Frauke Sydow

    83 Jahre, Lehrerin

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    14.11.1939

    17.9.2023
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    Frauke hielt es für selbstverständlich, für eine bessere Welt zu streiten. Ihr Leben lang war sie politisch aktiv. Die im Folgenden aufgeführten Aktivitäten bilden ihr Engagement nur unvollständig ab.

    Die Aktivistin
    1972 gehörte Frauke zu den Gründer*innen der Gemeinwesenarbeit St. Pauli Süd. Die GWA forderte die Renovierung des heruntergewirtschafteten Hafenviertels und ein Bleiberecht für die Mieter. Frauke zog selbst dort ein, getreu ihrem Grundsatz, nicht für die Menschen aktiv zu werden, sondern mit ihnen. Der GWA und den Menschen am Hafen fühlte sie sich zeitlebens verbunden. In der Deutsch-Polnischen Gesellschaft engagierte sich Frauke für Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung. Im Arbeitskreis Elektrosmog des BUND wehrte sie sich hartnäckig gegen die Verstrahlung unserer Umwelt. Mit GREENPEACE kämpfte sie für saubere Gewässer.
    Die Pädagogin
    Als Grundschullehrerin lagen Frauke vor allem die Kinder der damals "Gastarbeiter" genannten Arbeitsmigranten am Herzen. Sie entwickelte Konzepte zur sprachlichen Integration dieser Kinder und Materialien für lese- rechtschreibschwache Kinder.
    Mit ihrer Gradlinigkeit und ihrer handwerklichen Begabung begeisterte sie Jugendliche, die sonst kaum zu aktivieren waren. Ein Höhepunkt ihrer pädagogischen Aktivitäten war ein Segeltörn mit St. Pauli-Jugendlichen in Holzbooten über die Ostsee nach Dänemark.

    Die Mäzenin
    Frauke setzte auch Geld ein, um ihre Ziele zu erreichen. Sie förderte musikalisch begabte Schülerinnen und Schüler. Auch Projekte der ökologischen Landwirtschaft konnten mit Zuwendungen rechnen. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs im Jahre 1989, unterstützte sie osteuropäische Straßen-Musikerinnen. Zur selben Zeit begann ihr Engagement bei der GLS-Zukunftsstiftung. Sie konzipierte Projekte und entwickelte noch im hohen Alter Lehrpläne für junge Frauen in Afghanistan und Afrika.

    Die Gärtnerin
    Ihr bienengerecht angelegter Kleingarten wurde zum Refugium, zu ihrem Paradies. Dort zog sie Gemüse, baute Heilkräuter an, erntete Beeren und Äpfel und versorgte Nachbarinnen und Freundinnen mit Lebensmitteln und Ratschlägen für ein gesundes Leben.

    Die Musikerin
    Frauke war eine talentierte Geigerin, der manch einer eine Karriere zutraute. Das Studium an der Hamburger Hochschule für Musik gab sie jedoch auf. Frei zu sein, gehört zu werden, mit Menschen in Kontakt zu kommen - darum ging es Frauke, wenn sie musizierte. Deshalb spielte sie am liebsten gemeinsam mit anderen Musikbegeisterten, oft auf der Straße.
    Noch kurz vor ihrem Tod im Hospiz ließ sie sich ihre Geige geben und rührte uns mit ihrem Spiel zu Tränen.
    Die Parole vom Pariser Mai 1968 war auch die ihre: Seid Realisten, verlangt das Unmögliche.

    Da sagte jemand: "Nun ist sie gegangen!" Eine andere Stimme antwortet: "Nein! Sie hat die Seite gewechselt!"
    Ja, Der Tod ist ein Horizont ... und ein Horizont ist nichts anderes ... als die Grenze unseres Sehens und Verstehens unseres menschlichen Daseins.
    Liebe Anna Margarete (Annegret) die etwas ältere Schwester von Frauke, liebe Christina (Tine genannt), die nach Frauke geborene Schwester mit Stephanie und Nadja und Lieber Heinrich (der Jüngste von den 4 Geschwistern) mit Frau Petra und Gesa und Johanna, liebe Familien Sydow und Riemenschneider ... ... liebe Freundinnen und Freunde, Nachbarn und Bekannte, liebe ehemalige Schülerinnen von Frauke, liebe Trauernde ... hier ... in der Kapelle 10 auf dem Friedhofspark Ohldorf.
    Mein Name ist Hartwig Zillmer, Freund, Mitstreiter und mit Frauke aktiv in der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Hamburg.
    Heute ... in dieser Gemeinschaft-der-Trauernden ... müssen wir "Tschüß" sagen zu Frauke ... deren Seele sich nun aufgemacht habt ... nach ihrem letzten Geigenspiel im Hospiz... sich den Noten und den Klängen des Spieles ihrer Violine in die Spären folgend, in die Klänge des Jenseits begebend.
    ! Wir ...mitten im Leben und diesseits des Horizonts ... müssen "Tschüß" sagen ......... zu einer besonderen, außergewöhnlichen, widersprüchlichen und doch vielfach so prägenden Frau ... Wir müssen mit einigen Tagen Verspätung "Tschüß Frauke" hinterher rufen, denn sie hatte am 17. September ihr irdisches Leben im Hospiz in Volksdorf verlassen. Sie wurde fast 84 Jahre! Lasst uns auf dieser Seite des Horizonts nun Abschied nehmen! ..
    Lasst uns in dieser Stunde das Album-der-Erinnerungen öffnen ... einige Bilder ihres Lebens anschauen ... die von ihren Jahren berichten!
    Meine Worte werden nicht in der Lage sein, der Vielfalt ihrer Persönlichkeit gerecht zu werden, meine Zeit heute reicht bei Weitem nicht, um auch nur annähernd Fraukes Leben, ihre Entwicklung und ihre Veränderungen, ihre Emotionen, ihre Freuden und ihr Leid, sowie ihr Leiden aufzuzeigen.
    Ihr Alle, die ihr hier sitzt und Abschied nehmt, jede und jeder hat seine kleinen und großen Erlebnisse mit Frauke gehabt, ihr wisst eigene und geheime, schöne und auch weniger freundliche und fröhliche Geschichten zu erzählen. Jeder hier kannte eine etwas andere …."seine" Frauke ….. und erinnert sich ……. Jeder auf seine Weise!
    Lasst uns dankbar sein für all die Zeit des Zusammenseins ... und ... lasst uns dankbar sein ... dafür ... dass SIE einfach da war!
    Ein wahrlich ereignisreiches Leben … das da am 14. November in Danzig begann ...... wir sind im Jahre 1939! 2 Monate nach dem Beginn des 2. Weltkrieges durch den Überfall Nazi-Deutschlands auf Polen. Der 2. Weltkrieg begann am 1. September 1939 in Danzig mit dem Beschuss eines als Passagierdampfer getarnten Kriegsschiffes auf die polnische Seite, die Westerplatte. Frauke - und auch ihre Schwester - wurde in den Krieg hinein geboren und wuchs die ersten Jahre mit diesem Trauma auf. Diese Zeit war tief und zu innerst prägend für sie. Bis zuletzt beschäftigte sie sich intensiv mit dem großen Thema "Krieg und Frieden".
    Hier liegt auch eines ihrer Motive, Mitglied in der Deutsch-Polnischen Gesellschaft in Hamburg zu werden, der Gesellschaft, die sich der Aussöhnung, der Verständigung und dem Dialog mit Polen widmet - erst spät, erst 2013 trat sie ein, nahm an einigen Fahrten nach Polen teil und füllte seitdem viele Begegnungen mit ihrer Musik.
    Doch zurück zu ihrer Familie:
    Im Hause Sydow wurde viel musiziert: Der Vater - in Stettin gebürtig - war Musiklehrer, die Mutter war Lehrerin und spielte Cello. Es ist sicherlich kein Zufall, dass Frauke diesen Tönen von Musik und Erziehung folgte.
    Von Frankfurt an der Oder waren sie nach Danzig gezogen…….. Und nun war Krieg………. Keine glückliche Kindheit steht ihr bevor! ... Denn 1944 müssen sie gen Westen fliehen, zunächst nach Kühlungsborn/ Bastorf, wo der Vater stationiert war.
    Gemeinsam wollten sie dem Krieg entfliehen, und setzten sich mit Bessarabiern in Richtung Altbuckow ab. Dort erlebten sie das Kriegsende und kehrten nach Bastorf zurück. Schon 1947 überquerten sie die Grenze zur westdeutschen Zone und landeten irgendwo zwischen Cuxhafen und Bremerhaven, im kleinen Luftkurort BEDERKESA, wo die lütte Frauke mit ihren 8 Jahren sich um das gute Federvieh mit Hühnern, Gänsen und Puten der Lehrerschaft im Schullandheim kümmerte. Wurde ein Hahn geschlachtet, war sie dabei, analysiert die Innereien und die Knochen. Auch Schweine hatten es ihr angetan: Mir wurde berichtet, dass ein Schwein ihren Namen trug! ……
    Als Frauke 10 wird, zieht die Familie 1949 nach Göttingen um und bleibt erst einmal 6 Jahre hier.
    Das Familienleben steht im Vordergrund:
    Der Vater bringt ihr das Geigespielen bei ……… mit der nur etwas älteren Schwester Anne musiziert sie mit Geige und Klavier viel und gern, häufig spielt die Familie als Quartett. ……Nie wird Frauke aufhören mit dem Geigenspiel…...
    Bereits mit 14 Jahren - im Jahre 1953 - fährt sie mit dem Schulorchester auf einer Konzertreise nach England! Ja, Solche internationalen Begegnungen waren schon 1953 möglich ! ! ... Frauke ist kein "verzärteltes Pflänzchen" ...nein! Sie entwickelt schon früh ihren eigenen Kopf! ...
    Frauke wird in ihrer Teenagerzeit auch als "wild" und "freiheitsdrängend" beschrieben, die auch schon mal nachts aus dem Fenster springt - aber immer auch zurückkommt. All das hielt sie fit: Sie wird als sehr sportlich und praktisch veranlagt beschrieben. Sie bastelt auch viel. Diese praktische Gabe entwickelt sich: Wir treffen Frauke später im Bastel- und Werkunterricht als Lehrerin und als Geigenbauerin wieder.
    Neudeutsch würde man sagen: Frauke war eine ganz Taffe! Und plietsch ist sie auch :
    ... geht ab 1955 in Osnabrück - der nächsten Station - auf ein Gymnasium und macht dort ihr Abitur.
    Natürlich studiert sie Geige, so wie ihr Vater es ja wollte und Frauke wollte es ja auch.
    In Hamburg trifft sie in der Hochschule für Musik auf einen Meister seines Faches, auf den bekannten Professor Ziolkowski … er hat auch polnische Wurzeln ….. Er war wohl nicht nur ihr Lehrer für das Geigenspiel, sondern offensichtlich auch ein guter Ratgeber für das weitere Leben. Offensichtlich hat er Frauke davon abgehalten, den (vermeintlichen) Traum als Konzertmeisterin weiter zu verfolgen. Dieser positive Einfluss - so wird vermutet - führte dazu, dass Frauke es später mit kleinen Menschen zu tun bekam, mit Kindern. Doch dazu komme ich gleich.
    Auch das selbstfinanzierte Studium in Paris führte nicht zur professionellen Konzertmeisterin, ……aber sie wurde eine Meisterin im Geigenspiel ………..Sie lebte in Paris wie eben so Studierende auch sind ……….Voll und prall im Pariser Leben mit dem bewegten Studentenmilieu, wohnt sie in einem kleinen Stübchen unterm Dach und bügelt für andere Hemden und spielt Geige in den Straßen…. Das Geld reichte knapp.
    Dieses Straßenmusikerinnen-Leben behält sie bei, so z.B. während eines Sabbatjahres in Griechenland, wo sie am Fuße der Akropolis immer wieder zu hören ist. Hier finden wir die tiefe und großartige Beziehung zu einer anderen Straßenmusikerin, die sie in den 90er Jahren hier in Hamburg kennenlernt….. zu ONA aus Litauen….die uns und Frauke hier so wundervoll musikalisch begleitet. Später wird sie bei unserem Zusammensein nach der Trauerfeier selbst davon erzählen.
    Zurück in Hamburg beginnt ihr anderes Leben, nicht jenseits der Musik, sondern mit ihr - aber eben anders als vielleicht vom Vater geplant: Sie hat ihren eigenen Plan: Sie lernt Instrumentenbau und baut Fiedeln und sie beginnt mit dem Studium der Pädagogik und wird in Wilhelmsburg Grundschullehrerin.
    Welch ein Geschenk für die kleine Menschheit, denn Frauke findet ihre "Berufung" als Lehrerin.
    ... sie wird die Kinder prägen ... Sie fordern und fördern ... Sie behüten ... Sie beschützen ... Sie lieben ... Ihnen ihre Werte vermitteln! ... und übergibt ihnen quasi Werkzeuge ... nicht nur zum sachgerechten Basteln, sondern damit Sie später Ihr eigenes Leben aufbauen können! ... fürsorglich ... nie unterbutternd ... immer unterstützend! Ich denke, dass hier sogar eine ehemalige Schülerin anwesend ist. (Bahar??)
    Darüber hinaus findet sie Vertrauen zu Sinti und Romafamilien, deren Kinder sie unterrichtet, sie kümmert sich um Pflegekinder.
    Es rührte mich, als ich die Geschichte hörte, dass erst vor Kurzem bei einem Fest in Wilhelmsburg ein erwachsener, großer Mann der Roma zufällig die kleine Frauke dort traf und er Frauke erkannte, sich zu ihr beugte, sie in den Arm nahm und sich für die schöne Zeit mit ihr als Lehrerin nach vielen, vielen Jahren bedankte.
    Um es mit dem südamerikanischen Pädagogen der Befreiung, Paulo Freire, zu sagen: Sie hat ihren Job als Lehrerin auch politisch gesehen. Sie wollte Schule und ihre starren Strukturen verändern. Schon früh kämpfte sie dafür, dass die Noten abgeschafft werden - als ein Beispiel.
    .. eine selbstständige Frau ... emanzipiert ... taff ... es läuft für sie! ... wenngleich ein fester Partner ... vielleicht sogar ein Ehemann noch nicht in Sicht ist! ...Die Beziehung zu Mohan, dessen Familie aus Südindien stammte, sollte sich durch die Verlobung verstärken, doch dessen Familie soll diese Beziehung verhindert haben.
    Ich eile voran: Frauke zieht nach St. Pauli, in eine Wohnung der SAGA.
    Ausgerechnet SAGA, diesem Hamburger Wohnungsbau-Moloch. Sie beschwert sich, sie schreibt und schreibt und streitet, prozessiert……mal punktet sie, meistens ist die SAGA Punktgewinnerin. Doch St. Pauli ist ihr Zuhause: diese Internationalität, diese Vielfalt der Kulturen und der Menschen, denen sie Zeit widmet und Solidarität entgegenbringt und engagiert praktiziert.
    Ja,,, sie wird politisch, streitbar. Ihr Persönliches wird politisch, das Politische wird persönlich.
    Ihr Leben in den 70er-Jahre ist gefüllt und geprägt von den gesellschaftlichen und politischen Ereignissen jener Zeit: u.a. die ersten Hausbesetzungen in Hamburg, der Militätputsch in Chile und Griechenland, Vietnamkrieg und die großen Bildungsdemonstrationen.
    Ein Leben in einer Kommune … französisch: Commune …. entspricht ihrer eigenen sozialen Verantwortung, der Suche nach einer sozialistischen Praxis - …. Sie wohnt in einer WG …. Wir werden davon hören ……
    Frauke wird widerspenstig gegen alle Zwänge, gegen die Obrigkeit - nie aber sagt sie "die da oben!" … sondern sie wehrt sich gegen nicht legitimierte, autoritäre, totale Strukturen, Verkrustungen, Einengungen und gegen Dummheit allgemein. "Sie hat sich nicht nur für ihr eigenes Recht sondern auch für die Rechte anderer Personen eingesetzt", erinnert sich Angelika (oldhaber)
    Frauke wird auch ungeduldig, misstrauisch und mitunter auch nervig bis sehr nervig. Im Norden sagt man dazu: S-turkopp!
    Das bekommt auch - wieder nur ein Beispiel - ihre Schwester Tine zu spüren, die - als die Familie 1974 in die Nähe von Hamburg zieht, zu spüren: "Ihr zieht doch nur hierher, um mich zu kontrollieren". Meinte Frauke provozierend direkt. Doch (auch) hier irrte Frauke….
    Das letzte Thema wurde mehr und mehr und in den letzten Jahren zum Zentrum ihres Kampfes …… gegen Elektrosmog……. Allüberall spürte sie die zunehmende "Verstrahlung", die ihr später ihr Leben zur Hölle machte, sie sehr leiden ließ.
    Beim B.U.N.D hat sie lange im Arbeitskreis Elektrosmog mitgearbeitet, war bei GREENPEACE aktiv und manche von Ihnen hier - mich eingeschlossen - sind nach Berlin gefahren, um an der jährlichen Demonstration in Berlin "Wir haben es satt" zu Anfang jedes Jahres teilzunehmen.
    Frauke fand einen Kleingarten in Volksdorf, der ihr mehr und mehr Freude und Arbeit brachte. …. Es wurde ihr Refugium und Paradies, in das sie flüchtete, ihr aber auch Kräuter schenkte, die sie als Heilmittel für sich und andere zog.
    Die letzten Jahre verschwieg sie lange ihre Krankheit. Waren es die Strahlungen, die ihren Krebs entfachten oder war es die ausbrechende Krankheit, die sie sensibel für die Umgebungsstrahlung machte? Wir wissen es nicht - niemand weiß es mit Gewissheit.
    Ihr Leid und ihr Leiden jedoch konnte sie in ihrer Musik, mit ihrem Geigenspiel lindern. Die Musik gab ihr Kraft und Hoffnung und Liebe ………bis zuletzt …..bis zu ihrem letzten Atemzug Nachkurzer Pause:
    Wir werden Frauke in den Garten der Frauen begleiten, dort wo Frauke und ONA gemeinsam die Enthüllung eines großen Würfel-Stolpersteines im letzten Jahr im Gedenken an die getöteten Kleinkinder von Zwangsarbeiterinnen während der Nazi-Diktatur musikalisch begleitet haben.