Ellen Templin

    62 Jahre, Domina

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    09.07.1948

    22.12.2010
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    Aufgewachsen in einem nach außen scheinenden idyllischen Umfeld im Süden Deutschlands waren Ellens frühe Jahre von Missbrauch und Gewalt geprägt. Jahrelang musste sie so die Gewaltexzesse ihres Vaters überleben, enttäuscht und missbraucht von einer Person, die ihr Schutz und Sicherheit geben sollte, unfassbar begreifend, dass niemand eingriff, bis sie nach einer Ewigkeit die Pubertät erreichte und uninteressant wurde für krankhafte Machtbedürfnisse. Sie konnte dies nur überleben, in dem sie stark wurde und für sich im Inneren zugleich die kleine, lebensbejahende Ellen rettete, mit einem stark ausgeprägten Gefühl für Gerechtigkeit und dem Willen, dafür einzutreten. Nach der Schule durchlief sie erfolgreich eine Ausbildung zur Industriekauffrau und wurde für eine große, internationale Ölfirma tätig. Doch der Schatten ihrer nicht existenten Kindheit verfolgte sie nach wie vor, so dass sie flüchten musste, in das weit entfernte Berlin. Hier lernte sie ein völlig neues Umfeld kennen und sie fühlte sich zum ersten Mal richtig frei. Doch unter diesem Glanz, der sie nun umgab, entdeckte sie nach und nach Strukturen, die ihr nur zu gut bekannt waren.
    Über all die Zeit war sie trotz ihrer prägenden Erfahrungen immer auch versucht, das Gute im Menschen zu finden, und so war sie auch mehrmals verheiratet oder lebte in festen Partnerschaften. Ihr Weg führte sie sogar bis in den Iran, dem sie gerade noch rechtzeitig vor der Machtergreifung der islamistischen Fundamentalisten entkommen konnte. Zurück in Berlin musste Ellen einen Weg finden, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Kontakte führten sie in eine Welt ein, deren grundlegende Säulen ihr vertraut waren, es war eine Welt, in der Macht und Gewalt die primäre Rolle spielten, vermischt mit Geld. Das kannte sie schon, denn auch ihr Vater gab ihr eine Art von Schweigegeld für all das, was er ihr antat. Zudem, egal was Ellen anfasste, sie war gut darin, denn sie besaß nicht nur eine ungewöhnlich gute Beobachtungs- und Auffassungsgabe, sondern auch einen analytischen Verstand. Und so gelang es ihr nach einigen Lehrjahren schon recht bald Eigentümerin des seiner Zeit erfolgreichsten Domina-Studios in Berlin zu sein.
    An ihrem Beispiel lässt sich gut erkennen, dass die frühen Jahre prägend dafür sein können, was im späteren Leben passiert. Wer nun denkt, dass sie diesen Weg ging, um sich zu rächen, der irrt. Natürlich empfand Ellen all die Dinge, die die Klientel erwartete, als krank, doch sie behandelte trotzdem jeden, der ihre Regeln beachtete, die dafür da waren, dass die beschäftigten Frauen so sicher wie möglich tätig werden konnten, wie einen Menschen.
    So konsequent und überzeugend sie als Domina war, so konsequent war Ellen auch im Kampf für das Wohl der Frauen in ihrem Umfeld. Letztlich musste Ellen Zeit ihres Lebens einen Kampf damit führen, was sie erleben musste und diesen führte sie zugleich auch für andere mit. Prostitution in ihren vielfältigen Facetten war in ihren Augen niemals freiwillig, und so kämpfte Ellen auch gegen all die Tendenzen und Strukturen, die die Prostitution entweder romantisierten oder sie gar mit einem Beruf gleichsetzten. Diesen feministischen Kampf führte sie bis zu ihrem viel zu frühen Lebensende.