Rede zur Einweihung des Erinnerungssteins für Frauen, die in Hamburg Opfer der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung wurden

Am 7. Juni 2015 weihte der Verein Garten der Frauen im Beisein der Zweiten Bürgermeisterin von Hamburg, Frau Katharina Fegebank, einen Erinnerungsstein für  Frauen ein, die in Hamburg Opfer der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung wurden. Der Erinnerungsstein steht in der Erinnerungsspirale und wurde von Bürgermeisterin Katharina Fegebank nach einer kleinen Ansprache von ihr enthüllt. Rund 300 Besucherinnen und Besucher nahmen an der Veranstaltung teil.

In den letzten Jahren ist in vielen deutschen Städten eine Rehabilitation der als Hexen beschuldigten und hingerichteten Frauen und Männer durch die Stadtverordnetenversammlung und durch Kirchen erfolgt. In Hamburg ist solch eine Rehabilitation bisher noch nicht geschehen. Mit diesem Erinnerungsstein ist in Hamburg ein erster Schritt zur Rehabilitation getan worden.

Seit Bestehen des Vereins Garten der Frauen ist es ihm ein Anliegen für die Öffentlichkeit und damit auch für die Stadt Hamburg Erinnerungsarbeit im Sinne der Menschen- und Gleichstellungsrechte zu leisten. Mit diesem Stein will der Verein Garten der Frauen an das Unrecht erinnern, das den als Hexen beschuldigten Frauen in Hamburg angetan wurde.

Während des 16. und 17. Jahrhunderts wurden in Mitteleuropa zwischen 50. bis 60.000 Menschen, in Deutschland zwischen 20.000 bis 30.000 Personen wegen Hexerei oder Zauberei verurteilt und hingerichtet. Die Mehrzahl der Opfer waren Frauen.

In Hamburg wurden mindestens 40 Frauen und einige Männer wegen Schadenzauber bzw. Hexerei vom hamburgischen Niedergericht verurteilt. Die erste Frau in Hamburg wurde im Jahre 1444, die letzte Frau 1642 auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Frauen wurden als Hexen beschuldigt, weil sie als Sündenziegen für Alltagsängste und gesellschaftliche Missverhältnisse in einer patriarchal strukturierten Gesellschaft herhalten mussten. In solch einer Gesellschaft ist es nicht verwunderlich, dass allen Frauen von Natur aus der Hang zum Bösen nachgesagt wurde, so wie es die beiden deutschen Dominikanermönche in ihrem 1486 verfassten Hexenhammer verbreiteten. Schließlich seien die Frauen Töchter Evas, die sich im Paradies von der Schlange verführen ließ; und daher seien die Frauen auch für den Einfluss des Teufels und damit der Hexerei besonders empfänglich.

Vor diesem Hintergrund galt die Frau an sich als die Wurzel vieler Übel. Damit hatten die Männer in ihrer Angst, die Macht über die Frauen zu verlieren, eine vermeintliche Argumentation in der Hand, um Frauen der Hexerei zu beschuldigen. So wurden zum Beispiel Frauen, sobald die wachsende Rivalität zwischen männlichen und weiblichen Tätigkeiten als bedrohlich erlebt wurde, schnell als zerstörerische Wesen gebrandmarkt. Davon betroffen waren tüchtige Geschäftsfrauen, die Männern Konkurrenz machten, oder heilkundige, mit speziellem Wissen ausgestattete Frauen.

Zahlreiche der Hexerei beschuldigte Frauen in Europa waren unverheiratet oder Witwen, lebten allein, isoliert von der patriarchalen Gesellschaft und waren deshalb auch extrem gefährdet, wenn sie aus der Norm fielen. Aber auch Frauen nach der Menopause, Heilerinnen, sehr arme, sehr reiche oder sehr schöne Frauen, Rothaarige, Frauen, die zu viel wussten und auch zugezogene Frauen, deren Sitten und Gebräuche oft als befremdlich empfunden wurden, – kurzum eigentlich jedes weibliche Wesen, das die vorgeschriebenen Verhaltensnormen im Allgemeinen und die Regeln sexueller Kontrollierbarkeit im Besonderen überschritt, war gefährdet, als Hexe beschuldigt zu werden.

Die Strategie, die Frauen der gesellschaftsbedrohenden Hexerei zu beschuldigen, wurde im frühen Europa oft schematisch auf von der Norm „abweichende“ Frauen angewandt – ein Mechanismus, der in anderen Gesellschaften bis heute lebendig ist. Ein bengalisches Sprichwort heißt z. B.: „Kümmert sich eine Frau mehr um ein Kind als dessen eigene Mutter, dann ist sie gewiss eine Hexe:“ Weltweit werden Frauen in Sprichwörtern nur allzu bereitwillig der Hexerei und der Teufelei bezichtigt.

Hexenprozesse sind aber nicht nur ein Phänomen früherer Jahrhunderte. Auch im 20. Jahrhundert, besonders in den 1950-er und 1960-er Jahren wurden z. B. in Schleswig-Holstein vor den Toren Hamburgs viele Frauen als Hexen beschuldigt.

Im Zeitraum zwischen 1948 und 1965 häuften sich in allen Teilen Deutschlands die „Hexen-Fälle“, die als krimineller Aberglaube vor den Gerichten landeten. Allein in Lüneburg gab es z. B. im Jahre 1950 insgesamt 15 Hexenprozesse. Dabei wurden nicht – wie einige Jahrhunderte zuvor – Frauen als Hexen beschuldigt und angeklagt. Nun ging es vor Gericht um die Tatbestände Beleidigung, Verleumdung, üble Nachrede und Betrug. Es standen Menschen vor Gericht, die behaupteten, bestimmte Frauen seien Hexen, die z. B. ihr Vieh behext hätten, oder es wurden Menschen angeklagt, die sich als Hexenbanner ausgaben und mit ihrem Wirken und dem Schüren von Ängsten vor angeblichen Hexen, viel Geld machten. 

Die Ursachen, warum vor und nach den Weltkriegen der Hexenwahn einen gewaltigen Aufschub erhielt, muss mit den seelischen und materiellen Erschütterungen und dem Zusammenbrechen festgefügter Lebensformen in Verbindung gebracht werden. Da waren einmal die Not nach den  Weltkriegen und die ersten Nachkriegsjahre. Auf dem Lande gab es bedingt durch die Flüchtlinge eine plötzliche Überbevölkerung. Hier verbreitete sich die Angst vor den fremden Leuten mit ihren fremden Sitten und Gebräuchen und ihrem fremden Dialekt. Deshalb wurden Flüchtlingsfrauen häufig als Hexen beschuldigt. Hinzu kam die landwirtschaftliche Umstrukturierung. Die zunehmende Rationalisierung, Mechanisierung und Anpassung an die industrielle Welt der Landwirtschaft überforderte so manchen und weckte das Bedürfnis, an Wunder zu glauben oder auch angstmachende Techniken mit Hexenwerk zu erklären. Schwer zu verarbeitender Druck auf Gemeinschaft oder Individuum verstärkt nun einmal irrationale Haltungen und Handlungsweisen. Dass dabei in erster Linie Frauen die Opfer sind, liegt an dem patriarchal geprägten Gesellschaftsbild.

Mit diesem Erinnerungsstein ist die Hoffnung verbunden, dass ein Wandel im Denken und Handeln eintritt. Er ist geschaffen worden von Bert Ulrich Beppler. Er wählte als Steinmaterial schwarzen Basalt. In dem Stein gibt es eine Öffnung, in der eine Flamme zündelt. In roter Schrift ist auf dem Stein der Name Abelke Bleken. Sie steht exemplarisch für die  in Hamburg als vermeintliche Hexen verbrannten Frauen. 

Die Historikerin Dr. Roswitha Rogge hat zu Abelke Bleken geforscht und den Tafeltext für sie geschrieben. Hier heißt es zu Abelke Bleken, die am 18. März 1583 auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde: „Albeke Bleken lebte im Hamburger Landgebiet Ochsenwerder und bewohnte ein Grundstück am Ochsenwerder Norderdeich. Im Jahre 1577 wurde ihr Hof zusammen mit anderen benachbarten Anwesen dem Hamburger Ratsherrn Johann Huge zugeschrieben. Die Allerheiligflut vom November 1570 hatte schwere Schäden verursacht, so dass Abelke und ihre Nachbarn vermutlich nicht mehr in der Lage waren, ihre Grundstücke selbst zu unterhalten und den Deich zu pflegen. Später pfändete der in Ochsenwerder tätige Landvogt Dirck Gladiator bei einer Deichschau  Abelkes Kessel. Ein Kessel war in der Frühen Neuzeit nicht nur ein zentraler Haushaltsgegenstand, sondern unter Umständen ein repräsentatives Erbstück. Der Verlust wog schwer. Abelke sprach bei der Ehefrau des Vogts vor und bat sie um Rückgabe des Kessels. Diese Bitte wurde ihr abgeschlagen.

Von dem Grundstücksverkauf, der Kesselpfändung und dem Gespräch mit der Vögtin erfahren wir aus Abelkes Urgicht, dem Geständnisprotokoll, in dem der Gerichtsschreiber die Aussagen notierte, die Abelke unter der Folter abgerungen wurden.

Hier heißt es, dass sie und ihre Nachbarin Gesche Schwormstedt Rache am Ratsherrn Huge nehmen wollten, und dass sie mit einem Stab in aller Teufel Namen Löcher in den Bode gestochen habe – so viele Löcher wie Ochsen, deren Tod Johann Huge später zu beklagen hatte. Ferner habe Abelke Huges Kälber getötet, indem sie ihnen Rattengift in den Trog gelegt habe. Auch habe sie sich die Kesselpfändung nicht gefallen lassen wollen und zu dem Vogt Gladiator gesagt, ‚dass er dies auf dem Bett büßen solle‘. Daraufhin habe sie ihren Wollgürtel genommen, in aller Teufel Namen Knoten in die beiden Ende geschlagen und Haare des Vogts und Fingernägel der Vögtin hineingebunden. Der Gürtel sei von ihr in den Pferdestall gelegt worden, ‚damit der Vogt in Krankheit bleiben sollte‘ – bis der Gürtel gefunden und die Knoten gelöst seien.

Der Vögtin habe sie eine Suppe aus Kohl und Warmbier gegeben, versehen mit dem Hirn einer Katze, die sie in des Vogtes Haus in aller Teufel Namen totgeschlagen habe. Die Vögtin sei am dritten Tag krank geworden und  bald danach gestorben.

Die soziale Situation, in der Abelke lebte, war geprägt von der Bedrohung ihrer Lebensgrundlage durch die Natur und von den Konflikten mit den Mächtigen im Ort. Die Zaubermittel, die Abelke in ihrer Urgicht nennt, galten in der frühneuzeitlichen Gesellschaft als wirksame Praktiken zur Behebung von Alltagsproblemen.

Ob Abelke tatsächlich versucht hatte, sich mithilfe dieser Künste zu rächen …?

Zur Hexe wurde sie erst unter der Folter: Sie bekannte, dass sie sich in dem Jahr, als die Ochsen starben, dem Satan ergeben und mit diesem Geschlechtsverkehr gehabt habe. Dabei sei ihr Buhle stets kalt gewesen. Auch sei sie mit anderen zum Hexentanz gegangen. Der Satan sei in der Nacht als Pferd zu ihr gekommen, und sie habe sich auf ihn gesetzt …

‚Worauf sie also leben und sterben will.‘“