Die Frauen

Jede Frau erzählt ihre eigene Geschichte – entdecken Sie ihr Vermächtnis.

Erinnerungsrosen

    Alma de L'Aigle

    Schriftstellerin, Reformpädagogin, Rosenspezialistin

    Ornament Image
    18.2.1889
    Hamburg
    -
    14.3.1959
    Hamburg
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    Im Garten der Frauen befinden sich zwei Rosen, die  nach der verstorbenen Reformpädagogin, Schriftstellerin und Rosenspezialistin Alma de L'Aigle und an die Politikerin, Autorin und Übersetzerin von Gartenbüchern Anke Kuhbier benannt sind. Alma de L'Aigle wurde auf dem Friedhof in Niendorf bestattet, Anke Kuhbier auf dem Ohlsdorfer Friedhof.  
    Appener Weg 3 (Wohnadresse; Teil des Gartens öffentlich zugänglich) Grablage: Alter Niendorfer Friedhof in Abteilung VI, Reihe 19, Lage 10 Alma de I'Aigle wurde 1889, hundert Jahre nach der französischen Revolution, vor der ihre hugenottischen Vorfahren ins damals dänische Schleswig Holstein geflohen waren, als älteste Tochter des Juristen und Staatsaktoir Alexander und seiner Frau Christine, geb. Wokters in Hamburg geboren. Dass der Vater sich aufgrund einer Justizreform mit halben Gehalt aus seinem Amt zurückziehen und seinen gärtnerischen Neigungen folgen konnte, führte für Alma und ihre jüngeren Schwestern Claudine und Anita zu einer ungewöhnlichen Sozialisation, die ihr Leben bestimmte. Die drei Schwestern wuchsen in einem Garten auf, der heute inmitten der Großstadt liegt, damals jedoch jenseits der Tore Hamburgs, ein Garten, dessen Früchte die Familie ernährte, durch unmittelbaren Genuss ebenso wie durch Verkauf der besten Früchte an das Feinkostgeschäft Heimerdinger am Neuen Wall. Dieses Grundstück hatte Almas Vater ein Jahr vor ihrer Geburt gekauft. Es war 8000 qm groß und befand sich im heutigen Hamburg Eppendorf am heutigen Appener Weg. Es wurde mit einem Wohnhaus bebaut. Im hinteren Teil des Grundstückes legte er einen Garten an. In ihm wurden Apfelbäume und viele Rosen gepflanzt. Auch wenn das Leben dort materiell eher bescheiden war, der Zusammenhang mit der lebendigen Natur, mit Pflanzen und Tieren, machte das Leben reich. "Im stillen Garten lernte ich das stille Beobachten; später lernte ich sprechen. Ich war ganz Augenmensch. Gern wollte ich Malerin werden, aber die eigenen Berufswünsche mußten zurückstehen vor den praktischen Erwägungen der Eltern. So kam ich ins Lehrerinnenseminar und wanderte täglich hin und zurück den 1 ¼ stündigen Weg zum Holzdamm in der Hamburger Innenstadt im bodenlangen Kleid, die schwere Büchermappe in der Hand. Damit erwarb ich jedes Mal zehn Pfennig, die ich als Fahrgeld für einen Teil des Weges bekam", schreibt Alma de I'Aigle in ihren autobiographischen Notizen. Sie wurde eine engagierte Reformpädagogin, die sich weit über ihre Pflichten hinaus insbesondere für die armen und zurückgebliebenen Kinder einsetzte. Nach dem Lehrerinnenexamen für mittlere und höhere Mädchenschulen 1909 wollte sie sich zunächst nicht in ein geregeltes Schulleben einzwängen lassen und lebte von Privatstunden. 1912 landete sie dann doch in einer staatlichen Hilfsschule für Schwachsinnige und ab 1927, nach einem Ausbildungsjahr als technische Lehrerin, unterrichtete sie in der Volksschule Bei der Hauptfeuerwache 1 in St. Georg und leitete dort auch eine Nähwerkstatt - für Kinder und Mütter. Über den häuslichen Hintergrund ihrer Schülerinnen schreibt sie; "Die Stadtteile St. Georg und Hammerbrook hatten diese Kinder geschickt. Traurige Stadtteile. Zwar hatte St. Georg immer noch etwas von der alten Geruhsamkeit der Sechzigerjahre an sich, in denen es entstanden war; das waren breit hingelagerte Stifte, niedrige Häuser, da entdeckte man plötzlich grüne Terrassen hinter einem Torweg, aber das alles war überwuchert von der Entwicklung der letzten Jahrzehnte, denn dieser Stadtteil war Hinterland zum Hauptbahnhof und ein Fremdenverkehr ziemlich übler Art hatte sich dort entwickelt. Der Stadtteil Hammerbrook war bis auf die breiten Durchgangsstraßen von vornherein als Zinsquelle für die Grundbesitzer angelegt worden. Da standen hohe billige Mietkasernen aneinander gedrängt in den baumlosen Straßen; sie zeugten von dem ?Aufblühen' der Industrie und dem Sog, den die Großstadt auf das weit umliegende Land ausgeübt hatte, kinderreiche Arbeiterfamilien bildeten den Grundbestand der Bewohner von Hammerbrook, hier war nichts von Fremdenverkehr und "Hotels": Armut und Sorge waren hier zu Hause, aber doch selten völlige Verelendung, denn selbst in den Jahren der furchtbaren Arbeitslosigkeit hatten diese Menschen festgehalten an etwas, das man eigentlich Wohnkultur nennen müsste." Aus der tiefen Überzeugung, dass lebendige Anschauung und Erfahrung, Sehvermögen und Wissen um die Dinge und menschliche Verhältnisse wichtiger ist als alle Theorie unterrichtete sie in einer höchst eigenwilligen Weise, von der ihre Schülerinnen noch heute mit großer Verehrung erzählen. So vertauschte sie den theoretischen Unterricht im dunklen Klassenzimmer häufig mit praktischem Unterricht in den nahe gelegenen Gartenanlagen des St. Georg Krankenhauses, die sich fast die ganze Lohmühlenstraße entlangzogen, machte mit ihren Schülerinnen, die Hamburg größtenteils nie verlassen hatten, jährlich Klassenfahrten und ging mit ihnen "an den Ladentisch", um sie zu selbständig urteilenden Verbrauchern zu erziehen. Um den Kindern einen Begriff von Zeit und Geschichte zu vermitteln, ging sie mit ihnen auf den Friedhof und ins Museum. Den Wert der Freundschaft wusste sie ihren Schülerinnen so innig zu vermitteln, dass die Schülerinnen ihrer letzten Klasse noch heute miteinander in Verbindung stehen. Das Besondere und Unverwechselbare, das die Erzieherin Alma de I'Aigle ausstrahlt, zeigt auch die Schriftstellerin, die aufschrieb, was sie aus persönlichem Erleben und Forschen im Laufe ihres Lebens erfuhr und lernte. Aus diesem Zugang zum Schreiben erklärt sich auch die Disparatheit ihrer Themen. "Beschaffenheitsmarken: für alle Waren als Grundlage für die freiwillige Rückkehr zur Qualitätsware", hieß ihr erstes Büchlein, das durch die schlechte Qualität der Waren während der Inflationszeit veranlasst war. Als Alma de I'Aigle 1944 aus gesundheitlichen Gründen als Hilfskraft an die Bibliothek des Pädagogischen Instituts versetzt worden war, entstand, quasi als Summe ihrer Erfahrungen und, wie sie selbst schreibt, aus Opposition gegen den "Nationalsozialismus, der immer mehr die Erziehung "ausgerichtet" hatte, bis in die Familie hinein" das umfangreiche Werk "Die ewigen Ordnungen in der Erziehung. Gespräche mit Müttern", dem der Verlag bei der zweiten Auflage den Titel "Elternfibel" voranstellte. Sie wendet sich in diesem ungewöhnlichen Buch, das auch heikelste Erziehungsprobleme mit größter Selbstverständlichkeit und Natürlichkeit behandelt, insbesondere an die Arbeiterfrauen und appelliert an deren Mutterinstinkt. "Es ist darin nicht nur von Spielzeug, Kinderreimen, Märchen, Lesenlernen, Naschen, Elternlügen, Kost, Textilhygiene, Prügeln, Basteln, Jugendgruppen, Natur, Kunst, neugesellschaftlichen Problemen, Menschheitsfragen, äußerlichen, innerlichen und höchsten Gütern die Rede", schreibt der Schriftsteller und Freund Hans Leip, "sondern auch von Vergnügen am Unheimlichen und am Unanständigen, von Schwarzer Magie und von öffentlichen Mädchen, von Gespenstern und Perversitäten, von Selbstbefleckung, gepflegter Erotik und vom Kinderkriegen. Das ist so unerwartet wie die wundersame Gesprächslenkung mit ihren Zöglingen über solche meist im Geheimen wuchernden Alltagsprobleme. Es ist geradezu ungewöhnlich. Hier könnte die selten mehr als penetrant unglückliche behördliche "Aufklärung" gründlich lernen, soweit Klugheit, Charm (!) und Behutsamkeit erlernbar sind. Das virtuos Praktische dieses Buches und das erschreckend Einsichtige wird so leichthin, so delikat, so angenehm lesbar vorgetragen. Es ruht auf breiter pädagogischer Erfahrung; es würzt sich mit dem Gruseln, den Ängsten, Irrungen, Visionen und Freuden der eigenen Kindheit ... Sollte der Menschheit erzieherisch noch zu helfen sein, müsste der Absatz der Elternfibel jene Millionenziffern erreichen, zu denen man Hitlers "Mein Kampf" hochputsche." Aus pädagogischem Antrieb und Erfahrung entstanden auch zwei Kinderbücher: "Die Kinder in ihrer Echtheit zu bewahren, das war mein stärkstes Anliegen. Was den Kleinen, die eben mühsam lesen gelernt hatten, an Literatur geboten werden konnte, war meistens in der Sprache der Erwachsenen oder in unecht-kindlicher Weise abgefaßt, während die Umgangssprache der Kinder immer primitiver wurde. Aus dieser Not heraus und aus den vielen Erlebnissen mit kleineren Kindern formten sich mir im Laufe vieler Jahre "Ganz kleine Geschichten" und "Alles wird wieder gut". In Bayern, wohin ihre Schülerinnen während des Zeiten Weltkrieges verschickt worden waren, schrieb sie für eine Weihnachtsfeier das "Tirschenreuther Krippenspiel" - "aus Opposition gegen die christentum-feindliche Einstellung". Trotz alledem schrieb sie in dieser Zeit Kinderbücher, die später als Lesefibeln im Grundschulunterricht eingesetzt wurden. Aber nicht erst der Nationalsozialismus bewog Alma de I'Aigle zu einer politischen Haltung. "Im ersten Weltkrieg habe ich neben der Schule einen Kriegsmittagstisch eingerichtet und geleitet, durch die Zeit der ersten Inflation hindurch. Die Frauen hatten das Stimmrecht bekommen, eine große Mitverantwortung wurde auf sie gelegt. Die alte Staatsform war zerbrochen, eine neue im Werden. In mir erwachte plötzlich der Sinn für Staatsrecht und Verfassung." Bei der ersten Zusammenkunft der Jungsozialisten in Hofgeismar hielt Alma de I'Aigle einen Vortrag über "Volk und Staat" und formulierte Thesenpapiere zum Thema "konservativ - revolutionär". In dieser Zeit begann ihre Freundschaft mit dem später als Angehöriger der Widerstandsbewegung hingerichteten Theo Haubach, durch den sie Berührung mit den Mitgliedern des Kreisauer Kreises bekam. Die Briefe des Freundes veröffentlichte sie 1947. Alma de I'Aigle gehörte zu den aktiven Mitgliedern des Freideutschen Kreises in Hamburg und wurde zu verschiedenen Entnazifizierungsaktionen herangezogen, wobei sie sich stets bemühte zu differenzieren und lediglich mit dem Nationalsozialismus Getarntes von nationalsozialistischem Geist zu trennen. Ihre eigene Mitarbeit am sozialdemokratischen Aktionsprogramm für den Weimarer Parteitag in den Jahren nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten hatte zur Verbrennung ihrer Bücher und zu zeitweisem Berufsverbot geführt. Gedenksteine im Niendorfer Gehege und am Kaiser-Friedrich-Ufer zum 50. Jahrestag der Bücherverbrennung 1988 sind sichtbare Zeichen der Erinnerung an diesen Teil ihres Lebens und Werks. Unter dem Eindruck der Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges und der sich verändernden Großstadtlandschaft entstand ein Werk ganz anderer Art mit dem schlichten Titel "Ein Garten". In diesem Roman eines Gartens erzählt Alma de I'Aigle von ihren Erfahrungen mit Blumen und Nutzpflanzen im elterlichen Garten mit einer so hinreißenden Leichtigkeit und Natürlichkeit, dass man glaubt, die Düfte zu riechen und die Gemüse und Früchte zu schmecken. "Teilzuhaben daran, wie jemand so innig, so achtungsvoll mit dem Werden und Vergehen der Blüten und Früchte und Bäume leben kann, ist wie ein kleiner Rausch und bleibt uns Heutigen, die wir ganz vergessen haben, wie es ist, nach innen zu horchen, vielleicht für immer ein Rätsel. ... Dieses Buch legt wunderbares Zeugnis davon ab, welche - ja, wenn man das sagen darf - Glückseligkeit die Hingabe an einen Garten bedeuten kann und dass es offensichtlich eine tiefe Beziehung ist, die man da eingeht. Abgesehen davon, dass dieses Buch sehr kundig macht, tut es auf seltsame Art wohl (Katrin Stender, NDR 4). Aus der Welt dieses Gartens heraus entstanden auch die Kinderbücher "Häsi und anderes geliebtes Getier", das fünfstellige Auflagen erreichte, und das "Starentagebuch". Alma de L'Aigle war nach der Befreiung vom Nationalsozialismus auch Gründungsmitglied des Deutschen Kinderschutzbundes und Mitglied der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften. Als Alma de I'Aigle 1952 beim Besuch einer Gartenbauausstellung in Hannover die neuesten Rosenzüchtungen sah, war sie tief enttäuscht von den "flattrigen, nicht duftenden und sogar schlecht riechenden modernen Züchtungen. Mit Wehmut dachte ich an die schönen duftenden Rosen im Garten meines Vaters. Ich begriff, daß hier eine Entwicklung sich anbahnte, die ihre Richtlinien vom technischen Zeitalter nahm und nicht mehr aus dem Zentrum des Menschlichen. Ich fand zurück zur Gartenliebe unseres Vaters und unserer Kindheit, beobachtete verschiedene Arten, Tausende von Rosen an verschiedenen Orten, prüfte ihren Duft, versuchte ihn durch Worte auszudrücken." Aus diesem Material entstand das Buch "Begegnung mit Rosen", in dem Alma de I'Aigle erstmals ein Duftvokabular erarbeitet. "Ein universaler Geist ist bis in die unscheinbarsten Nebenbemerkungen ständig spürbar ... Kenner und Nichtkenner kommen aus der Überraschung nicht heraus ... Baldige internationale Verbreitung des Werkes ist für mich eine feste Erwartung", schrieb der berühmte Pflanzenzüchter Karl Foerster in der "Zeit". Ende der 50er Jahre wurde eine Rose nach ihr benannt. Aus Alma de I'Aigles Teilwohnung in der Johnsallee 67, 2. Stock (heute Hotel Vorbach), in der sie über 25 Jahre wohnte, sah man den ca. tausend Quadratmeter großen verwilderten Garten des damaligen Geographischen Institutes der Universität Hamburg. Als man diesen zu ordnen begann, "ließ sie nicht locker, bis sie daraus einen Rosengarten machen durfte. Dort entstand die Krönung ihres Daseins, der hanseatische Rosengarten , der seinesgleichen nicht hat in der Welt. In ihrem Rosenbuch hat sie ihn ausführlich noch beschreiben können. Möge er als ihr Vermächtnis der Vaterstadt teuer sein und des Fortbestandes und kundigster Pflege sicher." Dieser Wunsch Hans Leips hat sich nicht erfüllt. Auch der Satz des Malers Kokoschka "Ihre Malmaison bricht mir das Herz", ist angesichts des heutigen Zustandes des Gartens nicht nachvollziehbar. Das Areal ist eine gepflegte Rasenfläche, aufgelockert durch Büsche und wenige Rosen. Auch das zweite von ihr gestaltete öffentliche Rosarium, der Innenhof des Curiohauses, ist nicht erhalten. Zu Alma de I'Aigle eigener Wohnung gehörte kein Garten, aber eine Veranda voller verschiedenster Pflanzen. Und hier unterrichtete sie die 14 von 44 Schülerinnen, die sich nach dem Bombenangriffen 1943 in tagelangen Wanderungen durch Hamburg zusammengesammelt hatte, um sie auf den Abschluss vorzubereiten. Am 21. Dezember jeden Jahres schmückte sie zusammen mit ihren Schülerinnen eine Tanne. Sommerliche Kinderfeste fanden dagegen regelmäßig im elterlichen Garten statt. Eine Schülerin erinnert sich an das Narzissenmeer unter den Obstbäumen, deren Früchte sie im Herbst nach Hause tragen durften. "Ja, Gärten und Kinder sind es, um die es sich lohnt zu leben. Ihnen den Bezug zur Mitte, den Duft der Seele, die Echtheit zu erhalten, war und bleibt mein Lebensziel." Geheiratet hat Alma de I'Aigle nie: "Ehe? Für mich wäre das eine dauernde Todeszelle der Liebe." Als nach dem Tod der jüngsten Schwester der elterliche Garten bebaut werden sollte, bildete sich eine Initiative, um den Garten zu retten. Dank dieser Initiative, die in Begleitung des Denkmalschutzamtes agierte, konnte 1988 ein Drittel des Gartens als Naturdenkmal erhalten bleiben und gehört heute zum St. Anschar-Stift. In ihm blühen immer noch einige sehr selten gewordenen Apfelsorten. Text: Britta Reimers Literarische Werke: Häsi und anderes geliebtes Getier. Stuttgart 1930. 10. Aufl. Stuttgart 1957. Starentagebuch. Stuttgart 1939. Ein Garten. Hamburg 1948, 1996. Tirschenreuther Krippenspiel. Kassel 1948. Scherben, Silber und Zement. Kindererlebnisse aus unseren Tagen Hamburg-Wohldorf 1949. Ganz kleine Geschichten. Zum Vorlesen, zum Selbstlesen für Knaben und Mädchen von 4-8 Jahren,. Hamburg 1951, 6. Aufl. 1962. Alles wird wieder gut. Freiburg 1955. 4. Aufl. 1963. Begegnung mit Rosen. Stuttgart 1958. Moos, Bodensee 1977. Pädagogische Schriften: Das sexuelle Problem in der Erziehung, Lauenburg 1920 oder 1927. Die ewigen Ordnungen in der Erziehung. Gespräche mit Müttern. Hamburg 1948, bearb. u. erw. Auflagen unter dem Obertitel Elternfibel. Hamburg 1950, 4. Aufl. 1959. Zusammen mit Helga Prollius. Du und deine Kinder - 54 kleine Abschnitte über Erziehungsfragen des Alltags,.Delmenhorst 1953. Das Schulreifeproblem in der Schulpolitik, Material- und Nachrichten-Dienst (MUND) der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Lehrerverbände, Nr. 55/5. Jg. 1. Juni 1954. Die Sprache der Kinder und der Erwachsenen. In: Der Schriftsteller. Zeitschrift des Schutzverbandes Deutscher Autoren. 4.3.1954. Was heißt sittliche Gefährdung der Jugend?. Sammlung. Sept. 1954. Beiträge über Nadelarbeit, Erziehung, Hauswirtschaft. In: Neue Hauswirtschaft. Stuttgart 1930-34. Beiträge über Nadelarbeit, Schneiderei im Frauenteil der "Werag" (Westdeutscher Rundfunk). Köln 1931/32. Politische Schriften: Jungdeutsche Stimmen, Rundbriefe für den Aufbau einer wahrhaften Volksgemeinschaft. Ein Jahr Schriftleitung. Eigene Aufsätze wie "Jungdeutsches Wollen", "Deutsches Erbrecht", "Das Gesetz als formgewordener Staatswille", Hamburg 1918-1920. Zehn Vorschläge für ein Aktionsprogramm der Sozialdemokratie. Flugschrift zum Weimarer Parteitag im Juni 1919. Beschaffenheitsmarken: für alle Waren, als Grundlage für die freiwillige Rückkehr zur Qualitätsware. Schriftenreihe Deutsche Gemeinwirtschaft. Bd. 18. Jena 1920. Mitherausgeberin: Richard von Moellendorf. Konservativer Sozialismus. Hamburg 1932. Meine Briefe von Theo Haubach (1925-1944). Hamburg 1947. Nachlass: Bundesarchiv Koblenz und Archiv der deutschen Jugendbewegung Burg Ludwigstein

    Anke Kuhbier

    geb. Heller

    Politikerin, Autorin und Übersetzerin von Gartenbüchern

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    1.1.1943
    Berlin
    -
    30.7.2018
    Hamburg
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    Im Garten der Frauen befinden sich zwei Rosen, die  nach der verstorbenen Reformpädagogin, Schriftstellerin und Rosenspezialistin Alma de L'Aigle und an die Politikerin, Autorin und Übersetzerin von Gartenbüchern Anke Kuhbier benannt sind. Alma de L'Aigle wurde auf dem Friedhof in Niendorf bestattet, Anke Kuhbier auf dem Ohlsdorfer Friedhof.  

    Fuhlsbüttler Straße 756, bestattet auf dem Ohlsdorfer Friedhof, Grablage: T 29, 270-271

    Zu Ende des zweiten Weltkrieges musste die zweijährige Anke Heller mit ihrer Mutter und ihrer Schwester aus Brandenburg auf einem Elbkahn nach Hamburg fliehen. Der Aufenthalt ihres Vaters und der der älteren Brüder – insgesamt gab es sieben Geschwister - war auf Grund der Kriegswirren damals unbekannt. In Hamburg angekommen, bekam die Familie eine Wohnung in Blankenese zugewiesen, die damals einen großen Garten hatte, in dem Obst und Gemüse angebaut wurden und wo auch Rosen blühten. So lernte Anke Heller schon in jungen Jahren die Wonnen eines Gartens kennen. Nach dem Besuch des Bertha-Lyzeums in Groß Flottbek ging Anke Heller auf die Kunstschule am Alsterdamm, um Gebrauchsgrafikerin zu werden. Doch die Ablenkung in „Gestalt“ von Künstler-Partys war groß und das Schulgeld teuer. So entschied der Vater, seine Tochter von der Schule zu nehmen. Im Alter von 21 Jahren kehrte Anke Heller ihrem Elternhaus den Rücken, um in die Welt zu ziehen. In Amerika arbeitete sie als Housemaid und brachte es dabei bis zu Buttlerdiensten in einem Villenhaushalt in Bel Air, wo sie am Tisch servierte und Cocktails für die Gäste, zu denen z. B. Judy Garland, Gary Cooper und Clark Gable gehörten, mixte. In dieser Zeit heiratete sie zum ersten Mal, wurde Mutter eines Sohnes, bekam einen scharfen Blick für soziale Ungerechtigkeiten und politisierte sich angesichts des Vietnamkriegs immer mehr. Zweieinhalb Jahre lebte sie in Amerika. Nach dem Tod ihres Mannes, kehrte Anke, verwitwete Mac Arthur, mit ihrem Sohn Tom nach Hamburg zurück. Hier jobbte sie in verschiedenen Anstellungen, trat 1967, im Alter von 24 Jahren in die SPD ein, heiratete 1970 den drei Jahre älteren Juristen Jörg Kuhbier (von 1983 - 1987 Senator für Wasserwirtschaft, Energie und Stadtentsorgung und bis 1991 Senator der Umweltbehörde) und bekam mit ihm einen weiteren Sohn und eine Tochter. Anke Kuhbier begann sich politisch stark zu engagieren - Haushalt und Versorgung der kleinen Kinder teilte sich das Ehepaar. Sie wurde Beisitzerin im Juso-Landesvorstand, dann Mitglied der Bezirksversammlung Hamburg-Eimsbüttel. Dieses Amt führte sie 15 Jahre lang aus, davon sieben Jahre als Vorsitzende. Diese Tätigkeit und ihre Arbeit im SPD-Distriktvorstand, Landesvorstand, Kreisvorstand, als Kreisvorsitzende, Landes- und Kreisdelegierte, Kassiererin sowie Bundesparteitagsdelegierte qualifizierten sie für die Hamburgische Bürgerschaft. Zwischen 1991 und 1997 war sie Bürgerschaftsabgeordnete und legte dort ihre politischen Schwerpunkte in die Bereiche Schule und Kultur. Als Berufsbezeichnung gab sie in dieser Zeit „Hausfrau“ an. Über ihr politisches Engagement in der Kommunalpolitik resümierte Anke Kuhbier in einem Gespräch mit der Journalistin Heike Gätjen für das Hamburger Abendblatt: „In die Kommunalpolitik habe sie sich in den Siebzigern voll reingeschmissen. Mit unheimlichem Spaß. Dieser direkte Draht zur Verwaltung. Den Umgang mit den sogenannten Sachzwängen. Der direkte Einfluss darauf. Der Kampf gegen zugepflasterte Gehwege, der Einsatz für Tempo 30 in Wohnstraßen.“ Und Heike Gätjen schreibt weiter: „ Damals verdiente Anke Kuhbier sich ihren Ruf als die Frau mit der scharfen, gefürchteten Zunge. Vielleicht sei das ein Fehler, sagt sie, immer alles auszusprechen, was man denken, aber lieber nicht sagen sollte. Beschönigend könnte man sagen, sie sei geradeheraus. Negativ ausgedrückt sei das undiplomatisch und verletzend. Und diese Intrigen in der Politik, sagt sie. Das seien ziemlich abstoßende Hintergrunderfahrungen.“ (Artikel im Hamburger Abendblatt vom 20.3.2008 unter dem Titel: Ein Rosengarten zum Geburtstag. Heike Gätjen trifft jede Woche Menschen aus Hamburg. Heute Anke Kuhbier, Gründerin der Gesellschaft zur Förderung der Gartenkultur) Nach ihrem Ausscheiden aus der Bürgerschaft wurde Anke Kuhbier eine Zeitlang Deputierte der Kultur- und der Baubehörde, verließ damit also nicht das politische Parkett. Aber es gab noch ein weiteres, für sie wichtiges Betätigungsfeld: die Gartenkultur, wobei ihre besondere Liebe den Rosen galt. In dem bereits oben erwähnten Gespräch mit Heike Gätjen stellte Anke Kuhbier den Zusammenhang zwischen Partei (SPD) und Rosen her: „Beide seien rot, sagt sie lachend, beide könnten einen ordentlich verletzen, aber man könne sie auch lieben.“ (Heike Gätjen, a. a. O.) Ihre Lieblingsrose war die karminrosa und purpur blühende und einen betörenden Duft ausströmende "Madame Isaac Pereire". Selbst besaß Anke Kuhbier einen ca. 10.000 qm großen Garten an ihrem im Jahr 1699 erbauten Bauernhaus in Kulpin bei Ratzeburg. Über ihre Motivation zum Gärtnern befragt, antwortete sie in einem Zeitungsinterview: „Ich bin einfach gern in der Natur, deshalb verbringe ich so viel Zeit in meinem Garten." Aber durch die Gartenarbeit konnte Anke Kuhbier auch gut von der politischen Arbeit abschalten. So äußerte sie einmal: "Ohne meine Gärtnerei hätte ich 30 Jahre Politik nicht ertragen." Dennoch fand sie erst im Alter von 40 Jahren zur Gartenkultur. So heißt es in einem Artikel von Anne Klesse unter dem Titel: Anke Kuhbier - Rosen sind ihre Leidenschaft, veröffentlicht im Hamburger Abendblattes vom 8.7.2004, aus dem auch die beiden oben angeführten Zitate stammen: „ Obwohl sie einen grünen Daumen von ihrer Mutter geerbt hat, interessierte sie sich lange Zeit nicht für Blumen. ‚Das fand ich im Gegensatz zu Gemüse luxuriös: Arbeit hineinzustecken, ohne etwas zu ernten.‘ Erst mit 40 entdeckte sie die Gartenarbeit für sich. ‚Wenn die Kinder aus dem Haus sind, merkt man, wie schön es ist, Pflanzen liebevoll zu pflegen‘.“ www.abendblatt.de/hamburg/article106884335/Anke-Kuhbier-Rosen-sind-ihre-grosse-Leidenschaft.html Aber auch bei der Beschäftigung mit Gartenkultur trat das Politisch-Kämpferische bei Anke Kuhbier zu Tage. So stritt sie z. B. für den Erhalt des Rosengartens in Planten un Blomen. Und als der elterliche Garten der Schriftstellerin, Reformpädagogin und Rosenspezialistin Alma de L’Aigle am Appener Weg 3 bebaut werden sollte, bildete Anke Kuhbier eine Initiative, um den Garten zu retten. Dadurch konnte 1988 ein Drittel des Gartens als Naturdenkmal erhalten bleiben, der heute zum St. Anschar-Stift gehört und in dem immer noch einige sehr selten gewordenen Apfelsorten blühen. Anke Kuhbier gründete die „Gesellschaft zur Förderung der Gartenkultur e. V.“ mit und wurde deren langjährige Vorsitzende und später Ehrenpräsidentin. Neben ihrem Engagement für die Gartenkultur, interessierte sie sich für Musik, Kunst, Theater und Kino. So war sie Mitglied des Beirats bei den Hamburger Symphonikern, Mitglied des Vorstands der Freunde der Laeiszhalle + Elbphilharmonie, Vorsitzende und später stellvertretende Vorsitzende des Kulturforums Hamburg e.V., Mitglied der Freundeskreise Internationale Kulturfabrik Kampnagel und Deutsches Schauspielhaus Hamburg. Auch galt ihre große Aufmerksamkeit der Denkmalpflege. So schreibt die Stiftung Denkmalpflege anlässlich des Todes von Anke Kuhbier: „Die Stiftung Denkmalpflege trauert um ihre Mitgründerin Anke Kuhbier, die der Stiftung seit ihrer Gründung in verschiedenen Ämtern vorstand und dem Kuratorium verbunden war. Die Erhaltung der Hamburger Denkmallandschaft war ihr ein besonderes Anliegen – von ihr ging auch die Erweiterung des Stiftungszwecks von den reinen Bau- und Kunstdenkmälern zu Kulturdenkmälern im weitesten Sinne aus. Erst dadurch wurde es möglich, dass die Stiftung Denkmalpflege sich auch um die Erhaltung der historischen Parks und Gärten der Hansestadt bemühte und den auch auf Initiative von Anke Kuhbier geretteten Garten Alma de l’Aigle in Pflege nehmen konnte.“ denkmalstiftung.de/index.php?pg=aktuelles&hl=en&tdet=3389&PHPSESSID=ffda8d90fa36a2e6b5d2da32d421ec4f&PHPSESSID=ffda8d90fa36a2e6b5d2da32d421ec4f Zu Anke Kuhbiers Veröffentlichungen zählen: • Kluge Menschen und ihre schönen Gärten, Callwey Verlag, München 2011, ISBN 978-3-7667-1904-1 • Von Jahr zu Jahr – Dekorative Blumentöpfe und schönes Gartengerät, Ellert & Richter, Hamburg, 1997 ISBN 3-89234-677-1 • Claude Monet und Sein Garten, Ellert & Richter, Hamburg, 1997 ISBN 3-89234-748-4; 2. Auflage 2000, verbesserte Neuauflage 2004 ISBN 3-8919-0185-6 • Die Schönsten Rosen, Ellert & Richter, Hamburg, 1998 ISBN 3-89234-584-8; 2. Auflage, Hamburg, 2006 ISBN 3-83190-255-0 • Sommerblumen, Von Ageratum bis Zinnie, Ellert & Richter, Hamburg 2000 ISBN 3-89234-930-4 • Rosen-Lexikon, Von Absenker bis Zwergrosen, Ellert & Richter, Hamburg, 2001 ISBN 3-8319-0004-3 • Berlin Grün, Historische Gärten und Parks der Stadt, L & H Verlag, Hamburg, 2000 ISBN 3-928119-51-6 • Der Dekorative Küchengarten, Ellert & Richter, Hamburg, 2002 ISBN 3-8319-0037-X • Rosenträume – Jahreskalender 2001-2006 Ellert & Richter, Hamburg ISBN 3-89234-927-4, 3-89234-927-3, 3-8319-0063-9, 3-8319-0120-1, 3-8319-0163-5, 3-8319-0209-7 Anke Kuhbier schrieb Artikel u.a. in: • Architektur & Wohnen • Die Zeit • Blätterrauschen • Flora Garten • Country • Zuhause Wohnen: Living Gardens • Architektur in Hamburg, Jahrbuch 2002 • Und sie tätigte Übersetzungen aus dem Englischen, so: • Andrew Lawson, Das Gartenbuch der Farben, Ellert & Richter, Hamburg, 1997 ISBN 3-89234-171-4 • Penelope Hobhouse, Meine Schönsten Gärten, Ellert & Richter, Hamburg, 1998 ISBN 3-89234-786-7 • Jane Fearnley-Whittingstall, Päonien – Die Kaiserliche Blume, Ellert Richter, Hamburg, 2000 ISBN 3-89234-938-X Anke Kuhbier gab das Buch: • Alma de l’Aigle, Ein Garten, Dölling und Galitz, Hamburg, 1996 heraus

    Und hielt Vorträge über: • Die Geschichte der Gartenkultur • Entstehung, Entwicklung und Ziele der Gesellschaft zur Förderung der Gartenkultur e.V. • Der Rasen • Rosen • Städtische Freiraumkultur und die Initiative: Gesellschaft zur Förderung der Gartenkultur e.V. • Der Dekorative Küchengarten • Wie deutsch sollen unsere Gärten sein?? • Chrysanthemen • Arts and Crafts • Blumen vortreiben Siehe unter: www.ankekuhbier.de/5.html Text: Dr. Rita Bake

Historische Grabsteine: Schauspiel

    Mita von Ahlefeldt

    Schauspielerin

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    13.12.1891
    Hamburg

    18.4.1966
    Hamburg
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    Fast 50 Jahre spielte Mita von Ahlefeldt an Hamburger Theatern, und doch ist nur wenig über sie bekannt. Nach dem Besuch des Lehrerinnenseminars begann sie mit 27 Jahren bei Mirjam Horwitz mit dem Schauspielunterricht. An den Kammerspielen am Besenbinderhof erhielt sie ihr erstes Engagement. Später wurde sie Mitglied des Thalia-Theaters. 1927 ging sie nach Riga und Reval. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sie Stückverträge an vielen Hamburger Bühnen. Sie spielte z. B. die Mutter Aase in Ibsens "Peer Gynt", oder auch die Mrs. Green in "Heimkehr der Helden" bei Ida Ehre in den neuen Hamburger Kammerspielen. Sie wirkte in verschiedenen Filmen, im Rundfunk und im Fernsehen mit.

    Magda Bäumken

    (geb. Vahlbruch, verh. Bullerdiek)

    Schauspielerin am Ohnsorg-Theater:
    1921 bis 1959

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    17.10.1890
    Hamburg

    23.8.1959
    Verona
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    Magda Bäumken, Tochter eines Klempnermeisters begann ihre Bühnenlaufbahn am Deutschen Schauspielhaus. Durch Zufall kam sie 1921 an die Niederdeutsche Bühne Hamburg, die sich seit 1946 Ohnsorg-Theater nennt.
    1944 heiratete Magda Bäumken ihren Bühnenpartner Walther Bullerdiek.
    Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten sich verschiedene Schauspielerinnen und Schauspieler der Entnazifizierung unterziehen, darunter auch Magda Bäumken. Sie wurde rehabilitiert und spielte bis zu ihrem Tode am Ohnsorg-Theater. Sie wurde eine der bekanntesten Schauspielerinnen ihres Genres und verkörperte ein Stück niederdeutsche Bühnen-Tradition.

    Freca-Renate Bortfeldt

    verh. Lohkamp

    Schauspielerin und Theaterregisseurin

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    5.5.1909
    Hamburg

    17.3.1986
    Hamburg
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    Bevor Freca-Renate Bortfeldt in Hamburg ein Engagement als Schauspielerin bekam, war sie schon seit 1930 auf verschiedenen Bühnen Deutschlands aufgetreten, so in Stralsund, Bochum, Königsberg und Bremen. 1942 kam sie nach Hamburg ans Thalia Theater. Ein halbes Menschenleben gehörte die mit dem ebenfalls am Thalia Theater engagierten Kollegen Emil Lohkamp verheiratete Schauspielerin zum Ensemble. Auch ihr Bruder Hans-Robert Bortfeldt war dort eine Zeitlang engagiert. Als Salonschlange und elegante Gesellschaftsdame war Freca-Renate Bortfeldt eine Favoritin der Abonnentinnen und Abonnenten. Aber auch moderne Regisseure schätzten ihr Talent. Unter Hans Neuenfels hatte sie als Großmutter in "Bernarda Albas Haus" einen herausragenden Erfolg. Freca-Renate Bortfeldt trat auch im Fernsehen auf, so z. B. in: "Zwei wie wir... und die Eltern wissen von nichts" (1966), "Ein besserer Herr" (1973) und in der NDR-Kriminalhörspielserie "Die Jagd nach dem Täter" (1957-1964) sowie in dem Hörspiel von Karol Sidon "Göttin Welt". Als Theaterregisseurin hatte Freca-Renate Bortfeldt ebenfalls Erfolg. So inszenierte sie zwischen 1949 und 1969 am Thalia Theater Kindermärchen. Unter dem männlichen Pseudonym Wilhelm Strahl übernahm sie auch deren Bearbeitung. Freca-Renate Bortfeldt inszenierte z. B. am Thalia Theater 1949 das Märchen "Aschenputtel"; 1951 "Der gestiefelte Kater" und "Schneewittchen"; ein Jahr später "Dornröschen" und 1968 "König Drosselbar". Das 1953 unter ihrer Regie aufgeführte Märchen "Schneeweißchen und Rosenrot" wurde von der ARD als Film aufgezeichnet und an den Weihnachtsfesttagen vom NWDR ausgestrahlt. Diese Inszenierungen brachten ihr den Spitznamen "Pfefferkuchen-Fehling" ein.

    Karli Bozenhard

    (Karoline, geb. Hücker)

    Schauspielerin am Thalia-Theater von 1889 bis 1930 und von 1941 bis 1943

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    11.6.1865/1866 ?
    Wien

    1.2.1945
    Hamburg
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    Die Tochter des Hausinspektors am Wiener Theater in der Josefstadt spielte schon mit 2 1/2 Jahren ihre erste Rolle in einem Kindermärchen. Mit 5 Jahren sang sie Couplets und spielte alle Hauptrollen in den Kindervorstellungen. Später reiste sie als "Wunderkind" mit eigenen Soloszenen und Vorträgen. Als sie ans Thalia-Theater nach Hamburg kam, spielte sie z. B. die Galottis und Heros, später die Anzengruber-Jungfrauen und schließlich die melierten, grauen und weißköpfigen guten und bösen Mütter.
    Am Thalia-Theater lernte sie auch ihren Mann, den Schauspieler Albert Bozenhard kennen.
    Karli Bozenhard wurde 1929, anläßlich ihres 40. Bühnenjubiläums, als erste Frau am Thalia-Theater zum Ehrenmitglied ernannt.

    Gerda Gmelin

    Prinzipalin, Schauspielerin ausgezeichnet mit der Medaille für Kunst und Wissenschaft des HH Senats, der Biermann-Ratjen-Medaille und dem Max-Brauer-Preis

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    23.6.1919
    Braunschweig

    14.4.2003
    Hamburg
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    Bereits mit 15 Jahren stand Gerda Gmelin auf der Bühne. 1959 übernahm sie gegen ihren Willen - doch "Gerdachen macht das schon" - das 1949 von ihrem Vater Helmuth Gmelin gegründete winzige "Theater im Zimmer" an der Alsterchaussee 30 als Chefin, Schauspielerin und Regisseurin. Die alleinerziehende Mutter zweier Söhne führte das Theater bis zu seiner Schließung 1999. Die streitbare, unkonventionelle, mit Humor und schnoddriger Spontanität ausgestattete Prinzipalin führte auch zeitkritische und avantgardistische Stücke auf, für die sie überregionales Lob erntete. Gerda Gmelin, die gern in Männerrollen auftrat, spielte auch im Fernsehen - die ein wenig schroffen und respektlosen Typen. Ihre letzte im Dezember 2002 in der Winterhuder Komödie gespielte Rolle der "Winnie" in Becketts "Glückliche Tage" war eine ihrer Lieblingsrollen.

    Martha Hachmann-Zipser

    Schauspielerin am Deutschen Schauspielhaus von 1900 bis 1940

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    11.12.1864
    Schmiedeberg/Schlesien

    30.12.1940
    Hamburg
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    "Wenn man nicht mehr spielt, dann ist man alt". Fast 40 Jahre, bis kurz vor ihrem Tod, stand Martha Hachmann-Zipser auf der Bühne des Schauspielhauses. Begonnen hatte die Tochter einer Schauspielerin mit 15 Jahren am Torgauer Theater. Ab 1887 spielte sie in Berlin. Ihre Gastspielreisen führten sie durch Deutschland, Österreich, Ungarn bis nach New York. 1900 folgte sie ihrem schwer nervenkranken Kollegen und Ehemann Cord Hachmann ans Hamburger Schauspielhaus. Obwohl sie sich aufopfernd um ihren Mann kümmerte, fand sie noch die Kraft für ihre eigene Karriere. Anläßlich ihres 70sten Geburtstages ernannte der Senat sie zur Hamburgischen Staatsschauspielerin, was um so bemerkenswerter ist, als dieser Titel zum erstenmal vergeben wurde.

    Annie Kalmar

    (Anna Kaldwasser)

    Schauspielerin am Deutschen Schauspielhaus von 1900 bis 1901

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    14.9.1877
    Frankfurt am Main

    2.5.1901
    Hamburg
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    Annie Kalmar starb jung an Schwindsucht, der Krankheit, die schon im 18. Jhd. als Ausdruck psychischer Leiden auftrat. Der Wiener Schriftsteller Karl Kraus sah die eigentliche Todesursache denn auch in der Nichtachtung des Talentes von Annie Kalmar. Publikum und Kritiker sahen in ihr nur die schöne Frau, an deren Anblick man sich entzückte. Karl Kraus verehrte Annie Kalmar sein Leben lang. 1924 widmete er ihr sein "Traumtheater". Dort antwortet der Dichter auf die Frage, wie lange er die Schauspielerin kenne: "Seit jeher. Ich kannte eine, die mir für alle das Einssein des Weibes mit der Schauspielerin, die Übereinstimmung ihrer Verwandlungen, die Bühnenhaftigkeit einer Anmut, die zu jeder Laune ein Gesicht stellt, zum Bewußtsein gebracht hat."

    Hilde Knoth

    Schauspielerin

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    25.11.1888
    Posen

    23.12.1933
    Hamburg
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    "Keine wahre Liebe zur Kunst ohne heiße Liebe zur Menschlichkeit". Diesen Sinnspruch schrieb Hilde Knoth ihren zahlreichen Verehrern ins Stammbuch. Es war das Motto, unter das sie ihr Leben gestellt hatte.
    Als Hilde Knoth noch ein Kind war, starb ihr Vater, der sich gewünscht hatte, dass seine Tochter den Beruf der Lehrerin ergreifen würde. Hilde wollte aber lieber Schauspielerin werden. Und da ihre Mutter dem zustimmte, absolvierte Hilde in Berlin eine Ausbildung im dramatischen Fach. Finanzielle Unterstützung erhielt sie durch die "kaiserliche Schatulle". Hildes Laufbahn begann in Coburg-Gotha am dortigen Hoftheater. Es folgte Hannover (Hoftheater) und dann Hamburg, wo sie 1915 als Mitglied des Hannoverschen Hoftheaters ein Gastspielengagement annahm. Mit der Luise in "Kabale und Liebe" sollte sie ihre Eignung für das Schauspielhaus beweisen und
    hatte Erfolg. Sie erhielt einen mehrjährigen Vertrag. Hilde Knoth blieb bis 1929 am Schauspielhaus. Sie spielte in den Anfangsjahren die sentimentale und tragische Liebhaberin, so das Gretchen in "Faust" und das Käthchen von Heilbronn. Mit den Jahren wurde Hilde Knoth eine, wie es in der "Volksbühne" von 1954 stand, "erschütternde Hebbelsche Klara, eine klassisch-edle Iphigenie, eine schalkhaft-lustige Porzia, eine ergreifende Maria Stuart, eine menschlich-warme Minna von Barnhelm." Im modernen Spielplan zeigte sie sich als elegante Salon- und Konversationsschauspielerin. Zu ihren Lieblingsrollen gehörten neben der Königin Anna in Scibes "Ein Glas Wasser" Ibsens "Nora" und die Solveig in "Peer Gynt". In Hamburg wurde Hilde Knoth der umjubelte Schwarm des Publikums.
    Seit 1929 war Hilde Knoth mit dem Hamburger Arzt Walter Kliewe verheiratet und wurde Mutter eines Kindes. Bedingt durch ein Brustleiden konnte Hilde Knoth nur noch selten als Schauspielerin auftreten. So begann sie, für den Hörfunk zu arbeiten. Sie sprach z. B. in dem Hörspiel "Struensee-Prozeß" die Karoline Mathilde und die Gemahlin Gustav Adolfs in "Der Tag von Lützen". Hilde Knoth erhielt für ihre schauspielerischen Leistungen viele Auszeichnungen und Ehrungen, zuletzt den " Marie Seebach-Ring", den 1866 Königin Emma der Niederlanden der Schauspielerin Marie Seebach geschenkt hatte. Der Ring bestand aus zwei rechteckigen Smaragden und vielen Brillanten.
    Hilde Knoth starb im Alter von 45 Jahren an ihrem Brustleiden.

Historische Grabsteine: Kunst & Kultur

    Anni Ahlers

    Operettensängerin

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    21.12.1902
    Hamburg

    14.3.1933
    Hamburg
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    Anni Ahlers war Ende der 1920er-Jahre des 20. Jahrhunderts neben der Ungarin Gitta Alpar die gefeierte Operettendiva Berlins. Sie wurde in Hamburg geboren und wohnte mit ihrer Mutter Auguste, geb. Leeberg, ihrer zwei Jahre älteren Schwester Mia und ihrem Stiefvater, dem Maurermeister Cäsar Buschitzky, in der Annenstraße in St. Pauli. Ihr leiblicher Vater war Zirkusstallmeister. Dieser hatte seine Tochter im Alter von vier Jahren mit dem Bühnenmilieu vertraut gemacht. 1920 wurde Anni Ahlers als Tänzerin an die Hamburger Volksoper auf der Reeperbahn engagiert, an der sie bis zum Sommer 1924 blieb. Damit begann ihr Aufstieg von der Tänzerin zur Chor- und schließlich zur Solosängerin. Im Juni 1923 bekam Anni Ahlers ihre erste Solo-Rolle. Sie spielte die Rote Liesy in der Operette "Der fidele Bauer" von Leo Fall. Zu Beginn der neuen Spielzeit, im September 1924, ging Anni Ahlers nach Itzehoe, wo sie bis April 1925 als Sängerin und Tänzerin am Stadttheater engagiert war. Als die Spielzeit im Herbst wieder begann, wechselte sie ans Stadttheater nach Dortmund. Hier blieb sie wiederum nur für eine Spielzeit und ging dann im August 1926 nach Breslau. Dort hatte sie ihren ersten größeren Erfolg in der Operette "Lady Hamilton" von Eduard Künneke. Die folgenden zwei Jahre blieb Anni Ahlers in Breslau.1929 kam sie nach Berlin, wo sie schnell zu einem der Stars der Operetten- und Revuebühnen avancierte. Ihre erste größere Rolle war die der Barbarina in der Operette "Casanova" von Ralph Benatzky, eine reine Tanzrolle. Doch bereits im Jahr darauf erhielt sie ihre erste große Tanz- und Gesangsrolle, verkörperte die Victoria in "Victoria und ihr Husar" von Paul Abraham. Diese Operette schlug bei den Leipziger Operettenfestspielen im Juli 1930 sensationell ein und wurde danach mit viel Erfolg im Berliner Metropoltheater gespielt. Jetzt meldete sich auch der Film. Im Jahre 1931 spielte Anni Ahlers in vier Streifen, ("Marquise von Pompadour", "Der wahre Jacob", "Faschingsfee" und "Liebesfiliale". 1932 wirkte sie in dem musikalischen Lustspiel "Die verliebte Firma" mit. Im selben Jahr verließ Anni Ahlers Deutschland und ging ans His Majesty's Theatre in London, wo sie in der Rolle der Dubarry in der gleichnamigen Operette von Carl Milröcker Triumphe feierte. Diese Rolle wurde ihr möglicherweise zum Verhängnis. So jedenfalls sahen es manche Freunde und Kollegen, als Anni Ahlers infolge eines Sturzes aus dem Fenster starb. Sie meinten, Anni Ahlers habe, mondsüchtig veranlagt und überarbeitet, Rolle und Realität verwechselt. Als Madame Dubarry hatte sie durch ein Fenster über einen Balkon der Dekoration kriechen müssen. Die Kommission, die in England ungeklärte Todesfälle untersuchte, kam zu dem Ergebnis, es habe sich um einen Suizid gehandelt. Die Einäscherung von Annie Ahlers fand in London unter großer Beteiligung der Theaterwelt und im Beisein ihrer Mutter und Schwester statt, die die Urne nach Hamburg überführten.

    Valerie Alport

    geb. Mankiewicz

    Kunstsammlerin und Mäzenin

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    23.5.1874
    Posen

    11.12.1960
    Marseille
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    Valerie Aports Grabstein ist das Entrée zum Garten der Frauen. Von der Cordesallee kommend und dem Wegweiser zum, "Garten der Frauen" folgend, der an dem Fußweg steht, der direkt zum Garten der Frauen führt, befindet sich auf der linken Seite des Weges der Grabstein von Valerie Alport.
    Valerie Alport, verheiratet mit Leo Alport, Aufsichtsratsvorsitzender der Firma Beiersdorf, hatte von ihrem Bruder Anteile der Firma geerbt. Das Ehepaar hatte zwei Kinder.
    Vor dem Ersten Weltkrieg in Paris Kunstgeschichte studiert und mit der Sammlung von Kunstwerken begonnen,veranstaltete sie mit ihrem Mann in ihrer Hamburger Villa in der Agnesstraße 1 Konzerte und Treffen kunst- und kulturinteressierter Menschen. Mit der jüdischen Malerin Anita Rée (ihre Urne befindet sich auf dem Althamburgischen Gedächtnisfriedhof des Ohlsdorfer Friedhofes) freundschaftlich verbunden, kaufte Valerie Alport ihr viele Bilder ab und schützte sie so vor Armut. Auch begleitete sie sie auf einer von ihr finanzierten Italienreise. Nach Anita Rée`s Freitod im Jahre 1933 erbte Valerie Alport Bilder der Künstlerin. 1936 schenkte sie einen Teil der Bilder dem jüdischen Museum in Berlin und emigrierte 1937 mit Rèe-Bildern zu ihrem Sohn nach Oxford.
    Nach dessen Tod kamen einige Rée-Bilder nach Hamburg zurück.

    Ilona Bodden

    Lyrikerin, Kinderbuchautorin und Übersetzerin

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    8.2.1927
    Hildesheim

    16.4.1985
    Hamburg
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    Schon ihre Kindheit muss Illusionen über die Welt erst gar keinen Platz eingeräumt haben. Sie verlief offenbar nicht nur einsam und belastet mit der Pflege ihres kränkelnden Vaters, eines Hildesheimer Buchhändlers. Wenn Ilona Bodden später äußert, dass sie ihre Kinderbücher - etwa 20 - schreiben musste, weil sie nur so die entsetzlichen Verwundungen der eigenen Kindheit überwinden könne, ist zu vermuten, dass diese Kindheit noch ganz andere Zumutungen für sie bereithielt. Doch auch später scheint sich Ilona Boddens Verhältnis zur Welt nicht wesentlich geändert zu haben. Ihre Lyrik ist oft düster und trotz der Veröffentlichung ihrer Gedichte in zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften etc., trotz der Übersetzungen ins Italienische und Ungarische und der Verleihung mehrerer Lyrik-Preise in Italien zog Ilona Bodden, die auch als Übersetzerin aus dem Englischen, Französischen und Italienischen gearbeitet hat, die erschütternde Bilanz: "Zu früh, viel zu früh - doch die gestundete Frist ist um. Es gilt die Rechung zu begleichen. Aufrichtige Freunde, keine. Wenig Freude. Essen und Trinken karg. (Die letzten zwei Flaschen Wein waren geschenkte.) Die meisten Ausgaben für nutzlose Medikamente verschwendet. (Gegen Taubheit gibt es kein Heilmittel.) Summa summarum: Die Kosten sind ausgeglichen - Ich bleibe der Welt schuldig, was sie mir schuldig geblieben ist." Ilona Bodden nahm sich am 16. April 1985, wenige Tage nach ihrem Mann, dem Journalisten Günter Löbering, in ihrer Wohnung in der Hoheluftchaussee das Leben.

    Julie de Boor

    Portraitmalerin

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    21.7.1848
    Hamburg

    4.6.1932
    Hamburg
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    Julie de Boor stammte aus einer angesehenen jüdischen Arztfamilie. Ihr Vater war der Arzt und Chirurg Dr. Moritz Unna, der Bruder der Dermatologe Dr. Paul Gerson Unna, nach dem der Unna-Park benannt ist. Sie besuchte Privatkurse bei Eleonore Göttsche und erhielt Zeichen- und Malunterricht bei Bernhard Mohrhagen und Herrmann Steinfurth. Es wird sich bei all dem vermutlich um die damals übliche Ausbildung für höhere Töchter gehandelt haben. 1873 heiratete sie den aus einem uralten holländischen Adelsgeschlecht stammenden Juristen und Bankier Adrian Ploos van Amstel und folgte ihm nach Heidelberg. Doch noch bevor die gemeinsame Tochter Paula am 20. November 1874 geboren war, erschoss sich Adrian Ploos van Amstel, vermutlich wegen finanzieller Schwierigkeiten. Julie de Boor ging zunächst nach Berlin, um sich bei dem Genre- und Bildnismaler Karl Gussow ausbilden zu lassen, und später nach Paris zu dem gesuchten Portraitmaler Emile Auguste Carolus-Duran. Doch eigentlich verstand sie sich als Schülerin des spanischen Malers Diego Velásquez (1599-1660), der auch ihren Lehrer Carolus-Duran stark beeindruckt hatte. 1880 kehrte Julie de Boor nach Hamburg zurück. Mit ihrer Tochter Paula lebte sie im Hause ihres Vaters und arbeitete in Ateliergemeinschaft mit dem Schlachtenmaler Claus Herrmann de Boor in der Rothenbaumchaussee 197. 1889 heiratete das Paar und zog in das nach seinen eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen gebaute einstöckige Haus mit Atelier im Dach in die Moorweidenstraße 19 (heute steht dort das Elysée-Hotel). Paula wurde in die Obhut einer französischen Pastorenfamilie in Mailand gegeben.
    Das gemeinsame Leben des Künstlerehepaares war nur von kurzer Dauer. Am 30. November 1889 starb Claus Herrmann de Boor.
    Unterstützt durch ihre gesellschaftlichen Beziehungen, die ihr Haus zum Sammelpunkt künstlerisch interessierter Menschen machten, insbesondere aber durch ihren Mentor, den Bürgermeister Carl Petersen, war Julie de Boor schnell zu einer beliebten Portraitmalerin mit zahlreichen Aufträgen geworden. Ca. 500 Portraits und Kniestücke in Öl auf Holz oder Leinwand und in Kreide entstanden bis zu ihrem Tod, darunter auch ein Gruppenbild der sieben Rathausbaumeister, das Julie de Boor dem Rathaus zur Eröffnung 1897 stiftete und das im "Rosenkranz" im Ratsweinkeller hängt.
    Trotz aller Anerkennung und Wertschätzung starb Julie de Boor als verbitterte Frau. Sie konnte oder wollte wohl nicht begreifen, dass ihre Kunst, die akademische Portraitmalerei, bereits zu ihren Lebzeiten einer vergangenen Epoche angehörte.

    Hannelore Borchers

    verh. Ausborn

    Malerin

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    20.11.1932
    Warte

    18.12.1990
    Hamburg
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    Paulinenallee 28 (Galerie Christian Zwang, dort Bilder von ihr) "Die Hamburger Malerin Hannelore Borchers hat fast ihr ganzes Leben lag im Stillen gearbeitet und sich dabei dem herrschenden Kunstbetrieb verweigert, weshalb ihr Schaffen zu Unrecht in Vergessenheit geriet," 1) schreibt der Kunsthistoriker Hanns Theodor Flemming. Sie begann ihre künstlerische und Kunsterzieherinnen-Ausbildung im Alter von 20 Jahren und besuchte bis 1958 die Hochschule für bildende Künste (HfbK) in Hamburg, wo sie bei den Malern Kurt Kranz und Willem Grimm lernte. Im Alter von 26 Jahren wurde sie Kunstpädagogin am Gymnasium für Mädchen in Hamburg Gross-Flottbek (heute: Gymnasium Hochrad). 1966 wechselte sie an das Emilie-Wüstenfeld- Gymnasium und war dort bis 1988 tätig. 2) Zwischen 1955 und 1961 führte sie eine Lebensgemeinschaft mit dem gleichaltrigen Maler Volker Meier, der ebenfalls an der HfbK bei Willem Grimm studiert hatte. Ihr freies Schaffen begann Hannelore Borchers "mit dunkeltonigen Strandbildern, Küstenlandschaften und Stilleben in denen noch spätexpressionische Stilelemente eines Willem Grimm auf veränderter Ebene fortleben. Ihre düster getönten Darstellungen von Fischernetzen, Buhnen, Metallgerüsten, Mauern und Häuserwänden sind von einer schwermütigen Stimmung erfüllt (…)." 1) Ihre zahlreichen Reisen nach Skandinavien, London und Irland inspirierten sie zu weiteren Bildern mit Motiven von Meeres- und Küstenpanoramen "aus Dänemark mit Sturmwolken und weiten Horizonten, die in nuancenreichen Farbvaleurs die spezifische Atmosphäre der skandinavischen Landschaft veranschaulichen. Das gilt nicht minder für die Bilder aus der Folgezeit, die durch Eindrücke von zahlreichen Reisen in den Norden, nach London und vor allem nach Irland geprägt wurden. Irische Moore und Kliffs sind in regnerisch verschwommenen Blaugraugrüntönen einer äußerst differenzierten Palette geschildert, in der die eigegenartige Stimmung des Insellandes zu autonomem malerischem Ausdruck gelangt." 1) Von 1963 bis 1988 war Hannelore Borchers mit dem ein Jahr älteren Maler Gerhard Ausborn verheiratet, der ebenfalls zur selben Zeit wie sie an der HfbK bei Willem Grimm studiert hatte. Im Jahr ihrer Heirat wurde das Ehepaar Gründungsmitglied der "Neuen Gruppe Hamburg", ein Zusammenschluss von ca. 22 jüngeren Künstlerinnen und Künstlern, der auf keine bestimmte Kunstrichtung festgelegt war. In den 1970er Jahren wandte sich Hannelore Borchers "durch Eindrücke aus Prag, Venedig und Ephesus mehr und mehr [dem] Architektonischen und Figürlichen" 1) zu. "Die tänzerisch bewegten Barockfiguren auf der Prager Karlsbrücke, die antiken Statuen, Torsen und Ruinen der ionischen Tempel und Arkaden von Ephesus, besonders aber die venezianischen Figurinen der Commedia dell'Arte vor der sparsam angedeuteten Kulisse der Lagunenstadt, bilden nun die Themenkreise für anspielungsreiche Kompositionen in Öl oder Gouache, in denen das jeweilige Motiv oft symbolische Bedeutung gewinnt. Das gilt vor allem für die von surrealer Magie erfüllten Palazzi-Interieurs aus Venedig (…) Marmorsäulen und geometrisch gemusterte Marmorfußböden, zwischen denen sich bizarr maskierte Gestalten und seltsam verkleidete Paare des Carnevale di Venezia bühnenhaft bewegen, (…). In diesen Gemälden erreichte Hannelore Borchers einen Gipfel ihres eigenständigen Schaffens." 1) Hannelore Borchers war auch eine hervorragende Zeichnerin. Sie schuf Bleistift- und Federzeichnungen sowie Schwarzweißradierungen. "Am Ende ihres Lebens wandte sich die Malerin schließlich noch dem bildnerischen Verfahren der Collage zu, deren Teile sie aus Ausschnitten illustrierter Zeitschriften symbolhaltig zusammenfügte, wobei aus Formen Bedeutungen entstanden und umgekehrt. Bildtitel wie ‚Adriatisches Unwetter', (…) ‚Götterdämmerung', ‚Gipfel-stürmerei', (…) deuten auf derartige formal-motivische Wechselbeziehungen." 1) Quelle: 1) Hanns Theodor Flemming: Hannelore Borchers 1932-1990. Eine Retrospektive, 28.10. bis 13.12.1991. Galerie Christian Zwang Hamburg. Katalog 6. 2) freundliche Auskunft von Renate Vidal, ehemalige Schülerin von Hannelore Borchers.

    Hedwig Brandt

    geb. Stosch-Sarrasani

    Die rechte Hand ihres Vaters, Direktor des Zirkus Sarrasani

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    1.3.1896
    Berlin

    28.2.1957
    Hamburg
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    Hedwig Stosch-Sarrasani war die Vertraute ihres Vaters Hans Stosch (1873-1934). Nach der Schule - anfangs besuchte sie ein Pensionat in Dresden, später ein Internat in der Schweiz - wurde Hedwig ab ihrem 14. Lebensjahr in die Arbeit des Zirkus mit einbezogen: als Kunstreiterin, Kassiererin und auch als ein Mitglied des "Putztrupps", der nach den Vorstellungen aufräumen und saubermachen musste. Doch das Verhältnis von Vater und Tochter trübte sich, als Hedwig auf einer gemeinsamen Reise mit ihrem Vater nach Hamburg, ihren zukünftigen Ehemann kennenlernte. Hans Stosch war mit seiner Tochter auf der Werft Blohm + Voss, um Verhandlungen über einen Schiffstransport seines Zirkus nach Südamerika zu führen. Für diese Gespräche wurde ihnen "der beste Mann der Werft", der Leiter der Reparaturabteilung, vorgestellt. 1920 heiratete die 24-Jährige gegen den Willen ihres Vaters, der bereits während des Ersten Weltkrieges "einen Mann vom Fach" für sie ausgesucht hatte. Hedwig zog nach Hamburg und bekam ein Jahr nach der Hochzeit ihr erstes Kind, ein Mädchen, dem 13 Monate später ein Junge folgte. Diese Geburtenabstände glichen denen von Hedwig und ihrem Bruder und führten deshalb bei den Zirkusleuten zu abergläubischen Vermutungen; die Folge: Vater und Tochter versöhnten sich und fortan reiste Hedwig Brandt immer mal wieder für einige Monate zu ihrem Vater, um ihm bei der Zirkusarbeit zu helfen. Musste der Vater auf Reisen, war die Tochter die Generalbevollmächtigte des Zirkus. Zwischen 1920 und 1925 bekam Hedwig Brandt zwei weitere Kinder. Ein Dienstmädchen half im Haushalt, und während Hedwig Brandts Abwesenheit wurden die Kinder von der Schwägerin betreut. Nach dem Tod ihres Mannes stürzte Hedwig Brandt in eine schwere wirtschaftliche Krise: Blohm & Voss zahlte ihr nicht die (Witwen) Betriebsrente. Dies belastete sie sehr und machte sie krank. Trotzdem war sie voller Begeisterung dabei, als 1955 Fritz Mey, ein ehemaliger Mitarbeiter des 1945 in Dresden ausgebombten Zirkus Sarrasani, mit Spendengeldern versuchte, das Unternehmen wieder aufzubauen. Sofort gab sie ihr Einverständnis für den Zirkusnamen "Sarrasani" und reiste 1956 zu dessen Eröffnungsvorstellung nach Mannheim. Ein Jahr später verstarb sie.

    Anny Breer

    Porträtfotografin

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    27.10.1891
    Hamburg

    21.7.1969
    Hamburg
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    Anny Breer wurde unter den Namen Agnes Else Breer am 27.Oktober 1891 als Tochter des 1. Schiffsvermessungsinspekteurs Theodor Wilhelm Breer und seiner zweiten Frau Agathe geboren, die er 1891 geheiratet hatte. Breers erste Frau und Mutter ihrer gemeinsamen fünf Kinder war etwa zwei Jahre zuvor verstorben.
    Anny Breer schreibt über die Folgen dieser Ehe für ihre Mutter "Mit der Heirat begann dann ihr langes, qualvolles und einsame Leben…"
    Über ihr Verhältnis zu Vater und Stiefgeschwister schreibt sie: "Als ich in der zweiten Ehe meines Vaters in Hamburg geboren wurde, stand meine Geburt schon unter so ungünstigen Aspekten, die mein ganzes weiteres Leben gekennzeichnet haben…" Damit
    meinte sie u. a. die totale Ablehnung ihrer Mutter durch die Kinder aus erster Ehe, damals zwischen 14 und 9 Jahre älter als Anny Breer, und die notorische eheliche Untreue des Ehemanns. Auch sie hat unter den Launen und der Ablehnung ihres Vaters und den Kindern aus erster Ehe stark zu leiden.
    1912 trifft Anny Breer auf ihre erste Liebe, einen 22 jährigen Pianisten, der ihr Klavierunterricht gibt. Er ist der Gegenentwurf zu ihrem Vater. Kein Wunder, dass sie sich schwärmerisch in ihn verliebt. Gegen den Willen des Vaters verloben sich die beiden im Februar 1915, mitten im Ersten Weltkrieg. Am selben Tag erleidet Theodor Breer einen Schlaganfall und stirbt wenige Tage später. Anny Breer fühlt sich "vom Tyrann befreit", doch der nächste Schicksalsschlag lässt nicht lange auf sich warten. Ihr Verlobter, Carl Rettbach, wird eingezogen und fällt am 26. November 1915 an der Ostfront.
    Breers Vater war bei seinem Tod so hoch verschuldet, dass zur Abfindung der Gläubiger die Villa in der Fruchtallee 38 verkauft werden muss. Um finanziell über die Runden zu kommen, muss Anny Breer Arbeit annehmen und findet eine Stelle in der Militärverwaltung in Altona.
    Dort tritt ein neuer Mann in ihr Leben. Er ist deutlich älter, ein jüdischer Reserveoffizier und im Zivilberuf Jurist. Später wird er von den Nazis deportiert und ermordet. Er sieht in ihr einen "Augenmenschen" und rät ihr zur Fotografie als Beruf. Über die Witwe von Ernst Juhl, einer Bekannten ihres Verlobten, lernt sie Minya Dührkoop kennen. Ernst Juhl war der Mitstreiter des Hamburger Kunsthallen-Direktors Alfred Lichtwark. Beide waren bemüht, die gewerbliche Fotografie ästhetisch zu reformieren. Als Fotosammler war Juhl mit vielen damals weltbekannten FotografInnen bekannt. Minya Dührkoop gehört mit ihrem Vater Rudolf zu diesem Kreis. Zu ihrem Kundenstamm gehören Kaiser und Präsidenten, hohe Militärs und berühmte bildende Künstler, Musiker und Schauspieler. Mit dem Atelier Bieber aus Hamburg und wenigen anderen im Deutschen Reich wetteifern sie um das Prädikat "bekanntestes Atelier Deutschlands." Anny Breer beginnt im Hamburger Atelier Dührkoop als unbezahlte Volontärin und bekommt innerhalb von zwei Monaten Gehalt, weil sie ihre Arbeit hervorragend erledigt. Als zeichnerisch sehr begabt, fällt ihr im Atelier Retusche zu, also die zeichnerische Manipulation der Fotonegative und der Papierabzüge. Aufgrund einer Neurodermitis muss sie ihre Arbeit aufgeben und begibt sich 1917 zur Therapie in ein Krankenhaus. Eine Rückkehr ins Atelier Dührkoop ist aufgrund der geschäftlichen Situation nicht möglich. Wahrscheinlich durch die Vermittlung von Minya Dührkoop, hat sie aber nun die Möglichkeit von deren Bekannten und Konkurrentin Emma Wiemann zu lernen. Anny Breer schreibt "Die künstlerische Auffassung ihrer Porträts hatte mich schon immer begeistert."
    Dabei hat sich die junge Witwe selbst erst im August 1915 in Hamburg selbständig gemacht und ist nur knapp vier Jahre älter als Anny Breer, die hier erstmalig die Möglichkeit bekommt, Porträts als sogenannte Operateurin selbst zu verantworten. Sie ist mit sich zufrieden. Die Porträts sind: "alle gleich intuitiv erfasst … und im richtigen Blick für Aufbau, Beleuchtung und Komposition... Immer mehr spürte ich, dass dieser Beruf mein Schicksal wurde und ich eine Berufung dafür hatte."
    Was Anny Breer nach ihrer Zeit als Volontärin bei Wiemann zwischen Sept. 1918 und Sept. 1922 getan hat, muss vorerst offen bleiben. Nach eigenen Angaben ist sie ab September 1918 ein paar Monate im Atelier Bieber tätig, wird dort aber nicht glücklich. 1922 macht sie sich inoffiziell selbständig. In der Villa ihrer Halbschwester in der Brahmsallee funktioniert sie das ehemalige Kinderzimmer zum Atelier um. Die ersten Kunden nimmt sie mit einer geliehenen 18x24cm Atelierkamera auf, die Negative und die Abzüge entwickelt sie in einem Mietlabor für Amateurfotografen. Mit der Erteilung eines Gewerbescheins macht sie sich dann in eigenen Räumlichkeiten in der Lübeckerstraße 78 im September 1922 offiziell selbständig. Fünf Jahre baut sie sich einen Kundenstamm auf. Erste Porträts erscheinen in der Fotobeilage des Hamburger Fremdenblattes. 1927 engagiert sie das Deutsche Schauspielhaus, um Bühnenaufnahmen und Rollenporträts anzufertigen. So entstehen Fotos von der Uraufführung von Erich Wolfgang Korngolds "Das Wunder der Heliane" und SchauspielerInnenporträts u. a. von Maria Eis. Diese werden in "Der Kreis. Zeitschrift für künstlerische Kultur" veröffentlicht, eine Publikation mit Schwerpunkt auf dem Hamburger Bühnengeschehen. Aber auch Musik, bildende Kunst, Tanz und Architektur werden von Autoren wie Hans Leip, Hans Henny Jahn, Max Beckmann und anderen unter avantgardistischer Perspektive diskutiert, bis die Zeitschrift 1933 verboten wird.
    Um sich geschäftlich breiter aufzustellen, bemüht sich Anny Breer erfolgreich um Aufträge im Bereich der Sach- und Architekturfotografie. 1927 fotografiert sie ausgiebig und mit fachlichen Können die neuen Glocken der St. Nikolai-Kirche. 1929 begleitet sie den Um- und Erweiterungsbau des katholischen Marienkrankenhauses in Hohenfelde. In einer 1929 anlässlich der Fertigstellung des Krankenhauses publizierten Veröffentlichung erscheinen 74 Fotografien Anny Breers, die sämtliche Gebäude des Krankenhauses von innen und außen zeigen. Dazu die Bildnisse sämtlicher Oberärzte. An ihnen zeigt sich beispielhaft Breers fotografische Herangehensweise. Sie gibt nach dem Krieg zu Protokoll: "Wenn eine Bildnisphotographie…ein Photogramm der Persönlichkeit werden soll, und kein Zufallstreffer, …so läßt sich das Wesentliche eines Menschen nur erfassen, wenn das ICH des Photographen zurücktritt."
    Die Oberärzte werden von ihr vor einen dunklen Hintergrund platziert. Ein Lichtakzent im oberen linken Quadranten vermeidet den Eindruck zu starker Eintönigkeit des Hintergrundes und dynamisiert das Bild. Mal kommt das Licht von rechts, mal von links. Die Herren sitzen im Viertelprofil, leicht eingedreht, oft etwas diagonal im Bild positioniert. Per Kadrage entstehen Brust- oder Hüftbilder. Die Gesichtsausdrücke reichen von müde über nachdenklich bis hin zu aufmerksam und konzentriert. Durch diesen Einsatz ästhetischer Gestaltungsmittel gelingt es ihr, die beruflich homogene Gruppe der Oberärzte trotzdem als Individuen in ihrer je eigenen charakterlichen Verfasstheit darzustellen. Im Gegensatz dazu fotografiert sie die Räumlichkeiten menschenleer, klinisch rein, funktional.
    Auch Paul Frank, als Hamburger Protagonist des Neuen Bauens verantwortlich für die Laubenganghäuser in der Jarrestadt und am Dulsberg, beauftragt sie, letzteres fotografisch zu dokumentieren. Sie passt ihren Stil der neuen sachlichen Bauform an, da sie auch hier, wie bei den Porträts, das eigene Ich in den Dienst der Sache stellt und versucht auch hier den Charakter des Gebäudes bildmäßig zu erfassen.
    Vielleicht dadurch für die Lebensumstände der weniger vermögenden Bevölkerungsschichten sensibilisiert, nimmt sie 1930/31 einen Auftrag vom "roten Grafen" Alexander Stenbock-Fermor für sein Buch "Deutschland von unten" an, in dem er die sozialen Verhältnisse anprangert. Eine Hamburger Arbeiterfamilie sitzt auf Breers Foto rund um den Küchentisch in einer alten, heruntergekommenen Wohnung. Ein Bild, das genau die Verhältnisse zeigt, die zu ändern sich der Autor des Buches und die Architekten des Neuen Bauens auf die Fahnen geschrieben haben.
    Mittlerweile sind gut 10 Jahre seit dem Beginn ihrer Selbstständigkeit vergangen. Die Zeiten, in denen das Kinderzimmer als behelfsmäßiges Atelier herhalten muss, sind Geschichte. Stattdessen kann sie nun, im April 1933, mit vier MitarbeiterInnen mit ihrem Atelier an den Neuen Wall Nr. 2, Ecke Jungfernstieg, umziehen. Anny Breer hat die Räume von Hans Leip übernommen und bleibt dort bis zur völligen Ausbombung im Juli 1943. In den Jahren dazwischen beginnt sich ihr Ruf über die Grenzen Hamburgs auszubreiten. Seit mindestens 1927 stellt sie aus. So bei "Frauenschaffen des 20. Jahrhunderts" in Hamburg neben Paula Modersohn-Becker und Käthe Kollwitz und ihrer ehemaligen Lehrerin Minya Dührkoop. 1929 stellt sie in der Altonaer Kunstausstellung neben den FotografInnen der Neuen Sachlichkeit und des Neuen Sehens wie Renger-Patzsch, Herbert und Irene Bayer, Aenne Biermann, Hans Finsler, und den Geschwistern Leistikow aus, ohne sich jedoch in ihrem Stil durchgehend dem Neuen Sehen oder der Neuen Sachlichkeit verpflichtet zu fühlen. 1932 und 1933 zeigt sie Fotos neben den lokalen aber überregional bekannten FotografInnen Olga Linckelmann und Lotte Genzsch. 1936 stellt sie in den Räumen des Werkbundes an der Rothenbaumchaussee aus und veranstaltet selbst Atelierausstellungen und Künstlerfeste in ihrem neuen Atelier. 1938 erzählt sie im Rahmen der Rundfunksendung "Schaffende Frauen in Hamburg", wie sie zur Fotografie kam.
    Durch die totale Zerstörung von Wohnung und Atelier 1943, die sie überlebt, weil sie zu der Zeit zur Kur in Marienbad weilt, ist sie erneut mit Existenzängsten konfrontiert. Als Notlösung zieht sie wieder in die Brahmsallee zu ihrer Stiefschwester. Erst 1946 findet sie neue Räume in einem teilzerstörten Gebäude am Speersort 8. Die Mühen der Reparaturen, die Existenzängste, eine Krankheit, verzögern die Ateliereröffnung bis zum 15.11.1947 in Mitten einer Trümmerlandschaft. Als ihr Erspartes 1948 durch die Währungsreform vernichtet wird, ist sie verzweifelt. Aber eine Ausstellung ihrer Fotos 1948 unter dem Titel "Köpfe aus dem kulturellen Leben Hamburgs " und Kredite helfen über das Ärgste hinweg, bis sie sich wieder gefangen hat. 1954 wird die letzte Baulücke am Ballindamm 35 geschlossen. Sie bekommt die Möglichkeit dort ein Atelier einzurichten. Zurück an der Alster, in ihrem Wohn- und Fotoatelier wird sie nun noch 14 Jahre ihrem Beruf nachgehen. Auf der "Bildausstellung deutscher Berufsfotografen" 1955 bekommt sie eine Ehrenurkunde für ihren Beitrag. Sie hat keine Altersversicherung und muss daher bis ein Jahr vor ihrem Tod arbeiten. Ihr Alter verschweigt sie, aus Furcht, es könnte geschäftsschädigend wirken. Aber die Kundschaft bleibt ihr treu. Neben der Hamburger Prominenz aus Kunst, Politik und Wirtschaft fotografiert sie nationale Bekanntheiten wie Marie Luise Kaschnitz und Werner Finck und Weltstars wie José Ortega y Gasset und Pierre Boulez. Ihre Assistentin, Waltraut Frisch, übernimmt das Atelier, als Anny Breer 1968 in den Ruhestand geht.
    Breer schreibt an Fritz Kempe wenige Monate vor ihrem Tod:
    "Das Leben ist nach meiner heutigen Erfahrung und im Rückblick auf alles Mühen absurd, nur auf den Tod hingelebt. Aber wenn der Mensch sich ganz auf sich selbst stellt, in eigener Verantwortung und im vollen Bewusstsein, dass er zuletzt doch allein ist, kann er daraus eine Kraft entwickeln, die ihm Widerstand verleiht." Widerstand auch gegen eine berufliche Konkurrenz, die über ihr 40 jähriges Berufsleben in kaum einer anderen Stadt, abgesehen vielleicht von Berlin und München, so hart ist wie in Hamburg.
    Anny Breer stirbt an dem Tag, an dem mit Neil Armstrong zum ersten Mal ein Mensch seinen Fuß auf den Mond setzt, am 21. Juli 1969.
    Text: Klaas Dierks

    Hildegard (Hilde) Claassen

    geb. Brüggemann

    Leiterin des Claassen Verlages

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    21.4.1897
    Linnich

    16.2.1988
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    Alte Rabenstraße 12 (1. Verlagsadresse ) Moorweidenstraße 14 (2. Verlagsadesse) Parkallee 42 (3. Verlagsadresse) Leinpfad 70 (Wohnadresse) Ihr Grabstein steht im Garten der Frauen auf dem Ohlsdorfer Friedhof Hildegard Brüggemann entstammte einem Pastorenhaushalt. Von 1913 bis 1916 besuchte sie ein Gymnasium in Aachen; von 1916 bis 1920 studierte sie Germanistik, Romanistik und Kunstgeschichte an der Universität München. 1920 erfolgte die Promotion. Hildegard Brüggemann war Mitbegründerin der Kunstgalerie Franz M. Zatzenstein/Matthiesen, "deren Inhaber 1934 nach London emigrierten". Bis zu ihrer Eheschließung mit Eugen Claassen arbeitete sie in München und Berlin an Ausstellungen über Daumier und Toulouse-Lautrec mit." 1) 1925 zog Hildegard Brüggemann nach Frankfurt a. M. und heiratete 1926 Eugen Claassen, den Leiter des dortigen Societäts-Verlages. Kennengelernt hatten sich die beiden im "Bund freier Menschen" um Oskar Maria Graf, als Hildegard Brüggemann noch studierte und damals mit den Schriftstellerinnen Regina Ullmann und Hertha König zusammenwohnte. Über seine Freundin erhielt Eugen Claassen auch Kontakt zu Nolde, Kirchner und George Grosz. Ein Jahr nach der Hochzeit wurde die Tochter Judith geboren. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde die Möglichkeit einer Emigration aus Deutschland diskutiert. "Ausschlaggebend für die Entscheidung des Ehepaares gegen die Emigration aber wird gewesen sein, daß Claassen, wie auch Hilde Claassen in ihren Erinnerungen notiert, die unter Intellektuellen sogar in Exilkreisen noch im Frühjahr und Sommer 1934 weitverbreitete optimistische Fehleinschätzung teilte, daß, ‚alles bald vorüber' sein würde." 2) 1934 gründeten H. Goverts und Eugen Claassen den Claassen Verlag. Die erste Verlagsadresse war die Hamburger Alte Rabenstraße 12: die Privatwohnung von Goverts. Zur Verlagsgründung kam es, weil sich Eugen Claassen wie auch Henry Goverts: "nach 1933 in ihrer Arbeit stark eingeschränkt gesehen [hatten]; Goverts verlor seine Lehrerlaubnis an der Universität, Claassen konnte im Frankfurter Societäts-Verlag nicht mehr die Bücher herausbringen, die seiner liberalen Haltung entsprochen hätten. Die Gründung des eigenen Verlages war eine Art Flucht nach vorn ? Goverts sorgte für die finanziellen Voraussetzungen, Claassen für die nötige Verlagserfahrung, (…).3) Hildegard Claassen war von der Idee einer Verlagsgründung anfangs nicht begeistert. Darüber schrieb sie 1972 "in einem Geburtstagsbrief an Henry Govers: '(…) als Du uns im Frühjahr 1934 in Frankfurt besuchtest, da bezogen sich unsere Gespräche alle auf ein einziges Thema: den Verlag, den Du mit Eugen gründen wolltest, und der in Hamburg seinen Sitz haben sollte. Ich weiß noch genau, wie erschrocken ich im Anfang über diesen Plan war, denn er durchkreuzte unseren Wunsch, aus Deutschland fortzugehen. Damals während eines Spazierganges über die Ginnsheimer Höhe, erzählte ich Dir, daß ich gerne wieder die Leitung einer Bildergalerie übernähme, ‚meiner' Galerie, wie Eugen sie immer genannt hat, die in London eine Filiale eröffnen wollte. Aber Du meintest, Hamburg sei immer noch imstande, es mit London aufzunehmen.'" 4) Der Verlag wurde gegründet. "Gemeinsam suchten sie [die Verleger] einen Weg, ihrer politischen Haltung durch die Literatur Nachdruck zu verleihen, vermieden die Veröffentlichung nationalsozialistischer Autorinnen und Autoren, förderten junge und hielten Kontakt zu emigrierten Schriftstellern. Ein erster Bestseller gelang dem Haus 1937 mit der deutschen Ausgabe von Margaret Mitchells ‚Vom Winde verweht'. Bis zum Juli 1941 war das Buch 276.900 mal verkauft und finanzierte so das stetig wachsende Literaturprogramm, zu dem unter anderem Marie Luise Kaschnitz, Heinrich Mann, Elisabeth Langgässer, Elias Canetti, Erich Fried, Irmgard Keun und Marlen Haushofer gehören sollten. Auch das Werk Hermann Melvilles wurde hier für die deutsche Leserschaft entdeckt, nicht anders die Bücher von Evelyn Waugh, Cesare Pavese und Pablo Neruda. Nach dem Krieg bekam der Verlag deshalb als einer der ersten von der Britischen Besatzungsmacht die Lizenz, sich unter der Firmierung Claassen & Goverts neu zu gründen. Bis sich die beiden Gründer 1947 trennten und Claassen seinen Verlag bis zu seinem Tod 1955 allein weiterführte." 5) Zurück zu Hildegard Claassen: Im April 1936 zog sie mit ihrer Tochter nach Hamburg - ihr Mann war bereits ein Jahr zuvor dorthin gezogen. Die Claassens wohnten damals in der Körnerstraße 21, der Verlag befand sich nun in der Moorweidenstraße 14. Hildegard Claassen wurde die engste Mitarbeiterin ihres Mannes. In den ersten Jahren des Bestehens des Verlages hatte sie entscheidend bei der Auswahl deutschsprachiger sowie englisch- und französischsprachiger Romanmanuskripte mitentschieden. Eugen Claassen verließ sich auf das Urteil seiner Frau. Lehnte sie ein Manuskript ab, dann wurde das Manuskript nicht angenommen. 6) In der NS-Zeit war Hilde Claassen von 1936-1945 Mitglied der NSV (nationalsozialistische Volkswohlfahrt) und von 1940-1945 im Luftschutz. 7) Nach dem Tod ihres Mannes im Jahre 1955 führte Hildegard Claassen den Verlag allein weiter. Dazu äußerte sie: "Für die Nachfolgerin [von Eugen Claassen] war es eine Selbstverständlichkeit, alles zu tun, um die vorgezeichneten Linien des Verlagsgesichts im Geist des Begründers weiterzuführen. Das sollte aber nicht heißen, daß ängstlich am Überkommenen festgehalten werden mußte, denn immer wieder machte ich die Erfahrung, daß ein Buch seine volle Wirksamkeit erst in einem bestimmten Zusammenhang, wie er etwa von den Zeitumständen oder den Strömungen in der Literatur bestimmt wird, zu entfalten vermag … Der Hauptakzent lag auf der zeitgenössischen deutschen Literatur. Der Verlag brachte Prosa von Christian Geißler, Geno Hartlaub, Gustav Schenk, Thomas Valentin, Prosa und Lyrik von Marie Luise Kaschnitz, Lyrik von Cyrus Atabai, Erich Fried, Walter Helmut Fritz, Peter Jokostra, Urs Oberlin, Johannes Poethen. Besonders hingewiesen sei auf die Bücher von Ernst Weiß, die lange Zeit verschollen waren, und auf die großen Werksausgaben von Elisabeth Langgässer und Karl Wolfskehl und auch auf die Gesamtausgabe von Heinrich Mann, die als Lizenzausgabe vom Aufbau Verlag übernommen wurde. (…)." 8) Das Verlagsgeschäft war in den 1960er ziemlich schwierig. "Mancherlei Überlegungen und Verhandlungen in den Jahren 1965 und 1966 galten darum der Zukunft des Verlages, für den Hilde Claassen auch ihres Alters wegen nicht länger allein die Verantwortung tragen wollte." 9) 1967 verkaufte Hildegard Claassen den Verlag an die Econ Verlagsgruppe, in der der Claassen Verlag unter seinem Namen fortbestand und Hildegard Claassen als Cheflektorin im Verlag tätig blieb. "Das Lektorat blieb deshalb noch bis 1972 in Hamburg. In dieser Zeit hat Hilde Claassen aus der historischen Verlagskorrespondenz die Briefwechsel ihres Mannes mit Autoren und Übersetzern ausgewählt, die dann zusammen mit seinen Aufsätzen 1970 zum 75. Geburtstag Eugen Claassens erschienen." 10) Hildegard Claassen erhielt 1967 das Verdienstkreuz 1. Klasse. "Seit 2004 gehörte Claassen zur Verlagsgruppe Ullstein Buchverlage, die es in der heutigen Zusammensetzung seither gibt. 2009 wurde dann das Programm von Claassen stillgelegt, (…), um das literarische Profil von Ullstein zu schärfen, Ullstein stärker für Literatur zu öffnen. Über zehn Jahre später wird das Imprint nun wieder belebt." 11) Text: Rita Bake Quellne: 1) Anne-M. Wallrath-Janssen: Der Verlag H. Goverts im Dritten Reich. München 2007, S. 23, Fußnote 17. (Archiv für Geschichte des Buchwesens, Studien 5.) 2) Anne-M. Wallrath-Janssen, a. a-. O., S. 40. 3) Börsenblatt des deutschen Buchhandels 27. September 2019, unter: https://www.boersenblatt.net/2019-09-27-artikel-ullstein_laesst_claassen_wieder_aufleben-erstes_programm_im_fruehjahr_2020.1733468.html 4) Eugen Claassen. Von der Arbeit eines Verlegers. Bearbeitet von Reinhard Tgahrt unter Mitarbeit von Huguette Hermann, Gudrun Karlewski und Monika Waldmüller, in Marbacher Magazin, 19/1981. 5) Börsenblatt des deutschen Buchhandels, a. a. O. 6) Vgl.: Anne-M. Wallrath-Janssen, a. a. O., S. 102. 7) Staatsarchiv Hamburg, 221-11_74575 8) Hilde Claassen in dem Aufsatz: "Geschichte des Claassen Verlages" 1969. Zit. aus: Proben und Berichte. Ein Almanach zum fünfzigjährigen Bestehen des Verlages. 1934-1984. 9) Anne-M. Wallrath-Janssen, a. a. O. S. 27. 10) Marbacher Magazin, a. a. O., S. 30. 11) Börsenblatt des deutschen Buchhandels, a. a. O.

Historische Grabsteine: Politik & Soziales

    Grete Albrecht

    geb. Hieber

    Neurologin, Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes

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    17.8.1893
    Hamburg

    5.8.1987
    Braunlage
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    Elfriede Margarete "Grete" Albrecht war die Tochter von Charlotte Emilie Hieber, geb. Kammann und des Brauereidirektors Albert Friedrich Hieber. Wenn in ihrer Kindheit über die zukünftigen Berufe der Geschwister gesprochen wurde, hieß es vom Vater: "Mädchen heiraten oder werden Lehrerin." Grete wollte aber weder Lehrerin werden, noch hatte sie als Kind den Wunsch, später einmal zu heiraten. Als sie ungefähr zwölf Jahre alt war, verkündete sie ihren Eltern, später Medizin studieren zu wollen. Ihr Vater nannte dies einen "Spleen", denn: "Mädchen können gar nicht Arzt werden." Als Grete Hieber fünfzehn Jahre alt war, starb der Vater und Grete konnte ihre Mutter überreden, sie Abitur machen zu lassen. Da es damals noch keine Mädchengymnasien gab, besuchte sie eine Privatschule des Vereins für Mädchenbildung und Frauenstudium. 1913 legte sie als Externe das Abitur an einem Realgymnasium für Jungen ab. Um sie von ihrem Berufswunsch Ärztin abzubringen, schickte ihre Mutter sie zu ihrem alten Hausarzt, damit dieser ihr ins Gewissen rede. Doch auch ihm gegenüber äußerte Grete Hieber den Berufswunsch Ärztin, woraufhin sie eine kräftige Ohrfeige von ihm bekam mit der Bemerkung: "Dummes Gör…" Schließlich durfte Grete Medizin studieren, was sie bis 1918 in München, Freiburg i. Br., Kiel und Berlin tat. Als sie nach ihrem Medizinalpraktikum, das sie in einem Berliner Krankenhaus absolvierte, einen praktischen Arzt, der als Soldat eingezogen war, in dessen Praxis vertrat, wurde ihr klar, warum sie Medizin hatte studieren wollen. So schreibt sie in ihren privaten Aufzeichnungen: "Die Arbeit in der großen Kassenpraxis, die in einem Arbeiterviertel lag, mit fünfzig bis sechzig Patienten an einem Nachmittag, war neu und aufregend für mich. Zum ersten Mal war ich allein verantwortlich für alles was ich tat oder nicht tat." In dieser Zeit in Berlin wurde Grete Albrecht auch die "Rote Grete" genannt. Am Ende ihres praktischen Jahres heiratete sie im April 1919 den Juristen Siegfried Ludwig Hermann Albrecht (1890-1967). Im selben Jahr machte sie ihr Staatsexamen und erhielt ihre Approbation. 1920 wurde ihr erster Sohn geboren. Im selben Jahr promovierte sie. 1922 kam dann der zweite Sohn zur Welt. Zwei Jahre später übernahm sie zweimal wöchentlich Beratungsstunden in einer Beratungsstelle der Säuglings- und Kleinkinder-Fürsorge. Doch immer stärker wurde der Wunsch, sich mehr der Medizin widmen zu können. So fing sie in einem Hamburger Krankenhaus als Volontärärztin an und arbeitete auf der Inneren Abteilung und später auf der Abteilung für Haut- und Geschlechtskrankheiten. Doch Ihr Interesse galt zunehmend den seelischen und neurologischen Erkrankungen. Deshalb absolvierte sie zwischen 1928 und 1929 eine Weiterbildung bei Ernst Kretschmer in Marburg. Ihre beiden Kleinkinder hatte sie nach Marburg mitnehmen müssen. Ende 1929 kehrte sie mit ihren Kindern nach Hamburg zurück und vervollständigte ihre Fachausbildung bei Prof. Nonne in der Neurologie der Universitätsklinik Hamburg Eppendorf. 1931 ließ sie sich dann als Neurologin nieder. Auch wurde sie Mitglied des Deutschen Ärztinnenbundes, dessen Geschäftsführerin sie 1935 wurde. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten trat der Erlass des Doppelverdiener-Gesetzes in Kraft, wonach u.a. Ärztinnen keine Kassenpraxis führen durften, wenn der Ehemann verdiente. Grete Albrecht verlor 1936 ihre Kassenzulassung, weil ihr Ehemann nach den Nürnberger Rassengesetzen als "Jüdischer Mischling ersten Grades" galt. Im selben Jahr verließ sie auch den Deutschen Ärztinnenbund. Noch 1934 hatte sie sich dort gegen die Diskriminierung verheirateter Ärztinnen eingesetzt. 1942 wurde ihr zweiter Sohn als Soldat getötet. Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus nahm Grete Albrecht 1945 ihre Praxis in ihrer Privatwohnung wieder auf. Zwei Jahre später wurde die Ehe geschieden. Neben ihrer ärztlichen Tätigkeit baute sie nach dem Krieg die Hamburger Ärztekammer wieder mit auf. 1945 wurde sie in deren Vorstand gewählt und gehörte ihm bis 1962 an. Auch beteiligte sie sich an der Neugründung des Deutschen Ärztinnenbundes. Auch hier war sie ab 1945 im Vorstand tätig und von 1955 bis 1965 dessen Präsidentin sowie bis 1969 dessen Ehrenpräsidentin. Während dieser Zeit amtierte sie auch von 1958 bis 1962 als Vize-Präsidentin des Internationalen Ärztinnenbundes. Grete Albrecht wollte durch diese ehrenamtlichen Aktivitäten die Stellung der Frau als Ärztin in der Öffentlichkeit festigen und fördern. 1962 wurde sie mit der Paracelsus-Medaille der deutschen Ärzteschaft ausgezeichnet, weil sie auch in "schwerster Notzeit unbeirrt trotz ihr persönlich drohender Gefahren am Leitbild des Arztes als Helfer der sich ihm anvertrauenden Menschen festhielt".

    Anne Banaschewski

    Direktorin des Instituts für Lehrerfortbildung

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    16.5.1901
    Welschbillig

    4.5.1981
    Hamburg
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    "Wer nicht an Entscheidungen mitwirkt, über den wird verfügt. Das gilt im kleinen Rahmen der Schule und des Verbandes, wie es im größeren der Gesellschaft und des Staates gilt", schrieb Anne Banaschewski in einem Aufsatz, um Frauen zu motivieren, sich als Schulleiterinnen zur Verfügung zu stellen. Anne Banaschewski, seit 1945 schulreformerisch tätig, stritt u. a. für einen höheren Anteil von Frauen in den Schulleitungen und für eine Bildung, die Mädchen nicht nur auf die "kurze Übergangszeit zwischen Schulentlassung und Ehe" vorbereitet, sondern schulisch und beruflich ausbildet, so dass auch Frauen die Möglichkeit des lebenslangen Lernens erhalten. Anne Banaschewski wuchs mit fünf Geschwistern in einem bürgerlichen Elternhaus auf. Nach dem Abitur studierte sie Kunstgeschichte, Literatur und mittelalterliche Geschichte und promovierte 1923. Danach arbeitete sie bei einem Verlag, später als Redakteurin bei einer Literaturzeitschrift in München. 1926 wurde sie Mutter eines Sohnes. Nach freier journalistischer Tätigkeit, seit 1927 in Hamburg, konnte sie 1929 durch ein Stipendium ein Studium an der Uni Hamburg beginnen. Nach dem 1. Staatsexamen trat sie in den Volksschuldienst ein, alleinerziehend, promoviert und mit Berufserfahrung, aber lediglich als Hilfslehrerin. Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus wurde sie 1945 Mitglied des Gründungsvorstandes der "Gesellschaft der Freunde des vaterländischen Schul- und Erziehungswesens" ("Gesellschaft"). Zur gleichen Zeit berief die Schulbehörde sie zur Schulleiterin der Volksschule Wellingsbu?ttel und 1952 zur Direktorin des Instituts für Lehrerfortbildung. In der Zeit ihrer Leitung (bis zur Pensionierung 1966) wurde das Seminarangebot erheblich ausgeweitet, die Beratungsstellen ausgebaut. Anne Banaschewski forderte die ‚education permanente' auch für Lehrkräfte. Besonders engagierte sie sich in der Gewerkschaftsarbeit. Sie war lange Jahre im Vorstand der "Gesellschaft", gehörte seinem pädagogischen Ausschuss von 1945 bis zu seiner Auflösung 1976 an. Auch arbeitete sie in der pädagogischen Hauptstelle beim Hauptvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), von 1957 bis 1963 aIs Vorsitzende. 1958 berief die GEW sie in eine Kommission zur Erarbeitung eines Plans zur Neugestaltung des deutschen Schulwesens. Dieser 1960 vorgestellte Bremer Plan war damals in der Öffentlichkeit und auch in Teilen der GEW umstritten. So sah er z. B. die Verlängerung der Volksschuldauer unter Einbeziehung von Elementen der Berufsvor- u. -grundbildung auf 10 Jahre, die Reformierung der gymnasialen Oberstufe und die Neueröffnung eines 2. Bildungsweges vor. Anne Banaschewski, enttäuscht, dass auch viele Hamburger GEW Vertreter den Plan ablehnten, legte daraufhin sowohl den Vorsitz in der pädagogischen Hauptstelle, als auch ihr Mandat im Hauptvorstand der GEW nieder. Anne Banaschewski hielt Friedenserziehung und antifaschistischen Unterricht für notwendig. Neben der Vermittlung historischer Zusammenhänge gehörten dazu u. a. Schülermitverantwortung, die Zusammenarbeit mit den Eltern und vorgelebtes demokratisches Verhalten. Wesentliches aus: Hans-Peter de Lorent: "Wer nicht mitwirkt, über den wird verfügt". Anne Banaschewski, ihre pädagogische Arbeit und die GEW. In: Monika Lehmann/Hermann Schnorbach: Aufklärung als Prozess. Festschrift für Hildegard Feidel-Mertz. Frankfurt a. M. 1992.

    Emmy Beckmann

    Politikerin, Hamburgs erste Oberschulrätin

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    12.4.1880
    Wandsbek

    24.12.1967
    Hamburg
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    Die Zwillingsschwestern Emmy und Hanna lebten zusammen in der Oberstraße 68. Emmy wurde 1926 Schulleiterin der damaligen Helene-Lange Oberrealschule, ihre Schwester trat 1927 ihre Nachfolge an, als Emmy zu Hamburgs ersten Oberschulrätin benannt wurde. Emmy war u.a. 1915 Gründungsmitglied des Stadtbundes hamburgischer Frauenvereine, gab die Quellenhefte zum Frauenleben in der Geschichte heraus, gehörte 1946 zu den Mitbegründerinnen des Hamburger Frauenringes. Von 1921-1933 war sie für die Deutsche Demokratische Partei Bürgerschaftsabgeordnete. 1933 von den Nazis ihrer Schulämter enthoben, zogen sich die Schwestern in die innere Emigration zurück. Nach 1945-1949 wieder als Oberschulrätin eingesetzt, war Emmy von 1949-1957 FDP-Bürgerschaftsabgeordnete. 1953 erhielt sie das Große Bundesverdienstkreuz. 1957 verlieh ihr der Senat den Professorentitel.

    Heinz Beckmann

    Hauptpastor, Protagonist für die Gleichberechtigung der Theologinnen in der Kirche

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    8.6.1877
    Wandsbek

    12.8.1939
    Sülzhayn/Südharz
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    Heinz Beckmann war der Bruder von Hamburgs erster Oberschulrätin, der Frauenrechtlerin und liberalen Politikerin Emmy Beckmann, und deren Zwillingsschwester Hanna. Der gemeinsame Grabstein der Schwestern steht im Garten der Frauen. In Fragen der Frauenemanzipation sicherlich durch seine Schwestern sensibilisiert, setzte sich Heinz Beckmann für die Gleichberechtigung der Theologinnen ein. Solcherart "Beeinflussung" durch seine Schwestern wurde ihm von einigen Kollegen angelastet. Darüber hinaus vertrat er - wie auch seine Schwester Emmy - liberal demokratische Überzeugungen. So war Heinz Beckmann Sprecher der liberalen Fraktion in der Synode.
    Nachdem er 1899 das theologische Examen abgelegt und einige Zeit als Hilfsredakteur für die liberal protestantische Zeitschrift "Christliche Welt" und danach als Pastor an der Wiesbadener Marktkirche gearbeitet hatte, kam er 1920 nach Hamburg an die St. Nikolai-Kirche, wo er als Hauptpastor wirkte. Ethische und religionsphilosophische Fragestellungen waren seine Schwerpunkte. Das Alte Testament war das zentrale Thema, mit dem er sich beschäftigte. "In den zwanziger Jahren setzte Beckmann sich insbesondere dafür ein, dass auch Frauen nach dem Theologiestudium die beiden kirchlichen Examina ablegen und in den kirchlichen Dienst übernommen werden konnten"1). Dazu verfasste er auch Aufsätze in der Zeitschrift der bürgerlichen Frauenbewegung "Die Frau", für die auch seine Schwester Emmy Artikel schrieb. Dass die Theologinnen "(…) wie er es gefordert hatte - auch ordiniert und gleichberechtigt neben den Pastoren tätig werden sollten, war jedoch weder in Hamburg noch in einer andern deutschen Landeskirche zu diesem Zeitpunkt mehrheitsfähig"1). So hielt z. B. Pastor Heinrich Wilhelmi (1888-1968) den weiblichen seelsorgerlichen Einfluss für eine "gefällige sentimentale Modemeinung" und "argumentierte", die Frau sei zwar dem Manne religiös gleichwertig, aber "in der ersten Christengemeinde" sei sie von der öffentlichen Wortverkündigung ausgeschlossen worden. Und so solle es auch bleiben. Mit dieser Einstellung stand er nicht allein. Auch andere Theologen sahen in ihren Kolleginnen Konkurrentinnen nicht nur auf wirtschaftlicher Ebene. Die Ablehnung der Theologinnen als gleichberechtigte Berufskolleginnen war auch Ausdruck tief verunsicherter Männer, die in Zeiten der Moderne und der aktiven bürgerlichen sowie proletarischen Frauenbewegung in einer Identitätskrise steckten und deshalb die alte, unhinterfragte dominante männliche Geschlechtsidentität aufrechterhalten wollten. Dennoch gelang es mit Heinz "Beckmanns Unterstützung, 1927 ein Pfarramtshelferinnen-Gesetz durchzusetzen, das den Theologinnen nach Ablegung beider Examina eine Tätigkeit mit eingeschränkten Rechten ermöglichte"1). Ein Jahr zuvor hatte Heinz Beckmann aus Wiesbaden die Theologin Margarete Braun an die St. Nikolai-Kirche geholt und für sie eine Pfarrstelle zur Verfügung gestellt. Er ermöglichte es ihr, das zweite theologische Staatsexamen abzulegen und bis 1934 als Pfarramtshelferin zu arbeiten. Für Margarete Braun befindet sich im Garten der Frauen ein Erinnerungsstein.
    Dem Nationalsozialismus standen er und seine Schwestern ablehnend gegenüber. "Bei der Einführung des Bischofsamtes 1933 wurde er entgegen der Tradition der Anciennität wegen seiner liberalen Haltung übergangen und verlor fast alle öffentlichen Wirkungsmöglichkeiten" 1).
    1) Rainer Hering: Heinz Beckmann, in: Hamburgische Biografie, Personenlexikon, Hrsg. von Wolfgang Kopitzsch und Dirk Brietzke, Bd.1. Hamburg 2001.
    Der Grabstein von Heinz Beckmann befindet sich links vor dem Eingang zum Garten der Frauen

    Hedwig Wanda Anna Berta Marie von Brandenstein

    Eine der ersten niedergelassenen Ärztinnen in Hamburg

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    13.06.1886
    Hamburg

    30.05.1974
    Hamburg
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    Hedwig von Brandenstein war die Jüngste von zehn Geschwistern. Nur über den Beruf bzw. den sozialen Stand ihres Vaters erfahren wir etwas: er war Oberstleutnant gewesen. Hedwig von Brandenstein besuchte in ihrer Jugend das Internat Stift Heiligengrabe in der Mark Brandenburg. 1905 machte sie an einem Erfurter Realgymnasium das Abitur. Danach absolvierte sie ein zehnsemestriges Medizinstudium in Straßburg, Freiburg, Heidelberg und Berlin. Während ihrer Straßburger Studienzeit musste sie die Erlaubnis jedes einzelnen Professors für den Besuch seiner Vorlesungen einholen. Oft wurde ihr dies abgelehnt. Im Mai 1910 schloss sie in Heidelberg das Medizinstudium mit dem Staats-examen ab. Nach dem Studium war sie als Medizinalpraktikantin an der Heidel-berger Universitätspoliklinik und später an der Universitäts-Frauenklinik in Halle tätig. 1911 promovierte Hedwig von Branden-stein. Im selben Jahr erhielt sie ihre Approbation. 1913 wurde sie als Ärztin am Virchow-Krankenhaus Berlin und von September 1913 bis September 1914 als Hilfsärztin am Waisenhaus Berlin tätig. Danach war sie von 1914 bis 1918 Assistentin am Institut für Ge-burtshilfe Hamburg und von 1917 und 1961 niedergelassene Ärztin in Hamburg. Zwischen 1919 und 1951 fungierte sie auch als Postvertrauensärztin. Auch arbeitete sie nach dem Zweiten Welt-krieg in verschiedenen Ausschüssen der Ärztekammer und fungierte einige Zeit als Vorstandsmitglied im Deutschen Akademikerinnenbund. Insgesamt 47 Jahre lang war Hedwig von Brandenstein als Hausärztin und 40 Jahre lang als Geburtshelferin tätig. Nebenamtlich arbeitete sie als Ver-trauensärztin. Hedwig von Brandenstein war wegen ihrer liebenswürdigen, menschlichen und geistigen Lebensart eine beliebte Nachbarin. Sie wohnte in der Fontenay 5.

    Olga Brandt-Knack

    Ballettmeisterin, Bürgerschaftsabgeordnete

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    29.6.1885
    Hamburg

    1.8.1978
    Hamburg
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    Im Alter von 10 Jahren begann Olga Brandt-Knack in der Kindertanzschule des Hamburger Stadttheaters ihre tänzerische Laufbahn, avancierte 1907 zur Solotänzerin und 1922 zur Leiterin des Balletts. Olga Brandt-Knack, in den zwanziger Jahren einige Jahre verheiratet mit Prof. Dr. Andreas Knack, dem Leiter des Allgemeinen Krankenhauses Hamburg-Barmbek, versuchte eine Synthese von klassischem Ballett und Ausdruckstanz herzustellen. 1908 gründete sie den Deutschen Tänzerbund und setzte sich als seine
    Sprecherin für die Belange ihrer BerufskollegInnen ein. 1918 trat sie der SPD bei. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs gründete sie zusammen mit dem Schauspieler Adolf Johannsson den Arbeiter-Sprech- und Bewegungschor. 1932 initierte sie zusammen mit Lola Rogge und anderen die Vereinigung Tanz in Hamburg. Bereits 1932 verlor Olga Brandt-Knack wegen ihrer politischen Betätigung ihre Stellung als Ballettmeisterin. Später wurde sie unter Gestapo-Aufsicht gestellt und vorübergehend verhaftet.Während der Naziherrschaft verdiente sie ihren Lebensunterhalt als Sprechstundenhilfe. Gleich nach dem Krieg trat sie wieder der SPD bei,gründete die Jugendorganisation "Die Falken" mit, arbeitete seit 1948 als Frauenreferentin der Gewerkschaft Kunst und war von 1946 bis 1953 Bürgerschaftsabgeordnete (SPD).
    Nach Olga Brandt-Knack wurde 2018 im Stadtteil Rothenburgsort die Olga-Brandt-Knack-Straße benannt.

    Dorothea Christiansen

    Hamburgs erste Schulrätin

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    22.8.1882
    Hamburg

    11.5.1967
    Hamburg
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    Die in der Curschmannstraße 27 wohnende Dorothea Christiansen schlug eine typische Lehrerinnenlaufbahn ein. Ausgebildet wurde sie am Hamburger Lehrerinnen-Seminar und unterrichtete von 1901 bis 1923 an der Volksschule für Mädchen in der Methfesselstraße 28. Als es ab 1919 den Lehrern und Lehrerinnen durch die Schulreform möglich wurde, eine Selbstverwaltung einzurichten, (d. h. gemeinsam mit dem Elternrat konnte das Kollegium aus seinen Reihen eine Schulleitung wählen), fiel die Wahl in der Schule Methfesselstraße auf eine Frau, was ein Novum darstellte. Dorothea Christiansen wurde 1919 die neue Schulleiterin. Sie engagierte sich in den folgen-den Jahren besonders in der Schulreform und zwar so erfolgreich, dass die Schulbehörde sie 1923 zur Schulrätin ernannte. 10 Jahre - von 1923 bis 1933 - war Dorothea Christiansen als Schulrätin tätig. Die Autorin vieler Hamburgensien, Henny Wiepking, schrieb in einer kurzen Abhandlung über Dorothea Christiansen: "Nach außen wurde ihr Name wenig genannt, als sie diese gehobene Stellung innehatte. So bewährte sich für ihre Freunde die Lebenserfahrung: Das sind die besten Frauen, über die nicht viel geredet wird. Im Verkehr mit ihr, spürte man ihre innige Anteilnahme an alle an sie herangetragenen Nöte. In keinem Fall, wo sie um Rat und Hilfe angerufen wurde, versagte sie. In allen ihren Handlungen lebte der soziale Geist, der Geist der Menschenliebe, der Geist der Menschenwürde. So genoss sie bei ihren Kollegen und Kolleginnen ein hohes Vertrauen." Während ihrer Tätigkeit als Schulrätin gab es viele Neuerungen in Hamburgs Schulwesen: So wurde z. B. die vierjährige Grundschule für alle Kinder eingerichtet, das Gesetz über die Einheitsschule erlassen, in 50 Volksschulen der Fremdsprachenunterricht eingeführt und die Abschaffung des Schulgeldes und der Lehrmittelbeiträge beschlossen. Als die Nationalsozialisten die Macht übernahmen, wurde Dorothea Christiansen wegen "politischer Unzuverlässigkeit" zwangspensioniert. Dorothea Christiansen kümmerte sich um einsame Menschen, kinderreiche Familien. Ihre Devise lautete: "Sparen, für wen? Mit warmer Hand weggeben, ist mein Grundsatz." Quelle: Henny Wiepking: Frau Dorothea Christiansen. (Staatsarchiv Hamburg. Zeitungsausschnittsammlung)

    Helga Diercks-Norden

    (geb. Kehrein)

    Journalistin, Frauenrechtlerin, Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft

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    6.4.1924
    Berlin

    12.7.2011
    Hamburg
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    Helga Diercks-Norden war die Tochter von Margarete Kehrein, geb. Nordloh und Hugo Kehrein. 1942 machte Helga Kehrein Abitur an der Chamisso-Oberschule für Mädchen. Danach besuchte sie von April 1942 bis Oktober 1942 die Haushaltsschule "Lette-Schule" und belegte einen Haushaltungskursus und von Oktober 1942 bis April 1943 einen Zeichenkursus.
    In dieser Zeit soll die 18-Jährige am 7.7.1942 die Mitgliedschaft in der NSDAP beantragt haben. So steht es auf ihrer NSDAP-Mitgliederkarteikarte. Die Aufnahme erfolgte im September 1942.
    (BArch (Bundesarchiv) R 9361-IX Kartei 19610566).
    Zur Beitrittsmöglichkeit in die NSDAP scheibt Juliane Wetzel allerdings: "Alle ‚Volksgenossen', die deutsche Staatsangehörige waren, einen guten Leumund und das 21. Lebensjahr vollendet hatten, konnten der Partei nur vom 1. Mai 1939 bis 2. Februar 1942 beitreten, dann erfolgte erneut eine Aufnahmesperre. ‚Im Einvernehmen mit der Parteikanzlei hat der Reichsschatzmeister am 2. Februar 1942 für die Dauer des Krieges eine totale Mitgliedersperre verfügt, sodaß Aufnahmeanträge in dieser Zeit nicht entgegengenommen werden können. Ausgenommen hiervon sind nur HJ-Überweisungen in die NSDAP'."
    Und weiter schreibt Juliane Wetzel über die Motivation bzw. den Druck auf die Hitler-Jugend in die NSDAP einzutreten: "Die politischen Ereignisse des Jahres 1938, die Erfolge Hitlers auf internationalem Boden, der ‚Anschluss' Österreichs, ließen die Vorstellung, die Partei verkörpere eine ‚Bewegung', der anzugehören ein besonderes Privileg sei, immer mehr in den Hintergrund treten. Die Reglementierungen nahmen zu und die Freiwilligkeit trug nur noch den äußeren Schein. Die einen fühlten sich gedrängt, der Partei beizutreten, weil sie ihren Besitzstand sichern wollten, die anderen, die parteinahen Organisationen angehörten und noch nicht Mitglieder der Partei waren, bekamen den äußeren Druck zu spüren. Dies galt insbesondere für die Angehörigen der Hitler-Jugend und des BDM, die von den Mitgliedersperren der vergangenen Jahre ausgespart blieben und auch 1942, nach einer erneuten Aufnahmesperre für die Dauer des Krieges, nahezu die Einzigen waren, deren letzte Jahrgänge Parteimitglieder wurden und deren Eintritte ‚vollkommen gesteuert' waren, wie Gerhard Botz schreibt." (Juliane Wetzel: Die NSDAP zwischen Öffnung und Mitgliedersperre, im: Wolfgang Benz (Hrsg.): wie wurde man Parteigenosse. Die NSDAP und ihre Mitglieder. Frankfurt a. M. 2009, S. 82.und S. 85f.)
    Im Sommersemester 1943 begann Helga Kehrein an der Universität Jena Kunstgeschichte und Theaterwissenschaften zu studieren und absolvierte Praktika an verschiedenen Bühnen. Als im Sommer 1944 die Universität schloss, war sie wegen eines Herzleidens und einer Lungenentzündung von August 1944 bis April 1945 zu Hause. Von September 1945 bis November 1945 arbeitete sie dann als Bürokraft in einem technischen Büro. Danach war sie zwischen November 1945 und September 1946 bei P. H. Welcke Pressdienste Berlin als Reporterin beschäftigt. Im September 1946 erhielt sie schließlich als Reporterin eine Anstellung beim Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) in Hamburg. In diese Zeit fällt auch ihr Entnazifizierungsverfahren. In ihrem Entnazifizierungsfragebogen kreuzte sie die Mitgliedschaft in der NSDAP nicht an. Aus diesem Grunde wurde sie dazu von der Militärregierung befragt. Daraufhin gab sie folgende Erklärung ab: "Mir ist die Fotokopie einer Karteikarte der NSDAP vorgelegt, aus der hervorgeht, dass ich am 7.7.42 in Berlin W 30, Münchenerstr. 47 gewohnt habe und Aufnahme in die Partei beantragt habe. Meine Aufnahme erfolgte am 7.9.42 unter Nr. 9 125 138. Ich habe diese Karteikarte geprüft. Sie betrifft mich zweifellos. Lediglich die Angaben, die sich auf Parteiantrag, - Aufnahme und - Nummer beziehen erkenne ich nicht an. Diese Daten habe ich erstmalig anlässlich meiner Vernehmung vor dem Aufsichtsoffizier vom NWDR erfahren.
    Die Wahrheit ist, dass ich zu keiner Zeit einen Parteiantrag gestellt habe und niemals Mitglied der NSDAP oder einer ihrer angeschlossenen Organisationen oder ihrer Gliederungen war. Ich habe daher auch niemals Beiträge für die NSDAP oder ihrer Organisationen bezahlt. Auch habe ich keine Erklärung, wie die NSDAP in den Besitz meiner Personalien zwecks Aufnahme als Parteimitglied gekommen ist. Die Möglichkeit besteht, dass mein Vater in seiner Eigenschaft als Kreisleiter seines Wohnbezirkes mich ohne mein Wissen der NSDAP als Parteimitglied gemeldet hat, da die Partei grossen Wert darauf legte, dass die Familienangehörigen der führenden Parteimitglieder gleichfalls Mitglied von Parteiorganisationen wurden. Da mein Vater zu dieser Zeit nicht Münchenerstr. 47, sondern seit 1940 im Kreishaus der NSDAP wohnhaft war, und ich kein herzliches Verhältnis zu meinem Vater hatte, habe ich von diesen Vorgängen nichts erfahren. Die Wohngemeinschaft habe ich mit meinem Vater nicht wieder aufgenommen und die Ehe wurde 1944 geschieden.
    Ich verschwieg bei Ausfüllung meines Fragebogens die Frage 101, dass mein Vater in Berlin Kreisleiter der NSDAP war, weil er 1945 gefallen ist und ich als alleiniger Ernährer meiner Mutter und meines Bruders Angst hatte, bei wahrheitsgemässer Beantwortung dieser Frage die angestrebte Stellung beim NWDR nicht zu erhalten." (Hamburg 30. Juni 1948)
    Der Pol.-Inspektor I (K) Müller, der mit Ermittlungen von Fragebogenfälschungen beauftragt war und Helga Kehrein vernommen hatte, kam zu folgendem Schluss: "Die Eröffnung eines Verfahrens vor dem Gericht der Kontroll-Kommission erscheint wegen der Geringfügigkeit der Fragebogenfälschung nicht geboten." (30. Juni 1948). Helga Kehrein wurde in Kategorie V - entlastet - eingestuft. (Staatsarchiv Hamburg, 221-11, FC (P) 3661)
    Helga Kehrein wurde 1946 der erste weibliche Reporter für die NDR-Hörfunksendung "Hafenkonzert" und wurde unter ihrem Künstlerinnennamen Helga Norden landesweit bekannt. (NWDR bis Jahreswechsel 1955/56, dann NDR). Ab 1950 war sie dann ständige Mitarbeiterin in den neuen NDR-Sendereihen "Umschau am Mittag", "Umschau am Abend", "Von Land und Meer", "Kulturumschau", "Zwischen Hamburg und Haiti" und "Funkbilder aus Niedersachsen". 1953 begründete sie mit weiteren NDR-Kollegen den "Sonntagsfamilientisch für Flüchtlinge aus der DDR". Von Ende 1954 bis Mai 1955 übernahm sie die Redaktion und Moderation der "Umschau am Abend"; konzipierte viele eigene Sendungen und übernahm ab 1955 das UKW-Programm, die "Welle der Freude!" zu popularisieren, sprich in der Bevölkerung bekannt zu machen. Hierzu fuhr sie jeden Samstag mit dem Ü-Wagen auf den Marktplatz eines Ortes im NDR-Sendegebiet und präsentierte vor Ort eine Direktsendung, die vom Ü-Wagen übertragen direkt ausgestrahlt wurde.
    1955 wurde auch ihr einziges Kind, ihr Sohn, geboren. Einige Jahre zuvor hatte sie Carsten Diercks geheiratet, der 1. Kameramann beim NDR war.
    Ab 1956 bekam Helga Diercks-Norden zusätzliche redaktionelle Aufgaben in der Feature-Abteilung zugeteilt, hatte häufig die Leitung der Norddeutschen Redaktion inne, moderierte regelmäßig die Weihnachts-Grußsendung von Seemannsfrauen an ihre Männer über Norddeich-Radio und führte regelmäßige life-Moderationen der Samstag-Nachmittagssendung "Im Funkhaus wird getanzt" durch. Ihre Reportagen und Sendungen waren so gefragt, dass sie über den Programmaustausch in allen Sendern zu hören waren: Helga Norden war bundesweit ein Begriff!
    Im Herbst 1957 wurde Helga Diercks-Norden zum Aufbau der Sendung "Zeitgeschehen" und eines Regionalprogramms in das Fernsehen des NDR nach Hamburg Lokstedt versetzt. Helga Diercks-Norden war die erste Fernseh-Reporterin, die direkt von allen größeren Ereignissen im Sendegebiet berichtete. Außerdem koordinierte sie die Programme, legte Abläufe fest, arbeitete im Studio 4 vor laufender Kamera, moderierte, diskutierte, stellte vor etc. Helga Diercks-Norden begann mit eigenen Filmproduktionen für das regionale Vorabendprogramm (so z. B. mit dem Film "Spiel mit dem Zeichenstift"). Zeitgleich vertrat sie mit dem Intendanten den NDR auf allen FS-Programm-Konferenzen und übernahm die Redaktionsleitung der politischen Sendereihe "Themen der Woche". In der Zweiten Hälfte der 1950-er Jahre gab es Planungen für ein zweites Fernsehprogramm (ZDF). Da das ZDF jedoch nicht so schnell auf Sendung gehen konnte, beschloss die ARD, bis zum Sendestart des ZDF ein zweites Programm zu gestalten. Dazu beauftragte 1959 die ARD den NDR - und Helga Diercks-Norden hatte diesen Part zu übernehmen. Um den Anspruch auf die Sendelizenz des ZDF zu erhalten, musste sie ein tägliches sechsstündiges Programm liefern.
    1963 folgte sie mit ihrem Sohn ihrem Mann nach Indien, wo Carsten Diercks in New Delhi ein Fernsehstudio und das Indische Fernsehen mit aufbaute. In Indien wurde Helga Diercks-Norden die offiziell akkreditierte Korrespondentin für die Schweiz, für Radio Bern, FS-Zürich, die "Weltwoche" und andere Zeitungen. Der Auslandspresseclub in Neu Delhi musste seine Statuten ändern, weil Helga Diercks-Norden die erste weibliche Korrespondentin in diesem Teil der Welt war.
    Nach der Rückkehr nach Deutschland im Jahre 1973 war Helga Diercks-Norden fortan freiberuflich als Journalistin tätig.
    Helga Diercks-Norden engagierte sich sowohl parteipolitisch als auch frauenpolitisch.
    Helga Dirks-Norden; Foto: privatSie war seit 1960 Mitglied der CDU. Vom 1.4.1977 bis zur Neuwahl des Parlaments im Jahre 1978 war sie als CDU-Bürgerschaftsabgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft tätig. Später wurde sie in den Vorstand der "Vereinigung ehemaliger Hamburgischer Bürgerschaftsabgeordneter" gewählt. Auch war sie eine Zeitlang stellvertretende Landesvorsitzende der Mittelstandsvereinigung der Hamburger CDU sowie Deputierte der Behörde für Inneres und auch Deputierte der Kulturbehörde.
    Helga Diercks-Norden war Mitglied in der Geschäftsführung der "Arbeitsgemeinschaft Hamburger Frauenorganisationen" (später umbenannt in "Landesfrauenrat Hamburg"). Von 1986 bis 1990 fungierte sie als Vorsitzende des "Landesfrauenrates Hamburg e.V.". Später wurde sie gewählte "Ehrenvorsitzende des Landesfrauenrats". Von 1992 bis 1997 hatte sie als Vertreterin des Landesfrauenrates einen Sitz im NDR-Rundfunkrat. Darüber hinaus war Helga Diercks-Norden lange Jahre Vorsitzende des "Deutschen Staatsbürgerinnen-Verbandes/Landesgruppe Hamburg". Sie war auch Delegierte der "International Alliance of Women" (IAW), arbeitete in der UNESCO und deren Unterorganisationen mit und war von 2000 bis 2010 Mitglied im Vorstand des Vereins Garten der Frauen e.V.. Darüber hinaus amtierte sie lange Zeit als Aufsichtsratsmitglied bei den Hamburger Wasserwerken und beim Völkerkundemuseum.
    2007 erhielt sie vom Landesfrauenrat die "Zitronenjette" verliehen. Außerdem war Helga Diercks-Norden Trägerin des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse und Inhaberin der Silbermedaille des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg für treue Arbeit im Dienste des Volkes.
    Text: Rita Bake
    Helga Diercks-Norden ist nicht im Garten der Frauen selbst, sondern in der Nähe, bei Ihrem Mann Carsten Diercks, bestattet.

Frauen auf der Erinnerungsskulptur

    Gerda Ahrens

    geb. Müller

    Stenotypistin, Hausfrau, Widerstandskämpferin, Mitglied der SPD 1931-1932, dann SAP

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    2.4.1914

    11.4.2001
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    Grablage Ohlsdorfer Friedhof: Geschwister-Scholl-Stiftung., Bn 73, 216
    Weil Gerda Ahrens Flugbätter verteilte und über die Verbrechen des Hitler-Regimes aufklärte, kam sie 1933 und 1937 für jeweils zwei 2 Monate ins KZ Fuhlsbüttel. Die Anklage lautete: "Vorbereitung zum Hochverrat". Gerda Ahrens verlor ihren Arbeitsplatz. Ihr Mann wurde von den Nationalsozialisten ermordet, ihr Bruder als Angehöriger einer Strafkompanie getötet. Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus wurde Gerda Ahrens Betreuerin und später Vorsitzende des Landesausschusses der Arbeitsgemeinschaft "Frohe Ferien für alle Kinder" bis zu deren Verbot im Juli 1961. Nach einer Hausdurchsuchung kam sie in dieser Zeit für einen Tag in Haft.
    In einem Brief vom 11.7.1961 an ihre Eltern schreibt Gerda Ahrens: "Ein unerfreulicher Anlass ist der Grund dieses heutigen Briefes. Mitten in den Vorbereitungen der Ferienverschickung, einmal die Verschickung in das Ferienlager ‚Ferienglück' in Wesel, Lüneburger Heide und 2ten die Verschickung in die Deutsche Demokratische Republik, wurde am 7. Juli 1961 durch eine Verfügung der Polizeibehörde Hamburg die Arbeitsgemeinschaft ‚Frohe Ferien für alle Kinder' Landesausschuss Hamburg verboten und aufgelöst. Am gleichen Tage wurde die zentrale Arbeitsgemeinschaft ‚Frohe Ferien für alle Kinder', Düsseldorf und die ihr angeschlossenen Landesausschüsse verboten und aufgelöst. In dieser Verfügung werden verfassungsfeindliche Bestrebungen zum Vorwurf gemacht. Da das Vorgehen gegen die Arbeitsgemeinschaft als eine undemokratische Massnahme zu betrachten ist, haben wir gegen diese Verfügung vom 5.7.61 der Polizeibehörde Hamburg am 11.7.1961 Widerspruch erhoben. Gleichzeitig ist gegen die sofortige Vollziehung Antrag auf Aussetzung der Vollziehung am 18.7.1961 beim Verwaltungsgericht gestellt worden.
    Die vornehmste Aufgabe unserer Tätigkeit während unseres siebenjährigen Bestehens war, allen Schulkindern zu einem mehrwöchigen Ferienaufenthalt zu verhelfen, um zur Erhaltung und Förderung ihrer Gesundheit beizutragen. (…) Durch unsere halbjährigen Eingaben an die Hamburger Bürgerschaft forderten wir die Bereitstellung von Mitteln für die Ferienerholung der Schuljugend. Darüber hinaus versuchten wir durch wohl durchdachte und begründete Vorschläge eine gesetzliche Verankerung des Rechtes auf Ferienerholung für jedes Schulkind und die Schaffung eines umfassenden Ferienwerkes in der Bundesrepublik zu erreichen.
    Richtschnur unseres Handelns war die Un-Charta des Kindes, in der es u. a. heisst: ‚Das Kind erfreut sich der Wohltaten der sozialen Sicherheit. Es ist berechtigt, in Gesundheit heranzuwachsen und zu reifen (…). Das Kind hat das Recht auf ausreichende (…), Wohnung, Erholung und ärztliche Betreuung. (…) Es wird erzogen in (…) Verstehens, der Duldsamkeit, der Freundschaft zwischen (…) Völkern, des Friedens, weltumspannenden Brüderlichkeit (…).'" 1)
    Am 7.9.1992 schrieb der "Spiegel" unter der Überschrift "Dunkler Tatbestand. Die Opfer des Kalten Krieges in Westdeutschland fordern nach der Einheit Wiedergutmachung für früheres Unrecht." "Das Angebot war ein Knüller: zwei Wochen Ferien für Kinder, fast umsonst. Viele Eltern griffen dankbar zu, als die ‚Zentrale Arbeitsgemeinschaft Frohe Ferien für alle Kinder' (ZAG) 1954 erstmals das preiswerte Vergnügen organisierte. Kaum jemand störte sich daran, daß die meisten Fahrten in die DDR gingen. Jährlich reisten mehrere tausend Westsprößlinge in den Osten. 1961 war Schluß mit lustig. Die ZAG wurde verboten, die Organisatoren kamen vor Gericht. Ihr Vergehen: Sie hatten den DDR-Behörden stets die Personalien der jungen Reisenden mitgeteilt. ‚Das war doch selbstverständlich, falls den Kindern was passiert', meint die damalige ZAG-Mitarbeiterin Elfriede Kautz, heute 84. Das Landgericht Lüneburg sah darin ‚staatsgefährdenden Nachrichtendienst'. Das Urteil: ein Jahr Gefängnis ohne Bewährung.
    Elfriede Kautz verbüßte ihre Strafe im Gefängnis Vechta. 30 Jahre später fordert sie Wiedergutmachung: ‚Wir sind Opfer des Kalten Krieges, wir wollen genauso behandelt werden wie die (…) politisch verfolgten Brüder und Schwestern in der ehemaligen DDR.'
    Die rüstige Hausfrau ist nicht allein. In mehreren alten Bundesländern haben sich Initiativen von Leidtragenden jener durch hysterische Kommunistenfurcht geprägten bleiernen Zeit gebildet, von der heute niemand etwas wissen will. ‚Wenn die deutsche Geschichte jetzt aufgearbeitet wird, dann muß dieses Kapitel mit einbezogen werden', verlangt Sepp Meyer, 64, der in den fünfziger und sechziger Jahren 28 Monate in Untersuchungshaft saß. Die Anschuldigung: Verstoß gegen das KPD-Verbot und Vorbereitung zum Hochverrat.
    16 Jahre liefen Ermittlungen gegen den Verlagsangestellten, bis das Verfahren nach der Reform des politischen Strafrechts 1968 endlich eingestellt wurde. Die Monate der U-Haft fehlen Meyer nun bei der Rente, als Ausfallzeit werden sie nicht angerechnet.
    Der frühere nordrhein-westfälische Justizminister Diether Posser, 70, gibt den Opfern recht: ‚Die Leute von links sind damals miserabel behandelt worden, das war wirklich eine Schande.' Der Jurist, der zwischen 1951 und 1968 als ‚Anwalt im Kalten Krieg' politisch Verfolgte vor Gericht vertrat, weiß aus eigener Erfahrung, daß es ‚nie um Gewalttaten, sondern immer um Gesinnung' ging. Natürlich sei in der DDR alles viel schlimmer gewesen, aber: ‚Das war ja auch kein Rechtsstaat.'
    Der Rechtsstaat Bundesrepublik baute damals Dämme zum Schutz der Demokratie. In panischer Angst vor kommunistischen Umsturzbestrebungen nagelte der Bundestag 1951 hastig das Erste Strafrechtsänderungsgesetz zusammen und trieb es im Blitzverfahren durch die Beratungen. Das Gesetz umfaßte 37 politische Strafvorschriften, unklar definiert und beliebig auslegbar. ‚Eine Waffe, die geschmiedet wurde, um im Kalten Krieg zu bestehen', räumte der CDU-Abgeordnete Horst Haasler 1957 ungeniert ein.
    Mehr als 150 000 Ermittlungen wegen Staatsgefährdung liefen damals, Tausende von Urteilen wurden gefällt. ‚Zahlen, die einem ausgewachsenen Polizeistaat alle Ehre machten', konstatierte 1965 der Staatsrechtsprofessor und spätere FDP-Innenminister Werner Maihofer. Das tiefe Eingreifen von politischer Polizei und Justiz in das persönliche und berufliche Schicksal von Hunderttausenden stehe ganz offenkundig in keinem Verhältnis zu den tatsächlichen Gefährdungen des Staates. (…)
    Nachdem KPD-Verbot von 1956 wurden Tausende Genossen wegen ihrer vorher eingegangenen Parteimitgliedschaft verfolgt. Und als am 7. Juli 1961 die ‚Zentrale Arbeitsgemeinschaft Frohe Ferien für alle Kinder' verboten und aufgelöst wurde, da hatte Elfriede Kautz längst ihre 503 Seiten umfassende Anklageschrift erhalten. (…)
    Besonderes Mißtrauen erregten Kommunisten, die schon unter Hitler verfolgt worden waren. Die Frankfurter Rundschau zitierte 1958 einen Lüneburger Staatsanwalt im Verfahren gegen einen Beschuldigten, der unter den Nazis wegen KPD-Mitgliedschaft sieben Jahre im Zuchthaus gesessen hatte: ‚Straferschwerend kommt hinzu, daß der Angeklagte bereits wegen solcher Tätigkeit hart bestraft worden ist. Das hat nichts genützt.' (…)". 2)
    Auf den Internetseiten der Bundeszentrale für politische Bildung ist ein Beitrag von Jens Niederhut vom 16.11.2011 über die Ferienaufenthalte in der DDR zu lesen. Überschrift: "Frohe Ferien in der DDR. Kommunismus und Antikommunismus in den 1950er-Jahren." 3)
    "Zehntausende westdeutscher Kinder lud die DDR zwischen 1954 und 1961 in Ferienlager ein. Die Bundesrepublik reagierte mit zusätzlichen Mitteln für Ferienhilfswerke, Kampagnen, polizeilichen und juristischen Maßnahmen. Die Geschichte der Ferienaktion wirft Schlaglichter auf die SED-Westpolitik, den westdeutschem Antikommunismus und die deutsch-deutsche Systemkonkurrenz.
    Kostenlose Ferien jenseits des Eisernen Vorhangs? In den 1950er-Jahren war dieses Angebot für viele westdeutsche Familien attraktiv. Die ‚Zentrale Arbeitsgemeinschaft (ZAG) - Frohe Ferien für alle Kinder', 1955 in Düsseldorf gegründet und mit Landesausschüssen in fast allen Bundesländern vertreten, bot Kindern und Jugendlichen Plätze in Ferienlagern in der DDR - gegen ein geringes Entgelt, in vielen Fällen auch kostenlos. Also rollten zwischen 1954 und 1960 Jahr für Jahr Sonderzüge von West- nach Ostdeutschland und brachten Tausende Kinder in Ferienlager an der Ostsee, im Harz oder im Thüringer Wald. Über 20.000 Kinder waren es allein im Premierenjahr 1954, mehr als 46.000 im darauf folgenden Jahr.[1]
    Für viele Kinder bedeuteten die Ferienfahrten einige Wochen voller Lagerfeuerromantik und Naturerleben. Im Wettstreit der Systeme in der Hochphase des Kalten Krieges war die Ferienaktion jedoch eine hochpolitische Angelegenheit, die die Regierungen in Ost-Berlin und Bonn, die Medien, die Sicherheitsbehörden und schließlich auch die Justiz beschäftigten. Anhand der Ferienaktion lässt sich die Konkurrenz der beiden deutschen Staaten aufzeigen. Insbesondere auf dem sozialen Felde musste die DDR ihrem eigenen Selbstverständnis gemäß zeigen, dass sie das bessere Deutschland sei. Die Bundesrepublik wiederum musste auf diese Herausforderung reagieren.[2]
    Die Ferienaktion ist auch ein Beispiel dafür, wie die DDR direkten Einfluss auf die bundesdeutsche Gesellschaft gewinnen wollte. Die ‚Westpolitik' der SED war vor dem Mauerbau vor allem darauf gerichtet, Sympathien zu gewinnen und - besonders nach dem Verbot der KPD 1956 - eine organisatorische Basis aufzubauen. Die ZAG zählte zu diesem Netzwerk kommunistischer Organisationen in der Bundesrepublik, die bislang nur wenig erforscht sind.[3]
    Schließlich zeigen aber auch die westdeutschen Reaktionen das Ausmaß und die Bedeutung des Antikommunismus für die junge Bundesrepublik auf. Die Kampagnen gegen die kommunistische Unterwanderung stimmten dabei nicht unbedingt mit der tatsächlichen Gefahr für die Sicherheit in der Bundesrepublik überein. Dies lässt sich insbesondere an der juristischen Verfolgung der ZAG-Mitarbeiterinnen zeigen.[4]
    Die Geschichte des deutsch-deutschen Systemwettstreits ist insbesondere in ihrer konstitutiven Bedeutung für die politische und Gesellschaftsgeschichte der Bundesrepublik noch nicht abschließend geschrieben. Die Geschichte der Aktion ‚Frohe Ferien für alle Kinder' kann als exemplarische Fallstudie zu dieser Geschichte beitragen.
    Am 6. Mai 1954 veröffentlichten die Tageszeitungen in der DDR einen Aufruf an alle westdeutschen Eltern, Lehrer und Kinder, mit dem die Kinder der Bundesrepublik zu Ferienaufenthalten in der DDR eingeladen wurden. Die Betriebs- und Pionierlager boten Plätze für die Westdeutschen an, die Unkosten für die Eltern waren gering und wurden bei Bedürftigkeit sogar erlassen.[5] In Bonn fiel die Reaktion heftig aus: Eine ‚starke Wirkung im Sinne der Aufweichung der Haltung der Bevölkerung gegenüber dem Kommunismus' befürchtete der Staatssekretär im Gesamtdeutschen Ministerium, Franz Thedieck: Die ‚Aktion sei wahrscheinlich die wirkungsvollste Aktion der kommunistischen Stellen in der Bundesrepublik'.[6]
    Ganz unbegründet waren die Befürchtungen nicht: Die Ferienaktion war zunächst ein Erfolg. Allein 1955 reisten über 46.000 westdeutsche Kinder in ostdeutsche Ferienlager und auch in den folgenden fünf Jahren lagen die Teilnehmerzahlen im fünfstelligen Bereich. Für die DDR war dies ein gelungener Propagandacoup im Wettstreit der Systeme, konnte man doch die eigenen sozialen Errungenschaften mit Mängeln der westdeutschen Gesellschaft kontrastieren.
    Die Regierungen in Bund und Ländern mussten dabei zunächst auf repressive Gegenmaßnahmen verzichten. Die Verschickung von Kindern in ostdeutsche Ferienlager war nicht illegal. (…)
    Die staatseigene Bundesbahn stellte Sonderzüge für die Ferienreisen zur Verfügung. Dies war zwar nicht unumstritten, aber die Bundesregierung fürchtete, dass die DDR andernfalls Reiserestriktionen in der anderen Richtung erlassen würde.[9]
    Stattdessen setzte Bonn auf publizistische Maßnahmen und auf die Ausgrenzung und Krimininalisierung der Ferienaktion und ihrer Mitarbeiter. (…)
    Im vom Gesamtdeutschen Ministerium finanzierten ‚SBZ-Archiv' schrieb Heinz Kersten, die DDR-Ferienlager dienten der Erziehung der Kinder zu ‚Kollektivwesen, die sich vorbehaltlos für das kommunistische Regime einsetzen lassen'. Eine gleichfalls vom Ministerium herausgegebene Broschüre nannte die Aktion ‚Gift für Kinderseelen'.[11]
    Die Presse machte sich diese Position unisono - sieht man von den kommunistischen Zeitungen ab - zu eigen. (…)
    Die angebliche Unterwanderung der Bundesrepublik durch den Kommunismus war seit den späten 1940er-Jahren der Fokus des westdeutschen Antikommunismus. Die antikommunistische Propaganda operierte dabei mit der Vorstellung eines Netzwerkes kommunistischer Organisationen, deren tatsächliche Aktivitäten grob überzeichnet wurden. Die Bilder, die dabei produziert wurden, stellten den Kommunismus als ein ‚Gift' bzw. eine ‚Infektion' in der eigentlich gesunden Gesellschaft dar.[14]
    Die Kinderferienaktion passte in diese antikommunistische Strategie der Bundesrepublik. (…)
    Die im Westen befürchtete kommunistische Beeinflussung der Kinder stand zunächst tatsächlich auf der Agenda von SED/KPD. In den Ferienlagern erlebten die westdeutschen Kinder morgendliche Appelle und politische Schulungen genauso wie Geländespiele und Lagerfeuer. Sie sollten ‚mit den Errungenschaften unserer Deutschen Demokratischen Republik vertraut gemacht' werden. (…) Am Lagerleben nahmen die Gäste gemeinsam mit ihren ostdeutschen Altersgenossen teil, und Politik spielte dabei eine gewichtige Rolle. Es kam zu Treffen mit SED- oder KPD-Politikern und mit sowjetischen Soldaten oder Komsomolzen. Die Kinder sahen den ‚Thälmann-Film' und nahmen an Feiern zu Ehren des von den Nationalsozialisten ermordeten Arbeiterführers teil.[20]
    Viele Kinder kehrten mit dem Sportabzeichen der FDJ oder auch dem Pionierhalstuch in die Bundesrepublik zurück.[21] Sport- und Freizeitaktivitäten hinterließen bei den Kindern aber nachdrücklicheren Eindruck. Dies belegen die Briefe und Erlebnisberichte der Kinder, in denen von Politik nicht viel die Rede ist, und die Erinnerung von Zeitzeugen: Der Sportmoderator Waldemar Hartmann aus Nürnberg, von 1958 bis 1960 im Alter von zehn bis zwölf Jahren dreimal im Ferienlager in der DDR, sagte 2009 in einer Fernsehsendung im Mitteldeutschen Rundfunk, dass ihn das Sportangebot fasziniert habe, die Ideologie hingegen sei ihm egal und die politischen Rituale für die Kinder viel zu abstrakt gewesen.[22]
    Überhaupt war es realitätsfern, in wenigen Ferientagen eine dauerhafte politische Beeinflussung von Kindern zu erreichen. Sowohl in der SED als auch bei der ZAG wurde dies von vornherein nur einer von einer Minderheit als Ziel ausgegeben. Wie wenig dies erreicht werden konnte, zeigen schon früh Berichte der ostdeutschen Lagerleitungen, die über Undiszipliniertheiten und das geringe ‚Einfühlungsvermögen' der westdeutschen Kinder ‚in die Pioniergesetze' klagten: Durch ‚Lächerlichmachen der Morgenappelle' sei auch die ‚Moral der Jungen Pioniere' in Mitleidenschaft gezogen worden. Insgesamt - so hielt die ZAG im Oktober 1956 fest - müsse ‚die Einflussnahme einer kollektiven Erziehung auf die westdeutschen Kinder (...) als gescheitert angesehen werden.'[23]
    In der Bundesrepublik fürchtete man nicht nur die kommunistische Beeinflussung der Kinder, sondern allgemein die Unterwanderung der Gesellschaft durch kommunistische Tarnorganisationen. Als solche galt auch die ZAG. Dabei entsprach diese nicht der typischen Vorstellung von einer parteihörigen Kaderorganisation. In der Öffentlichkeit präsentierte sie sich al überparteilich und karitativ, nur ein geringer Teil der zumeist weiblichen Mitarbeiter gehörte auch der KPD oder anderen kommunistischen Vereinigungen an. (…) Auch die Ferienkinder kamen nur zum Teil aus dem engeren Umfeld der KPD. Verfassungsschutz und Polizei gingen davon aus, dass nur ein Drittel der Kinder aus explizit kommunistischen Familien stammte. (…)
    Auch wenn die ZAG keine typische kommunistische Kaderorganisation war, kann doch kein Zweifel darüber bestehen, dass Ost-Berlin die Zügel stets fest in der Hand behielt. Zwar waren viele Mitarbeiterinnen der ZAG keine Mitglieder der KPD - gerade auch viele Landesvorsitzende -, aber in jedem Landesausschuss saß wenigstens ein hauptamtlicher, das heißt von der KPD/SED bezahlter, Kader, der die ehrenamtlichen Helferinnen kontrollierte und sich mit dem Amt für Jugendfragen der DDR abstimmte. Insbesondere in der Frühphase der Ferienaktion schickte Ost-Berlin auch SED-Kader nach Düsseldorf, um die ZAG direkt anzuweisen; regelmäßige Treffen fanden in der DDR statt.[27]
    Die wirksamsten westdeutschen Reaktionen auf die Ferienverschickung waren nicht die Kampagnen des Gesamtdeutschen Ministeriums, sondern die Investitionen in ein eigenes Ferienprogramm. (…) Staatliche Mittel für die Ferienprogramme von Kommunen, Wohlfahrtsverbänden und Kirchen wurden massiv erhöht. Im Jahr 1954, als die Aktion ‚Frohe Ferien für alle Kinder' begann, hatte das Land dafür lediglich 50.000 DM in den Haushalt eingestellt. Für 1955 erhöhte die Landesregierung diesen Posten auf 2,3 Millionen DM, 1956 waren es knapp 3 Millionen DM, bis 1958 stiegen die Zuschüsse auf über 7,6 Millionen DM. Die Zahl der Kinder, die an staatlich finanzierten Ferienmaßnahmen der Wohlfahrtsverbände teilnahmen, erhöhte sich im gleichen Zeitraum von 40.000 auf 230.000.[29] (…)
    Die massive Aufstockung der Mittel für Ferienaufenthalte belegt, dass die Bundesrepublik auf sozialstaatlicher Ebene ihre Überlegenheit zeigen musste, um ihrerseits nicht an Legitimation einzubüßen. Der wachsende Wohlstand in der Bundesrepublik machte diese speziellen Maßnahmen zwar bereits zehn Jahre später überflüssig, das zu Grunde liegende Muster - die Konkurrenz auf sozialem Gebiet - blieb aber darüber hinaus konstitutiv für beide deutschen Staaten.
    Auch andere Faktoren trugen zum Niedergang der Aktion ‚Frohe Ferien für alle Kinder' am Ende der 1950er-Jahre bei: Ost-Berlin verlor wegen des ausbleibenden Erfolges und wegen der Neuausrichtung der Deutschlandpolitik das Interesse. Innere Konflikte schwächten die ZAG. Auch die Exklusions- und Diskreditierungspolitik der Bundesregierung schadete der ZAG. Die Teilnehmerzahl sank auf rund 10.000 Kinder im Jahr 1960.
    Durch ihre Vertrauensleute, die seit 1956 in mehreren Landesverbänden der ZAG angeworben worden waren, waren die Verfassungsschutzämter von Bund und Ländern über diesen Niedergang im Bilde.[32] Entsprechend schätzte man dort die Ferienaktion kaum noch als Bedrohung ein. So stellte der Verfassungsschutz NRW in einem Bericht an Innenminister Hermann-Josef Dufhues im Mai 1959 fest, dass der ‚starke Rückgang' bei den Teilnehmerzahlen erkennen lasse, dass ‚das Interesse an dieser Aktion in der Bundesrepublik erheblich abgenommen hat.' Die Zahl der in die DDR verschickten Kinder mache ohnehin ‚nur einen verschwindend kleinen Bruchteil' der vom Ferienhilfswerk NRW betreuten Kinder aus. Auch sei zuletzt bei den teilnehmenden Kindern ‚der Personenkreis (...) im wesentlichen der gleiche geblieben'.[33]
    Obwohl die Ferienaktion an Bedeutung verlor und den Behörden dies auch bewusst war, gingen Verwaltung, Justiz und Polizei verstärkt gegen die ZAG vor. Polizeibeamte durchsuchten im April 1959 die Geschäftsräume der ZAG in Düsseldorf und beschlagnahmten Unterlagen.[34] In Niedersachsen stellte die Polizei die Personalien von 20 Mitarbeitern der Ferienaktion fest, die sich zu einer Besprechung in einem Lokal versammelt hatten, und beschlagnahmte alle Materialien.[35] Gesundheitsämter in Nordrhein-Westfalen weigerten sich, die Kinder vor Reiseantritt zu untersuchen.[36] In Düsseldorf, Mönchengladbach und Remscheid holte die Polizei Schulkinder aus dem Unterricht, um sie über ihre Aufenthalte in DDR-Ferienlagern zu befragen.[37] (…)
    Die verstärkten Kampagnen und Maßnahmen gegen die Ferienaktion hatten nicht zuletzt innenpolitische Gründe. Der deutsch-deutsche Kalte Krieg hatte sich in den späten 1950er-Jahren aufgeheizt. Aber auch für konkrete Gesetzesvorhaben spielte die Ferienaktion als Begründung eine Rolle: Im Januar 1961 brachte die Bundesregierung einen Gesetzesentwurf von Innenminister Schröder in den Bundestag ein, der die Ein- und Ausreise in die bzw. von der Bundesrepublik neu regeln sollte. Das ‚Gesetz über Ein- und Ausreise' sollte die ungehinderte Einreise von Bundesbürgern in die DDR und von DDR-Bürgern in die Bundesrepublik stärkerer Kontrolle unterwerfen. Die Gesetzesbegründung führte vor allem die ‚Infiltration' durch ‚kommunistische Wühler und Agenten' an, aber auch den Ferienfahrten sollte auf diesem Wege ein Ende bereitet werden. Ein Ausbau der Grenzsicherung auf westdeutscher Seite wäre die Folge gewesen. Das Gesetz scheiterte schließlich am Widerstand der SPD und der West-Berliner CDU, die Erschwernisse im Transitverkehr befürchtete.[41]
    Das Verbot der Ferienaktion beendete deren Aktivitäten schließlich im Sommer 1961 - kurz vor dem Bau der Berliner Mauer, der ohnehin ihr Ende bedeutet hätte. Zwar hatten die Innenministerien der Länder noch kurze Zeit vorher festgestellt, dass es eine gesetzliche Grundlage für ein Verbot nicht gebe, aber die Anklageschrift der Lüneburger Staatsanwaltschaft gegen vier Mitarbeiter der ZAG schien neue Tatsachen zu schaffen.[42] In dieser - so hielt es das Innenministerium NRW - sei ‚die Verfassungswidrigkeit' der Ferienaktion ‚eindeutig nachgewiesen'.[43]
    Das Verbot der Zentralen Arbeitsgemeinschaft und ihrer Landesausschüsse nach Artikel 9 Absatz 2 des Grundgesetzes erfolgte am 7. Juli 1961 durch die Innenminister der Länder. Die Innenminister verwiesen auf die Gründung der ZAG auf Veranlassung der KPD und die auch über das Verbot der KPD hinaus bestehende Steuerung der ZAG durch KP-Funktionäre bzw. durch staatliche Stellen der DDR. Diese Steuerung klassifiziere die ZAG als kommunistische Hilfsorganisation. Darüber hinaus habe sich die ZAG systematisch mit den politischen Zielen von KPD und SED identifiziert. Da das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsfeindlichkeit der KPD festgestellt habe, folge aus dieser Identifizierung die Verfassungsfeindlichkeit der ZAG.[44]
    Für einige Protagonistinnen der Ferienaktion endete ihr Engagement im Gefängnis. In einem Prozess verurteilte das Landgericht Lüneburg die Angeklagten zu Freiheitsstrafen wegen Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Organisation, nachrichtendienstlicher Tätigkeit - als solche galt bereits die Übermittlung der Personalien der Kinder an die DDR - und Verstoßes gegen das KPD-Verbotsurteil.[45] Angesichts der Tatsache, dass die Ferienaktion jahrelang ungehindert und in Zusammenarbeit mit der Bundesbahn tätig sein konnte, erscheint das Urteil sehr hart. Der Bundesgerichtshof (BGH) hob in der Revision die Freiheitsstrafen gegen eine der Angeklagten auf, bei zwei Frauen - Elfriede Kautz und Gertrud Schröter - bestätigte er jedoch das auf ein Jahr Gefängnis lautende Urteil. Bei ihnen stellte der BGH, im Gegensatz zu den Mitangeklagten, den Vorsatz zu verfassungsgefährdenden Tätigkeit fest. In seiner Rechtsgeschichte schreibenden Begründung führte der BGH die frühere Mitgliedschaft der beiden Frauen in der KPD an. Die Nicht-Parteimitglieder kamen frei. Die fatal an Gesinnungsjustiz erinnernde Bestrafung der politischen Haltung anstelle der objektiven Tatbestände war auch zuvor schon angewandt worden. Sie war nun aber oberste Rechtssprechung in der Bundesrepublik geworden.[46] Kautz und Schröter wurden nach knapp zehn Monaten - nachdem das Landgericht eine Entlassung nach zwei Dritteln der Strafe abgelehnt hatte - dank des Einsatzes ihres Strafverteidigers Diether Posser und des Generalbundesanwalts Max Güde vom niedersächsischen Ministerpräsidenten begnadigt.[47]

    Ab 1964 kümmerte sich Gerda Ahrens im Rahmen der Sozialarbeit der VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des NS-Regimes) um ehemalige Leidensgenossinnen und -genossen, half ihnen in Entschädigungsfragen, hielt Vorträge und veranstaltete Führungen durch das ehemalige KZ Fuhlsbüttel.

    Quellen:
    1) Archiv/Sammlung: Gedenkstätte E. Thälmann Hamburg.
    1) http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13681542.html
    2) http://www.bpb.de/themen/4TXCD1,0,0,Frohe_Ferien_in_der_DDR.html
    Hier die folgenden Fußnoten:
    1. Nicht alle Kinder wurden über die Ferienaktion eingeladen, auch direkte Einladungen der Betriebe sind in den Zahlen enthalten. Aus internen Unterlagen des Amts für Jugendfragen bzw. des Ministeriums für Volksbildung der DDR lässt sich die Zahl westdeutscher Teilnehmer an den Ferienlagern nur für die Jahre 1954 (28.231), 1955 (46.199), 1959 (17.815) und 1960 (7.552; nur ZAG ohne Direkteinladungen) rekonstruieren. Das Propagandamaterial der ZAG spricht für 1955 von 55.000 und für die Folgejahre von 20-30.000 Kindern. Der Verfassungsschutz NRW schätzte etwas geringere Teilnehmerzahlen: 1954: 15.000, 1955: 23.800, 1956: 23.250, 1957: 14.750, 1958: 11.700, 1959: 12.180, 1960: 10.245). Diese Zahlen berücksichtigen nur die Sonderzüge der Bundesbahn, sind also zu niedrig. Zahlen in: BArch DC 4 Nr. 164, 1549; ebd. DR 2 Nr. 3090; Landesarchiv NRW Abt. Rheinland (LAV NRW R) NW 614 Nr. 597. Zur Gründung der ZAG: Amt für Jugendfragen (AfJ), Situationsbericht über [...] Vorbereitungsarbeiten für eine Feriengestaltung der Kinder in Westdeutschland im Jahre 1955, 21.4.1955, BArch DC 4/164, Bl. 487-498.
    2. Klassisch zu den deutsch-deutschen Beziehungen: Christoph Kleßmann, Verflechtung und Abgrenzung. Aspekte der geteilten und zusammengehörigen deutschen Nachkriegsgeschichte, in: APuZ, 29-30/1993, S. 30-41; zuletzt Hermann Wentker, Zwischen Abgrenzung und Verflechtung. Deutsch-deutsche Geschichte nach 1945, in: APuZ, 1-2/2005, S. 10-17; Udo Wengst/ders. (Hg.), Das doppelte Deutschland. 40 Jahre Systemkonkurrenz, Berlin 2008.
    3. Zur Geschichte der KPD vgl. Till Kössler, Abschied von der Revolution. Kommunisten und Gesellschaft in Westdeutschland 1945-1968, Düsseldorf 2005; außerdem: Eric D. Weitz, The Ever-Present Other. Communism in the Making of West-Germany, in: Hanna Schissler (ed.), The Miracle Years. A Cultural History of West-Germany, 1949-1968, Princeton/Oxford 2001, S. 219-232; Patrick Major, The Death of the KPD. Communism and Anti-Communism in West-Germany, 1945-1956, Oxford 1998.
    4. Vgl. vor allem Josef Foschepoth, Rolle und Bedeutung der KPD im deutsch-deutschen Systemkonflikt, in: ZfG 56 (2008), S. 889-909; ders., Postzensur und Telefonüberwachung in der Bundesrepublik Deutschland (1949-1968), in: ZfG 57 (2009), S. 413-426; ders., Staatsschutz und Grundrechte in der Adenauer-Zeit. Paradigmenwechsel in der Zeitgeschichte, in: Jens Niederhut/Uwe Zuber (Hg.), Geheimschutz transparent? Verschlusssachen in staatlichen Archiven, Essen 2010, S. 27-58.
    5. Siehe die Zusammenstellung von Berichten v. Mai 1955, LAV NRW R NW 614 Nr. 598, vgl. Innenministerium Nordrhein-Westfalen (IM NRW), Einladung westdeutscher Kinder zum kostenlosen Aufenthalt in der SBZ, 29.9.1955, ebd. NW 308 Nr. 235, Bl. 74-77.
    6. Zusammenfassende Niederschrift über die Sitzung der gesamtdeutschen Referenten der Regierungen der Länder am 7.12.1954, BArch B 106 Nr. 1670.
    9. 31. Sitzung des Bundeskabinetts, 5.7.1955, http://www.bundesarchiv.de/cocoon/barch/0001/x/x1954e/kap1_2/kap2_32/para3_2.html [11.9.2011].
    11. Heinz Kersten, Die sowjetzonale Ferienaktion 1955. Kommunistische Erziehung am Lagerfeuer, in: SBZ-Archiv 6 (1955) 17, S. 258-260, hier 258; Otto Stolz, Gift für Kinderseelen. Die sowjetzonale Ferienaktion in der Bundesrepublik und ihre Ziele, Bonn 1958.
    14. So z.B. der Anklagevertreter der Bundesregierung im KPD-Prozess, Staatssekretär Ritter von Lex: Die KPD sei "ein gefährlicher Infektionsherd im Körper unseres Volkes, der Giftstoffe in die Blutbahn des staatlichen und gesellschaftlichen Organismus der Bundesrepublik sendet." Zit.: Josef Foschepoth, Antikommunismus in der politischen Kultur der USA und der Bundesrepublik. 10 Thesen, http://www.uni-hildesheim.de/media/fb1/geschichte/eg/ws2009/07-Antikom_10_Thesen.pdf [11.9.2011], S. 2.
    20. AfJ, Abschlußbericht über die [...] Aktion Frohe Ferientage für alle Kinder 1954, o. D., BArch DC 4/154, Bl. 33-46; Beratung über die Teilnahme westdeutscher Kinder an der Sommerferiengestaltung 1956, 13.3.1956, ebd., Bl. 57-59; Bericht über den 1. Durchgang der Aktion "Frohe Ferientage für alle Kinder" 1954, o. D., BArch DC 4/152. - Der zweiteilige DEFA-Film über Ernst Thälmann von 1954/55 war einer der wichtigsten Propagandafilme der DDR.
    21. LfV Hamburg, Hamburger Ferienkinder in der SBZ, 10.9.1956, LAV NRW R NW 614 Nr. 596; IM NRW, Frohe Ferien für alle Kinder, o. D. (1955/56), LAV NRW R NW 308 Nr. 235, Bl. 63f.
    22. Waldemar Hartmann in der Sendung "Fakt ist...!" am 20.7.2009 im MDR. - Für den Hinweis auf die Sendung danke ich Nancy Aris (Dresden).
    23. IM NRW (LfV), Erfahrungsaustausch über die Kinderferienverschickung in die SBZ 1956, 24.10.1956, LAV NRW R NW 614 Nr. 597.
    27. AfJ, Situationsbericht über den Stand der Vorbereitungsarbeiten für eine Feriengestaltung der Kinder in Westdeutschland im Jahre 1955, 21.4.1955, BArch DC 4/164, Bl. 487-498; Beratung über die Teilnahme westdeutscher Kinder an der Sommerferiengestaltung 1956 beim Zentralkomitee der SED am 9. März 1956, ebd., Bl. 57-59; Sekretariat der KPD, Übersicht über die wichtigsten Kader der Arbeitsgemeinschaft Frohe Ferien beim Zeitpunkt ihres Verbots, o. D. (1961), BArch BY 1/3937; IM NRW (LfV), Bericht, 16.7.1955, LAV NRW R NW 614 Nr. 596.
    29. Arbeits- und Sozialminister NRW an Ministerpräsidenten, 6.3.1959, LAV NRW R NW 179/320 Bl. 46-49.
    32. Zu den V-Leuten in der Ferienaktion siehe v.a. die Berichte in LAV NRW R NW 614 Nr. 599; vgl. auch Wolfgang Buschforth, Geheime Hüter der Verfassung. Von der Düsseldorfer
    Informationsstelle zum ersten Verfassungsschutz der Bundesrepublik (1947-1961), Paderborn 2004, S. 201f.
    33. IM NRW (LfV), Kinderferienverschickung in die DDR, 14.5.1959, LAV NRW R NW 614 Nr. 597.
    34. ZAG, Kommuniqué, o. D.(Juni 1959), abschr.: LAV NRW R NW 614 Nr. 599.
    35. KPD, Jugendkommission, Information über die Ferienaktion 1960, 10.9.1960, BArch BY 1/4363.
    36. PP Recklinghausen, Bericht, 20.7.1960, LAV NRW R NW 614/521, vgl. IM NRW, Abt. VI, Untersuchung von Ferienkindern durch das Gesundheitsamt Gladbeck, 27.3.1957, ebd., sowie IM NRW (LfV), Arbeitstagung am 22.9.1956 in Berlin-Großköris, 23.4.1957, ebd.
    37. Sekretariat der KPD, Bericht, o. D. (1957), BArch BY1/3938. Die Vernehmungen von Kindern erfolgten auf Anweisung der Staatsanwaltschaft Düsseldorf und beschäftigten die Landesregierung NRW im Mai 1957. Der Justizminister wies die Staatsanwaltschaft an, die Vernehmungen einzustellen. Vgl. die 511. und 512. Kabinettsitzung, in: Volker Ackermann (Bearb.), Die Kabinettsprotokolle der Landesregierung Nordrhein-Westfalen 1954 bis 1958, Siegburg 1997, S. 954, 957.
    41. 102. Sitzung des Bundeskabinetts, http://www.bundesarchiv.de/cocoon/barch/0000/k/k1960k/kap1_2/kap2_43/para3_8.html [4.1.2011]; Gegen den roten Funktionär. Materialien zum Gesetz über Einreise und Ausreise, Hg. Bundesregierung, Bonn 1960; Torsten Oppelland, Gerhard Schröder (1910-1989). Politik zwischen Staat, Partei und Konfession, Düsseldorf 2002, S. 312-315.
    42. IM NRW, Kinderferienverschickung in die DDR, 18.6.1959, LAV NRW R NW 614 Nr. 597.
    43. IM NRW, Verbot verfassungsfeindlicher Organisationen, Zentrale Arbeitsgemeinschaft Frohe Ferien für alle Kinder, 4.7.1961, LAV NRW R NW 308 Nr. 236, Bl. 80f; Niederschrift über die Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister der Bundesländer am 14./15. Juni 1961 in Bremerhaven, ebd. NW 266 Nr. 164, Bl. 30. Vgl. auch BMI, Vermerk v. 13.6.1961, BArch B 106/16071.
    44. Muster der Auflösungsverfügung gegen die Zentrale Arbeitsgemeinschaft Frohe Ferien für alle Kinder, 4.7.1961, LAV NRW R NW 308 Nr. 236, Bl. 86-93, dort i. Folg. auch die Verbotsunterlagen aus den einzelnen Bundesländern; vgl. auch Regierungspräsident Düsseldorf, Verbot von Vereinigungen, hier Zentrale Arbeitsgemeinschaft Frohe Ferien für alle Kinder, 6.7.1961, ebd. BR 2154 Nr. 8. Rechtskräftig wurde die Auflösung durch das Urteil des OVG NRW V A 1508/64, ebd. NW 308 Nr. 238, Bl. 109-119.
    45. §§ 42, 47 BVGG, 90a, 92, 100d (2) StGB. Zum Prozess siehe die Prozessberichte der KPD in: BArch DC 4/1549 u. SgY 27/234; sowie v.a. Diether Posser, Anwalt im Kalten Krieg. Ein Stück deutscher Geschichte in politischen Prozessen 1951-1968, München 1991, S. 259-265.
    46. Das Urteil des BGH 3 StR 58/62, BGHSt 18, 246; vgl. auch Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1968, Frankfurt a. M. 1978, bes. S. 109-116, 143-150.
    47. Diether Posser, Anwalt im Kalten Krieg. Ein Stück deutscher Geschichte in politischen Prozessen 1951-1968, München 1991, S. 263.

    Johanna Bästlein

    geb. Zenk

    Schneiderin, Widerstandskämpferin
    Grablage Ohlsdorfer Friedhof: Geschwister-Scholl-Stiftung, Bo 73, 1

    Ornament Image
    25.7.1895
    -
    31.7.1982
    Mehr erfahren
    Johanna Bästlein "stammte wie [ihr Mann Bernhard Bästlein] aus einer sozialdemokratischen Arbeiterfamilie. Ihre Eltern waren Albert Zenk und Wilhelmine, geb. Schröder. (…) 1920 heiratete Johanna Bernhard Bästlein (1894-1944). Als sich im selben Jahr der linke Flügel der USPD mit der KPD vereinigte, trat das Ehepaar Bästlein der KPD bei.
    Bernhard Bästlein wurde im März 1921 zum Mitglied der Hamburger Bürgerschaft gewählt. Durch Beschlüsse der Kommunistischen Internationale gedrängt, löste die KPD in Sachsen und dem Ruhrgebiet Unruhen aus. In Hamburg wurde am 23. März 1921 ("Märzaktion") zum Generalstreik aufgerufen. Bernhard Bästlein beteiligte sich am Demonstrationszug zur Werft Blohm & Voss. Es kam zu schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei.
    Da gegen die beteiligten Abgeordneten Anklage wegen ‚Vorbereitung zum Hochverrat' erhoben und am 30. März 1921 ihre Immunität als Volksvertreter aufgehoben wurde, organisierte die KPD seine Flucht per Schiff von Stettin nach Leningrad (heute St. Petersburg). In der Sowjetunion arbeitete Bernhard Bästlein als Redakteur, Lektor und Lehrer an der Deutschen Parteischule in Moskau. Seine Frau kam aus Hamburg nach. Nach der Schließung der Parteischule arbeitete er als Dreher in einer Moskauer Fabrik. Nur durch Schwarzmarktgeschäfte und ‚Kohlenklau' blieb ihm und seiner Frau genug zum Leben. Das Ehepaar nahm im Dezember 1922 am IV. Weltkongress der Kommunistischen Internationale teil.
    Aufgrund einer Amnestie kehrte das Ehepaar Bästlein im Januar 1923 nach Deutschland zurück. Bernhard Bästlein war dann im Parteiauftrag von 1923 bis 1930 bei verschiedenen Zeitungen im rheinisch-westfälischen Industriegebiet als Redakteur tätig. 1928 lebte das Ehepaar in Hagen, 1930 in Düsseldorf. Mindestens dreimal wurde Bernhard Bästlein wegen Presse-Delikten und einmal wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor Gericht gestellt. Da er inzwischen gute Kenntnisse des politischen Strafrechtes hatte, verteidigte er sich erfolgreich selbst. Im Oktober 1929 wurde Bernhard Bästlein Unterbezirksleiter der KPD in Düsseldorf, 1930 Bezirksleiter in Köln. Da er in diesen Jahren kaum Lohn für seine Tätigkeiten erhielt, musste das Ehepaar bei Genossen zur Untermiete leben.
    1924 verstarb ihr erstes Kind kurz nach der Geburt.
    Von Februar 1931 bis März 1933 war Bernhard Bästlein Politischer Sekretär der KPD-Bezirksleitung Mittelrhein und erhielt das erste Mal eine ausreichende Besoldung. Im April 1932 wurde er in den preußischen Landtag gewählt. Johanna Bästlein engagierte sich bis 1932 in der kommunistischen Frauenarbeit." 1) Sie war zwischen 1926 und 1933 in Düsseldorf Verantwortliche für die Frauenarbeit im Bezirk Niederrhein der KPD. "Sohn Bernt Henry Jürgen wurde am 3.12.1932 geboren." 1)
    "Bernhard Bästlein nahm am 7. Februar 1933 an der letzten illegalen Tagung der KPD unter dem Vorsitz Ernst Thälmanns im ‚Sporthaus Ziegenhals' bei Berlin teil. Er wurde am 5. März 1933 in den Reichstag gewählt, konnte das Mandat aber aufgrund der einsetzenden Verfolgung nicht mehr annehmen.
    Als 1933 das Kölner KPD-Parteihaus in der Aquinostraße 11 beschlagnahmt wurde, musste Johanna Bästlein mit ihrem [drei Monate alten] Sohn die dortige Dreizimmerwohnung räumen, in der sie seit 1931 lebten. Ihre Bibliothek wurde beschlagnahmt. Johanna Bästlein stellte ihren Hausstand bei fremden Leuten unter und bekam später nichts davon ausgehändigt. Sie kehrte wieder nach Hamburg zurück und lebte von Wohlfahrtsunterstützung durch die Stadt Köln.
    Ab März 1933 hielt sich Bernhard Bästlein als Organisator der illegalen KPD in Frankfurt am Main auf und wurde dort im Mai 1933 verhaftet. Der Volksgerichtshof klagte ihn erst im Dezember 1934 wegen Hoch- und Landesverrates an. Diese Anklage wandelte das Gericht in ‚Vorbereitung zum Hochverrat' um und verurteilte ihn zu 20 Monaten Zuchthaus. Vom 12. Juni 1933 bis zum 12. Februar 1935 befand er sich im Gefängnis Siegburg in Haft. Danach ging er zu seiner Familie nach Hamburg, die zu der Zeit in der Straßburger Straße 33 lebte.
    Bereits am 8. März 1935 kam Bernhard Bästlein erneut in ‚Schutzhaft'. Er wurde als intellektueller Urheber eines Mordes in Bonn unter Anklage gestellt. Obwohl das Verfahren eingestellt wurde, hielt man ihn in den Konzentrationslagern Esterwegen und - ab 1936 - Sachsenhausen fest. Dort lernte er Robert Abshagen, Franz Jacob, Julius Leber (SPD), Harry Naujoks, Wilhelm Guddorf und Martin Weise kennen. 1937 gehörte er zu den Verfassern des Sachsenhausenliedes, das auf Anweisung des SS-Lagerführers Weiseborn als Lagerlied entstand, dann aber verboten wurde. Im April 1939 wurde er in das Kölner Gefängnis ‚Klingelpütz' überstellt und blieb dort bis zum 6. April 1940 in Polizeihaft.
    Nach seiner Entlassung kehrte er zu seiner Familie in Hamburg zurück und lebte mit ihr ab dem 10. April 1940 am Goldbekufer 19. Er arbeitete als Wagenwäscher, Chauffeur und dann in den Altonaer Riepe-Werken, die Tintenkugelschreiber herstellten. Bernhard Bästlein traf sich mit anderen entlassenen Kameraden aus dem KZ Sachsenhausen. Sie wollten den aktiven Widerstandskampf gegen das NS-Regime fortsetzen. So baute er mit Robert Abshagen, Franz Jacob, Oskar Reincke und anderen Kommunisten eine Widerstandsorganisation auf. Ihre vorrangigen Ziele waren die politische Mitgliederschulung, Aufklärungsarbeit und Produktionssabotage in den Betrieben. Als Gründungssitzung wird ein Treffen im November 1941 angesehen, auf dem Bernhard Bästlein mit der Ausarbeitung einer Konzeption beauftragt wurde. Im Dezember 1941 kamen in Berlin Bernhard Bästlein, Robert Abshagen, Wilhelm Guddorf, Martin Weise und Fritz Lange zusammen, um das sechsseitige Papier zu beraten. Wilhelm Guddorf gehörte zur KPD und hatte über Martin Weise Kontakte zu Berliner Widerstandsgruppen wie der Uhrig- und Schulze-Boysen/Harnack-Organisation geknüpft (‚Rote Kapelle').
    Bernhard Bästlein war als politischer Leiter für die Abwehr von Spitzeln, die Nachrichtenbeschaffung und Bereitstellung von Waffen verantwortlich. (…). Die Widerstandstätigkeiten konzentrierten sich weitgehend auf die Großbetriebe der Bereiche ‚Werften' und ‚Metall', in denen es über 30 illegale Betriebsgruppen gab. Die Widerstandskämpfer unterstützten Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, wodurch auch Kontakte zu ausländischen Gruppen entstanden. Mitte 1942 kam es zur wohl einzigen größeren Flugblatt-Aktion. Das ‚Merkblatt für Bauarbeiter' richtete sich insbesondere an Hamburger Bauarbeiter, die zu Bauvorhaben der ‚Organisation Todt' nach Norwegen und in die Sowjetunion zwangsverpflichtet wurden. Es verknüpfte allgemeine sozialpolitische Forderungen (Lohnhöhe, Trennungsgelder) mit dem Aufruf zu Sabotageakten sowie der anständigen Behandlung der einheimischen Bevölkerung und schloss mit der Losung ‚Hitlers Niederlage ist nicht unsere Niederlage, sondern unser Sieg!'
    Mitte Mai 1942 sprangen über Ostpreußen vier Personen mit Fallschirmen aus sowjetischen Flugzeugen ab. Sie sollten wohl durch mitgeführte Funkgeräte und gefälschte Papiere die Schulze-Boysen/Harnack-Organisation in Berlin unterstützen. Da sie aber dort keinen Kontakt herstellen konnten, machten sich zwei von ihnen, Erna Eifler und Wilhelm Fellendorf, auf den Weg nach Hamburg zur Mutter von Wilhelm Fellendorf. Anfang Juli gelang es Erna Eifler und Wilhelm Fellendorf Kontakt zur Bästlein-Organisation herzustellen, die nun für ein Versteck und Verpflegung sorgte. Inzwischen war ihnen allerdings die Gestapo auf der Spur. Am 15. Oktober 1942 begann in Hamburg eine Verhaftungswelle, der am 17. Oktober auch Oskar Reincke und Bernhard Bästlein zum Opfer fielen. Ein Fluchtversuch Bernhard Bästleins scheiterte an einem Schuss in den Unterschenkel. Nach schweren Folterungen im Hamburger Stadthaus, dem Sitz der Staatspolizeileitstelle, unternahm er einen Selbstmordversuch, indem er sich einen Treppenschacht hinunterstürzte. Er überlebte - und blieb trotz der folgenden Torturen bei seiner Haltung des politischen Widerstandes. Am 30. November 1942 gab er vor der Gestapo eine schriftliche Erklärung dazu ab, die jetzt auch die Erfahrungen während der NS-Herrschaft einbezog. (…)
    Im August 1943 wurde Bernhard Bästlein aus der Untersuchungshaft in Fuhlsbüttel in die Strafanstalt Berlin-Plötzensee überstellt, um als Zeuge im Prozess gegen Martin Weise auszusagen. Bei einem Luftangriff am 30. Januar 1944 wurde das Berliner Gefängnis getroffen. Bernhard Bästlein konnte fliehen und seiner Frau per Brief darüber berichten. Er fand bei Berliner Kommunisten Unterschlupf und war weiterhin im Widerstand aktiv. Im April 1944 sah er Franz Jacob zufällig in der S-Bahn. Zusammen mit Anton Saefkow wurden sie der ‚Dreierkopf' der illegalen KPD Berlin. Doch wurde Bernhard Bästlein am 30. Mai 1944 verhaftet, in Berlin im Reichssicherheitshauptamt in der Prinz-Albrecht-Straße vernommen und tagelang gefoltert. Er kam im Juli in das KZ Sachsenhausen. Das am 5. September 1944 durch den Volksgerichtshof gefällte Urteil wegen Vorbereitung zum Hochverrat, Feindbegünstigung und Wehrkraftzersetzung galt auch für Franz Jacob und Anton Saefkow. In der Urteilsbegründung heißt es: ‚Sie sind unbelehrbar und unverbesserlich.'
    Bernhard Bästlein wurde am 18. September 1944 im Zuchthaus Brandenburg-Görden mit dem Fallbeil enthauptet.
    Johanna Bästlein arbeitete nach Streichung ihrer Wohlfahrtsunterstützung ab 1938 als Uniformnäherin. Sie wurde im Juli 1943 ausgebombt und lebte seitdem mit ihrem Sohn in einer primitiven Wohnlaube am Ziegelsee 60 in Jenfeld, die ihr Mann bereits vorausschauend als Notquartier ausgebaut hatte. Als sie ihre Arbeit verlor, nähte sie für Privatleute. Zweimal wurde sie verhaftet und aus Mangel an Beweisen wieder freigelassen. Vom Tod ihres Mannes erfuhr Johanna Bästlein erst am 30. September 1944. Die Veröffentlichung einer Todesanzeige wurde ihr untersagt. (…)
    Text: Maike Bruchmann
    Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus war Johanna Bästlein für die KPD/DKP sowie in der VVN aktiv, besuchte Versammlungen, ging in Schulen und berichtete über die NS-Zeit.
    Quellen:
    AfW 031294; Ursel Hochmuth, Niemand und nichts wird vergessen, Biogramme und Briefe Hamburger Widerstandskämpfer 1933-1945, Hamburg 2005, S. 31-34; Andreas Klaus, Gewalt und Widerstand in Hamburg-Nord während der NS-Zeit, Hamburg 1986, S. 66-76; Frank Müller (Hrsg.), Mitglieder der Bürgerschaft, Opfer totalitärer Verfolgung, Hamburg 1995, S. 15-18; www.politisch-verfolgte.de (eingesehen am 18.08.2007); www.volksliedarchiv.de (eingesehen am 18.08.2007); Telefonisches Interview mit Bernhard Bästlein am 26.08.2007; Klaus Bästlein, "Hitlers Niederlage ist nicht unsere Niederlage, sondern unser Sieg!", Die Bästlein-Organisation, in: Beate Meyer/Joachim Szodrzynski (Hrsg.), Vom Zweifeln und Weitermachen, Fragmente der KPD-Geschichte, Hamburg 1988, S. 44-89; Volker Ullrich, Weltkrieg und Novemberrevolution: Die Hamburger Arbeiterbewegung 1914 bis 1918, in: Landeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Hamburg im ersten Viertel des Jahrhunderts: die Zeit des Politikers Otto Stolten, Hamburg 2000, S. 106-107, Angelika Voss, Der "Hamburger Aufstand" im Oktober 1923, aaO, S. 171; Harry Naujoks, Mein Leben im KZ Sachsenhausen 1936-1942, Köln 1987, S. 49, 51, 52, 134; Ursel Hochmuth/Gertrud Meyer, Streiflichter aus dem Hamburger Widerstand 1933-1945, Frankfurt am Main 1980, S. 360. Archiv/Sammlung: Gedenkstätte E. Thälmann Hamburg.

    Hertha Borchert

    geb. Salchow

    Vierländer Schriftstellerin und Mutter des Schriftstellers Wolffgang Borchert

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    17.2.1895
    Altengamme
    -
    26.2.1985
    Hamburg
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    Ohlsdorfer Friedhof, Grab Nr. AC 5,6, am Fuß des Hügels Borchertring, Steilshoop (1973), benannt nach Wolfgang Borchert (1921-1947), Schriftssteller Wolfgangs Mutter Hertha, geb. Salchow war Vierländer Schriftstellerin.Hertha Salchow wurde am 17. Februar 1895 in den Vierlanden im Schulhaus in Altengamme als fünftes Kind des dortigen Lehrers Carl Salchow geboren. Bald zog die Familie ein Stück weiter in das Schulhaus in Kirchwerder. Hertha war der Nachkömmling der Familie, eine uninteressierte und schlechte Schülerin, die aber als einzige in der Familie ein echtes Vierländer Platt beherrschte. Sie liebte die Landschaft und die Menschen ihrer Heimat. Als der Junglehrer Fritz Borchert aus Mecklenburg auftauchte, war Hertha ganze 16 Jahre alt. Die beiden verliebten sich ineinander, und Hertha machte die beglückende Erfahrung, dass es einen Menschen gab, der sich nicht daran störte, dass sie selbst in der Dorfschule kaum mitgekommen war: "Ja, es war ein Ereignis geschehen, und das Ereignis war gravierend und umwälzend, ich war nicht mehr allein. Und das war für mich das Außergewöhnliche an diesem Ereignis, dass Wissen und Nichtwissen kleingeschrieben war, denn das Ereignis hatte mich gewählt, so wie ich war", 1) schreibt Hertha Borchert in ihren Lebenserinnerungen. Bald merkte sie jedoch, dass es etwas für ihn gab, an dem sie keinen Anteil hatte: die Welt der Bücher. Er versuchte, sie durch Vorlesen behutsam an diese Welt heranzuführen, sie versuchte, ihn darüber zu täuschen, dass sie sich dabei langweilte. Dennoch war da so viel Gemeinsames, dass sie beschlossen zu heiraten. Die Aufnahme im Hause der zukünftigen Schwiegereltern war so unfreundlich, dass das junge Mädchen einen Schock erlitt, der sich über viele Jahre in zeitweiligen Zuständen der Apathie wiederholte. Aber auch die eigenen Eltern zeigten weinig Begeisterung, weil Hertha zu jung und Fritz ohne feste Anstellung war. Sie verlangten eine Wartezeit von zwei Jahren, in der Hertha eine Haushaltsschule in Winsen besuchte, um Kochen und Nähen zu lernen, und Fritz Borchert in einer Volksschule in Hamburg-Eppendorf unterrichtete, wohin er auf Veranlassung von Herthas Vater versetzt worden war. Am 29. Mai 1914 war es dann soweit: Im Schulhaus wurde eine große Hochzeit gefeiert. Danach zog das Paar in die Tarpenbekstraße 82 in Hamburg-Eppendorf, wo später auch der Sohn Wolfgang geboren wurde. Für die junge Frau begann ein neues Leben. Nich ohne ein gewisses Zaudern hatte sie die ländliche Umgebung gegen eine Etagenwohnung im Hamburger Stadtgebiet getauscht, die "Lüd' vun `n Diek" gegen den Freundeskreis ihres Mannes: die Maler Paul und Martin Schwem,er, den Barlach-Freund Friedrich Schult, den Bildhauer Opfermann, den Pädagogen und Schriftsteller Höller und Karl Lorenz, den Graphiker, Schriftsteller, Dadaisten und Gründer der Zeitschrift "Die rote Erde", in der u. a. expressionistische Autoren und Maler veröffentlichten. Sie fühlte sich wohl in diesem Boheme-Kreis, wollte mitreden können. Sie begann - zunächst in halbstündigen Etappen - sich durch die gesamte Geschichte durchzukämpfen, angefangen bei der Völkerwanderung! Dann machte sie sich an die Literatur, las querbeet Droste-Hülshoff, Dehmel, Falke, Tieck, Hölderlin, Stifter und lernte Dada-gedichte auswendig, weil sie die am leichtesten behalten konnte. Ihr Mann war ihr ein unermüdlicher Helfer; kein Lehrer, ein formender Künstler, wie sie schreibt. Der Erste Weltkrieg brach aus. Fritz Borchert musste wegen einer Sehschwäche zwar nur als Sanitäter ins Hinterland, ruinierte seine Gesundheit aber dennoch. Die Welt der Kunst wurde für das Ehepaar zum "Fluchtpunkt und Ausweg" 2). Sie erwarben ein Erstaufführungsabonnement für die nach Kriegsende als Alternative zum Schauspielhaus gegründeten Hamburger Kammerspiele am Besenbinderhof, wo vornehmlich zeitgenössische, oft avantgardistische Theaterstücke gespielt wurden, und traten dem "Freundeskreis der Hamburger Kammerspiele" bei. Ein neuer Kreis um den Schriftsteller und Redakteur der "Hamburger Zeitung" H. W. Fischer, zu dem der Bildhauer Wield, die Tänzerinnen Jutta von Collande, Gertrud und Ursula Falke, der Dichter Robert Walter und Carl Albert Lange gehörten, öffnete sich ihnen. Man las gemeinsam moderne Dramen und diskutierte. Was Hertha Borchert schon im Umfeld Schwemers gewundert hatte, verstand sie auch hier nicht: was fanden alle diese Künstlerinnen und Künstler an ihnen, dem bürgerlichen Paar, dass sie es als freunde betrachteten? Im siebenten Ehejahr meldete sich das langersehnte Kind an: "Ich war längst nicht mehr das frische Landmädchen. Ich war blaß geworden und sehr empfindsam. Es wurde deutlich, daß ich diese 7 Jahre zu meiner Entwicklung gebraucht hatte."3) Mit der Geburt des Sohnes Wolfgang am 20. Mai 1921 begann die wohl glücklichste Zeit im Leben Hertha Borcherts, wie sie aus dem Rückblick meint. Man lebte sehr nahe zu dritt beieinander, der Freundeskreis kam jetzt ins Haus. Die Bildhauerin Lola Töpke, die später von den Nationalsozialisten, vermutlich am 6. Dezember 1941, nach Riga deportiert wurde, regte Hertha Borchert zum Modellieren in Ton an. Glaubte sie zunächst nicht an ihr Talent, arbeitete sie bald nächtelang wie besessen. Dann kam Wolfgang in die Schule, sie war vormittags wieder alleine, fühlte sich einsam. Hinzu kam die Bangsche Krankheit, die sie sich auf einer Ferienreise durch das Trinken roher Milch zugezogen hatte und die sie oft, isoliert von der Außenwelt, fiebernd ans Bett fesselte. Bilder der Heimat tauchten auf. Die Anschaffung eines Schrebergartens bot keine Lösung, die körperliche Arbeit war zu schwer für Fritz und Hertha Borchert. Als der Freund Paul Schwemer mit Erleichterung das Scheitern des in seinen Augen ohnehin lächerlichen Unterfangens konstatierte, fing Hertha Borchert an, von ihrer Kindheit zu erzählen, von der Landschaft, von den Menschen und ihrer Art zu leben. Die beiden Männer hörten zunehmend gebannt zu, und Fritz Borchert beschwor seine Frau nicht nur, diese Geschichten aufzuschreiben, sondern schickte eine davon heimlich an die "Hamburger Nachrichten", wo sie am 4. Dezember 1927 erschien: "Und ich schrieb in meiner Heimtsprache, wie ich dort draußen mit den Leuten sprach. Ich schrieb ganz hilflos in ein Schulheft - und diese erste Geschichte wurde gedruckt (…). Mir war nun geholfen. Ich vergaß die engen Zimmer und schrieb und trieb mich mit meinen Gestalten draußen an den Deichen herum." 4) In der Folge entstanden unzählige Geschichten, Gedichte und Hörfolgen auf Plattdeutsch, die im "Quickborn" und in der "Mooderspraak" gedruckt oder im Rundfunk ausgestrahlt wurden. Hertha Borchert gehörte fortan zu dem anerkannten Kreis niederdeutscher Schriftsteller. Mit diesem Erfolg wandelte sich auch ihr Umfeld: Aline Bußmann, Schauspielerin an der Niederdeutschen Bühne, die Hertha Borcherts Texte im Rundfunk las, Bernhard Meyer-Marwitz und Hugo Sieker, Redakteure des "Hamburger Anzeigers", waren die neuen Freunde, die sie nicht mit ihrem Mann teilte: "Den Niederdeutschen Kreis hatte ich mir gewählt und in ihm stand man still und verläßlich auf der Erde. Und doch war dies die Welt, in der ich schöpferisch werden sollte. Mein Mann wurde jetzt Betrachter. Immer war er sonst der Initiator gewesen. Er war für mich mein Halt und die Geborgenheit. Die verbindende Atmosphäre blieb unangetastet. Das Leben spannungsgeladen hatte uns umgeformt, aber zu viel trug ich von ihm und eigentlich ging ich jetzt den sehr eigenen Weg, den er mir gebahnt hatte." 5) Sie wurde in die GEDOK (Gemeinschaft deutscher und österreichischer Künstlerinnen) aufgenommen, ein weiterer Schritt zur Selbstständigkeit. Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten änderte Hertha Borcherts Leben zunächst nicht einschneidend. 1934 erschienen sechs unpolitische heitere Erzählungen unter dem Titel "Sünnroos un anner Veelanner Geschichten" im 48. Band der Reihe "Plattdütsch Land und Waterkant", die ein gutes Lebensbild der Zeit geben. 6) 1936 dann wurde Hertha Borchert von einem mißgünstigen Nachbarn, der lieber seine eigenen Arbeiten veröffentlicht sehen wollte, denunziert. Die Sache verlief glimpflich, es wurde Hertha Borchert jedoch nahegelegt, in die "Nationalsozialistische Frauenschaft" einzutreten. Fortan hielt sie Lesungen in Ortsgruppen und reiste, als der Krieg ausgebrochen war, zwecks Truppenbetreuung wochenlang durchs Land. Der Sohn Wolfgang war inzwischen längst in die Fänge des nationalsozialistischen Machtapparats geraten. Schon im Frühjahr 1940 wegen des Verdachts der Homosexualität vorgeladen, wurde er 1942 wegen einer Verletzung an der linken Hand, die als Selbstverstümmelung an der Front ausgelegt wurde, unter Anklage gestellt, dann aber freigesprochen. Noch im selben Jahr wurde er in einem zweiten Prozess wegen mündlicher und brieflicher Äußerungen, die als Angriff auf den Staat gewertet wurden, zu vier Monaten Haft verurteilt. 1943, kurz vor seiner Entlassung als Frontuntauglicher aufgrund fortdauernder schwerer Krankheit, wurde er dann wegen einer Parodie auf Goebbels in der Jenaer Kaserne erneut eingesperrt. Die Eltern versuchten ihn durch Besuche zu stärken und ihm beizustehen. Als am 10. Mai 1945 die Nachricht kam, Wolfgang sei aus französischer Gefangenschaft geflohen und habe sich bis zur Elbe durchgeschlagen, machte sich Hertha Borchert auf den Weg in die Vierlande. Als sie ihren Sohn auf dem Elbdeich sah, erkannte sie ihn nicht. Schwerkrank kehrte er nach Hause zurück. Die Familie wohnte seit der Denunziation durch den Nachbarn in Alsterdorf, in der Mackensenstraße 80 (heute Carl-Cohn-Straße). Nach Monaten des Hoffens und Bangens starb Wolfgang Borchert am 20. November 1947, einen Tag bevor sein Theaterstück "Draußen vor der Tür" in den Hamburger Kammerspielen uraufgeführt wurde. "Ich pflegte ihn zwei Jahr lang, und die Sorge um ihn schlug mir die Feder aus der Hand. Aber dafür blühte sein Werk auf. Er arbeitete mit einem fieberhaften Eifer, sodaß in unserer Wohnung für nichts anderes Raum war. Es war ein Erlebnis, ihm beim Schreiben zuzusehen. Jedes Wort, das er schrieb, war Befreiung aus innerster Not. Er zwang uns, sein Leben mitzuleben, und weil es so schnell und steil hinaufging, nahm es uns allen den Atem. Nach Wolfgangs Tod bleibt uns nur die Aufgabe, nach der Fülle dieses Schmerzes und dieses Glückes den Rest unseres Lebens auszurichten und unseres Sohnes Anklage an die Welt weiterzugeben", 7) beschrieb Hertha Borchert 1948 ihre Profession. Die Eltern besuchten gemäß dem Vermächtnis ihres Sohnes anfangs fast alle Aufführungen von "Draußen vor der Tür". Sie empfingen Besucherinnen und Besucher aus aller Welt, die ihnen nahe sein und von ihrem Sohn Wolfgang hören wollten, und folgten deren Einladungen. Der Biograph Wolfgang Borcherts, Claus B. Schröder, 8) beurteilt das Verhältnis von Mutter und Sohn nicht so harmonisch. Aus dem Sachverhalt, dass die Trennung von der Mutter ein zentrales Motiv in den Dichtungen Wolfgang Borcherts ist, besonders der Text "Meiner Mutter zu meinem Geburtstag", den er in der Nacht zu seinem 25. Geburtstag schrieb, schließt Schröder auf einen realen Mutter/Sohnkonflikt, eine nie wirklich gelungene Loslösung von der Mutter. Aber schon die Tatsache, dass das Motiv der Mutter bei Borchert zumeist mit dem Motiv der Geliebten verknüpft ist, lässt eher an die Sehnsucht nach einem paradiesischen Zustand des Einsseins denken, die leicht nachvollziehbar ist bei einem so jungen und sensiblen Mann, den die männerbündlerisch-faschistische Ideologie abstieß und der sich vollkommen isoliert fühlte. Nach dem Tode ihres Mannes 1959 wusste Hertha Borchert zunächst nicht, wie es weitergehen sollte, doch bald sammelte sie ihre Kräfte und ging den gemeinsam begonnenen Weg im Dienste des Sohnes weiter: "Un winn se hier in `n Hus bie mi ankloppt, kummt Wolfgang jümmer weller mit jüm rin de Dör. So sünd se jümmer oberall dor mit bie, mien Jung und sein' Vatter. Ook op de anner Siet vun uns Erd', dor weuren se ook beide an mi, u nick nicht alleen." 9) Am 26. Februat 1985, neun Tage nach ihrem 90. Gebrutstag, starb Hertha Borchert." Text: Brita Reimers Quellen: 1) Hertha Borchert: Vergangenes Leben. Unveröffentlichtes Manuskript im Wolfgang-Borchert-Archiv. 2) Ebenda. 3) Ebenda. 4) Ebenda. 5) Ebenda. 6) Ein vollständiges Werkverzeichnis von Jürgen Meier und Irmgard Schindler erstellt, findet sich im Jahresheft der Internationalen Wolfgang-Borchert-Gesellschaft e. V. Heft 6 (1994). 7) Hertha Borchert: Ruf der Mütter, in: Barbara Nordhaus-Lüdecke (Hrsg.): Der Ruf der Mütter. München 1948. 8) Vgl.: Claus B. Schröder: Draußen vor der Tür. Eine Wolfgang-Borchert-Biographie. Berlin 1988.

    Lisbeth Bruhn

    geb. Holz

    Widerstandskämpferin der Widerstandsgruppe Bästlein- Jacob-Abshagen. Hausfrau

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    26.12.1893
    -
    ermordet am 14.2.1944
    im KZ Neuengamme
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    Grab: Ehrenhain Hamburger Widerstandskämpfer 1933-1945, L 5 256-310 Stolperstein vor dem Wohnhaus Schellingstraße 16 und vor dem Wohnhaus, in dem sie Unterschlupf gefunden hatte: Bogenstraße 23. Das Ehepaar Bruhn war seit seiner Jugend politisch tätig. 1942 schloss sich Gustav Bruhn (16.3.1889 Angermünde - ermordet am 14.2.1944) der Bästlein-Jacob-Abshagen-Widerstandsgruppe an. Elisabeth und Gustav Bruhn wurden am 14. Februar 1944 ohne Gerichtsurteil im KZ Neuengamme erhängt. Gustav Bruhn stammte aus einer Eisenbahnerfamilie in Angermünde in der Uckermark. Sein Vater war der Stellwerksmeister Wilhelm Bruhn, seine Mutter Minna, geborene Ziegler. Gustav besuchte die Volksschule. Nach dem Abschluss der Tischlerlehre arbeitete er in mehreren Städten Deutschlands in seinem Beruf. 1909 wurde er zum dreijährigen Militärdienst bei der I. Marinedivision in Kiel einberufen. 1912 trat er in Hannover in die SPD ein und war seitdem in der Arbeiterbewegung politisch aktiv. Elisabeth Bruhn, geborene Holz, stammte aus einer Arbeiterfamilie. Ihre Eltern, der Landarbeiter Johann Heinrich Holz und Catharina Margaretha, geborene Peters, fühlten sich der Arbeiterbewegung zugehörig. Sie lebten mit ihren sechs Kindern lange in Lunden nahe Groven in Dithmarschen. 1921 war Elisabeths Vater Leiter der KPD-Ortsgruppe Lunden. Elisabeth musste schon früh als Kindermädchen zum Lebensunterhalt der elterlichen Familie beitragen. Nach der Schulzeit ging sie nach Kiel. Dort fand sie eine Anstellung als Haushaltshilfe. Später verdiente sie ihren Lebensunterhalt als Arbeiterin. Gustav Bruhn und Elisabeth Holz lernten sich in Kiel kennen. Sie heirateten am 25. Januar 1913 in Lunden. Ihr Sohn Heinrich, der spätere Hochschullehrer in Leipzig, wurde am 29. Januar 1913 in Lunden geboren. Ihre spätere Schwiegertochter berichtete nach dem Zweiten Weltkrieg von einem zweiten Sohn, der Otto hieß und als Soldat der Wehrmacht bei Stalingrad verschollen sei. Über diesen Sohn ist Näheres nicht überliefert. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurde Gustav Bruhn zur Matrosen-Division nach Wilhelmshaven eingezogen. Bis 1915 fuhr er auf dem Linienschiff "Woerth". Dann wurde er dem "Marinecorps Flandern" zugeteilt und diente bis Kriegsende in einer Pionierkompanie in Flandern. Der Kriegsgegner Gustav Bruhn entwickelte sich in einem längeren Prozess zum Anhänger des Spartakusbundes. Dahin führten ihn nicht zuletzt die Nachrichten vom Sturz des Zarenregimes in Russland und von den Matrosenaufständen auf dem Schlachtschiff "SMS Prinzregent Luitpold" Anfang August 1917. Elisabeth Bruhn teilte die politischen Überzeugungen ihres Mannes und nahm zeitlebens an seinen politischen Kämpfen teil. Sie war seit 1919 politisch organisiert. Während der Kriegszeit zog Elisabeth Bruhn nach Hannover. Sie verdiente ihren Lebensunterhalt als Kolonnenarbeiterin bei der Eisenbahn. In dieser Zeit kam auch sie in Kontakt mit dem Spartakusbund. Nach dem Ersten Weltkrieg fand die Familie Bruhn wieder zusammen. Sie bekam in Heide/ Holstein in der Westerstraße eine Wohnung. Noch in den Tagen der Novemberrevolution 1918 sprach Gustav Bruhn in Soldatenuniform zur Heider Bevölkerung und war bald als "Roter" in Dithmarschen bekannt. Er wechselte noch während des Krieges von der SPD zur USPD, anderen Quellen zufolge erst 1919. Zusammen mit dem Redakteur Carl Metze und dem Kaufmann Paul Burmähl war er in Heide und Umgebung einer der bekanntesten USPD-Vertreter. Im Oktober 1920 gründete er die Ortsgruppe Heide der Kommunistischen Partei Deutschlands mit. 1921, auf dem VII. KPD-Parteitag in Jena, zählte er bereits zu den Delegierten. 1923 wurde er Vorsitzender der KPD in Heide. Auch Elisabeth Bruhn trat 1920 in die KPD ein. Sie leitete in Heide zunächst den Jung-Spartakus-Bund, in dem Kinder von 10 bis 14 Jahren organisiert und an die Ziele der KPD herangeführt werden sollten. Als am 13. März 1920 unter Leitung von Wolfgang Kapp und Walther von Lüttwitz Reichswehrangehörige und ehemalige Angehörige der alten Armee und Marine versuchten, die legale Reichsregierung zu stürzen (Kapp-Putsch), unterstützte in Heide der Garnisonsälteste Hauptmann von Liliencron zusammen mit dem örtlichen Postdirektor die Putschisten. Der Bürgermeister verhielt sich unentschieden. Der Heider Arbeiterrat verhaftete von Liliencron in der Nacht vom 13. auf den 14. März. Während der am Sonntag, dem 14. März, im Heider Tivoli abgehaltenen großen Volksversammlung sprachen Carl Metze und Gustav Bruhn. Bruhn: "Man sucht uns zu entreißen, was wir an Freiheit errungen haben. Die neue Regierung bringt uns weder Frieden noch Brot, dafür aber Krieg! Und das Volk soll geknebelt und geknutet werden." Gustav Bruhn wurde in einen neuen Arbeiterrat gewählt und zum Beigeordneten für den nationalkonservativen Landrat bestimmt. Unbeschadet seiner zunehmend auch überregionalen Wirksamkeit konzentrierten sich Gustav Bruhns politische Aktivitäten in den nächsten Jahren auf Heide und Dithmarschen. Als exponierter Kommunist hatte Gustav Bruhn bald kaum noch eine Chance auf einen Arbeitsplatz. Es wird berichtet, dass Arbeitgeber, die ihn einstellen wollten, davon abgehalten wurden. Also versuchte Elisabeth Bruhn, den Lebensunterhalt für die Familie zu verdienen. Als am frühen Morgen des 23. Oktober 1923 der Hamburger Aufstand begann, standen von Gustav Bruhn und seinen Genossen geführte Arbeiter und Bauern auch in Heide bereit einzugreifen. Dazu kam es jedoch nicht. Die Polizei verhaftete Gustav Bruhn und einen Teil seiner politischen Freunde. Angesichts von drei Hundertschaften der "Roten Arbeiterwehr" der Maschinenfabrik Köster, die die Freilassung notfalls erzwingen wollten, wurden die Gefangenen von Heide nach Flensburg überführt und in "Schutzhaft" genommen. Eine Inhaftierung ohne Verurteilung oder dringenden Tatverdacht wurde schon in der Weimarer Republik als "Schutzhaft" bezeichnet. In den ersten Krisenjahren der Weimarer Republik wurden "Schutzhäftlinge", wobei es sich meist um Kommunisten handelte, in Lagern untergebracht. Nach seiner Haftentlassung 1924 setzte Gustav Bruhn seine politische Tätigkeit fort.? Er wurde zum Stadtverordneten in Heide und zum Kreistagsabgeordneten von Norderdithmarschen gewählt. Außerdem war er Abgeordneter des Provinziallandtages in Kiel. 1924 delegierte ihn die KPD zum V. Weltkongress der Kommunistischen Internationale nach Moskau. Ab 1925 arbeitete er als Parteisekretär und Unterbezirksleiter in Heide und Itzehoe. Am 30. Januar 1926 gründete sich die Ortsgruppe Heide der NSDAP im Heider Tivoli. Bereits vorher hatten sich mehrere NSDAP-Ortsgruppen in Dithmarschen gebildet, darunter auch in Lunden, dem früheren Wohnort der Familie Bruhn. Diese Entwicklung erfüllte Gustav Bruhn mit großer Sorge. In einem Bericht des damaligen Ortsgruppenleiters in der Festschrift zum zehnjährigen Bestehen der NSDAP wird Gustav Bruhns oppositionelles Auftreten in der Gründungsversammlung erwähnt. Ab 1927 arbeitete Gustav Bruhn als Parteisekretär und Unterbezirksleiter der KPD in Lübeck. Seine Familie blieb in Heide. Als Gustav Bruhn von einer Versammlung aus Meldorf kam, wurde er auf dem Heider Bahnhof verhaftet. Ihm wurde der Vertrieb einer illegalen Broschüre (Willy Sachse: Anti-Nautikus - Deutschlands revolutionäre Matrosen) vorgeworfen. Der 4. Strafsenat des Reichsgerichts verurteilte Gustav Bruhn am 25. September 1927 zu neun Monaten Festungshaft und 100 Mark Geldstrafe wegen Vorbereitung zum Hochverrat in Tateinheit mit Vergehen gegen § 7 des Republikschutzgesetzes. Ziel dieses Gesetzes aus dem Jahre 1922 war es, alle republikfeindlichen monarchistischen Organisationen zu verbieten oder handlungsunfähig zu machen, es richtete sich in der Praxis zugleich gegen linke Bestrebungen. Gustav Bruhn sollte die Haftstrafe auf der Festung Gollnow in der damaligen preußischen Provinz Pommern in der Nähe von Stettin (heute: Szczecin) verbüßen. Während der Festungshaft erhielt Gustav Bruhn zwei Tage Hafturlaub für die Teilnahme an der Jugendweihe seines Sohnes. Über die Haftbedingungen ist nur wenig bekannt. Am 20. Mai 1928 wurde Gustav Bruhn für die KPD als Abgeordneter des Preußischen Landtags gewählt, dem er bis 1932 angehörte. Die durch das Landtagsmandat gewonnene parlamentarische Immunität beendete seine Festungshaft. Nun zog die Familie in das damals preußische Altona. Der Sohn Heinrich wechselte nach Beendigung der Schulzeit nach Berlin und begann dort 1928 eine kaufmännische Lehre bei der Firma "Derutra" (Deutsch-Russische Transport-Aktiengesellschaft). Gustav Bruhn übernahm nun zusätzlich die Funktion des Unterbezirkssekretärs in Kiel, später in Hamburg. 1930 lautete seine Adresse Kiel, Annenstraße 59. Er gehörte dem Plenum und der Bezirksleitung Wasserkante der KPD an. In den Akten der Kriminalpolizei Lübeck ist für Ende 1931 als Adresse die Beckergrube 29 in Lübeck festgehalten. Es kann davon ausgegangen werden, dass Gustav Bruhn unter polizeilicher Beobachtung stand. Eine "Nachrichtensammelstelle" des Reichsministeriums des Innern zog Informationen über "KPD-Zersetzung - Tätigkeit in der Reichswehr und Polizei" in der gesamten Republik ein. Die Kriminalpolizei Lübeck hatte einen V-Mann auf Gustav Bruhn angesetzt und berichtete ab Anfang Oktober 1931 nach Berlin. Danach soll Gustav Bruhn mit einer in einem Ministerium beschäftigten weiblichen Person befreundet gewesen sein, die ihm Zuträgerdienste geleistet habe. Wenig später wurde berichtet, "die Ermittlungen über die ‚Freundin' des Bruhn und die angebliche Villa in Tempelhof [seien] ergebnislos verlaufen". In Erwartung der Machtübernahme der NSDAP traf die KPD Vorsorge für den Fall ihres Verbots und des dann folgenden illegalen Widerstands in Hamburg und Schleswig-Holstein. Daran beteiligt waren viele Funktionäre der Bezirksleitung Wasserkante, darunter auch Gustav Bruhn. Vom 26. April bis zum 17. Juni 1933 wurde Gustav Bruhn in so genannte Schutzhaft im KZ Fuhlsbüttel genommen. Nach seiner Entlassung nahm er die Parteiarbeit für die KPD sofort wieder auf. Sein Aktionsfeld erweiterte sich jetzt bis nach Hannover. Überliefert ist auch ein Aufenthalt in Minden mit dem Ziel, Verbindung zur dortigen illegalen KPD-Organisation aufzunehmen. Im September 1933 wurde er erneut verhaftet. Seine Haftkarteikarte weist aus, dass er am 13. Oktober 1933 in das Untersuchungsgefängnis Hamburg eingeliefert und am 27. Juni 1934 nach Hannover überstellt wurde. Der Grund dafür ist nicht bekannt. Am 9. August 1934 brachte man Gustav Bruhn nach Hamburg in das Untersuchungsgefängnis zurück. Er wurde am 1. März 1935 nach Berlin überstellt. Am 14. März 1935 verurteilte ihn der Volksgerichtshof in Berlin wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zu drei Jahren Zuchthaus. Unter Anrechnung der bereits erlittenen Untersuchungshaft endete diese Haftzeit 1937. Es ist nicht bekannt, wo Gustav Bruhn die Haftzeit verbrachte. Sein Sohn Heinrich berichtete später, Gustav Bruhn habe die Zuchthausstrafe in Rendsburg abgesessen. Dafür lassen sich Belege jedoch nicht finden. Anschließend an die Zuchthausstrafe wurde Gustav Bruhn am 16. April 1937 im Konzentrationslager Sachsenhausen als "rückfälliger Schutzhäftling" eingeliefert. Zu derselben Zeit befanden sich dort auch andere führende Kommunisten, u. a. aus Hamburg Bernhard Bästlein, Robert Abshagen, Hans Christoffers, Franz Jacob, Adolf Wendt. Auch Elisabeth Bruhn bekam die Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu spüren. Sie wurde verhaftet und am 5. April 1934 in das KZ Fuhlsbüttel eingeliefert. Als ihre Adresse wurde Heinrich-Dreckmannstraße 1 (heute: Susannenstraße im Stadtteil Sternschanze) notiert. Es folgten Untersuchungshaft und die Verurteilung zu zwei Jahren Gefängnis wegen Wiederaufbaus der verbotenen Kommunistischen Partei. Die Haftstrafe begann am 25. September 1934. Vollzugsanstalt war das Frauengefängnis Lauerhof in Lübeck. Lina Knappe, eine ebenfalls in Lübeck-Lauerhof einsitzende junge Kommunistin, äußerte sich später: "Wir hatten das Gefühl, als wären sie [Elisabeth Bruhn und die weitere Gefangene Maria Cords] unsere Mütter, die sich um uns sorgten. Das gab uns Kraft und Zuversicht, und wir holten auch gesundheitlich wieder auf." Am 5. April 1936 wurde Elisabeth Bruhn entlassen und nahm die politische Arbeit unverzüglich wieder auf. Schon im Herbst 1936 wurde sie erneut verhaftet und wieder ins KZ Fuhlsbüttel eingeliefert. Mit ihr wurden auch ihr Sohn Heinrich und dessen Ehefrau gefangen genommen. Aus Mangel an Beweisen kam Elisabeth Bruhn am 18. Januar 1937 wieder frei. Das nationalsozialistische Regime fühlte sich in den Jahren 1937 bis 1940 seiner Macht sehr sicher. Nur so lässt sich erklären, dass in dieser Zeit eine Anzahl führender Kommunisten aus der KZ-Haft freigelassen wurden, darunter im April 1939 auch Gustav Bruhn. Nach seiner Entlassung aus dem KZ Sachsenhausen war Gustav Bruhn erneut im Widerstand gegen die Nationalsozialisten aktiv. Auch die anderen Freigelassenen suchten die Verbindung zu Hamburger Kommunisten und anderen Widerständlern. Im Herbst 1941 konstituierte sich eine Widerstandsgruppe unter Einbeziehung bereits vorhandener illegaler Zirkel und Widerstandsgruppen. Sie sollte hauptsächlich in den Hamburger Großbetrieben verankert sein und wurde als Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe bekannt. Robert Abshagen gewann Gustav Bruhn laut Anklageschrift des Oberreichsanwalts am Volksgerichtshof im Frühjahr 1942 zur Mitarbeit. Zum inneren Kern der Gruppe zählten etwa 210 Männer und Frauen, darunter auch einige SPD-Leute und Gewerkschafter. In den Jahren 1943 bis 1945 wuchs die Gruppe auf mindestens 300 Personen an. Sie unterhielt u. a. Kontakte zum Widerstand der Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe in Berlin und bildete einen bedeutenden Schwerpunkt des Widerstandes in Deutschland. Die Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe war zunächst in Einzelgruppen in diversen Großbetrieben organisiert, bald schon wurden Industriegruppen für einzelne Branchen, z. B. Bauindustrie, Metallindustrie, gebildet. Gustav Bruhn übernahm die Leitung der Industriegruppe "Metall" von Oskar Reincke, einer der Leitungspersonen der Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe, und lernte wenig später Paul Thürey (siehe: Thüreystraße, in diesem Band) kennen, der die Widerstandsarbeit bei den Conz-Elektromotoren-Werken in Hamburg-Bahrenfeld organisierte. Gustav Bruhn erhielt Informationen über Belegschaftsstärke, Produktion, Stimmung unter der Belegschaft, Lohnverhältnisse und Akkordsystem. Auf diesem Wege beschaffte er auch Informationen über russische Zwangsarbeiterinnen bei den Conz-Werken. Über die Klöckner Flugmotorenbau GmbH in Hamburg-Billbrook erhielt er Informationen von dem Maschinenschlosser Hans Köpke, der am 26. Juni 1944 nach einem Todesurteil des Volksgerichtshofes im Untersuchungsgefängnis Hamburg hingerichtet wurde. Die Aktivitäten der Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe blieben den Nationalsozialisten nicht verborgen. Sie starteten eine umfangreiche Verhaftungswelle, deren erste Opfer am 18. Oktober 1942 neben anderen Gustav und Elisabeth Bruhn wurden. Beide waren intensiven Verhören und schweren Folterungen ausgesetzt. Ihr Sohn Heinrich erfuhr von der Gefangennahme dadurch, dass Post zurückkam mit dem Vermerk: "Verhaftet". Ein Mithäftling (Heinz Gerhard Nilsson) berichtete später, Gustav Bruhn sei während der Vernehmungen misshandelt worden. Am 23. März 1943 waren die Voruntersuchungen der Gestapo gegen Gustav und Elisabeth Bruhn so weit fortgeschritten, dass beide aus dem inzwischen in Polizeigefängnis umbenannten KZ Fuhlsbüttel in das Untersuchungsgefängnis Hamburg überstellt wurden. Ihre Adresse auf beiden Haftkarteikarten lautete Schellingstraße 33. Es wird angenommen, dass die Prozesse gegen das Ehepaar Bruhn und weitere Angehörige der Hamburger Widerstandsorganisation im Frühsommer 1943 beginnen sollten. Doch dazu kam es nicht. Elisabeth und Gustav Bruhn saßen während der verheerenden Luftangriffe der englischen Luftwaffe Ende Juli 1943 im Untersuchungsgefängnis an der Straße Holstenglacis. Durch diese als "Aktion Gomorrha" bezeichnete Luftoffensive, die große Teile Hamburgs Ende Juli/Anfang August 1943 in Schutt und Asche legte, entstand auch in den staatlichen Sicherheitsorganen ein Chaos. Das Stadthaus, die Hamburger Gestapozentrale, wurde zerstört. Die Gestapo und der Justizapparat waren vorübergehend nicht arbeitsfähig. Unter dem Eindruck der Verwüstungen beschloss die Hamburger Staatsanwaltschaft, etwa 2000 Hamburger Untersuchungshäftlingen Haftverschonung zu gewähren. Rund 70 Mitglieder der Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe erhielten zwei Monate Hafturlaub vom 31. Juli 1943 bis 1. Oktober 1943, verbunden mit der Auflage, keine "Verbindung mit Tatgenossen" aufzunehmen. Gustav Bruhn kam am 2. August 1943 frei. Er hatte seinen Genossen noch vor der Entlassung vorgegeben, sich in den nächsten Tagen zu einer Beratung über die neue Situation zusammenzufinden. Etwa 20 der Beurlaubten beschlossen dabei, sich nach Ablauf der Frist nicht wieder verhaften zu lassen, sondern sich bis zum Kriegsende verborgen zu halten. Gustav und Elisabeth Bruhn tauchten unter und wechselten fortlaufend die Quartiere. Gustav Bruhn wohnte illegal bei Käthe und Richard Tennigkeit (siehe: Tennigkeitweg, in diesem Band) in Hamburg-Berne, die ihren Widerstand gegen die NS-Diktatur mit dem Leben bezahlten. Adolph Kummernuß, der spätere ÖTV-Vorsitzende, berichtete nach dem Kriege, er habe Gustav Bruhn ein- oder zweimal bei Tennigkeits getroffen. Gustav Bruhn nahm die illegale politische Arbeit wieder auf, u. a. mit seinen kommunistischen Freunden Walter Bohne und Hans Hornberger. Walter Bohne wurde bei seiner Verhaftung am 5. Januar 1944 von Gestapobeamten erschossen. Zwischen Ende September und Ende Oktober 1943 hielt sich Gustav Bruhn in Hannover auf. Zurück in Hamburg wohnte er zunächst bei dem Kommunisten Friedrich (Fiete) Löhn in der Kanalstraße 33, den er durch Adolf Schröder, einen illegal bei Klara Dworznick in der Bogenstraße 23 lebenden Kommunisten, kennengelernt hatte. Bei Fiete Löhn wurde Gustav Bruhn mit dem verdeckt arbeitenden früheren Kommunisten, Spanienkämpfer und späteren Gestapo-Agenten Alfons Pannek bekannt. Dieses Zusammentreffen sollte ihm schließlich zum Verhängnis werden. Elisabeth Bruhn fand Unterschlupf bei ihrer Freundin, der Kommunistin Klara Dworznick in der Bogenstraße 23 in Hamburg-Eimsbüttel, die sie schon viele Jahre kannte. Auch Gustav Bruhn hielt sich tageweise in der Bogenstraße 23 auf. Alfons Pannek erschlich sich Gustav Bruhns Vertrauen und verschaffte ihm ein Quartier in seiner und Else Panneks Wohnung im Eppendorfer Weg 256. Hier glaubte Gustav Bruhn, sicher zu sein. Sein Vertrauen in Pannek ging so weit, dass er ihn und seine Frau mehrmals in die Wohnung von Klara Dworznik mitnahm. Im Dezember 1943 wollte Gustav Bruhn ganz nach Hannover übersiedeln und dort untertauchen. Pannek hatte ihm falsche Papiere beschafft. Als Gustav Bruhn Hamburg am Abend des 13. Dezember 1943 mit dem Zug verlassen wollte, wurde er bei einer scheinbar zufälligen Fahrkarten- und Ausweiskontrolle verhaftet. Gustav Bruhns Haftkarteikarte im Untersuchungsgefängnis enthält die Notiz "15.12.43 18.00 vom Urlaub zurück". Am 3. Februar 1944 wurde auch Elisabeth Bruhn verhaftet und zwar zusammen mit Rudolf Steinfatt und Klara Dworznick in deren Wohnung in der Bogenstraße 23 sowie mit dem am 6. Januar 1945 im KZ Neuengamme umgekommenen Adolf Schröder. Der Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof Berlin hatte ungeachtet des Untertauchens von Mitgliedern der Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe bereits am 1. November 1943 eine Anklageschrift gegen Bernhard Bästlein, Oskar Reincke, Robert Abshagen, Walter Bohne und Gustav Bruhn fertig gestellt. Bevor der Strafprozess gegen Gustav Bruhn stattfinden konnte, veranlasste der Gestapomann Henry Helms seine Liquidierung. Dies geschah auf Betreiben von Alfons Pannek, dessen Tätigkeit als Gestapo-Spitzel bei der Verhaftung von Gustav Bruhn aufgedeckt worden war. Pannek wollte offenbar durch Gustav Bruhns Tod seine Rolle als Gestapo-Spitzel sichern. Am 14. Februar 1944 wurden Elisabeth und Gustav Bruhn in das KZ Neuengamme verschleppt und ohne Gerichtsurteil gehenkt. Über die Geschehnisse dort schrieb Alfred Baumbach, ein Freund der Familie Bruhn: "Als wir am 14. Februar 1944 morgens in den Transportwagen stiegen, der uns von Fuhlsbüttel nach Neuengamme brachte, sah ich, wie Gustav und Lisbeth Bruhn und einige andere Häftlinge in einem schrecklichen Zustand von begleitender SS und den Gestapomännern Helms und Litzow in den Wagen getrieben wurden. Ich ahnte, dass etwas Furchtbares bevorstand. Im Wagen versuchte ich, neben Lisbeth zu gelangen, um ihr durch eine freundliche Geste mein Mitgefühl auszudrücken. Sie war vollkommen verstört. Beim Aussteigen in Neuengamme wollte Gustav sich neben uns stellen. Er wurde von Helms und den anderen SS-Männern mit höhnischen Bemerkungen: ‚Das könnte euch so passen!' und durch Faustschläge und Fußtritte von uns getrennt. Die Gruppe Gustav und Lisbeth Bruhn, Hans Hornberger und Kurt Schill, den Fünften kannten wir nicht, wurde dann von der SS abgeführt. Helms und Litzow gingen mit. Am gleichen Abend wussten schon alle Genossen im Lager, dass die fünf im Bunker gehängt worden waren." Die Morde an Elisabeth und Gustav Bruhn, Hans Hornberger, Kurt Schill und Walter Bohne wurden sofort an den Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei gemeldet. Von dort wurde der Reichsjustizminister unterrichtet. Im Ehrenhain Hamburger Widerstandskämpfer auf dem Friedhof Hamburg-Ohlsdorf liegt ein Gedenkstein für Elisabeth und Gustav Bruhn. Die Namen von Elisabeth und Gustav Bruhn finden sich auch auf der Gedenkmauer des Zentralfriedhofs in Berlin-Friedrichsfelde. In Angermünde trägt eine Grundschule den Namen von Gustav Bruhn. Text: Ingo Wille Quellen:? Bundesarchiv SAPMO Ry 1/I3/16/36; Gedenkstätte deutscher Widerstand, Anklageschrift des Oberrechtsanwalts beim Volksgerichtshof vom 1. November 1943 gegen Bästlein, Reincke, Abshagen, Bohne und Bruhn (10 J 423/43g); Gedenkstätte Ernst Thälmann - Archiv; Gedenkstätte Sachsenhausen, Archiv, Haftdaten Gustav Bruhn im KZ Sachsenhausen;?Hamburger Adressbücher; Bästlein, Klaus: "Hitlers Niederlage ist nicht unsere Niederlage, sondern unser Sieg!" Die Bästlein-Organisation. Zum Widerstand aus der Arbeiterbewegung in Hamburg und Nordwestdeutschland während des Krieges (1939-1945). In: Beate Meyer (Hrsg.): Vom Zweifeln und Weitermachen. Fragmente der Hamburger KPD-Geschichte. Festschrift für Helmuth Warnke zum 80. Geburtstag. Hamburg 1988, S. 44ff.; Gerchen, Georg, Vom Heider Marktplatz bis zum KZ Neuengamme, Heide 1993; Hochmuth, Ursel, Niemand und nichts wird vergessen, Hamburg 2005, S. 43ff.; Hochmuth, Ursel/ Meyer, Gertrud, Streiflichter aus dem Hamburger Widerstand 1933-1945, Frankfurt/M. 1980, S. 344f., S. 369ff.; Knappe, Meuterei im Jugendgefängnis in: Zorn, Gerda/Meyer, Gertrud, Frauen gegen Hitler, Frankfurt/M. 1974, S. 41ff.; Meyer, Gertrud, Die Frau mit den grünen Haaren, Hamburg 1978, S. 114ff.; Meyer, Gertrud, Nacht über Hamburg, Frankfurt/M. 1971, S. 92f.; Puls, Ursula, Die Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe, Berlin 1959; Thomsen, Johann Wilhelm, Landleben in der Weimarer Republik, Heide 1989, S. 19f.; VAN-Totenliste S. 18f.; Weber, Hermann, Herbst, Andreas, Deutsche Kommunisten, Berlin 2004, S. 128f.; Pfeil, Ulrich, Die KPD im ländlichen Raum - Die Geschichte der Heider KPD 1920-1935 in: Demokratische Geschichte X - Jahrbuch zur Arbeiterbewegung und Demokratie in Schleswig-Holstein, Bd. 10, (1996), S. 171-206; Wadle, Anni, Mutti, warum lachst du nie? Erinnerungen an Zeiten der Verfolgung und des Krieges, Drensteinfurt 1988; Diercks,Herbert, Der Einsatz von V-Leuten im Sachgebiet "Kommunismus" der Hamburger Gestapo, in: Polizei, Verfolgung und Gesellschaft im Nationalsozialismus, Bremen 2013,S. 124; http://www.bildung-brandenburg.de/schulportraets/index.php?id=stammdaten&schulnr=100638 (Zugriff 11.9.2012); http://www.preussen-chronik.de/begriff_jsp/key=begriff_schutzhaft.html (Zugriff 8.5.2012).

    Elisabeth Campe

    geb. Hoffmann

    Biographin, Verlegertochter und -ehefrau

    Ornament Image
    12.6.1786
    Hamburg
    -
    27.2.1873
    Hamburg
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    Hamburgischer Gedächtnisfriedhof:
    Ohlsdorfer Friedhof, Althamburgischer Gedächtnisfriedhof, Grabplatte "Verleger und Drucker"
    "Wenn ich des Gegenstandes wegen auch nicht für nöthig halte, daß ich genannt werde, und keinen Werth darauf lege, so bin ich mit 72 Jahren doch alt genug, um kein zimperliches Incognito bewahren zu wollen." 1) Die hier einwilligt, öffentlich als Verfasserin einer Schrift genannt zu werden, ist Elisabeth Campe geb. Hoffmann. Hoffmann und Campe, diese beiden Namen trägt der renommierte Hamburger Verlag bis zum heutigen Tag, und der Anlass für die Fusion war Elisabeth - Tochter von Benjamin Gottlob Hoffmann und Ehefrau von Franz August Gottlob Campe, beide Verleger und Buchhändler.
    Elisabeth Campes eigenständige Bedeutung für die Verlagsgeschichte aber liegt auf einem anderen Gebiet, auf dem der Autorschaft. Mit ihren Briefen aus der Zeit der zweiten Besetzung Hamburgs durch die Franzosen wollte nach deren Abzug der Verlag ihres Mannes, der damals noch nicht mit dem ihres Vaters zusammengelegt war, seine Arbeit wieder aufnehmen. Die Briefe waren eigentlich für Johann Nicolas Böhl von Faber bestimmt gewesen, der sich wieder findet in der Figur des Johannes in Joachim Heinrich Campes berühmtem Roman "Robinson der Jüngere". Der erfolgreiche Kaufmann, Liebhaber und Kenner spanischer Poesie und mittelhochdeutscher Literatur, Herausgeber einer Liedersammlung aus des "Knaben Wunderhorn" hatte Hamburg kurz nach dem Einzug der russischen Befreier verlassen müssen, um beim Rückmarsch der Franzosen aus Pommern auf seinem Gut Görslow in Mecklenburg anwesend zu sein. Elisabeth Campe hatte dem Freund beim Abschied versprochen, ihn über die Veränderungen nach der Befreiung von den Franzosen auf dem Laufenden zu halten. Doch noch ehe sie den ersten Brief abgeschickt hatte, waren die Franzosen wieder in der Stadt. Sie berichtete von allen großen und kleinen Vorfällen, wusste die Briefe aber nicht zuzusenden, weil der Freund sein Gut verlassen hatte und nach Spanien zurückgegangen war. Eben diese Briefe wurden auf inständiges Bitten und Drängen von Vater und Ehemann im Juli 1814 unter dem Titel "Darstellung von Hamburgs außerordentlichen Begebenheiten in den Jahren 1813 und 1814" anonym veröffentlicht. Elisabeth Campe hatte erst nach langem Zögern und nur unter der Einschränkung zugestimmt, dass ihr Name nicht genannt werde. Inwieweit bei dieser Bedingung auch anerzogene Zurückhaltung mitspielte, da es für Frauen als unschicklich galt, an die Öffentlichkeit zu treten, und Schriften von Frauen allein aufgrund der Tatsache, dass sie von Frauen geschrieben waren, zumeist herablassend und unsachlich rezensiert wurden, mag dahingestellt sein. Fest steht, dass die geistreiche und lebendige Elisabeth Campe von großer persönlicher Bescheidenheit war.
    Geboren wurde sie am 12.Juni 1786. Ihre Mutter war eine geborene Ruperti. Die Eltern ließen ihrer ältesten Tochter, die ihnen als einziges von drei Kindern erhalten blieb, eine gründliche Erziehung angedeihen. Elisabeth Campe besuchte die französische Schule bei Madame Mollinier, bewegte sich bald mit großer Selbstverständlichkeit in den ersten Hamburger Kreisen, die in ihrem Elternhaus verkehrten, und begleitete die Eltern auf ihren Reisen. Besonders liebte sie die Fahrten zur Leipziger Messe, wo sie Gelegenheit hatte, Menschen kennen zu lernen und Freundschaften zu schließen. Am 6. Dezember 1806 heiratete sie den Verleger und Buchhändler Franz August Gottlob Campe, der im Jahre 1800 aus Braunschweig nach Hamburg gekommen war und hier eine Buchhandelung eröffnet hatte. Der Anfang war ihm dadurch erleichtert worden, dass er von den Hamburger Freunden seines Onkels Joachim Heinrich Campe, in dessen Schulbuchhandlung er in Braunschweig gelernt hatte, - Klopstock, Reimarus, Sieveking und Hoffmann -, freundlich aufgenommen wurde. Von der Heirat schreibt Elisabeth Campe in ihrem Nekrolog auf ihren Mann: "Seine Ansprüche waren immer nur auf ein bescheidenes Lebensglück gerichtet und hierin fand er die vollste Übereinstimmung der Gesinnungen, als er im J. 1806 die einzige Tochter seines älteren Collegen B. G. Hoffmann zur Lebensgefährtin wählte." 2) Was sie unter einem "bescheidenen Lebensglück" verstand, zeigt eine Art Vermächtnis, das sie im März 1840 für Elise Friederike Reclam schrieb. Das Ehepaar Campe, das selbst kinderlos blieb, hatte die siebenjährige Nichte Elisabeth im Herbst 1818 als Pflegekind bei sich aufgenommen: "Erhalte Dein Herz weich", heißt es da, "freundlich und liebevoll gegen alle Menschen, dann stehst Du nie allein; der Beruf Andere zu beglücken ist an keinen Stand, an kein Verhältnis gebunden, Gottes Reich ist überall, und die Liebe macht alles gleich! Sieh nicht auf das Aeußere. Du findest Menschen in den beschränktesten Lebensverhältnissen, deren innerer Reichtum bei weitem den Glanz dieser Welt überragt. Ist aber Dein geistiges Leben dem Himmel, wie der Erde zugewandt, so wird es Dir immer leichter werden in Anderen das Gleiche zu erkennen; da nur schließe Dich an, ohne jedoch zu vergessen, dass es auch Pflicht und Beruf ist, Gottes Reich zu fördern, und die Segnungen, die es uns gebracht, in froher Verkündigung denen mitzutheilen, welchen Morgenröthe noch nicht erschienen ist! … Du kennst die Nachtheile des Alleinlebens; davor sei ernstlich gewarnt. Unabhängigkeit und Freiheit sind Hirngespinste; Niemand ist unabhängig und frei zu nennen, als wer alles Ernstes Herr seiner Fehler und Leidenschaft geworden; nach dieser Freiheit des Geistes dürfen wir allein ringen. Kannst Du Dich hier, in Deiner zweiten Vaterstadt, guten Menschen anschließen, Dir mit den Mitteln, die Gott Dir gegeben, eine zweckmäßige Thätigkeit schaffen, ohne der Eitelkeit nach Außen Raum zu geben, so bleibe in Gottes Namen hier und erhalte das Andenken beider würdigen Männer, Deines und meines Vaters, deren Thätigkeit Du diese Mittel dankst, bei den Zeitgenossen im Segen! - Gutes wirken kannst Du allenthalben; fühlst Du Dich in Braunschweig oder Leipzig glücklicher, heimischer, zufriedener, so folgt Dir unser Segen allenthalben, wohin Du dich wendest! - " 1) .
    Ein Leben in und für die Gemeinschaft Gleichgesinnter also, wie sie selbst es führte als Mittelpunkt eines großen literarisch interessierten Freundeskreises. Zu ihm gehörten neben Böhl von Faber, dem Adressaten ihrer Briefe aus der Franzosenzeit, der Biograph des Schauspieldirektors Friedrich Ludwig Schröder, Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer aus Bramstedt, und der Dichter Johann Diederich Gries, der vor allem als Übersetzer von Tasso und Calderon bekannt geworden ist. Ihnen allen sollte Elisabeth Campe ein schriftliches Denkmal setzen, und der Beweggrund war immer derselbe: die Freunde in ihrer wahren Persönlichkeit darzustellen und sie vor dem Vergessenwerden zu bewahren.
    Nach dem Tod von Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer verfasste Elisabeth Campe für seine Erben, die von ihrem Gönner kaum etwas wussten, einen "Abriß seines Lebens". Später ergänzte sie ihn durch eine Auswahl von Briefen - von Bürger, Forster, Göckingh, Gotter, Herder, Heyne, Schröder u.a. - und versah sie mit einleitenden Bemerkungen. So entstand ein zweibändiges Werk. Professor Wurm charakterisierte die Lebensskizze im Vorwort als "… einer leichten Federzeichnung zu vergleichen, die in unscheinbaren Umrissen die ganze Persönlichkeit zusammensetzt, und keinen andern Anspruch macht, als dem Leser das Interesse abzugewinnen, von dem Manne, den sie bezeichnet, mehr zu erfahren." 3)
    Das "Leben von Johann Diedrich Gries" wurde nur als Handschrift gedruckt. Es entstand vor dem Hintergrund, dass der Dichter Gries durch seine lange Abwesenheit aus Hamburg der jüngeren Generation kaum bekannt war, und, als er schließlich als schwerkranker Mann 1837 nach Hamburg zurückkehrte, sich auch nicht mehr ins rechte Licht setzen konnte. Das tat Elisabeth Campe so weh, dass sie seine Lebensgeschichte aufschrieb und eine Reihe von Briefen berühmter Männer an Gries hinzufügte.
    Auch das dritte Portrait wurde nur als Handschrift gedruckt. Als im Jahr 1850 der Verein für Hamburgische Geschichte beschloss, ein Lexikon Hamburgischer Schriftsteller herauszugeben, machte Elisabeth Campe auf Böhl von Faber aufmerksam, der 1813 zuletzt in Hamburg gewesen und fast vergessen war. Ihr Artikel für das Lexikon wurde aber so lang, dass er zwar benutzt wurde, in vollem Umfang aber in den "kritischen und litterarischen Blättern" der Börsenhalle erschien. Varnhagen von Enses Interesse an Böhl von Faber ermunterte sie, die Skizze weiter auszuführen, und so entstand1858 ihre letzte Abhandlung, bei der sie nicht mehr auf Wahrung des Incognito bestand.
    Neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit, die eng mit der Realität verknüpft war, Begebenheiten und Menschen ihrer Umgebung zum Gegenstand hatte, griff Elisabeth Campe auch unmittelbar ins Tagesgeschehen ein. Als 1813 die Bürgergarde gegründet worden war, weil man eine Rückkehr der eben abgezogenen Franzosen fürchtete, und ihr Mann sich sofort als Freiwilliger meldete, tat Elisabeth Campe sich mit Freundinnen zusammen, und gemeinsam stickten sie eine Fahne, die nach Übergabe an die Bürgergarde unter Anwesenheit der Frauen in der Michaeliskirche geweiht wurde. Zudem gründeten die Frauen einen Verein, der sich zur Aufgabe machte, die kämpfenden Männer zu unterstützen. Als dazu keine Notwendigkeit mehr bestand, löste sich der Verein nicht auf, sondern die Frauen errichteten eine Schule für die Ausbildung armer Mädchen zu Dienstboten, in der Elisabeth Campe als Pflegerin tätig war und unterrichtete.
    Auch im Alter blieb Elisabeth Campe voller Schaffenskraft. Als sie 74jährig vollständig erblindete - die Sehkraft des einen Auges hatte sie schon früher verloren -, suchte sie sich durch Stickereien für Hilfsbedürftige und die innere Mission zu beschäftigen. "Welch' ein Segen für mein Geschlecht ist doch die Handarbeit", 1) pflegte sie zu sagen. Sie, die sich so gerne schriftlich mitteilte, ersann auch bald eine eigene Vorrichtung, um ihre Gedanken aufschreiben zu können. Aber auch an persönlichem Kontakt fehlte es ihr nicht, obwohl sie keine nahen Angehörigen mehr hatte; ihr Mann, August Campe, war bereits 1836 verstorben, die Nichte Elise Reclam 1861.
    Pastor C. Mönckeberg rühmt die alte Elisabeth Campe: "Es war auch ein Genuß, mit der edlen Frau sich zu unterhalten. Die Anmuth ihrer Erscheinung, die gewinnende Freundlichkeit, mit der sie Jedem entgegentrat, ihre feine, gebildete, ohne Ziererei doch immer das rechte Wort findende Sprache, die von Wahrheit durchdrungene Ausdrucksweise, ihre leichte und doch so gehaltvolle Art der Unterhaltung, die Fähigkeit zu erzählen, die sie auf liebliche Art besaß, mit lebendiger Erinnerung vergangener Stunden und frischer Darstellung des vor langer Zeit Erlebten, dabei die Leichtigkeit und Klarheit in Auffassung neuer Erscheinungen, das bestimmte, gesunde und doch so milde Urtheil, - Alles vereinte sich, die Stunden bei ihr schnell vergehen zu lassen, wenn sie sich nur erträglich wohl fand. Rührend war es aber auch, wenn sie ihres Schmerzes nicht Herr werden konnte und die aufsteigenden unzufriedenen Gedanken nicht ganz zu unterdrücken vermochte; da kämpfte sie mit Anstrengung, ohne eine Spur von Bitterkeit kund zu geben. Ihr festes Gottvertrauen läuterte ihre Seele immer mehr und mehr; und immer mehr zog sie sich in ihren Gott zurück." 1)
    Es entspricht ganz ihrem Wesen, wenn Elisabeth Campe bestimmte, dass sie so einfach wie möglich begraben werde und das dadurch ersparte Geld dem Turmbau der Nicolaikirche zukomme. Ihren Freunden und Bekannten hinterließ sie folgende Lebensbilanz: "Unser Leben währet 70 Jahre und, wenn es hoch kommt, so sind es 80, und wenn es köstlich gewesen ist, so ist es doch Mühe und Arbeit! Die Wahrheit dieses Wortes habe ich an mir selber erfahren. Denn wohl kann ich mein langes Leben als köstlich bezeichnen, und zwar durch die Gnade des Herrn, der mich in Verbindung mit so vielen vorzüglichen und edlen Menschen gebracht, deren Einfluß auf mich ich mir noch jetzt bewußt bin. Doch gab es auch viel Mühe und Arbeit, sowohl in den Irrgärten des Lebens, als auch im Kampfe mit bösen Neigungen, Selbstliebe und Eitelkeit, die dem reinsten Streben nur zu oft störend und hinderlich entgegentraten. Viele meiner liebsten Freunde und Zeitgenossen sind bereits heimgegangen, und da mir Gott auch alle meine nächsten Angehörigen nahm, darf ich wohl fragen: Hüter, ist die Nacht bald hin? Aber nah und fern sind mir noch so viele liebe Freunde, Verwandte und Bekannte geblieben, die sich mir in meinen letzten dunkeln Lebenstagen so freundlich, hülf- und trostreich erwiesen haben, daß ich allen, allen - wenn ich an meine Scheidestunde denke, - ein dankbares Lebewohl zurufen muß! Möge Gott sie dafür segnen, im Alter in ihren Kindern, und das jüngere Geschlecht behüten und bewahren! - Und nun noch eine letzte Bitte, - ist sie vielleicht auch kleinlich und bezeichnend im Festhalten am Irdischen, -:so erfüllt sie! Verschmähet nicht ein Andenken von mir; wählet aus meinem bescheidenen Nachlaß irgend eine Kleinigkeit, die dann zuweilen mein Gedächtnis in euch zurückrufen könnte! Mag dann der Gedanke laut werden: Sie war nicht frei von Fehlern, doch falsch und treulos war sie nicht! - Nun mein letztes Lebewohl bis zum Wiedersehen dort Oben, wo der Erlöser alle, die ihn lieben, um sich vereiniget!" 1)
    Text: Brita Reimers
    Quellen:
    1) C. Mönckeberg: Frau Elisabeth Campe, geb. Hoffmann. Hamburg 1874.
    2) Elise Campe: Franz August Gottlob Campe, in: Neuer Nekrolog der Deutschen. Teil 2. Jg. 14. 1836. Weimar 1838.
    3) Zur Erinnerung an F. L. W. Meyer, den Biographen Schröder's, 2 Theile. Braunschweig 1847.

    Marta Damkowski

    Bürgerschaftsabgeordnete (SPD), Widerstandskämpferin gegen das NS-Regime

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    16.3.1911
    Stade
    -
    11.8.1982
    Hamburg
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    Ohlsdorfer Friedhof, Geschwister-Scholl-Stiftung, Grab Nr. 73, 342
    Marta-Damkowski-Kehre, Bergedorf, seit 1986, benannt nach Marta Damkowski
    Marta Damkowski entstammte einer sozialdemokratischen Arbeiterfamilie. Im Alter von zwölf Jahren trat sie den "Kinderfreunden" bei, später wurde sie Mitglied der Sozialistischen Arbeiter Jugend (SAJ) und trat mit etwa siebzehn Jahren (1928) dort wieder aus, weil sie sich an der Belegung der Kredite für den Panzerkreuzer A (später "Deutschland" genannt) nicht beteiligen wollte. Als Folge einer früheren Begegnung mit dem sozialistischen Philosophen Leonhard Nelson trat sie 1925 dem Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK) bei, der die "Anpassungspolitik" der SPD ablehnte. Von 1929 bis 1932 war Marta Damkowski Hörerin an der Philosophisch-Politischen Akademie des ISK in Melsungen. Ab 1933 steuerte der ISK seine Arbeit zunächst vom Ausland aus. Marta blieb in Deutschland und arbeitete in der Illegalität.
    Sie musste in diesen Jahren viel reisen und innerhalb Deutschlands oft umziehen - von einer illegalen Anlaufstelle zur nächsten.
    Damit ihre Arbeit nicht aufflog, musste sie der Gestapo jeden politischen Freund als ihren neuesten Liebhaber ausgeben. Deshalb galt sie dort als Hure und wurde später während ihrer Haftzeit oft unflätig beschimpft.
    1937/38 initiierten die Nationalsozialisten eine große Verhaftungswelle. Trotz einer verschlüsselten Warnung konnte Marta Damkowski, die sich damals in Bremen aufhielt, nicht mehr rechtzeitig fliehen. Sie, ihr Bruder und auch ihr späterer Mann - beide Männer gehörten der SAJ an - wurden verhaftet. Der Volksgerichtshof verurteilte Marta Damkowski 1938 zu einer einjährigen Gefängnisstrafe wegen "Vorbereitung zum Hochverrat". Da sie keine Aussagen machte, wurde sie wochenlang in Dunkelhaft gehalten. 1940, gleich nachdem Marta Damkowski und ihr Freund aus der Haft entlassen worden waren, heirateten sie. 1941 kam ihr Sohn zur Welt. Ihr Mann wurde 1944 als Soldat getötet. Nach Kriegsende trat Marta Damkowski der SPD bei. Von 1946 bis 1949 arbeitete sie als Frauensekretärin der Hamburger Landesorganisation der SPD. Später war sie als Verwaltungsangestellte der Gefängnisbehörde tätig und leitete bis 1958 die Frauenstrafanstalt Hamburg. Sie war auch wesentlich am Aufbau von "pro familia" und dem Referat "Familienförderung" in der Sozialbehörde beteiligt und arbeitete in der Arbeitsgemeinschaft Hamburger Frauenorganisationen mit. Von November 1946 bis Oktober 1953 gehörte sie der Hamburgischen Bürgerschaft an und setzte sich dort immer wieder für eine grundlegende Reform des Paragraphen 218 ein. Auch stritt sie im Nachkriegsparlament für eine bessere Nahrungszuteilung für Säuglinge. Neben ihrer parlamentarischen Arbeit war Marta Damkowski in der Zeit von 1947 bis 1953 Mitglied im Bundesfrauenausschuss, im Parteirat der SPD und arbeitete mit am Godesberger Programm (Frau und Familie). Noch im Alter war Marta Damkowski im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen Altona, im Distriksvorstand Sülldorf-Rissen und im Landesverband der Arbeiterwohlfahrt Hamburg tätig.
    Text: Rita Bake
    Quellen:
    Frauen im Faschismus. Frauen im Widerstand, Hamburger Sozialdemokratinnen berichten. Hrsg. von der AsF Hamburg o. J.

    Sophie Dethleffs

    Niederdeutsche Dichterin/Schriftstellerin

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    10.2.1809
    Heide
    -
    13.3.1864
    Hamburg
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    Ohlsdorfer Friedhof, Althamburgischer Gedächtnisfriedhof, Grabplatte "Dichter und Schriftsteller" Dethlefstwiete, Bergedorf/Lohbrügge, seit 1948, benannt nach Sophie Auguste Dethlefs "Der Ruhm der ersten plattdeutschen Dichterin von Bedeutung gebührt Sophie Dethlefs", schrieb Albrecht Janssen am 7. Oktober 1925 in seinem Artikel "Plattdeutsche Dichterinnen" im "Hamburger Fremdenblatt", und Klaus Groth, der neben Fritz Reuter und John Brinckmann als Begründer der neuniederdeutschen Lyrik gilt, sah in Sophie Dethlefs seine bedeutendste Wegbereiterin. Nicht nur, weil die begeisterte Aufnahme ihres Gedichtes "De Fahrt na de Isenbahn" ihn darin bestärkte, dass die plattdeutsche Sprache doch noch nicht vergessen und die Tradition der plattdeutschen Dichtung wieder zu beleben war, sondern besonders deshalb, weil Sophie Dethlefs einen anderen Ton anschlug als die Kollegen, die sich nur über die Dummheit der Bauern lustig machten: "... dar weer wat Smucks in dat Gedicht, de Welt, de se beschreev, weer doch lebenswert." 2) Einen tiefer gehenden Einfluss auf sein eigenes Schaffen weist er jedoch zurück: Als Sophie Dethlefs erster Gedichtband erschien, sei sein zwei Jahre später veröffentlichter "Quickborn", mit dem er seinen Ruhm als neuniederdeutscher Dichter begründete, schon sehr weit fortgeschritten gewesen, schreibt er in seinem Aufsatz "Sophie Dethlefs un ik". Was aus der Distanz so sachlich vorgetragen ist, hat zur Zeit des Erscheinens des "Quickborn" eine ganz andere Heftigkeit. In einem Brief an E. F. Chr. Griebel heißt es: "Schon öfter habe ich den Vergleich mit der Dethlefs ertragen müssen. Ich will aber mein Buch sogleich verbrennen, wenn ich mit ihr auf gleicher Linie stehe. Ihre Sachen sind durchaus Dilettantenarbeit. Sie hat keinen Vers mit Kunstbewußtsein geschrieben. Plattdeutsch versteht sie nicht; einige läppische Worte wie Petzen und Detzen sind noch kein Plattdeutsch. Ihre ‚Fahrt na de Isenbahn' empört mich. Harms sagt mit Recht davon, daß sie eigentlich etwas auf die Finger haben müßte, weil sie das Volk so erbärmlich ansehe, so erbärmlich zeichne. Denn das ist eben der Grundmangel: Achtung vor dem Volke! Und darum kann sie keine feste Konzeption fassen und harmonisch, ohne Abschweifung, zu Ende führen. Ich verlange natürlich nicht, daß sie gegen die Dethleffs polemisieren sollen. Allein ich könnte es nicht ertragen, wenn meine Arbeit als Dilettantenwerk dargestellt würde." 3) Sophie Dethlefs teilte den Ehrgeiz und das Konkurrenzdenken Klaus Groths in keiner Weise. Nach der Lektüre des "Quickborn" schickte sie ihm ein rührendes Widmungsgedicht. Sophie Dethlefs wurde am 10. Februar 1809 in Heide geboren, wo auch der um zehn Jahre jüngere Klaus Groth aufwuchs. Trotz der Gemeinsamkeiten kam es nie zu einer ernsthaften Annäherung zwischen den beiden. Sophie Dethlefs und Klaus Groth sprachen in Heide nur ein einziges Mal miteinander, etwa im Jahre 1845 auf einem Polterabend, auf dem sie plattdeutsche und er hochdeutsche Gedichte vortrug. Dieses Ausbleiben eines näheren Kontaktes war wohl nicht nur im Altersunterschied begründet, sondern vor allem in einem Standesunterschied, denn Sophie Dethlefs gehörte den so genannten besseren Kreisen an. Sophie war die Tochter des Branddirektors Dethlefs. Die Mutter starb bei ihrer Geburt. Der Vater engagierte eine Haushälterin und lebte mit seinen drei Töchtern und dem Sohn sehr zurückgezogen in einem schönen Haus mit großem Garten. Nur manchmal gingen die Schwestern auf dem Dorfplatz spazieren. Klaus Groth erinnert sich: "Oewer den groten Plaats voer min Vaderhus in de Heid spazeern mitto gegen Abend, wen't warm un still Wedder weer, twee öllerhafte Mädens, ‚Mamselln' war wul seggt, denn se hören nich recht to de Handwarkers, Arbeiders, lütt Hüerslüd un wat dar sunst um den Lüttenheid, as de grot Gemeenplaats het, wahn (...). Wenn de beiden Mamselln achter rutgungn, so blev en lütten oln Mann torügg un mak de Port wedder to." 2) Noch deutlicher wird der Abstand, den Klaus Groth empfindet, wenn er lapidar formuliert: "Dat awer Glück un Freden dar ok nich blot regeer, dat keem mi al glik to Ohrn, as man mit Schrecken vertell, Branddirektor Dethlefs weer afsett. Sin Kaß weer in Unordnung, sin lütt Gehalt harr nich reckt voer de Familje. Hus un Garn warn verkofft. Wat war ut de armen Lüd? Se verswunn voer uns Börgerslüd, dat weer allns." 2) Das war im Jahre 1835, Sophie war 26 Jahre alt. Nach der Entlassung ging der Vater zu seinem Sohn, der Kirchspielvogt in Delve war. Sophie musste alleine zurechtkommen. Dazu kam noch das Unglück einer unerfüllten Liebe. Eine höhere Schul- oder gar eine Ausbildung hat sie vermutlich nie genossen. Den Mädchen wurde laut Heider Schulordnung eine "zweckmäßige Ausbildung für das häusliche Leben" zuteil. Sophie fand eine Stellung im Haus des Justizrats Paulsen. Das Ehepaar Paulsen war kinderlos, und da Frau Paulsen ebenso gerne las wie Sophie Dethlefs, freundeten die beiden sich an. Sie "weer mehr er Fründin as er Herrschaft". 2) Sophie Dethlefs machte Gelegenheitsgedichte, "oft drullig un nich ahn en beten dristen Humor". 2) Wenn es in Heide ein Fest gab, holte man sie. Sie trug Widmungsgedichte vor und gestaltete die Auftritte der Gratulanten zu kleinen Theaterrollen, indem sie veranlasste, sich als Zigeuner, Fischersfrau u. ä. zu verkleiden. Manchmal entwarf sie ganze Szenarien. Für einen Polterabend ließ sie in einem Lokal einen ganzen Jahrmarkt aufbauen. Mit ihrem Gedicht "De Fahrt na de Isenbahn" wurde sie, für sie selbst offenbar ganz überraschend, mit einem Schlag in ganz Schleswig-Holstein bekannt. Das Gedicht ging von Mund zu Mund und von Hand zu Hand, bevor es in Karl Biernatzkis "Volksbuch auf das Jahr 1850 für Schleswig, Holstein und Lauenburg", in dem Theodor Storms (siehe: Theodor-Storm-Straße, in Bd. 3 online) "Immensee" zu finden war, zum ersten Mal gedruckt wurde. Damit war ihr der Schritt von der dilettierenden Verseschmiede in die literarische Öffentlichkeit gelungen. Durch den Zuspruch von Freunden ermuntert, ließ sie im selben Jahr den Band "Gedichte" drucken. Die erste Auflage war so schnell vergriffen, dass schon 1851 die zweite erschien und 1857 eine dritte. Die vierte erweiterte Auflage (1861) trug den Titel "Gedichte in hochdeutscher und plattdeutscher Mundart". Die Gedichtbände enthalten neben der "Fahrt na de Isenbahn" weitere epische Gedichte, die auch von den Menschen ihrer Heimat erzählen, lyrische Klagen über das erfahrene Liebesleid und patriotische Gedichte, die Sophie Dethlefs 1848 während des Krieges zwischen Schleswig-Holstein und Dänemark verfasst hatte. Die fünfte, mit einem Vorwort und einem Lebensabriss versehene Auflage gab Klaus Groth im Jahre 1878 heraus. Nun, nachdem er seines eigenen Ruhmes längst sicher war, konnte er entspannt mit dem Werk Sophie Dethlefs umgehen. Im Vorwort nannte er "De Fahrt an de Isenbahn" ihr Hauptwerk, mit dem sie ihren Ruf begründet habe: "Das Idyll erwarb sich allein durch seinen inneren Wert seine zahlreichen Freunde und der Verfasserin einen Namen, der nicht ausgelöscht werden kann, so lange eine plattdeutsche Literatur und Sprache bestehen." 3) Der Herausgeber des 1989 erschienenen Bandes "Sophie Dethleffs Gedichte", Michael Töteberg, beurteilt ihr Werk folgendermaßen: "Mit Kunstbewußtsein hat Sophie Dethleffs keinen Vers geschrieben. Sie war eine naive Poetin. Doch finden sich in ihrem Gedichtband nicht bloß Juxgedichte für Polterabend, Taufe und Konfirmation. Die ernsten und wehmütigen Töne sind unüberhörbar; häufig wiederkehrende Motive sind soziale Not und unerfüllte Liebe - Weiberthemen nach damaligem Verständnis. Das Stichwort Frauenlyrik ist bereits gefallen, es hat einen abfälligen Beiklang. Mit männlicher Arroganz wurde den in den Gedichten zum Ausdruck kommenden Empfindungen und Gefühlen höherer Wert abgesprochen. Sophie Dethleffs war privates Glück versagt geblieben; in ihren Versen flüchtete sie oft ins Sentiment oder setzte als Schlußmoralität christliches Gottvertrauen. Gewiß ist manches, was sie zu Papier brachte, lediglich konventionelle Erbauungsliteratur, wirkt weder originell noch sonderlich inspiriert. Sie konnte eine alte Tasse, ein ausgedientes Kleid oder das erste Stiefmütterchen andichten; es gibt unfreiwillig komische Wendungen, so daß man manchmal denkt, hier sei eine plattdeutsche Friederike Kempner am Wirken. Und doch ist es ihr gelungen, in schwermütigen Versen individuelles Schicksal zu artikulieren. Ein unruhiges Herz, einsam und traurig, spricht sich hier aus." 3) Zu dem privaten Elend kam die Bedrängnis durch den Krieg gegen Dänemark. Auch wenn Sophie Dethlefs' patriotische Gedichte häufig recht plakativ sind, ist ihr politisches Engagement doch bemerkenswert, zumal sich die allgemeine Begeisterung für die Befreiungskriege in Dithmarschen sich in Grenzen hielt. Nach dem Tode des Justizrats Paulsen im Jahre 1849 wurden Sophie Dethlefs' Lebensverhältnisse immer drückender. Pastor Rehhoff von der Hamburger Michaeliskirche nahm sich ihrer an und brachte sie 1853 zusammen mit ihrer blinden Schwester Annette Dorothea im neu eröffneten Schröder-Stift in Hamburg unter (siehe: Schröderstiftstraße, in Bd. 3 online), das sein Erbauer, der Kaufmann und Freiherr Schröder, ausdrücklich für "Hilfsbedürftige aus besseren Ständen" bestimmt hatte. Die Wohnung war mietfrei, und jeder Bewohner erhielt 120 Mark im Jahr für den Lebensunterhalt. Klaus Groth hat Sophie Dethlefs 1857 dort besucht: "Ik söch er in Hamborg int Schröderstift op, wo se ja wenigstens mit er Swester Opnahm un Pfleg funn harr. Dat harrn er Gedichte makt. Awer trurig, möd in sik, eensam, as man seggt, dalknickt, seet se dar mit er blinde Swester. Klag' weer de Anfang. Klag' weer allns, wat ik to hörn kreeg. All min Trost weer as Waterdrippens op en hitten Stehn. Wer will er't oewelnehm? Wo weer de Welt, wo wi na opkeken harrn as na en Märkenwelt, wo se in levt harr? Kaspelvagt, Landvagt, Landschriwer, Pennmeister, - wo weern se?" 2) In seiner Bitterkeit gegenüber den sogenannten Honorationskreisen übersieht Klaus Groth ganz offenbar, dass die Lebensverhältnisse der Sophie Dethlefs niemals märchenhafte Züge getragen hatten. Es ist geradezu folgerichtig, wenn dieses einsame und dürftige Leben in der anonymen Großstadt unter fremden Menschen endete. "Vor nur wenigen Wochen ist eine Holsteinische Dichterin, Sophie Dethlefs, verschieden, und unsere Tagesblätter sind mit zwei Zeilen flüchtig darüber hingegangen", schrieben die Itzehoer Nachrichten am 4. April 1864. Sophie Dethlefs wurde auf dem Friedhof St. Katharinen beigesetzt. Text: Brita Reimers Quellen: 1) Die Schreibweise des Namens ist unterschiedlich. In einem in der Handschriftenabteilung der Staats- und Universitätsbibliothek aufbewahrten Brief unterschreibt sie selbst mit ff. 2) Klaus Groth: Sophie Dethlefs un ik, in: Sämtliche Werke. Hrsg. von Ivo Braak und Richard Mehlem. Bd. 4. Heide/Holstein 1981. 3) Zitiert nach: Sophie Dethleffs Gedichte. Hrsg. von Michael Töteberg. Heide/Holstein 1989. (Der Band enthält ein Werkverzeichnis.)

    Klara Dworznik

    geb. Metzler

    kommunistische Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus

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    24. 12.1910
    -
    4.7.1991
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    Grablage Ohlsdorfer Friedhof: Geschwister-Scholl-Stiftung, Bn 73, 378
    Die Weißnäherin Klara Metzler kam durch den kommunistischen Arbeiter Hugo Dworznik, den sie um 1930 kennengelernt hatte und der in der Hamburger Neustadt lebte zur KPD, der sie 1929 beitrat.1930 wurde sie Mitglied des KJVD. Auch war sie Mitglied der Roten Hilfe. 1932 wurde sie zum ersten Mal angeklagt und 1933 wegen illegaler Arbeit in der KPD verhaftet und zu fünf Monaten Haft verurteilt. Während der Haft heiratete sie 1933 Hugo Dworznik, der ebenfalls in Haft saß und gebar im Untersuchungsgefängnis den gemeinsamen Sohn Rolf. Ein Jahr später wurde Klara Dworznik amnestiert.
    In der Zeit des Nationalsozialismus war sie in der Widerstandsgruppe "Bästlein-Jacob-Abshagen" aktiv. Nachdem 1942 ca. 200 Mitglieder der Widerstandsgruppe festgenommen worden waren und viele von ihnen nach einem Bombenangriff im Herbst 1942 befristeten Hafturlaub bekommen hatten, weil ihren Zellen zerstört waren, versuchten einige von ihnen unterzutauchen, um sich somit einer erneuten Haft zu entziehen. Klara Dworznik nahm Elisabeth Bruhn und Adolf Schröder (SPd) bei sich auf. Doch die Gestapo erfuhr durch Verrat von diesem Versteck. Am 3. 2. 1944 wurden Elisabeth Bruhn, Klara Dworznik und Adolf Schröder verhaftet. Klara Dworznik kam ins KZ Fuhlsbüttel. Dort wurde sie am 5. Mai 1945 durch die Engländer befreit.
    Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus war sie weiterhin in der KPD aktiv sowie in der VVN Hamburg-Eimsbüttel.
    Quelle:
    Ursel Hochmuth: Niemand und nichts wird vergessen. Biogramme und Briefe Hamburger Widerstandskämpfer 1933-1945. Eine Ehrenhain-Dokumentation, hrsg. von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten e.V. Land Hamburg, Hamburg 2005.

Frauen auf der Erinnerungssäule

    Ayong Colberg

    geb. Anne Marie Heitmann

    Friedensaktivistin, Vorsitzende der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit Hamburg

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    23.8.1911
    Yokohama

    4.9.1996
    Hamburg
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    Elmweg 10 (Wohnadresse)
    Ayong Colberg, mit dem Geburtsnamen Anne Marie Heitmann geboren am 23.8.1911 in Yokohama (Japan), war die Tochter einer Japanerin, die den holländischen Wissenschaftler Dr. J. C. Geerts (1843-1883) zum Großvater hatte. Dr. Geerts leitete in Yokohama und Tokio ein medizinisches Forschungsprojekt über eine in Japan verbreitete Augenkrankheit und entwickelte für den japanischen Kaiserhof ein Medikament gegen dieses Leiden. Er gründete in Tokio das Hygiene-Institut und trat entschieden für eine Gesundheitsreform ein, die der Allgemeinheit zugutekommen sollte. Ayongs Mutter Jakoba Geerts, die zum Schintoismus neigte, war in Yokohama mit dem Hamburger Kaufmann und Freimaurer Carl Heitmann (1874-1927) verheiratet. Das Paar lebte wohlhabend auf dem "Ausländerhügel" Yokohamas, mit Hausangestellten und eigener Parkanlage. Aus der Ehe gingen zwei Töchter hervor, so auch die 1911 geborene Anne Marie Heitmann, später Ayong genannt. Da das deutsche Kaiserreich sich vor dem Ersten Weltkrieg mit den Gegnern Japans verbündet hatte, verließ Carl Heitmann bereits 1913 eilig das Japanische Kaiserreich. Seine in Japan verbliebene Familie wurde interniert, konnte ihm aber 1920 auf einer abenteuerlichen Überfahrt nach Hamburg folgen, bei der das teure japanische Familienporzellan in Scherben ging. In Hamburg angelangt, wurde Jakoba, Carls asiatisch aussehende Ehefrau, mit den beiden Töchtern keineswegs mit offenen Armen empfangen. Die Eheleute hatten sich sieben Jahre lang nicht gesehen; sie sprach kaum Deutsch. Schuljungen warfen Steine hinter ihr her. Sie begann, die Öffentlichkeit zu meiden; eine alte Erkrankung sorgte für ihre Schwerhörigkeit. 1956 verstarb sie, unverstanden und einsam, schwer an Parkinson leidend, in einem Hamburger Alten- und Pflegeheim. Sie wurde auf dem Friedhof Ohlsdorf beigesetzt.
    1920, in der Zeit der Inflation, fehlte das Geld, um Ayongs Schwester Lieschen in einer höheren Schule unterzubringen; sie begann eine "bankkaufmännische Lehre" und arbeitete später in der Landeszentralbank am Rathausmarkt in Hamburg. Alleinlebend, hielt sie nicht nur die Kontakte zu den Schwestern der Mutter, sondern pflegte auch in Hamburg die Kultur ihrer Heimat, kochte und kleidete sich japanisch, besaß japanische Bildbände und Rollbilder und versuchte sich in der japanischen Zeichenschrift. Sie starb 1971.
    Ayong kam 1920 mit 9 Jahren auf die "Klosterschule", eine bekannte liberale Schule. Als der Vater 1927 Suizid beging, musste sie die Schule verlassen. Ayong erlernte den Beruf einer Buchhändlerin und bekam Arbeit in einer jüdischen Buchhandlung. Auch übernahm sie die Leitung einer privaten Leihbücherei. Ayong wusste nicht, auf welche Weise der jüdische Besitzer der Buchhandlung nach 1933 plötzlich verschwunden war. Als aber zeitgleich die Nationalsozialisten die Buchhandlung übernahmen, kündigte sie trotz der hohen Erwerbslosigkeit ihre Stellung. Ihr wurde ein Arbeitsplatz in der Kampnagel-Fabrik zugewiesen, die zu dieser Zeit bereits eine Munitionsfabrik war. Wegen ihrer offenen Meinungsäußerung gemaßregelt, kündigte sie wieder. Sie wurde arbeitslos.
    Sie lebte in Hamburgs Innenstadt in einer Wohngemeinschaft ("Gr. Bleichen" 22), wo in einem Freundeskreis von Gleichgesinnten sehr viel politisch diskutiert wurde. Als die Schwester des verstorbenen Vaters, Tante Clara, sie einmal unverhofft besuchte und entsetzt feststellen musste, dass ihre Nichte in einer Wohngemeinschaft lebte, wurde Ayong von ihr enterbt. In der WG wurde sie, wohl wegen ihrer japanischen Herkunft, "Ayong" gerufen. Diesen Rufnamen behielt sie bis zum Lebensende.
    An gesellschaftlichen Geschehnissen interessiert, begann sie, die "Weltbühne" zu lesen. Als sie zur Reichstagswahl im November 1932 erstmals wählen durfte, gab sie der KPD ihre Stimme. Sie sei gefühlsmäßig Antifaschistin gewesen, sagte sie später über diese Zeit. Am Widerstand gegen Hitler habe sie sich aber nicht direkt beteiligt. Seit 1932 hatte sie Kontakte zur Künstlerszene in Hamburg. Hier lernte sie 1938 den sozialdemokratischen Maler und Grafiker Willy Colberg kennen, der am Vortag der Pogromnacht zwangsweise in Hamburg eingetroffen war. In Palästina hatte er auf einer kleinen Bootswerft jüdische und arabische Jugendliche im Bootsbau ausgebildet, musste aber wegen der Gefahr, als Deutscher von der britischen Mandatsmacht interniert zu werden, fliehen und landete nun unfreiwillig wieder in seiner Heimatstadt Hamburg.
    1939 heirateten Willy und Ayong. Sie hatten am Hopfenmarkt, im obersten Stockwerk eines Hauses im Zentrum Hamburgs, eine Wohnung gefunden, in der Willy endlich auch wieder als Maler und Grafiker arbeiten konnte. Allerdings war diese Zeit für ihn begrenzt, denn er musste auf der Werft Bloom & Voss als technischer Zeichner arbeiten. 1940 kam die Tochter Antje zur Welt. In den Bombennächten des Kriegsjahres 1943, als Willy als Feuerwehrmann Dienst tun musste, durchlitt sie mit ihrer 3-jährigen Tochter die schlimmsten Stunden und Tage ihres Lebens. Die Wohnung brannte vollständig aus. Die dreiköpfige Familie flüchtete nach Süddeutschland, bis sie nach Hamburg zurückkehren durfte und in Rahlstedt unterkam (Kampstraße 9). Anfang 1944 wurde Willy zur Wehrmacht eingezogen. Gegen Ende des Jahres nahm sie Jens, den Verlobten einer Freundin, bei sich auf. Da dieser in der rassistischen NS-Ideologie als "Halbjude" galt, war er aufgefordert worden, sich auf einem Amt bei Ohlsdorf zu melden. Damit er sich dem entziehen konnte, versteckte Ayong ihn bei sich. Er lebte auf dem seitlichen Dachboden, der nur durch eine quadratmetergroße Luke zu erreichen war, vor die Ayong einen Schrank gestellt hatte. Auch wenn sie anonyme Briefe mit Lebensmittelkarten bekam, fiel es ihr nicht leicht, ihren Schützling Jens mit zu ernähren.
    Nach der Rückkehr von Willy im Jahr 1946 bekam die Familie 1947 eine Wohnung unweit der Elbe in Klein Flottbek zugewiesen (Quellental 8). Dort wurde die Tochter Antje eingeschult. Und Willy konnte sich ein Atelier einrichten. Ayong und Willy traten der KPD bei. Ayong wollte sich nun politisch engagieren.
    Die britische Besatzungsmacht erteilte die Erlaubnis, antifaschistische Frauenausschüsse zu gründen. Ayong baute den "Frauenausschuss Elbgemeinde" auf. Zunächst stand die karitative Arbeit im Vordergrund, denn viele Frauen waren Witwen geworden und hausten allein mit ihren Kindern in Kellern und Ruinen. Aus den Frauenausschüssen heraus gründete sich bald der "Demokratische Frauenbund Deutschlands" (DFD).
    Ayong lernte durch ihr Engagement Magda Hoppstock-Huth von der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF) kennen. Diese schätzte Ayongs Fähigkeiten bald so sehr, dass sie ihr in der Liga wichtige Aufgaben übertrug. 15 Jahre lang blieb Ayong Vorsitzende der Hamburger Ligagruppe (IFFF).
    Im August 1960, beim VI. Kongress gegen Krieg und Atom- und Wasserstoffbomben in Tokio, vertrat Ayong die deutsche Sektion der IFFF mit einer Rede. Sie wurde in Japan besonders herzlich empfangen, man fuhr sie nach Yokohama und nach Tokio zum Denkmal ihres Großvaters Dr. J. C. Geerts am Tokioter Hygieneinstitut.
    In den Jahrzehnten nach dem Krieg war Ayong unentwegt mit ihrer politischen und sozialen Arbeit im Frauenausschuss, im DFD und nach dem DFD-Verbot vor allem in der Liga (IFFF) beschäftigt. Oft ging sie schon sehr früh in das IFFF-Büro in der Schauenburgerstraße in Hamburgs Altstadt. Ihre Tochter, die sie manchmal dort besuchte, erinnert sich noch heute an diese Räume.

    Auch als Ayongs Ehemann schwer erkrankte und 1986 starb, blieb sie weiter aktiv. Sie zog in eine kleine 2-Zimmer-Wohnung in Hamburg-Horn (Von-Elm-Weg 10). Sie hatte, um später eine Rente in Anspruch nehmen zu können, von der sie auch leben und ihre Miete bezahlen konnte, eine Arbeit bei der Firma "Ihle" aufgenommen, die vorwiegend Ost-West-Handel betrieb.
    Auch wenn ihr Herz schwächelte und ihr das Gehen schwerfiel, engagierte sie sich weiter, zumal sie Auto fuhr und dadurch beweglicher war. Im Mai 1985, zum 70. Jahrestag der IFFF, verfasste Ayong den historischen Rückblick auf die IFFF-Geschichte und trug ihn zum Jubiläum vor. Die Liga hatte in jenen Jahren Zulauf von vielen jungen Mitgliedern, darunter Studentinnen, Schriftstellerinnen und Journalistinnen, auch aus evangelischen Kreisen. Ayong wollte da nicht zurückstehen. So besuchte sie in ihren letzten Lebensjahren an der Hamburger Universität Vorlesungen in Geschichte und Philosophie.
    Die Friedensaktivistin Ayong Colberg ist am 4. September 1996 in Hamburg verstorben. Sie wurde 85 Jahre alt. Ihre Tochter, die Künstlerin Antje Fretwurst-Colberg, lebt seit vielen Jahrzehnten in Mecklenburg-Vorpommern.
    Text: Antje Fretwurst-Colberg, Dändorf, November 2022

    Anna Margarete Marie "Liesel" Deidesheimer

    Kinderärztin

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    14.11.1905
    Neumünster

    25.4.1993
    Hamburg
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    Liesel Deidesheimer verstarb im Alter von 87 Jahren in Hamburg - nach einem Leben im Dienst ihrer Patientinnen und Patienten. Während der NS-Zeit soll sie sich geweigert haben, der NSDAP beizutreten. Die Folge war nach Angaben ihrer Tochter 1941 eine "Strafversetzung" nach Aussig an der Elbe, in die Provinz, um dort eine "Heilanstalt für lungenkranke Arbeitsmaiden" zu leiten. Als die Tochter schulpflichtig wurde, durfte die Ärztin mit ihr nach Hamburg zurückkehren. Hier kam sie ans Kinderkrankenhaus Rothenburgsort (KKR). Dort war von 1940 bis Kriegsende eine von mehr als 30 "Kinderfachabteilungen" des Dritten Reichs eingerichtet. Der überzeugte Nationalsozialist Dr. Wilhelm Bayer (1900 bis 1972) leitete das KKR quasi als Alleinherrscher, der keinen Widerspruch duldete. In der "Kinderfachabteilung" des KKR wurden Kinder mit Behinderung durch den "Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden" eingewiesen. Ziel war es, diese Kinder dort zu töten. Bayer ließ seine Assistenzärztinnen den Kindern eine Überdosis des Schlafmittels Luminal spritzen. Mindestens 56 Kinder, wahrscheinlich aber noch viel mehr, wurden im KKR so ermordet. Liesel Deidesheimer war eine von nur vier jungen Ärztinnen, die sich diesem Ansinnen verweigerten, während die übrigen meist ohne Skrupel die Todesspritzen verabreichten. Liesel Deidesheimer wuchs in einer wohlhabenden Fabrikantenfamilie in Neumünster aus. Als die Textilfabrik 1913 abbrannte, ging ihr Vater Alfred Hanssen mit seiner Familie nach Hamburg und baute dort einen Lebensmittel-Großhandel auf. Hamburg wurde für Liesel Deidesheimer zur Heimat. 1934 heiratete sie den aus Passau stammenden Chirurgen Hans Deidesheimer. Das Paar lernte sich während des Medizinstudiums in Marburg kennen, wo die junge Hamburgerin nur zwei Semester studierte, während sie ihr Hauptstudium in ihrer Heimatstadt absolvierte. Dr. Hans Deidesheimer machte sich als Chirurg und als Gynäkologe einen Namen. 1936 wurde die einzige Tochter Susanne geboren. Bereits 1941 ließ sich das Paar scheiden. Die Medizinerin war seit der Hochzeitsreise gehandicapt, da eines ihrer Beine nach einem Bruch einige Zentimeter kürzer war als das andere. Nach Darstellung ihrer Tochter soll die Kinderärztin dafür gesorgt haben, dass ein befreundetes jüdisches Ehepaar NS-Deutschland verlassen konnte und so den Holocaust überlebt hat. "Das Ehepaar hatte irgendwie mit Lebensmitteln zu tun. Der Sohn hieß Martin. Meine Mutter hat dafür gesorgt, dass sie rauskamen. Als ich sie gefragt hatte, wo denn der Martin sei, hat sie mir geantwortet, dass die ins Ausland gefahren sind", erinnerte sich Tochter Susanne Marek. Nach dem Krieg engagierte sich die Medizinerin für soziale Außenseiter. "Meine Mutter war die einzige Kinderärztin in der Gegend, die die Kinder in den Nissenhütten versorgte", erinnert sich Susanne Marek an eine Siedlung im Westen Langenhorns. Die Kinderärztin versorgte auch Familienangehörige, wenn sie bei der Untersuchung der Kinder feststellte, dass auch sie krank waren. Und manche von ihnen, die später straffällig geworden waren, forderten sie auch in der Strafanstalt Fuhlsbüttel an. Dort lernte sie ihren späteren Chauffeur kennen, der sie nach seiner Haftentlassung ab Mitte der 1980er Jahre zu Hausbesuchen fuhr. Sie selbst war in fortgeschrittenem Alter nicht mehr in der Lage, Auto zu fahren. Die Pädiaterin lebte bis auf zwei kurze Unterbrechungen in Hamburg. 1943 findet sie sich im Adressbuch als Ärztin an der Neubertstraße, wo sie mit ihrer Tochter wohnte. "Ich erinnere meine Mutter immer lesend in ihrem ganz bequemen Schreibtischstuhl. Ich vermute, dass sie in dieser Zeit für ihren Facharzttitel gebüffelt hat", sagte Susanne Marek. Noch im Jahr 1943 zogen Mutter und Tochter ins Haus ihrer Eltern an der Uhlandstraße um, weil sie an der Neubertstraße ausgebombt wurden. 1954 findet sie sich als Fachärztin für Kinderkrankheiten mit ihrer Praxis am Eibenweg in Fuhlsbüttel und privat mit ihrer Wohnung am Brombeerweg, ebenfalls in Fuhlsbüttel. Später verlegte sie ihre Praxis an den Woermannstieg in Fuhlsbüttel. Mit Praxis und Wohnung wechselte Deidesheimer dann etwa 1968 an den Maienweg. Anfang der 1980er Jahre zog die mittlerweile betagte Ärztin in den ersten Stock eines Drei-Parteien-Hauses, das an der Straße "Schanzenberg" in Hummelsbüttel liegt. Bis ins hohe Alter hatte sie in ihrer Privatwohnung ein Untersuchungszimmer eingerichtet, in dem sie Patientinnen und Patienten empfing. "Dass sie so lange tätig war, das hat sie am Leben erhalten", ist sich ihre Enkelin Christiane sicher. Sie lebte während ihrer Ausbildung zur Arzthelferin von 1985 bis 1987 bei ihrer Oma. Mütter ehemaliger Patientinnen und Patienten kümmerten sich in ihren letzten Lebensjahren um die Kinderärztin. Sie war zum Schluss verarmt, weil sie wenig für ihre Altersversorgung getan hatte und nicht mit Geld umgehen konnte. Während sie als Kinderärztin "sehr energisch und dominant" sein konnte, wie sich die Mutter zweier ehemaligen Kinderpatienten erinnerte, so soll sie im Alter "sehr mild und geistig noch recht lange rege" gewesen sein. Von nahezu allen ihrer ehemaligen KKR-Kolleginnen, die dort Kinder mit Behinderung getötet hatten, ist nicht überliefert, dass sie nach dem Krieg Kinder mit Behinderung behandelt hätten. Liesel Deidesheimer war mit der 20 Jahre jüngeren Sofie Brinkmann befreundet. Sie entdeckte, dass ihr 1952 geborener Sohn Peter behindert war. Sie kümmerte sich noch um ihn, als er schon ein junger Mann war. Zum Ende hatte sie selbst nahezu nichts mehr. Für ihre Patientinnen und Patienten und ihre Tochter und Enkelin gab sie quasi ihr letztes Hemd. Text: Andreas Babel

    Ilse Frapan

    Pseudonym von Elise Therese Levien
    Lehrerin und Schriftstellerin

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    03.02.1849
    in Hamburg (Neustadt)

    02.12.1908
    in Genf
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    "Wer sich nicht empört gegen die Brutalität seiner Zeit, der ist an der Brutalität seiner Zeit mitschuldig," - so Frapans Credo.
    Als Novellistin war Frapan um 1900 einem Millionenpublikum bekannt. Außerdem trat sie als richtungsweisende Kämpferin für Frauenrechte und soziale Gerechtigkeit in Erscheinung, als Gründerin der "Zürcher Kinderschutzvereinigung", Repräsentantin der "Ethischen Kultur", Tolstojanerin, Friedensaktivistin und Mitstreiterin in der armenischen Unabhängigkeitsbewegung.
    Frapan wuchs in einem selbstständigen Handwerkerhaushalt in der multikulturellen Hamburger Neustadt und im Karolinenviertel auf. Zehn Jahre war sie an der von den freisinnigen Frauen Hamburgs gegründeten "Schule des Paulsenstifts" tätig - einer Mädchenschule in der Tradition der jüdischen Freischulbewegung und der Fröbelpädagogik mit dem Ziel "freie, denkende, selbsttätige Menschen" zu erziehen, die sich durch soziale und religiöse Koedukation mit Ethikunterricht auszeichnete. Ihre Schulleiterin war Anna Wohlwill (siehe Grabstein); eine Kollegin Helene Bonfort (siehe Gedenkstein). Hier lernte Frapan auch ihre Lebensgefährtin kennen, die 1871 aus Žagar? (damals Russland, heute Litauen) eingewanderte jüdische Malerin und Bildhauerin Emma Mandelbaum (1855-1908). Zeitlebens bestimmte dieses typisch hamburgische Milieu Frapans Denken, Handeln und Schreiben: Selbstständigkeit, freie Religiosität, soziales Miteinander und Pluralität. Von Theodor Storm zum Schreiben ermutigt, gingen Frapan und Mandelbaum 1883 zum Studium zu Friedrich Theodor Vischer nach Stuttgart. Entsprechend dem poetischen Realismus ihrer Vorbilder stellte Frapan in ihrem Frühwerk bis Mitte der 1890er Jahre Individualität, Humanität sowie Schuld- und Tragikfähigkeit der Menschen dar - allerdings bei den Unterschichten Hamburgs. Sie beschrieb die Möglichkeit des Menschlichen selbst unter menschenunwürdigen Bedingungen des Großstadtmilieus, auf das sie mit Humor blickte. Darin besteht das Spezifische ihrer Novellistik. Von 1888 bis 1890 gehörte Frapan zum engeren Kreis um Paul Heyse, von dem sie sich aber bald entfremdete. Volksbildung und Frauenbewegung wurden für sie wichtig. Sie war 1891 Mitbegründerin der "Litterarischen Gesellschaft zu Hamburg" und ging 1892 zusammen mit Mandelbaum zum Studium der Naturwissenschaften nach Zürich. Dort gründeten die beiden Frauen unter dem Vorsitz von Emilie Kempin-Spyri den "Frauenrechtsschutzverein", der zusammen mit dem "Martha-Verein" ("Freundinnen junger Mädchen") auch gegen den internationalen Frauenhandel kämpfte. Im Zürcher "Frauenbildungsverein" und in der "Union für Frauenbestrebungen" wirkten die beiden ebenfalls mit. Frapan regte in der "Union" die Diskussion über eine Beteiligung an der Friedensbewegung und die Unterstützung der Haager Friedenskonferenz (1899) an. 1899 erwirkte sie die Gründung der "Zürcher Kinderschutzvereinigung". Im deutschen Arbeiterverein "Eintracht" knüpfte sie Beziehungen zu Sozialisten und als Mitglied der "Schweizer Gesellschaft für Ethische Kultur" setzte sie sich für Menschenwürde ein, pochend auf die sittliche Freiheit jedes Menschen. Um 1898 kamen die beiden Frauen in engen Kontakt zu russischen Studierenden, auch zu dem Armenier Hovannessian Akunian (russisch: Iwan Akunoff, 1869-1947), chemotechnischer Ingenieur aus Schemacha (heute: Aserbaidschan), mit dem verheiratet zu sein Frapan ab 1901 vorgab. Mit Emma Mandelbaum übersetzte sie Tolstois "Auferstehung" und bekannte sich zu dessen christlichem Anarchismus: zu Vergebung, Versöhnung und Gewaltfreiheit, die auch Wehrdienstverweigerung einschloss. Als Friedensaktivistin versuchte sie, Frauen gegen die Verbrechen des deutschen Militärs während des Boxeraufstandes in China zu mobilisieren. Sie forderte keine Gleichstellung von Frauen in einer an kapitalistischen Prinzipien orientierten Gesellschaft, sondern deren Veränderung durch Frauen. Ab 1901 lebte Frapan mit Mandelbaum und Akunian in einer Art Landkommune in Onex bei Genf in unmittelbarer Nachbarschaft des Tolstoi-Biographen Pawel Birjukow, zu dessen Tolstoikolonie sie engen Kontakt hatte.. Von dort aus setzte sie sich auch für die Unabhängigkeitsbewegung der Armenier ein.
    Entsprechend ihrer politischen Weiterentwicklung änderte sich ihr literarisches Schaffen vom poetischen Realismus zu engagierter Literatur. In ihrer Erzählung "Wir Frauen haben kein Vaterland" (1899) wirft sie nicht nur ihrer Vaterstadt vor, Frauen keine Stipendien für ein Studium bereitzustellen, sondern stellt die Doppelmoral von bürgerlicher Familie, Klerikern und staatstragender Kirche sowie die materialistische, male-chauvinistischen Einstellung von Juristen und Rassisten bloß. In ihren Schulbuchtexten "Hamburger Bilder für Hamburger Kinder" (1899) lässt sie aus der Ich-Perspektive namens- und dadurch geschlechtsneutrale Kinder mit einer Art Kamerablick auf Hamburg schauen. Die an kapitalistischen Prinzipien orientierten Strukturen des Zürcher Uniklinikums und grundsätzlich die doppelte Moral der bürgerlichen Gesellschaft greift Frapan in ihrem weiblichen Entwicklungsroman "Arbeit" (1903) an und setzt diesen das Prinzip der Liebe entgegen. Ihr Drama "Die Retter der Moral" (1905), in dem maskierte Frauen die Machenschaften der Sittenpolizei rächen, wurde nach zwei Aufführungen im Ernst-Drucker-Theater sofort abgesetzt. Als Verfasserin kritischer Texte machte sich Frapan nicht beliebt. Als "Ehrenvorsitzende des Hamburger Monistenbundes", Frauenrechtlerin, Friedensaktivistin, Antiimperialistin und Kämpferin für die Rechte der Armenier wurde sie in Hamburg zur "persona non grata". Die Politische Polizei legte von 1903 bis 1909 eine umfangreiche Akte über sie an.
    Unheilbar erkrankt, wurde Frapan von Emma Mandelbaum erschossen, die sich daraufhin selbst tötete. Der Wunsch aus der Hamburger Bevölkerung, die beiden Freundinnen von Genf auf den Ohlsdorfer Friedhof zu überführen, wurde trotz reichlicher Geldspenden nicht realisiert. Diese Gedenktafel bewahrt nun die Erinnerung an sie.
    Text:
    Christa Kraft-Schwenk

    Lea Manti

    Pseudonym von Mart(h)a Mandt
    Kunstpfeiferin und Theaterleiterin

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    13.08.1886
    in Elberfeld

    12.07.1960
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    "… die nicht nur auf weibliche Kleidung, sondern auch auf den kleinen Fingern pfeift" - so wurde Lea Manti auf dem Höhepunkt ihrer Karriere in der Presse beschrieben. Zur Zeit des deutschen Kaiserreichs, der Weimarer Republik und der NS-Diktatur war sie als Kunstpfeiferin erfolgreich und weltbekannt.
    Die als Mart(h)a Mandt in Elberfeld (heute zu Wuppertal) geborene Künstlerin pfiff auf ihren kleinen Fingern mühelos und völlig ohne Instrumente einprägsame Melodien, sogar anspruchsvolle Opernarien und Konzertstücke. Dabei trat sie spätestens seit 1911 mit zurückgekämmten kurzen Haaren und in einem violetten Frack auf. Die Künstlerin hatte sich der "Internationalen Artisten-Loge" angeschlossen, einem Berufsverband, der für die soziale Absicherung der Kunstschaffenden sorgen sollte.
    Über Jahrzehnte wurde Lea Manti für eine beeindruckende Performance gefeiert. Die Hamburger Autorin und Kollegin Lena Düveke (1887-1950) notierte ihr zu Ehren:
    Sie hat das "wunderbar weiche, glockenreine Piano in ihrem Pfeifen, und doch kann sie ein volles Militärorchester von 60 Mann übertönen".
    Zu hören war Lea Manti in den großen Varietés der Metropolen, in Deutschland, der Schweiz, in Österreich, im damaligen Böhmen, Polen, Belgien, Italien, Norwegen und in den Niederlanden sowie in England. Auch außerhalb Europas war Lea Manti unterwegs: 1913 trat sie Südafrika auf, 1924 in Kentucky/USA.
    Zwischen nationalen und internationalen Engagements wurde sie viele Male für Hamburg, Frankfurt am Main und mehrmals auch für Berlin verpflichtet. Mitunter stand sie nicht nur auf, sondern auch hinter der Bühne: Sie leitete für einige Jahre in Frankfurt ihre eigenen "Künstlerspiele" und in Hamburg, wo sie sich ab Herbst 1931 dauerhaft niederließ, "Lea Mantis Künstler-Club". Zudem ging sie weiter auf Tournee. Anfang der 1930er Jahre war sie nicht nur im legendären Berliner Varieté "Scala" gern gesehen, sondern auch in der Berliner Subkultur: Für einige Wochen empfing sie die Gäste der lesbischen Clubgröße Lotte Hahm (1890-1967) und pfiff in deren Lokalen "Monokel-Diele" und "Manuela". Als das Nazi-Regime im Januar 1933 an die Macht kam und die meisten Subkulturorte schloss, trat Lea Manti in den ersten Jahren noch ungehindert im ganzen Reich und im angrenzenden Ausland auf. Zudem war sie 1937/38 maßgeblich an der Gestaltung eines Hamburger Kabaretts beteiligt. Nach dessen Schließung (1938) kam die Künstlerin in existenzielle Bedrängnis und ließ sich von der Reichstheaterkammer mit Hilfe des Fonds "Künstlerdank", den NS-Reichspropagandaminister Joseph Goebbels (1897-1945) ins Leben gerufen hatte, finanziell unterstützen.
    Ihr Erfolg blitzte dann noch einmal auf: Bis 1943 sind Auftritte von Lea Manti in verschiedenen Theatern belegt. Ihren Lebensabend verbrachte die Kunstpfeiferin mit ihrer letzten Lebensgefährtin, der Tänzerin Betti Scheuing (1913-1996), im Norden von Hamburg.
    Lea Manti gehörte sicher zu den ersten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts, die sich selbst als androgyn inszenierten. Damit dürfte sie für viele inspirierend und wegweisend gewesen sein.
    Text: Ingeborg Boxhammer

    Erna Nakoinzer

    Verleugnetes Opfer des Nationalsozialismus

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    5.11.1904
    Hamburg

    21.1.1983
    Hamburg
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    August-Krogmann-Straße 100 (ehemaliges Versorgungsheim Farmsen)
    Erinnerungsmedaillon an der Erinnerungssäule im Garten der Frauen auf dem Ohlsdorfer Friedhof

    Erna Nakoinzer war die Tochter des Drechslers Karl Nakoinzer und seiner Frau Katharina. Sie hatte Lernschwierigkeiten und besuchte die Hilfsschule. Einen Beruf konnte sie anschließend nicht erlernen, sondern führte ihren Eltern in der Lincolnstraße in Hamburg-St. Pauli den Haushalt. Ein Arzt wollte Erna in die damaligen Alsterdorfer Anstalten einweisen, weil er sie für geistig behindert hielt. Doch dagegen verwahrten sich ihre Eltern.
    Nach deren Tod lebte Erna Nakoinzer zunächst noch mit einer Schwester zusammen und zog dann zu ihrem Bruder in die Erichstraße in St. Pauli. Auch ihm führte sie den Haushalt. Eine Fürsorgerin notierte im Sommer 1932 bei einem Hausbesuch: Erna müsse auf einer zerbrochenen Chaiselongue auf dem sehr schmutzigen Dachboden leben, es sei "glühend heiß dort, voller Gerümpel" und "als Schlaf- oder Aufenthaltsraum für einen Menschen unmöglich". Daher bat die Fürsorgerin die Sozialbehörde dringend darum, Erna zumindest "ein ordentl[iches] Bett zu befürworten". Ende 1932 brachte Erna Nakoinzer eine Tochter zur Welt, die sie Ruth nannte. Das Jugendamt entzog ihr das frühgeborene Kind und brachte es in ein Waisenhaus, wo es mit nur fünf Monaten starb. Mehrfach hatte Erna Nakoinzer das Fürsorgeamt um Fahrgeld gebeten, um Ruth im Heim stillen zu können. Im August 1933 verhaftete die Polizei sie wegen angeblich "ha?ufig wechselndem Geschlechtsverkehr" - eine Chiffre von Behörden für Frauen, denen sie Prostitution nicht nachweisen konnten, deren Sexualleben aber nicht der herrschenden Moral entsprach. Wenig später wies das für "sexuell gefährdete Frauen und Mädchen" zuständige Hamburger Pflegeamt Erna Nakoinzer in die geschlossene Abteilung des städtischen Versorgungsheims Farmsen ein. Polizisten brachten sie dorthin. Ihr einziger Besitz bestand aus wenigen Kleidungsstücken, die sie in einem Koffer bei sich trug. In dem Heim sollten angeblich arbeitsscheue Fürsorgeempfänger*innen sowie Alkoholkranke durch Arbeit "gebessert" werden. Tatsächlich aber handelte es sich um eine Bewahranstalt, in der sie unter Ausbeutung ihrer Arbeitskraft so billig wie möglich untergebracht wurden und "fügsam" gemacht werden sollten. Erna Nakoinzer musste im Waschhaus arbeiten - eine anstrengende Tätigkeit, bei der die dort eingesetzten Frauen stundenlang standen. Wegen geschwollener Füße durfte sie später in den Kartoffelschälkeller wechseln. Auch bestrafte das Personal jedes Fehlverhalten der Insass*innen mit teilweise drakonischen Maßnahmen wie Dunkelhaft in einer Einzelzelle bei Wasser und Brot. Noch 1933 wurde Erna Nakoinzer entmu?ndigt, weil sie ihre Angelegenheiten angeblich nicht selbst regeln konnte. Der leitende Oberarzt der Hamburger Gesundheitsbehörde, Paul Peters, hatte bei ihr "Geistesschwäche" diagnostiziert, durch die sie "in höchstem Maße sexuell gefährdet" wäre, sowie eine Depression infolge hochgradiger Erschöpfung - angesichts des frühen Todes ihrer kleinen Tochter und der Umstände, unter denen sie leben musste, nicht verwunderlich. Im Jahr darauf wurde Erna Nakoinzer in der Hamburger Frauenklinik Finkenau zwangssterilisiert. Mit diesem chirurgischen Eingriff hinderte das NS-Regime all jene daran, Kinder zu gebären, die ein so genanntes Erbgesundheitsgericht aus zwei Ärzten und einem Juristen für "minderwertig" und "erbkrank" erklärte. 1939 u?bernahm die Pflegeamtsleiterin Ka?the Petersen Erna Nakoinzers Vormundschaft. Um zügig und ohne den Widerstand der Betroffenen oder ihrer Angehörigen so viele "gefährdete" und angeblich geistesschwache Frauen wie möglich entmündigen zu können und danach sterilisieren zu lassen, hatte Petersen - reichsweit einmalig - das Prinzip der Sammelvormundschaft eingeführt. Sie war damit gleichzeitige Vormundin von Hunderten von Frauen.
    Erna Nakoinzer verließ das Versorgungsheim Farmsen nicht mehr. Sie arbeitete weiter im Kartoffelkeller, im Waschhaus oder auf dem Feld des Staatsguts Farmsen. An Feiertagen holten ihre Schwestern oder ihr Bruder sie gelegentlich zu sich nach Hause. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und des NS-Systems 1945 änderte sich nichts für sie. 1962 beschloss das Hamburger Amtsgericht, dass ihre Unterbringung in der geschlossenen Abteilung des Versorgungsheims "zu ihrem Wohl" weiter nötig sei. 1971 wurde sie auf die Pflegestation verlegt. Als sie mit 78 Jahren starb, hatte sie fast 50 Jahre ihres Lebens zwangsweise in einer städtischen Fürsorgeanstalt verbracht. Und obwohl sie Jahrzehnte lang dort gearbeitet hatte, erwarb sie keine Rentenansprüche. Nach ihrem Tod listete das Heim ihren Besitz auf: wenig Kleidung und Modeschmuck, ein defektes Fernsehgerät, eine Puppe und ein Stofftier. Vermerk: "wertlos". Bestattet wurde sie auf dem Ohlsdorfer Friedhof.
    Text: Frauke Steinhäuser

    Die Verfolgung mittelloser, unangepasst lebender Menschen im nationalsozialistischen Hamburg

    Der Terror des NS-Staates traf auch unter Armut leidende Menschen, die sich den Regeln für die "Volksgemeinschaft" nicht anpassen konnten oder wollten. Betroffen waren Bettler*innen, Wohnungslose, Wanderer, Sinti*ze und Rom*nja, Jüdinnen*Juden, säumige Unterhaltspflichtige, Zuhälter, Alkoholkranke, Prostituierte und Frauen, deren Sexualleben von der herrschenden Moral abwich. So unterschiedlich die Genannten waren - eines verband sie in den Augen der NS-Behörden: Sie hätten ihre Lage selbst verschuldet, drückten sich angeblich vor der Arbeit und wurden als "asozial" abgewertet. Schon im September 1933 ordnete das Reichsinnenministerium eine "Bettlerrazzia" an. Allein in Hamburg nahm die Polizei 1400 Personen fest.
    Eine der gravierendsten Zwangsmaßnahmen gegenüber hilfsbedürftigen und unangepassten Menschen war die Entmündigung. Mit diesem Instrument ließen Fürsorgebehörden sie in großer Zahl in sogenannte Wohlfahrtsanstalten einweisen und zwangssterilisieren. Letzteres betraf bis 1945 in Hamburg fast 16.000 Personen. Jeder Widerstand konnte dazu führen, noch stärker ins Visier der Behörden zu geraten. Trotzdem lehnten sich manche gegen die Drangsalierungen auf. Sie widersprachen einem Sterilisationsbeschluss oder wagten die Flucht aus einer Fürsorgeanstalt. Ende 1937 erhielt die Polizei noch mehr Macht. Der "Grundlegende Erlass über die vorbeugende Verbrechensbekämpfung" ermöglichte es ihr nun auch ohne den Nachweis einer Straftat all jene, die ihrer Meinung nach "durch [...] asoziales Verhalten die Allgemeinheit gefährdete[n]" zeitlich unbefristet nicht nur in Arbeitshäuser wie in Hamburg die Bewahranstalt Farmsen, sondern auch in ein KZ einzuweisen.
    1938 lieferten Gestapo und Kriminalpolizei bei zwei reichsweiten Großrazzien ("Aktion Arbeitsscheu Reich") Tausende vermeintlich Arbeitsunwillige in Konzentrationslager ein. Aus Hamburg inhaftierten sie über 500 Personen in den KZ Buchenwald, Sachsenhausen und Lichtenburg. Dort kennzeichnete die SS sie mit einem schwarzen Stoffdreieck ("Winkel") als "asozial". Die Überlebenschancen dieser Häftlingsgruppe waren gering. Mit der Diagnose "moralischer Schwachsinn" wurden zudem viele als "asozial" stigmatisierte Menschen in Anstalten der NS-Medizinverbrechen getötet.
    Die Kapitulation des NS-Regimes 1945 brachte den im KZ Inhaftierten die Freiheit. Doch sie waren seelisch und körperlich schwer gezeichnet. Die in Fürsorgeanstalten Zwangseingewiesen wurden nicht entlassen. Entmündigungen blieben bestehen. Die meisten, die in Behörden, Anstalten und Kliniken für das Leid der Verfolgten verantwortlich waren, setzten ihre Tätigkeit ungestraft fort. Schon Mitte Mai 1945 erklärte die Hamburger Sozialbehörde, nur politische NS-Opfer zu entschädigen. Verfolgung und KZ-Haft als "asozial" galten nicht als "nationalsozialistisches Unrecht", sondern als staatliche Ordnungsmaßnahme. Erst 2020 beschloss der Deutsche Bundestag die Anerkennung aller als "asozial" Verfolgten als NS-Opfer. Damit stand ihnen nun endlich eine Entschädigung zu. Doch fast niemand war mehr am Leben.
    Text: Frauke Steinhäuser

    Marie von Roskowska

    Buchhändlerin, Schriftstellerin, Erzählerin

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    12.10.1828
    Bromberg/ ehem. Hauptstadt Provinz Posen, seit 1920 Bydgoszcz/Polen

    11.10.1889
    Hamburg
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    ( Marie von Roskowska, (Friederica Wilhelmine Clara Roskowski) (Pseudonyme: Friedrich Clar, Gerd von O/o/sten, und A. Albert) ) Neustr. 44 (heute Ifflandstraße), Hamburg-Hohenfelde [1] Sie war vermutlich Tochter des Verlegers C. M. von Roskowski und arbeitete zunächst in seiner Buchhandlung in Bromberg. 1863 zog Roskowski unter der gleichen Geschäftsfirmierung nach Berlin, zwei Jahre später war der Registereintrag des Unternehmens erloschen [2]. Marie von Roskowska lebte nun als freie Schriftstellerin in Berlin. 1888 zog sie nach Hamburg, wo sie ein Jahr später verstarb [3]. Marie von Roskowska gehört zu den heute vergessenen, im 19. Jahrhundert jedoch wohlbekannten und gern gelesenen Autorinnen gehobener Unterhaltungsliteratur. Ihre Werke wurden auch ins Schwedische und Englische übersetzt. Sie verfasste Erzählungen, Novellen und Romane. Wie zahlreiche Autorinnen des 19. Jahrhunderts musste sie auch unter Pseudonym veröffentlichen. Dies geschah oft aus ökonomischen Gründen: Werke von weiblichen Verfasserinnen waren schlecht verkäuflich, denn standesgemäß verdiente der Mann/Gatte das Familien-Einkommen. Möglich ist aber auch Diskretion aus politischen Gründen. Ihre literarischen Werke gehören zwar zum großen Teil dem populären Genre der "Jugend- bzw. Mädchenliteratur" an. Aber sie verfasste auch historische Romane. Dabei thematisierte sie - vermutlich ihrer Herkunft wegen - die sogenannte Polnische Frage [4]. In ihrer 1862 erschienenen Erzählung "Deutsche Sklaven oder Colonisten", die sie für die "Jugend und das Volk" geschrieben hatte, warnte sie vor der Auswanderung nach Brasilien. Sie brachte "mit Ernst und Nachdruck die empörenden Verhältnisse der Colonisten zur Sprache" [5] und klagte an: "die eingewanderten Arbeiter würden in Brasilien nur als ein Ersatz für die schwarzen Sklaven betrachtet und behandelt". [5] Marie von Roskowskas' Jugendbücher zu diesem Thema sollten: "die Schichten der Bevölkerung erreichen, die sich inspiriert durch die Propagandaliteratur von professionellen Organisationen der Auswanderung und angesichts der sozialen Verelendung am ehesten zum Verlassen von Deutschland entschließen konnten". [5] Roskowskas' Erzählung handelt von einer sechsköpfigen Familie, die von Deutschland nach Brasilien auswandert, dort auf einer Kaffeeplantage bei einem portugiesischen Großgrundbesitzer arbeitet und dort in großem Elend lebt. Die Familie muss "durch ihre langjährige Arbeit die durch die Kosten für die Überfahrt entstandene Verschuldung beim Großgrundbesitzer abarbeiten und auch ihre Lebensmittel bei ihm teuer kaufen. Diese Schilderung (…) war sicher an die Adresse der auswanderungswilligen Leser in Nordposen, wo der Heimatort Bromberg (…) der Autorin lag, gewandt, wo große Not die Auswanderung als soziale Alternative erschienen ließ." [5] Sie war vermutlich Tochter des Verlegers C. M. von Roskowski und arbeitete zunächst in seiner Buchhandlung in Bromberg. 1863 zog Roskowski unter der gleichen Geschäftsfirmierung nach Berlin, zwei Jahre später war der Registereintrag des Unternehmens erloschen [2]. Marie von Roskowska lebte nun als freie Schriftstellerin in Berlin. 1888 zog sie nach Hamburg, wo sie ein Jahr später verstarb [3]. Marie von Roskowska gehört zu den heute vergessenen, im 19. Jahrhundert jedoch wohlbekannten und gern gelesenen Autorinnen gehobener Unterhaltungsliteratur. Ihre Werke wurden auch ins Schwedische und Englische übersetzt. Sie verfasste Erzählungen, Novellen und Romane. Wie zahlreiche Autorinnen des 19. Jahrhunderts musste sie auch unter Pseudonym veröffentlichen. Dies geschah oft aus ökonomischen Gründen: Werke von weiblichen Verfasserinnen waren schlecht verkäuflich, denn standesgemäß verdiente der Mann/Gatte das Familien-Einkommen. Möglich ist aber auch Diskretion aus politischen Gründen. Ihre literarischen Werke gehören zwar zum großen Teil dem populären Genre der "Jugend- bzw. Mädchenliteratur" an. Aber sie verfasste auch historische Romane. Dabei thematisierte sie - vermutlich ihrer Herkunft wegen - die sogenannte Polnische Frage [4]. In ihrer 1862 erschienenen Erzählung "Deutsche Sklaven oder Colonisten", die sie für die "Jugend und das Volk" geschrieben hatte, warnte sie vor der Auswanderung nach Brasilien. Sie brachte "mit Ernst und Nachdruck die empörenden Verhältnisse der Colonisten zur Sprache" [5] und klagte an: "die eingewanderten Arbeiter würden in Brasilien nur als ein Ersatz für die schwarzen Sklaven betrachtet und behandelt". [5] Marie von Roskowskas' Jugendbücher zu diesem Thema sollten: "die Schichten der Bevölkerung erreichen, die sich inspiriert durch die Propagandaliteratur von professionellen Organisationen der Auswanderung und angesichts der sozialen Verelendung am ehesten zum Verlassen von Deutschland entschließen konnten". [5] Roskowskas' Erzählung handelt von einer sechsköpfigen Familie, die von Deutschland nach Brasilien auswandert, dort auf einer Kaffeeplantage bei einem portugiesischen Großgrundbesitzer arbeitet und dort in großem Elend lebt. Die Familie muss "durch ihre langjährige Arbeit die durch die Kosten für die Überfahrt entstandene Verschuldung beim Großgrundbesitzer abarbeiten und auch ihre Lebensmittel bei ihm teuer kaufen. Diese Schilderung (…) war sicher an die Adresse der auswanderungswilligen Leser in Nordposen, wo der Heimatort Bromberg (…) der Autorin lag, gewandt, wo große Not die Auswanderung als soziale Alternative erschienen ließ." [5] In ihrer Dissertation setzte sich die Literaturwissenschaftlerin Ewa Plominska-Krawíec im Rahmen ihrer Untersuchung "Stoffe und Motive der polnischen Geschichte in der deutschen Erzählprosa des 19. Jahrhunderts" mit bekannten Autoren wie Gustav Freytag, Heinrich Laube oder Harro Harring, aber mit auch August Lewald und Marie von Roskowska auseinander. Sie analysiert, wie diese Schriftsteller_innen den Untergang der Adelsrepublik und den Freiheitskampf der Polen darstellten und in welcher Form sie historische Persönlichkeiten wie etwa den polnischen König Stanis?aw August Poniatowski oder stereotype Gestalten wie den "lasterhaften Adligen, den leibeigenen Bauern oder den konspirierenden Polen" darstellten. Den polnischen Januaraufstand 1863 hat Roskowska in ihrem Roman "Ein Sohn Polens" verarbeitet, wobei ihr gute Faktenkenntnisse im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Autoren attestiert werden [6]. Unter dem Pseudonym A. Albert korrespondierte Marie von Roskowksa 1879 im Berliner Sonntagsblatt [7]. Für das "Unterhaltungs-Blatt" der "Neuesten Nachrichten", München 1871, verfasste sie die Novellen "Wer?" und "Auf dem Weinbriet. Aus dem französischen Mordbrennerzuge in der Pfalz" als Fortsetzungsromane für Zeitungen [8]. Die amerikanische Germanistin Lorie A. Vanchena urteilte, dass die Schriftstellerin Marie von Roskowska die historischen europäischen Ereignisse geschickt instrumentalisiert habe, um Stellung zu den damaligen zeitgenössischen Fragen zu beziehen, insbesondere zum Komplex um nationale Einheit und Identität [9]. Ihre Arbeiten wurden von 1862 bis mindestens 1888, teils in Sammelbänden, publiziert. Frühe Veröffentlichungen sind im Familien-Verlag mit Sitz in Bromberg erschienen. Ab 1883 dann in Berlin. Gegen Marie von Roskowskas' Novellensammlung "Unpolitische Geschichte" - erschienen 1869 - wurde "wegen des so genannten Hass- und Verachtungsparagraphen ein Prozess geführt" [5], der mit Freispruch endetet. Dieser Paragraph "war ein von Bismarck gerne angewandtes Mittel der politischen Zensur, da er Beschlagnahmungen, Verbote und Strafprozesse besonders gegen liberale Zeitungen ermöglichtet, die Bismarcks Politik nicht billigte." [5] Werke (Auswahl) Veröffentlicht Im Verlag C .M. Roskowski, Bromberg: - Deutsche Sclaven oder Colonisten in Brasilien. Erzählung für die Jugend und das Volk. Verlag von C. M. Roskowski, Bromberg 1862 - Fr. Clar (Pseudonym v. M. v. Roskowska): Anno 1724. Zur Charakteristik der polnischen Herrschaft. Verlag von C. M. Roskowski, Bromberg 1862 - Alte Jungfern. Stille Geschichten. C. M. Roskowski, Bromberg 1862 - Für eine müßige Stunde. Novellen und Lebensbilder. C. M. Roskowski, Bromberg 1862 - Noch ist Polen nicht verloren. Roman. C. M. Roskowski, Bromberg 1863. "Noch ist Polen nicht verloren" ist die polnische Nationalhymne, benannt nach dem Nationalhelden Jan Henryk Dabrowski, Text 1797 von Józef Wybicki. Das Lied wurde in allen drei Teilen Polens gesungen, 1830 und 1831 beim Novemberaufstand, 1863 und 1864 beim Januaraufstand. - Zum National-Fonds. Ein Ruf von deutschen Frauen und Jungfrauen. C. M. Roskowski, Bromberg 1863 - Die Peri von Kamalata. Erzählung. In: Emmy (Hrsg.): Unsern Mädchenknospen. Poesie und Prosa. C. M. Roskowski, Bromberg 1863, S. 19 - 178 - Nach anderthalb Jahren. Erzählung für junge Damen, die noch nicht Romane lesen. C. M. Roskowski, Bromberg 1863 Werke veröffentlicht in Sammelbänden, z.B.: Gustav Nieritz (Hg.): Stern, Stab und Pfeife. Enthält u.a. von Marie Roskowska: Alexei und Aphaka oder die Kamtschadalen. Eine Erzählung für die Jugend. E. J. Günther, Leipzig 1857 = Jugendbibliothek. Drittes Bändchen Marie von Roskowska: - Die Eroberung Nischnois. Eine Erzählung für die Jugend und ihre Freunde (Fortsetzung der Erzählung "Alexei und Aphaka"). Voigt & Günther, Leipzig 1856 = Jugendbibliothek. Sechstes Bändchen - Die beiden Cousinen. Novelle. In: Aurora. Taschenbuch für das Jahr 1857. Hrsg. Von Johann Gabriel Seidl. 33. Jg., Wien 1857, S. 1- 62 - Zwei Jahre auf St. Domingo. Erzählungen für die Jugend, Berlin 1858 - In Mitten der Nordsee. Erzählung für die Jugend. Leipzig 1858 = Jugendbibliothek Band 2, hg. v. der Amerikanischen Traktatgesellschaft, New York 1864 - Mooniba oder Junger Herr und Ochsenjunge. Eine Erzählung für die Jugend. Leipzig 1859 = Jugendbibliothek, Band 2 - Im Busch oder Der dumme Hans. Eine Erzählung für die Jugend. Leipzig 1860 = Jugendbibliothek, Band 4 - Polnische Mütter. Historische Novelle. Prag/ Wien 1860 = Album. Bibliothek deutscher Originalromane. Hg. von J. L. Kober, 15. Jahrgang Band 6 - Aus Corsika. 2 Bändchen. Berlin 186. Band 1: Vor der französischen Herrschaft. Historische Erzählung für die reifere Jugend mit Titelbild. Band 2: Die Familie Bonaparte. - Von Nah und Fern. Novellen und Erzählungen für die reifere Jugend. Mit 8 illuminirten Bildern von Prof. Hosemann. Winckelmann & Söhne, Berlin 1863 - Der Mayadar. Eine Erzählung für die Jugend. Voigt & Günther, Leipzig 1863 - Verachte Niemand, oder der Aufruhr in Indien. Voigt & Günther, Leipzig 1863 - General Rapp und die Belagerung von Danzig im Jahre 1813 und 14. Historische Novelle. C. L. Rautenberg, Mohrungen 1864 = Preußische Volksbücher 35 - Erzählungen für Mädchen von 12 bis 15 Jahren. Mit 3 Bildern. Julius Springer, Berlin 1865 - Weit über Land und Meer. Roman. 4 Bände. Verlag der literarisch-artistischen Anstalt von E. Dittmarsch. Druck von L.E. Zamarski in Wien, Wien und Leipzig 1865 - Unpolitische Geschichten. 2 Bände. Zweite Ausgabe. Franz Duncker, Berlin 1863, 2. Aufl. 1869 - Mit eigenem Blut. Roman. Sonnemann, Frankfurt am Main 1870 = Novellen-Cyclus der Frankfurter Zeitung 1870 - Der tolle Mathis. Eine Erzählung. Paul Kormann, Leipzig 1870 (Digitalisat vorhanden) - Deutscher Volks-Kalender für das Gemeinjahr 1873 zur Unterhaltung und Belehrung für Jedermann. Mit Beiträgen von F. J. Proschka, M. v. Roskowska, Jenny Hirsch, Heinrich Beta etc. sowie einem Verzeichnis der Jahrmärkte und Messen in der preußischen Monarchie im Jahre 1873. Verlag von Max Böttcher, Berlin 1872 - Ein Kleeblatt. Drei Novellen. Schulze & Co., Leipzig 1875 - Auf dem Maidsprung. Novelle. Gustav Behrend, Berlin 1876 - Die Seejungfer. Novelle. Gustav Behrend, Berlin 1878 - Im Balkan. Roman. In: Deutsche Roman Zeitung. Janke, Berlin 1878. Jahrgang 1878. Band 2, Nr. 20, S. 561-584, Nr. 21, S. 641-668, Nr. 22, S. 721-750, Nr. 23, S. 801+822, Nr. 24, S. 897-922 - Stralsund und Oelpern. Historische Erzählung. Langmann & Co., Berlin 1879 - Der böse Blick. Novelle. Schulze & Co., Leipzig 1879 - Aug' in Auge! Roman. Gustav Behrend, Berlin 1880 = Eisenbahn-Unterhaltungen 125 - An der Bernsteinküste. Erzählung für die Jugend. 2. Aufl. Bagel, Düsseldorf 1880 - Im Strudel der Hauptstadt. Roman von M. von Roskowska. Und Hann Kuljevich. Historische Novelle von Mariam Tenger. Druck und Verlag von J. P. Bachem, Köln am Rhein 1886 = Bachem's Roman-Sammlung, Zwei-Mark-Bände. Eine belletristische Haus- und Familien-Bibliothek Band 10 - Caritas. Lose Blätter aus dem Tagebuch eines Künstlers, in: Berliner Tageblatt, Nr. 45 vom 7. November 1887 und Nr. 46 vom 14. November 1887 (jeweils im Beiblatt) - Emmy von Dincklage: Die echten Abbergs. Novelle. Und Marie von Roskowska: Die Grafenbraut. Novelle. Druck und Verlag von J. P. Bachem, Köln am Rhein 1888 = Bachems Novellen-Sammlung, Band 15. Veröffentlichungen unter Pseudonymen (Auswahl): - Emmy von Dincklage: Die Seelen der Hallas. Roman. Gerd von Osten (Pseud. M. v. Roskowskas): Ein Sohn Polens. Druck und Verlag von J. P. Bachem, Köln am Rhein 1886 (Bachem's Roman-Sammlung, Zwei-Mark-Bände. Eine belletristische Haus- und Familien-Bibliothek. Band 7 - M. Herbert: Ein modernes Märchen, Gerd von Oosten: Vannina. Eine corsische Novelle. Und Heinrich Beta: Der Spieler. Erzählung aus dem americanischen Leben. J. P. Bachem, Köln 1886 = Bachems Novellen-Sammlung. Eine belletristische Haus- und Familien-Bibliothek. Band 23 Text: Dr. Cornelia Göksu Quellen und Anmerkungen: 1 Laut Eintrag unter "Roskowska, Geschw., Hohenf., Neustr.44, H.5, in: Hamburger Adressbuch für 1888, S. III, 340 + 1889, Seite III, 360; in der nächsten Ausgabe von 1890 ändert sich der Eintrag in" Roskowska, Frl.", sodass von einer hinterbliebenen Schwester auszugehen ist. Könnte es ihre ebenfalls als Schriftstellerin ausgewiesene mögliche Schwester Emmy v. R. gewesen sein? Ab 1891 kein Eintrag mehr unter diesem Namen. (Vgl. zu dazu Artikel: Roskowska, Maria v. in: Sophie Pataky (Hg.): Lexikon deutscher Frauen der Feder. Band 2. Verlag Carl Pataky, Berlin 1898, S. 202 f., dort sind Emmy v. Roskowska und Maria v. Roskowska aufgeführt. 2 "C.M. von Roskowski, verlegte 1863 das Geschäft unter derselben Firma nach Berlin und ist seit 1865 ganz erloschen", Hinweis in: Volger, Eduard (Hg.): Die hauptsächlichen Verlagsveränderungen im Buch- Kunst- Musikalien- und Landkarten-Handel während der zehn Jahre von 1863 bis incl. 1872 ... Landsberg a. d. Warthe., 1873, S. 66 3 Vgl. dazu Quellen-Angabe im Wiki-Artikel wikipediaorg/wiki/Marie_von_Roskowska sowie Artikel: Roskowska, Maria von. In: Wilhelm Kosch, Heinz Rupp, Carl Ludwig Lang (Hrsg.): Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisch-bibliographisches Handbuch. Rill - Salzmann. K. G. Saur, München 1991, Band 13, Spalte 322 (2). Wichtige Quelle zu Roskowska auch unter archive.org/stream/deutschespseudon00holzuoft#page/202/mode/1up = Dt. Pseudonymen-Lexikon, bearb. V. M. Holzmann und H Bohatta, Wien/Leipzig 1906, dort Auflösung von A. Albert, Friedrich Clar sowie Gerd von Oosten. 4 Die Polnische Frage: Bezeichnung für die Probleme, die die Versuche einer Wiedererrichtung polnischer Eigenstaatlichkeit nach den Polnischen Teilungen (1772, 1793 und 1795) mit sich brachten. Bereits auf dem Wiener Kongress (1814-15) wurden die Hoffnungen der polnischen Patrioten enttäuscht, als anstelle des von Napoleon I. 1807 errichteten Herzogtums Warschau nicht ein souveräner polnischer Nationalstaat proklamiert, sondern 1815 die Bildung eines in Personalunion mit Russland verbundenen Königreichs Polen (Kongresspolen) beschlossen wurde. Durch die großen Aufstände (Novemberaufstand 1830-31, Galizischer Aufstand 1846, Posener Aufstand 1848 und Januaraufstand 1863-64), die politischen Aktionen der konservativen Emigranten, literarische Agitation u. a. blieb die polnische Frage im Bewusstsein der westeuropäischen Liberalen lange lebendig; in den einzelnen Landesteilen Polens entwickelte sich ein alle Bevölkerungsschichten erfassendes Nationalgefühl" (Quelle: universal_lexikon.deacademic.com/286589/polnische_Frage 5 F. Obermeier: Brasilien "für die Jugend und das Volk" Kinder- und Jugendliteratur aus und über Brasilien vom 18. Jahrhundert bis in die Mitte des 29. Jahrhunderts. 2016, unter: https://core.ac.uk/reader/250308860 6 Ewa Plominska-Krawíec: Stoffe und Motive der polnischen Geschichte in der deutschen Erzählprosa des 19. Jahrhunderts. Frankfurt am Main 2005 (= Posener Beiträge zur Germanistik); im wiki_Artikel über Marie v. Roskowska inhaltlich wiedergegeben nach Jan Papiór (Hg.): Zur polnisch-deutschen Kulturkommunikation in der Geschichte - Materialien. Wydawn. Akad. Bydgoskiej, Bydgoszcz 2001, S. 233 7 Emil Weller: Lexicon Pseudonymorum, S. 12 8 Unterhaltungs-Blatt der Neuesten Nachrichten, vgl. Wiki-Art. über Marie v. Roskowska, Einzelnachweis 6. 9 German Women Writing in its European Context, 1700-1900. Internationale Tagung im Rahmen der Womens Writers of the Eighteenth and Nineteenth Centuries Conference Series der University of London, der Swansea University, der University of Sheffield und des Austrian Cultural Forum; Institute for Germanic and Romance Studies der University of London, 25. und 26. November 2010. Bericht unter digitalintellectuals.hypotheses.org/2369

    Mary Kid

    geb. Agnes Erna Gertrud Keul

    Stummfilmschauspielerin

    Ornament Image
    8.8.1904
    Berlin

    29.10.1986
    Hamburg
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    Agnes Erna Gertrud Keul, Tochter von Agnes Keul, geborene Hilbrecht und des Arbeiters Bernhard Keul absolvierte in Hamburg eine Schauspielausbildung. Im Alter von 17 Jahren wurde sie von ihren Eltern nach Berlin geschickt, um dort eine Handelskurs zu besuchen.1) Dort lernte sie in Gesellschaft den Grafen Sascha Kolowrat kennen, den Gründer der Wiener Sascha-Film-Gesellschaft und wurde vom Fleck weg engagiert. In Wien wurde sie unter dem Künstlerinnennamen Mary Kid zum Star aufgebaut und durfte sofort Hauptrollen spielen. Dies war, so Mary Kid in einem Interview, damals zur Zeit des Stummfilms noch möglich.1) 1923 trat sie in ihren ersten Stummfilmrollen auf. 1924 kehrte sie nach Deutschland zurück und spielte hier zum Beispiel in den Stummfilmen „Lumpen und Seide“ (1924); „Eifersucht“ (1925) „Der Bastard“ (1925); „Das Gasthaus zur Ehe“ (1926); „Mädchenhandel – eine internationale Gefahr“ (1926); „Gauner im Frack“ (1926); „Die Pflicht zu schweigen“ (1927); „Lützows wilde verwegene Jagd“ (1927). Der Stummfilm „Vorderhaus und Hinterhaus“ aus dem Jahr 1925, in dem Mary Kid auch mitspielte, durchlief sieben Zensurprüfungen mit dem Resultat: Aufführungsverbot. Schließlich erteilte die Oberprüfstelle eine Aufführungserlaubnis, aber nur unter der Bedingung, dass der Film für die Jugend gesperrt bleibe. Bemängelt wurden angeblich sittlich anstößige Passagen. 1928 ging Mary Kid zurück nach Österreich, wo sie weiterhin als Filmschauspielerin tätig war, so z. B. in den Stummfilmen „Andere Frauen“ von 1928, in dem es um weibliche Homosexualität geht. Zu ihren letzten Stummfilmen gehörte die 1930 gedrehte heitere Geschichte "Der Onkel aus Sumatra". Mary Kid zog dann nach Italien, wo sie in zwei Tonfilmen auftrat: in der Komödie "Rubacuori" (1930), in der es um einen gealterten Frauenhelden geht und in der Romanze "Saltarello – Ein Roman zweier Menschen" (1932). Damals muss sie laut einem Artikel in „Mein Film“ aus dem Jahre 1934 einen amerikanischen Finanzmann geheiratet haben, den sie auf Geschäftsreise nach China begleitete und deshalb über ein Jahr lang keinen Film mehr drehte. 1934 zurück in Österreich stand sie im selben Jahr nochmals vor der Kamera. Durch ihren Mann, der sich geschäftlich für ein neues Farbfilmverfahren interessierte, stand sie für Testaufnahmen für solch ein Verfahren vor der Kamera. Dann zog sich Mary Kid aus der Filmbranche zurück. 1955 heiratete sie in zweiter Ehe den Theaterleiter Werner Jaeger. Laut Nachtragseintrag in ihrer Geburtsurkunde soll sie 1938 in Bukarest geheiratet haben. 2) Mary Kid starb 1986 3) im israelitischen Krankenhaus Hamburg und wurde im anonymen Urnenhain bei Kapelle 8 auf dem Friedhof Ohlsdorf beigesetzt. Quellen: „Filmen ist eine Leidenschaft, sagt Mary Kind, in: Mein Film Nr. 446, 1934. Geburtsurkunde, aus: ancestry. Generalregister Sterbefälle 1951-1993, unter: https://www.hamburg.de/politik-und-verwaltung/behoerden/behoerde-fuer-kultur-und-medien/einrichtungen/staatsarchiv/332-5-standesaemter-generalregister-sterbefaelle-111622 (abgerufen: 18.11.2024)

    Frieda Roblick

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    25.4.1917

    Dezember 1974
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Verstorbene Vereinsmitglieder

    Rosamunde Pietsch

    Leiterin der weiblichen Schutzpolizei Hamburg, Polizeihauptkommissarin

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    2.2.1915

    18.5.2016
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    Johannes-Brahms-Platz 1 Kirchenallee Polizeirevier Eine der ersten Polizistinnen der "weiblichen Polizei" war Rosamunde Pietsch. Als 1945 der erste Lehrgang für die neu einzurichtende Abteilung der uniformierten weiblichen Schutzpolizei einberufen wurde, gehörte sie dazu. Die Polizeiabteilung "weibliche Schutzpolizei", die 1945 auf Intervention der britischen Militärregierung eingerichtet worden war, hatte damals ihren Sitz im 9. Stock das DAG-Hauses am Johannes-Brahms- Platz 1. Dort residierte damals die Innenbehörde. Die Leitung der "weiblichen Schutzpolizei" übernahm Miss Sofie Alloway. Die nach dem Vorbild von Scotland Yard geführte "Weibliche Schutzpolizei" hatte ihre Aufgabengebiete im Jugendschutz, in der Gefahrenabwehr für Minderjährige, in der Ahndung von Sittlichkeitsdelikten und in der Verfolgung von Straftaten Jugendlicher unter vierzehn Jahren sowie Straftaten von Frauen. "Rosamunde Pietsch wollte wie ihr Vater zur Polizei gehen. Ihr Ausbildungswunsch blieb unerfüllt, weil der Vater als SPD-Mitglied nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 seinen Beruf verlor und nur eine kleine Pension erhielt, die für eine Familie mit drei Kindern nicht ausreichte. Außerdem wurde er 1934 auch noch von den Nazis verhaftet. Die Mutter ging Reinemachen und auch Rosamunde, als älteste Tochter, musste mitverdienen. Sie arbeitete als Hausgehilfin in verschiedenen Stellungen und während des Zweiten Weltkrieges in einer Munitionsfabrik, dem Hanseatischen Kettenwerk. Der Vater war, fast 60jährig, gegen Kriegsende noch zur Wehrmacht einberufen worden. Als Unbelasteter wurde er nach der Befreiung vom Nationalsozialismus sofort aus Dänemark zurückgeholt, um in Hamburg beim Aufbau der deutschen Polizei mitzuhelfen. Dadurch erfuhr Rosamunde, dass die Engländer eine weibliche Schutzpolizei nach englischem Muster einrichten wollten. Bereits im August 1945 konnte sie sich zur Ausbildung melden. Für die Bewerbung gab es keine Altersgrenzen. Die einzige Bedingung war, vom Nationalsozialismus "unbelastet" zu sein und möglichst eine sozialfürsorgerische Ausbildung genossen zu haben. Rosamunde Pietsch hatte eine Ausbildung an einer Hauswirtschaftlichen Frauenfachschule absolviert. Seit 1927 gab es in Hamburg eine kleine Zahl von Kriminalbeamtinnen, die nach 1945 weiter im Amt blieben. Eine von ihnen übernahm nun die Auswahl von 30 Anwärterinnen für die weibliche Schutzpolizei. Viele der Ausbildungsbewerberinnen hatten sich gemeldet, um ein Dach über den Kopf und eine warme Mahlzeit zu bekommen. Es waren Flüchtlinge aus dem Rheinland und Krankenschwestern, die aus irgendwelchen Lazaretten kamen. Ihnen gegenüber hatte Frau Pietsch als Hamburgerin durch die Anbindung an ihre Familie gewisse Vorteile. Am 25. Oktober traten die 30 Frauen auf dem Kasernenhof Zeisestraße in Altona zur Einberufung an. Jede erhielt ihren Namen mit einer Sicherheitsnadel angeheftet. Der englische Oberst musterte alle von Kopf bis Fuß; es ging zu wie beim Militär. Die Polizeischülerinnen mussten die Kleidung selbst mitbringen: Baskenmütze, Trainingshose, Schuhe und Handschuhe. Die Frauengruppe war in einem wiederaufgebauten Kasernenblock untergebracht, in dem es feucht und kalt war; Wolldecken für die Betten gab es nicht. Unter den 300 Anwärtern waren die 30 Frauen in der Minderzahl. Sie erhielten die gleiche Ausbildung wie die Männer. Es gab keine reinen Frauenklassen; je 5 Schülerinnen wurden einer Klasse zugeteilt. In acht Wochen lernten sie das Wichtigste über Festnahme, Inverwahrnahme, Strafprozeßordnung, Anordnung einer Untersuchung. (…) Nach Beendigung des Lehrgangs wurden je zwei der Polizistinnen einer Revierwache zugeteilt. Untergebracht warehn sie zunächst bei der weiblichen Kriminalpolizei auf der Drehbahn, später zogen die Schutzpolizistinnen um in die Kirchenallee. Zuerst wurden sie in Zivil eingesetzt, bis im November 1946 die Uniformen ankamen. (…) Das Einsatzgebiet von Frau Pietsch war die Umgebung des Hauptbahnhofs mit den verschiedenen Bunkern (…). Besonders berüchtigt war die Jahnhalle, eine große Turnhalle, die sich dort befand, wo heute die Busse abfahren. Mitten durch die Halle führte eine ‚Wolldeckenallee': an aufgespannten Wäscheleinen hingen Betttücher und Wolldecken, dahinter lebten Familien, ebenfalls durch Decken voneinander abgetrennt. Wenn Personen wegen Haftbefehls gesucht wurden, mussten immer zuerst die Bunker durchgekämmt, die Ausweise kontrolliert werden, nachts mit Taschenlampen. Morgens saßen die beiden Polizistinnen zusammen mit ihren männlichen Kollegen in der Revierwache am langen Tresen, dann kamen auch schon Bunkerinsassen, barfuß, eine Wolldecke umgehängt, und erstatteten Anzeige darüber, was man ihnen in der Nacht gestohlen hatte. Die Lokale am Hauptbahnhof, Reichshof, Europäischer Hof, waren unbeschädigt und von den Engländern besetzt. Davor fanden sich von frühmorgens an Scharen von Kindern ein, die die Engländer anbettelten, Kippen sammelten, um zu Hause den Tabak herauszunehmen und auf dem Schwarzmarkt zu bringen. Die Engländer wiesen die Polizei an, diese Belästigung abzuschaffen. Ja, aber wie? Als die Polizistinnen noch keine Uniform hatten, kam es immer wieder zu großen Aufläufen, wenn sie ein Kind erwischt hatten und dieses wie am Spieß schrie. Bis sie dann ihren Ausweis hervorgekramt hatten, war das Kind entwischt. (…) Ähnlich war es beim Kohlenklau. Man wusste, dass die Kohlenzüge über Tiefstaak durch den Hamburger Hauptbahnhof fuhren. Da standen dann überall strafunmündige Kinder, von ihren Eltern geschickt, um für die Familie zu sammeln. Wie war da dem Befehl zur Verhinderung des Kohlediebstahls nachzukommen? In Gewissenskonflikte kamen die Polizistinnen ebenfalls bei der Jagd auf Hamstergut. Frau Pietsch empfand es als reine Schikane, wenn sie zusehen mussten, wie die Engländer ‚das in die Elbe schütteten'. Obendrein wurde die deutsche Polizei von ihren Landsleuten beschimpft. 52 Wochenstunden arbeiteten die Polizistinnen. Zum Streifendienst mussten sie sich beim Wachhabenden melden und wurden dann eingeteilt: Kinder und Jugendliche aufgreifen und zur Wache bringen. Nach zwei Stunden meldeten sie sich zurück, zogen schnell Zivilkleider an, um den Kriminalbeamtinnen zu helfen. Meist ging es um kleine Kriminalfälle in den Laubenkolonien: Apfelklau, Holzklau (…). Danach hetzten sie wieder zur Wache, wieder zwei Stunden Streife (…). Dazu kam schichtweise eine ganze Woche sehr anstrengender Nachtdienst von einem Sonntagabend bis zum nächsten; am Montag begann die Spätschicht um 16 Uhr. Die Schwerstarbeiterkarte, die Polizistinnen zustand, wies 50 gr Fleisch, 50 gr Butter, 100 gr Weißbrot auf. Zum Hunger kam der Mangel an Hygiene. Bei ihren Streifen durch die Lager fing sich Frau Pietsch Läuse, die sich ein einmal mit Petroleum loswurde. Mit der britischen Militärregierung ergab sich eine besondere Art der Zusammenarbeit im Kampf gegen die Geschlechtskrankheiten. Den Polizistinnen fiel die Aufgabe zu, die bei den Razzien festgenommenen Frauen zur Untersuchung zu bringen. Eine Kollegin von Frau Pietsch wurde für mehrere Wochen verpflichtet, mit den Engländern Streife zu gehen. Sie fureh dann irgendwohin, z. B. vor die Staatsoper, griffen zehn bis fünfzehn Frauen auf und führten sie einfach ab zur Untersuchungsstelle Altona. Die Betroffenen protestierten und schimpften, beschimpften auch die deutsche Polizistin. Frau Pietsch erinnert sich daran, dass bei jeder Fuhre eine bis zwei Kranke waren. Die Gesunden wurden sofort wieder entlassen, mit den Kranken fuhren die Polizistinnen, in Begleitung der Engländer, ins Krankenhaus Ochsenzoll. Die deutschen Polizistinnen mussten auch hin und wieder bei der Besatzungsmacht arbeitende deutsche Zivilangestellte nach Schmuggelware - Kakao, Kaffee, Schinken (…) - durchsuchen. Und wieder wurden sie beschimpft. Auch bei Schwarzmarktrazzien in den Zentren Talstraße, bremer Reihe, Eppendorfer Park, wurden Polizistinnen eingesetzt. Eine Kollegin von Frau Pietsch erhielt Disziplinarstrafe, weil sie einer weinenden Frau mit Kind das beschlagnahmte Päckchen Zigaretten wieder zurückgegeben hatte. All dieses war höchst unangenehm (…). 1948 wurde Frau Pietsch als einzige Frau zusammen mit 48 Männern für die höhere Beamtenlaufbahn ausgesucht. Die Ausbildung dauerte 5 Jahre. [1953 war Rosamunde Pietsch die einzige Frau, die als Kommissarin ausgebildet wurde. 1954 avancierte sie zur Leiterin der 45 Frauen starken "Weiblichen Schutzpolizei" und gründete 1961 die so genannte Jugendschutztruppe. Mit jeweils einem Erzieher brachten sie "Ausreißer" nach Hause und durchsuchten Lokale auf dem Kiez nach Jugendlichen. 1975 schied Polizeihauptkommissarin Rosamunde Pietsch, die seit 1933 bis zu ihrem Tod Mitglied der SPD war, aus dem Polizeidienst aus. Dreizehn Jahre später löste sich die "Weibliche Schutzpolizei" als eigene Dienststelle auf.] Die erfolgreiche Arbeit der Polizistinnen in diesem Bereich war einer der Gründe für den Senatsbeschluss 1978, den Polizeidienst für Frauen in Hamburg vollständig zu öffnen. Rückblickend lautete das Urteil von Rosamunde Pietsch: Die Polizistinnen haben die Vorstellung von der Polizei als rein männliche Institution verändert. Hamburg hat die weibliche Schutzpolizei beibehalten, weil sie gut war. Polizistinnen wussten besser mit eingelieferten betrunkenen, randalierenden Frauen umzugehen, haben sie nicht zusätzlich provoziert, wie Männer das gewohnt sin dzu tun. Frauen können auch ‚umhertreibende' Mädchen besser verstehen, verletzte Kinder einfühlender vernehmen. Was Frau Pietsch in den turbulenten Nachkriegsjahren gelernt hat, wies ihr die Richtung für ihre spätere Arbeit, die sie vor allem dem Jugendschutz gewidmet hat, verstehend, vorbeugend, helfend." 1) Der "Weiblichen Schutzpolizei" waren Streifengänge mit männlichen Kollegen der Revierwachen verboten. Auch durften die Polizistinnen weder den Straßenverkehr regeln noch einen Streifenwagen fahren. Sie mussten ihren Dienst zu Fuß versehen, und es war ihnen nicht erlaubt, eine Waffe zu tragen, weil sie daran nicht ausgebildet wurden. Eine Änderung trat erst 1976 ein, nachdem sich eine Beamtin der Wache St. Pauli über die Vorschriften hinweggesetzt hatte: Bei einem Streifengang mit ihrem Kollegen hatte sie einen Streit zwischen drei - wie es damals hieß - "Südländern" und einem Taxifahrer beobachtet. Als ihr Kollege eingreifen wollte, zog einer der "Ausländer" eine Pistole. Erst der lautstarke Einsatz seiner Gummiknüppel schwingenden Kollegin rettete den Polizisten aus seiner Bedrängnis und bewirkte einen Antrag auf gleichberechtigte Ausbildung aller Polizistinnen an der Waffe. Doch nicht alle waren mit dieser Neuerung einverstanden. Viele männliche Kollegen diskriminierten die an der Waffe ausgebildeten Polizistinnen als "Flintenweiber". Quelle: 1) Werkstatt der Erinnerung (WdE)/Fst 42, Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg. Abgedruckt in: Inge Grolle: Frauen nach dem Krieg 1945-1950. Geschichte - Schauplatz Hamburg. Hamburg 1994, S. 40-41.

    Elke Albertsen

    55 Jahre, Diplom-Bibliothekarin

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    31.12.1953
    Nordhackstedtfeld

    18.06.2009
    Hamburg
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    "Oh Mensch, lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel mit dir nichts anzufangen!" (Augustinus)
    Als drittes von elf Kindern wuchs Elke auf einem Bauernhof in Nordfriesland auf. Sie besuchte zunächst die Grundschule in Haselund und dann die Theodor-Storm-Schule in Husum, wo sie 1972 ihr Abitur machte. In Hamburg studierte sie an der Fachhochschule für Bibliothekswesen und arbeitete als Diplom-Bibliothekarin 30 Jahre lang in der Dokumentation vom Deutschen Überseeinstitut, heute German Institute of Global and Area Studies, zuständig für Asien, zeitweilig auch für Nahost.
    Im Berufsalltag setzte sich Elke neben ihren regulären Aufgaben lange und mit viel Courage als Betriebsrätin ein. Ihre Offenheit, Geradlinigkeit und Tatkraft haben die Arbeit im Informationszentrum mit geprägt. Auch als sie aufgrund ihrer Krebserkrankung schon nicht mehr im Betrieb arbeiten konnte, trafen beim Betriebsrat noch ihre Recherchen z.B. zu Laserdruckern oder zur Ergonomie am Arbeitsplatz ein. Elke verband über Jahre und Jahrzehnte ein sehr freundschaftliches Verhältnis mit Kolleginnen und Kollegen, auch mit Ehemaligen.
    1986 lernte Elke während eines Urlaubs in Griechenland ihren späteren Ehemann kennen. Die Insel Thassos wurde zu ihrer zweiten Heimat. 1991 wurde in Hamburg die Tochter geboren. 1992 entdeckte Elke über die Volkshochschule den Folkloretanz, der sie nicht mehr los ließ. Sie genoss die Musik und die gemeinsame Bewegung in der Gruppe. Besonders die griechischen und osteuropäischen Tänze hatten es ihr angetan. Sie übersetzte viele Liedtexte und recherchierte zu den Tänzen.
    Elke war akribisch genau und sehr gewissenhaft. Sie war in ihrem privaten Umfeld eine gefragte Korrekturleserin und Lektorin. Sie fand nicht nur alle Fehler, sondern verfolgte auch den Inhalt der Texte genau und lieferte Vorschläge für stilistische oder inhaltliche Verbesserungen.
    Elke war immer politisch interessiert und engagiert. Ihr Hauptinteresse galt lange Zeit Nordafrika. Sie studierte Zeitungen, auch französischsprachige, übersetzte und archivierte Artikel. Als aktive Gegnerin der Atomenergie geriet sie 1986 in den "Hamburger Kessel": Eine Protestdemonstration gegen das AKW Brokdorf wurde gleich beim Start in Hamburg auf dem Heiligengeistfeld von der Polizei stundenlang eingekesselt. Elke wurde auf eine weit entfernte Polizeiwache gebracht und kam erst nach mehr als zwölf Stunden frei!
    Elke hat zeitweise in Frauengruppen mitgearbeitet und die Hamburger Frauenwoche mit vorbereitet, eine jährlich stattfindende politische Bildungsveranstaltung.
    Das unerbittliche Krebsleiden, dem Elke seit 2004 tapfer alle Kraft, alles Wissen und allen Widerstand entgegensetzte, beendete ihr überaus aktives und engagiertes Leben weit vor der Zeit.

    Wiltrud Asseburg

    83 Jahre, Tagungssekretärin

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    5.6.1939

    10.8.2022
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    Gisela Awe

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    30.4.1939

    7.3.2017
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    77 Jahre, Lehrerin

    Herta Bahn

    89 Jahre, Hausfrau

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    8.5.1916

    15.02.2006
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    Ursula Bergmann

    69 Jahre, Sozialpädagogin

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    2.12.1952

    16.1.2022
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    Elfriede ("Elfi") Bock

    geb. Sindel

    83 Jahre, Sekretärin und Kursleiterin

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    12.02.1929

    06.06.2012
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    Elfriede Bock stammte aus einfachen Verhältnissen. Ihr Vater war Fernfahrer und kommentierte die Geburt seiner Tochter mit "Och, nur 'n Mädchen...". Sie lernte, sich zu behaupten. Als Vierzehnjährige überlebte Elfi nur knapp den Hamburger Feuersturm - ein lebenslanges Trauma. Mit achtzehn erwarb sie den LKW-Führerschein. Lediglich zur Rechtsanwaltsgehilfin ausgebildet, stieg sie auf zur Direktionssekretärin eines großen Konzerns. Ihre Begeisterung für das Akkordeon führte sie bis in das bundesweit beliebte "Ahoi Akkordeon-Orchester". Sie spielte jahrzehntelang auf großen Bühnen. Nach ihrer Heirat (1959) brachte Elfi zwei Kinder zur Welt. Unter ihre - am Ende unglückliche - Ehe zog sie nach 27 Jahren den Schlussstrich. Als Kursleiterin im Winterhuder Kulturzentrum "Goldbekhaus" schuf sie sich ein eigenes Leben. Sie unterrichtete Schneidern, Zeichnen, Seidenmalen und weitere künstlerischen Techniken. Parallel dazu nahm sie ihrerseits Unterricht bei führenden Hamburger Malern, arbeitete ehrenamtlich in Erwerbslosenzentren und organisierte Malreisen. Aquarelle und Skizzen aus dieser Zeit zeigen Motive in Litauen, England, Frankreich, Italien, Spanien und Nordafrika. Am Goldbekhaus war Elfi 1987 Mitbegründerin eines der ersten deutschen Alten-Theater: "Die Herbstzeitlosen". Im Jahr 1999 wurde sie Mitglied der Hamburger Autorengruppe "literadies", der sie bis zu ihrem Tod angehörte. Angehörige und Freunde vermissen eine großartige Frau mit Humor, Hilfsbereitschaft und warmherziger Offenheit.

    Sonja Bockelmann

    94 Jahre, Beamtin im Amt für Arbeitsschutz

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    23.8.1922

    18.6.2017
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    Beerdigungsansprache
    Liebe Familien Romero, Stempel, Bockelmann, Franke und Höffer, liebe Verwandte, liebe Unterstützende vom Pflegedienst, Freunde und Weggefährten der Verstorbenen, schön, dass Sie heute alle da sind, um Sonja Bockelmann das letzte Geleit zu geben, dass Sie sich Zeit nehmen, um das Leben der Verstorbenen noch einmal zu würdigen und Abschied zu nehmen.

    Sie hatte mit ihren fast 95 Jahren - in 14 Tage wäre sie ihr Geburtstag gewesen - ein hohes, ja schon bibliches Alter erreicht.
    Sonja Bockelmann war eine bemerkenswerte Frau. Sie schätzte Menschen, die für ihre Überzeugung einstanden, die kein Blatt vor den Mund nahmen, wenn sie Unrecht entdeckten. So mochte sie Victor Jara, der sich für sein Land auf bemerkenswerte Weise gewaltfrei einsetzte, nämlich mit Musik: Er zeigte die einfachen Leute, ihr Leben und die Probleme in einer Gesellschaft mit krassem Sozialgefälle. Seine Texte handeln von der gesellschaftlichen Ungerechtigkeit oder politischen Skandalen.

    Auch Sonja war ein widerständiger Mensch und hat sich für eine gerechtere Welt eingesetzt. Ob sie sich für Frauen in der Gewerkschaft, in der solidarische Kirche oder bei der Friedensbewegung engagiert hat. Sie war in ihrem späteren Leben weit aufgespannt und hatte die verschiedensten Kontakte zu Menschen, die sich politisch und gesellschaftlich engagierten. Wer hätte gedacht, dass sie in ihrem Leben in diese Richtung wachsen würde. Mit ihrem lieber Enkel Max wurde sie, gerade im höheren Alter, wie sie selbst sagte, immer linksradikaler. So wurde zu ihrem 90. Geburtstag die "Internationale" angestimmt.
    Sonja wurde 1922 als Einzelkind geboren, hatte aber immer enge Beziehung zu den Cousinen und Tanten. Sie wuchs in einem kritischen Elternhaus auf.
    Politik und Engagement hat sie ihr Leben lang begleitet. Die schrecklichen Ereignisse des Nazi-Regime haben ihre Einstellung im Leben geprägt. Die Verhaftung des Vaters, die Gewalt und der Verlust seines Gehörs hat die Familie mit geformt. Und dennoch mußte Sonja ihren Dienst beim BDM und als Flakhelferin tun.
    Als junge Frau war Sonja schon an Theater und Oper interessiert, was sie sich ihr ganzes Leben erhielt. Noch bis ins hohe Alter besuchte sie Vorstellungen mit ihrer Cousine Ingrid u.a. im Ernst-Deutsch-Theater.
    Auf einer Tanzveranstaltung Mitte der 40iger lernte sie den hübschen Hans Stürzer kennen und verliebt sich in den Österreicher.
    Die Hütte im Poppenbüttler Schrebergarten von Sonjas Eltern wurde zu einem Haus ausgebaut. Und mit der Geburt der einzigen Tochter Christel lebten nun drei Generationen unter einem Dach. Sicherlich nicht immer eine leichte Zeit, aber man kam zurecht.
    Sonja sprach von ihren Kindheitserinnerungen, das Leben im Kleingarten, als eine glückliche Zeit. Sicherlich wurde da der Grundstein für ihre Liebe zur Natur, zu Blumen und Tieren gelegt. Zur Achtung vor dem, was auf dieser Erde so kreucht und fleucht.
    Dieser Liebe blieb sie ein lebenlang treu.
    Die Ehe mit Hans Stürzer fand schon nach einigen Jahren ihr Ende - für die damalige Zeit eine Besonderheit: eine alleinerziehende Mutter. Aber Sonja stand in dieser Zeit zu ihrem Leben. Sie setzte sich ein, eine Arbeit zu finden und so zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen.
    Die kleine Christel ging in den Kindergarten und war danach bei der Großmutter im Haus. Auch sie war eine starke Frau, die viel im Garten arbeitete und eine tolle Näherin war - aus allem konnte sie schöne Sachen nähen.
    Sonja war zunächst Verwaltungsangestellte bei der Gewerkschaft.
    Nachdem sie mit viel Einsatz ihre Inspektor*innenausbildung abgeschlossen hatte, war sie über diese Aufgabe sehr glücklich, denn nun konnte sie sich für Menschen am Arbeitsplatz einsetzen und speziell für Schwangere und Mütter bessere Arbeitsbedingungen schaffen.
    Es war eine erfüllende Zeit.
    Ihr Chef schätzte die junge Kollegin sehr, verliebte sich in sie und er wurde ihr zweiter Ehemann. Mit der Heirat von Erich Bockelmann bekam sie eine neue Familie und einen Sohn dazu: Jürgen Bockelmann.
    Leider war ihr zweiter Mann gesundheitlich nicht so gut aufgestellt, so dass Sonja ihn über viele Jahre versorgt hat, zunächst neben ihrer Arbeit, die sie auf 50% runterfuhr. Mit 60 Jahren war die Doppelbelastung zu groß, dass sie ihren Beruf aufgab, um ganz für den Mann, die Kinder und vor allem dann auch für die Enkel da zu sein.
    Und es gab eine Vielzahl davon, nicht nur die familiären, sondern auch die vier angenommenen Enkel.
    Frau Romero-Stempel, Sie schreiben, dass Sonja ihre Enkel liebte und dass sie mit ihnen ein "Familienleben nachholen konnte, dass ihr früher versagt geblieben ist".
    Sonja unternahm gern und viel mit der Enkelschar. Alle haben mit der begeisterten Schwimmerin das "Seepferdchen" gemacht.
    Sie unterstützte die Familie, ihre Enkel und "Leih-Enkel" wo sie nur konnte, und unternahm mit der kleinen Maria sogar Reiterferien.
    Ich habe Sonja bei Brot&Rosen als sehr interessierte Frau wahrgenommen, die sich vom Leid anderer Menschen anrühren ließ. Nicht selten stellte sie kritische Fragen zu der Asylgesetzgebung in diesem Land, die so menschenverachtend mit Geflüchteten umging, die doch alles verloren hatten und wegen politischer Verfolgung ihr Land verlassen mussten.
    Die Geflüchteten im Haus B&R hatten es aus der Bedrängnis geschafft und wollten sich einfach nur ein neues geregeltes Leben aufbauen - getrennt von ihren Familien.
    Und Sonja war empatisch. Sie verstand, was es bedeutete, wenn eine Familie verfolgt wird.
    Familie hat ihr immer viel bedeutet - vielleicht konnte sie es nicht immer zeigen, aber es war ein Teil ihres Herzens. Nicht umsonst unterhielt sie zeitlebens Kontakte mit den Ost-Berlinern, mit Tante Hanne, mit der Familie in anderen Stadtteilen, mit Maria nach Israel und vielen anderen ...
    Aber auch darüber hinaus waren Begegnungen mit Freunden und Freundinnen für die Verstorbene Zeit aus denen sie Kraft und Anregungen zog: die solidarische Kirche, die Friedensbewegung, die Zeit mit Peter Franke und Donata Höffer, ...
    Mit so vielen Menschen stand sie in Kontakt. Menschen und ihre Geschichten waren der Verstorbenen wichtig.
    Sie war vielseitig interessiert, ließ sich berühren und unterstützte Vereine und Einrichtungen: Greenpeace, Kinder mit Krebs, die Frau von Viktor Jaras und das Tanzprojekt der traumatisierten Frauen, Brot&Rosen, Mitglied bei VVN...
    Sie war eine interessierte Leserin, viele politisch motivierte Bücher stehen in ihrem Bücherregal.
    Und im Spielen traf man sich: ob beim Scrabbel, beim Skat oder beim Mensch-ärgere-Dich-nicht, was sie bis zum Schluss noch gern gespielt hatte.
    Sonja hatte eine lange Geschichte mit Krankenhäusern: Immer wieder brach sie sich etwas: mal die Hand, dann wurde ein Knie ersetzt, Leistenbruch, Oberschenkelhalsbruch und weitere OP´s. Sie hat sich immer wieder aufrappelt, auch wenn sich die Möglichkeiten weiter einschränkten.

    Der Rollstuhl war für sie nichts Erschreckendes, denn er bedeutete auch eine neue Freiheit und die Möglichkeit, sich in den benachbarten Schrebergarten fahren zu lassen.
    Viele Menschen waren für die da und haben sie mit Besuchen aufgeheitert, ihre Freundin Almuth, die "Bockelmänner" Jürgen, Irmgard, Britta und Ulf, die die Verstorbene sehr oft zu den Oster- und Weihnachtsfesten nach Tangstedt holten.
    Und auch Max, der sich rührend um seine Oma gekümmert hat, mit ihr politisch im Einklang schwang und wöchentlich Kontakt mit ihr hielt. Die Urenkel verzauberten die Verstorbene, denn nun wuchs eine neue Generation heran.
    Die Tagespflege hatte Sonja als Gewinn erlebt, ein Lebenselexier. Auf die Mitarbeiterin des Pflegedienstes hat sie sich gefreut. Es war eine Abwechslung im Alltag.
    Marianne, eine Pflegerin, erzählte, dass sie viel und gern miteinander gelacht haben. So Mitte Mai wurde sie allerings immer weniger und so manches Mal hat sie gesagt, dass sie nicht mehr mag. Sie konnte einfach auch nicht mehr, ihre Lebenskraft war aufgebraucht. Sie wurde immer dünner, und wollte zum Schluss auch nicht mehr in die Tagespflege, auf die sie sich sonst so gefreut hatte. "Heute möchte ich liegen bleiben! Morgen stehe ich wieder auf!" war ein Satz, der in der letzten Zeit immer öfter zu hören war.

    Jetzt hat sie sich hingelegt und wird nicht wieder aufstehen. Sie hat ihre Ruhe gefunden.
    Wir nehmen Abschied von einer beeindruckenden Frau,
    die die Insel Amrum zu genießen verstand,
    die bescheiden und genügsam ihren Weg gegangen ist, ohne die großen Sprünge zu vermissen,
    die extrovertiert und gesellig war,
    die eine starke Persönlichkeit für die Menschen war, die sie geliebt haben.
    Nun lassen wir sie gehen.

    Und Sie gehen miteinander Ihren Lebensweg weiter. Bis wir alle eines Tages diese Welt verlassen und dorthin gehen, wohin Sonja Bockelmann uns nun vorausgegangen ist.
    Amen.

Frauen auf der Erinnerungsspirale

    Dr. Margareta Adam

    Hochschullehrerin, leistete Widerstand gegen das NS-Regime, ohne einer Widerstandsgruppe anzugehören

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    13.07. 1885
    Patschkau/Schlesien

    27.03.1946
    Berlin
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    Dr. Margareta Adam, Dozentin an der Hamburger Universität und an der Volkshochschule in Hamburg, entstammte einer deutsch-nationalen Familie und war überzeugte Katholikin. In den ersten Jahren der Herrschaft des Nationalsozialismus wandte sie sich in Briefen und Flugblättern an Reichswehroffiziere und bekannte Personen des öffentlichen Lebens in der Hoffnung, dass diese Menschen bereit und imstande seien, Hitler zu stürzen. 1937 wurde Dr. Margareta Adam verhaftet und zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Sie kam in die Frauengefängnisse Lübeck-Lauerhof und Cottbus und dort in Einzelhaft. 1944 wurde sie wegen Haftunfähigkeit in das Krankenhaus Rosstal bei Dresden und später in die Berliner Charité gebracht.Im März 1946 starb sie an einem Tumorleiden.

    Mara Arndt

    "Der Engel der Gefangenen"

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    15.12.1900
    Palmnicken/Samland

    2.6.1964
    Hamburg
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    Vor dem Zweiten Weltkrieg betrieb Mara Arndt eine kleine Buchhandlung mit Antiquariat in der Französischen Straße in Königsberg. Während des Krieges floh sie nach Dänemark und begann dort mit der Flüchtlingsbetreuung, was zu ihrer weiteren Lebensaufgabe wurde. Von Dänemark kam sie über Bremen nach Hamburg und baute hier eine private Vermisstenkartei auf. Ihr Organisationstalent und ihre unermüdlich tätige Nächstenliebe waren dabei ihre einzigen Hilfsmittel. Sie schickte Briefe und Pakete in die Gefangenenlager und wurde für Tausende von Häftlingen westlicher und östlicher Kriegsgefangenenlager die einzige Hoffnung. Mara Arndt gelang die Freilassung von über 4500 Kriegsgefangenen. Wegen ihres Engagements wurde sie jahrelang diffamiert und sogar der Spionage für den "Osten" verdächtigt. 1960 bekam sie das Bundesverdienstkreuz verliehen. Sie lebte von einer sehr geringen Rente in der Pestalozzistraße 29 b.

    Albertine Assor

    Gründerin u. Leiterin, erste Oberin, der später nach ihr benannten, evangelischen Diakonie- und Krankenanstalten

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    22.3.1863
    Zinten/Ostpreußen

    22.2.1953
    Hamburg
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    Albertine Assor, deren Vater nach jahrzehntelanger Arbeit als Maurerpolier Prediger in Baptistengemeinden wurde, wandte sich der Gemeindediakonie zu, wurde 1891 Gemeindeschwester in Berlin-Moabit und kümmerte sich um arbeitslose junge Frauen und Straßenkinder. 1894 arbeitete sie in einem Bochumer Wohnheim für junge Frauen, ab 1895 als Gemeindeschwester im Berliner Norden, ab November 1902 dann als Oberin des Diakonissenhauses Tabea in Altona. Ihre selbstbewussten Ansichten kollidierten mit der Weltfremdheit des Hausvorstandes des Diakonissenhauses und dem dortigen männlichen Regiment. 1907 kam es zum Bruch: Albertine Assor wurde entlassen. Daraufhin gründete sie am 1.5.1907 zusammen mit sieben weiteren abtrünnigen Schwestern in einer kleinen Mietwohnung in der Fettstraße 20 das baptistische Diakonissen-Mutterhaus Siloah. Albertine Assor führte für die Schwestern u. a. das Mitbestimmungsrecht ein und sorgte dafür, dass sie sozialversichert wurden. Die Hilfe von Frau zu Frau war für Albertine Assor ein wichtiges Element, um Frauen ein neues Selbstwertgefühl zu geben. So übernahm sie im Januar 1909 ein Mädchenheim für alleinstehende erwerbstätige Mädchen in Hamburg-Eilbek, gründete 1910 den Schwesternverband, kaufte 1918 ein Haus in der Tornquiststraße 50, das zum Mutterhaus umgebaut wurde. Eifersucht, Ehrgeiz und Unverstand führten im Oktober 1919 zur Suspendierung Albertine Assors von ihrem Amt als Oberin bei Siloah. Sie zog zu Verwandten nach Ostpreußen und organisierte bereits ein Jahr später die Wanderfürsorge. 1921 wurde sie die 1. Vorsitzende des Schwesternverbandes, im Januar 1922 Leiterin eines christlichen Erholungsheimes in Schorborn. Als Siloah in eine Krise geriet, bat man um Albertine Assors Rückkehr nach Siloah. Im März 1925 wurde sie wie-der als Oberin eingesetzt. 1927 pachtete sie für Siloah das Krankenhaus Am Wei-her, das ab 1928 eine eigene Kranken-pflegeschule erhielt. Weitere Einrichtungen der Schwesternschaft u. a.: 1928 Kauf des Hauses Tornquiststraße 48 als Altenheim; 1930 Umzug des Mädchenheims in die Heimhuderstraße 78, dort Einrichtung eines Leichtkrankenhauses für Frauen. 1935 Kauf des Hauses Mittelweg 111 als Leichtkrankenhaus für Männer. 1938 Kauf der Klinik Johnsallee. 1941 legte Albertine Assor ihr Amt nieder. Kurz darauf wurde auf staatliches Drän-gen der jüdische Name Siloah "getilgt" und das Werk in Albertinen-Haus umbenannt. Heute trägt das Werk zu Ehren seiner Gründerin den Namen Albertinen-Diakoniewerk e.V. Es gehört zum Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden. Das Albertinen-Krankenhaus und die Altenwohnanlage befinden sich in Hamburg Schnelsen.

    Rosa Bartl

    geb. Leichtmann

    Illusionistin, Zauberhändlerin, eine der vier "Magischen Schwestern" der "Leichtmann-Zauber-Dynastie", ab 1950 Mit-Inhaberin "Zauberzentrum János Bartl" Hamburg; NS-Verfolgte Hamburg

    Ornament Image
    17.7.1884
    Wien

    23.9.1968
    Hamburg
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    Warburgstraße 47 (1910 erwarben Rosa und János Bartl ein Erbbaurecht in der seinerzeitigen Klopstockstraße-Fontenay; 1947 wurde diese Straße umbenannt in "Warburgstraße". Unter der Adresse "Warburgstraße 47" lebten Bartls bis zum Tode von Rosa 1968. 1962 - 1968 war die Warburgstraße gleichzeitig Geschäftsadresse.) "Zauber Bartl" / Geschäfts-Anschriften: Colonnaden 5 (erste gewerbliche Anschrift ab 1910 lautete "Akademie für moderne magische Kunst", Quelle z. B Hamburger Adressbücher) ; Neuer Jungfernstieg 1 (1. Zauber Bartl-Geschäft 1910 - 1930); Jungfernstieg 24 (2. Zauber Bartl-Geschäft 1930 -1952); Neuer Jungfernstieg 22 (3. Zauber-Bartl-Geschäft 1952 - 1962); Warburgstraße 47 (4. Zauber-Bartl-Geschäft 1962 -1968 im Privatdomizil) "Wenn in den 1930er Jahren Zauberfreunde miteinander fachsimpelten und dabei die Rede auf Hamburgs "Zauberhändler vom Jungfernstieg" kam, dachten sie an den Firmeninhaber János Bartl, der den vielseitigen Service-Betrieb leitete, ebenso aber an seine in der Fachwelt unvergessene Ehefrau Rosa. Ihr war das Detail-Geschäft anvertraut. Während János Bartl üblicherweise im Hintergrund wirkte, führte seine Frau verantwortlich vor den Kulissen die Regie. Rosa Bartl war nicht nur eine exzellente Illusionistin sondern auch eine ausgezeichnete Verkäuferin." So schilderte der einstige Zauberhistoriker Werner Johannsen 1997 seine persönlichen Erinnerungen an die Blütezeit des renommierten Hamburger Zauberhauses Bartl. In seinem Artikel "Die Zauberhändler vom Hamburger Jungfernstieg" schrieb Johannsen weiter: "Besuchern im Zauberladen wurde keine Zeit gelassen, einzelne Kunststücke näher zu betrachten. "Wieselflink" huschte eine kleine schwarz gekleidete Dame aus einer Deckung hervor, um den Ankömmling in Empfang zu nehmen. Dies geschah immer in gleicher Weise, in einer höflichen Anrede in der dritten Person: "Womit kann ich meinem Kunden dienen? Was wünscht der Herr (die Dame) auszugeben?", fragte sie in einem Tonfall, der auf eine österreichische Herkunft schließen ließ. Das war Madame Bartl, die hier das Sagen hatte. Wer das nicht wusste, dem wurde dies bald durch einen Verkäufer signalisiert. Im Gespräch mit einem Kunden wechselte Frau Bartl (wie sie sich selbst nannte) schon mal zum "Sie" der Anrede über. Ein vertrauliches "Du" kam ihr nie über die Lippen. Ältere Schulkinder wurden grundsätzlich von ihr gesiezt, was deren Kauflust in der Regel steigerte. - Ein Besucher, der nichts Besonderes suchte, wurde an eine Verkäuferin weitergereicht. Wer sich aber aus den hervorragend bebilderten Bartl-Katalogen einen anspruchsvollen Trick herausgesucht hatte, dessen Vorführung Geschicklichkeit erfordert, der wurde von der Chefin persönlich bedient. Im Nu hatte sie die Zaubertricks parat, die ihre Kunden interessierten, und begann mit der Demonstration. Rosa Bartl zauberte meisterlich, mit einem charmanten Begleitvortrag. Nie sah man bei ihr etwas "blitzen", was eine Desillusionierung bewirkt hätte. Welcher Zauberadept wollte da nicht das "Know-how" für das von Frau Bartl zelebrierte Wunder erfahren? In neun von zehn Fällen waren ihre Bemühungen von Erfolg gekrönt. Erst wenn der Kunde sich zum Kauf entschlossen hatte, legte die Zauberfee die geheimen Hilfsmittel auf den Tisch. Dann begann sie damit, Instruktionen zu erteilen, wie und an welcher Stelle die "zauberischen Hilfsgeister" einzusetzen waren. Jeder Käufer sollte nach eigenem Üben in der Lage sein, mit Bartl-Requisiten erfolgreich zu zaubern. War der Unterricht beendet, ertönte aus ihrem Munde ein schneidend-lautes "Der Kunde zahlt". Die eingetütete Ware wanderte zur Kasse. Die weiteren Formalitäten übernahm die Kassiererin. Rosa Bartls Art entsprach es nicht, Geldbeträge entgegen zu nehmen und Zahlungsbelege auszustellen." "Die Mutter der Hamburger Zauberkünstler" - so ihr Ehrentitel in Fachkreisen - kam 1884 als gebürtige Rosa Leichtmann in Wien zur Welt. Ihr Vater Josef Leichtmann (03.01.1855 Kisvárda/Ungarn - 25.3.1929 München) war Kaufmann, Zauberhändler und Artist. 1880 zog Leichtmann von Ungarn nach Wien in die Metropole der damaligen Österreichisch-ungarischen Monarchie. Hier heiratete er seine aus Warschau stammende Frau Leonia, eine geborene Gantower (13.03.1854 Warschau/Polen - 29.11.1933 München). Während der Wiener Zeit des jüdischen Ehepaares (1881 bis 1892) wurden in der Donaumetropole vier ihrer fünf Kinder geboren: Stammhalter Maximilian (1881) und die Töchter Charlotte (1882), Rosa (1884), Melanie (1887). Nesthäkchen Leonie kam 1895 in Berlin zur Welt. - Die Leichtmann-Töchter gingen als "Magische vier Schwestern" in die Zaubergeschichte ein. Während der 1880er Jahre legte Ehepaar Leichtmann in Wien zunächst mit Läden für "Galanterie- und Nürnberger Waren" den Grundstein zum wirtschaftlichen Erfolg. - Josef Leichtmanns Liebe aber gehörte der Zauberkunst. Er war der Gründervater der "Leichtmann-Zauberdynastie" mit seinen Zauberkönig-Geschäften in Berlin, Köln, München und Zauber Bartl Hamburg. - 1884 begab er sich von Wien aus auf eine längere Geschäftsreise nach Deutschland, um dort "Boden" zu machen. In jenem Jahr gründete er seine beiden ältesten "Zauberkönig-Geschäfte" - zuerst in München, dann in Berlin. 1909 entstand in Köln ein dritter Leichtmann-Zauberladen, zunächst namentlich "Steinböck und Leichtmann zum Zauberkönig". Hintergrund: Josef Leichtmann (die Familie lebte damals bereits in München) hatte seine schwangere Tochter Melanie geradezu "verpflichtet", München zu verlassen, um mit ihrem 30 Jahre älteren Geliebten Eduard Steinböck - ein honoriger Kapellmeister am Münchner Gärtnerplatztheater - in Köln ein Scherzartikelgeschäft zu eröffnen. Das Paar beugte sich dem Diktat. - Hier kam nun Melanies patente Schwester Rosa Leichtmann (später verheiratete Bartl) ins Spiel: Rosa begleitete Schwester Melanie von München nach Köln und half, das Geschäft in der Hohestraße aufzubauen. Aber sie half im Laden nicht nur aus. Die exzellent zaubernde Rosa wurde Gesellschafterin. - Wenige Monate nur währte das schwesterliche "Teilhaberinnen-Glück". "Amore" stellte andere Weichen. Im Dezember 1909 betrat der junge János Bartl alias "ARADI" das Zauberreich der Schwestern. Rosa fing Feuer. Sie verliebte sich in den smarten ungarischen Zauberkünstler, ein gelernter Buchbinder und Vergolder (János Bartl, 13.4.1878 Nagybecskerek/Ungarn, heute Zrenjanin/Republik Serbien - 27.9.1958 Hamburg). Nach einer Wirbelwindromanze brannte das Paar nach London durch. Im Frühjahr 1910 waren die jüdische Rosa Leichtmann und der katholische János Bartl in London-Shoreditch standesamtlich verheiratet. Die emanzipierte Rosa war die erste dreier Leichtmann-Töchter, die sich getraut hatte, einen nicht-jüdischen Ehemann zu heiraten. Nach ihrer Eheschließung gründete das zauberbegeisterte Paar zunächst in Aachen ein Scherzartikelgeschäft. Schon Monate später ließen sie sich in der Hansestadt nieder. Bartls Entscheidung pro Hamburg kam nicht von ungefähr. Die Metropole Berlin, aber auch Köln und München waren familiär bereits mit "Leichtmann Zauberkönig-Geschäften" "besetzt". - Der Berliner Zauberladen auf der Friedrichstraße lag seit 1906 in Händen von Arthur und Charlotte Kroner (die älteste Leichtmann-Tochter). - In Köln auf der Hohestraße führte Melanie Leichtmann (seit 1911 nun verheiratete Steinböck) Regie als "Zauberkönigin". Die Bayernhauptstadt München galt als Familien-Stammsitz der Leichtmanns. Der "Zauberkönig" im dortigen historischen "Stachus-Kiosk" sollte einmal der jüngsten Leichtmann-Tochter Leonie, verheiratete Mösch, überantwortet werden. Das maritime Hamburg an der Schwelle des 20. Jahrhunderts galt als "das Tor zur Welt". Überseehandel, prosperierende Wirtschaft und rasante Industrialisierung ließen die Hansestadt zu einer der modernsten und reichsten Städte Deutschlands werden. Rosa und János Bartl strebten nach Unabhängigkeit und wirtschaftlichem Erfolg. Ihr Entschluss, in Hamburg ein Zauberimperium mit Exportmöglichkeiten nach allen Teilen der Welt aufzubauen, stand unter einem guten Stern. Dort war fruchtbarer Boden auch für die Illusionskunst; 1912 wurde im heutigen Hamburg-Altona der älteste deutsche Magische Zirkel gegründet - einer der frühesten Magier-Klubs weltweit. Bartls erste gewerbliche Hamburger Geschäftsadresse 1910 lautete: Colonnaden 5. Hier tauchte auch zum ersten Mal der Name "Bartls Akademie für moderne magische Kunst" auf Nur wenige Schritte von den Colonnaden entfernt eröffnete "Zauber Bartl" kurz darauf in einem attraktiven Eckhaus am Neuen Jungfernstieg 1 sein erstes Zauber- und Scherzartikelgeschäft. - Noch vor Beginn des Ersten Weltkriegs brachte die Firma ihren großen 316-seitigen Zauberkatalog heraus. 1910 kam Sohn Hans (15.12.1910 - 3.41986 Hamburg) zur Welt. 1913 wurde Tochter Elly geboren (22.11.1913 Hamburg - 3.4.1996 Stockholm/Schweden). Die Bartls liebten ihre Kinder. Leidenschaft und Passion ihres Lebens aber gehörten der Zauberkunst. Weder Hans noch Elly gelang es, je einen ersten Platz im Leben ihrer Eltern einzunehmen. Der erste Weltkrieg (1914 - 1918) machte es dem Zauber-Unternehmen schwer. János Bartl war bei Kriegsausbruch auf Geschäftsreise in Großbritannien. Die Zeit bis zum Waffenstillstand verbrachte er als Zivilinternierter auf der britischen Insel "Isle of Man". Rosa oblag es, das Geschäft am Neuen Jungfernstieg allein weiterzuführen. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs fusionierten die Zauberhändler Bartl und die Hamburger Requisiten-Fabrikanten "Carl und John Willmann" über einen Zeitraum von fünf Jahren. Von Juli 1919 bis August 1924 schlossen sich der Händler und der Fabrikant zur offenen Handelsgesellschaft OHG "Vereinigte Zauberapparate-Fabrik Bartl & Willmann" zusammen. Eine sinnvolle "Firmen-Zweckgemeinschaft", die sich aber wegen Partnerdifferenzen 1924 wieder auflöste. Nach dem Ende der Fusion "Bartl & Willmann" und der Einführung der stabilen Reichsmark im Jahre 1924 beantragte János (Johann) Bartl im Frühjahr 1925 für sich und seine Familie den Erwerb der "Hamburger Staatsangehörigkeit". Er berief sich darauf, aus einer deutschen katholischen Handwerker-Familie zu stammen, die einst nach Ungarn ausgewandert war. Nach einem langwierigen Einbürgerungsverfahren - bei dem auch der Werdegang seiner Frau Rosa penibel auf Lauterkeit nachverfolgt wurde - erhielt János Bartl am 3. September 1925 für sich, seine Frau Rosa und seine beiden Kinder die "Einbürgerungsurkunde der Freien und Hansestadt Hamburg". Ende der 1920er Jahre hatten Rosa und János Bartl den Sprung "vom Zauberhändler zum Fabrikanten" geschafft. Es gab aber auch geschäftlich einschneidende Veränderungen.1930 wurde das gründerzeitliche Eckhaus "Neuer Jungfernstieg 1" mit Bartls Zauberladen zugunsten des heutigen "Prien-Hauses" (auch: "Alstereck"/"Nivea Haus") abgerissen. Zauber Bartl musste umziehen. Rosa und János fanden attraktive Geschäftsräume in einem schmalen Bürohaus am Jungfernstieg 24, ehemals direkt neben einer großen Filiale der Dresdner Bank. Außenwerbung konnte hier kaum angebracht werden. János Bartl engagierte daher einen "werbenden Talermann" - eine Art "Sandwich-Man" mit Zylinder und wallendem Mantel voll aufgenähter, hörbar klimpernder Münzen. Tag für Tag stapfte er vor Bartls Laden auf und ab und verteilte Werbezettel an staunende Passanten." Zauberhistoriker Werner Johannsen beschrieb in seiner Abhandlung "Die Zauberhändler vom Hamburger Jungfernstieg" die Besonderheiten des neuen Geschäfts am Jungfernstieg 24: "Den "Zauber Bartl"-Laden fand man, wenn man einen tunnelartigen Gang durchschritten hatte. Hinter der Ladentür gelangte der Besucher in einen Raum, der in seiner Ausstattung einzigartig war. Der schlauchartig sich in die Tiefe erstreckende Raum wurde am Ende durch eine märchenhafte Versuchsbühne abgeriegelt." Viele Illusionisten und Zauberkünstler wie Horace Goldin, Arnold de Bière, Lewis Davenport, Bellachini u.v.a.m. haben hier erworbene Kunststücke eingeübt. Zu den Räumlichkeiten des Geschäfts gehörte auch eine moderne feinmechanische Werkstatt. - Zwei Meister aus früheren "Bartl & Willmann"-Zeiten standen János Bartl mit ihrem Fachwissen zur Seite. Die 1930er Jahre galten als Epoche des "Bartl-Booms" vor dem Zweiten Weltkrieg. Zu den genialen Bartl-Erfindungen zählten das Verschwinde-Kästchen "Silkwonder Superb", der Verkaufsschlager "Cobra" ("Indische Schlangenbaumwurzel"), das Flüssigkeitswunder "Evaporation", aber auch viele weitere Illusionen und Neuerungen. - Achtzig abgelaufene János Bartl-"D.R.G.M.-Patente" (Deutsches Reichs-Gebrauchsmuster) im Berliner Patentamt aus den 1920er bis 1930er Jahren zeugen von jener erfinderisch vielseitigen Bartl-Ära. Auch so wird eine Anekdote verständlich: "Der Herr Direktor ist nicht im Hause", unter diesem, bei Zauberern wohlbekannten Vorwand ließ die Bartl-Chefin bisweilen selbst beste Zauberfreunde schnarrend abblitzen, wenn sie mit János fachsimpeln wollten oder künstlerische Höhenflüge ihres hinter einem Paravent tüftelnden Mannes hätten stören können. "ETUISO" - eine besondere Rosa Bartl-Erfindung, bereicherte das umfangreiche Trickrepertoire ihres Mannes. Mit "Etuiso - das neueste Zigarettenetui" machte Rosa Bartl als eigenständige Erfinderin Furore! Werner Johannsen schrieb dazu: "Eine brennende Zigarette wird in eine vernickelte Röhre geschoben, in der sie spurlos verschwindet. Statt der Zigarette findet der Zuschauer in der Hülse einige Streichhölzer. - Wer Etuiso in seiner Tricksammlung hat, weiß, dass die Zubehörteile äußerst präzise gefertigt wurden. Auch ein sehr aufmerksamer Zuschauer findet keine Anhaltspunkte dafür, wie das ´Verschwinde-Wunder" zustande kommt", erklärte der Zauber-Historiker Johannsen. Und er fügte hinzu: "Der Firmengründer übertreibt wohl nicht, wenn er Anfang der 1930er Jahre sein Unternehmen als "größtes Spezialhaus der Branche" bezeichnet." Geschäfte in der Zeit bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges machten Bartls glänzende. Um 1934 wurden sie von der Hamburger Handelskammer als Geschäft ausgezeichnet, das in der Hansestadt in einer Woche den höchsten Betrag an Bar-Devisen eingenommen hatte. Rund 60.000 US-Dollar häuften sich damals in Rosa Bartls Kasse. Der zauberbegeisterte US-Präsident Franklin D. Roosevelt (1882-1945) hatte seinen Finanzstaatssekretär William W. Durbin gebeten, bei Bartl am Jungfernstieg Illusionen in beträchtlichen Dimensionen zu erwerben. Dieser zauberhafte "Rosa-Bartl-Coup" nötigte selbst der hanseatischen Kaufmannschaft Respekt ab. Mit der Machtübernehme der Nationalsozialisten 1933 begann für die Leichtmann-Familie mit ihren Zauberkönig-Geschäften in Berlin (Charlotte und Arthur Kroner), Hamburg ("Zauber Bartl" mit Rosa und János), Köln (Melanie und Eduard Steinböck) wie München (Leonie und Otto Mösch) ein verzweifeltes Ringen um die Existenz. Rosa und ihre "Magischen Schwestern" waren - wie auch Arthur Kroner in Berlin - Juden. In jener konflikt- und spannungsgeladenen Zeit dramatischer Verfolgungen und Hetzjagd auf alles Jüdische zerbrachen Familien und familiäre Bande. Die Dramen der Leichtmann-Familie spielten sich in Berlin und Köln ab. Aber auch hier gab es "Wunder": Ehepaar Kroner in Berlin und ihre älteste Tochter Meta wurden Opfer des Holocaust. Einem Teil der jungen Familie Kroner - zwei Töchtern mit ihren Ehepartnern und Kindern - aber gelang 1939 gerade noch die Flucht aus Deutschland. Die Kölner Zauberkönigin Melanie Steinböck - bereits seit 1926 Eduard Steinböcks Witwe - wurde 1943 von den Nazis aus dem zerbombten Köln in das KZ Theresienstadt verschleppt (Terezin, errichtet 1940-1945 auf dem im "Dritten Reich" besetzten Gebiet des damaligen Böhmen und Mährens, heute Tschechische Republik). Sie überlebte, kehrte 1945 nach Deutschland zurück und baute inmitten von Schutt und Asche der Kölner Hohe Straße dort ihren Zauberkönig wieder auf. In der Hansestadt Hamburg überlebten wie durch ein Wunder Rosa und János Bartl mit ihren Kindern Hans und Elly. Eine entscheidende Rolle dürfte gespielt haben, dass Rosa (wie Schwester Leonie Mösch, die in München die NS-Zeit ebenfalls unbeschadet überlebte,) in sogenannter privilegierter Mischehe mit einem christlichen Ehemann verheiratet war. - Psychisch erleichternd könnte gewesen sein, dass Rosa Bartl - wie auch Schwester Leonie - keinen gelben Judenstern tragen musste. In Bartl-Familienkreisen mutmaßt man, Rosa und János hätten Schutz im Hamburger Senat gehabt. Ebenfalls denkbar: Als hoch geschätzte "Zauberhändler vom Hamburger Jungfernstieg" könnten die Bartls hinter den Kulissen brauner Machtstrukturen Fürsprecher beim Magischen Zirkel gehabt haben, dem sie sich - auch als Nichtmitglieder - ein Leben lang eng verbunden fühlten. Rosa Bartl erlebte während der Nazi-Zeit Schikanen, Demütigungen und diverse Gestapo-Vorladungen. Sie durfte ihr geliebtes Zaubergeschäft nicht mehr betreten. Eines Tages - so weiß Bartl-Enkel Bernd zu berichten - soll ein typischer "Möbelwagen der Gestapo" vor der Bartl-Villa geparkt haben. Es heißt, Rosa hätte nach Theresienstadt deportiert werden sollen. Sie rettete sich "dank" einem Schnitt in die Pulsader. 1945 war Rosa Bartl als eine von nur 647 jüdischen Überlebenden des Holocaust im Raum Hamburg gemeldet. Ein treuer Bartl-Kunde erinnerte sich an seinen ersten Besuch in "Bartls Reich" am Jungfernstieg nach dem Krieg: Dort saß "inmitten eines gänzlich leeren Geschäfts mit gähnend leeren Vitrinen Rosa Bartl. Ansonsten schien alles wie vor dem Krieg zu sein. Auch Rosas vertrauter Willkommensspruch: "Womit kann ich meinem geschätzten Kunden dienen? - Was wünscht der geehrte Kunde auszugeben?"" Der Zauberkunde verlangte aus dem Bartl-Katalog Tricks "für sehr viel Geld". Aber Rosa gestand, dass es die Requisiten "umständehalber" nicht gab." Bis zur Währungsreform 1948. Zwischen 1948 und 1950 traten entscheidende Wandelungen in der Bartl-Firmenstruktur ein. Im Februar 1948 benannten Rosa und János Bartl ihr Geschäft in "Zauberzentrum János Bartl" um. Die neue Firmenbezeichnung soll auf Anregung von Rosa Bartl entstanden sein. Kurz zuvor, im Mai 1949, besiegelte der Artikel 3, Abs.2, des neuen Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland die Gleichberechtigung für Mann und Frau. Sogleich übernahm das Zauberzentrum János Bartl die neue Gleichstellung: 1950 wurde Rosa Bartl Gesellschafterin ihrer Firma. Das "Zauberzentrum János Bartl" firmierte ab sofort als offene Handelsgesellschaft (OHG). 1952 mussten Rosa und János Bartl noch einmal an der Binnenalster umziehen. Die Dresdner Bank, auf deren Gelände sich die von Bartl gemieteten Geschäftsräume befanden, meldete nach zwanzig Jahren Eigenbedarf an. So kam es zur Kündigung für den Traditionszauberladen am Jungfernstieg 24 Ein ehemaliger Röhrenbunker des Zweiten Weltkriegs, nahe Lombardsbrücke und Esplanade, wurde Bartls neues Domizil. Im Bunker mussten einschneidende Veränderungen in Kauf genommen werden. In der schmalen, schlauchartigen Schutzanlage gab es weder Platz für eine Versuchsbühne noch für eine feinmechanische Werkstatt. Im räumlich begrenzten hinteren Ladenteil konnten lediglich Tricks, Schabernack- und Silvesterscherzartikel gefertigt werden. "Lachen ist gesund" lautete die Devise nach zwei Weltkriegen. Bartls mussten die neuen Gegebenheiten hinnehmen. So verwandelten sie Ihr Bunkerkellerreich mehr und mehr in ein Scherzartikelgeschäft. Ein besonderes Flair hatte der zum Zauberladen umfunktionierte "3-Röhren-Schutzbunker". Man musste zunächst in eine Art kühle Kellergruft hinabsteigen, um bei Bartls Staunen und Wundern zu erlernen. Unten im Illusionsreich schaltete und waltete wie eh und je Madame Rosa und zog Dukaten aus Nasen, Ohren und Geldbörsen ihrer verblüfften Klientel. Mitunter zauberte sie die Münzen auch in die Taschen ihrer glückstrahlenden Enkel, erinnert sich Birgit Bartl-Engelhardt, Enkelin und Autorin des am 21. August 2019 in Hamburg erschienenden Werks "Die Bartl-Chronik Hamburg". Am 27. September 1958 starb János Bartl. Vier Jahre später sah sich Rosa gezwungen - nach zähem Ringen mit der Stadtverwaltung um Kündigungsaufschub - ihren Zauberbunker an der Alster endgültig aufzugeben. Unter dem Motto "Unsere Stadt soll grüner werden", im Zusammenhang mit der Internationalen Gartenbauausstellung IGA 1963, wurde der Röhrenbunker 1962 abgerissen. Rosa Bartl musste mit ihrem Zauberinventar noch einmal umziehen. Dieses Mal in ihre Privatvilla in der Warburgstraße 47. Dort vertrieb die betagte Illusionistin noch sechs Jahre lang "Bartls begehrte Zauberrequisiten". 1968 sollte die ruhig gelegene Stadtvilla der früheren Fontenay-Gesellschaft abgerissen werden. Printmedien und Fernsehen waren informiert. Alle wollten Rosa Bartl - "die Grande Dame" der Hamburger Zauberkunst - noch einmal live erleben. So auch Filmemacher Ernst Günter Paris. Er durfte seinerzeit im Auftrag des WDR-Fernsehens in "Bartls Hexenhäuschen" drehen. Zwischen Glimmer, Glitzer, Geisteruhren war die Mutter der Hamburger Zauberkünstler in ihrem Element. Madame Bartl, bekannt als strenge Bewahrerin großer Tricks und kleiner Bluffs, zeigte ein letztes Mal auf ihrer Lebensbühne eine zauberisch tadellose Darbietung. Im WDR-Sechs-Minuten-Film "Mini Magie" demonstrierte sie noch einmal bekannte Bartl-Tricks wie "Cobra" oder "Fidelicus". (Der gesamte Film von 1968 aus dem WDR-TV-Magazin "Bitte umblättern" ist zu sehen auf Youtube unter dem LINK: https://www.youtube.com/watch?v=sMFg57Di50U). Am 23. September 1968 starb Rosa Bartl mit 84 Jahren einsam, verbittert und ihrer nicht würdig. - In ihren letzten Lebenstagen wurde sie "zwangsentmündigt" in die Hamburger "Nervenheilanstalt" Langenhorn/Ochsenzoll eingewiesen (heutige Bezeichnung: Klinik Nord Ochsenzoll). Jànos und Rosa Bartl fanden ihre letzte Ruhe auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Das Nutzungsrecht für die Grabstätte "Bartl Q 15/92, Grabbriefnummer 183320" (Brief Elly Schlossmann, geb. Bartl, Mörbydalen/Schweden, v. 22.11.1993, an "Verwaltung Hauptfriedhof Ohlsdorf, Herrn Lehmann") lief 1998 aus (Foto des ehemaligen Grabmals von Werner Johannsen). Das "Zauberzentrum János Bartl" wurde 1968 an den Zauberkünstler und -händler Carl-Gerd Heubes veräußert, der das Geschäft bis zu seinem frühen Tode 1998 innehatte (ausführlich dargestellt unter dem LINK: http://www.zauber-pedia.de/index.php?title=Carl-Gerd_Heubes). Text: Dr. Cornelia Göksu unter Mitwirkung der Enkelin Birgit Bartl-Engelhardt Hauptsächlich benutzte Quellen - Johannsen, Werner: János Bartl. "Der Zauberhändler vom Hamburger Jungfernstieg". / In: MAGIE 1/97, S. 24-32. - Johannsen, Werner: János Bartl. "Die Zauberhändler vom Hamburger Jungfernstieg: János Bartl (1878-1958) und seine Ehefrau Rosa (1884-1968)". Erinnerungen von Werner Johannsen. In: Hamburgische Geschichts- und Heimatblätter, Band 14, Heft 12, Oktober 2003, Seite 273-282. - Witt, Wittus: Janos Bartl: Eine Chronologie: 1. In: Magische Welt 57/2008, S. 102-109 - Rawert, Peter: Zauberkunst. Als Hamburg das Zaubern lernte. Vor 100 Jahren gründeten hanseatische Hobby-Zauberer den Magischen Zirkel, Deutschlands ersten Magier-Klub: über die Lust an der Illusion. In: Tageszeitung Hamburger Abendblatt, 12.4.2012, online unter LINK: https://www.abendblatt.de/hamburg/article107789340/Als-Hamburg-das-Zaubern-lernte.html (aufgerufen am 24.7.2019, 16.30 Uhr) - Bartl-Engelhardt, Birgit (Enkelin von Rosa und János Bartl): Ein Leben für die Zauberkunst. In: Die Kunst des Verzauberns. Festschrift 100 Jahre Magischer Zirkel Hamburg, Hamburg 2012, S. 179-190 - Hirsch, Vanessa/Rawert, Peter: Verzaubert! Von geheimen Wissenschaften und magischen Spektakeln = Begleitheft zur gleichnamigen Ausstellung im Altonaer Museum, Hamburg 2012. Hrsg. v. der Stiftung Historische Museen, Hamburg, Altonaer Museum für Kunst und Kulturgeschichte (AM) und dem Verlag Magische Welt, Hamburg. Gestaltung Wittus Witt. Weiterführende Literatur - Am 21. August 2019 erscheint das Werk "Die Bartl-Chronik Hamburg 1910 - 1998". Die Buchpräsentation findet in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky statt. Diese Dokumentation basiert auf langjährigen Recherchen der Autorin Birgit Bartl-Engelhardt, die Enkelin von Rosa Bartl ist. (Satz, Layout, Gesamtgestaltung: Wittus Witt. Druck und Produktion: Verlag Magische Welt Hamburg 2019. ISBN 978-3-947289-23-3).

    Marie Bautz

    geb. Bachmann

    SPD-Bürgerschaftsabgeordnete

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    1.2.1879
    Eppishofen bei Augsburg

    30.12.1929
    Berlin
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    Marie Bautz arbeitete zuerst als Dienstmädchen und später bis zu ihrer Verheiratung im Jahre 1900 als Fabrikarbeiterin. 1907 kam sie nach Hamburg und wurde 1913 Geschäftsführerin im Verband der Hausangestellten. Nachdem 1918 die Frauen das aktive und passive Wahlrecht erkämpft hatten, wurden 1919 bei der Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft zum ersten Mal Frauen in die Bürgerschaft gewählt. 168 Männer und siebzehn Frauen zogen 1919 in die Bürgerschaft ein. Unter ihnen war auch Marie Bautz. Sie und weitere acht Frauen gehörten der SPD-Fraktion an., vier Frauen der DDP (Deutsche Demokratische Partei), zwei der USPD (Unabhängige sozialdemokratische Partei), eine der DVP (Deutsche Volkspartei) und eine weitere der DNVP (Deutschnationale Volkspartei). Schwerpunkte der Politik der weiblichen Bürgerschaftsabgeordneten waren die Bereiche Sozialpolitik und Wohlfahrtspflege, Bevölkerungspolitik und Gesundheitsfürsorge, Jugendpflege und Schulpolitik sowie Ehe- und Familienrecht. Obwohl Frauen nun das aktive und passive Wahlrecht besaßen, blieben sie im Parlament in der Minderheit und erhielten kaum aussichtsreiche Listenplätze. Frauen waren als Politikerinnen nicht gefragt. Marie Bautz war von 1919 bis 1924 Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft und Deputierte der Behörde für Öffentliche Jugendfürsorge.

    Lonny Beese

    geb. Lisser

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    18.05. 1905
    Breslau

    10.09.1944
    durch Freitod in Hamburg
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    Die Kindheit von Lonny Beese begann in einer gutbürgerlichen jüdischen Familie in Bremen. Nachdem die Ehe ihrer Eltern im Jahr 1925 geschieden worden war, ging ihre Mutter Alma Lisser nach Hamburg und arbeitete als Wirtschafterin bei Adolf Beese in der Grindelallee 73. Hier lernte ihre Tochter Lonny den Sohn des Hauses, Walter Beese, kennen. 1927 wurde geheiratet, nachdem Lonny zum Christentum konvertiert war. Am 21. Februar 1928 kam Tochter Ursula auf die Welt. Im April 1940 reichte Walter Beese die Scheidung ein. Er verstieß seine Tochter als "Bastard" und brach jeglichen Kontakt ab. Lonny konnte zu ihrer Mutter Alma Lisser und ihrem Schwiegervater Adolf Beese in die Grindelallee 73 ziehen. Sie musste nun alleine für ihre Tochter sorgen, die als "Mischling ersten Grades" galt. Das rettete Lonny vorläufig vor der Deportation. Die antijüdischen Gesetze zwangen ihre Mutter Alma Lisser im Januar 1941, die gemeinsame Wohnung in der Grindelallee 73 zu verlassen. Sie musste - völlig mittellos - zunächst im Mittelweg 16 und dann im "Judenhaus", Rutschbahn 25a, wohnen. Von dort aus wurde sie am 11. Juli 1942 nach Auschwitz deportiert und ermordet. Lonny Beese konnte bis 1943 im Büro eines jüdischen Rechtsanwalts arbeiten. Nach dessen Verhaftung wurde sie zum "Judeneinsatz" gezwungen: Sie musste bei der Firma Heldmann-Chemie Ratten- und Mäusegift verpacken und für die Firma Dralle Trümmer und Schutt beseitigen. Die Zwangsarbeit und die Deportation ihrer Mutter belasteten Lonny seelisch so sehr, dass sie sich krankschreiben lassen musste. Sie machte eine Eingabe bei Karl Kaufmann, dem Reichsstatthalter von Hamburg, um wieder im Büro arbeiten zu dürfen. Sie wurde als Stenotypistin der Firma Greve und Behrens zugewiesen. Im April 1943 starb Adolf Beese. Lonny konnte den Mietvertrag für die Grindelallee 73 übernehmen und dort mit ihrer Tochter wohnen bleiben. Allerdings war sie jetzt vollkommen schutzlos dem Leiter des Arbeitsamtes "für den Judeneinsatz", Willibald Schaller, ausgesetzt, der sie zu Hause aufsuchte und bedrängte. Willibald Schaller hatte, wie ein Gericht nach dem Krieg feststellte, mehrere jüdische Frauen sexuell bedrängt und sie sich - bei Androhung einer Anzeige bei der Gestapo - gefügig gemacht. Ausgerechnet die "arischen" Untermieter, die Lonny nach der Ausbombung 1943 bei sich in der Wohnung aufgenommen hatte, denunzierten und beschuldigten sie der "Rassenschande" und des Abhörens feindlicher Sender. Diese ausweglose Lage trieb Lonny Beese in den Freitod. Sie nahm am 8. September 1944 eine Überdosis Veronal und starb zwei Tage später an den Folgen der Vergiftung im Universitätskrankenhaus Eppendorf. In ihrem Abschiedsbrief erklärte sie, der Verrat der Untermieter hätten ihr den Rest gegeben, und dass sie als Jüdin niemals Recht bekommen hätte. Lonnys Tochter Ursula Beese überlebte. Sie ist am 24. Juli 2018 gestorben und wurde in Ohlsdorf, im Ehrenhain der Geschwister-Scholl-Stiftung für die Verfolgten des Naziregimes, bestattet. In der Grindelallee 73 erinnern Stolpersteine an Alma Lisser und Lonny Beese. Alma Lisser, geb. Königsfeld, ist als Opfer auch in der Gedenkstätte am Deportationsort Hannoverscher Bahnhof namentlich aufgeführt.
    Quellen: Die Biographietexte zu den Stolpersteinen und Erinnerungen aus den Gesprächen zwischen Ursula Beese und ihren Söhnen.

    Uschi Beese

    geb. Roggenbau

    Landesvorsitzende der Hamburger Guttempler

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    8. 7. 1930
    Hamburg

    26 1. 2008
    Hamburg
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    Die Anwaltsgehilfin Uschi Beese war seit 1958 mit dem Buchhändler Heinz Jacob Beese (gest. 1999) verheiratet, der einen Buchladen in Hamburg-Bergedorf betrieb, wo das Ehepaar seine erste gemeinsame Wohnung bezog, bevor es vier Jahre später 1961 nach Wandsbek in die Walddörferstraße 42 (später in Nr. 214) zog.
    Ihr gemeinsamer Kinderwunsch erfüllte sich leider nicht. Nach drei Fehlgeburten gab das Paar ihn auf Anraten der Ärzte auf. Vielleicht war dies ein Auslöser für die spätere Alkoholerkrankung.
    Wegen seines immer größer werdenden Alkoholproblems musste Heinz Beese schließlich die Buchhandlung aufgeben, was Arbeitslosigkeit zur Folge hatte. Auch Uschi Beese hatte mit dem Alhohol Probleme und bezeichnete sich als alkoholgefährdet.
    Nach der "Trockenschleuderung" von Heinz Beese im AK Alsterdorf lernte das Ehepaar Beese Walter Zwang kennen, Suchtberater im Guttemplerhaus am Moorkamp, woraufhin Uschi Beese im April 1976 Mitglied der Guttempler-Gemeinschaft in Hamburg St. Georg wurde. Ihr Ehemann folgte ihr im August desselben Jahres.
    Die ehrenamtliche Arbeit in der Guttempler-Organisation wurde für das Ehepaar Beese zur Lebensaufgabe. Es stieg in die Selbsthilfegruppenarbeit ein und gründete seine eigene Gesprächsgruppe im Guttemplerhaus St. Georg.
    Im Oktober 1980 wurde die Guttempler-Gemeinschaft "Wandsbek" gegründet, deren Leiter Heinz Beese und deren Schriftführerin Uschi Beese wurde. Das Ehepaar Beese organisierte dort ebenfalls eine Gesprächsgruppe, zeitweise leitete es sogar zwei Gruppen. Außerdem unternahm es viele Jahre lang gemeinsam Hausbesuche bei Menschen in Not. Einige Jahre später zog sich Heinz Beese aus der Gesprächsgruppenarbeit zurück. Uschi Beese managte nun diese Gruppen allein. Auch gab Heinz Beese wegen seiner beruflichen Arbeitsbelastung die Leitung der Guttempler-Gemeinschaft "Wandsbek" an seine Frau ab.
    Uschi Beese, die den Sinn ihres Lebens darin sah, Menschen zu helfen, von der Alkoholsucht frei zu kommen, stellte die Guttempler im Allgemeinen Krankenhaus Eilbek vor. Dafür war sie jeden Sonntag um 10.00 Uhr dort anwesend und ansprechbar. Nur sehr selten war sie verhindert. Als die Guttempler-Gemeinschaft "Wandsbek" 1988 insgesamt 93 Mitglieder besaß, gründete Uschi Beese noch im selben Jahr die Gemeinschaft "Eilbek". Darüber hinaus führte Uschi Beeses Gemeinschaft die Guttempler im Allgemeinen Krankenhaus Alsterdorf ein, woraus sich auf dem Gelände des Krankenhauses die zweite Gesprächsgruppe der Guttempler-Gemeinschaft "Wandsbek" etablierte. 1997 folgte die Gemeinschaft "Alstersterne".
    Uschi Beeses Lebensaufgabe war und blieb die offene Gesprächsgruppenarbeit. Zu jeder Tages- und Nachtzeit war sie für ratsuchende GuttemplerInnen erreichbar. Später wurde Uschi Beese Distrikttemplerin (Landesvorsitzende) in Hamburg und leitete den Distrikt einige Jahre. 1999 verlieh ihr der Hamburger Senat die Medaille für herausragende ehrenamtliche Tätigkeiten.
    Durch Uschi Beeses Engagement wurden im Laufe der Jahre mehrere hundert Menschen für ihr weiteres Leben "trocken". Aus dem Kreis der Gesprächsgruppenteilnehmenden und deren Angehörigen wurden viele Menschen dauerhaft Mitglieder im Deutschen Guttempler Orden Hamburg.
    Bis zwei Wochen vor ihrem Tod am 26. Januar 2008 war Uschi Beese in "ihrer" Gesprächsgruppe präsent. Wenn auch, bedingt durch ihre schwere Krebserkrankung, nicht immer persönlich, dennoch hielt sie jederzeit telefonisch Kontakt zu ihren Mitmenschen und war für sie da.

    Clara Benthien

    Tante Clara - Clara, Gertrud, Antoinette Benthien, geb. Vetter Gemeinsam mit ihrem Mann Hans Benthien war sie Inhaberin des Künstlerkellers "Weinprobierstube Benthien - Tante Clara"

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    27.9.1887
    Düsseldorf

    16.11.1962
    Hamburg
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    Clara Benthien wurde als Tochter des Düsseldorfer Architekten Carl Vetter und seiner Frau Christine Antoinette Josephine Henriette (Nachname unbekannt) geboren. Die Mutter verstarb früh und sie wuchs zusammen mit einer etwas jüngeren Stiefschwester auf und erlernte - wegen ihrer künstlerischen Begabung - den Beruf der Hutmacherin. Bei einem Ferienaufenthalt an der Ostsee lernte sie den Hamburger Fabrikantensohn und Maler Hans Carl Louis Benthien kennen, den sie 1912 in Hamburg heiratete. 1913 wurde ihre Tochter Henni Karla Louise, genannt Henriette, geboren.
    Vom Kriegsdienst an der russischen Front nach dem Ersten Weltkrieg heimgekehrt begann ihr Mann mit dem Weinhandel. Inspiriert dazu hatte ihn die Erinnerung an eine alte Familientradition - Vorfahren seiner Mutter waren Besitzer des Heusshof, einer berühmten Gastwirtschaft in Eimsbüttel gewesen nach welcher der Heußweg benannt ist. Bald gründete er "Benthiens Weinprobierstube" am Brandsende 13/Ecke Raboisen. Von 1925 bis zu dessen Ausbombung 1944 führte er zusammen mit Clara den allmählich weltbekannt gewordenen Künstlerkeller "Tante Clara", der sich daraus entwickelt hatte und dessen Zentrum sehr schnell seine originelle und einfallsreiche Frau wurde.
    Sieben Stufen stieg man hinab, um in einen Raum mit Weinfässern als Tische zu gelangen, mit selbst entworfenen Hockern und Lampen und mit großem von dem Hamburger Maler und Architekten Robert Schneller (1901-1980) mit Decken- und Wandgemälden ausgestatteten Haupt- und kleinen verwinkelten Nebenräumen (genannt "Neue Loge" und "Alte Loge", da sich hier nach 1935 auch unerkannt Hamburger Freimaurer treffen konnten).
    Clara Benthien war die Seele des Ganzen. Für ihre Gäste sang sie mit rauchig-herber Stimme ab 1930 von Künstlern ihres Kellers extra nur für sie und für diesen Ort gestaltete Moritaten, angeregt von Kurt Pabst Film "Dreigroschenoper und bestärkt von ihrer Freundin der Berliner Chansonsängerin Claire Waldoff und begleitet von einem Akkorde on. Auch den Klängen einer Laute konnte man dort lauschen.
    Es sind mehr als 136 Bekanntheiten des kulturellen und wissenschaftlichen Lebens als ihre Gäste identifiziert worden: Publizisten wie Erich Lüth, Julius Jacobi und Hugo Sieker, Schriftsteller wie Johannes R. Becher, und Carl Brinitzer, die Verleger Hilde und Eugen Claassen, Schauspieler wie Siegfried Arno, Anita Berber, Heinrich George, Brigitte Helm, Marianne Hoppe, Leopold Jessner, Victor de Kowa und Conrad Veidt und neben Robert Schneller Maler und Zeichner wie Hannes Runge, Jan Laß, Elzie Crisler Segar (der Erfinder von "Popeye"), Tetjus Tügel und Otto Wild. Endlich wurde Clara Benthien - im wesentlichen um Künstler zu unterstützen - auch zur Kunsthändlerin. Während der NS-Zeit fanden hier Unangepasste und in Opposition zum NS-Staat Stehende einen verschwiegenen Ort, an dem sie sich mit Gleichgesinnten treffen konnten. Hier fanden und entwickelten sie sogar einen Humor, der draußen vor "Draußen vor der Tür" verloren gegangen war. Hier konnte man offen miteinander sprechen und erfuhr Unterstützung, die von einer warmen Mahlzeit für Verarmte und Ausgebombte bis hin zu Wegen ins Exil nach London oder in die USA reichten.
    In einem Hinterzimmer wurden jüdische Mitbürger beraten und selbst im Feld fühlte man sich in der Erinnerung an diesen Sehnsuchtsort geborgen:
    Nach der Ausbombung 1944 und dem Tod ihres geliebten Mannes 1947 lebte Clara Benthien nur noch für die Familie ihrer Tochter. Zusammen mit ihr und mit den aus den Trümmern geretteten Kunstwerken, Foto- und Gästebüchern sorgte sie dafür, dass ihre 1948 geborene Enkelin Nele Lipp (geb. Cornelia Gabriele Müller) noch einen Einblick in diese Welt bekam, um endlich 2013 aus ihrer ererbten Privatsammlung die Ausstellung "Treffpunkt Tante Clara Hamburgs Sphinx" in der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek realisieren zu können.
    Ein Film über Clara Benthien, auf Initiative von Stephan Mathies, einem Enkel des Malers Otto Wild, der dort ein häufiger Gast war, ist in Vorbereitung.
    Mehr zu "Tante Clara", auch mit Hörbeispielen von 1937: http://blog.sub.uni-hamburg.de/?p=10717
    Text: Nele Lipp

Frauen auf anderen Friedhöfen

    Elke Dorothea Acimovic

    geb. Finger

    Photographin

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    11.6.1936
    Harburg-Wilhelmsburg
    -
    10.12.2009
    Hamburg
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    Bestattet auf dem Blankeneser Friedhof in einem Baumgrab WG 11

    Elke Dorothea Acimovic, geb. Finger wurde am 11.6.1936 am Eißendorfer Pferdeweg in Harburg - Wilhelmsburg als Tochter von Helga Finger, geb. Illies und Werner Eduard Finger geboren. Nach der Mittleren Reife absolvierte sie eine Fotografenlehre bei verschiedenen Lehrherren, unter anderem Foto - Schreiber in Wilhelmsburg, die sie mit einer Gesellenprüfung abschloss. Sie arbeitete anschließend für verschiedene Fotografen als Laborantin, unter anderem für Hanno Wohlfahrt. Nach Stationen in Marktredwitz und Frankfurt am Main kehrte sie Mitte der sechziger Jahre nach Hamburg zurück. Hier arbeitete sie zunächst in einer Werbeagentur am Millerntor, bevor sie sich Ende der sechziger Jahre selbstständig machte. Fortan arbeitete sie unter anderem mit einer Berliner Agentur zusammen, wodurch sie wiederholt im Studio der ZDF - Hitparade fotografierte. Unter anderem entstanden in dieser Zeit mehrere Plattencoverfotos bekannter Musikgrößen, etwa für Juliane Werding, Marianne Rosenberg, Bernhard Brink und Severine. Parallel fotografierte sie Sedcards und Bilder für
    Autogrammkarten für Fotomodelle und Schauspieler, wie Gisela Trowe und Sieglinde Flügge, sowie für Agenturen. Wohnhaft war sie in dieser Zeit in der Elbgaustraße 77.
    In den 1980er Jahren erfolgte ein Umzug in den Bockhorst 22a, wo sie ein kleines Studio und eine Dunkelkammer betrieb. Im Zuge der digitalen Revolution zur Jahrtausendwende wurde es beständig schwieriger als Fotografin zu arbeiten. So erwarb sie einen Taxifahrerschein, den sie bis ins hohe Alter nutzte, um die Einnahmen aufzubessern. Auch als sie das Rentenalter erreichte, musste sie nebenher noch fotografieren und Taxe fahren, damit sie über die Runden kam.
    Elke Acimovic blieb kinderlos, eine Ehe, Ende der 1960er Jahre, wurde nach ein paar Jahren wieder geschieden.
    Sie verstarb in der Nacht des 10.12.2009 im Krankenhaus Altona an einem Krebsleiden.
    Text: Minya Backenköhler

    Mathilde Arnemann

    geb. Stammann

    Patriotin, Mäzenin, Wohltäterin, Ehrenbürgerin von Karlsbad

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    26.3.1809
    Hamburg
    -
    21.8.1896
    Hamburg
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    Grablage: A 1

    Arnemannweg, seit 1930, Barmbek-Nord
    Mathilde Stammann wuchs mit vielen Geschwistern am Neuen Wall Nr. 50 als Tochter des Zimmermeisters und Architekten Johann Christoph Stammann und seiner Ehefrau Sophia Margarethe, geb. Paetz. Der Vater starb früh.
    In der Privatschule des Lehrers Unbehagen an der Langen Reihe wurde Mathilde gemeinsam mit Jungen unterrichtet. Möglicherweise hat diese Koedukation das "knabenhafte" Wesen Mathildes mitgeprägt; mit den Schulkameraden blieb sie lebenslang in Kontakt.
    In die Zwanzigjährige verliebte sich der vier Jahre ältere hochtalentierte Altonaer Kaufmann und schwedische Konsul Carl Theodor Arnemann; als Witwer und Vater einer kleinen Tochter war er auf der Suche nach einer zweiten Frau. Seine Eltern waren jedoch gegen eine Verbindung mit Mathilde Stammann und verboten ihm den Umgang mit ihr. Als Sohn und Mitinhaber der Firma war er von ihnen abhängig. Um sie günstiger zu stimmen, maß er ihnen gegenüber den Charakter seiner Erwählten an dem Klischee der züchtigen Hausfrau und wies auf ihre inneren Werte hin: "Daß Mathilde im Äußeren oft knabenhaft munter ist, tadele ich sehr und wünsche es anders - im Innern sieht es viel, viel schöner aus. - Ein liebes, treues Herz, ein offener Kopf, den besten Willen und regsten Trieb, recht gut zu werden - dabei gesund, lebensfroh und mit,
    ganz gewiß, der tiefsten Liebe zu mir und dem lieben Kinde zugetan - kann ich mehr verlangen?" 1)
    Im Dezember 1829 konnte die Ehe doch geschlossen werden, und Mathilde löste die in sie gesetzten Erwartungen, "recht gut zu werden", im Lauf eines langen Lebens ein; zu der Tochter aus erster Ehe kamen sechs Söhne aus der zweiten. Den ungewöhnlichen Reichtum, den ihr Mann durch Erwerb riesiger Ländereien in Norwegen mit ausgedehntem Holzhandel erwarb, nutzte sie für großzügige Wohltätigkeit. Sie gestaltete das Arnemannsche Haus an der Palmaille zum geselligen Mittelpunkt und das ländliche Anwesen in Nienstedten zum "anmutigen Tusculum" für Künstler aller Art. Doch war es nicht der Glanz des Reichtums allein, der Frau Arnemann bekannt machte. Er war beim Tod Carl Theodors 1866 längst verflogen; die Witwe bezog danach in Hamburg an der Fruchtallee eine kleine Wohnung, in der sie nicht mehr "Hof halten" konnte. Es muss der Charme ihrer Persönlichkeit gewesen sein, ihre natürliche Unmittelbarkeit, schlichte Menschenliebe und unprätentiöse Bescheidenheit und nicht zuletzt die bis ins Alter bewahrte Lebendigkeit des Geistes und Herzens, was Hamburgs Zeitgenossen faszinierte und in Mathilde Arnemann eine vorbildliche Frau verehren ließ.
    Obwohl Mathilde Arnemann im Umgang mit Menschen so unkonventionell war, mit den Leuten Platt sprach und gesellschaftliche Etikette ablehnte, gibt es doch kein Zeichen dafür, dass sie die bestehende Gesellschaft verändern und die Rolle der Frau neu bestimmen wollte wie die Freisinnigen. "Sie hat in Hamburg kein Werk hinterlassen, das ihren Namen trägt, hat sich keiner politischen, religiösen, frauenemanzipatorischen Richtung, keinem Verein ganz verschrieben, sondern mit spontanem individuellem Handeln auf jeweilige Situationen reagiert.
    Dabei zeichnen sich drei Bereiche ab: Als Patriotin war sie in Kriegszeiten immer zur Stelle, um Hilfsdienste für Verwundete und Hinterbliebene zu organisieren und selbst zu leisten. Als Mäzenin ermunterte und unterstützte sie junge Künstler und vermittelte Kontakte zwischen ihnen. Als Wohltäterin half sie in unzähligen Einzelfällen gegen dringendste Not; außerdem entstanden auf ihre Initiative hin einige wohltätige Stiftungen. (…)
    Mathilde Arnemann war eine glühende Patriotin. (…) Sie widmete sich im ersten und noch umfassender im zweiten dänischen Krieg auf ihre Weise der patriotischen Sache, nämlich der Pflege von Verwundeten. (…) Spontan fanden sich überall in Deutschland Frauen zusammen, bildeten Ausschüsse, organisierten Unterstützungsaktionen für die notleidende schleswig-holsteinische Bevölkerung (…). Mathilde Arnemann schloss sich dem Vaterländischen Frauenverein (…) an. (…) Sie richtete zwei Lazarette ein. (…) Im sogenannten deutschen Krieg von 1866 kümmerte sie sich um die österreichischen Verwundeten. (…) Es ist nicht ersichtlich, wie stark die ‚große Patriotin" von den politischen Hintergründen tangiert war. Sie griff ein, wo Hilfe not tat. Ihr Patriotismus umfasste sowohl die kriegerisch-nationale als auch die friedlich-gemeinnützige Seite. Während einer Überschwemmung organisierte sie ebenso spontan wie im Kriege eine Hilfsaktion für die Opfer. Sie verstand sich als hamburgische Republikanerin und lehnte deshalb den Adelstitel ab, der ihr von Kaiser Wilhelm I. als ‚Kriegsauszeichnung" angeboten wurde. Statt dessen nahm sie gerne den selten verliehenen preußischen Louisenorden I. Klasse entgegen, denn er ehrte auf augenfällige Weise ihren weiblichen Patriotismus.
    Den Ruf als Wohltäterin verdankte Frau Arnemann noch einer ganz anderen Seite ihres Wesens und ihrer Möglichkeiten. Der Reichtum gestattete ihr und ihrem Mann den Erwerb von Kunstschätzen. Mit dem Sammeln von Kunst verband das Ehepaar die Förderung junger Künstler. (…) Ihre Kunstliebe und -förderung bezog sich auch auf Musik und Dichtung. Wie der Dichter Thorwaldsen logierten bei Arnemanns Felix Mendelssohn Bartholdy, die ‚schwedische Nachtigall" Jenny Lind und viele andere (…), gelegentlich auch Politiker wie der spätere Reichskanzler v. Bülow (…). Mathilde Arnemanns Ansprechpartner in Hamburg bei Hilfs- und Unterstützungsaktionen war Senator Versmann, die Familien waren verwandtschaftlich und als Nachbarn miteinander verbunden.
    Bei ihren alljährlichen Kuren in Karlsbad fasste Mathilde Arnemann den Plan, eine solche Erholung auch Menschen zu ermöglichen, die sich das finanziell nicht leisten konnten und initiierte eine Stiftung. Diese erhielt den klingenden Namen ‚Elisabeth-Rosen-Stiftung" nach der Legende von der heiligen Elisabeth, wonach sich die Gaben in deren Korb, die sie den Armen bringen wollten, in Rosen verwandelten, als ihr über die Wohltätigkeit erzürnter Gatte den Deckel hob. Bei der Einweihung 1866 und so auch in den kommenden Jahren verkauften junge Mädchen Rosen an die begüterten Kurgäste, die sich zum eifrigen Spenden angeregt fühlten. (…)
    Mathilde Arnemann erschloss finanzielle Ressourcen für die Unterstützung ärmerer Menschen, verstand dies jedoch nicht als Almosen. Es schien ihr wichtig, die Hausfrauen zur Selbsthilfe anzuleiten.
    In Altona richtete sie deshalb eine Nähstube ein, freilich ohne großen Erfolg. (…)
    In jungen Jahren entwarf sie einen Kleiderschnitt, um von der beengenden Mode loszukommen. Sie hat selbst bis ins Alter Kleider dieser Art getragen. Durch ihre eigene Haltung propagierte sie eine Lebensreform, jedoch ohne diese zum verbindlichen Prinzip zu erheben. Von Frauenemanzipation hielt sie nichts, wenn diese dazu führte, ‚daß die jungen Damen zu Juristen etc. werden". Dagegen ermunterte sie dazu, ‚daß wir wieder ordentliche Weiber bekommen, die nähen, stopfen und flicken können" ". 2)
    An einer Säule in der Hamburger Rathausdiele befindet sich ihr Medaillon-Portrait.
    Quellen:
    Auszüge aus dem Text von Inge Grolle über Mathilde Arnemann, in: Rita Bake, Birgit Kiupel (Hrsg.): Auf den zweiten Blick. Streifzüge durch das Hamburger Rathaus. Hamburg 1997, 101-106.
    1) Paul Theodor Hoffmann: Der Altonaer Kaufmann und Patriot Carl Theodor Arnemann. Ein Lebensbild. Hamburg 1935, S. 30.
    2) Staatsarchiv Hamburg: Nachlass Eilse Davids 622-1, Briefe von Mathilde Arnemann, Brief vom 11. Juni 1883.

    Dr. Elisabeth von Dücker

    Museumskuratorin im Museum der Arbeit

    Ornament Image
    25.2.1946
    -
    9.7.2020
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    Grablage: 1B 132 AB 7 - 04024 Die Historikerin und Journalistin Juliane Brumberg hat noch im Januar 2020 ein Interview mit Dr. Elisabeth von Dücker führen können. Es ist abgedruckt auf der Website "beziehungsweise-weiterdenken, Forum für Philosophie und Politik" unter: www.bzw-weiterdenken.de/2020/01/liebe-zur-arbeit-der-frauen-die-museumskuratorin-elisabeth-von-duecker/ Juliane Brumberg gab uns die Erlaubnis dies Interview aufzunehmen. Fotos, wenn nicht anders angegeben, von Juliane Brumberg. Liebe zur Arbeit der Frauen: Die Museumskuratorin Elisabeth von Dücker Bei Hamburger Schmuddelwetter laufe ich den Elbhang hinunter von der Bushaltestelle zum Gebäude Altonaer Seemannsmission in unmittelbarer Nähe des Hafens. Lissi - so wird sie von Freundinnen, Kolleginnen und Mitstreiterinnen genannt - hat es als Treffpunkt für unser Gespräch vorgeschlagen. Klingt merkwürdig bei einer Frau, die immer wieder den Fokus auf die Arbeitsplätze von Frauen gelegt hat. Schon auf dem Weg dorthin muss ich mehrmals den Fotoapparat zur Hand nehmen. Denn immer wieder leuchten mir die farbenfrohen Wandgemälde der Hamburger FrauenFreiluftGalerien entgegen. Das ist ein lebendiges Langzeitprojekt, das auf die Initiative von Elisabeth von Dücker hin 1994 ins Leben gerufen wurde und sich seitdem immer wieder verändert und weiterentwickelt hat. "Wir wollten und wollen die Arbeitswelt von Frauen im Hamburger Hafen sichtbar machen", berichtet Lissi. Dafür nutzen sie und ihre Malerin-Kollegin Hildegund Schuster die grauen Flächen alter Gebäude oder Mauern von Treppenanlagen. Sie zeigen darauf zum Beispiel auch noch die Fischarbeiterin aus Portugal, die Fahrerin eines Gabelstablers im Containerhafen, die Kaffeeverleserinnen, die beim großen Hamburger Hafenstreik 1896 neben höheren Löhnen auch erstritten haben, dass das Verbot von Singen und Reden am Arbeitsplatz aufgehoben wurde - und auch die Zwangsarbeiterinnen, die 1944 unter unmenschlichen Bedingungen die Trümmer der Bombenangriffe im Hafengebiet beseitigen mussten. "Wir wollen eine andere Erzählung des Hamburger Hafens anbieten. Mit unseren Gemälden rückt die Vielfalt der von Frauen getätigten Jobs in den Blick. Der Hafen galt und gilt bis heute als Männerdomäne. Jedoch ohne die Frauen läuft hier nichts rund", erklärt Lissi. "Hildegund und ich haben in unserem Uwo-ladies-project´ eine Art Arbeitsteilung; hauptsächlich ist sie für die künstlerische Gestaltung der Wandgemälde zuständig. Und alles, was nicht mit dem Malen zu tun hat, mache ich, also die kuratorische Tätigkeit: Neben Kommunikation und Pressearbeit sind das zentral die Recherchen zu den Hafenjobs, die Interviews mit den Hafenfrauen, quasi unsere lebenden Quellen. Wir führen Gespräche nach der Pral-history-Methode'. Häufig im Arbeitsambiente. Und falls das ungünstig ist, auch mal am Küchentisch der Interviewpartnerin. Die meisten Frauen freuen sich, dass da mal nachgefragt wird, ob wirklich nur Männer im Hafen arbeiten; so dekonstruieren wir vermeintliche Gewissheiten oder langlebige Stereotypien. Und immer gibt es die Frage, wie sich die Arbeit im Hafen mit der Familien-Arbeit, den vielfältigen, meist als Frauensache angesehenen Sorge- und Care-Tätigkeiten unter einen Hut bringen lässt, oder nach Themen, die sich nur schwer visuell darstellen lassen wie Heimweh, Verliebt-Sein oder Lärmbelastung beim Job". Lissi spricht von sich selbst als Long-Runnerin: "Wenn Du erst mal Feuer gefangen hast, gehen die Projekte immer weiter. Ich habe so viel erfahren dürfen, aber ich hadere noch, ob ich es schaffe, ein Buch aus dem zu machen, womit die Frauen uns beschenkt haben. Bislang steckt das in diesem zwei Kilometer langen Spaziergang entlang der Wandbilder vom Holzhafen bis nach Övelgönne - und im Internet. "Der Internetauftritt ist tatsächlich eine Fundgrube. Sehr genau werden da die einzelnen Bilder, ihre Entstehung und ihre aktuellen und historischen Hintergründe beschrieben. Beeindruckend auch die Quellenangaben, der Pressespiegel und der Hinweis auf die Dokumentationen sowie Film- und Buchprojekte, in denen die FrauenFreiluftGalerie vorgestellt wird. Denn auch wenn Lissis eigenes Buch noch wartet, andere haben sehr wohl darüber geschrieben. Mit dem bloßen Anfertigen der Wandbilder ist es nicht getan. Nach einigen Jahren müssen sie ausgebessert werden, dafür wird Geld gebraucht. Oder Häuser werden abgerissen und damit gehen auch die Wandgemälde verloren. "Durch die moderne Fassadengestaltung aus Glas und Metall ist es mittlerweile fast schwieriger, Wände zu finden als die Finanzakquise zu organisieren". Sie freut sich sehr, dass "neben privaten Sponsoren und der Kulturbehörde mittlerweile der Bezirk Altona auch die Restaurierung finanziell unterstützt." Und: "So ein autonomes Non-Profit-Projekt einer open-air-Galerie zur hafenbezogenen Frauenarbeit findest du in der ganzen Republik nicht noch einmal. Getreu dem feministischen Ansatz nehmen wir uns Raum in der Stadt und an gesellschaftlich genutzten Orten, tun Aufklärungs-, Vermittlungsarbeit." Diese geschieht durch Führungen oder Lesungen mit zündenden Aussprüchen aus den Interviews, organisiert und durchgeführt von Dr. Elisabeth von Dücker persönlich. Beim genauen Hinsehen fällt auf: Die bislang 15 Gemälde der open-air-Galerie tragen künstlerisch unterschiedliche Handschriften. Denn neben Malerinnen aus Hamburg waren auch Künstlerinnen aus London, New York und aus Argentinien am Werk. Andere Stilrichtungen und Blickweisen bringen somit Vielfalt ins Projekt. Bevor ich die Frage stellen kann, greift Lissi sie selber auf: "Was ist das Feministische an dem Wandbildprojekt? Wir meinen: Es sind nicht Bilder über die, sondern mit den Zeitzeuginnen, aus dezentraler Perspektive, partizipatorisch, emanzipatorisch. Eben Bilder, die den Stereotypen zuwiderlaufen." Begeisterung für das Museum Wer ist nun diese Frau, die so voller Ideen steckt? Als allererstes ist sie eine leidenschaftliche Museumsfrau. "Nach einem Museumspraktikum während des Studiums war sofort klar: "Ich will ins Museum!" Geboren wurde sie kurz nach dem Krieg, 1946, und hat, bedingt durch den Beruf ihres Vaters, eine unruhige Schulkarriere "einmal durch die Republik" hinter sich und dabei acht verschiedene Schulen besucht. "Dadurch habe ich wohl gelernt, mich auf neue Situationen einzustellen." Studiert hat sie, zunächst in West-Berlin und Frankfurt/Main, "mein Lieblingsfach Kunstgeschichte", seinerzeit als Studiengang für Iöhere Töchter' bekannt, sowie Volkskunde und Klassische Archäologie. Zwischendrin absolvierte sie noch eine Buchhändlerinnen-Ausbildung mit Kaufmannsgehilfenbrief. "Das wähnte ich als ein gewisses finanzielles Standbein." 1970 hat sie in Hamburg eine Heimat gefunden, "der Liebe wegen", schloss dort ihr Studium ab und legt Wert darauf, dass sie seitdem Wahl-Altonaerin ist. Das hängt sicherlich auch damit zusammen, dass sie 1975 ein wissenschaftliches Volontariat am Altonaer Museum begann. Altona war bis zur Eingemeindung nach Hamburg 1938 eine zu Dänemark gehörende selbstständige Großstadt und hat deshalb auch eine ganz eigene Geschichte. Das Altonaer Museum war für die junge, engagierte Kunsthistorikerin der richtige Ort zur richtigen Zeit. "Stadtgeschichte ist eine wunderbare Sache. Vor allem in einem solchen Viel-Sparten-Museum mit umfangreicher kulturgeschichtlicher Palette. Hier lag die Idee, Stadtgeschichte von unten zu versuchen, quasi auf dem Pflaster des Quartiers, in dem das Museum beheimatet ist." Noch als Volontärin entwarf sie das Konzept zu einer großen Ottensen-Ausstellung. Immer noch begeistert erzählt sie: "Ende der 1970er Jahre gab es in dem zu Altona gehörenden ehemaligen Industriequartier Ottensen eine bunte Mischung von Alteingesessenen, Handwerksbetrieben, Industriearbeiterschaft und 'Gastarbeiter_innen´. Mit seinen historischen Industriebauten entwickelte es sich zu einem brodelnden Meltingpott-Stadtteil. Es gab in den 1970/80ern an die 100 Bürgerinitiativen sowie alle Schattierungen von Friedens-, Frauen- und politischen Bewegungen. Anliegen der Ausstellung war es, Ottensens Geschichte vom Dorf zur Industriestadt und als Migrationsort zu erzählen, und zwar in enger Kooperation mit den Menschen, den Akteur_innen vor Ort. In diesem Rahmen wurde 1980 Hamburgs erste Geschichtswerkstatt, das Stadtteilarchiv Ottensen, gegründet, beflügelt von unserer Ausstellungsgruppe. So kam ein Mitspieler als eine autonome Partnerorganisation für das Ausstellungsprojekt im Museum hinzu, übrigens durchaus kritisch beäugt von der damaligen Museumsleitung, galt diese Methode zu jener Zeit als eher unüblich. Die Anwohner_innen waren aufgerufen, sich mit Fotos, Dokumenten und Erinnerungen an der Ausstellung zu beteiligen. Die Geschichtswerkstatt diente damals als Anlaufstelle ohne Hemmschwelle für die persönlichen Erinnerungsstücke." Idee und Umsetzung waren museales Neuland: Alltagsgeschichte eines Quartiers unter Beteiligung der Anwohnerschaft. 1982 eröffnet, war sie mit über 70 000 Besucherinnen ein Publikumsrenner. Ganz Museumsfrau, hebt sie hervor: "Außerdem gewann das Haus einen Zuwachs an Sammlungsstücken aus gut 100 Jahren Arbeits- und Alltagsleben im proletarisch geprägten Ottensen. Und neue Freunde." Und: die Kuratorin Elisabeth von Dücker durfte im Museum bleiben - festangestellt. Feministische Fragestellungen ins Museum transferiert In diese Zeit fallen auch die Anfänge ihrer Politisierung, die schon um 1975 begann, "als ich gegen den frauenfeindlichen § 218 auf die Straße ging und mich einer Frauengruppe anschloss. Und auf der grünen Frauenliste bei der Rathauswahl kandidierte. Doch schon vorher hatte ich Augen und Ohren offen, nicht zuletzt durch meine Promotion über Thomas Theodor Heine, einen der Gründer der Münchner Karikaturenzeitschrift 'Simplicissimus', der nicht nur die wilhelminische Politik und das deutsche Spießertum kritisierte, sondern sich auch in seiner Malerei ironisch mit den Geschlechterverhältnissen beschäftigt hat." Die feministischen Fragestellungen nahm Elisabeth von Dücker mit in die Museumsarbeit, kuratierte am Altonaer Museum weitere Ausstellungen und wurde dort Abteilungsleiterin. "In den Jahren lernte ich Museum von der Pieke auf." Was ihr nicht gelang, war jedoch, die neuen Methoden der oral history mit dem Blick auf Klasse, Gender, Ethnie und Generation dauerhaft am Altonaer Museum zu etablieren. Insofern reizte sie eine neue Herausforderung: Das in der Gründungsphase befindliche Museum der Arbeit in Hamburg-Barmbek. 1986 wechselte sie als Museumswissenschaftlerin in ein Museum, das noch gar nicht bestand. "Das war eine eher diffizile Sache. Die endgültige Museumseröffnung in dem Gebäude einer ehemaligen Gummiwaren-Company zog sich aus politischen und finanziellen Gründen bis 1997 hin. Konzepte für ein auf Partizipativität ausgerichtetes sozialgeschichtliches Museum mit zu erarbeiten, Sammlungen anlegen, Dauerausstellungen konzipieren und bestücken, einen Museumsalltag organisieren. Und gleichzeitig erschien uns die Anschubfinanzierung für eine Kulturgeschichte von Arbeit eher mager." Elisabeth von Dücker war zuständig für den Bereich Alltags- und Frauengeschichte und den ehrenamtlich tätigen 'Arbeitskreis Frauen im Museum'. "Dieser Arbeitskreis war für mich wie für das entstehende Museum eine wichtige Ressource mit einer politischen Komponente, war doch der Grundtenor dezidiert frauenbewegt und feministisch. Hauptmotiv war, die Konzeption des Museums mitzubestimmen, da es nicht nur ein Museum der männlichen Arbeiter werden sollte. Die Debatten drehten sich um die Erweiterung des traditionellen Arbeitsbegriffs, um die unbezahlte, gesellschaftlich wenig gewertete Hausarbeit, um Geschlechterrollen und Sammlungsstrategien." Und dann holt Lissi noch ein bisschen weiter aus und erklärt den theoretischen Hintergrund ihrer Tätigkeit in der Museumslandschaft: "Die Konfliktlinie hieß damals: Autonomie versus Integration, also autonomes Frauenmuseum gegenüber der Integration von Frauen- und Geschlechterperspektiven in bestehende Häuser. Mich haben der Mut und die Vielfalt fasziniert, wie das Begehren der Frauen nach Repräsentanz im Museum formuliert und strategisch durchgesetzt werden könnte. Mir persönlich war klar, dass mein Weg derjenige durch die Institutionen war, mit dem Anliegen, versuchsweise die Grenzen der Institution zu verschieben. Dazu gehörte auch die wichtige Forderung, die im Arbeitskreis Frauen entstanden war: eine Quotierung der Quadratmeter. Das meinte, nicht nur eine 'Frauenecke' im Museum, sondern mindestens die Hälfte für Frauen- und Geschlechtergeschichte." Das gelang zwar nicht, aber immerhin wurde mit der Eröffnung des Museums der Arbeit im Jahr 1997 auch die Dauerausstellung 'Frauen und Männer - Arbeitswelten und Bilderwelten' im Museum der Arbeit auf 400 qm installiert. In einem wissenschaftlichen Aufsatz erläutert Elisabeth von Dücker: "Ich und das Team haben den Versuch unternommen, die Befunde in den Arbeits- und Geschlechterverhältnissen nicht nur zu zeigen, sondern auf ihre Konstruktionsmuster hin zu befragen: Warum gibt es geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, warum ökonomische Privilegierung und Diskriminierung, wie wird mit den Bildern von Weiblichkeit und Männlichkeit soziales Geschlecht konstruiert, wie gestaltet sich Wandel in gesellschaftlicher und individueller Hinsicht." Das ist jetzt mehr als 20 Jahre her, ein Zeitraum, in dem Ausstellungen erneuert werden müssen und Strategien sich ändern. Diese Abteilung musste weichen, ist Frauenarbeit im Museum der Arbeit heute immer noch adäquat präsentiert? Lissi antwortet etwas ausweichend: "Eine schöne Frage und eine schwierige. Mir schwebt eine work-in-progress-Abteilung vor, durchlässig für aktuelle, auch historische Debatten über den Wandel von lokaler und globaler Arbeit, der sich wandelnden Geschlechterrollen im Dialog unterschiedlicher Kulturen und Herkünfte. Und das alles in einem inspirierenden Ort im Museum, der zu einem individuellen Mitwirken verlockt - so etwa, wie sich die Abteilung Frankfurt jetzt im Historischen Museum Frankfurt präsentiert. Dort sind die Stadtbewohner_innen eingeladen, ihre Expertise mit dem Leben hier und ihren Zukunftswünschen einzubringen - ihnen ist diese Ausstellungs- und Veranstaltungsfläche gewidmet, wo jetzt, im Jahr 2019 eine große Schrifttafel zum Mittun aufruft." Viel zu tun, "manchmal ein bisschen mehr ..." Wenn Lissi sich an die Gründungsjahre des Museums der Arbeit erinnert, fällt ihr als Erstes ein: "Mein Tag hatte nicht unselten immer mindestens 25 Stunden." Neben der Berufstätigkeit engagierte sie sich im Stadtteilarchiv Ottensen, war fast von Anfang an im bundesweiten Frauengeschichtsnetzwerks Miss Marples Schwestern dabei und seit 1986 "gab es ja auch noch den Arbeitsplatz 'Laura', meine kleine Tochter, die in der Anfangszeit im Laufgitter im Büro dabei war. Das war ganz schön anstrengend. In der Folge habe ich außerdem in unserem Stadtviertel Ottensen den bilingualen deutsch-türkischen Kinderladen mitgegründet." Gleichzeitig wuchs die Ungeduld. "Ich kam von einem seit 1860 etablierten Museum und wollte meine Erkenntnisse und Ideen in die Museumsarbeit einbringen, aber es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, mehr als 10 Jahre. Da das Museum der Arbeit immer noch nicht eröffnet war, wir aber mit neuem Blick auf geschlechtsspezifische Arbeit loslegen wollten, entstand die Idee zu dem ersten Wandbild, und dann gleich ein richtig Großes mit 1000 Quadratmetern! Zum 800. Hafengeburtstag am 1. Mai 1989 gelang es dem Arbeitskreis Frauen im Museum, mir als Kuratorin und in Kooperation mit dem Museum, an einem alten Getreidespeicher das Wandgemälde "100 Jahre Frauenarbeit im Hamburger Hafen" zu präsentieren. Quasi eine unübersehbare Außenstelle für das Museum der Arbeit. Leider musste nach vier Jahren der industriehistorische Getreidespeicher umgebaut werden, die Wand erhielt Fenster und damit war das Bild dahin. Wir sind zum Investor gegangen und haben tatsächlich sozusagen als "Wiedergutmachung" eine fünfstellige Summe erhalten. Damit machten wir, Hildegund Schuster und ich und damals noch für einige Jahre die Sozialwissenschaftlerin Emilija Mitrovic einen Neustart, es war der Anfang der späteren FrauenFreiluftGalerie." Bevor Lissi mit dem nächsten großen Projekt begann, hat sie sich mit 53 Jahren ein Jahr Auszeit genommen. "Mein Vater ist mit 53 Jahren gestorben, er hat immer nur gearbeitet, das war mir eine Warnung." Prostitution als Arbeitsplatz Hafenarbeit, Frauenarbeit, Arbeitsplatz Kind - Elisabeth von Dücker interessierte sich nicht nur für herkömmliche Erwerbsarbeitswelten, sondern auch für Themen, die nicht sofort ins Auge fallen: "Mir lag am Herzen, daran mitzuarbeiten, dass Museum nicht als traditioneller Musentempel funktioniert, sondern dass dort auch Neuland betreten, Perspektivwechsel erprobt wird, ein Dialog zwischen Jetzt und Zukünftigem stattfindet." Also traute sie sich an das Thema Sexarbeit heran. Ausgangspunkt war das 2002 in Kraft getretene neue Prostitutionsgesetz, das die rechtliche Stellung von Prostitution als Dienstleistung regelt, um die rechtliche und soziale Situation von Prostituierten zu verbessern. Wie bei jeder anderen Arbeit ist es ihnen dadurch möglich, sozialversichert zu sein. "'SEXARBEIT - Prostitution - Lebenswelten und Mythen' war wohl eine meiner zentralen Ausstellungen, habe ich doch unendlich viel dabei gelernt. Wir hatten eine ausgetüftelte Ausstellungsarchitektur in 14 Räumen auf 700 Quadratmetern. Man stand Schlange, um die Eröffnung im November 2005 zu erleben. Und auch bei der Finissage nach zweimaliger Verlängerung. Die Hafenstadt Hamburg, als Hauptstadt der Prostitution geltend, war schlichtweg der richtige Ort für das Thema." Anschließend war die Ausstellung in Bern zu sehen. Das von Lissi als verantwortlicher Kuratorin herausgegebene Katalog-Buch umfasst 346 Seiten. Sie vergisst nicht zu erwähnen, dass es von der Stiftung Buchkunst 2006 als schönstes deutsches Sachbuch ausgezeichnet wurde. Nicht nur der Erfolg des Buches und der Ausstellung hat sie als Kuratorin glücklich gemacht, sondern auch die Art und Weise, wie sie über zwei Jahre hinweg und mit unterschiedlichen Kooperateur_innen erarbeitet wurde. Ein sehr großer Kreis hat daran mitgewirkt, fachkompetente Soziologinnen, Historiker_innen, Beratungsstellen über ganz Deutschland verteilt und natürlich Frauen und Männer, die im Sexgewerbe arbeiteten und sich auf Interviews eingelassen haben. "Wir haben viele persönliche Materialien bekommen und konnten Protagonist_innen gewinnen, die ihre Arbeitskleidung und -utensilien zur Verfügung stellten. Es war das erste Mal in Deutschland, dass ein Museum solche Artefakte, jeweils mit authentischer Nutzungsgeschichte, gesammelt und gezeigt hat. Das Thema stand bzw. steht nicht unbedingt im Fokus musealen Interesses, doch wir wollten diese vermeintlich 'dunkle Ecke´ der Gesellschaft ausleuchten. Immerhin spricht man von schätzungungsweise 1,2 Millionen Kunden_innen. Ziel war, das Thema nicht aus der Schlüssellochperspektive zu betrachten." Vielmehr sollte die Präsentation eine Einladung sein, sich mit eigenen und fremden (Vor-) Urteilen auseinanderzusetzen. Besonders gefreut hat die Ausstellungsmacherin sich über die positive Resonanz aus dem Milieu: "Aus Stuttgart, Berlin und St. Pauli waren die Akteur_innen gekommen, zufrieden, dass ihre Arbeit in einem gesellschaftlich anerkannten Rahmen wertschätzend repräsentiert wurde. Wir hätten den Job gezeigt, wie er ist, war ihr Urteil." Wie gründlich die Ausstellung vorbereitet wurde, zeigen auch die Themen des Buches, an dem 130 Autoren und Autorinnen mitgewirkt haben. Es geht los mit der Frage: 'Wer arbeitet warum als Prostituierte?' Dann folgen Oberkapitel wie 'Jobs im Sexgewerbe', 'Das große schnelle Geld?', 'Arbeitsmigration', 'Kunden, Freier, Gäste', 'Prostitution und Gesundheit', 'Moral, Sexualität Gesellschaft', und selbstverständlich auch 'Frauenhandel - Menschenhandel'. Interessant ist, wie Elisabeth von Dücker in der Einleitung schreibt, dass die Spendenbereitschaft bei diesem Projekt nicht überschäumend war und sie sich deshalb umso mehr über die Zeit- und Wissensspenden freute. Wertschätzende Anerkennung Lissis feministisch geprägte Arbeit wurde wahrgenommen und anerkannt. Seit 2008 ehrt der Hamburger Landesfrauenrat alljährlich eine Frau, die sich Verdienste um die Gleichberechtigung von Frau und Mann erworben hat. Allererste Preisträgerin war Elisabeth von Dücker, weil "sie bei ihrer Tätigkeit als Kustodin im Museum auf geschlechtsspezifische Unterschiede aufmerksam gemacht hat, bei dem großen Wandbild zur Frauenarbeit im Hamburger Hafen unsichtbare Frauengeschichte in den öffentlichen Raum gebracht hat und weil sie mit der SEXARBEITs-Ausstellung zur Enttabuisierung des Themas Prostitution beigetragen hat", heißt es in der Presseerklärung. Seit 2007 ist Lissi im Ruhestand, was nicht heißt, dass sie nicht mehr arbeitet. Für das Stadtteilarchiv Ottensen ist sie nach wie vor aktiv und als 2010 das Altonaer Museum geschlossen werden sollte, war sie eine der Sprecherinnen der Bürgerinitiative 'Altonaer Museum bleibt'; mit Erfolg übrigens, denn der Hamburger Senat revidierte aufgrund der vielen Proteste seine Entscheidung. Ansonsten genießt sie es als über 70jährige, "lustvoll die Museumsentwicklung hier und andernorts zu verfolgen und mich kulturgeschichtlich auf den neuesten Stand zu bringen". Und jetzt im Januar, zur Hamburger Schmuddelwetterzeit, flieht sie auf eine warme Insel und ist ganz glücklich "dort in einem kleinen Cafè in Ruhe die dicken Bücher zu lesen, zu denen ich hier in Hamburg kaum komme". Zur Zukunft des Feminismus meint sie: "Ich glaube, das könnte wohl ganz gedeihlich werden, wenn zunehmend mehr Männer sich als Feministen verstehen. Dann haben sie erkannt, wie wichtig es ist, gemeinsam am Strang der Geschlechtergerechtigkeit zu ziehen, denn Feminismus umfasst das ganze Leben und ist für alle gut." Und natürlich die FrauenFreiluftGalerie. Da gibt es immer was zu tun. Die nächste Führung ist für den 11. März im Rahmen des Internationalen Frauentages und am 8. Mai 2020 im Rahmen des Hafengeburtstags geplant. Abgesehen davon ist sie ja rund um die Uhr geöffnet. Über den Internetauftritt können auch private Rundgänge gebucht werden. Außerdem betreut Lissi seit Neustem auch eine Wanderausstellung mit Fotos und Texten über Hafenarbeiterinnen. Sie ist ausleihbar. Derzeit hängt sie im Speisesaal der Altonaer Seemannsmission; damit ist auch das Geheimnis unseres Treffpunkts gelüftet. Gemütlich im Warmen konnte ich mir dort auf den Text-Foto-Tafeln die Details des großen Wandgemäldes an der Außenfassade der Seemannsmission anschauen, auch das wieder eines von Lissis kreativen Projekten, in diesem Fall sogar bi-kulturell. Auf zwei gegenüberliegenden Wänden ist ein Brückenschlag zwischen Hamburg und New York abgebildet: moderne Frauenarbeitsplätze in den Häfen hier und dort - auf der Basis aktueller Interviews. Wer zu weit entfernt wohnt, um sich selbst vor Ort umzusehen, kann die Details und den Entstehungsprozess des Brückenschlags auf der Homepage nachvollziehen, ohne nach Hamburg oder nach New York reisen zu müssen Text: Juliane Brumberg

    Annelie Kümpers-Greve

    geb. Greve

    Dr. h.c.
    Unternehmerin, Mäzenin, Ökumenikerin

    Ornament Image
    16.1.1946
    Ellerau/Nähe Quickborn
    -
    11.3.2017
    Hamburg
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    Grablage: Feld 12, 590

    Annelie Kümpers-Greve wurde 1946 in Ellerau bei Hamburg geboren. Sie ist eine direkte Nachkommin der Mennonitenfamilie Van der Smissen, einer aus Brabant eingewanderten Kaufmannsfamilie [1]. Verheiratet war sie mit dem Unternehmer Rainer Kümpers, der aus einer westfälischen Textilindustriellenfamilie stammt. Das Paar hat drei Töchter. Die Unternehmerin vereinte auch zahlreiche Ehrenämter auf sich. So gehörte Annelie Kümpers-Greve seit 1988 dem Kirchenrat der Hamburger Mennonitengemeinde an [2]. Ihre Eltern sind die Mäzene und Ehrenbürger Hamburgs, Prof. Dr. hc. Hannelore Greve (geb. 1926) und ihr verstorbener Gatte, der Bauunternehmer und
    Völkerrechtler sowie seit 1991 Honorarkonsul Ungarns, Prof. Dr. Dr. h.c. Helmut Greve (1922-2016; seine Tochter Eva-Maria folgte ihm in dieses Ehrenamt). Gemeinsam gründeten sie die "Hamburgische Stiftung für Wissenschaften, Entwicklung und Kultur Helmut und Hannelore Greve", mit deren Mitteln sie in Hamburg Bauprojekte u.a. an der Universität, der Hochschule für Musik und Theater HfMT oder die Elbphilharmonie förderten [3].
    In solcher Tradition groß geworden, unterstützte seit 1980 ihre älteste Tochter Annelie Kümpers-Greve "die "Internationale Mennonitische Organisation" (IMO) sowie ein europäisches Hilfswerk mennonitischer Gemeinden mit dem Schwerpunkt Südamerika. Außerdem gehörte sie seit 1995 zu den Gründungsmitgliedern des Hilfswerks "Liebe deinen Nächsten" e.V., eines der Trägerhilfswerke der IMO. Seit 1992 war Annelie Kümpers-Greve Fördermitglied des Mennonitischen Geschichtsvereins und seit 2000 Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste, Salzburg, innerhalb derer sie besonders den Standpunkt des Täufertums vertrat" [4].
    In dieser Konstellation zeichnete sie auch mit verantwortlich für die Jubiläumsausstellung "400 Jahre Mennoniten" im Altonaer Museum 2001 (vgl. Katalog unter Publikationen) und stellte deren Finanzierung sicher (Menno-Kat AM, S.7). Zusammen mit den Kulturhistorikern Dr. Hajo Brandenburg und Dr. Matthias H. Rauert gestaltete sie Ausstellung und Katalog. Dazu schrieb die Kulturjournalistin Isabelle Hofmann im Juni 2001: " Paul-Roosen-Straße , De-Voß-Straße , Große Freiheit . Man kennt diese Hamburger Straßennamen. Und manch einer weiß vielleicht, dass Roosen und de Voß berühmte Reeder und Bierbrauer waren und die Große Freiheit ihren Namen trägt, weil Kaufleute im 17. Jahrhundert dort Gewerbefreiheit hatten. Doch welches Schicksal die Straßennamen mit einander verbindet, weiß sicher kaum jemand. Roosen und de Voß gehörten, wie auch die Linnichs und Van der Smissens, zu den ältesten Mennonitenfamilien in Hamburg. Eine Glaubensgemeinschaft, die auf den Niederländer Menno Simons zurückgeht und die auf der Flucht vor Verfolgung durch Herzog Alba in Norddeutschland eine neue Heimat fand. In Altona erhielten die Mennoniten schon 1601 religiöse und wirtschaftliche Freiheiten. (...) Das Begrüßungskomitee in der stadtgeschichtlichen Abteilung besteht aus einer ländlich-altmodisch gekleideten Puppenfamilie. Es sind zeitgenössische Trachten der Amish-People und Hutterer, ebenfalls in der Reformationszeit entstandene Glaubensgemeinschaften, die heute in Amerika und Kanada leben. Doch anders als diese technikfeindlichen Glaubensbrüder waren die europäischen Mennoniten, die sich durch ein fundamentales Demokratieverständnis, Erwachsenentaufe und bedingungslosen Pazifismus auszeichnen, fortschrittliche und wirtschaftlich orientierte Geister. Ihren ökonomischen Aufstieg im 18. Jahrhundert verdanken sie einer gelungenen Gratwanderung zwischen Assimilation und Isolation.
    Für die Gemeinde, die an der Elbe durch vielfach verflochtene Familienbande eng zusammenhielt, war Reichtum die einzige Möglichkeit, Macht und Einfluss in der Stadt zu gewinnen. Wie gut ihnen das gelungen ist, zeigt die Ausstellung anhand zahlreicher Exponate aus allen Lebensbereichen: Schriften, Stiche, Schiffsmodelle, Seekarten, Landschaften, Stillleben, Möbel und Silber zeugen von der Blütezeit der Täufer. Heute zählt die Mennonitenkirche (...) nur noch 468 Gemeindemitglieder, unter denen die im Zweiten Weltkrieg aus Westpreußen Vertriebenen die Mehrheit bilden. Mit dieser Ausstellung führt das Altonaer Museum einmal mehr die Weltoffenheit und Toleranz des historischen Altona vor Augen. Eine Offenheit fremden Minderheiten gegenüber, die nichts an ihrem Vorbildcharakter verloren hat." [5].
    In Ihrem Gedenken schrieb das Hamburger Abendblatt in der Ausgabe vom 15. März 2017 unter der Überschrift: "Mäzenin Annelie Kümpers-Greve aus Blankenese ist tot. Erst verstarb ihr Mann, nun muss Hamburgs Ehrenbürgerin Hannelore Greve ihre Tochter zu Grabe tragen. Denn am Sonnabend ist Annelie Kümpers-Greve im Alter von 71 Jahren nach langer und schwerer Krankheit im Altonaer Krankenhaus verstorben. Helmut Paul Greve starb 2016.
    Wie ihr Vater engagierte sich Kümpers-Greve für ihre Heimatstadt Hamburg als Mäzenin. Unter anderem setzte sie sich für die Schaffung einer Stelle an der Universität Hamburg zur Erforschung einer Theologie der Friedenskirchen [6] ein. Seit 2006 gibt es die Stelle, die die ersten fünf Jahre von der Greve-Stiftung finanziert wurde. Zudem initiierte sie die Falkensteiner Gespräche am Hamburger Friedensinstitut.
    In Blankenese lebte die Unternehmertochter, die selbst im Immobiliensektor tätig war. Von Wegbegleitern wird sie als bodenständig, geradlinig und tapfer beschrieben. Kümpers-Greve hinterlässt ihren Mann Rainer, mit dem sie seit mehr als 50 Jahren verheiratet war, ihre drei Kinder und sechs Enkelkinder. Beigesetzt wird sie auf dem Mennoniten-Friedhof in Bahrenfeld gegenüber vom Grab ihres Vaters. Beide waren Mitglieder der Altonaer Freikirche." (Autor_in mit Kürzel "krk").
    Viel über ihr Lebenswerk und ihr Wesen sagte auch diese Traueranzeige aus dem Hamburger Abendblatt vom 18. März 2017: "Sie ist aufgebrochen, hat Menschen eingeladen, mitgenommen auf ihren ganz eigenen Weg - auf einen gemeinsamen Weg, der alle mitriss, etwas Großartiges schaffen zu wollen". Wir verneigen uns in tiefer Trauer gegenüber einer Unternehmerin und Visionärin, die nun im Alter von 71 Jahren von uns gegangen ist. Frau Dr. h.c. Annelie Ku?mpers-Greve, unsere Senior-Chefin, hat mit Weitblick, großem sozialen Engagement und Leidenschaft die Lebensqualität von Seniorinnen und Senioren verbessert. Sie hat die Entwicklung neuer Wohnformen in der Seniorenbetreuung seit nunmehr fast 40 Jahren in Hamburg vorangetrieben und umgesetzt - u.a. in den Anfangsjahren mit dem Haus Annelie. später mit der Parkresidenz Poppenbu?ttel und nun seit 1998 mit dem Service-Wohnen im FORUM Alstertal. Zusammen mit ihrem Mann hat Frau Dr. h.c. Annelie Kümpers-Greve darüber hinaus aber auch viele weitere innovative Immobilienprojekte entwickelt und umgesetzt. Wir haben sie als kluge und kämpferische Frau kennen- und vor allem schätzen gelernt, die sich immer auch für die Gleichstellung der Frau einsetzte. Ihr langjähriger Kampf gegen ihre Erkrankung und ihre positive Lebenseinstellung werden für uns immer Vorbild, Triebfeder und Motivation zugleich sein.
    In Dankbarkeit verabschieden wir uns mit diesem letzten stillen Gruß von einer großartigen Frau und Chefin und drücken hiermit sogleich unser tief empfundenes Mitgefühl gegenüber der gesamten Familie aus. In Trauer, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der FORUM Alstertal Betreuungsservice und Veranstaltungszentrum GmbH, VHH Verwaltung Hamburgischen Hausbesitzes GmbH & Co. Erste KG, GETUMA Vermietungs- und Hausverwaltungs-GmbH".
    Publikationen:
    - Rauert, Matthias H. und Kümpers-Greve, Annelie: Van der Smissen. Eine mennonitische Familie vor dem Hintergrund der Geschichte Altonas und Schleswig-Holsteins. Hamburg 1992. - 400 Jahre Mennoniten zu Altona und Hamburg. Hg. v., Hajo Brandenburg im Auftrag der Mennonitengemeinde zu Hamburg und Altona. Begleitheft zur Ausstellung. Ausstellung: Annelie Kümpers-Greve, Matthias H. Rauert, Thomas Schamp, Altonaer Museum, Hamburg 2001. Mitarbeit: Silvia Jodat, Hajo Brandenburg (verantwortlich), Astrid und Ulrich von Beckerath, Peter J. Foth, Elisabeth Harding, Sebastian Harms, Sylvia Jodath, Sandra Maurel, Martje Postma, Ascan Roosen und Schiemann Harms Medien = Menno-Kat. AM
    Text: Dr. Cornelia Göksu
    Quellen und Anmerkungen:
    1 Hinrich I. van der Smissen (1662 Glückstadt - 1737 Altona) hatte es als Bäcker, Transport-Unternehmer, Investor und Bauunternehmer, als Gründer eines der größten Handelshäuser Altonas, zu bedeutendem Ansehen und Wohlstand gebracht. Er galt als Wiedererbauer Altonas nach der Zerstörung in den Schwedenkriegen 1713. Hinrich I. van der Smissen war verheiratet mit Marie de Voß (1674-1732); vgl. die Straßennamen Van-der-Smissen-Straße und De-Voß-Straße (1674-1732) (vgl. gameo.org/index.php?title=Smissen,_Hinrich_I_van_der_%281662-1737%29).
    2 Die Bezeichnung Mennoniten bezieht sich auf den Gründer der Bewegung, den Holländer Menno Simons (1496 Wirmarsum/Friesland/NL - 1561 Wüstenfelde bei Bad Oldesloe, dort auch Museum Mennokate). Der Bauernsohn Menno Simons war zunächst Priester und Vikar. Ab 1536 schloss er sich der friedlichen Täuferbewegung aktiv an und wurde als solcher verfolgt. Vielfältige Reisen führten ihn in den niederländischen und norddeutschen Raum. Er fand Anhänger in Köln und schließlich auf dem zu Oldesloe gehörenden Gut Fresenburg Zuflucht. "Etwas generalisierend" könnte man die Täufer, Frauen, Männer, Familien "als die "Radikalen" des 16. Jahrhunderts bezeichnen, und es flossen in diese Protest- und Erneuerungsbewegung auch soziale Aspekte und generell die aufkommende Vorstellung von der Mündigkeit des Einzelnen ein. Historiker haben als Triebfeder hinter den täuferischen Reformvorstellungen einen starken "antiklerikalen Impuls" (Hans-Jürgen Goertz) ausgemacht, der auch vor der Vorstellung einer Unabhängigkeit der christlichen Gemeinde von staatlicher Obrigkeit nicht zurückschreckte. Dieses Konzept einer (modern gesprochen)‚ "Trennung von Staat und Kirche" war für die große Mehrheit der damals lebenden Menschen und vor allem für alle herrschenden Obrigkeiten unakzeptabel, unabhängig davon, welcher Vorstellung von kirchlichem Leben sie ansonsten anhingen. Daher ist aus historischem Abstand verständlich, dass das Täufertum (...) von den Herrschenden als Bedrohung, ja als Gotteslästerung empfunden und überall aufs Schärfste verfolgt wurde. Es haben sich nur Nachfahren der sogenannten "Schweizer Brüder" und der Anhänger Menno Simons" (daher im weiteren Verlauf für alle diese Gruppen der kollektive Name "Mennoniten") sowie die Gruppe der sogenannten "Hutterer" erhalten, die alle eine strikt gewaltlose Haltung als für Christen unabdingbar ansahen. Die Hutterer haben darüber hinaus einen christlich begründeten Kommunismus etabliert und diese Lebensform bis in die Gegenwart durchgehalten. Diese Gruppen konnten nur durch Rückzug und durch eine Wendung "nach innen", zu einer "Theologie der Weltverneinung" in solchen Gebieten überleben, meist am Rande damals besiedelter Gebiete, wo die Obrigkeiten sie als inzwischen ungefährliche, aber fleißige Arbeiter schätzten. Daher bekam die ursprünglich überwiegend in den Städten beheimatete täuferische Bewegung einen weitgehend ländlichen Charakter; nur in den Niederlanden und in einigen Städten Norddeutschlands wie etwa Emden, Hamburg, Lübeck oder Danzig konnten sich Mennoniten auch in handwerklichen oder kaufmännischen Berufen halten und Gemeinden bilden" (Quelle: mennoniten.de/geschichte; abgerufen März 2017 CG).
    3 de.wikipedia.org/wiki/Hannelore_Greve und de.wikipedia.org/wiki/Helmut_Greve
    4 www.in-cultura.com/autoren-herausgeber/kümpers-greve-annelie
    5 Isabell Hofmann: 400 Jahre Mennoniten In Hamburg. Ausstellung im Altonaer Museum - Durchaus fortschrittliche Geister. In: Hamburger Morgenpost v.7.6.2001; LINK: mopo.de/400-jahre-mennoniten-in-hamburg
    6 Gemeint ist die "Arbeitsstelle Theologie der Friedenskirchen" am Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Hamburg, mennoniten.de/atf-hamburg Zum Stichwort Friedenskirchen: In den mennonitischen Gemeinden war die selbstgewählte und bewusste Entscheidung zur Nachfolge Jesu Christi entscheidend wichtig. Dies schließt ein, sich am Leben Jesu in der eigenen Lebensgestaltung auszurichten. Der Bergpredigt (Matthäus 5-7) kommt dabei von Anfang an eine herausragende Bedeutung zu: Frieden zu stiften und von Gewalt befreit zu leben gilt daher früh als Identifikationsmerkmal. In der Verweigerung des Kriegsdienstes meinten staatliche wie kirchliche Autoritäten den Verrat und die Illoyalität zu erkennen, die es auszumerzen galt.
    Seit Beginn des 20. Jahrhunderts werden mennonitische Gemeinden als "historische Friedenskirchen" bezeichnet. Sie lehnen in weiten Teilen den Kriegsdienst ab und erinnern sich an ihre Glaubensvorfahren, die in den vergangenen Jahrhunderten so oft in Regionen auswichen, wo ihnen das Recht, den Dienst an der Waffe nicht übernehmen zu müssen, als Privileg zugesichert wurde. Zum Ende des 19. Jahrhunderts und dann im Ersten und Zweiten Weltkrieg war in den deutschen Mennonitengemeinden die Verweigerung des Kriegsdienstes allerdings weitgehend aufgegeben worden. Schon zu Beginn des Dritten Reiches hatte sich die "Vereinigung der deutschen Mennonitengemeinden" in ihrer Verfassung vom Prinzip der Wehrlosigkeit gelöst. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg begann unter dem Einfluss nordamerikanischer Mennoniten (vor allem Kriegsdienstverweigerer und Zivildienstleistender) ein Bewusstsein zu wachsen, sich wieder verstärkt für Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung mitten in der Gesellschaft einzusetzen und die Haltung der Gewaltfreiheit in den Beratungen ökumenischer Organisationen zu vertreten. Auf mennonitische Initiative ging die Anregung zurück, in den Mitgliedskirchen des Ökumenischen Rates der Kirchen eine "Dekade zur Überwindung von Gewalt" (2001 bis 2010) auszurufen und die Diskussionen um einen aktiven, zivilen Friedensdienst weltweit zu beleben" = Zitat aus Absatz zu "Friedenskirchen" auf mennoniten.de/ueber-mennoniten---ausstellung-im-altonaer-museum-durchaus-fortschrittliche-geister-22871766; abgerufen März 2017 CG.

    Louise Schroeder

    Bürgermeisterin von Berlin, Präsidentin des Deutschen Städtetages, Stadtverordnete in Altona

    Ornament Image
    2.4.1887
    Altona
    -
    4.6.1957
    Berlin
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    Grablage: F 10-31/32

    Namensgeberin für: Louise-Schroeder-Straße, benannt 1960 in Altona
    1910 trat Louise Schroeder der SPD bei und wurde schon bald als glänzende Diskussions- und Versammlungsrednerin geschätzt. 1916 erhilet sie einen Sitz im Vorstand der Altonaer SPD. Von 1919 bis 1933 fungierte sie als Stadtverordnete in Altona. Zwischen 1919 und 1920 war sie Mitglied der Deutschen Nationalversammlung in Weimar. 1919 wurde sie Mitbegründerin der Arbeiterwohlfahrt. Von 1920 bis 1933 war sie Mitglied des Deutschen Reichstags, von 1946 bis 1951 Bürgermeisterin und Stellvertreterin des Oberbürgermeisters von Berlin, von 1947 bis 1948 amtierende Oberbürgermeisterin von Berlin, von 1951 bis 1952 Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin und von 1949 bis zu ihrem Tod im Jahre 1957 Mitglied des Deutschen Bundestages.
    Louise Schroeder entstammte einer Proletarierfamilie - der Vater war Bauarbeiter und Funktionär in der Sozialdemokratischen Partei. Louise Schroeder besuchte bis zu ihrem 14. Lebensjahr die Mittelschule in Altona, ging dann anderthalb Jahre zur Gewerbeschule für Mädchen in Hamburg. Sie wurde Büroangestellte, später war sie 16 Jahre lang Privatsekretärin einer großen Versicherungsfirma. 1919 gehörte sie in Weimar zu den ersten 41 weiblichen Abgeordneten der Verfassung gebenden Nationalversammlung. Ihr Arbeitsgebiet war die Sozialpolitik. Ehrenamtlich engagierte sie
    sich bis März 1925 als Vorsteherin des Pflegeamtes Altona. Am 23. März 1933 verweigerte sie ihre Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz. Die Folgen waren: Verbot des politischen Wirkens, unter Polizeiaufsicht gestellt, tägliche Meldepflicht auf dem Revier, keine Arbeitslosenunterstützung.
    Louise Schroeder zog daraufhin von Altona nach Hamburg, versuchte, sich dort eine bescheidene Existenz mit einem Bäckerladen aufzubauen. Aber auch dort war sie Schikanen, Verhören und Verhaftungen ausgesetzt. 1938 suchte sie in Berlin Zuflucht. Hier mietete sie sich eine Hinterhofwohnung, wurde arbeitslos, arbeitete später als Sekretärin und dann als Sozialbetreuerin in einem Bauunternehmen. Gleich nach Kriegsende wurde sie wieder politisch für die SPD aktiv und sogleich in den Vorstand der Berliner SPD und 1946 in die Stadtverordnetenversammlung von Berlin gewählt. Im Dezember 1946 wurde sie Bürgermeisterin und 3. Stellvertreterin des Oberbürgermeisters von Berlin, Dr. Ostrowski. Nachdem dieser im Mai 1947 zurückgetreten war, wurde Louise Schroeder stellvertretende Oberbürgermeisterin. Als im Juni 1947 die Stadtverordnetenversammlung den SPD-Politiker Ernst Reuter zum Oberbürgermeister wählte, versagten die Sowjets dieser Wahl ihre Zustimmung. Louise Schroeder blieb also weiterhin Regierungsoberhaupt. "In dieser Stellung ist sie dann im Jahre 1948 in den Tagen der internationalen Hochspannung im Zeichen der ,Blockade Berlins" weltbekannt geworden, als ihr infolge der Mitte August 1948 auf russisches Verlangen erfolgten Ablehnung des zum Oberbürgermeister gewählten Prof. Ernst Reuter durch die Alliierten die alleinige Verantwortung zufiel. Nach der abermaligen Wahl Reuters zum Oberbürgermeister Anfang Dezember 1948 fungierte sie als amtierende Oberbürgermeisterin weiter, legte dann aber ihre Berliner Ämter Mitte September 1949 nieder, nachdem sie als Vertreterin Berlins in den Deutschen Bundestag gewählt worden war. Ihm gehörte sie bis zu ihrem Tod an. Der Stadtrat von Paris verlieh Louise Schroeder Mitte Juni 1949 die Plakette der Stadt Paris. Sie gehörte auch im gleichen Jahr der deutschen Delegation des Vorbereitenden Europarates in Brüssel an und war bis Januar 1957 im Europarat in Straßburg als deutsches Mitglied tätig." (Ruth Schüler zum 10. Todestag Louise Schroeders. In: Die Jarrestadt, Kommunales Mitteilungsblatt der SPD, Juni 1967.) Louise Schroeder erhielt das Großes Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband und als erste Frau in der Geschichte Berlins deren Ehrenbürgerwürde. Ihr Engagement galt besonders den Frauen. Sie stritt für eine Liberalisierung des Pharagraphen 218, für die soziale Besserstellung lediger Mütter, Landfrauen etc. und war Landesvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt Schleswig-Holsteins.
    Text: Rita Bake

    Therese Halle

    geb. Heine

    Kunstsammlerin und Stifterin

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    17.12.1807
    Hamburg
    -
    22.4.1880
    Baden-Baden
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    Bestattet auf dem Friedhof der Christianskirche, nördlich hinter der Kirche in Hamburg Ottensen

    Gegenüber dem Museum für Hamburgische Geschichte steht das Heine'sche Wohnstift, dem Bruchsaler Schloss nachempfunden. So ist denn auch der Vorgarten wie ein kleiner Schlossgarten des 18. Jahrhunderts angelegt, in den man durch ein großes Gittertor gelangt. Vor dem Haus braust der Verkehr ohne Unterlass, und so haftet dieser Idylle etwas leicht Unwirkliches an.
    1866 richtete Therese Halle, Tochter des Bankiers Salomon Heine und seiner Frau Betti, Cousine des Dichters Heinrich Heine, zum Gedenken an ihre verstorbenen Eltern im ehemaligen elterlichen Wohnhaus am Jungfernstieg 34 das Heine'sche Asyl ein. Es war ein Wohnstift mit Freiwohnungen für 45 hilfsbedürftige ältere Frauen, die von "einwandfreiem Ruf" sein mussten. Verheiratet war Therese Halle, die der Bankiersfamilie Heine entstammte und in die auch ihr Cousin, der Dichter Heinrich Heine, verliebt gewesen war, mit dem Juristen und Präsidenten des Hamburger Handelsgerichts Adolph Halle (1798-1866) Er war wohl auch der Wunschkandidat ihres Vaters Salomon Heine - und nicht der "missratene" Neffe Heinrich Heine. Das Ehepaar blieb kinderlos.
    Über Therese Haller hat die Historikerin Sylvia Steckmest einen beachtenswerten Aufsatz verfasst, der auf einen Vortrag
    basiert, den sie 2016 zum 20jährigen Bestehen der Hamburger Gesellschaft für jüdische Genealogie hielt. 1). Sylvia Steckmest schreibt über die Hochzeit: "Therese ließ sich im März 1828 in der Nicolaikirche taufen, nachdem der Bräutigam sich bereits im Alter von 18 Jahren hatte taufen lassen. Inzwischen war er 30 Jahre alt. Die Hochzeit fand am 15. Mai 1828 in der Petrikirche statt. Als Hochzeitsgeschenk erhielt das Paar vom Onkel des Bräutigams, Hartwig Hesse, dem Kunstsammler, ein Haus in der ABC-Straße, (…). Auf dem großen Grundstück am Elbhang in Ottensen ließ Salomon für seine Tochter und ihren Gatten bald nach der Hochzeit eine neue Villa bauen, dicht neben der eigenen. Dieses Gebäude wurde vermutlich von Joseph Ramée entworfen und steht mit der schmalen Front zur Elbe. Inzwischen renoviert, wird es zu Luxus-Appartements umgebaut, (…)." 2). Als Salomon Heine starb, erbte Therese neben einer großen Summe Bargelds auch das Haus am Jungfernstieg 34, (an seinen Standort erinnert heute die Aufschrift "Heine Haus" am sich dort befindenden Haus). Es war beim Großen Brand auf Hamburg zerstört und kurz danach wiederaufgebaut worden. Thereses Halle, die mit ihrem Mann nach Dresden gezogen war, wo ihr Mann, der an einer psychischen Erkrankung litt, 1866 starb, ließ nach dem Tod ihres Mannes das bereits oben beschriebene Heine'sche Asyl "für ‚unbescholtene alleinstehende und mittellose Witwen und Jungfrauen ab 50 Jahren (…) gründen. (…) Außer einer Freiwohnung erhielt jede Dame eine Geldunterstützung von 120 Courant Mark jährlich, dazu Heizmaterial, Beleuchtung und ärztliche Versorgung sowie freie Medikamente (…). Im Herbst wurde den Bewohnerinnen Obst aus dem Garten an der Elbe zum Jungfernstieg gebracht. Therese übernahm die Auszahlungen an ihre Asylbewohnerinnen selbst, um sich nach dem Befinden ihrer Schützlinge zu erkundigen. Sehr Bedürftige, besonders solche Bewohnerinnen, die früher in Diensten der Stifterin gestanden hatten, erhielten von ihr zusätzlich eine wöchentliche Unterstützung. Es lebten dort überwiegend christliche Frauen, aber auch einige Jüdinnen."3) In dem Stift wohnte auch Louise Fröbel, die Witwe von Friedrich Fröbel. 4)
    1901 wurde das Haus abgerissen und als "Heine'sches Wohnstift" für ca. 100 ältere Frauen am Holstenwall 18 neu errichtet. Im Eingangsbereich ist der Stifterin mit dem 1872 gefertigten Marmorrelief des Bildhauers Heinrich Möller ein Denkmal gesetzt worden. Dort ist sie in der Mitte als junges Mädchen zu betrachten, wie sie den armen und alten Frauen hilft. Küchen- und Stubenmädchen rechts und links von ihr am Bildrand sind mit ihren Arbeiten beschäftigt.
    Im Treppenhaus hängt auch eine restaurierte Marmortafel, auf der an die Gründung des Stiftes erinnert wird, das 1939 "arisiert" wurde. Heute ist das modernisierte Stift mit 48 Ein- und Zweizimmerwohnungen für ältere Damen, Herren und Ehepaare ausgestattet.
    Therese Halle vermachte der Hamburger Kunsthalle 48 Gemälde und zwei Skulpturen. Viele von ihnen kaufte sie auf ihren Reisen durch Deutschland und Europa. Trotzdem wurde sie nicht in der Kunsthalle "verewigt", dieses Privileg erhielt nur ihr Mann. 2008 widmete die Kunsthalle dieser Sammlerin schließlich eine Ausstellung. 5)

    Literatur:
    1) Sylvia Steckmest: Drei Stifter für Hamburg. Salomon Heine und das Israelitische Krankenhaus - Carl Heine und die Kunsthalle -Therese Halle geb. Heine und das Wohnstift, in: Liskor - Erinnern. Jahrgang, September 2016, Magazin der Hamburger Gesellschaft für jüdische Genealogie e.V., S. 14-21.
    2) Sylvia Steckmest, a. a. O., S. 15.
    3) Sylvia Steckmest, a. a. O., S. 18.
    4) vgl ebenda.
    5) Vgl.: Hamburger Kunsthalle: Therese Halle, geb. Heine. Eine Hamburger Sammlerin und Stifterin, unter: www.hamburger-kunsthalle.de/ausstellungen/therese-halle-geb-heine

    Olga Essig

    Berufsschul-Pädagogin, Frauenrechtlerin Grabstelle aufgelöst

    Ornament Image
    15.7.1884
    Bromberg
    -
    14.12.1965
    Hamburg
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    Olga Essig stammte aus einer jüdischen Familie, die auf einem Bauernhof in Bromberg lebte. Olga Essig hatte sechs Geschwister und die Eltern konnten es sich finanziell nicht leisten, ihrer Tochter eine höhere Schulbildung zu ermöglichen. Gleich nach dem Abschluss der Volksschule musste Olga Essig einen Beruf ergreifen. Doch sie war sehr ehrgeizig und wollte weiter lernen. Deshalb nahm sie neben ihrer Tätigkeit als Kontoristin noch Privatunterricht, um das Abitur machen zu können. Nachdem sie dies geschafft hatte, wurde sie 1908 Lehrerin an der staatlichen kaufmännischen Fortbildungsschule in
    Bromberg. Doch auch damit gab sie sich nicht zufrieden. 1914 machte sie ihre Diplom-Handelslehrerprüfung und eine Zusatzprüfung in Technologie. Dann studierte sie Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie Pädagogik. 1918 promovierte sie zum Dr. rer. pol.. Von nun an war eine ihrer Ziele, das Berufsschulwesen zu reformieren. Dabei ging es ihr besonders auch darum, den berufstätigen Frauen eine Gleichstellung im Beruf und in der Gesellschaft zu ermöglichen. So forderte sie z. B. uneingeschränkt Fortbildungsschulen für alle Frauenberufe.
    Ab 1921 wurde Olga Essig Leiterin der Städtischen Frauenarbeitsschule in Mainz. Ein Jahr später legte sie wegen Auseinandersetzungen um ihren Führungsstil das Amt nieder. 1922 folgte "eine Berufung als ‚Vortragender Rat" für das Referat "Mädchen-Berufsschulwesen" [im] thüringischen Volksbildungsministerium in Weimar. Dort erwartete sie Pionierarbeit, wie sie sie liebte. Es ging um Aufbau und Leitung des weiblichen Berufs- und Fachschulwesens und um einheitliche Gesetzesgrundlagen für die neue Einheitsschule. Doch war all dies nur von kurzer Dauer. 1924 wurde in Thüringen nach dem Einmarsch der Reichswehr und einem monatelangen Ausnahmezustand eine Rechtsregierung gebildet. Olga Essig, eine überzeugte Sozialistin und seit der Novemberrevolution Mitglied der SPD, wurde daraufhin entlassen." 1)
    Da sie jedoch inzwischen durch ihre Vorträge und Arbeit so bekannt geworden war, holte der Hamburger Senat sie nach Hamburg und gab ihr 1924 die Stelle als Direktorin der Allgemeinen Gewerbeschule für das weibliche Geschlecht. 1929 wurde sie als erste Frau in Hamburg Oberschulrätin für das gesamte Hamburgische Berufsschulwesen. Olga Essig baute das Hamburger Berufsschulwesen für Mädchen auf und war maßgeblich daran beteiligt, dass die selbstständig arbeitende Berufsschulbehörde mit der Schulbehörde zusammengelegt wurde.
    1933 wurde sie aus politischen Gründen entlassen. Gleich nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie wieder in ihr Amt als Oberschulrätin für die Berufsschulbehörde eingesetzt, das sie bis zu ihrer Pensionierung 1950 innehatte.
    Gleichzeitig war sie auch in der Hamburger Frauenbewegung aktiv. So war sie 1946 Mitbegründerin des Hamburger Frauenrings. 1959 wurde ihr das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse überreicht. Text: Rita Bake
    Quelle:
    1) Traute Hoffmann: Der erste deutsche ZONTA-Club. Auf den Spuren außergewöhnlicher Frauen. Hamburg 2002, S. 147f.

    Margareta Hunck-Jastram

    geb. Stalmann, geschiedene Jastram

    Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft (CDU) von 1961 bis 1970

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    30.11.1913
    Altona
    -
    2.3.1998
    Hamburg
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    Grablage: H 1094/1098

    Margareta Hunck-Jastram ist bestattet bei ihren Eltern, wo auch ihr erster Mann begraben ist. 1955 trat die Pastorentochter Margareta Hunck-Jastram in die CDU ein und war bis 1993 Mitglied der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte. In erster Ehe war sie mit Friedrich Jastram (1907-1989), einem Pastor, verheiratet gewesen, mit dem sie drei Kinder hatte. 1968 heiratete sie den Bürgerschaftsabgeordneten (CDU) Heinrich Hunck. Er wurde nach seinem Tod bei seiner ersten Ehefrau auf dem katholischen Teil des Ohlsdorfer Friedhofes bestattet.
    1961 wurde Margareta Hunck-Jastram CDU-Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft. Ihre drei Kinder waren damals vierundzwanzig, vierzehn und elf Jahre alt. Bis 1970 engagierte sie sich als Abgeordnete der Bürgerschaft in den Bereichen Schule, Soziales und Eingaben. Als besonderes Erfolgserlebnis ihrer politischen Arbeit bezeichnete sie die Durchsetzung der Verlängerung der Verjährungsfrist für NS-
    Verbrechen: Unrecht in dieser Dimension kann und darf nie verjähren. Nach ihrem Ausscheiden aus der Bürgerschaft wurde sie Geschäftsführerin der Staatspolitischen Gesellschaft und war auch als Geschäftsführerin in einem Abgeordnetenbüro tätig. Außerdem war sie Mitglied der Vereinigung ehemaliger Mitglieder der Hamburgischen Bürgerschaft.
    Text: Dr. Rita Bake