen danken wir Dir. Nun lass es Dir dort wohlergehen.
Nach dem Ende unserer Feier hier in Kapelle 10 wollen wir Dich in den Garten der Frauen begleiten. Dabei gehen wir mit Dir nochmals gemeinsam den Weg vom Wasserturm, wo Du viele Jahre gewirkt hast und von wo Deine Führungen begannen, in den Garten der Frauen.
Fare well Bärbel
Rita Bake