Gudrun Helene Güdel
85 Jahre, Physiotherapeutin


12.8.1935
Halle/Sachsen-Anhalt
–
28.08.2020
Halle/Sachsen-Anhalt
–
28.08.2020
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Geboren am 12.8.1935 in Halle, Sachsen-Anhalt, wächst Gudrun mit ihrer ein Jahr jüngeren Schwester auf dem Gut ihrer Eltern auf. Trotz des Krieges, eine relativ glückliche Kindheit auf dem Land. Kurz nach Kriegsende, 1945, mit zehn Jahren, erlebt sie, wie ihre Familie im Zuge der sogenannten Bodenreform in der sowjetischen Besatzungszone innerhalb von zwei Stunden enteignet wird. Ein Schock, an dem ihr Vater letztlich mit nur 42 Jahren stirbt und der auch ihr Leben prägt. Weil sie sich weigerte, der FDJ oder einer ähnlichen Organisation beizutreten, musste sie die Schule nach der 10. Klasse verlassen, obwohl sie eine sehr gute Schülerin war mit einem Stipendium in der Tasche. In der Hoffnung, eines Tages doch noch
das Gut zurück zu bekommen, schickt ihre Mutter sie nach Westberlin ins Lettehaus, um Hauswirtschaft zu erlernen. Danach absolviert Gudrun eine Gärtnerlehre, weil politisch unverfänglich, und lernt ihren späteren Ehemann, einen angehenden Landschaftsarchitekten, kennen. Mit 19 beschließt sie als erste ihrer Familie, die DDR zu verlassen. Mit einem Interzonenpass besucht sie Bekannte in Düsseldorf und kehrt nicht wieder zurück. Mutter und Schwester folgen ihr. Ein Jahr später, in Hamburg, heiratet sie und bringt zwei Töchter zur Welt. Die Ehe zerbricht. Sie lässt sich 1961 schuldlos scheiden, erhält das alleinige Sorgerecht. Mit Halbtagsstellen als Sekretärin und Avonberaterin zieht sie ihre Töchter alleine groß. Sie leidet darunter, nicht studiert zu haben, sie wäre gern Ärztin oder Journalistin geworden. Ende 30 eine Wende in ihrem Leben. Sie beginnt eine Ausbildung zur Physiotherapeutin und macht sich mit einer Praxis in Hamburg Uhlenhorst selbstständig. Bildet sich fort, die Praxis wächst, sie beschäftigt an die zehn Mitarbeiter. Erst mit 76 Jahren gibt sie die Praxis an eine Nachfolgerin weiter. Tennis, ihre große Leidenschaft, spielt sie fast bis an ihr Lebensende. Es gibt kaum ein Land, das sie nicht bereist hat. Über ein Vierteljahrhundert war sie leidenschaftliche Fremdenführerin in Hamburg. Bücher, Theater, Oper, Kino waren ihr Leben. Mit 70 wollte sie noch mal was Neues und geht als Mitglied des Senior Experten Service fünfmal für mehrere Wochen in den Jemen, um dort vor allem Brandopfer zu behandeln und KrankengymnastInnen auszubilden. Wie sie ihr Leben in die Hand genommen hat, so wollte sie auch ihr Ende selbst bestimmen. Kurz nach ihrem 85. Geburtstag hat Sie aufgehört zu essen und zu trinken. Sie sagte, dass sie ein schönes Leben gehabt hatte, jetzt aber keine Kraft und Lust mehr habe. Beide Töchter sind bei ihr, als sie am 28.08.2020 friedlich in ihrem Bett einschläft.
Ariane Güdel
Ariane Güdel