Ellen Jaedicke

    40 Jahre, Internationalistin und Feministin

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    14.8.1976

    2.9.2016
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    40 Jahre
    In ihrem Nachruf, verfasst von Pelda Adar in der "Jungen Welt" heißt es: "Ellen Jaedicke, Kämpferin, Vordenkerin, Strategin und Organisatorin, wird fehlen. Sie starb am 2. September in Hamburg infolge einer Krebserkrankung. Sie wuchs mit ihrem Bruder bei der aus Tschechien stammenden Mutter in Buxtehude auf. Früh schon engagierte sie sich politisch. In Berlin lebte sie einige Jahre in einem Frauenwohnprojekt und kam 2006 über ein Austauschprogramm nach Istanbul, wo sie, in Kontakt mit der kurdischen Bewegung, beschloss, für einige Zeit nach Kurdistan zu gehen. In Amed (Diyarbakir) unterrichtete sie ein halbes
    Jahr in der kurdischen Baglar-Frauenkooperative Englisch und fand, was sie immer gesucht hatte: ein kollektives Leben, die Perspektive eines starken Frauenbefreiungskampfes.
    Nach ihrer Rückkehr engagierte sich Ellen wider den herrschenden politischen Zeitgeist im "Kurdistan-Solidaritätskomitee Berlin2. Gut vernetzt in der Berliner Linken gelang es ihr, Brücken zu bauen und Interesse für die kurdische Bewegung, den von ihr erstrebten und umgesetzten demokratischen Konföderalismus und den Kampf der Frauen zu wecken. 2009 organisierte Ellen zum ersten "Mesopotamischen Sozialforum" in Diyarbakir mit anderen das "Amed-Camp". Etwa 200 Menschen aus mehreren europäischen Ländern kamen zusammen und diskutierten mit Aktiven der Jugend- und Frauenbewegung. Danach ging es unter anderem darum, die deutsche Beteiligung am schmutzigen Krieg gegen die Kurden öffentlich zu thematisieren und dagegen zu intervenieren. Zu diesem Zweck wurde die Kampagne "Tatort Kurdistan" mit den Schwerpunkten Rüstungsexporte, Umweltzerstörungen und Repression gegen Kurden in Deutschland gegründet. (...)
    Mit Begeisterung stürzte Ellen sich in zahlreiche Aktivitäten und nahm andere dabei mit. 2010 reiste sie erneut mit einer Gruppe von Frauen nach Kurdistan, um dort mit Vertreterinnen der Frauenbewegung über Perspektiven für eine internationalistische feministische Bewegung in Europa zu diskutieren. In der Folge entstand das kollektiv erarbeitete Buch "Widerstand und gelebte Utopien: Frauenguerilla, Frauenbefreiung und Demokratischer Konföderalismus in Kurdistan" (Mezopotamien Verlag), in dem Ideologie und Methoden der Kurdinnen für eine deutschsprachige Leserschaft zugänglich gemacht werden. 2012 erschien nach einer weiteren Delegationsreise die von ‚Tatort Kurdistan' herausgegebene Broschüre "Demokratische Autonomie in Nordkurdistan". Im Jahr 2012 ging sie für eineinhalb Jahre in die kurdischen Berge und nahm ihren kurdischen Namen Sterk (Stern) an. Als sie zurückkam, arbeitete sie zunächst im Kurdischen Frauenbüro für Frieden, Cenî, in Düsseldorf mit. Dort war sie an der Vorbereitung der ersten Konferenz in Europa zur Jineologie (Frauenforschung) beteiligt. Einige Zeit war sie auch in der kurdischen Frauenbildungsstätte Utamara in Kasbach-Ohlenberg (Rheinland-Pfalz) tätig. In Hamburg war sie Mitglied des kurdischen Frauenrates Rojbîn."

    Gedenktafel am Grab.
    Internationalistin und Feministin, die mit ihrem Herzen sah
    14. August 1976 - 2. September 2016
    Ellen - eine Frau, die mit Liebe zu den Menschen nach Wegen, für den Aufbau einer freien und solidarischen Gesellschaft suchte. Sie ließ sich von freiheitsliebenden Frauen der Geschichte und Gegenwart inspirieren.
    In Buxtehude wuchs Ellen als Tochter einer tschechischen Physiklehrerin und eines deutschen Chemikers auf. Freude, Bewegung, Musik, Zusammenhalt in der Gemeinschaft und Ehrlichkeit waren ihr wichtig. Sie konnte Menschen zusammenbringen und für ihre Ideen begeistern. Seit ihrem High-School-Jahr in den USA reiste sie viel, sah Armut und Leid, wollte helfen. Sie arbeitete dann als Jugendleiterin in der ev. Gemeinde. Ellen studierte Sozialpädagogik in Berlin, arbeitete in der Familienhilfe, als Streetworkerin und in der Migrationsberatung. Ihren eigentlichen Lebensinhalt jedoch bildeten die Kämpfe und Diskussionen der antifaschistischen, linken feministischen Bewegungen.
    Seit ihrem einjährigen Berufsaufenthalt in Istanbul und Diyarbakir 2007, war sie in der kurdischen Bewegung aktiv. Dort fand sie, wonach sie sich hier immer gesehnt hatte: Kollektivität und eine starke, kämpferische Frauenbewegung. Es folgten weitere Aufenthalte dort. Sie lernte Türkisch und Kurdisch und schrieb Artikel über die kurdische Frauenbewegung und den Demokratischen Konföderalismus, ein Gesellschaftsmodell eines von Geschlechter- und anderen Hierarchien befreiten, gleichberechtigten, selbstverwalteten und gemeinschaftlichem Lebens.
    Sie liebte es zu forschen und ging der Frage nach, wie eine andere Bildung und Wissenschaft aus Frauensicht aussehen kann. Sie war Mitorganisatorin der ersten Konferenz über Jineolojî (Wissenschaft der Frau) und des ersten Mesopotamischen Sozialforums (Amed-Camp) in Diyarbakir und der daraus entstandenen Kampagne Tatort Kurdistan. Sie organisierte sich in Frauenstrukturen, im Kurdischen Frauenbüro für Frieden Cenî, arbeitete in der Frauenbegegnungsstätte UTAMARA und im Kurdischen Frauenrat Rojbîn in Hamburg.
    In Kurdistan nannte man sie Stêrk (Stern).
    Ihr Strahlen und ihren Witz behielt sie auch, während sie 15 Monate lang gegen den Krebs kämpfte. Sie war nie allein.
    Ihre Lebensgeschichte steht dafür, Kämpfe für gesellschaftliche Befreiung miteinander zu verbinden - hier und international; Werte wie Freundschaft, Kollektivität und Solidarität zu spüren und zu leben.
    Sie bleibt ein funkelnder Stern in unseren Herzen.