Nicht nur auf Ohlsdorf!

Letzte Ruhestätten bedeutender Frauen auf anderen Hamburger Friedhöfen

In dieser Dokumentation finden Sie Kurzviten von über 100 bedeutenden Frauen Hamburgs. Sie haben ihre letzte Ruhestätte nicht auf dem Ohlsdorfer Friedhof gefunden, sondern auf 31 anderen Friedhöfen Hamburgs und in der unmittelbaren Nähe der Hansestadt.
Für den Ohlsdorfer Friedhof sorgt der Verein Garten der Frauen dafür, dass die Grabsteine bedeutender Frauen nach Beendigung der Grabstätten-Nutzungsdauer und wenn diese von Angehörigen nicht verlängert wird, in den Garten der Frauen verlegt werden, so dass die Erinnerung an diese Frauen wachgehalten wird.


Mit dieser Veröffentlichung möchte der Verein Garten der Frauen auf Frauen aufmerksam machen, die Hamburgs Geschichte mitgeprägt haben und auf anderen Hamburger Friedhöfen bestattet sind, in der Hoffnung, dass ihre Grabstätten nach Ablauf der Ruhezeit nicht aufgelöst bzw. ihre Grabsteine nach Auflösung der Ruhestätte nicht zerschreddert werden. Denn im Gegensatz zum Umgang mit bedeutenden männlichen Persönlichkeiten, deren Verdienste beachtet und gewürdigt werden und deren Andenken bewahrt wird, geraten weibliche Persönlichkeiten eher in Vergessenheit. Der Verein Garten der Frauen möchte, dass die Leistungen von Frauen im gesellschaftlichen Gedächtnis bleiben.
Bei der Recherche nach den Frauen auf den 31 Hamburger Friedhöfen stellte sich heraus, dass einige der Grabstätten allerdings schon aufgelöst sind und auch die Grabsteine bereits entsorgt worden. Dennoch wurden diese Frauen, um sie in Erinnerung zu behalten, in diese Veröffentlichung aufgenommen und die ehemaligen Grablagen angegeben.
Die Schrift ist gegliedert nach Hamburgs Bezirken, in denen sich die Friedhöfe befinden.
Die Angaben zur Grablage und Photos von den einzelnen Gräbern sollen helfen, das Auffinden der Grabplätze zu erleichtern.

Danke an Kay Lichtenberg, der seit vielen Jahrzehnten unermüdlich nach den Grabstätten bedeutender Hamburgerinnen und Hamburger recherchiert und wertvolle Tipps geben konnte.
Die Photos sind hauptsächlich von Hans-Jürgen Schirmer (www.kulturkarte.de) erstellt worden, der alle in Frage kommenden Friedhöfe besuchte und sich dort auf die Suche nach den Grabstellen machte.
Beate Görig hat die Schrift für den Webauftritt bearbeitet und Dr. Birgit Kiupel hat die Zeichnung für das Titelblatt erstellt.
Dr. Rita Bake

Außerhalb Hamburgs

    Margot Guilleaume

    Sopranistin, Opernsängerin, Hochschulleherin

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    12.1.1910
    Hamburg
    -
    25.6.2004
    Hamburg
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    Grablage: R 99

    Margot Guilleaume entstammte einer alten bretonischen Familie, die im 18. Jhd. nach Hamburg eingewandet war. Ihr Vater war Kaufmann und wollte, dass seine Tochter eine kaufmännische Lehre absolvierte. Nach dem Abschluss der kaufmännischen Lehre arbeitete Margot Guilleaume auch einige Zeit in diesem Beruf, doch ihre Liebe zur Musik war geweckt und sie wollte unbedingt Sängerin werden. So besuchte Margot Guilleaume das Vogt'sche Konservatorium in Hamburg und absolvierte eine zweijährige Chorausbildung, 1931 trat sie als Chorsängerin an der Schilleroper in Hamburg auf. 1933 begann sie am Lübecker Stadttheater als Chorsängerin mit Soloverpflichtung und
    wurde 1934 Chrorsängerin der Bayreuther Festspiele, danach erhielt sie einen Vertrag an der Hamburgischen Staatsoper für kleine Solopartien.
    In der NS-Zeit trat sie nicht der NSDAP bei. Sie war acht Jahre lang Mitglied der NSF (Staatsarchiv Hamburg 211-11 Misc 14952). Die NS-Frauenschaft wurden am: "1.10.1931 als Zusammenschluß verschiedener Verbände von der NSDAP gegründet. Seit dem 29.3.1935 als offizielle Gliederung der NSDAP in die Partei eingeordnet, kam der N. die Aufgabe zu, Frauenarbeit im Sinne der NS-Ideologie zu leisten. (...) 1936 wurden die Bedingungen für die Aufnahme in die N. verschärft, um den Auswahlcharakter der Organisation zu erhalten. Seitdem wurden nur noch Frauen aufgenommen, die sich bereits im Sinne der Partei verdient gemacht hatten. Politisch blieb die N. ohne Bedeutung (...) und übte nur geringen Einfliß auf die NSDAP aus. Sie beschränkte sich vielmehr auf eine gezielte ideologische und praktische Schulung von Frauen innerhalb der ihnen zugeordneten häuslichen und familiären Welt." (Anja von Cysewski: NS-Frauenschaft, in: Wolfgang Benz, Hermann Graml, Hermann Weiß (Hrsg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus. 2. Aufl. München 1998, S. 617f.)
    Weitere Stationen ihres Schaffens waren an den Theatern in Göttingen, Wilhelmshaven, Oldenburg. Von 1946 bis 1949 war sie wieder an der Hamburgischen Staatsoper tätig und trat in Rundfunksendungen von Radio Hamburg (dem späteren NDR) auf. dadurch wurde sie über die Landesgrenzen Hamburgs bekannt. Auch machte sie Schallplattenaufnahmen. Ihren Vertrag an der Hamburgischen Staatsoper beendete sie wegen der vielen Verpflichtungen als Barock- und Oratoriensängerin. Nun trat sie als Liedersängerin in vielen Konzerten auf, die sie auch nach Frankreich und in andere Länder führten.
    Von 1950 bis 1978 war Margot Guilleaume als Gesangslehrerin an der Hamburger Musikhochschule tätig. 1962 wurde sie dort zur Professorin ernannt.
    1951 zog sie mit der Organistin Marie-Luise Bechert (siehe dazu unter Friedhof Nienstedten) in eine gemeinsame Wohnung in der Parkstraße 69 in Hamburg Othmarschen. Nachdem Marie Luise Bechert 1953 an Krebs verstorben war, übernahm Margot Guilleaume die Verantwortung für die zwei Kinder (geboren 1939 und 1940) der Verstorbenen.

    Text: Rita Bake
    Quelle:
    http://www.margot-guilleaume.com/

    Vilma (Wilhelmine) Lehrmann-Amschler

    Bildhauerin

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    25.7.1910
    Vrsac (Werschetz)
    -
    23.12.1989
    Wedel
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    Grablage: WK 3 Nr. 2

    "Ihr Vater war auch Bildhauer und hat die Ausbildung seiner Tochter wohl schon im frühen Alter gefördert. Ihre künstlerische Ausbildung begann 1928-30 mit einem Stipendium für ein Studium der Bildhauerei an der Kunstgewerbeschule Graz. Ab 1930 wohnte, studierte und arbeitete Vilma Lehrmann in Berlin."
    1) Sie belegte an der Staatlichen Hochschule für bildende Künste in Berlin die Fächer: angewandte Kunst, Baukunst und Silberschmiedekunst.
    Zwischen Winter 1931/1932 bis Sommer 1934 "arbeitete sie in Frankreich an einem Relief mit religiösen Motiven. Also hielt sie sich in der Zeit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten nicht kontinuierlich in Berlin auf und hat unter Umständen wenig über die Vehemenz der Machtkämpfe an der Berliner Kunstakademie erfahren. Vilma Lehrmann wird spätestens 1934 über den Machtwechsel und seine Auswirkungen in ihrer nächsten Umgebung an der Kunstakademie informiert gewesen sein, denn ihre beiden Lehrer Ludwig Gies und Walter Raemisch waren direkt von den nationalsozialistischen Repressionen betroffen.
    Vilma Lehrmann zeigte kein eindeutiges Verhalten während ihres Studiums an der Kunstakademie. Trotz der nationalsozialistischen rassistischen Angriffe auf Gies und Raemisch studierte sie weiter bei diesen beiden Professoren.
    Aber sie passte sich auch dem neuen monumentalen Herrschaftsstil aktiv an und gestaltete Bauplastik, Skulpturen, Reliefs und Goldschmiedearbeiten im Sinne der NS-Kunstpropaganda. So übernahm sie auch zwei Aufträge für öffentliche Bauten in Potsdam, eine Brunnenanlage für die Jugoslawische Gesandtschaft und ein Tympanon am Veterinärinstitut.
    Vilma Lehrmann entwickelte keine eigene künstlerische Handschrift. Dies mag Ausdruck einer Suche nach individuellen Darstellungsformen sein, nach einem eigenen Stil im Rahmen der Ausbildung oder aber Anpassung an die Wünsche und Vorstellungen ihrer Auftraggeber.
    ‚Es ist meine Auffassung, dass das Figürliche nicht in Vergessenheit geraten darf. Die Gestaltung soll durch die Komposition der heutigen Bauweise vollkommen angepasst sein. Die abstrakten Kompositionen sind für mich eine Aufgabe bei bestimmten, besonderen Bauten, die ich durch Metall, Technik und Komposition so gestalte, dass sie sich harmonisch mit dem Bau verbinden. Dabei arbeite ich je nach Thema und Entwurf in Keramik, Holz, Stein und Metall und lege besonderen Wert auf die Gesamtwirkung der Oberflächenbehandlung.' (Vilma Lehrmann-Amschler, 1982)."
    2) Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus zog Vilma Lehrmann mit ihrem Lebensgefährten, den Kunstmaler Alfred Amschler (1907-1978), nach Rissen. Das Paar heiratete im Februar 1946 und zog 1948 nach Wedel, wo es ab 1955 ein Wohn- und Atelierhaus An der Aue 1 bewohnte.
    "Ab 1948 übernahm Vilma Lehrmann-Amschler wieder öffentliche Aufträge im Bereich Bauplastik. Allein in den 50er Jahren führte sie mindestens 13 Aufträge zumeist für das ‚Kunst-am-Bau'-Programm in und um Hamburg aus. In der Zeit von 1948-78 erfüllte sie, zum Teil in Zusammenarbeit mit ihrem Mann, 40 öffentliche und kirchliche Aufträge in Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Nach dem Tod ihres Mannes Alfred Amschler 1978 nahm Vilma Lehrmann keine Aufträge mehr an. Schwerkrank lebte sie, nach der Amputation beider Beine, im Pflegeheim der Arbeiterwohlfahrt in Wedel bis zu ihrem Tod am 23.11.1989."
    3) Sie vermachte der Stadt Wedel das Haus an der Wedeler Aue 1a, ihren künstlerischen Nachlass und 600.000 EURO, damit die Stadt Wedel eine Stiftung zur Kulturförderung damit gründe, was die Stadt Wedel auch tat: Die Stiftung heißt: "Stiftung zur Förderung von Kunst und Kultur - Amschler Stiftung". Aus den Zinserlösen der Erbschaft erhalten Künstlerinnen und Künstler sowie Kulturschaffende Die Aufgabe der Stiftung liegt in der Förderung der Kunst und Kultur in Wedel. "Zu diesem Zweck werden jährlich die Erträge aus dem Stiftungsvermögen und eventuelle Spenden für Förderprojekte im Haushalt bereitgestellt. Der Stiftungsrat berät in seinen Sitzungen über alle eingehenden Anträge und entscheidet, welche Künstler beziehungsweise Künstlerinnen, Objekte oder Vorhaben mit Mitteln der Stiftung gefördert werden."
    4) Laut Eintrag in Wikipedia gibt es folgende Werke im öffentlichen Raum in Hamburg von ihr:
    Lesender Junge, vor der Grundschule Iserbarg, in Rissen
    © kulturkarte.de/schirmer
    Kind mit Hund, vor der Polizeiwache 25, Silcherstraße in Hamburg-Bahrenfeld (1963)
    Fuchs, Eichhörnchen, Marder: jeweils Keramik-Relief (1960) an der Stirnwand der Reihenhäuser Ermlandweg 13, Ermlandweg 21 und Grellkamp 50 in Hamburg Langenhorn
    Athena Düppelstraße, Hamburg-Altona
    Drei Frauengestalten, Keramikskulpturen an der Hauswand Düppelstraße 7-11 in Altona (1957)
    An der Wand Lehnende, Bronze an Giebelwand im Garten, Wigandweg 15 in Hamburg Groß-Borstel (1960)
    Spielende Kinder, Bronze im Böttcherkamp 103e, in Hamburg-Lurup (1968)
    © kulturkarte.de/schirmer
    Brunnen (Bronze), Mehlandsredder 20 in Hamburg Großlohe-Nord (1966)
    Reiher im Schilf, Bronzeprägung im Format 27,5 × 16 cm, im Besitz der SAGA (1968)
    Reiher im Schilf, Bronze im Heerbrook 2/4 in Hamburg Iserbrook (1963)
    Liegende mit Vogel, Bronze im Format 16 × 25 cm, im Besitz der SAGA (undatiert)
    Lesende Frau, Bronze, im Besitz der SAGA (undatiert)."
    5) Quellen:
    1-3) https://www.wedel.de/kultur-bildung/kuenstler-und-kunstfoerderer/amschler-stiftung/amschler-kuenstlerportrait.html
    4) https://www.wedel.de/kultur-bildung/kuenstler-und-kunstfoerderer/amschler-stiftung.html
    5) wikipedia: Vilma Lehrmann-Amschler, abgerufen: 23.12.2017

    Prof. Tuula Wegner-Nienstedt

    1979-2012 Nebenberufliche Professur für Gesang an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg; Dozentin am Hamburger Konservatorium; Wieder-Entdeckerin und Interpretin von Komponistinnen wie Fanny Hensel und Clara Schumann.

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    1.7.1941
    in Turku/Finnland
    -
    8.2.2013
    Hamburg
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    Grablage: Baumpark-Taschentuchbaum 20-04-022

    Am 14.02.2013 meldete der Newsletter der Hochschule für Musik und Theater: "Nach schwerem Krebsleiden verstarb am Freitag letzter Woche Prof. Tuula Nienstedt-Wegner, die an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg von 1979 bis 2012 eine nebenberufliche Professur für Gesang inne hatte und außerdem am Hamburger Konservatorium eine Gesangsklasse leitete.
    Tuula Wegner-Nienstedt stammte aus Finnland (1941 in Turku geboren). Sie studierte an der Sibelius-Akademie in Helsinki und setzte ihre Studien mit einem Stipendium des DAAD an der Musikhochschule Detmold fort. Ihre Ausbildung ergänzte sie u. a. durch private Studien bei Prof. Gisela Litz (Kammersängerin, Lyrischer Mezzosopran) in Hamburg. Sie war eine geschätzte Lied- und Oratoriensängerin, die als Altistin in zahlreichen Konzerten in Skandinavien und Mitteleuropa aufgetreten ist. Einer ihrer Schwerpunkte war die Wiederentdeckung eines unbekannten Repertoires; so hat sie Lieder u.a. von Clara Schumann und Fanny Hensel für eine CD-Produktion eingesungen. An der Hamburger Musikhochschule war Tuula Nienstedt-Wegner insbesondere für die stimmliche Ausbildung künftiger Schul- und Kirchenmusiker zuständig." Die Trauerfeier fand am 19. Februar 2013 in der Rellinger Kirche statt, auf dem dortigen Friedhof wurde Tuula Nienstedt bestattet.
    Dr. Cornelia Göksu
    Quellen:
    - www.hfmt-hamburg.de/aktuelles/archiv/detailansicht/article/prof-tuula-wegner-nienstedt-verstorben/
    - Friedhofsverwaltung Ev-Luth. Kirchengemeinde Rellingen

    Anna Gertrud (genannt: Ebelin) Bucerius, geschied. Ebel

    geb. Müller

    Geschäftsführerin der Wochenzeitung DIE ZEIT, Stifterin

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    (1.10.1911
    Mannheim
    -
    9.7.1997
    Brione/Schweiz )
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    Grabstätte: Grabnummer: 15 01 070

    In ihrer Trauerrede im Juli 1997 würdigte die Mitherausgeberin der "ZEIT", Marion Gräfin Dönhoff (1909-2002), den Werdegang der Gattin von Gerd Bucerius folgendermaßen: "Nun werden wir Ebelin Bucerius neben Gerd Bucerius - dem bisherigen Verleger der ZEIT - begraben. Wir werden sie in Reinbek auf dem Weg zur letzten Ruhe begleiten. Sie ist in der vergangenen Woche in der Schweiz an Herzversagen gestorben.
    Ebelins Leben zerfällt in zwei ganz unterschiedliche Perioden. Wer sie gegen Ende des Krieges zum ersten Mal traf, lernte eine couragierte, gescheite, amüsante junge Frau kennen. Typisch für diese Phase: Sie lebte damals, noch unverheiratet, mit Bucerius zusammen, der ständig in Gefahr schwebte, weil er als Rechtsanwalt Juden verteidigte und Oppositionelle. Wahrscheinlich war dies auch der Grund, warum der örtliche Parteifunktionär dafür sorgte, daß er einen Gestellungsbefehl bekam. Als der Briefträger ihn brachte, hat Ebelin ihn blitzschnell an sich genommen, ihn - ohne Bucerius etwas davon zu sagen - zerrissen und der Wasserspülung überantwortet. Glücklicherweise hatte die Auflösung der bürokratischen Ordnung zu jener Zeit bereits begonnen, so daß dieser Vorgang unbemerkt blieb.
    Als die beiden nach Gründung der Bundesrepublik ihren Schwerpunkt nach Bonn verlegten, weil Bucerius inzwischen Abgeordneter der CDU geworden war, wurde ihr dortiges Haus zu einem besonders beliebten Treffpunkt für Minister, Industrielle, Journalisten. Und zwar aus zwei Gründen: einmal wegen der hohen Intelligenz und der politischen Einfälle von Bucerius, zum anderen wegen Ebelins entwaffnender Direktheit, gepaart mit einer gewissen Naivität und ihrem Sinn für Witz. Als die ZEIT dann wichtiger wurde als die politische Laufbahn, wurde Hamburg wieder zum Mittelpunkt. Damals formierten sich Industrie und Banken neu. Ebelin war Geschäftsführerin geworden, und mit nicht zu überbietendem Eifer knüpfte sie die Beziehungen zu jenen Institutionen. Stiller verlief ihr Leben während der letzten zwanzig Jahre, das durch ständig wechselnde Krankheiten belastet wurde. Das Hamburger Klima trieb sie in die Schweiz, wo sie in einem schönen, von Richard Neutra erbauten Haus in einer herrlichen Landschaft lebte - aber Krankheit und Einsamkeit ließen keine Freude an diesem Dasein aufkommen.
    Nun findet sie die Ruhe und den Frieden, die sie sich gewünscht hat" (Zitat: Marion Gräfin Dönhoff zum Tode von Ebelin Bucerius. Couragiert und tatkräftig. Von Marion Gräfin Dönhoff . 18. Juli 1997. Quelle: (c) DIE ZEIT 1997, online: www.zeit.de/1997/30/ebelin.txt.19970718.xml, abgerufen 8.2.2016).
    In der Biografie des Verlegers "Liberal und unabhängig. Gerd Bucerius und seine Zeit" warf der Soziologe, Politiker und Publizist Ralf Dahrendorf Streiflichter auf die "Bonner Republik" und die "Hamburger Verlegerszene" der bundesdeutschen Nachkriegsära. Zu den Lebensgefährtinnen von Gerd Bucerius teilte er mit: "Am 11. Oktober 1932 heiratete Gerd Bucerius Detta (Gretel) Goldschmidt (1910-1970), eine Jüdin. Diese emigrierte im Dezember 1938 nach England. Am 19. Dezember 1945 wurde die Ehe geschieden. Am 12. April 1947 heiratete er Gertrud Ebel (1911-1997), genannt Ebelin, geb. Müller, später gesch. Ebel, ihr früherer Gatte war der Kölner Friseur Heinrich Ebel". Die beiden, Gertrud und Gerd, lernten sich 1944 im besetzten Frankreich kennen. (Dahrendorf 2000: 50 sowie "Lebenslauf Gerd Bucerius" 2006, S. 20).
    Ebelin, als Rufname der weiblichen Form, gebildet aus ihrem früheren Ehenamen "Ebel" (genannt auch Evelyn) bzw. Gertrud, ließ sich von Bucerius zeitlebens nicht scheiden. Täglich habe er mit ihr telefonisch in Kontakt gestanden: "die tiefe Bindung, die in den Jahren 1944/45 und bis zum Anfang der 50er Jahre zwischen beiden geknüpft worden war, erwies sich als ungebrochen und unzerbrechlich, was immer sonst im Leben der beiden geschah. (...) Ebelin war Bucerius' Frau und Ansprechpartnerin, der er seine Schwächen anvertraute, ohne doch mit ihr leben zu können; Hilde von Lang war seine Lebensgefährtin" (Dahrendorf 2000, S. 275).
    Eine persönliche Einschätzung des Archivars der ZEIT-Stiftung, Axel Schuster, rückte die Bedeutung der Persönlichkeit Ebelin Bucerius (E.B.) so ins Bild: "1951 wird E.B. zur Geschäftsführerin im Zeit-Verlag berufen, 1962 darin bestätigt. Ihr Hauptverdienst liegt in der Akquise der Anzeigenkunden für die ZEIT (und den Stern), anfangs mit Gerd Bucerius zusammen, später allein über Jahre fortgeführt. Die 50er Jahre waren durchgängig finanziell schwierig für die ZEIT, sie überlebte durch die Einnahmen aus dem Stern und durch die unermüdliche organisatorische Arbeit zweier Beteiligter, Ebelin Bucerius und Gerd Bucerius. Die beiden führten zwei Haushalte: einen in Bonn während der Bundestagsabgeordnetenzeit (1949-1962), einen in Hamburg in den 50er Jahren im Mittelweg , in den 60er Jahren in der Warburgstraße. Dann war G.B. noch fünf Jahre Bundesbeauftragter für Berlin. Wie war das alles zu schaffen? Ich denke, durch Ebelin." (E-Mail von Axel Schuster an die Autorin dieser KurzBio v. 10.7.2015).
    Ebelin ist mit Gerd Bucerius (1906-1995) auf dem Friedhof Reinbek bestattet. Daneben liegt das Grab von Hilde von Lang (verstorben 2011).
    Diese Kurzbio wurde von Dr. Cornelia Göksu zusammengestellt, autorisiert von der Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Februar 2016
    Quellen:
    - Marion Gräfin Dönhoff zum Tode von Ebelin Bucerius. Couragiert und tatkräftig. Von Marion Gräfin Dönhoff . 18. Juli 1997 Quelle: (c) DIE ZEIT 1997, online:
    www.zeit.de/1997/30/ebelin.txt.19970718.xml, abgerufen 82.2016
    - Ralf Dahrendorf (1929-2009): Liberal und unabhängig. Gerd Bucerius und seine Zeit. C.H. Beck, München 2000; zitiert als Dahrendorf 2000
    - ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius (Hg.): Gerd Bucerius zum 100. Geburtstag. Im Blick anderer. Hamburg 2006

    Prof. Dr. Margot Kruse

    Professorin für Romanische Philologie an der Universität Hamburg

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    2.3.1928
    Hamburg
    -
    10.12.2013
    Reinbek
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    Grabstätte: Grabnummer: 0300 = Tiefenbacher Friedhof auf dem Reinbeker Friedhof

    Margot Kruse promovierte 1955 bei Hellmut Petriconi über "Das Pascal-Bild in der französischen Literatur" an der Universität Hamburg. 1959 habilitierte sie sich mit Studien zum Werk La Rochefoucaulds und seiner Nachfolger (Hamburg 1960). 1961 wurde sie in Hamburg zunächst außerordentliche und - nach einem abgelehnten Ruf auf ein Ordinariat in Bonn - 1963 zur ordentlichen Professorin für Romanische Philologie ernannt. Ihr hauptsächliches Forschungsinteresse galt den französischen Moralisten. 1993 wurde sie emeritiert.
    Margot Kruse war seit 1963 Mitherausgeberin der Fachzeitschrift "Romanistisches Jahrbuch". Sie war seit 1996 Mitglied der Göttinger Akademie der Wissenschaften. 2003 erhielt sie die Joachim-Jungius-Medaille der gleichnamigen
    Gesellschaft, heute Hamburger Akademie der Wissenschaften In ihrer Dankesrede zitierte sie den Moralisten Le Rochefoucault mit dem Satz: Wer Lob zurückweist, will zweimal gelobt werden (vgl. de. Wiki-Artikel "Margot Kruse"). Akademie-Präsident Prof. Edwin Kreuzer schrieb in seinem Nachruf: "(...) Sie gehörte der Akademie der Wissenschaften in Hamburg seit deren Gründung an, die mit ihr eine wichtige Gesprächspartnerin verliert und ihre große Hilfsbereitschaft und Mitmenschlichkeit in bleibender Erinnerung behalten wird (Zitat aus: Traueranzeige im Hamburger Abendblatt, 14./15. 12.2013, S. 13).
    Margot Kruse ist auf dem Reinbeker Friedhof bestattet.
    Dr. Cornelia Göksu
    Quellen:
    - Traueranzeige der Akademie der Wissenschaften Hamburg sowie Familienanzeige in: Hamburger Abendblatt, 14./15.12.2013, S. 13
    - "Margot Kruse" in: wikipedia.org/wiki/Margot_Kruse; dort auch Publikationsliste

    Hilde von Lang

    geb. Daniels

    Mit-Herausgeberin und Verlegerin der Wochenzeitung DIE ZEIT, Aufsichtsrätin

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    12.10.1925
    Hamburg
    -
    3.4.2011
    Hamburg
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    Grabstätte: Grabnummer: 15 01 070

    Ihr Jurastudium brach sie nach dem fünften Semester ab, weil sie ein Kind bekam. Mit 42 stieg sie auf zur Mitgestalterin des Erfolges der Wochenzeitung "DIE ZEIT". Mit 62 wurde sie Verlegerin: Hilde von Lang war von 1969 bis 1999 eine der wenigen Frauen mit Einfluss in Spitzenpositionen der Wirtschaft.
    Ein Interviewporträt schilderte 1987 ihren Werdegang so: "Hilde von Lang ist eine Frau im zweiten Leben. Im ersten wurde sie Hausfrau, es dauerte 42 Jahre, endete mit Scheidung." Ihr Leben Nr. 2 startete sie mit Spanischkursen; fünf Jahre lang schrieb sie Adels-Klatschreportagen für die "Neue Post" des Heinrich-Bauer-Verlags: "Als sie ihre ersten Artikel ablieferte, sagte der damalige Chefredakteur. "Viel mehr Adjektive benutzen, viel emotionaler schreiben!" (Mopo 1987, S.18).
    In seinem Nachruf vom 8. April 2011 resümierte Altbundeskanzler Helmut Schmidt: "Erst in der Mitte ihres Lebens stieß Hilde von Lang 1969 zur ZEIT. Etwas präziser gesagt: Nachdem sie bis dahin Journalistin gewesen war, trat sie gegen ein sehr geringes Gehalt in das Verlagsgeschäft ein. In der damaligen Männergesellschaft der ZEIT muss sie eine Ausnahmeerscheinung gewesen sein. Aber ihr gelang alsbald der Aufbau eines formidablen Stellenanzeigen-Geschäftes, das sich vor allem durch eine Fülle von akademischen Annoncen auszeichnete. Sie erkämpfte sich ihr eigenes Recht in der Kundenwerbung, in der Kundenpflege, und sie erwies sich als eine erfolgreiche Kauffrau.
    Sie wurde Prokuristin, Generalbevollmächtigte und schließlich von 1985 bis 1999 Geschäftsführerin und Verlegerin. Im Laufe dieser drei Jahrzehnte hat sich unter ihrer umsichtigen Leitung die Auflage der ZEIT von einigen 300.000 auf über eine halbe Million vermehrt. (...) Vier Jahre lang (ab 1985) haben Hilde von Lang und ich als gleichberechtigte Geschäftsführer den Verlag geleitet" (Schmidt: 2011).
    Über ihre Begegnung mit Gerd Bucerius schrieb der Soziologe, Politiker und Publizist Ralf Dahrendorf (1929-2009) in seiner Biografie über Gerd Bucerius und seine Zeit: Im Juli 1968, nach "heißen Drinks" auf einer Promiparty mit Präsentation des ersten und einzigen Films "Mattanza" seiner Frau Ebelin auf der Insel Sylt litt Bucerius "an einer verschleppten Bronchitis, und seine Ratgeber - an denen er keinen Mangel hatte - empfahlen ihm eine Kur im sonnensicheren Süden. Die Wahl fiel auf Gran Canaria, und um sicherzugehen, dass dort das richtige Plätzchen gefunden würde, fuhr die ortskundige Frau eines "Stern"-Redakteurs, Hilde von Lang, als Vorauskommando auf die Insel. Wenn nötig, so lauteten ihre Instruktionen, sollte sie die Gäste eines Hotels "auskaufen"; es war nicht nötig. Das Ehepaar Bucerius erschien in einer Privatmaschine, die Ebelins zahlreiche Koffer kaum halten konnte. Dennoch hatte Frau Bucerius nach vier Tagen genug von dem damals noch einsamen Flecken und reiste ab. Bucerius blieb; er und Hilde von Lang kamen sich bald nahe. Sie, die Tochter der angesehenen Hamburger Kaufmannsfamilie Daniels, ist nicht nur eine blendende Erscheinung, sondern auch das, was man früher eine "patente Frau" nannte. Intelligent, vielseitig interessiert, ist sie zugleich lebenstüchtig und steht mit beiden Füßen fest auf dem Boden. Was Brot kostet, wie man mit der U-Bahn fährt und andere Realien des Lebens erfuhr Bucerius zum ersten Mal durch Hilde von Lang. Sie wurde seine ganz und gar unentbehrliche Partnerin für das verbleibende Vierteljahrhundert seines Lebens" (Dahrendorf, S.185f.).
    Als frisch gebackene Verlegerin erinnerte sich Hildegard von Lang 1987 zurück an ihre härteste Früh-Zeit bei Gerd Bucerius: "Ich habe ihn gefragt, ob ich bei ihm nicht irgend etwas Redaktionelles machen kann. Nein, das wollte er nicht. (...) Bucerius wollte im Blatt einen Teil mit Stellenanzeigen aufbauen. Ich bekam die undankbare Aufgabe, gegen Honorar einen Stellenteil zu konzipieren und auf Reisen zu gehen. In die großen Firmen und zu sagen: "Bitte geben Sie uns Stellenanzeigen, wir haben zwar noch keine, aber wir werden welche haben". Das war sehr schwierig. Ich musste an den Sekretärinnen vorbeikommen, was nicht immer einfach ist" (Mopo 1987, S. 17). "Sie reiste herum, übernachtete in billigen, kleinen Hotels. "Ich habe mir damals meist eine Tafel Schokolade gekauft und mich ins Bett gelegt, weil ich nicht allein essen gehen wollte." Heute, sagt sie, kann sie sich das nicht mehr vorstellen; aber die Härte der Chefin stammt auch aus dieser Zeit. Bucerius hat sie gefördert, aber nicht verhätschelt. Dann aber wusste er, dass sie unentbehrlich für ihn geworden war, und das nicht nur als Verlagsleiterin, sondern als Gesprächsfreundin, ja als verlässliche Partnerin in allen Dingen. Beide fuhren nicht nur gemeinsam in die Ferien, sondern lebten auch am Leinpfad zusammen. Sie sprachen über vieles, wobei die Tätigkeiten des Tages sich immer wieder vordrängten" (Dahrendorf, S. 275).
    Nicht nur Helmut Schmidt beschäftigte sich rückblickend mit der schwierigen Durchsetzungsrolle von Hilde von Lang. Auch Bucerius-Biograf Ralf Dahrendorf schrieb darüber: "Hilde von Lang hatte es lange Zeit nicht leicht, sich in einer Welt von Klatsch und Männerchauvinismus durchzusetzen. In einem 'Report' über 'Sex und Karriere' in dem illustrierten Magazin 'Tempo' bemühte sich die Autorin vergebens, Hilde von Lang die 'Sex-und-Karriere-Nummer' anzudichten, berichtete jedoch korrekt, dass Bucerius ihr den Anzeigenteil der ZEIT zugedacht hatte. Sie arbeitete überaus fleißig. Er schätzt ihre Nähe. Bald gilt sie als seine 'Begleiterin'" (Dahrendorf, S. 275). Sie selbst urteilte: "Bucerius hat mich sehr gefördert. Wie er auch Gräfin Dönhoff, von Anfang an, eine Chance gegeben hat. Aber je höher Sie kommen, desto schwieriger wird es mit Männern. Da müssen Sie immer einen Tick mehr können. Sachlich und vom Einsatz" (Mopo 1987, S. 17). 1977 setzte sie Gerd Bucerius als Geschäftsführerin ein. Ab 1989 war sie allein zeichnungsberechtigt. Bis zu ihrem Tod fungierte Hilde von Lang als Mitglied im Aufsichtsrat. Von 1977 bis 1989 war sie zudem Beisitzerin im Vorstand des Zeitungsverlegerverbandes Hamburg und bis 1999 Stellvertretende Vorsitzende der Landesorganisation. Daneben vertrat sie den Zeitungsverlegerverband als Delegierte beim Bundesverband deutscher Zeitschriftenverleger BDZV. Als Mit-Herausgeberin der ZEIT gehörte sie von 1997 bis 2011 dem Kuratorium der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius an.
    Nach dem Tod von Gerd Bucerius verkaufte Hilde von Lang 1995 als dessen Testamentsvollstreckerin den ZEIT-Verlag an die Verlagsgruppe Holtzbrinck. Der Verkauf war schon zu Bucerius' Lebzeiten vorbereitet und notariell verfügt worden.
    Nach langer, schwerer Krankheit starb Hilde von Lang 2011 im Alter von 85 Jahren. "Prinzipalin", "Preussische Haltung", aber auch "Hamburger Deern", so beschrieben die Gäste der Trauerfeier Hilde von Lang, darunter Wilhelm Wieben oder Giovanni di Lorenzo. "Herausgeber Helmut Schmidt ließ ausrichten, er bedauere es unendlich, wegen eines anderen Termins nicht kommen zu können. Für die Familie sprach ihr Neffe, der Mediziner Dr. Thies Daniels: "Liebe Hilde, Du warst nicht die liebende Sonne, aber mein Orientierungs-Stern, dessen Anerkennung ich mir wünschte". Von seinen ersten Erinnerungen als Zehnjähriger im gemeinsamen Urlaub auf Sylt bis zu seinem letzten Anruf an ihrem Sterbetag berichtete er in seiner Trauerrede. Im Tod habe sie ihn an die Nofretete erinnert. Er beschrieb, wie sie bis zuletzt Haltung, Würde und auch ein wacher Geist auszeichneten: "Anders als die meisten Älteren, warst Du am Hier und Jetzt interessiert". Auch zuletzt habe noch ein aufgeschlagenes Spiegel-Magazin auf ihrem Tisch gelegen. Dr. Theo Sommer, Journalist und einstiger Zeit-Herausgeber, erinnerte an seine Kollegin und ihre Leistung: "Wir sind ein Vierteljahrhundert ein gutes Gespann gewesen"." (vgl. Bergedorfer Zeitung online v. 14.4.2011). Sie ist neben Gerd Bucerius (verstorben 1995) und dessen Gattin Ebelin (eigentlich Gertrud, geschiedene Ebel, die sich von Bucerius zeitlebens nicht scheiden ließ und täglich mit ihm in Kontakt stand; gestorben 1997), auf dem Friedhof Reinbek begraben.
    Text: Dr. Cornelia Göksu
    Quellen:
    - Wikipedia Artikel über Hilde von Lang unter de.wikipedia.org/wiki/Hilde_von_Lang
    - Helmut Schmidt: Ich bin traurig. Helmut Schmidt zum Tod der ehemaligen ZEIT-Verlegerin Hilde von Lang auf: www.zeit.de/2011/15/Nachruf-Hilde-von-Lang) = zitiert als Schmidt 2011
    - Dahrendorf, Ralph: Liberal und unabhängig. Gerd Bucerius und seine Zeit. München 2000 = zitiert als Dahrendorf 2000
    - Porträt über Hilde von Lang von Josette Cagli in: Hamburger Morgenpost, Serie "Hamburgs Starke Frauen", 7.12.1987, S. 16 und 17; zitiert als Mopo 1987
    - www.bergedorfer-zeitung.de/reinbek/article112587450/Abschied-von-Hilde-von-Lang.html = Bergedorfer Zeitung online v. 14.4.2011
    - Freundliche Informationen von Dipl. Arch. Axel Schuster, Archiv und Datenschutz der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Februar 2016.

    Gisela Schmitt-Lichtenberger

    geb. Hoster

    "Schwester" von Gerd Bucerius

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    21.12.1913
    -
    24.12.1997
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    Grabstätte: Grabnummer: 15 01 070

    Gisela Schmitt-Lichtenberger kam im Alter von einem Jahr, 1914, zur Familie Bucerius. Sie war "unehelich" in Heidelberg geboren und von der Behörde zur Adoption freigegeben worden. So wuchs sie zusammen mit Gerd Bucerius als "Schwester" auf. Adoptiert wurde sie nicht. Als sie volljährig wurde - damals mit 21 Jahren - klärte Vater Bucerius sie über ihre Herkunft auf. Gisela Schmitt-LIchtenberger war mehrmals verheiratet. Doch sollen ihre Ehen ihr "wenig Glück" gebracht haben. Gerd Bucerius unterstützte seine "Schwester" finanziell, so dass sie auch über seinen Tod hinaus materiell abgesichert war.

    Birte Imme Toepfer

    geb. Oldendorff

    Mäzenin, Stiftungsratsvorsitzende
    Foto:© kulturkarte.de/Hans-Jürgen Schirmer

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    21.4.1945 Lübeck
    -
    11.11.2010 Hamburg
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    Birte Toepfer studierte nach dem Abitur Pädagogik in Würzburg, München und Hamburg. 1967 heiratete die damals 22-jährige Lübecker Reederstochter den damals 37-jährigen Heinrich Alfred Toepfer (1930–2016), Sohn des Hamburger Unternehmers und Stifters Alfred Toepfer. Birte Toepfer bekam drei Kinder und übernahm seit 1980 ehrenamtlich verschiedene Ämter. So war sie: „von 1990 bis 2010 Mitglied des Vorstandes der Carl-Toepfer-Stiftung, von 1997 bis 2005 Vorstandsvorsitzende der Alfred Toepfer Stiftung F.V.S., von 2005 bis 2007 stellvertretende Vorsitzende und von 2007 bis 2010 Vorsitzende des Stiftungsrates der Alfred Toepfer Stiftung F.V.S. sowie von 1997 bis 2005 Mitglied des Boards der Alexander von Humboldt-Stiftung. Seit 2001 war sie Vorstandsmitglied der Freunde der Kunsthalle in Hamburg. Ferner gehörte sie seit 1993 auch dem Bundesverband Deutscher Stiftungen an und war Vizepräsidentin des Übersee-Clubs.“ 1) Auch war sie lange Jahre bis 1997 Vorsitzende des Fördervereins der "Philharmonie der Nationen" gewesen. Auch frauenpolitisch engagierte sie sich. So war sie Mitglied bei Zonta International, einem internationalen Service Club von Frauen, die sich dafür einsetzen, die Lebenssituation von Frauen in rechtlicher, politischer, wirtschaftlicher, beruflicher und gesundheitlicher Hinsicht zu verbessern. Birte Toepfer nahm sich im Alter von 65 Jahren das Leben. Taucher bargen ihre Leiche aus dem Feenteich, unweit ihrer Wohnung. In einem Nachruf der Carl-Toepfer-Stiftung heißt es über Birte Toepfer: „Ihre Entscheidung zu gehen traf uns völlig unvorbereitet. Bis zuletzt hat sie mitgeplant, mitgestaltet, alles schien im Gleichgewicht. Birte Toepfer war die Seele unserer Carl-Toepfer-STIFTUNG. Ihre Meinung, ihr Urteil waren gefragt. Wenn sie in ihrer aufrichtigen Gradlinigkeit eine ihr vorgetragene Position mit einem ‚Eben!‘ quittierte, konnte der Gesprächspartner sicher sein, dass sie seiner Ansicht zustimmte und sie als richtig einschätzte. Nie erhob sie einen Führungsanspruch, aber sie führte in einer unnachahmlichen Art und war die treibende, schöpferische Kraft bei vielen Projekten und Entwicklungen. Auf die Menschen, denen sie begegnete, ging sie mit großem Charme, großer Offenheit und ehrlichem Interesse zu. Auf diese Weise gewann sie viele Herzen und stand häufig schnell selbst im Mittelpunkt. Nur Geziere und Eitelkeiten waren ihr ein Gräuel. Wenn ein Gespräch eine Richtung nahm, die ihr missfiel, verstand sie es mit Leichtigkeit, das Thema zu wechseln, ohne verletzend zu werden. Jedem schenkte sie ein freundliches Wort oder eine Geste, die unvergessen bleibt.“ 2) Quellen: 1) Seite „Birte Toepfer“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 4. Juni 2023, 15:54 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Birte_Toepfer&oldid=234310347 (Abgerufen: 14. Dezember 2024, 11:57 UTC) 2) Michael A. Freundt: Nachruf auf Birte Toepfer, in: Quartier Kurier, Dezember 2010.

Altona

    Elke Dorothea Acimovic

    geb. Finger

    Photographin

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    11.6.1936
    Harburg-Wilhelmsburg
    -
    10.12.2009
    Hamburg
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    Bestattet auf dem Blankeneser Friedhof in einem Baumgrab WG 11

    Elke Dorothea Acimovic, geb. Finger wurde am 11.6.1936 am Eißendorfer Pferdeweg in Harburg - Wilhelmsburg als Tochter von Helga Finger, geb. Illies und Werner Eduard Finger geboren. Nach der Mittleren Reife absolvierte sie eine Fotografenlehre bei verschiedenen Lehrherren, unter anderem Foto - Schreiber in Wilhelmsburg, die sie mit einer Gesellenprüfung abschloss. Sie arbeitete anschließend für verschiedene Fotografen als Laborantin, unter anderem für Hanno Wohlfahrt. Nach Stationen in Marktredwitz und Frankfurt am Main kehrte sie Mitte der sechziger Jahre nach Hamburg zurück. Hier arbeitete sie zunächst in einer Werbeagentur am Millerntor, bevor sie sich Ende der sechziger Jahre selbstständig machte. Fortan arbeitete sie unter anderem mit einer Berliner Agentur zusammen, wodurch sie wiederholt im Studio der ZDF - Hitparade fotografierte. Unter anderem entstanden in dieser Zeit mehrere Plattencoverfotos bekannter Musikgrößen, etwa für Juliane Werding, Marianne Rosenberg, Bernhard Brink und Severine. Parallel fotografierte sie Sedcards und Bilder für
    Autogrammkarten für Fotomodelle und Schauspieler, wie Gisela Trowe und Sieglinde Flügge, sowie für Agenturen. Wohnhaft war sie in dieser Zeit in der Elbgaustraße 77.
    In den 1980er Jahren erfolgte ein Umzug in den Bockhorst 22a, wo sie ein kleines Studio und eine Dunkelkammer betrieb. Im Zuge der digitalen Revolution zur Jahrtausendwende wurde es beständig schwieriger als Fotografin zu arbeiten. So erwarb sie einen Taxifahrerschein, den sie bis ins hohe Alter nutzte, um die Einnahmen aufzubessern. Auch als sie das Rentenalter erreichte, musste sie nebenher noch fotografieren und Taxe fahren, damit sie über die Runden kam.
    Elke Acimovic blieb kinderlos, eine Ehe, Ende der 1960er Jahre, wurde nach ein paar Jahren wieder geschieden.
    Sie verstarb in der Nacht des 10.12.2009 im Krankenhaus Altona an einem Krebsleiden.
    Text: Minya Backenköhler

    Mathilde Arnemann

    geb. Stammann

    Patriotin, Mäzenin, Wohltäterin, Ehrenbürgerin von Karlsbad

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    26.3.1809
    Hamburg
    -
    21.8.1896
    Hamburg
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    Grablage: A 1

    Arnemannweg, seit 1930, Barmbek-Nord
    Mathilde Stammann wuchs mit vielen Geschwistern am Neuen Wall Nr. 50 als Tochter des Zimmermeisters und Architekten Johann Christoph Stammann und seiner Ehefrau Sophia Margarethe, geb. Paetz. Der Vater starb früh.
    In der Privatschule des Lehrers Unbehagen an der Langen Reihe wurde Mathilde gemeinsam mit Jungen unterrichtet. Möglicherweise hat diese Koedukation das "knabenhafte" Wesen Mathildes mitgeprägt; mit den Schulkameraden blieb sie lebenslang in Kontakt.
    In die Zwanzigjährige verliebte sich der vier Jahre ältere hochtalentierte Altonaer Kaufmann und schwedische Konsul Carl Theodor Arnemann; als Witwer und Vater einer kleinen Tochter war er auf der Suche nach einer zweiten Frau. Seine Eltern waren jedoch gegen eine Verbindung mit Mathilde Stammann und verboten ihm den Umgang mit ihr. Als Sohn und Mitinhaber der Firma war er von ihnen abhängig. Um sie günstiger zu stimmen, maß er ihnen gegenüber den Charakter seiner Erwählten an dem Klischee der züchtigen Hausfrau und wies auf ihre inneren Werte hin: "Daß Mathilde im Äußeren oft knabenhaft munter ist, tadele ich sehr und wünsche es anders - im Innern sieht es viel, viel schöner aus. - Ein liebes, treues Herz, ein offener Kopf, den besten Willen und regsten Trieb, recht gut zu werden - dabei gesund, lebensfroh und mit,
    ganz gewiß, der tiefsten Liebe zu mir und dem lieben Kinde zugetan - kann ich mehr verlangen?" 1)
    Im Dezember 1829 konnte die Ehe doch geschlossen werden, und Mathilde löste die in sie gesetzten Erwartungen, "recht gut zu werden", im Lauf eines langen Lebens ein; zu der Tochter aus erster Ehe kamen sechs Söhne aus der zweiten. Den ungewöhnlichen Reichtum, den ihr Mann durch Erwerb riesiger Ländereien in Norwegen mit ausgedehntem Holzhandel erwarb, nutzte sie für großzügige Wohltätigkeit. Sie gestaltete das Arnemannsche Haus an der Palmaille zum geselligen Mittelpunkt und das ländliche Anwesen in Nienstedten zum "anmutigen Tusculum" für Künstler aller Art. Doch war es nicht der Glanz des Reichtums allein, der Frau Arnemann bekannt machte. Er war beim Tod Carl Theodors 1866 längst verflogen; die Witwe bezog danach in Hamburg an der Fruchtallee eine kleine Wohnung, in der sie nicht mehr "Hof halten" konnte. Es muss der Charme ihrer Persönlichkeit gewesen sein, ihre natürliche Unmittelbarkeit, schlichte Menschenliebe und unprätentiöse Bescheidenheit und nicht zuletzt die bis ins Alter bewahrte Lebendigkeit des Geistes und Herzens, was Hamburgs Zeitgenossen faszinierte und in Mathilde Arnemann eine vorbildliche Frau verehren ließ.
    Obwohl Mathilde Arnemann im Umgang mit Menschen so unkonventionell war, mit den Leuten Platt sprach und gesellschaftliche Etikette ablehnte, gibt es doch kein Zeichen dafür, dass sie die bestehende Gesellschaft verändern und die Rolle der Frau neu bestimmen wollte wie die Freisinnigen. "Sie hat in Hamburg kein Werk hinterlassen, das ihren Namen trägt, hat sich keiner politischen, religiösen, frauenemanzipatorischen Richtung, keinem Verein ganz verschrieben, sondern mit spontanem individuellem Handeln auf jeweilige Situationen reagiert.
    Dabei zeichnen sich drei Bereiche ab: Als Patriotin war sie in Kriegszeiten immer zur Stelle, um Hilfsdienste für Verwundete und Hinterbliebene zu organisieren und selbst zu leisten. Als Mäzenin ermunterte und unterstützte sie junge Künstler und vermittelte Kontakte zwischen ihnen. Als Wohltäterin half sie in unzähligen Einzelfällen gegen dringendste Not; außerdem entstanden auf ihre Initiative hin einige wohltätige Stiftungen. (…)
    Mathilde Arnemann war eine glühende Patriotin. (…) Sie widmete sich im ersten und noch umfassender im zweiten dänischen Krieg auf ihre Weise der patriotischen Sache, nämlich der Pflege von Verwundeten. (…) Spontan fanden sich überall in Deutschland Frauen zusammen, bildeten Ausschüsse, organisierten Unterstützungsaktionen für die notleidende schleswig-holsteinische Bevölkerung (…). Mathilde Arnemann schloss sich dem Vaterländischen Frauenverein (…) an. (…) Sie richtete zwei Lazarette ein. (…) Im sogenannten deutschen Krieg von 1866 kümmerte sie sich um die österreichischen Verwundeten. (…) Es ist nicht ersichtlich, wie stark die ‚große Patriotin" von den politischen Hintergründen tangiert war. Sie griff ein, wo Hilfe not tat. Ihr Patriotismus umfasste sowohl die kriegerisch-nationale als auch die friedlich-gemeinnützige Seite. Während einer Überschwemmung organisierte sie ebenso spontan wie im Kriege eine Hilfsaktion für die Opfer. Sie verstand sich als hamburgische Republikanerin und lehnte deshalb den Adelstitel ab, der ihr von Kaiser Wilhelm I. als ‚Kriegsauszeichnung" angeboten wurde. Statt dessen nahm sie gerne den selten verliehenen preußischen Louisenorden I. Klasse entgegen, denn er ehrte auf augenfällige Weise ihren weiblichen Patriotismus.
    Den Ruf als Wohltäterin verdankte Frau Arnemann noch einer ganz anderen Seite ihres Wesens und ihrer Möglichkeiten. Der Reichtum gestattete ihr und ihrem Mann den Erwerb von Kunstschätzen. Mit dem Sammeln von Kunst verband das Ehepaar die Förderung junger Künstler. (…) Ihre Kunstliebe und -förderung bezog sich auch auf Musik und Dichtung. Wie der Dichter Thorwaldsen logierten bei Arnemanns Felix Mendelssohn Bartholdy, die ‚schwedische Nachtigall" Jenny Lind und viele andere (…), gelegentlich auch Politiker wie der spätere Reichskanzler v. Bülow (…). Mathilde Arnemanns Ansprechpartner in Hamburg bei Hilfs- und Unterstützungsaktionen war Senator Versmann, die Familien waren verwandtschaftlich und als Nachbarn miteinander verbunden.
    Bei ihren alljährlichen Kuren in Karlsbad fasste Mathilde Arnemann den Plan, eine solche Erholung auch Menschen zu ermöglichen, die sich das finanziell nicht leisten konnten und initiierte eine Stiftung. Diese erhielt den klingenden Namen ‚Elisabeth-Rosen-Stiftung" nach der Legende von der heiligen Elisabeth, wonach sich die Gaben in deren Korb, die sie den Armen bringen wollten, in Rosen verwandelten, als ihr über die Wohltätigkeit erzürnter Gatte den Deckel hob. Bei der Einweihung 1866 und so auch in den kommenden Jahren verkauften junge Mädchen Rosen an die begüterten Kurgäste, die sich zum eifrigen Spenden angeregt fühlten. (…)
    Mathilde Arnemann erschloss finanzielle Ressourcen für die Unterstützung ärmerer Menschen, verstand dies jedoch nicht als Almosen. Es schien ihr wichtig, die Hausfrauen zur Selbsthilfe anzuleiten.
    In Altona richtete sie deshalb eine Nähstube ein, freilich ohne großen Erfolg. (…)
    In jungen Jahren entwarf sie einen Kleiderschnitt, um von der beengenden Mode loszukommen. Sie hat selbst bis ins Alter Kleider dieser Art getragen. Durch ihre eigene Haltung propagierte sie eine Lebensreform, jedoch ohne diese zum verbindlichen Prinzip zu erheben. Von Frauenemanzipation hielt sie nichts, wenn diese dazu führte, ‚daß die jungen Damen zu Juristen etc. werden". Dagegen ermunterte sie dazu, ‚daß wir wieder ordentliche Weiber bekommen, die nähen, stopfen und flicken können" ". 2)
    An einer Säule in der Hamburger Rathausdiele befindet sich ihr Medaillon-Portrait.
    Quellen:
    Auszüge aus dem Text von Inge Grolle über Mathilde Arnemann, in: Rita Bake, Birgit Kiupel (Hrsg.): Auf den zweiten Blick. Streifzüge durch das Hamburger Rathaus. Hamburg 1997, 101-106.
    1) Paul Theodor Hoffmann: Der Altonaer Kaufmann und Patriot Carl Theodor Arnemann. Ein Lebensbild. Hamburg 1935, S. 30.
    2) Staatsarchiv Hamburg: Nachlass Eilse Davids 622-1, Briefe von Mathilde Arnemann, Brief vom 11. Juni 1883.

    Dr. Elisabeth von Dücker

    Museumskuratorin im Museum der Arbeit

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    25.2.1946
    -
    9.7.2020
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    Grablage: 1B 132 AB 7 - 04024 Die Historikerin und Journalistin Juliane Brumberg hat noch im Januar 2020 ein Interview mit Dr. Elisabeth von Dücker führen können. Es ist abgedruckt auf der Website "beziehungsweise-weiterdenken, Forum für Philosophie und Politik" unter: www.bzw-weiterdenken.de/2020/01/liebe-zur-arbeit-der-frauen-die-museumskuratorin-elisabeth-von-duecker/ Juliane Brumberg gab uns die Erlaubnis dies Interview aufzunehmen. Fotos, wenn nicht anders angegeben, von Juliane Brumberg. Liebe zur Arbeit der Frauen: Die Museumskuratorin Elisabeth von Dücker Bei Hamburger Schmuddelwetter laufe ich den Elbhang hinunter von der Bushaltestelle zum Gebäude Altonaer Seemannsmission in unmittelbarer Nähe des Hafens. Lissi - so wird sie von Freundinnen, Kolleginnen und Mitstreiterinnen genannt - hat es als Treffpunkt für unser Gespräch vorgeschlagen. Klingt merkwürdig bei einer Frau, die immer wieder den Fokus auf die Arbeitsplätze von Frauen gelegt hat. Schon auf dem Weg dorthin muss ich mehrmals den Fotoapparat zur Hand nehmen. Denn immer wieder leuchten mir die farbenfrohen Wandgemälde der Hamburger FrauenFreiluftGalerien entgegen. Das ist ein lebendiges Langzeitprojekt, das auf die Initiative von Elisabeth von Dücker hin 1994 ins Leben gerufen wurde und sich seitdem immer wieder verändert und weiterentwickelt hat. "Wir wollten und wollen die Arbeitswelt von Frauen im Hamburger Hafen sichtbar machen", berichtet Lissi. Dafür nutzen sie und ihre Malerin-Kollegin Hildegund Schuster die grauen Flächen alter Gebäude oder Mauern von Treppenanlagen. Sie zeigen darauf zum Beispiel auch noch die Fischarbeiterin aus Portugal, die Fahrerin eines Gabelstablers im Containerhafen, die Kaffeeverleserinnen, die beim großen Hamburger Hafenstreik 1896 neben höheren Löhnen auch erstritten haben, dass das Verbot von Singen und Reden am Arbeitsplatz aufgehoben wurde - und auch die Zwangsarbeiterinnen, die 1944 unter unmenschlichen Bedingungen die Trümmer der Bombenangriffe im Hafengebiet beseitigen mussten. "Wir wollen eine andere Erzählung des Hamburger Hafens anbieten. Mit unseren Gemälden rückt die Vielfalt der von Frauen getätigten Jobs in den Blick. Der Hafen galt und gilt bis heute als Männerdomäne. Jedoch ohne die Frauen läuft hier nichts rund", erklärt Lissi. "Hildegund und ich haben in unserem Uwo-ladies-project´ eine Art Arbeitsteilung; hauptsächlich ist sie für die künstlerische Gestaltung der Wandgemälde zuständig. Und alles, was nicht mit dem Malen zu tun hat, mache ich, also die kuratorische Tätigkeit: Neben Kommunikation und Pressearbeit sind das zentral die Recherchen zu den Hafenjobs, die Interviews mit den Hafenfrauen, quasi unsere lebenden Quellen. Wir führen Gespräche nach der Pral-history-Methode'. Häufig im Arbeitsambiente. Und falls das ungünstig ist, auch mal am Küchentisch der Interviewpartnerin. Die meisten Frauen freuen sich, dass da mal nachgefragt wird, ob wirklich nur Männer im Hafen arbeiten; so dekonstruieren wir vermeintliche Gewissheiten oder langlebige Stereotypien. Und immer gibt es die Frage, wie sich die Arbeit im Hafen mit der Familien-Arbeit, den vielfältigen, meist als Frauensache angesehenen Sorge- und Care-Tätigkeiten unter einen Hut bringen lässt, oder nach Themen, die sich nur schwer visuell darstellen lassen wie Heimweh, Verliebt-Sein oder Lärmbelastung beim Job". Lissi spricht von sich selbst als Long-Runnerin: "Wenn Du erst mal Feuer gefangen hast, gehen die Projekte immer weiter. Ich habe so viel erfahren dürfen, aber ich hadere noch, ob ich es schaffe, ein Buch aus dem zu machen, womit die Frauen uns beschenkt haben. Bislang steckt das in diesem zwei Kilometer langen Spaziergang entlang der Wandbilder vom Holzhafen bis nach Övelgönne - und im Internet. "Der Internetauftritt ist tatsächlich eine Fundgrube. Sehr genau werden da die einzelnen Bilder, ihre Entstehung und ihre aktuellen und historischen Hintergründe beschrieben. Beeindruckend auch die Quellenangaben, der Pressespiegel und der Hinweis auf die Dokumentationen sowie Film- und Buchprojekte, in denen die FrauenFreiluftGalerie vorgestellt wird. Denn auch wenn Lissis eigenes Buch noch wartet, andere haben sehr wohl darüber geschrieben. Mit dem bloßen Anfertigen der Wandbilder ist es nicht getan. Nach einigen Jahren müssen sie ausgebessert werden, dafür wird Geld gebraucht. Oder Häuser werden abgerissen und damit gehen auch die Wandgemälde verloren. "Durch die moderne Fassadengestaltung aus Glas und Metall ist es mittlerweile fast schwieriger, Wände zu finden als die Finanzakquise zu organisieren". Sie freut sich sehr, dass "neben privaten Sponsoren und der Kulturbehörde mittlerweile der Bezirk Altona auch die Restaurierung finanziell unterstützt." Und: "So ein autonomes Non-Profit-Projekt einer open-air-Galerie zur hafenbezogenen Frauenarbeit findest du in der ganzen Republik nicht noch einmal. Getreu dem feministischen Ansatz nehmen wir uns Raum in der Stadt und an gesellschaftlich genutzten Orten, tun Aufklärungs-, Vermittlungsarbeit." Diese geschieht durch Führungen oder Lesungen mit zündenden Aussprüchen aus den Interviews, organisiert und durchgeführt von Dr. Elisabeth von Dücker persönlich. Beim genauen Hinsehen fällt auf: Die bislang 15 Gemälde der open-air-Galerie tragen künstlerisch unterschiedliche Handschriften. Denn neben Malerinnen aus Hamburg waren auch Künstlerinnen aus London, New York und aus Argentinien am Werk. Andere Stilrichtungen und Blickweisen bringen somit Vielfalt ins Projekt. Bevor ich die Frage stellen kann, greift Lissi sie selber auf: "Was ist das Feministische an dem Wandbildprojekt? Wir meinen: Es sind nicht Bilder über die, sondern mit den Zeitzeuginnen, aus dezentraler Perspektive, partizipatorisch, emanzipatorisch. Eben Bilder, die den Stereotypen zuwiderlaufen." Begeisterung für das Museum Wer ist nun diese Frau, die so voller Ideen steckt? Als allererstes ist sie eine leidenschaftliche Museumsfrau. "Nach einem Museumspraktikum während des Studiums war sofort klar: "Ich will ins Museum!" Geboren wurde sie kurz nach dem Krieg, 1946, und hat, bedingt durch den Beruf ihres Vaters, eine unruhige Schulkarriere "einmal durch die Republik" hinter sich und dabei acht verschiedene Schulen besucht. "Dadurch habe ich wohl gelernt, mich auf neue Situationen einzustellen." Studiert hat sie, zunächst in West-Berlin und Frankfurt/Main, "mein Lieblingsfach Kunstgeschichte", seinerzeit als Studiengang für Iöhere Töchter' bekannt, sowie Volkskunde und Klassische Archäologie. Zwischendrin absolvierte sie noch eine Buchhändlerinnen-Ausbildung mit Kaufmannsgehilfenbrief. "Das wähnte ich als ein gewisses finanzielles Standbein." 1970 hat sie in Hamburg eine Heimat gefunden, "der Liebe wegen", schloss dort ihr Studium ab und legt Wert darauf, dass sie seitdem Wahl-Altonaerin ist. Das hängt sicherlich auch damit zusammen, dass sie 1975 ein wissenschaftliches Volontariat am Altonaer Museum begann. Altona war bis zur Eingemeindung nach Hamburg 1938 eine zu Dänemark gehörende selbstständige Großstadt und hat deshalb auch eine ganz eigene Geschichte. Das Altonaer Museum war für die junge, engagierte Kunsthistorikerin der richtige Ort zur richtigen Zeit. "Stadtgeschichte ist eine wunderbare Sache. Vor allem in einem solchen Viel-Sparten-Museum mit umfangreicher kulturgeschichtlicher Palette. Hier lag die Idee, Stadtgeschichte von unten zu versuchen, quasi auf dem Pflaster des Quartiers, in dem das Museum beheimatet ist." Noch als Volontärin entwarf sie das Konzept zu einer großen Ottensen-Ausstellung. Immer noch begeistert erzählt sie: "Ende der 1970er Jahre gab es in dem zu Altona gehörenden ehemaligen Industriequartier Ottensen eine bunte Mischung von Alteingesessenen, Handwerksbetrieben, Industriearbeiterschaft und 'Gastarbeiter_innen´. Mit seinen historischen Industriebauten entwickelte es sich zu einem brodelnden Meltingpott-Stadtteil. Es gab in den 1970/80ern an die 100 Bürgerinitiativen sowie alle Schattierungen von Friedens-, Frauen- und politischen Bewegungen. Anliegen der Ausstellung war es, Ottensens Geschichte vom Dorf zur Industriestadt und als Migrationsort zu erzählen, und zwar in enger Kooperation mit den Menschen, den Akteur_innen vor Ort. In diesem Rahmen wurde 1980 Hamburgs erste Geschichtswerkstatt, das Stadtteilarchiv Ottensen, gegründet, beflügelt von unserer Ausstellungsgruppe. So kam ein Mitspieler als eine autonome Partnerorganisation für das Ausstellungsprojekt im Museum hinzu, übrigens durchaus kritisch beäugt von der damaligen Museumsleitung, galt diese Methode zu jener Zeit als eher unüblich. Die Anwohner_innen waren aufgerufen, sich mit Fotos, Dokumenten und Erinnerungen an der Ausstellung zu beteiligen. Die Geschichtswerkstatt diente damals als Anlaufstelle ohne Hemmschwelle für die persönlichen Erinnerungsstücke." Idee und Umsetzung waren museales Neuland: Alltagsgeschichte eines Quartiers unter Beteiligung der Anwohnerschaft. 1982 eröffnet, war sie mit über 70 000 Besucherinnen ein Publikumsrenner. Ganz Museumsfrau, hebt sie hervor: "Außerdem gewann das Haus einen Zuwachs an Sammlungsstücken aus gut 100 Jahren Arbeits- und Alltagsleben im proletarisch geprägten Ottensen. Und neue Freunde." Und: die Kuratorin Elisabeth von Dücker durfte im Museum bleiben - festangestellt. Feministische Fragestellungen ins Museum transferiert In diese Zeit fallen auch die Anfänge ihrer Politisierung, die schon um 1975 begann, "als ich gegen den frauenfeindlichen § 218 auf die Straße ging und mich einer Frauengruppe anschloss. Und auf der grünen Frauenliste bei der Rathauswahl kandidierte. Doch schon vorher hatte ich Augen und Ohren offen, nicht zuletzt durch meine Promotion über Thomas Theodor Heine, einen der Gründer der Münchner Karikaturenzeitschrift 'Simplicissimus', der nicht nur die wilhelminische Politik und das deutsche Spießertum kritisierte, sondern sich auch in seiner Malerei ironisch mit den Geschlechterverhältnissen beschäftigt hat." Die feministischen Fragestellungen nahm Elisabeth von Dücker mit in die Museumsarbeit, kuratierte am Altonaer Museum weitere Ausstellungen und wurde dort Abteilungsleiterin. "In den Jahren lernte ich Museum von der Pieke auf." Was ihr nicht gelang, war jedoch, die neuen Methoden der oral history mit dem Blick auf Klasse, Gender, Ethnie und Generation dauerhaft am Altonaer Museum zu etablieren. Insofern reizte sie eine neue Herausforderung: Das in der Gründungsphase befindliche Museum der Arbeit in Hamburg-Barmbek. 1986 wechselte sie als Museumswissenschaftlerin in ein Museum, das noch gar nicht bestand. "Das war eine eher diffizile Sache. Die endgültige Museumseröffnung in dem Gebäude einer ehemaligen Gummiwaren-Company zog sich aus politischen und finanziellen Gründen bis 1997 hin. Konzepte für ein auf Partizipativität ausgerichtetes sozialgeschichtliches Museum mit zu erarbeiten, Sammlungen anlegen, Dauerausstellungen konzipieren und bestücken, einen Museumsalltag organisieren. Und gleichzeitig erschien uns die Anschubfinanzierung für eine Kulturgeschichte von Arbeit eher mager." Elisabeth von Dücker war zuständig für den Bereich Alltags- und Frauengeschichte und den ehrenamtlich tätigen 'Arbeitskreis Frauen im Museum'. "Dieser Arbeitskreis war für mich wie für das entstehende Museum eine wichtige Ressource mit einer politischen Komponente, war doch der Grundtenor dezidiert frauenbewegt und feministisch. Hauptmotiv war, die Konzeption des Museums mitzubestimmen, da es nicht nur ein Museum der männlichen Arbeiter werden sollte. Die Debatten drehten sich um die Erweiterung des traditionellen Arbeitsbegriffs, um die unbezahlte, gesellschaftlich wenig gewertete Hausarbeit, um Geschlechterrollen und Sammlungsstrategien." Und dann holt Lissi noch ein bisschen weiter aus und erklärt den theoretischen Hintergrund ihrer Tätigkeit in der Museumslandschaft: "Die Konfliktlinie hieß damals: Autonomie versus Integration, also autonomes Frauenmuseum gegenüber der Integration von Frauen- und Geschlechterperspektiven in bestehende Häuser. Mich haben der Mut und die Vielfalt fasziniert, wie das Begehren der Frauen nach Repräsentanz im Museum formuliert und strategisch durchgesetzt werden könnte. Mir persönlich war klar, dass mein Weg derjenige durch die Institutionen war, mit dem Anliegen, versuchsweise die Grenzen der Institution zu verschieben. Dazu gehörte auch die wichtige Forderung, die im Arbeitskreis Frauen entstanden war: eine Quotierung der Quadratmeter. Das meinte, nicht nur eine 'Frauenecke' im Museum, sondern mindestens die Hälfte für Frauen- und Geschlechtergeschichte." Das gelang zwar nicht, aber immerhin wurde mit der Eröffnung des Museums der Arbeit im Jahr 1997 auch die Dauerausstellung 'Frauen und Männer - Arbeitswelten und Bilderwelten' im Museum der Arbeit auf 400 qm installiert. In einem wissenschaftlichen Aufsatz erläutert Elisabeth von Dücker: "Ich und das Team haben den Versuch unternommen, die Befunde in den Arbeits- und Geschlechterverhältnissen nicht nur zu zeigen, sondern auf ihre Konstruktionsmuster hin zu befragen: Warum gibt es geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, warum ökonomische Privilegierung und Diskriminierung, wie wird mit den Bildern von Weiblichkeit und Männlichkeit soziales Geschlecht konstruiert, wie gestaltet sich Wandel in gesellschaftlicher und individueller Hinsicht." Das ist jetzt mehr als 20 Jahre her, ein Zeitraum, in dem Ausstellungen erneuert werden müssen und Strategien sich ändern. Diese Abteilung musste weichen, ist Frauenarbeit im Museum der Arbeit heute immer noch adäquat präsentiert? Lissi antwortet etwas ausweichend: "Eine schöne Frage und eine schwierige. Mir schwebt eine work-in-progress-Abteilung vor, durchlässig für aktuelle, auch historische Debatten über den Wandel von lokaler und globaler Arbeit, der sich wandelnden Geschlechterrollen im Dialog unterschiedlicher Kulturen und Herkünfte. Und das alles in einem inspirierenden Ort im Museum, der zu einem individuellen Mitwirken verlockt - so etwa, wie sich die Abteilung Frankfurt jetzt im Historischen Museum Frankfurt präsentiert. Dort sind die Stadtbewohner_innen eingeladen, ihre Expertise mit dem Leben hier und ihren Zukunftswünschen einzubringen - ihnen ist diese Ausstellungs- und Veranstaltungsfläche gewidmet, wo jetzt, im Jahr 2019 eine große Schrifttafel zum Mittun aufruft." Viel zu tun, "manchmal ein bisschen mehr ..." Wenn Lissi sich an die Gründungsjahre des Museums der Arbeit erinnert, fällt ihr als Erstes ein: "Mein Tag hatte nicht unselten immer mindestens 25 Stunden." Neben der Berufstätigkeit engagierte sie sich im Stadtteilarchiv Ottensen, war fast von Anfang an im bundesweiten Frauengeschichtsnetzwerks Miss Marples Schwestern dabei und seit 1986 "gab es ja auch noch den Arbeitsplatz 'Laura', meine kleine Tochter, die in der Anfangszeit im Laufgitter im Büro dabei war. Das war ganz schön anstrengend. In der Folge habe ich außerdem in unserem Stadtviertel Ottensen den bilingualen deutsch-türkischen Kinderladen mitgegründet." Gleichzeitig wuchs die Ungeduld. "Ich kam von einem seit 1860 etablierten Museum und wollte meine Erkenntnisse und Ideen in die Museumsarbeit einbringen, aber es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, mehr als 10 Jahre. Da das Museum der Arbeit immer noch nicht eröffnet war, wir aber mit neuem Blick auf geschlechtsspezifische Arbeit loslegen wollten, entstand die Idee zu dem ersten Wandbild, und dann gleich ein richtig Großes mit 1000 Quadratmetern! Zum 800. Hafengeburtstag am 1. Mai 1989 gelang es dem Arbeitskreis Frauen im Museum, mir als Kuratorin und in Kooperation mit dem Museum, an einem alten Getreidespeicher das Wandgemälde "100 Jahre Frauenarbeit im Hamburger Hafen" zu präsentieren. Quasi eine unübersehbare Außenstelle für das Museum der Arbeit. Leider musste nach vier Jahren der industriehistorische Getreidespeicher umgebaut werden, die Wand erhielt Fenster und damit war das Bild dahin. Wir sind zum Investor gegangen und haben tatsächlich sozusagen als "Wiedergutmachung" eine fünfstellige Summe erhalten. Damit machten wir, Hildegund Schuster und ich und damals noch für einige Jahre die Sozialwissenschaftlerin Emilija Mitrovic einen Neustart, es war der Anfang der späteren FrauenFreiluftGalerie." Bevor Lissi mit dem nächsten großen Projekt begann, hat sie sich mit 53 Jahren ein Jahr Auszeit genommen. "Mein Vater ist mit 53 Jahren gestorben, er hat immer nur gearbeitet, das war mir eine Warnung." Prostitution als Arbeitsplatz Hafenarbeit, Frauenarbeit, Arbeitsplatz Kind - Elisabeth von Dücker interessierte sich nicht nur für herkömmliche Erwerbsarbeitswelten, sondern auch für Themen, die nicht sofort ins Auge fallen: "Mir lag am Herzen, daran mitzuarbeiten, dass Museum nicht als traditioneller Musentempel funktioniert, sondern dass dort auch Neuland betreten, Perspektivwechsel erprobt wird, ein Dialog zwischen Jetzt und Zukünftigem stattfindet." Also traute sie sich an das Thema Sexarbeit heran. Ausgangspunkt war das 2002 in Kraft getretene neue Prostitutionsgesetz, das die rechtliche Stellung von Prostitution als Dienstleistung regelt, um die rechtliche und soziale Situation von Prostituierten zu verbessern. Wie bei jeder anderen Arbeit ist es ihnen dadurch möglich, sozialversichert zu sein. "'SEXARBEIT - Prostitution - Lebenswelten und Mythen' war wohl eine meiner zentralen Ausstellungen, habe ich doch unendlich viel dabei gelernt. Wir hatten eine ausgetüftelte Ausstellungsarchitektur in 14 Räumen auf 700 Quadratmetern. Man stand Schlange, um die Eröffnung im November 2005 zu erleben. Und auch bei der Finissage nach zweimaliger Verlängerung. Die Hafenstadt Hamburg, als Hauptstadt der Prostitution geltend, war schlichtweg der richtige Ort für das Thema." Anschließend war die Ausstellung in Bern zu sehen. Das von Lissi als verantwortlicher Kuratorin herausgegebene Katalog-Buch umfasst 346 Seiten. Sie vergisst nicht zu erwähnen, dass es von der Stiftung Buchkunst 2006 als schönstes deutsches Sachbuch ausgezeichnet wurde. Nicht nur der Erfolg des Buches und der Ausstellung hat sie als Kuratorin glücklich gemacht, sondern auch die Art und Weise, wie sie über zwei Jahre hinweg und mit unterschiedlichen Kooperateur_innen erarbeitet wurde. Ein sehr großer Kreis hat daran mitgewirkt, fachkompetente Soziologinnen, Historiker_innen, Beratungsstellen über ganz Deutschland verteilt und natürlich Frauen und Männer, die im Sexgewerbe arbeiteten und sich auf Interviews eingelassen haben. "Wir haben viele persönliche Materialien bekommen und konnten Protagonist_innen gewinnen, die ihre Arbeitskleidung und -utensilien zur Verfügung stellten. Es war das erste Mal in Deutschland, dass ein Museum solche Artefakte, jeweils mit authentischer Nutzungsgeschichte, gesammelt und gezeigt hat. Das Thema stand bzw. steht nicht unbedingt im Fokus musealen Interesses, doch wir wollten diese vermeintlich 'dunkle Ecke´ der Gesellschaft ausleuchten. Immerhin spricht man von schätzungungsweise 1,2 Millionen Kunden_innen. Ziel war, das Thema nicht aus der Schlüssellochperspektive zu betrachten." Vielmehr sollte die Präsentation eine Einladung sein, sich mit eigenen und fremden (Vor-) Urteilen auseinanderzusetzen. Besonders gefreut hat die Ausstellungsmacherin sich über die positive Resonanz aus dem Milieu: "Aus Stuttgart, Berlin und St. Pauli waren die Akteur_innen gekommen, zufrieden, dass ihre Arbeit in einem gesellschaftlich anerkannten Rahmen wertschätzend repräsentiert wurde. Wir hätten den Job gezeigt, wie er ist, war ihr Urteil." Wie gründlich die Ausstellung vorbereitet wurde, zeigen auch die Themen des Buches, an dem 130 Autoren und Autorinnen mitgewirkt haben. Es geht los mit der Frage: 'Wer arbeitet warum als Prostituierte?' Dann folgen Oberkapitel wie 'Jobs im Sexgewerbe', 'Das große schnelle Geld?', 'Arbeitsmigration', 'Kunden, Freier, Gäste', 'Prostitution und Gesundheit', 'Moral, Sexualität Gesellschaft', und selbstverständlich auch 'Frauenhandel - Menschenhandel'. Interessant ist, wie Elisabeth von Dücker in der Einleitung schreibt, dass die Spendenbereitschaft bei diesem Projekt nicht überschäumend war und sie sich deshalb umso mehr über die Zeit- und Wissensspenden freute. Wertschätzende Anerkennung Lissis feministisch geprägte Arbeit wurde wahrgenommen und anerkannt. Seit 2008 ehrt der Hamburger Landesfrauenrat alljährlich eine Frau, die sich Verdienste um die Gleichberechtigung von Frau und Mann erworben hat. Allererste Preisträgerin war Elisabeth von Dücker, weil "sie bei ihrer Tätigkeit als Kustodin im Museum auf geschlechtsspezifische Unterschiede aufmerksam gemacht hat, bei dem großen Wandbild zur Frauenarbeit im Hamburger Hafen unsichtbare Frauengeschichte in den öffentlichen Raum gebracht hat und weil sie mit der SEXARBEITs-Ausstellung zur Enttabuisierung des Themas Prostitution beigetragen hat", heißt es in der Presseerklärung. Seit 2007 ist Lissi im Ruhestand, was nicht heißt, dass sie nicht mehr arbeitet. Für das Stadtteilarchiv Ottensen ist sie nach wie vor aktiv und als 2010 das Altonaer Museum geschlossen werden sollte, war sie eine der Sprecherinnen der Bürgerinitiative 'Altonaer Museum bleibt'; mit Erfolg übrigens, denn der Hamburger Senat revidierte aufgrund der vielen Proteste seine Entscheidung. Ansonsten genießt sie es als über 70jährige, "lustvoll die Museumsentwicklung hier und andernorts zu verfolgen und mich kulturgeschichtlich auf den neuesten Stand zu bringen". Und jetzt im Januar, zur Hamburger Schmuddelwetterzeit, flieht sie auf eine warme Insel und ist ganz glücklich "dort in einem kleinen Cafè in Ruhe die dicken Bücher zu lesen, zu denen ich hier in Hamburg kaum komme". Zur Zukunft des Feminismus meint sie: "Ich glaube, das könnte wohl ganz gedeihlich werden, wenn zunehmend mehr Männer sich als Feministen verstehen. Dann haben sie erkannt, wie wichtig es ist, gemeinsam am Strang der Geschlechtergerechtigkeit zu ziehen, denn Feminismus umfasst das ganze Leben und ist für alle gut." Und natürlich die FrauenFreiluftGalerie. Da gibt es immer was zu tun. Die nächste Führung ist für den 11. März im Rahmen des Internationalen Frauentages und am 8. Mai 2020 im Rahmen des Hafengeburtstags geplant. Abgesehen davon ist sie ja rund um die Uhr geöffnet. Über den Internetauftritt können auch private Rundgänge gebucht werden. Außerdem betreut Lissi seit Neustem auch eine Wanderausstellung mit Fotos und Texten über Hafenarbeiterinnen. Sie ist ausleihbar. Derzeit hängt sie im Speisesaal der Altonaer Seemannsmission; damit ist auch das Geheimnis unseres Treffpunkts gelüftet. Gemütlich im Warmen konnte ich mir dort auf den Text-Foto-Tafeln die Details des großen Wandgemäldes an der Außenfassade der Seemannsmission anschauen, auch das wieder eines von Lissis kreativen Projekten, in diesem Fall sogar bi-kulturell. Auf zwei gegenüberliegenden Wänden ist ein Brückenschlag zwischen Hamburg und New York abgebildet: moderne Frauenarbeitsplätze in den Häfen hier und dort - auf der Basis aktueller Interviews. Wer zu weit entfernt wohnt, um sich selbst vor Ort umzusehen, kann die Details und den Entstehungsprozess des Brückenschlags auf der Homepage nachvollziehen, ohne nach Hamburg oder nach New York reisen zu müssen Text: Juliane Brumberg

    Annelie Kümpers-Greve

    geb. Greve

    Dr. h.c.
    Unternehmerin, Mäzenin, Ökumenikerin

    Ornament Image
    16.1.1946
    Ellerau/Nähe Quickborn
    -
    11.3.2017
    Hamburg
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    Grablage: Feld 12, 590

    Annelie Kümpers-Greve wurde 1946 in Ellerau bei Hamburg geboren. Sie ist eine direkte Nachkommin der Mennonitenfamilie Van der Smissen, einer aus Brabant eingewanderten Kaufmannsfamilie [1]. Verheiratet war sie mit dem Unternehmer Rainer Kümpers, der aus einer westfälischen Textilindustriellenfamilie stammt. Das Paar hat drei Töchter. Die Unternehmerin vereinte auch zahlreiche Ehrenämter auf sich. So gehörte Annelie Kümpers-Greve seit 1988 dem Kirchenrat der Hamburger Mennonitengemeinde an [2]. Ihre Eltern sind die Mäzene und Ehrenbürger Hamburgs, Prof. Dr. hc. Hannelore Greve (geb. 1926) und ihr verstorbener Gatte, der Bauunternehmer und
    Völkerrechtler sowie seit 1991 Honorarkonsul Ungarns, Prof. Dr. Dr. h.c. Helmut Greve (1922-2016; seine Tochter Eva-Maria folgte ihm in dieses Ehrenamt). Gemeinsam gründeten sie die "Hamburgische Stiftung für Wissenschaften, Entwicklung und Kultur Helmut und Hannelore Greve", mit deren Mitteln sie in Hamburg Bauprojekte u.a. an der Universität, der Hochschule für Musik und Theater HfMT oder die Elbphilharmonie förderten [3].
    In solcher Tradition groß geworden, unterstützte seit 1980 ihre älteste Tochter Annelie Kümpers-Greve "die "Internationale Mennonitische Organisation" (IMO) sowie ein europäisches Hilfswerk mennonitischer Gemeinden mit dem Schwerpunkt Südamerika. Außerdem gehörte sie seit 1995 zu den Gründungsmitgliedern des Hilfswerks "Liebe deinen Nächsten" e.V., eines der Trägerhilfswerke der IMO. Seit 1992 war Annelie Kümpers-Greve Fördermitglied des Mennonitischen Geschichtsvereins und seit 2000 Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste, Salzburg, innerhalb derer sie besonders den Standpunkt des Täufertums vertrat" [4].
    In dieser Konstellation zeichnete sie auch mit verantwortlich für die Jubiläumsausstellung "400 Jahre Mennoniten" im Altonaer Museum 2001 (vgl. Katalog unter Publikationen) und stellte deren Finanzierung sicher (Menno-Kat AM, S.7). Zusammen mit den Kulturhistorikern Dr. Hajo Brandenburg und Dr. Matthias H. Rauert gestaltete sie Ausstellung und Katalog. Dazu schrieb die Kulturjournalistin Isabelle Hofmann im Juni 2001: " Paul-Roosen-Straße , De-Voß-Straße , Große Freiheit . Man kennt diese Hamburger Straßennamen. Und manch einer weiß vielleicht, dass Roosen und de Voß berühmte Reeder und Bierbrauer waren und die Große Freiheit ihren Namen trägt, weil Kaufleute im 17. Jahrhundert dort Gewerbefreiheit hatten. Doch welches Schicksal die Straßennamen mit einander verbindet, weiß sicher kaum jemand. Roosen und de Voß gehörten, wie auch die Linnichs und Van der Smissens, zu den ältesten Mennonitenfamilien in Hamburg. Eine Glaubensgemeinschaft, die auf den Niederländer Menno Simons zurückgeht und die auf der Flucht vor Verfolgung durch Herzog Alba in Norddeutschland eine neue Heimat fand. In Altona erhielten die Mennoniten schon 1601 religiöse und wirtschaftliche Freiheiten. (...) Das Begrüßungskomitee in der stadtgeschichtlichen Abteilung besteht aus einer ländlich-altmodisch gekleideten Puppenfamilie. Es sind zeitgenössische Trachten der Amish-People und Hutterer, ebenfalls in der Reformationszeit entstandene Glaubensgemeinschaften, die heute in Amerika und Kanada leben. Doch anders als diese technikfeindlichen Glaubensbrüder waren die europäischen Mennoniten, die sich durch ein fundamentales Demokratieverständnis, Erwachsenentaufe und bedingungslosen Pazifismus auszeichnen, fortschrittliche und wirtschaftlich orientierte Geister. Ihren ökonomischen Aufstieg im 18. Jahrhundert verdanken sie einer gelungenen Gratwanderung zwischen Assimilation und Isolation.
    Für die Gemeinde, die an der Elbe durch vielfach verflochtene Familienbande eng zusammenhielt, war Reichtum die einzige Möglichkeit, Macht und Einfluss in der Stadt zu gewinnen. Wie gut ihnen das gelungen ist, zeigt die Ausstellung anhand zahlreicher Exponate aus allen Lebensbereichen: Schriften, Stiche, Schiffsmodelle, Seekarten, Landschaften, Stillleben, Möbel und Silber zeugen von der Blütezeit der Täufer. Heute zählt die Mennonitenkirche (...) nur noch 468 Gemeindemitglieder, unter denen die im Zweiten Weltkrieg aus Westpreußen Vertriebenen die Mehrheit bilden. Mit dieser Ausstellung führt das Altonaer Museum einmal mehr die Weltoffenheit und Toleranz des historischen Altona vor Augen. Eine Offenheit fremden Minderheiten gegenüber, die nichts an ihrem Vorbildcharakter verloren hat." [5].
    In Ihrem Gedenken schrieb das Hamburger Abendblatt in der Ausgabe vom 15. März 2017 unter der Überschrift: "Mäzenin Annelie Kümpers-Greve aus Blankenese ist tot. Erst verstarb ihr Mann, nun muss Hamburgs Ehrenbürgerin Hannelore Greve ihre Tochter zu Grabe tragen. Denn am Sonnabend ist Annelie Kümpers-Greve im Alter von 71 Jahren nach langer und schwerer Krankheit im Altonaer Krankenhaus verstorben. Helmut Paul Greve starb 2016.
    Wie ihr Vater engagierte sich Kümpers-Greve für ihre Heimatstadt Hamburg als Mäzenin. Unter anderem setzte sie sich für die Schaffung einer Stelle an der Universität Hamburg zur Erforschung einer Theologie der Friedenskirchen [6] ein. Seit 2006 gibt es die Stelle, die die ersten fünf Jahre von der Greve-Stiftung finanziert wurde. Zudem initiierte sie die Falkensteiner Gespräche am Hamburger Friedensinstitut.
    In Blankenese lebte die Unternehmertochter, die selbst im Immobiliensektor tätig war. Von Wegbegleitern wird sie als bodenständig, geradlinig und tapfer beschrieben. Kümpers-Greve hinterlässt ihren Mann Rainer, mit dem sie seit mehr als 50 Jahren verheiratet war, ihre drei Kinder und sechs Enkelkinder. Beigesetzt wird sie auf dem Mennoniten-Friedhof in Bahrenfeld gegenüber vom Grab ihres Vaters. Beide waren Mitglieder der Altonaer Freikirche." (Autor_in mit Kürzel "krk").
    Viel über ihr Lebenswerk und ihr Wesen sagte auch diese Traueranzeige aus dem Hamburger Abendblatt vom 18. März 2017: "Sie ist aufgebrochen, hat Menschen eingeladen, mitgenommen auf ihren ganz eigenen Weg - auf einen gemeinsamen Weg, der alle mitriss, etwas Großartiges schaffen zu wollen". Wir verneigen uns in tiefer Trauer gegenüber einer Unternehmerin und Visionärin, die nun im Alter von 71 Jahren von uns gegangen ist. Frau Dr. h.c. Annelie Ku?mpers-Greve, unsere Senior-Chefin, hat mit Weitblick, großem sozialen Engagement und Leidenschaft die Lebensqualität von Seniorinnen und Senioren verbessert. Sie hat die Entwicklung neuer Wohnformen in der Seniorenbetreuung seit nunmehr fast 40 Jahren in Hamburg vorangetrieben und umgesetzt - u.a. in den Anfangsjahren mit dem Haus Annelie. später mit der Parkresidenz Poppenbu?ttel und nun seit 1998 mit dem Service-Wohnen im FORUM Alstertal. Zusammen mit ihrem Mann hat Frau Dr. h.c. Annelie Kümpers-Greve darüber hinaus aber auch viele weitere innovative Immobilienprojekte entwickelt und umgesetzt. Wir haben sie als kluge und kämpferische Frau kennen- und vor allem schätzen gelernt, die sich immer auch für die Gleichstellung der Frau einsetzte. Ihr langjähriger Kampf gegen ihre Erkrankung und ihre positive Lebenseinstellung werden für uns immer Vorbild, Triebfeder und Motivation zugleich sein.
    In Dankbarkeit verabschieden wir uns mit diesem letzten stillen Gruß von einer großartigen Frau und Chefin und drücken hiermit sogleich unser tief empfundenes Mitgefühl gegenüber der gesamten Familie aus. In Trauer, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der FORUM Alstertal Betreuungsservice und Veranstaltungszentrum GmbH, VHH Verwaltung Hamburgischen Hausbesitzes GmbH & Co. Erste KG, GETUMA Vermietungs- und Hausverwaltungs-GmbH".
    Publikationen:
    - Rauert, Matthias H. und Kümpers-Greve, Annelie: Van der Smissen. Eine mennonitische Familie vor dem Hintergrund der Geschichte Altonas und Schleswig-Holsteins. Hamburg 1992. - 400 Jahre Mennoniten zu Altona und Hamburg. Hg. v., Hajo Brandenburg im Auftrag der Mennonitengemeinde zu Hamburg und Altona. Begleitheft zur Ausstellung. Ausstellung: Annelie Kümpers-Greve, Matthias H. Rauert, Thomas Schamp, Altonaer Museum, Hamburg 2001. Mitarbeit: Silvia Jodat, Hajo Brandenburg (verantwortlich), Astrid und Ulrich von Beckerath, Peter J. Foth, Elisabeth Harding, Sebastian Harms, Sylvia Jodath, Sandra Maurel, Martje Postma, Ascan Roosen und Schiemann Harms Medien = Menno-Kat. AM
    Text: Dr. Cornelia Göksu
    Quellen und Anmerkungen:
    1 Hinrich I. van der Smissen (1662 Glückstadt - 1737 Altona) hatte es als Bäcker, Transport-Unternehmer, Investor und Bauunternehmer, als Gründer eines der größten Handelshäuser Altonas, zu bedeutendem Ansehen und Wohlstand gebracht. Er galt als Wiedererbauer Altonas nach der Zerstörung in den Schwedenkriegen 1713. Hinrich I. van der Smissen war verheiratet mit Marie de Voß (1674-1732); vgl. die Straßennamen Van-der-Smissen-Straße und De-Voß-Straße (1674-1732) (vgl. gameo.org/index.php?title=Smissen,_Hinrich_I_van_der_%281662-1737%29).
    2 Die Bezeichnung Mennoniten bezieht sich auf den Gründer der Bewegung, den Holländer Menno Simons (1496 Wirmarsum/Friesland/NL - 1561 Wüstenfelde bei Bad Oldesloe, dort auch Museum Mennokate). Der Bauernsohn Menno Simons war zunächst Priester und Vikar. Ab 1536 schloss er sich der friedlichen Täuferbewegung aktiv an und wurde als solcher verfolgt. Vielfältige Reisen führten ihn in den niederländischen und norddeutschen Raum. Er fand Anhänger in Köln und schließlich auf dem zu Oldesloe gehörenden Gut Fresenburg Zuflucht. "Etwas generalisierend" könnte man die Täufer, Frauen, Männer, Familien "als die "Radikalen" des 16. Jahrhunderts bezeichnen, und es flossen in diese Protest- und Erneuerungsbewegung auch soziale Aspekte und generell die aufkommende Vorstellung von der Mündigkeit des Einzelnen ein. Historiker haben als Triebfeder hinter den täuferischen Reformvorstellungen einen starken "antiklerikalen Impuls" (Hans-Jürgen Goertz) ausgemacht, der auch vor der Vorstellung einer Unabhängigkeit der christlichen Gemeinde von staatlicher Obrigkeit nicht zurückschreckte. Dieses Konzept einer (modern gesprochen)‚ "Trennung von Staat und Kirche" war für die große Mehrheit der damals lebenden Menschen und vor allem für alle herrschenden Obrigkeiten unakzeptabel, unabhängig davon, welcher Vorstellung von kirchlichem Leben sie ansonsten anhingen. Daher ist aus historischem Abstand verständlich, dass das Täufertum (...) von den Herrschenden als Bedrohung, ja als Gotteslästerung empfunden und überall aufs Schärfste verfolgt wurde. Es haben sich nur Nachfahren der sogenannten "Schweizer Brüder" und der Anhänger Menno Simons" (daher im weiteren Verlauf für alle diese Gruppen der kollektive Name "Mennoniten") sowie die Gruppe der sogenannten "Hutterer" erhalten, die alle eine strikt gewaltlose Haltung als für Christen unabdingbar ansahen. Die Hutterer haben darüber hinaus einen christlich begründeten Kommunismus etabliert und diese Lebensform bis in die Gegenwart durchgehalten. Diese Gruppen konnten nur durch Rückzug und durch eine Wendung "nach innen", zu einer "Theologie der Weltverneinung" in solchen Gebieten überleben, meist am Rande damals besiedelter Gebiete, wo die Obrigkeiten sie als inzwischen ungefährliche, aber fleißige Arbeiter schätzten. Daher bekam die ursprünglich überwiegend in den Städten beheimatete täuferische Bewegung einen weitgehend ländlichen Charakter; nur in den Niederlanden und in einigen Städten Norddeutschlands wie etwa Emden, Hamburg, Lübeck oder Danzig konnten sich Mennoniten auch in handwerklichen oder kaufmännischen Berufen halten und Gemeinden bilden" (Quelle: mennoniten.de/geschichte; abgerufen März 2017 CG).
    3 de.wikipedia.org/wiki/Hannelore_Greve und de.wikipedia.org/wiki/Helmut_Greve
    4 www.in-cultura.com/autoren-herausgeber/kümpers-greve-annelie
    5 Isabell Hofmann: 400 Jahre Mennoniten In Hamburg. Ausstellung im Altonaer Museum - Durchaus fortschrittliche Geister. In: Hamburger Morgenpost v.7.6.2001; LINK: mopo.de/400-jahre-mennoniten-in-hamburg
    6 Gemeint ist die "Arbeitsstelle Theologie der Friedenskirchen" am Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Hamburg, mennoniten.de/atf-hamburg Zum Stichwort Friedenskirchen: In den mennonitischen Gemeinden war die selbstgewählte und bewusste Entscheidung zur Nachfolge Jesu Christi entscheidend wichtig. Dies schließt ein, sich am Leben Jesu in der eigenen Lebensgestaltung auszurichten. Der Bergpredigt (Matthäus 5-7) kommt dabei von Anfang an eine herausragende Bedeutung zu: Frieden zu stiften und von Gewalt befreit zu leben gilt daher früh als Identifikationsmerkmal. In der Verweigerung des Kriegsdienstes meinten staatliche wie kirchliche Autoritäten den Verrat und die Illoyalität zu erkennen, die es auszumerzen galt.
    Seit Beginn des 20. Jahrhunderts werden mennonitische Gemeinden als "historische Friedenskirchen" bezeichnet. Sie lehnen in weiten Teilen den Kriegsdienst ab und erinnern sich an ihre Glaubensvorfahren, die in den vergangenen Jahrhunderten so oft in Regionen auswichen, wo ihnen das Recht, den Dienst an der Waffe nicht übernehmen zu müssen, als Privileg zugesichert wurde. Zum Ende des 19. Jahrhunderts und dann im Ersten und Zweiten Weltkrieg war in den deutschen Mennonitengemeinden die Verweigerung des Kriegsdienstes allerdings weitgehend aufgegeben worden. Schon zu Beginn des Dritten Reiches hatte sich die "Vereinigung der deutschen Mennonitengemeinden" in ihrer Verfassung vom Prinzip der Wehrlosigkeit gelöst. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg begann unter dem Einfluss nordamerikanischer Mennoniten (vor allem Kriegsdienstverweigerer und Zivildienstleistender) ein Bewusstsein zu wachsen, sich wieder verstärkt für Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung mitten in der Gesellschaft einzusetzen und die Haltung der Gewaltfreiheit in den Beratungen ökumenischer Organisationen zu vertreten. Auf mennonitische Initiative ging die Anregung zurück, in den Mitgliedskirchen des Ökumenischen Rates der Kirchen eine "Dekade zur Überwindung von Gewalt" (2001 bis 2010) auszurufen und die Diskussionen um einen aktiven, zivilen Friedensdienst weltweit zu beleben" = Zitat aus Absatz zu "Friedenskirchen" auf mennoniten.de/ueber-mennoniten---ausstellung-im-altonaer-museum-durchaus-fortschrittliche-geister-22871766; abgerufen März 2017 CG.

    Louise Schroeder

    Bürgermeisterin von Berlin, Präsidentin des Deutschen Städtetages, Stadtverordnete in Altona

    Ornament Image
    2.4.1887
    Altona
    -
    4.6.1957
    Berlin
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    Grablage: F 10-31/32

    Namensgeberin für: Louise-Schroeder-Straße, benannt 1960 in Altona
    1910 trat Louise Schroeder der SPD bei und wurde schon bald als glänzende Diskussions- und Versammlungsrednerin geschätzt. 1916 erhilet sie einen Sitz im Vorstand der Altonaer SPD. Von 1919 bis 1933 fungierte sie als Stadtverordnete in Altona. Zwischen 1919 und 1920 war sie Mitglied der Deutschen Nationalversammlung in Weimar. 1919 wurde sie Mitbegründerin der Arbeiterwohlfahrt. Von 1920 bis 1933 war sie Mitglied des Deutschen Reichstags, von 1946 bis 1951 Bürgermeisterin und Stellvertreterin des Oberbürgermeisters von Berlin, von 1947 bis 1948 amtierende Oberbürgermeisterin von Berlin, von 1951 bis 1952 Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin und von 1949 bis zu ihrem Tod im Jahre 1957 Mitglied des Deutschen Bundestages.
    Louise Schroeder entstammte einer Proletarierfamilie - der Vater war Bauarbeiter und Funktionär in der Sozialdemokratischen Partei. Louise Schroeder besuchte bis zu ihrem 14. Lebensjahr die Mittelschule in Altona, ging dann anderthalb Jahre zur Gewerbeschule für Mädchen in Hamburg. Sie wurde Büroangestellte, später war sie 16 Jahre lang Privatsekretärin einer großen Versicherungsfirma. 1919 gehörte sie in Weimar zu den ersten 41 weiblichen Abgeordneten der Verfassung gebenden Nationalversammlung. Ihr Arbeitsgebiet war die Sozialpolitik. Ehrenamtlich engagierte sie
    sich bis März 1925 als Vorsteherin des Pflegeamtes Altona. Am 23. März 1933 verweigerte sie ihre Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz. Die Folgen waren: Verbot des politischen Wirkens, unter Polizeiaufsicht gestellt, tägliche Meldepflicht auf dem Revier, keine Arbeitslosenunterstützung.
    Louise Schroeder zog daraufhin von Altona nach Hamburg, versuchte, sich dort eine bescheidene Existenz mit einem Bäckerladen aufzubauen. Aber auch dort war sie Schikanen, Verhören und Verhaftungen ausgesetzt. 1938 suchte sie in Berlin Zuflucht. Hier mietete sie sich eine Hinterhofwohnung, wurde arbeitslos, arbeitete später als Sekretärin und dann als Sozialbetreuerin in einem Bauunternehmen. Gleich nach Kriegsende wurde sie wieder politisch für die SPD aktiv und sogleich in den Vorstand der Berliner SPD und 1946 in die Stadtverordnetenversammlung von Berlin gewählt. Im Dezember 1946 wurde sie Bürgermeisterin und 3. Stellvertreterin des Oberbürgermeisters von Berlin, Dr. Ostrowski. Nachdem dieser im Mai 1947 zurückgetreten war, wurde Louise Schroeder stellvertretende Oberbürgermeisterin. Als im Juni 1947 die Stadtverordnetenversammlung den SPD-Politiker Ernst Reuter zum Oberbürgermeister wählte, versagten die Sowjets dieser Wahl ihre Zustimmung. Louise Schroeder blieb also weiterhin Regierungsoberhaupt. "In dieser Stellung ist sie dann im Jahre 1948 in den Tagen der internationalen Hochspannung im Zeichen der ,Blockade Berlins" weltbekannt geworden, als ihr infolge der Mitte August 1948 auf russisches Verlangen erfolgten Ablehnung des zum Oberbürgermeister gewählten Prof. Ernst Reuter durch die Alliierten die alleinige Verantwortung zufiel. Nach der abermaligen Wahl Reuters zum Oberbürgermeister Anfang Dezember 1948 fungierte sie als amtierende Oberbürgermeisterin weiter, legte dann aber ihre Berliner Ämter Mitte September 1949 nieder, nachdem sie als Vertreterin Berlins in den Deutschen Bundestag gewählt worden war. Ihm gehörte sie bis zu ihrem Tod an. Der Stadtrat von Paris verlieh Louise Schroeder Mitte Juni 1949 die Plakette der Stadt Paris. Sie gehörte auch im gleichen Jahr der deutschen Delegation des Vorbereitenden Europarates in Brüssel an und war bis Januar 1957 im Europarat in Straßburg als deutsches Mitglied tätig." (Ruth Schüler zum 10. Todestag Louise Schroeders. In: Die Jarrestadt, Kommunales Mitteilungsblatt der SPD, Juni 1967.) Louise Schroeder erhielt das Großes Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband und als erste Frau in der Geschichte Berlins deren Ehrenbürgerwürde. Ihr Engagement galt besonders den Frauen. Sie stritt für eine Liberalisierung des Pharagraphen 218, für die soziale Besserstellung lediger Mütter, Landfrauen etc. und war Landesvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt Schleswig-Holsteins.
    Text: Rita Bake

    Therese Halle

    geb. Heine

    Kunstsammlerin und Stifterin

    Ornament Image
    17.12.1807
    Hamburg
    -
    22.4.1880
    Baden-Baden
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    Bestattet auf dem Friedhof der Christianskirche, nördlich hinter der Kirche in Hamburg Ottensen

    Gegenüber dem Museum für Hamburgische Geschichte steht das Heine'sche Wohnstift, dem Bruchsaler Schloss nachempfunden. So ist denn auch der Vorgarten wie ein kleiner Schlossgarten des 18. Jahrhunderts angelegt, in den man durch ein großes Gittertor gelangt. Vor dem Haus braust der Verkehr ohne Unterlass, und so haftet dieser Idylle etwas leicht Unwirkliches an.
    1866 richtete Therese Halle, Tochter des Bankiers Salomon Heine und seiner Frau Betti, Cousine des Dichters Heinrich Heine, zum Gedenken an ihre verstorbenen Eltern im ehemaligen elterlichen Wohnhaus am Jungfernstieg 34 das Heine'sche Asyl ein. Es war ein Wohnstift mit Freiwohnungen für 45 hilfsbedürftige ältere Frauen, die von "einwandfreiem Ruf" sein mussten. Verheiratet war Therese Halle, die der Bankiersfamilie Heine entstammte und in die auch ihr Cousin, der Dichter Heinrich Heine, verliebt gewesen war, mit dem Juristen und Präsidenten des Hamburger Handelsgerichts Adolph Halle (1798-1866) Er war wohl auch der Wunschkandidat ihres Vaters Salomon Heine - und nicht der "missratene" Neffe Heinrich Heine. Das Ehepaar blieb kinderlos.
    Über Therese Haller hat die Historikerin Sylvia Steckmest einen beachtenswerten Aufsatz verfasst, der auf einen Vortrag
    basiert, den sie 2016 zum 20jährigen Bestehen der Hamburger Gesellschaft für jüdische Genealogie hielt. 1). Sylvia Steckmest schreibt über die Hochzeit: "Therese ließ sich im März 1828 in der Nicolaikirche taufen, nachdem der Bräutigam sich bereits im Alter von 18 Jahren hatte taufen lassen. Inzwischen war er 30 Jahre alt. Die Hochzeit fand am 15. Mai 1828 in der Petrikirche statt. Als Hochzeitsgeschenk erhielt das Paar vom Onkel des Bräutigams, Hartwig Hesse, dem Kunstsammler, ein Haus in der ABC-Straße, (…). Auf dem großen Grundstück am Elbhang in Ottensen ließ Salomon für seine Tochter und ihren Gatten bald nach der Hochzeit eine neue Villa bauen, dicht neben der eigenen. Dieses Gebäude wurde vermutlich von Joseph Ramée entworfen und steht mit der schmalen Front zur Elbe. Inzwischen renoviert, wird es zu Luxus-Appartements umgebaut, (…)." 2). Als Salomon Heine starb, erbte Therese neben einer großen Summe Bargelds auch das Haus am Jungfernstieg 34, (an seinen Standort erinnert heute die Aufschrift "Heine Haus" am sich dort befindenden Haus). Es war beim Großen Brand auf Hamburg zerstört und kurz danach wiederaufgebaut worden. Thereses Halle, die mit ihrem Mann nach Dresden gezogen war, wo ihr Mann, der an einer psychischen Erkrankung litt, 1866 starb, ließ nach dem Tod ihres Mannes das bereits oben beschriebene Heine'sche Asyl "für ‚unbescholtene alleinstehende und mittellose Witwen und Jungfrauen ab 50 Jahren (…) gründen. (…) Außer einer Freiwohnung erhielt jede Dame eine Geldunterstützung von 120 Courant Mark jährlich, dazu Heizmaterial, Beleuchtung und ärztliche Versorgung sowie freie Medikamente (…). Im Herbst wurde den Bewohnerinnen Obst aus dem Garten an der Elbe zum Jungfernstieg gebracht. Therese übernahm die Auszahlungen an ihre Asylbewohnerinnen selbst, um sich nach dem Befinden ihrer Schützlinge zu erkundigen. Sehr Bedürftige, besonders solche Bewohnerinnen, die früher in Diensten der Stifterin gestanden hatten, erhielten von ihr zusätzlich eine wöchentliche Unterstützung. Es lebten dort überwiegend christliche Frauen, aber auch einige Jüdinnen."3) In dem Stift wohnte auch Louise Fröbel, die Witwe von Friedrich Fröbel. 4)
    1901 wurde das Haus abgerissen und als "Heine'sches Wohnstift" für ca. 100 ältere Frauen am Holstenwall 18 neu errichtet. Im Eingangsbereich ist der Stifterin mit dem 1872 gefertigten Marmorrelief des Bildhauers Heinrich Möller ein Denkmal gesetzt worden. Dort ist sie in der Mitte als junges Mädchen zu betrachten, wie sie den armen und alten Frauen hilft. Küchen- und Stubenmädchen rechts und links von ihr am Bildrand sind mit ihren Arbeiten beschäftigt.
    Im Treppenhaus hängt auch eine restaurierte Marmortafel, auf der an die Gründung des Stiftes erinnert wird, das 1939 "arisiert" wurde. Heute ist das modernisierte Stift mit 48 Ein- und Zweizimmerwohnungen für ältere Damen, Herren und Ehepaare ausgestattet.
    Therese Halle vermachte der Hamburger Kunsthalle 48 Gemälde und zwei Skulpturen. Viele von ihnen kaufte sie auf ihren Reisen durch Deutschland und Europa. Trotzdem wurde sie nicht in der Kunsthalle "verewigt", dieses Privileg erhielt nur ihr Mann. 2008 widmete die Kunsthalle dieser Sammlerin schließlich eine Ausstellung. 5)

    Literatur:
    1) Sylvia Steckmest: Drei Stifter für Hamburg. Salomon Heine und das Israelitische Krankenhaus - Carl Heine und die Kunsthalle -Therese Halle geb. Heine und das Wohnstift, in: Liskor - Erinnern. Jahrgang, September 2016, Magazin der Hamburger Gesellschaft für jüdische Genealogie e.V., S. 14-21.
    2) Sylvia Steckmest, a. a. O., S. 15.
    3) Sylvia Steckmest, a. a. O., S. 18.
    4) vgl ebenda.
    5) Vgl.: Hamburger Kunsthalle: Therese Halle, geb. Heine. Eine Hamburger Sammlerin und Stifterin, unter: www.hamburger-kunsthalle.de/ausstellungen/therese-halle-geb-heine

    Olga Essig

    Berufsschul-Pädagogin, Frauenrechtlerin Grabstelle aufgelöst

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    15.7.1884
    Bromberg
    -
    14.12.1965
    Hamburg
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    Olga Essig stammte aus einer jüdischen Familie, die auf einem Bauernhof in Bromberg lebte. Olga Essig hatte sechs Geschwister und die Eltern konnten es sich finanziell nicht leisten, ihrer Tochter eine höhere Schulbildung zu ermöglichen. Gleich nach dem Abschluss der Volksschule musste Olga Essig einen Beruf ergreifen. Doch sie war sehr ehrgeizig und wollte weiter lernen. Deshalb nahm sie neben ihrer Tätigkeit als Kontoristin noch Privatunterricht, um das Abitur machen zu können. Nachdem sie dies geschafft hatte, wurde sie 1908 Lehrerin an der staatlichen kaufmännischen Fortbildungsschule in
    Bromberg. Doch auch damit gab sie sich nicht zufrieden. 1914 machte sie ihre Diplom-Handelslehrerprüfung und eine Zusatzprüfung in Technologie. Dann studierte sie Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie Pädagogik. 1918 promovierte sie zum Dr. rer. pol.. Von nun an war eine ihrer Ziele, das Berufsschulwesen zu reformieren. Dabei ging es ihr besonders auch darum, den berufstätigen Frauen eine Gleichstellung im Beruf und in der Gesellschaft zu ermöglichen. So forderte sie z. B. uneingeschränkt Fortbildungsschulen für alle Frauenberufe.
    Ab 1921 wurde Olga Essig Leiterin der Städtischen Frauenarbeitsschule in Mainz. Ein Jahr später legte sie wegen Auseinandersetzungen um ihren Führungsstil das Amt nieder. 1922 folgte "eine Berufung als ‚Vortragender Rat" für das Referat "Mädchen-Berufsschulwesen" [im] thüringischen Volksbildungsministerium in Weimar. Dort erwartete sie Pionierarbeit, wie sie sie liebte. Es ging um Aufbau und Leitung des weiblichen Berufs- und Fachschulwesens und um einheitliche Gesetzesgrundlagen für die neue Einheitsschule. Doch war all dies nur von kurzer Dauer. 1924 wurde in Thüringen nach dem Einmarsch der Reichswehr und einem monatelangen Ausnahmezustand eine Rechtsregierung gebildet. Olga Essig, eine überzeugte Sozialistin und seit der Novemberrevolution Mitglied der SPD, wurde daraufhin entlassen." 1)
    Da sie jedoch inzwischen durch ihre Vorträge und Arbeit so bekannt geworden war, holte der Hamburger Senat sie nach Hamburg und gab ihr 1924 die Stelle als Direktorin der Allgemeinen Gewerbeschule für das weibliche Geschlecht. 1929 wurde sie als erste Frau in Hamburg Oberschulrätin für das gesamte Hamburgische Berufsschulwesen. Olga Essig baute das Hamburger Berufsschulwesen für Mädchen auf und war maßgeblich daran beteiligt, dass die selbstständig arbeitende Berufsschulbehörde mit der Schulbehörde zusammengelegt wurde.
    1933 wurde sie aus politischen Gründen entlassen. Gleich nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie wieder in ihr Amt als Oberschulrätin für die Berufsschulbehörde eingesetzt, das sie bis zu ihrer Pensionierung 1950 innehatte.
    Gleichzeitig war sie auch in der Hamburger Frauenbewegung aktiv. So war sie 1946 Mitbegründerin des Hamburger Frauenrings. 1959 wurde ihr das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse überreicht. Text: Rita Bake
    Quelle:
    1) Traute Hoffmann: Der erste deutsche ZONTA-Club. Auf den Spuren außergewöhnlicher Frauen. Hamburg 2002, S. 147f.

    Margareta Hunck-Jastram

    geb. Stalmann, geschiedene Jastram

    Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft (CDU) von 1961 bis 1970

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    30.11.1913
    Altona
    -
    2.3.1998
    Hamburg
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    Grablage: H 1094/1098

    Margareta Hunck-Jastram ist bestattet bei ihren Eltern, wo auch ihr erster Mann begraben ist. 1955 trat die Pastorentochter Margareta Hunck-Jastram in die CDU ein und war bis 1993 Mitglied der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte. In erster Ehe war sie mit Friedrich Jastram (1907-1989), einem Pastor, verheiratet gewesen, mit dem sie drei Kinder hatte. 1968 heiratete sie den Bürgerschaftsabgeordneten (CDU) Heinrich Hunck. Er wurde nach seinem Tod bei seiner ersten Ehefrau auf dem katholischen Teil des Ohlsdorfer Friedhofes bestattet.
    1961 wurde Margareta Hunck-Jastram CDU-Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft. Ihre drei Kinder waren damals vierundzwanzig, vierzehn und elf Jahre alt. Bis 1970 engagierte sie sich als Abgeordnete der Bürgerschaft in den Bereichen Schule, Soziales und Eingaben. Als besonderes Erfolgserlebnis ihrer politischen Arbeit bezeichnete sie die Durchsetzung der Verlängerung der Verjährungsfrist für NS-
    Verbrechen: Unrecht in dieser Dimension kann und darf nie verjähren. Nach ihrem Ausscheiden aus der Bürgerschaft wurde sie Geschäftsführerin der Staatspolitischen Gesellschaft und war auch als Geschäftsführerin in einem Abgeordnetenbüro tätig. Außerdem war sie Mitglied der Vereinigung ehemaliger Mitglieder der Hamburgischen Bürgerschaft.
    Text: Dr. Rita Bake

Bergedorf

    Anne Becker

    geb. Pritzl

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    29.05.1905
    Geesthacht
    -
    24.12.1990
    Hamburg
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    Anlegerin beim Bergedorf-Sander Volksblatt; Sozialdemokratin, Mitglied im Arbeitersportverein "Freie Turnerschaft Bergedorf-Sande von 1885", Gründerin der Lohbrügger SPD-Frauengruppe, seit 1974 Vorsitzende der AWO-Lohbrügge, Trägerin der Silbernen Ehrennadel der Bezirksversammlung Bergedorf
    Namensgeberin für Anne-Becker-Ring, Lohbrügge, seit 2016
    Grablage: NU, Nr. 13-14

    "Anne Becker wurde am 29. Mai 1905 als einziges Mädchen von 5 Kindern im damals hamburgischen Geesthacht geboren. Die Tochter eines Brauergesellen wuchs in bescheidenen Verhältnissen in Bergedorf am ,Lusbusch' auf. So nannte der Volksmund diese Gegend um die erste und zweite Querstraße, die Grabenstraße und den Weg ,Hinter den Querstraßen'.
    Viele Bergedorfer missverstanden Lusbusch als Läusebusch.Doch der Name kam von einem
    der Grundstücksbesitzer, dem Bauunternehmer Lohse. [1]
    Schon in ihrer Kindheit wurde Anne Becker sozialdemokratisch geprägt. Ihre Mutter hatte "Die Gleichheit' abonniert. Früh trat sie in den Arbeitersportverein ,Freie Turnerschaft Bergedorf-Sande von 1885' und die Sozialistische Arbeiterjugend ein. Als nicht getauftes Kind nahm sie mit ihrem zwei Jahre jüngeren Bruder Michael gemeinsam 1921 an der ersten Jugendweihe in Bergedorf teil. Die gelernte Anlegerin arbeitete beim Bergedorf-Sander-Volksblatt. 1927 zog die Familie nach Lohbrügge, damals Sande, wo sich Anne bis zur Nazidiktatur in der Sozialdemokratischen Partei engagierte. 1943 stand sie als Kriegswitwe mit einem halbwüchsigen und zwei kleinen Kindern allein da.
    Anne Becker ließ es sich trotzdem nicht nehmen, nach der Befreiung 1945 neben ihrer beruflichen Tätigkeit, sich bei den Falken, die sie mit gründete und bei der SPD, vor allem im Frauenbereich, politisch zu engagieren. Sie gründete die Lohbrügger SPD-Frauengruppe (später AsF) und veranstaltete nicht nur Treffen, sondern organisierte Tagesfahrten und zweimal jährlich Reisen.
    Seit 1974 war sie Vorsitzende der AWO-Lohbrügge. Ihre letzte große Reise betreute sie im Juni 1990. Bis zu ihrem Tod am 24. Dezember 1990 war sie Beisitzerin im SPD-Distriktsvorstand und Vorsitzende der AWO Lohbrügge. An ihrem 85. Geburtstag wurde ihr die Silberne Ehrennadel der Bezirksversammlung verliehen, auf die sie sehr stolz war."
    Text: Helmuth Sturmhoebel
    1 Nach Alfred Dreckmann: "Wer nicht getauft ist, aufsteh'n", VSA-Verlag, Hamburg 1987

    Marie Henning

    geb. Mahn(c)ke, verh. Rohde, verw. Henning

    Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft (KPD, 1931-1933)

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    26.12.1895
    Nessentiner Hütte
    - 5.1.1948
    Hamburg
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    Grabstätte, Abt.34, Nr. 250

    Marie Henning war seit 1913 mit dem KPD-Bürgerschaftsabgeordneten Ernst Henning verheiratet. Das Paar hatte drei Kinder. Nach der Ermordung ihres Mannes durch SA-Männer am 14. März 1931 war Marie Henning, die seit 1920 ebenfalls der KPD angehörte und u. a. in der frauenpolitischen Arbeit der KPD-Bezirksleitung Wasserkante tätig war, von 1931 bis zur Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 ebenfalls Mitglied (KPD) der Hamburgischen Bürgerschaft. 1936 heiratete sie den ehemaligen Reichsbannerführer Carl Rohde, der 1944 bei der Explosion einer Panzerfaust tödlich verunglückte.
    Marie Henning wohnte mit ihren drei Kindern in Hamburg-Bergedorf in der Hassestraße 11. Während der NS-Zeit wurde sie mehrfach von der Gestapo inhaftiert, so von Mai bis Juni 1933, im März 1936 und von August bis Ende September 1944.
    Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus war Marie Henning bis zu ihrem Krebstod im Komitee ehemaliger politischer Gefangener in Hamburg-Bergedorf aktiv. [1]
    Text: Rita Bake
    1 Vgl: wikipedia.org/wiki/Marie_Henning (Stand: 12.4.2015)

    Kristin Heyne

    Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft (GAL) von 1989 bis 1990

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    25.2.1952
    Aumühle bei Hamburg
    -
    30.1.2002
    Berlin
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    Grabstätte: Abt. 23, Nr. 84-85

    Kristin Heyne, geboren in Aumühle bei Hamburg, war Lehrerin, zeitweilig auch Hausfrau.
    Als in den 1980er Jahren anlässlich der Anhörung "Kinderkriegen in Hamburg" Kleinkinder auf dem roten Rathausteppich herumkrabbelten und die Papierkörbe im Rathaus voller Windeln waren, freute sich die damalige GAL-Abgeordnete Kristin Heyne. Selbst Mutter von zwei Kindern und 1982 der GAL beigetreten, gehörte sie zu den Mitbegründerinnen der Grünen Alternativen Liste (GAL). Bis 1986 saß sie für die GAL in der Bezirksversammlung Bergedorf und war im Bezirksvorstand der GAL tätig. 1986 initiierte sie mit anderen Frauen aus der GAL die Frauenliste, die als Frauenfraktion in die Hamburgische Bürgerschaft einzog.
    Als Nachrückerin wurde Kristin Heyne vom 16.2.1989 bis Sommer 1990 Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft, ab dem 28.3.1990 als Fraktionslose. Ihre politischen Schwerpunkte als Abgeordnete legte sie auf die Bereiche Energie, Gesundheit, Kinder und Drogen. Wegen ihrer Brustkrebserkrankung legte Kristin Heyne 1990 ihr Bürgerschaftsmandat nieder. Im selben Jahr wurde sie Lehrerin an einer Hamburger Grundschule. In den Jahren zuvor hatte sie nach ihrem Lehramtsstudium in der Erwachsenenbildung und in der Krankenpflege gearbeitet. Nachdem sie den Krebs meinte besiegt zu haben, kandidierte sie 1994 erfolgreich für den Bundestag. In ihrer ersten Legislaturperiode war sie Koordinatorin des Arbeitskreises Wirtschaft und Finanzen der Fraktion der Bündnisgrünen.
    Außerdem arbeitete sie als Mitglied im Haushaltsausschuss und als stellvertretendes Mitglied im Wirtschafts- und Finanzausschuss. Ihre Schwerpunktthemen als Bundestagsabgeordnete waren europäische und internationale Finanzbeziehungen und die Ökosteuer. 1998 wurde sie Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Bündnisgrünen Bundestagsfraktion. Im Jahr 2000 brach der Krebs wieder aus, Kristin Heyne kämpfte gegen ihn, und es schien, als ob sie ihn auch das zweite Mal besiegt hätte. So ließ sie sich für den GAl- Vorsitz aufstellen und wurde im November 2001 zur alleinigen ersten Vorsitzenden der GAL Hamburg gewählt. Bisher hatte der Vorsitz stets aus einer Doppelspitze (2 Personen) bestanden. Gleichzeitig behielt sie auch noch ihr Bundestagsmandat. Im Januar 2002 griff der Krebs zum dritten Mal zu. Einen Monat später starb Kristin Heyne.
    Text: Rita Bake

    Ernestine (Erna)

    Auguste, Josephine Martens

    Gründerin der Luisenschule in Hamburg Bergedorf

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    11.4.1861
    -
    29.1.1941
    Bergedorf
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    Grablage: Abteilung 32, Nr. 77-82

    1885 beschlossen die damals 24-jährigen Lehrerinnen Erna Martens und Mathilde Hipp in Bergedorf eine private Höhere Mädchenschule zu gründen. 1888 war es dann so weit, die beiden Frauen eröffneten diese Schule am 13.4.1888 in der Parterrewohnung im Gebäude Am Baum 1 und nannten sie "Luisenschule" nach Luise Prinzessin zu Mecklenburg u. Strelitz (1776-1810), die 1793 als Siebzehnjährige den späteren König Friedrich Wilhelm v. Preußen geheiratet hatte.
    Luise Pusch schreibt in ihrer fembio über Prinzessin Luise: "Die bis heute bei weitem beliebteste deutsche Königin war Luise - schön, anmutig, sanft, heiter, natürlich, charmant, ohne Allüren und Dünkel und ihrem überforderten und oft verstimmten Gatten, dem preußischen König Friedrich Wilhelm III., bedingungslos ergeben - nach einer kurzen Phase jugendlichen Aufbegehrens, das ihr bald restlos ausgetrieben wurde. Sie war das genaue Gegenbild der selbstbewussten Machthaberinnen Isabella, Elizabeth, Maria Theresia oder Katharina und eignete sich daher besonders gut zum geliebten, bald mythisch verklärten Vorbild deutscher Frauen." (http://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/luise-von-preussen/)
    Es gab 46 Anmeldungen, fünf Lehrerinnen und vier nebenamtlich tätige Lehrer. Das Schulgeld betrug vierteljährig 20/30/40 RM für die Unter - Mittel- Oberstufe..
    Das Erziehungsideal der Gründerinnen lautete: "Erziehung der Zöglinge zu echter Weiblichkeit nach dem Vorbild und zum Gedächtnis der Königin Luise von Preußen.".
    Tätiges Christentum, Vaterlandsliebe, Pflichtgefühl, Ordnung und Gehorsam wurden vermittelt. Auch sollte soziales Mitgefühl für die Armen und Schwachen erlernt werden. So nähten und sammelten die Schülerinnen im Cholerajahr 1892 für verwaiste Hamburger Kinder..
    Religion und Deutsch, Französisch, Englisch, Geographie, Geschichte, Naturlehre und Zeichnen/Kunst/Musik/Handarbeit standen auf dem Lehrplan. Auch wurde geturnt und gerechnet..
    In der Schulordnung hieß es u. a.:.
    "Die Schülerinnen der Luisenschule haben sich des Gehorsams, der Bescheidenheit und der Freundlichkeit gegen alle ihre Lehrerinnen und Lehrer sowie gegen sonstige Angestellte der Anstalt zu befleißigen, und untereinander verträglich und gefällig zu verkehren..
    In den Stunden ist eine ruhige Körperhaltung zu beachten; jegliches Plaudern, Spielen und Vorsagen während des Unterrichts ist strengstens verboten..
    Die Pausen sind durch Bewegungsspiele auszufüllen, wobei lautes Schreien und Toben zu vermeiden ist. (…).
    Auf dem Schulwege sowie namentlich beim Betreten und verlassen des Schulhauses wird ein gesittetes, ruhiges Betragen verlangt. Umherstehen auf der Straße ist untersagt." 1889 wurde das Haus Am Baum 1 gekauft und alle Etagen für Schulzwecke genutzt, die Schule wurde 9-klassig und hatte 1892 schon 100 Schülerinnen. 1909 wurde Latein und Mathematik fakultativ für die oberste Klasse eingeführt und es wurde erforderlich, die Luisenschule in eine 10-klassige Höhere Mädchenschule mit der Möglichkeit einer Lyzeumsbildung umzuwandeln. Das Haus wurde räumlich zu klein. Die letzte gemeinsame Arbeit von Erna Martens und Mathilde Hipp bestand in der Planung für den Schulneubau und in der Aufstellung eines Lehrplans für eine 10-klassige Höhere Schule auf der Grundlage der Hamburger und der Preußischen staatlichen Lyzen. Am 1.1.1911 wurde der Schulneubau in der Jacobsstraße (heute: Duwockskamp) bezogen. Ostern 1911 wurde die Schule 10-klassig. Mathematik für die Klassen 7 bis 10 wurde Pflichtfach. Mathilde Hipp ging aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand. "Fräulein" Martens schritt voller Energie und ungebrochener Vitalität als "Der Gewaltige" durch das neue Haus.
    Zum 25 jährigen Schuljubiläums 1913 erreichte Erna Martens ihr nächstes Ziel. Nach eingehender Prüfung erteilte die Oberschulbehörde der Luisenschule die Anerkennung als Lyzeum und Erna Martens fungierte nun als "Frau Lyzealdikretor". 1913 hatte die Schule 295 Schülerinnen und 21 Lehrkräfte.
    Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, verordnete Erna Martens: "möglichst in Ruhe im eingefahrenen Geleise die Arbeit fortzusetzen" und "alle Kraft für Kriegshilfearbeit einzusetzen". Die Schülerinnen strickten, sammelten, packten Pakete für die Soldaten, schrieben ihnen Briefe und leisteten Erntehilfe.
    Nachdem nach jahrzehntelangen Kämpfen von Frauen, diese das Frauenwahlrecht erstritten hatten und im November 1919 das Frauenwahlrecht für die Nationalversammlung verkündet worden war, war es wichtig, dass Frauen über ihr Wahlrecht aufgeklärt wurden. In Bergedorf engagierte sich besonders Erna Martens auf diesem Gebiet und hielt Vorträge auf parteilosen Versammlungen zum Thema "Wahlrecht und Wahlpflicht der Frauen".
    Am 3.9.1921 wurde die Luisenschule verstaatlicht und in "Staatliches Lyzeum in Bergedorf" umbenannt, da Königin Luise nicht mehr in die republikanische Landschaft passte. Erna Martens setzte mit Hilfe des Elternrates durch, dass die Luisenschule ihren alten Namen zurückerhielt, indem sie den Behörden glaubhaft machen konnte, mit Luise sei nicht die Königin Luise gemeint gewesen, sondern Luise Soltau, die eine verdienstvolle Förderin gewesen war.
    Erna Martens kämpfte dafür, dass das Kollegium geschlossen in den Staatsdienst übernommen wurde. 1921 musste Erna Martens den Schulleiterinnenposten aufgeben, denn zur Direktorin bestimmte die Oberschulbehörde die jüngste Lehrerin des Kollegiums, die damals 30-jährige Helene Popkes (Schulleiterin von 1921- 1933).
    Erna Martens war damals 60 Jahre alt und 33 Jahre lang Schulleiterin gewesen. Zu ihrem 60-sten Geburtstag ließen Eltern und Ehemalige ein Bronzerelief von Erna Martens anfertigen. Auf eigenen Wunsch arbeitete Erna Martens noch fünf Jahre lang bis zu ihrem 65-zigsten Lebensjahr als "schlichte" Oberlehrerin an ihrer verstaatlichten Schule und meisterte die neue Situation mit Humor und Anstand. 1925 ging Erna Martens dann in den Ruhestand.

    Frieda Stoppenbrink-Buchholz

    geb. Buchholz

    Pädagogin, Heilpädagogin, Vertreterin der Jenaplan-Pädagogik, Reformerin der "Hilfsschulpädagogik"

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    28.4.1897
    Breslau
    -
    25.3.1993
    Hamburg
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    Grabstätte: Abteilung 41, Nr. 42-44
    nach ihr benannt: Frieda-Stoppenbrink-Schule Neuwiedenthaler Straße 4

    Dr. Frieda Stoppenbrink-Buchholz, Tochter eines Schriftgießers und seiner Ehefrau, besuchte das Oberlyzeum und schloss ihre Schulausbildung 1916 mit dem Reifezeugnis ab.
    Sieglind Ellger-Rüttgardt schreibt in einem Portrait über Frieda Stoppenbrink-Buchholz: "Bereits als Jugendliche entwickelte sie ein starkes soziales Engagement, das stets durch die direkte Konfrontation mit Not und Elend ausgelöst wurde. Die Fähigkeit, Mitgefühl für den Nächsten zu entwickeln, sich verantwortlich zu fühlen und danach zu handeln, wurde ein für ihr ganzes Leben prägender Charakterzug. Während ihrer letzten vier Schuljahre organisierte sie gemeinsam mit anderen Schülerinnen regelmäßig Sammelaktionen, um notleidende Kinder in Breslau mit Nahrung und Kleidung zu versorgen. (…) Auch die ersten Kontakte zu Hilfsschülern hatte sie bereits als Jugendliche. Eine Tante war als Hilfsschullehrerin in Hamburg tätig (…). Ihr ausgeprägter sozialer Gerechtigkeitssinn sowie ihre frühen und zahlreichen Unterrichtsbesuche in der Hilfsschulklasse ihrer Tante waren sicherlich bedeutsame, aber keineswegs ausschließliche Motive führ ihren Entschluß, den Lehrerinnenberuf zu ergreifen. Diese Entscheidung war zugleich das Ergebnis sehr nüchterner Erwägungen , (…). Aufgrund der bescheidenen Einkommenssituation war es ihren Eltern nicht möglich, der Tochter ein langes Studium zu finanzierten: hier bot sich - wie so oft - der Lehrerberuf als Aufstieg an. (…) So kam es, daß Frieda nach Beendigung des Oberlyzeums in die Seminaristenklasse derselben Schule eintrat und diese nach einem Jahr mit dem Abschluß der Lehramtsprüfung verließ."
    1) 1917 trat sie in den Hamburger Schuldienst ein. Zwei Jahre später wurde sie "Hilfsschullehrerin" in Bergedorf. "Angeregt durch die intensive Beschäftigung mit den verschiedenen Strömungen der pädagogischen Reformbewegung machte sich Frieda Buchholz daran, mit viel Eifer, pädagogischem Geschick und großer Kompetenz, die Lernschule alten Stils hinter sich zu lassen. Dabei war das Bemühen um eine innovative Unterrichtspraxis auf engste verknüpft mit prinzipieller Infragestellung der Institution Hilfsschule."
    2) Neben ihrer Tätigkeit als Lehrerin studierte Frieda Stoppenbrink-Buchholz zwischen 1919 und 1925 Pädagogik und Philosophie an der Universität in Hamburg. "Bedeutungsvoll für ihren weiteren Weg wurde der Kontakt zu Peter Petersen, der in Hamburg ab 1920 die Versuchsschule Lichtwarkschule leitete, Seminare und Vorlesungen an der (…) Hamburger Universität hielt und schließlich 1923 einem Ruf an die Universität Jena folgte."
    3) Er war es auch, der Frieda Stoppenbrink-Buchholz "aufforderte, über einen Schulversuch an der Hilfsschule im Sinne der pädagogischen Tatsachenforschung zu promovieren. Diesen Versuch, (…) führte sie von Oktober 1936 bis Oktober 1937 an der Hilfsschule in Hamburg-Bergedorf mit Schülern der Mittelstufe durch - allerdings nur in ihrer eigenen Klasse, weil ihre männlichen Kollegen nicht zuletzt aufgrund der befürchteten Mehrarbeit zu keiner Mitarbeit bereit waren."
    4) Frieda Stoppenbrink-Buchholz "versuchte (..) Elemente des Jena-Plans in ihrer Hilfsschule einzuführen, den Gruppenunterricht und Gesprächskreis, die Gestaltung des gesamten Schullebens u. a. durch Fest und Feier. Schließlich promovierte sie 1939 bei Peter Petersen in Jena über ihre Erfahrungen mit dem Jena-Plan. Ihr Fazit:
    ‚Auf Grund des halbjährlichen Versuchs kann festgestellt werden, daß die Idee des Jena-Plans auch da erfolgreich zum Erziehungs- und Unterrichtsprinzip gemacht werden darf, wo die pädagogische Arbeit an den Lehrer besondere Anforderungen stellt. Die unter dem Gesichtspunkte der Freimachung des Menschentums im Kinde erfolgte Auflockerung, die Einwirkungsmöglichkeit von Kind zu Kind als aktiver Faktor mitberücksichtigt, hat sich in der Hilfsschule zu erkennbaren Resultaten geführt. Es zeigten sich Ansätze für Kameradschaft und Gemeinschaftsgefühl, Arbeitsfreude fand natürlichen Antrieb, und Erstarkung der Selbständigkeit schuf aus Hilfsschülern bewußt in ihrer Umwelt stehende kleine Menschen mit leisem Gefühl für allgemeine Abhängigkeit und Verbundenheit von und miteinander. Der Jena-Plan hat sich auch in der Hilfsschule bewahrt.'"
    5) 1939 promovierte Frieda Stoppenbrink-Buchholz mit der Dissertation "Das brauchbare Hilfsschulkind - ein Normalkind". "Trotz der von Peter Petersen vorgeschlagenen und teilweise wohl auch realisierten stilistischen Anpassungsversuche an den neuen Geist - ablesbar etwa an dem Titel des Buches - wurde die veröffentlichte Dissertation ein Stein des Anstoßes. Kein Geringerer als der Leiter des Hamburger Erbgesundheitsgerichts wurde im Juli 1940 bei der Hamburger Schulbehörde vorstellig und führte Klage über die Hilfsschullehrerin Frieda Buchholz, die sich in entschiedener Weise gegen die Sterilisation einer ehemaligen Schülerin ausgesprochen hatte. Der Amtsgerichtsrat bescheinigte ihr ‚eine erschreckende Unkenntnis von den elementarsten Grundsätzen der Erbkunde … und zugleich eine Opposition gegen die vom Nationalsozialismus in den Vordergrund gestellte Erb- und Rassenpflege' und forderte unmißverständlich ihre Entlassung."
    6) Frieda Stoppenbrink-Buchholz, die Anfang der 1920er Jahre Mitglied der SPD geworden und nach 1933 auch nicht in die NSDAP eingetreten war, wurde nicht entlassen, denn "es gab Vorgesetzte in der Hamburger Schulbehörde, die ihr wohlgesonnen waren und die ihre Entlassung zu verhindern wußten."
    7) Frieda Stoppenbrink-Buchholz trat aber 1933 dem Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB) und 1935 der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) bei. Dazu schreibt Sieglind Ellger-Rüttgardt: "(…) zweifellos Formen der Anpassung, mit denen sie versuchte, die materielle Existenz für sich und die bei ihr lebenden Eltern sicherzustellen. Im Unterschied zu vielen anderen ihrer ‚deutschen Volksgenossen', war Frieda Buchholz allerdings darauf bedacht, den schwierigen Balanceakt der Anpassung nicht zu Lasten von Grundüberzeugungen und ethischen Wertmaßstäben zu vollziehen."
    8) Mit der Frage, inwieweit die Inhalte von Frieda Stoppenbrink-Buchholz' Dissertation die Ideologie des NS-Regimes erkennen lassen, beschäftigten sich später Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und kamen zu unterschiedlichen Bewertungen. "Sieglind Ellger-Rüttgardt schreibt: ‚Hier wurde nicht das Bild des erbkranken, minderwertigen Volksgenossen gezeichnet, sondern engagiert und voller Anteilnahme eine Lanze für jene Schüler gebrochen, die nach Auffassung von Frieda Buchholz vor allem durch ungünstige soziale Verhältnisse und das Versagen der allgemeinen Schule zu Hilfsschülern geworden waren.'"
    9) Und Robert Döpp ist der Ansicht: ‚Jenseits der Frage nach der wissenschaftlichen Dignität ihrer Ergebnisse ist die Arbeit besonders deshalb interessant, weil sie sich mit dem Thema 'Hilfsschule' auf im Sinne der 'eugenischen' Bestrebungen des NS-Regimes ideologisch überaus relevanten Terrain bewegte. Dabei war es Anspruch von Stoppenbrink-Bucholz, die vorgestellten 'brauchbaren Hilfsschulkinder' als 'sehr wertvolle Menschen' zu zeigen und damit einer Charakterisierung durch 'Begriffe wie Schwachsinn, Dummheit, Krankheit, Asozialität' entgegenzutreten... Letzten Endes blieb auch sie in der fatalen ,Logik' ihrer Argumentation gefangen: Das ,brauchbare Hilfsschulkind' ließ sich nur dadurch gegen den Vorwurf der Anormalität mit der drohenden Konsequenz der Zwangssterilisation verteidigen, dass seine prinzipielle ,Brauchbarkeit' im Dienst der nationalsozialistischen ,Volksgemeinschaft' behauptet wurde. Damit wurden aber zugleich ‚Brauchbarkeit' und ‚Normalität' als Maßstab der Beurteilung auch der ‚Schwachsinnigen' aufrechterhalten, dem diese keinesfalls gerecht wurden.'"
    10) "Ab 1941 tauchte Frieda Buchholz in der Kinderlandverschickung unter."
    11) 1943 heiratete sie den Volksschullehrer Hermann Stoppenbrink. Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus übernahm sie 1 1/5 Jahre die Schulleitung der Bergedorfer Hilfsschule. Hier machte ihr besonders das Desinteresse und [das] mangelnde Engagement auf Seiten von Kollegen"
    12) zu schaffen. Als 1948 an der Hamburger Universität eine Dozentur für Hilfsschulpädagogik zu besetzen war, wurde Frieda Stoppenbrink-Buchholz gefragt, ob sie diesen Posten übernehmen wolle. Nur zögernd nahm sie den Posten an, denn eigentlich wollte sie weiterhin bei ihren Schülern in der Bergedorfer Hilfsschule bleiben. Doch schließlich nahm sie die Stelle an. Sieglind Ellger-Rüttgardt schreibt dazu:"Die geweckte Erwartung, durch Einblick in alle Hamburger Hilfsschulen gewissermaßen an der Basis eine veränderte Unterrichtspraxis initiieren zu können, erfüllte sich nicht. Bei den Praktikern stieß sie auf weitgehendes Desinteresse. (…) Sie hatte den Anspruch, pädagogische Theorie und Praxis miteinander zu verbinden, und sie erntete vermutlich deswegen so geringe Resonanz, weil diese alte Forderung zumindest bis in die jüngste Vergangenheit hinein weitgehend nur deklamatorischen Wert besaß. Die vielgerühmte Dignität der Praxis, von der vornehmlich die männlich geprägte Wissenschaft spricht, hier wurde sie tatsächlich respektiert. Sie schrieb durchaus wissenschaftliche Beiträge, und sie hielt Vorträge, Vorlesungen und Seminare, aber dies alles geschah nicht auf der Basis von reiner Stubengelehrsamkeit oder akademischem Verwertungsinteresse, sondern war eingebettet in praktische Erfahrung und sollte der Praxis selbst wieder zugute kommen. (…) Die Erkenntnis, daß sie ihre reformpädagogischen Zielvorstellungen nicht verwirklichen konnte, und die Erfahrungen einer belastenden Zusammenarbeit mit einem patriarchalisch agierenden Kollegen lassen die Zeit der Dozentur in ihren Augen (…) als eine berufliche Fehlentscheidung erscheinen: ‚Ich dachte, daß man was erreichen könnte, aber eigentlich bin ich gar nichts geworden.' "
    13) . Quellen:
    1) Sieglind Ellger-Rüttgardt: Weibliche Identität als aufrechter Gang - Das Beispiel der Heilpädagogin Frieda Stoppenbrink-Buchholz, in: Astrid Kaiser, Monika Oubaid (Hrsg.): deutsche Pädagoginnen der Gegenwart. Köln, Wien 1986, S. 28.
    2) Zit. nach Wikipedia: Frieda Stoppenbrink-Buchholz (abgerufen: 6.1.2018)
    3) Sieglind Ellger-Rüttgardt: Weibliche Identität als aufrechter Gang, a. a. O., S. 29.
    4) ebenda.
    5) Frieda Stoppenbrink-Buchholz: Das brauchbare Hilfsschulkind - ein Normalkind. Weimar 1939, S. 167. Zit. nach: Wikipedia: Frieda Stoppenbrink-Buchholz (abgerufen: 6.1.2018)
    6) Sieglind Ellger-Rüttgardt: Weibliche Identität als aufrechter Gang, a. a. O., S. 30f.
    7) Sieglind Ellger-Rüttgardt: Weibliche Identität als aufrechter Gang, a. a. O., S. 31.
    8) Sieglind Ellger-Rüttgardt: "Man darf nie im Leben etwas gegen sein Gewissen tun." Frieda Stoppenbrink-Buchholz: eine Hamburger Heilpädagogin, in: Reiner Lehberger, Hans-Peter de Lorent: Die Fahne hoch. Schulpolitik und Schulalltag in Hamburg unterm Hakenkreuz. Hamburg 1986, S. 245.
    9) ) [Zit. nach Wikipedia: Frieda Stoppenbrink-Buchholz, abgerufen 5.1.2018
    10) Robert Döpp: Jenaplan-Pädagogik im Nationalsozialismus. Münster/Hamburg/London 2003, S. 473., zit. nach Wikipedia, a. a. O.
    11) Sieglind Ellger-Rüttgardt: "Man darf nie im Leben etwas gegen sein Gewissen tun, a. a. O., S. 248.
    12) Sieglind Ellger-Rüttgardt: Weibliche Identität als aufrechter Gang, a. a. O., S. 32.
    13) Sieglind Ellger-Rüttgardt: Weibliche Identität als aufrechter Gang, a. a. O., S. 33.

    Ortrud Gerda Ursula Westphal

    Opfer der NS-Euthanasie Grablage: Abteilung 14 bei Kapelle 1 (Gedenkstein)

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    25.6.1906
    -
    5.5.1944
    Heil
    -
    und Pflegeanstalt Wien
    "Wagner von Jauregg"
    (Steinhof))
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    Stolperstein: Ecke Gustav Mahler Platz/ Große Theaterstraße: Betriebsgebäude der "Hamburgischen Staatsoper", vor dem Eingang zum Ballett

    Ursula Westphal kam im Sommer 1906 während eines Urlaubs des Ehepaares Otto (1876-1946) und Friederike (Frieda), geb. Bruns, auf der Nordseeinsel Spiekeroog zur Welt. Sie war das zweite Kind des Ehepaares, welches 1904 in Mühlhausen im Elsass geheiratet hatte. Ursulas Vater war Zahnarzt und hatte die Praxis seines Vaters in der Großen Theaterstraße in Hamburg übernommen sowie das dazugehörige Etagenhaus, in dem die Familie lebte. Ursulas Großvater, Karl Bruns, war Schriftsteller und arbeitete für den "Hamburger Correspondenten".
    1919 starben zwei von Ursulas jüngeren Schwestern, Ruth und Christa. Gleichzeitig erwartete ihre Mutter das achte Kind.
    Ursula Westphal besuchte die Klosterschule am Holzdamm, ein Realgymnasium für Mädchen. Ihre Nichte Roswitha Klau-Westphal berichtete 1998 auf einem Symposion "Zur Geschichte der NS-Euthanasie in Wien" über den Leidensweg ihrer Tante Ursula und beschrieb sie als eine schöne junge Frau mit vollen roten Haaren, die wie eine Löwin um Selbstbestimmung und persönliche Freiheit kämpfte. Zu Hause wurden Ursula viele Hausfrauenpflichten übertragen, so hatte sie mit ihren kleineren Geschwistern an der Alster spazieren zu gehen oder ihrer Mutter bei der Hausarbeit zu helfen. Dagegen rebellierte Ursula. Sie sah es nicht ein, dass immer nur sie und nicht etwa auch ihre Brüder im Haushalt mithelfen sollte. Warum sollte sie z. B. ihrem älteren Bruder, der im Hinterzimmer über seinen Büchern saß, einen Teller mit Butterbroten bringen, sie hatte doch selber Schularbeiten zu machen. Für ihre Aufmüpfigkeit wurde Ursula hart gezüchtigt.
    Nach der Mittleren Reife besuchte Ursula die Berufsschule und begann 1924 mit dem Studium an der Kunstgewerbeschule am Lerchenfeld.
    1929 mietete der Maler und Graphiker Karl Kluth (1898-1972), einer der führenden Köpfe der Hamburgischen Sezession, das Atelier im Dachgeschoss von Ursulas Elternhaus. Hier malte er ein Bild von ihr, als Akt, auf einem roten Sofa liegend. Dieses Gemälde, Öl auf Leinwand, befindet sich heute in der Hamburger Kunsthalle und galt nach nationalsozialistischer Auffassung als "Entartete Kunst". Es war mit einer der Gründe, warum die 12. Sezessionsausstellung 1933 abgebrochen wurde.
    Vielleicht hat Ursula sich zum ersten Mal frei und unabhängig gefühlt, als sie als junge Frau nach Düsseldorf ging, um zur Probe in einem graphischen Betrieb zu arbeiten, doch die Anstellung kam nicht zustande. Sie geriet in finanzielle Not und wurde wegen einer psychischen Erkrankung in die Anstalt Grafenberg eingewiesen und kam anschließend im Sommer 1932 in die Staatskrankenanstalt Friedrichsberg. Ihr eigentlicher Leidensweg aber begann in der Silvesternacht 1932, in der sie nach einer erneuten Erkrankung in die Alsterdorfer Anstalten eingewiesen wurde. Von dort wurde sie zehn Jahre später, am 16. August 1943, zusammen mit 228 Frauen und Mädchen mit Behinderung im Rahmen der "Aktion Brand" in die Wiener Euthanasieanstalt am Steinhof verbracht. Dieser letzte große Transport fand nach den schweren Luftangriffen auf Hamburg statt. Ca. acht Monate später verstarb Ursula angeblich an einer Lungenentzündung.
    Dr. Michael Wunder, Historiker und heute leitender Mitarbeiter der "Evangelischen Stiftung Alsterdorf", erwähnte in seinem Vortrag auf dem oben genannten Symposion 1998 in Wien, nachzulesen in der Publikation "Spurensuche Irma" von Antje Kosemund: "Sie [Ursula] galt in Alsterdorf immer als lebenslustig, aber auch als wild und unruhig, was wahrscheinlich auch der Grund ihres Abtransportes war. Sie wog 45 Kilo, als sie in Alsterdorf selektiert wurde. Wenige Monate später heißt es in der Wiener Akte: liegt im Bett, ängstlich, unrein, zupft Wäsche. Ein halbes Jahr später: ganz pflegebedürftig, spricht nichts, liegt immer unter der Decke, immer ruhig. Kurz vor ihrem Tod liest sich der Eintrag: reagiert nicht auf Ansprache. Gewicht 33 Kilo."
    Die Tötungsmethode in der Wiener Anstalt war eine rasche Entkräftung durch "Verhungernlassen", gezielte Unterkühlung und Verabreichung von Medikamenten wie z. B. Luminal. Stets wurde ein "natürlicher Tod" wie Lungenentzündung als Todesursache angegeben.
    Durch die Bemühungen ihrer Mutter konnte Ursulas Urne im Familiengrab auf dem Friedhof in Hamburg-Bergedorf beigesetzt werden. Dort wurde am 8. Mai 2001 auf Initiative von Roswitha Klau-Westphal und mit Unterstützung der "Evangelischen Stiftung Alsterdorf" sowie der "Geschwister-Scholl-Stiftung" ein Gedenkstein aufgestellt, der an das Schicksal Ursula Westphals erinnert. Ursula Westphal wurde auf dem Friedhof Hamburg Bergedorf ( August-Bebel-Straße) Abteilung 14 bei Kapelle 1 beigesetzt. Auf dem Friedhof erinnert seit 2001 ein Gedenkstein an die Euthanasieopfer.
    Text: Susanne Rosendahl

Eimsbüttel

    Prof. Dr rer. nat. Lygia-Therese Budnik

    geb. Scibor

    Wissenschaftliche Arbeitsgruppenleiterin

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    17.11.1953
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    20.11.2020
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    Neuer Friedhof Niendorf Abt. 6, Reihe 54a, Nr. 04

    Lygia-Therese Budnik war wissenschaftliche Arbeitsgruppenleiterin im Zentrum für Psychosoziale Medizin. Arbeitsbereich: Immunologie. Von 2004 bis 2013 arbeitete sie als Privatdozentin für Biochemische Endokrinologie und ab 2013 als Professorin für Arbeitsmedizin und Maritime Medizin. Ihre Tätigkeitsschwerpunkte waren das analytische Fachlabor für Toxikologie und Immunologie. 1) Sie beschäftigte sich in erster Linie mit Umweltgiften. Z. B. gab sie zusammen mit Xaver Baur 2013 das Buch "Arbeitsmedizin mit klinischer Umweltmedizin" heraus.
    Ihre Forschungen interessierte nicht nur die Fachwelt. So berichtete z. B. 2008 der Kölner Stadt- Anzeiger unter dem Titel "Container belastet Desinfektion kann krank machen" über die von Lygia-Therese Budnik mit anderen ForscherInnen verfasste Hamburger Studie, in der es um giftige Chemikalien ging, "mit denen Millionen von Frachtcontainern weltweit in den Häfen entkeimt werden".2) Solche Entkeimungen "die Gesundheit der Verbraucher - obwohl sie die Bevölkerung eigentlich schützen sollen. Die Untersuchung hat gezeigt, dass sich die gefährlichen Gase teilweise auch auf den eingeführten Waren ablagern. (…) Die Rückstände der chemischen Mittel könnten unter anderem Hautallergien, Atembeschwerden und Asthmaanfälle auslösen (…). In höheren Konzentrationen könnten sie auch zu Lungenentzündungen und Lungenödemen führen. Einige der Gase gelten als krebserregend. (…) Weil der internationale Handel wächst und daher Millionen von Frachtcontainern kreuz und quer durch die Welt reisen, haben viele Länder strenge Desinfektionsregeln in ihren Häfen eingeführt. Damit wollen sie verhindern, dass bestimmte Tier- und Pflanzenarten sowie gefährliche Mikroorganismen eingeschleust werden In der Regel werden die Container mit Gasen - auch mit Pestiziden - desinfiziert. Diese Substanzen stellen der Studie zufolge nicht nur für die Hafenarbeiter ein Gesundheitsrisiko dar, sondern auch für die Verbraucher. (…) Die Hamburger Forscher beklagten, dass es keinerleiWarnhinweise auf den Containern gebe." 2)
    2016 veröffentlichte Lygia-Therese Budnik mit anderen den wissenschaftlichen Artikel: "Alternative Medikamente werden global". Darin heißt es: "Mit zunehmender Globalisierung stehen den internationalen Verbrauchern zunehmend kulturelle Heilmittel aus chinesischen, ayurvedischen, arabischen und anderen Traditionen zur Verfügung, die unbekannte ‚natürliche Gesundheitsprodukte' (NHP) anbieten, die als alternative Medizin oder ergänzende Medizin verwendet werden. In mehreren dieser Produkte aus verschiedenen Teilen der Welt, insbesondere aus einigen Teilen Asiens und des Orients, wurde eine Kontamination mit toxischen Inhaltsstoffen wie Blei, Quecksilber, Arsen und anderen toxischen Elementen dokumentiert. Ergebnisse Wir haben diese Entwicklung in den letzten 6 Jahren verfolgt und in einer Pilotstudie n = 20 solcher Produkte (60 Analysen) von Patienten mit Vergiftungssymptomen analysiert, die alarmierend hohe Konzentrationen an Quecksilber und / oder Blei zeigten (…).82% des untersuchten NHP enthielten Bleikonzentrationen über dem EU-Grenzwert für Nahrungsergänzungsmittel. 62% der Proben überschritten die Grenzwerte für Quecksilber. Erhöhte Blei- und Quecksilberwerte im Blut bei Patienten sowie klinische Vergiftungssymptome bestätigen die kausale Annahme einer oder mehrerer Vergiftungen. (…).
    Schlussfolgerungen Für NHP gibt es Hinweise auf ein ausgeprägtes toxikologisches Risiko mit alarmierend geringem Bewusstsein für eine mögliche Vergiftung, die in den betroffenen Fällen potenziell lebensrettende Diagnoseschritte verhindert In vielen Fällen teilen Patienten die Ereignisse nicht ihren Ärzten oder der örtlichen Gesundheitsbehörde mit, (…). Es ist daher dringend erforderlich, das Bewusstsein zu schärfen und geeignetere Überwachungssysteme (z. B. nationale Überwachung von Vergiftungen) und Kontrollpraktiken zum Schutz der Öffentlichkeit zu initiieren." 3)
    2018 veröffentlichte mit anderen "Immunologische Metheoden zur Diagnose IgE-vermittelter Allergien. Gesundheitsrisiken im internationalen Container- und Schüttguttransport durch flüchtige toxische Verbindungen." Und 2019 hieß eine Veröffentlichung: "Immunologische Methoden zur Diagnose und und Überwachung von IgE-vermittelten Allergien durch industrielle Sensibilisierungsmittel (IMExAllergy)". Im Abstrakt dazu heißt es: "IIndustrielle Sensibilisierungsmittel (Allergene) in Lebens- und Arbeitsumgebungen spielen eine wichtige Rolle bei der Auslösung von allergischen Erkrankungen des Typs 1, einschließlich Asthma und allergischer Rhinitis. Eine erfolgreiche Behandlung allergischer Erkrankungen erfordert die Identifizierung ihrer spezifischen Ursachen (d. h die Identifizierung des Erregers (der Erreger) und des Kontaktwegs zum Allergen: in der Luft oder auf der Haut), um eine weitere Exposition zu vermeiden. Die Identifizierung der Sensibilisierung durch eine empfindliche und validierte Messung des spezifischen IgE ist ein wichtiger Schritt in der Diagnose. Auf dem Markt ist jedoch nur eine begrenzte Anzahl von Umwelt- und Berufsallergenen für die Verwendung in sIgE-Tests verfügbar. Dementsprechend sind häufig spezifische interne Tests durch einzelne Diagnose- und Laborzentren erforderlich. Zur Zeit, In verschiedenen Diagnosezentren werden verschiedene immunologische Tests durchgeführt, die häufig zu erheblich unterschiedlichen Ergebnissen führen, was hauptsächlich auf das Fehlen einer standardisierten Allergenpräparation und standardisierter Verfahren sowie auf eine unzureichende Qualitätskontrolle zurückzuführen ist. (…),Die Anforderungen an die vollständige Transparenz des Inhalts von Allergenpräparaten mit Einzelheiten zur Normung und Qualitätskontrolle werden unterstrichen. Die Entwicklung von Standardarbeitsanweisungen für interne sIgE-Assays sowie die klinische Validierung, die zentralisierte Qualitätskontrolle und Audits werden hervorgehoben. Es besteht auch ein Bedarf an spezialisierten Labors, um einen kundenspezifischen Service für die Entwicklung von Tests zur Messung mutmaßlicher neuartiger Berufsallergene bereitzustellen, die nicht im Handel erhältlich sind." 4)
    Quellen:
    1) https://www.uke.de/allgemein/arztprofile-und-wissenschaftlerprofile/wissenschaftlerprofilseite_lygia_budnik_8215.html
    2) Kölner Stadt-Anzeiger vom 7.10.2008, unter: https://www.ksta.de/container-belastet-desinfektion-kann-krank-machen-13621972
    3) in: Zeitschrift für Arbeitsmedizin und Toxikologie. - 11 (2016), Artikel Nr. 49, siehe unter: https://refubium.fu-berlin.de/handle/fub188/20397?show=full&locale-attribute=de
    4) unter: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1111/all.13809

    Friedrike (Friedel) Büscher

    geb. Bade

    Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft

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    13.3.1913 Hamburg, gest. 27.1.2004
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    Grablage: Abt. 6, Teihe 54, Nr. 5, Alter Friedhof

    Bis zu ihrer Heirat im Jahre 1939 mit dem Sozialdemokraten und Maurer Karl Büscher war Friedel Büscher Bilanzbuchhalterin, dann Hausfrau. Ab 1925 aktiv bei den "Kinderfreunden". 1927 Eintritt in die "Sozialistische Arbeiterjugend" (SAJ), 1931 Mitglied der SPD bis zu ihrem Verbot.
    Als die Nationalsozialisten die Macht übernahmen, wurde Friedel Büschers damals noch Freund Karl als "staatspolitisch unzuverlässig" eingestuft. Dies bedeutete für ihn, dass er vielfach arbeitslos wurde. Seine zukünftigen Schwiegereltern - auch Mitglieder der SPD - nahmen in in ihrem Haus in Niendorf auf.
    Ein Jahr nach der Hochzeit wurde Karl Büscher 1933 im Alter von 33 Jahren zur Wehrmacht eingezogen. 1943 wurde er verwundet. Während dieser Zeit bekam er zweimal Urlaub: Das erste Mal, als sein Bruder Hans als Soldat getötet wurde und gleichzeitig die Tochter von Karl und Friedel Büscher geboren wurde. Das zweite Mal, nach dem Bombenangriff auf Hamburg im Juli 1943. Nach der Zeit des Nationalsozialismus trat Friedel Büscher 1945 wieder der SPD bei..Im selben Jahr wurde sie Mitbegründerin der SPD in Hamburg-Niendorf. Ihr Mann Karl bekam eine Anstellung im Arbeitsamt (Abteilung Bau) in der Kieler Straße und wurde in der Gewerkschaft Fachgruppenobmann der Maurer Hamburgs, außerdem saß er im Verwaltungsrat der IG Bau-Steine-Erden. Darüber hinaus war Karl Büscher von 1948 bis 1970 Distriktvorsitzender der SPD Niendorf.
    Friedel Büscher war von 1949 bis 1970 Mitglied der Bezirksversammlung Hamburg-Eimsbüttel, außerdem Mitglied im Ortsauschuss Hamburg-Lokstedt - von seiner Gründung bis zum Jahre 1966. Weiterhin agierte sie im Landesfrauenausschuss und im Elternrat.
    Kommunalpolitisch setzte sie sich ein für die Kleingärtner, die der Flughafenerweiterung weichen mussten, und für den Schulbau.
    Als 1966 Hamburg-Niendorfs Einwohnerinnen- und Einwohnerzahl das Limit erreicht hatte, um eine(n) Bürgerschaftsabgeordnete(n) zu stellen, zog sie als erste Niendorferin ins Parlament. Friedel Büscher war von 1966 bis 1978 Bürgerschaftsmitglied. Sie legte im Alter von 55 Jahren ihr Mandat nieder, um ihr Enkelkind zu betreuen: "Wer für die Emanzipation der Frau streitet, muss auch etwas dafür tun". Ihre Tochter eröffnete in dieser Zeit eine Facharztpraxis.
    Frau Büschers Arbeitsschwerpunkte während ihrer Abgeordnetenzeit waren: Mitglied der Bodenordnungskommission, stellvertretende Vorsitzende im Bauausschuss, Mitglied des Haushaltsausschusses der Finanzbehörde und des Rechungshofes.
    Zu ihren Erfolgserlebnissen zählte sie ihr gutes Ansehen in der Fraktion. Es gelang ihr, sich Gehör zu verschaffen, und dadurch vielen Menschen helfen zu können. Sie hätte es gern erreicht, dass die Häuser in der Hafenstraße zu Anfang der einsetzenden Auseinandersetzungen abgerissen worden wären -"das hätte viel erspart", sagte sie.
    Ihre 34 Jahre aktive Kommunalpolitik - davon zwölf Jahre Bürgerschaftsarbeit - konnte sie mit ihrem Privatleben gut vereinbaren, da sie von ihrem Mann und ihrer Mutter unterstützt wurde. Nach ihrer Abgeordnetenzeit war sie Deputierte der Baubehörde, später Mitglied im Bezirkssenioren- und Landesseniorenbeirat und im Alter von 81 Jahren noch in einer Frauengruppe aktiv. 1979 erhielt sie das Verdienstkreuz am Bande. Sie hatte lange gezögert, diesen Orden entgegenzunehmen: "Hamburger und Hamburgerinnen schmücken sich nicht mit Orden". Aber ihrer Tochter zuliebe und für das Enkelkind nahm sie die Ehrung an.
    Text: Dr. Rita Bake

    Louise Besser

    Leiterin des Fröbelseminars Bundesstraße Nr.41: Ehemals hier das Fröbel-Seminar. Ausbildung junger Kindergärtnerinnen und Sozialpädagoginnen.

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    12.4.1889
    -
    6.9.1982
    Hamburg
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    (Inschrift noch vorhanden) (Wirkungsstätte) Osterstraße 13 (Wohnadresse von Louise Besser).
    Grablage: Alter Friedhof Niendorf, Abt. V, Reihe 48, Stelle 18

    1947 war Louise Besser nach Hamburg gekommen und übernahm dort den Posten einer Studienleiterin für junge Abiturientinnen am Fröbel-Seminar in der Bundesstraße. Das Seminar bildete nach der Fröbel-Methode Kindergärtnerinnen aus.1948 wurde sie dann Direktorin des Fröbel-Seminars und war dies bis 1954.
    Ebenfalls 1948 gründete sie, die in Göttingen mit anderen Männern den 1938 aufgelösten Fröbelverband unter dem neuen Namen "Pestalozzi-Fröbel-Verband" neugegründet hatte, mit weiteren Frauen in Hamburg eine Zweigstelle des Fachverbandes. 10 Jahre war Louise Besser Vorsitzende des Pestalozzi-Fröbel-Verbandes. 1954 wurde sie Vorsitzende des neugegründeten Vereins "Aktion Kinderparadies" zur Errichtung und Förderung von Kinderspielplätzen. Außerdem war sie ehrenamtlich noch im Verein Nachbarschaftsheim St. Pauli tätig, wirkte in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) mit und auch in der Erziehungsberatung. 1954 trat sie als Direktorin des Hamburger Fröbelseminars in den Ruhestand. Louise Besser lebte mit ihrer Freundin, der Ärztin Dr. Erika Schädrich zusammen. Sie wohnten in der Osterstraße 13. 1959, im Alter von 70 Jahren erhielt Louise Besser das Große Bundesverdienstkreuz.
    Text: Rita Bake

    Alma de L'Aigle

    Schriftstellerin, Reformpädagogin, Rosenspezialistin

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    18.2.1889
    Hamburg
    -
    14.3.1959
    Hamburg
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    Im Garten der Frauen befinden sich zwei Rosen, die  nach der verstorbenen Reformpädagogin, Schriftstellerin und Rosenspezialistin Alma de L'Aigle und an die Politikerin, Autorin und Übersetzerin von Gartenbüchern Anke Kuhbier benannt sind. Alma de L'Aigle wurde auf dem Friedhof in Niendorf bestattet, Anke Kuhbier auf dem Ohlsdorfer Friedhof.  
    Appener Weg 3 (Wohnadresse; Teil des Gartens öffentlich zugänglich) Grablage: Alter Niendorfer Friedhof in Abteilung VI, Reihe 19, Lage 10 Alma de I'Aigle wurde 1889, hundert Jahre nach der französischen Revolution, vor der ihre hugenottischen Vorfahren ins damals dänische Schleswig Holstein geflohen waren, als älteste Tochter des Juristen und Staatsaktoir Alexander und seiner Frau Christine, geb. Wokters in Hamburg geboren. Dass der Vater sich aufgrund einer Justizreform mit halben Gehalt aus seinem Amt zurückziehen und seinen gärtnerischen Neigungen folgen konnte, führte für Alma und ihre jüngeren Schwestern Claudine und Anita zu einer ungewöhnlichen Sozialisation, die ihr Leben bestimmte. Die drei Schwestern wuchsen in einem Garten auf, der heute inmitten der Großstadt liegt, damals jedoch jenseits der Tore Hamburgs, ein Garten, dessen Früchte die Familie ernährte, durch unmittelbaren Genuss ebenso wie durch Verkauf der besten Früchte an das Feinkostgeschäft Heimerdinger am Neuen Wall. Dieses Grundstück hatte Almas Vater ein Jahr vor ihrer Geburt gekauft. Es war 8000 qm groß und befand sich im heutigen Hamburg Eppendorf am heutigen Appener Weg. Es wurde mit einem Wohnhaus bebaut. Im hinteren Teil des Grundstückes legte er einen Garten an. In ihm wurden Apfelbäume und viele Rosen gepflanzt. Auch wenn das Leben dort materiell eher bescheiden war, der Zusammenhang mit der lebendigen Natur, mit Pflanzen und Tieren, machte das Leben reich. "Im stillen Garten lernte ich das stille Beobachten; später lernte ich sprechen. Ich war ganz Augenmensch. Gern wollte ich Malerin werden, aber die eigenen Berufswünsche mußten zurückstehen vor den praktischen Erwägungen der Eltern. So kam ich ins Lehrerinnenseminar und wanderte täglich hin und zurück den 1 ¼ stündigen Weg zum Holzdamm in der Hamburger Innenstadt im bodenlangen Kleid, die schwere Büchermappe in der Hand. Damit erwarb ich jedes Mal zehn Pfennig, die ich als Fahrgeld für einen Teil des Weges bekam", schreibt Alma de I'Aigle in ihren autobiographischen Notizen. Sie wurde eine engagierte Reformpädagogin, die sich weit über ihre Pflichten hinaus insbesondere für die armen und zurückgebliebenen Kinder einsetzte. Nach dem Lehrerinnenexamen für mittlere und höhere Mädchenschulen 1909 wollte sie sich zunächst nicht in ein geregeltes Schulleben einzwängen lassen und lebte von Privatstunden. 1912 landete sie dann doch in einer staatlichen Hilfsschule für Schwachsinnige und ab 1927, nach einem Ausbildungsjahr als technische Lehrerin, unterrichtete sie in der Volksschule Bei der Hauptfeuerwache 1 in St. Georg und leitete dort auch eine Nähwerkstatt - für Kinder und Mütter. Über den häuslichen Hintergrund ihrer Schülerinnen schreibt sie; "Die Stadtteile St. Georg und Hammerbrook hatten diese Kinder geschickt. Traurige Stadtteile. Zwar hatte St. Georg immer noch etwas von der alten Geruhsamkeit der Sechzigerjahre an sich, in denen es entstanden war; das waren breit hingelagerte Stifte, niedrige Häuser, da entdeckte man plötzlich grüne Terrassen hinter einem Torweg, aber das alles war überwuchert von der Entwicklung der letzten Jahrzehnte, denn dieser Stadtteil war Hinterland zum Hauptbahnhof und ein Fremdenverkehr ziemlich übler Art hatte sich dort entwickelt. Der Stadtteil Hammerbrook war bis auf die breiten Durchgangsstraßen von vornherein als Zinsquelle für die Grundbesitzer angelegt worden. Da standen hohe billige Mietkasernen aneinander gedrängt in den baumlosen Straßen; sie zeugten von dem ?Aufblühen' der Industrie und dem Sog, den die Großstadt auf das weit umliegende Land ausgeübt hatte, kinderreiche Arbeiterfamilien bildeten den Grundbestand der Bewohner von Hammerbrook, hier war nichts von Fremdenverkehr und "Hotels": Armut und Sorge waren hier zu Hause, aber doch selten völlige Verelendung, denn selbst in den Jahren der furchtbaren Arbeitslosigkeit hatten diese Menschen festgehalten an etwas, das man eigentlich Wohnkultur nennen müsste." Aus der tiefen Überzeugung, dass lebendige Anschauung und Erfahrung, Sehvermögen und Wissen um die Dinge und menschliche Verhältnisse wichtiger ist als alle Theorie unterrichtete sie in einer höchst eigenwilligen Weise, von der ihre Schülerinnen noch heute mit großer Verehrung erzählen. So vertauschte sie den theoretischen Unterricht im dunklen Klassenzimmer häufig mit praktischem Unterricht in den nahe gelegenen Gartenanlagen des St. Georg Krankenhauses, die sich fast die ganze Lohmühlenstraße entlangzogen, machte mit ihren Schülerinnen, die Hamburg größtenteils nie verlassen hatten, jährlich Klassenfahrten und ging mit ihnen "an den Ladentisch", um sie zu selbständig urteilenden Verbrauchern zu erziehen. Um den Kindern einen Begriff von Zeit und Geschichte zu vermitteln, ging sie mit ihnen auf den Friedhof und ins Museum. Den Wert der Freundschaft wusste sie ihren Schülerinnen so innig zu vermitteln, dass die Schülerinnen ihrer letzten Klasse noch heute miteinander in Verbindung stehen. Das Besondere und Unverwechselbare, das die Erzieherin Alma de I'Aigle ausstrahlt, zeigt auch die Schriftstellerin, die aufschrieb, was sie aus persönlichem Erleben und Forschen im Laufe ihres Lebens erfuhr und lernte. Aus diesem Zugang zum Schreiben erklärt sich auch die Disparatheit ihrer Themen. "Beschaffenheitsmarken: für alle Waren als Grundlage für die freiwillige Rückkehr zur Qualitätsware", hieß ihr erstes Büchlein, das durch die schlechte Qualität der Waren während der Inflationszeit veranlasst war. Als Alma de I'Aigle 1944 aus gesundheitlichen Gründen als Hilfskraft an die Bibliothek des Pädagogischen Instituts versetzt worden war, entstand, quasi als Summe ihrer Erfahrungen und, wie sie selbst schreibt, aus Opposition gegen den "Nationalsozialismus, der immer mehr die Erziehung "ausgerichtet" hatte, bis in die Familie hinein" das umfangreiche Werk "Die ewigen Ordnungen in der Erziehung. Gespräche mit Müttern", dem der Verlag bei der zweiten Auflage den Titel "Elternfibel" voranstellte. Sie wendet sich in diesem ungewöhnlichen Buch, das auch heikelste Erziehungsprobleme mit größter Selbstverständlichkeit und Natürlichkeit behandelt, insbesondere an die Arbeiterfrauen und appelliert an deren Mutterinstinkt. "Es ist darin nicht nur von Spielzeug, Kinderreimen, Märchen, Lesenlernen, Naschen, Elternlügen, Kost, Textilhygiene, Prügeln, Basteln, Jugendgruppen, Natur, Kunst, neugesellschaftlichen Problemen, Menschheitsfragen, äußerlichen, innerlichen und höchsten Gütern die Rede", schreibt der Schriftsteller und Freund Hans Leip, "sondern auch von Vergnügen am Unheimlichen und am Unanständigen, von Schwarzer Magie und von öffentlichen Mädchen, von Gespenstern und Perversitäten, von Selbstbefleckung, gepflegter Erotik und vom Kinderkriegen. Das ist so unerwartet wie die wundersame Gesprächslenkung mit ihren Zöglingen über solche meist im Geheimen wuchernden Alltagsprobleme. Es ist geradezu ungewöhnlich. Hier könnte die selten mehr als penetrant unglückliche behördliche "Aufklärung" gründlich lernen, soweit Klugheit, Charm (!) und Behutsamkeit erlernbar sind. Das virtuos Praktische dieses Buches und das erschreckend Einsichtige wird so leichthin, so delikat, so angenehm lesbar vorgetragen. Es ruht auf breiter pädagogischer Erfahrung; es würzt sich mit dem Gruseln, den Ängsten, Irrungen, Visionen und Freuden der eigenen Kindheit ... Sollte der Menschheit erzieherisch noch zu helfen sein, müsste der Absatz der Elternfibel jene Millionenziffern erreichen, zu denen man Hitlers "Mein Kampf" hochputsche." Aus pädagogischem Antrieb und Erfahrung entstanden auch zwei Kinderbücher: "Die Kinder in ihrer Echtheit zu bewahren, das war mein stärkstes Anliegen. Was den Kleinen, die eben mühsam lesen gelernt hatten, an Literatur geboten werden konnte, war meistens in der Sprache der Erwachsenen oder in unecht-kindlicher Weise abgefaßt, während die Umgangssprache der Kinder immer primitiver wurde. Aus dieser Not heraus und aus den vielen Erlebnissen mit kleineren Kindern formten sich mir im Laufe vieler Jahre "Ganz kleine Geschichten" und "Alles wird wieder gut". In Bayern, wohin ihre Schülerinnen während des Zeiten Weltkrieges verschickt worden waren, schrieb sie für eine Weihnachtsfeier das "Tirschenreuther Krippenspiel" - "aus Opposition gegen die christentum-feindliche Einstellung". Trotz alledem schrieb sie in dieser Zeit Kinderbücher, die später als Lesefibeln im Grundschulunterricht eingesetzt wurden. Aber nicht erst der Nationalsozialismus bewog Alma de I'Aigle zu einer politischen Haltung. "Im ersten Weltkrieg habe ich neben der Schule einen Kriegsmittagstisch eingerichtet und geleitet, durch die Zeit der ersten Inflation hindurch. Die Frauen hatten das Stimmrecht bekommen, eine große Mitverantwortung wurde auf sie gelegt. Die alte Staatsform war zerbrochen, eine neue im Werden. In mir erwachte plötzlich der Sinn für Staatsrecht und Verfassung." Bei der ersten Zusammenkunft der Jungsozialisten in Hofgeismar hielt Alma de I'Aigle einen Vortrag über "Volk und Staat" und formulierte Thesenpapiere zum Thema "konservativ - revolutionär". In dieser Zeit begann ihre Freundschaft mit dem später als Angehöriger der Widerstandsbewegung hingerichteten Theo Haubach, durch den sie Berührung mit den Mitgliedern des Kreisauer Kreises bekam. Die Briefe des Freundes veröffentlichte sie 1947. Alma de I'Aigle gehörte zu den aktiven Mitgliedern des Freideutschen Kreises in Hamburg und wurde zu verschiedenen Entnazifizierungsaktionen herangezogen, wobei sie sich stets bemühte zu differenzieren und lediglich mit dem Nationalsozialismus Getarntes von nationalsozialistischem Geist zu trennen. Ihre eigene Mitarbeit am sozialdemokratischen Aktionsprogramm für den Weimarer Parteitag in den Jahren nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten hatte zur Verbrennung ihrer Bücher und zu zeitweisem Berufsverbot geführt. Gedenksteine im Niendorfer Gehege und am Kaiser-Friedrich-Ufer zum 50. Jahrestag der Bücherverbrennung 1988 sind sichtbare Zeichen der Erinnerung an diesen Teil ihres Lebens und Werks. Unter dem Eindruck der Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges und der sich verändernden Großstadtlandschaft entstand ein Werk ganz anderer Art mit dem schlichten Titel "Ein Garten". In diesem Roman eines Gartens erzählt Alma de I'Aigle von ihren Erfahrungen mit Blumen und Nutzpflanzen im elterlichen Garten mit einer so hinreißenden Leichtigkeit und Natürlichkeit, dass man glaubt, die Düfte zu riechen und die Gemüse und Früchte zu schmecken. "Teilzuhaben daran, wie jemand so innig, so achtungsvoll mit dem Werden und Vergehen der Blüten und Früchte und Bäume leben kann, ist wie ein kleiner Rausch und bleibt uns Heutigen, die wir ganz vergessen haben, wie es ist, nach innen zu horchen, vielleicht für immer ein Rätsel. ... Dieses Buch legt wunderbares Zeugnis davon ab, welche - ja, wenn man das sagen darf - Glückseligkeit die Hingabe an einen Garten bedeuten kann und dass es offensichtlich eine tiefe Beziehung ist, die man da eingeht. Abgesehen davon, dass dieses Buch sehr kundig macht, tut es auf seltsame Art wohl (Katrin Stender, NDR 4). Aus der Welt dieses Gartens heraus entstanden auch die Kinderbücher "Häsi und anderes geliebtes Getier", das fünfstellige Auflagen erreichte, und das "Starentagebuch". Alma de L'Aigle war nach der Befreiung vom Nationalsozialismus auch Gründungsmitglied des Deutschen Kinderschutzbundes und Mitglied der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften. Als Alma de I'Aigle 1952 beim Besuch einer Gartenbauausstellung in Hannover die neuesten Rosenzüchtungen sah, war sie tief enttäuscht von den "flattrigen, nicht duftenden und sogar schlecht riechenden modernen Züchtungen. Mit Wehmut dachte ich an die schönen duftenden Rosen im Garten meines Vaters. Ich begriff, daß hier eine Entwicklung sich anbahnte, die ihre Richtlinien vom technischen Zeitalter nahm und nicht mehr aus dem Zentrum des Menschlichen. Ich fand zurück zur Gartenliebe unseres Vaters und unserer Kindheit, beobachtete verschiedene Arten, Tausende von Rosen an verschiedenen Orten, prüfte ihren Duft, versuchte ihn durch Worte auszudrücken." Aus diesem Material entstand das Buch "Begegnung mit Rosen", in dem Alma de I'Aigle erstmals ein Duftvokabular erarbeitet. "Ein universaler Geist ist bis in die unscheinbarsten Nebenbemerkungen ständig spürbar ... Kenner und Nichtkenner kommen aus der Überraschung nicht heraus ... Baldige internationale Verbreitung des Werkes ist für mich eine feste Erwartung", schrieb der berühmte Pflanzenzüchter Karl Foerster in der "Zeit". Ende der 50er Jahre wurde eine Rose nach ihr benannt. Aus Alma de I'Aigles Teilwohnung in der Johnsallee 67, 2. Stock (heute Hotel Vorbach), in der sie über 25 Jahre wohnte, sah man den ca. tausend Quadratmeter großen verwilderten Garten des damaligen Geographischen Institutes der Universität Hamburg. Als man diesen zu ordnen begann, "ließ sie nicht locker, bis sie daraus einen Rosengarten machen durfte. Dort entstand die Krönung ihres Daseins, der hanseatische Rosengarten , der seinesgleichen nicht hat in der Welt. In ihrem Rosenbuch hat sie ihn ausführlich noch beschreiben können. Möge er als ihr Vermächtnis der Vaterstadt teuer sein und des Fortbestandes und kundigster Pflege sicher." Dieser Wunsch Hans Leips hat sich nicht erfüllt. Auch der Satz des Malers Kokoschka "Ihre Malmaison bricht mir das Herz", ist angesichts des heutigen Zustandes des Gartens nicht nachvollziehbar. Das Areal ist eine gepflegte Rasenfläche, aufgelockert durch Büsche und wenige Rosen. Auch das zweite von ihr gestaltete öffentliche Rosarium, der Innenhof des Curiohauses, ist nicht erhalten. Zu Alma de I'Aigle eigener Wohnung gehörte kein Garten, aber eine Veranda voller verschiedenster Pflanzen. Und hier unterrichtete sie die 14 von 44 Schülerinnen, die sich nach dem Bombenangriffen 1943 in tagelangen Wanderungen durch Hamburg zusammengesammelt hatte, um sie auf den Abschluss vorzubereiten. Am 21. Dezember jeden Jahres schmückte sie zusammen mit ihren Schülerinnen eine Tanne. Sommerliche Kinderfeste fanden dagegen regelmäßig im elterlichen Garten statt. Eine Schülerin erinnert sich an das Narzissenmeer unter den Obstbäumen, deren Früchte sie im Herbst nach Hause tragen durften. "Ja, Gärten und Kinder sind es, um die es sich lohnt zu leben. Ihnen den Bezug zur Mitte, den Duft der Seele, die Echtheit zu erhalten, war und bleibt mein Lebensziel." Geheiratet hat Alma de I'Aigle nie: "Ehe? Für mich wäre das eine dauernde Todeszelle der Liebe." Als nach dem Tod der jüngsten Schwester der elterliche Garten bebaut werden sollte, bildete sich eine Initiative, um den Garten zu retten. Dank dieser Initiative, die in Begleitung des Denkmalschutzamtes agierte, konnte 1988 ein Drittel des Gartens als Naturdenkmal erhalten bleiben und gehört heute zum St. Anschar-Stift. In ihm blühen immer noch einige sehr selten gewordenen Apfelsorten. Text: Britta Reimers Literarische Werke: Häsi und anderes geliebtes Getier. Stuttgart 1930. 10. Aufl. Stuttgart 1957. Starentagebuch. Stuttgart 1939. Ein Garten. Hamburg 1948, 1996. Tirschenreuther Krippenspiel. Kassel 1948. Scherben, Silber und Zement. Kindererlebnisse aus unseren Tagen Hamburg-Wohldorf 1949. Ganz kleine Geschichten. Zum Vorlesen, zum Selbstlesen für Knaben und Mädchen von 4-8 Jahren,. Hamburg 1951, 6. Aufl. 1962. Alles wird wieder gut. Freiburg 1955. 4. Aufl. 1963. Begegnung mit Rosen. Stuttgart 1958. Moos, Bodensee 1977. Pädagogische Schriften: Das sexuelle Problem in der Erziehung, Lauenburg 1920 oder 1927. Die ewigen Ordnungen in der Erziehung. Gespräche mit Müttern. Hamburg 1948, bearb. u. erw. Auflagen unter dem Obertitel Elternfibel. Hamburg 1950, 4. Aufl. 1959. Zusammen mit Helga Prollius. Du und deine Kinder - 54 kleine Abschnitte über Erziehungsfragen des Alltags,.Delmenhorst 1953. Das Schulreifeproblem in der Schulpolitik, Material- und Nachrichten-Dienst (MUND) der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Lehrerverbände, Nr. 55/5. Jg. 1. Juni 1954. Die Sprache der Kinder und der Erwachsenen. In: Der Schriftsteller. Zeitschrift des Schutzverbandes Deutscher Autoren. 4.3.1954. Was heißt sittliche Gefährdung der Jugend?. Sammlung. Sept. 1954. Beiträge über Nadelarbeit, Erziehung, Hauswirtschaft. In: Neue Hauswirtschaft. Stuttgart 1930-34. Beiträge über Nadelarbeit, Schneiderei im Frauenteil der "Werag" (Westdeutscher Rundfunk). Köln 1931/32. Politische Schriften: Jungdeutsche Stimmen, Rundbriefe für den Aufbau einer wahrhaften Volksgemeinschaft. Ein Jahr Schriftleitung. Eigene Aufsätze wie "Jungdeutsches Wollen", "Deutsches Erbrecht", "Das Gesetz als formgewordener Staatswille", Hamburg 1918-1920. Zehn Vorschläge für ein Aktionsprogramm der Sozialdemokratie. Flugschrift zum Weimarer Parteitag im Juni 1919. Beschaffenheitsmarken: für alle Waren, als Grundlage für die freiwillige Rückkehr zur Qualitätsware. Schriftenreihe Deutsche Gemeinwirtschaft. Bd. 18. Jena 1920. Mitherausgeberin: Richard von Moellendorf. Konservativer Sozialismus. Hamburg 1932. Meine Briefe von Theo Haubach (1925-1944). Hamburg 1947. Nachlass: Bundesarchiv Koblenz und Archiv der deutschen Jugendbewegung Burg Ludwigstein

    Evelyn Hamann, bürgerlich Eveline Braun

    geb. Hamann

    Schauspielerin, Synchronsprecherin

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    6.8.1942
    Hamburg
    -
    28.10.2007
    Hamburg
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    Grablage: Alter Friedhof Niendorf, Abteilung 6, Reihe 13, Nr. 36

    Evelyn Hamanns Eltern waren Musiker: ihr Vater Geiger und Konzertmeister des NDR-Sinfonieorchesters und Gründer des Hamann-Quartetts, ihre Mutter Sängerin und Musikpädagogin. Ihr Großvater war Konzertmeister in Berlin gewesen, ihr Bruder Gerhard war Professor für Violoncello. Evelyn Hamann schlug nicht die Musikerinnenlaufbahn ein, sondern absolvierte eine Schauspielausbildung an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Hamburg. Nach Ausbildungsschluss "übernahm Hamann kleinere Rollen am Thalia-Theater. 1964 heiratete sie Hans Walter Braun. Das Paar hatte sich am Theater in Hamburg kennengelernt.
    1968 erhielt sie am Jungen Theater in Göttingen ihr erstes Engagement. 1971 ging sie an die Städtische Bühne in Heidelberg (...). Nach zwei Jahren kehrte sie nach Norddeutschland zurück und wurde Mitglied des Ensembles am Theater Bremen. Dort gab sie bis 1979 einige große Rollen, so die Marthe Schwerdtlein in Goethes Urfaust und die Alte in Ionescos Die Stühle. Außerdem arbeitete sie als Synchronsprecherin.
    1976 wurde die Ehe mit Hans Walter Braun geschieden.
    Der Radio-Bremen-Unterhaltungschef Jürgen Breest entdeckte Evelyn Hamann am Bremer Theater, als bei Radio Bremen eine Schauspielerin für die Loriot-Produktionen gesucht wurde. Loriot hatte für seine Sketch-Reihe eigentlich "eine blonde, pummelige Hausfrau" gesucht und sagte zu Hamann, nachdem sie ihm vorgespielt hatte: "Liebe Frau Hamann, wenn Sie auf unsere Kosten mehrere Wochen täglich Schweinshaxen essen, meinen Sie, Sie werden dann fülliger?" Doch Hamann, die hager und brünett war, überzeugte ihn so sehr, dass er sich trotzdem für sie entschied: "Gut, dann eben nicht pummelig." So wurde sie ab 1976 als Loriots Partnerin in zahlreichen Sketchen einem größeren Publikum bekannt. Mit unbewegter Miene und hanseatisch trockenem Humor schrieb sie Fernsehgeschichte, (...)
    Hamann spielte 1988 und 1991 auch in den Loriot-Filmen Ödipussi und Pappa ante Portas jeweils die weibliche Hauptrolle. Sie selbst sagte von der Zusammenarbeit, dass sie von Loriot jene Detailversessenheit gelernt habe, die für wirkliche Komik unerlässlich sei: "Die Inszenierung von Humor erfordert Strenge, Kunstfertigkeit und Disziplin." (...)."
    1) "Die Hamann und Loriot - das war ein Komikerduett ohne Anzüglichkeit und Vulgarität, eher ein Paar, das mitten in den Siebzigern, dem deutschen Jahrzehnt ehetherapeutischer Erkundungsreisen ("Ich bin ich, Du bist du") die Steifheit und Verklemmtheit der deutschen Seelenlandschaften auf die Schippe zu nehmen verstand, ohne die Protagonisten der Lächerlichkeit preiszugeben. Loriot und die Hamann in ihren Sketchen - das sind auch Dokumente aufbrechender Verklemmungen und Geschichten von der Mühe, immer locker zu bleiben und es nicht zu können. Im Sinne Sigmund Freuds könnte man sagen: Beide haben mit ihren Filmen schwer im Bergwerk der neuen deutschen Lockerheit gearbeitet, sie haben mehr zur Zivilisierung deutscher Lüsternheit und verschwitzter Phantasien beigetragen als die meisten Aufklärungsfilme jener Zeit. Ihr Mittel? Das befreiende Lachen, das uns Frieden finden lässt mit den Unpässlichkeiten des Lebens."
    2) "Als einfallsreiche Mutter, die bei der Postenvergabe benachteiligt wird, erscheint sie in "Wut im Bauch "(1998), in "Ehemänner und andere Lügner" (2000) spielt sie eine betrogene Ehe- und Hausfrau, die jegliche Zurückhaltung ablegt und zu großer Form aufläuft. Zu einer für sie besonders prägenden Rolle entwickelt sich der ARD-Quotenrenner "Adelheid und ihre Mörder", in der sie mit dem Satz "Ich glaube, ich kenne den Mörder" jeden Fall zu einer Lösung führt. Bei ihren Rollen kam es Evelyn Hamann nach eigenen Worten darauf an, auf glaubwürdige Weise normale Menschen darzustellen. "Für mich ist wichtig, dass sich der Zuschauer denkt: Ja, so eine Frau kenne ich wirklich.""
    3) "Nach ihrer Scheidung lebte sie in Hamburg, zuletzt mit ihrem Lebenspartner, dem Schauspieler Stefan Behrens.(...)"
    4) "In ihrem Privatleben gab sich Hamann selbst für eine Hamburgerin ungewohnt hanseatisch-zurückhaltend. Die vielen Partys der Stadt, bei denen sich die Sternchen und Stars mit warmen Mahlzeiten versorgen, mied sie, aber nicht nur das: Öffentliche Auftritte gab es bei ihr generell kaum. Journalisten gehörten nicht zu ihren Freunden. So viel ist dennoch bekannt: Sie war einmal kurz verheiratet, liebte Katzen und Wagner-Musik und wenn sie sich entspannen wollte, malte sie. Kollegen können auch von der sperrigen Grandezza Hamanns erzählen, die sich auch an den Drehorten zuweilen scheu gab. Oft übernachtete sie in anderen Hotels als das übrige Team."
    5) "Evelyn Hamann starb in der Nacht zum 28. Oktober 2007 an den Folgen eines malignen Lymphoms, das zehn Monate zuvor bei ihr diagnostiziert worden war."
    6) Anlässlich ihres Todes gab es viele Würdigungen: "Kulturstaatsminister Bernd Neumann sagte, Hamann habe an der Seite Loriots Fernsehgeschichte geschrieben. "Wie kaum eine andere vermochte sie es, die Gefährdungen durch Alltag und Mitmenschen in den komischsten Farben zu zeichnen." Auch wenn sie dank ihrer Wandlungsfähigkeit ebenso in ernsten Rollen zu überzeugen vermocht habe, "werden uns besonders ihr unvergleichlicher Witz und ihr subtiler Humor fehlen." ARD-Programmdirektor Günter Struve würdigte Hamann als "brillante Schauspielerin". Ihr Markenzeichen sei ihr "hanseatisch-trockener Humor und ihr spröder Witz" gewesen. (...) Hamann wurde für ihre Leistungen mehrfach ausgezeichnet. Allein die Goldene Kamera der Illustrierten "Hörzu" erhielt sie drei Mal im Zehn-Jahres-Rhythmus: 1977, 1987 und 1997. Außerdem ehrte sie RTL 1997 mit dem Goldenen Löwen. Im gleichen Jahr bekam Hamann den Bayerischen Fernsehpreis für die beste Seriendarstellerin - als Sekretärin Möbius in "Adelheid und ihre Mörder"."
    7) Quellen:
    1) Wikipedia: Evelyn Hamann, abgerufen 24.12.2017
    2) Jan Feddersen: Loriot und Evelyn Hamann Frau Jodelschnepfe und Herr Stocksteif. Humor? Eine Frage von Strenge und Disziplin! Beides besaß Evelyn Hamann. Ohne sie wären Loriots Sketche nur halb so lustig - und abgründig. Gemeinsam nahm das Traumpaar die verklemmten Deutschen ins Visier und sorgte für mehr Aufklärung als alle Kolle-Filme zusammen, in : Spiegel online, abgerufen unter: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/loriot-und-evelyn-hamann-frau-jodelschnepfe-und-herr-stocksteif-a-782037.html
    3) Jörn Lauterbach: Die wahre Evelyn Hamann kannte kaum einer. In: welt de vom 29.10.2007 unter: https://www.welt.de/kultur/article1310679/Die-wahre-Evelyn-Hamann-kannte-kaum-einer.html
    4) Wikipedia: Evelyn Hamann, abgerufen 24.12.2017
    5) Jörn Lauterbach, a. a. 0.
    6) Wikipedia: Evelyn Hamann, abgerufen 24.12.2017
    7) Jörn Lauterbach, a. a. O.

    Gerda Knebel

    Altphilologin

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    10.8.1919
    Hamburg
    -
    20.7.1992
    Hamburg
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    Grablage: Neuer Friedhof Niendorf, Abteilung 6, Reihe 119, Nr. 2, das Grab ist leider aufgelöst worden

    Nach dem Abitur im Jahre 1939 studierte Gerda Knebel ab 1940 an der Universität Hamburg und schloss ihr Studium 1949 mit der Promotion ab. Ihr Dissertationsthema hieß: Untersuchungen zu den derivierten Präsentien bei Homer. Seit 1944 arbeitete sie als Hauslehrerin in Bötersheim und finanzierte so ihr Studium.
    Ab 1952 war sie in der Arbeitsstelle des Thesaurus Linguae Graecae als Mitarbeiterin am Lexikon des frühgriechischen Epos (LfgrE) beschäftigt und hatte auch Lehrtätigkeiten an der Universität Hamburg. So war sie ab 1954 als Lehrbeauftragte für griechische Sprachkurse und Stilübungen tätig. 1963 habilitierte sie sich mit der Schrift Funktion und Bedeutung der Partikeln αν und κε in den homerischen Gedichten. Zwischen 1957 und 1964 war sie Redakteurin des LfgrE. Nach dem Ausscheiden aus der Schriftleitung des LfgrE wurde sie Wissenschaftliche Rätin an der Universität Hamburg, 1966 dann Wissenschaftliche Oberrätin und 1971 Professorin. 1984 wurde sie pensioniert, hielt aber weiterhin Vorlesungen und Seminare.
    Text: Rita Bake

    Friedel Hensch

    Schlagersängerin: Friedel Hensch und die Cyprys

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    7.7.1906
    Landsberg an der Warthe
    -
    31.12.1990
    Hamburg
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    Grablage: Neuer Friedhof Niendorf, Abteilung 6, Reihe 2f, Nr. 7

    Bekannt wurde Friedel Hensch in den 1950er Jahren als Sängerin mit ihrer Musikband "Friedel Hensch und die Cyprys". "Das Terzett ‚Friedel Hensch und die Cyprys' wurde 1945 auf der Bahnfahrt in einem Kohlenzug zwischen Schleswig und Hamburg ausgeheckt. Dort war die ehemalige Ballettänzerin aus Berlin mit zwei gerade dem Krieg entkommenen Soldaten Werner Cyprys (Gitarre) und Karl Geithner (Schifferklavier) unterwegs, auf der Suche nach einer Existenzmöglichkeit",
    1) heißt es in einem Nachruf anlässlich des Todes von Friedel Hensch im "Spiegel" vom 7.1.1991. Friedel Hensch gründete im Okober 1945 zusammen mit ihrem späteren Ehemann Werner Cyprys (1922-2000) und dessen Freund Karl Geithner (1922-1976) die Musikband "Friedel Hensch und die Cypris". Ihr erster Auftritt fand im Januar 1946 im Ballhaus "Trichter" (Reeperbahn) statt.
    1947 heirateten Friedel Hensch und Werner Cyprys (1922-2000). Die erste Schallplatte der Band wurde 1949 herausgebracht, der Titel: Mit der Zeit lernst auch du es. "1950 erschienen zunächst einige Singles, auf denen Friedel Hensch und die Cyprys lediglich als Chor bei Aufnahmen des Sängers Heinz Woezel (1914-1981) und anderer Interpreten zu hören sind. Im gleichen Jahr trat das Ensemble mit zwei von Michael Jary komponierten Schlagern in dem Film Mädchen mit Beziehungen auf. Dieser erste von insgesamt 11 Filmauftritten bedeutete einen weiteren Karriereschub für das Quartett. Unter dem Namen Tante Fröhlich und die Hutzelmännchen nahm die Gruppe im gleichen Zeitraum etwa 20 Kinderlieder für Gnom, die Kinderserie der Plattenfirma Polydor, auf.
    Ihren bis dahin größten Erfolg verbuchten die vier Musiker Ende 1950 mit dem Titel Holdrio - liebes Echo. In den folgenden Jahren veröffentlichte die Gruppe immer wieder volkstümliche Schlager, die neben den modernen, oft leicht satirischen Liedern zu ihrem Markenzeichen wurden. (...)1955 erhielt das Ensemble eine Goldene Schallplatte für den Gesamtverkauf von über drei Millionen Schallplatten. (...) Bis 1970 veröffentlichten Friedel Hensch und die Cyprys rund 15 Langspielplatten und fast 90 Singles. (...) 1962 landeten Friedel Hensch und die Cyprys mit Mein Ideal, der Antwort auf Charles Aznavours Du läßt dich geh'n, und Der Mond von Wanne-Eickel (Original: Un clair de lune à Maubeuge) ihre letzten Hits. (...) Ihren letzten gemeinsamen Auftritt hatte die Gruppe im Oktober 1970 in Wim Thoelkes Fernsehshow Drei mal Neun."
    2) 1992 ging Werner Cyprys eine neue Ehe ein.
    Quellen:
    1) http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13487913.html
    2) Wikipedia: Friedel Hensch, abgerufen 24.12.2017

    Edith Schmidt

    geb. Zelinková, geschiedene Soukalová

    Golferin, eine Golflegende in Karlsbad und Hamburg Thusneldastraße (Wohnadresse)

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    1.8.1921
    Tönning
    -
    21.4.2022
    Hamburg
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    Grablage: anonym

    Eine Golflegende in Karlsbad und Hamburg
    Edith Schmidt war Amateur-Golferin, hauptberuflich mehr als 40 Jahre als Lohn- und Buchhalterin tätig, in Hamburg viele Jahre bei Rotring.
    Edith wurde 1921 in Tönning geboren und wuchs ab ihrem 3. Lebensjahr in Hamburg auf. Ihre Mutter stammte aus
    Tönning, ihr Vater war ein Tschechischer Herren-Schneidermeister. Auf der Suche nach einer beruflichen Herausforderung kam die Familie 1924 nach Hamburg, wo der Vater erfolgreich eine Schneiderwerkstatt in der Eichenstraße übernehmen konnte. 1926 wurde Bruder Egon dort geboren.
    Während der Wirtschaftskrise, und anschließend während der Nazizeit begannen für die Familie schwierige Zeiten, denn Vater und Kinder hatten die Tschechische Staatsbürgerschaft. Das bedeutete, dass der Vater seinen Beruf nicht mehr ausüben konnte.
    1938 folgte der frühe Tod der Mutter, 1940 starb auch der Vater. Bruder Egon, damals 14 Jahre, kam ins Waisenhaus und Edith benötigte einen Vormund, weil sie noch nicht volljährig war.
    Edith hatte nach der Mittleren Reife Stenographie und Schreibmaschine erlernen dürfen und begann eine Anstellung in der Buchhaltung. Dort denunzierte sie eine Kollegin, weil Edith die Ansicht eines Brieffreundes im Büro erzählte, dass die Deutschen den Krieg verlieren würden, woraufhin sie abgeholt und im Stadthaus vernommen wurde. Anschließend wurde sie für etwa einen Monat in Fuhlsbüttel inhaftiert. Wieder auf freiem Fuß fasste sie den Entschluss, die tschechischen Verwandten um Hilfe zu bitten, denn in Hamburg gab es keine vertrauensvollen Verwandten, die ihr und ihrem Bruder Obdach gewähren konnten. Egon konnte aus dem Waisenhaus befreit werden und auch Edith konnte den Hamburger Nationalsozialisten nach Prag zu einem befreundeten Ehepaar entkommen, wo aber bereits die Nationalsozialisten herrschten. Sie verließ 19jährig ihre Heimat mit zwei Koffern. Die Geschwister überlebten den Krieg. Edith konnte nach 1945 in Karlsbad neu beginnen, erhielt eine gute Anstellung bei Becherovka, heiratete dort, bekam zwei Töchter und kam durch Zufall zum Golfspielen. Sie erlernte das Golfen autodidaktisch und zwar so gut, dass sie 1956 Tschechische Meisterin wurde.
    Nach den Nationalsozialisten regierten in Tschechien die Kommunisten und denen war die Frau mit deutschen Wurzeln und Verbindungen zu Golfern im kapitalistischen Ausland aufgefallen - sie sollte als Spitzel fungieren. Da auch die Ehe brüchig geworden war, flüchtete Edith 1969 mit der jüngeren Tochter und kam über Frankfurt nach Hamburg zurück, wo sie ein neues Zuhause, wiederum in der Eichenstraße, fand. Von ihrem tschechischen Mann wurde sie in Hamburg geschieden. 1972 ging sie eine zweite Ehe mit Helmut Schmidt, einem Polizeibeamten i.R. ein, in der sie sehr glücklich war. Im Jahr 1981, in dem sie sportlich besonders erfolgreich war, starb ihr geliebter Mann.
    Bei auswärtigen Golfturnieren, u.a. in Kitzbühel traf sie während der Karlsbader Zeit Golfer aus Frankfurt und Hamburg. Einer der Hamburger lud die Gruppe der tschechischen GolferInnen nach Hamburg ein und arrangierte viele Freundschaftsturniere in allen bestehenden Hamburger Clubs. Als im neu gegründeten Golfclub auf der Wendlohe eine Sekretärin gesucht wurde, vermittelte er den Kontakt zu der erst kürzlich nach Deutschland zurückkehrten Edith. So kam Edith nach Hamburg zurück und wurde zunächst im Golfclub auf der Wendlohe als teilzeitbeschäftigte Sekretärin beschäftigt. Später wurde sie dort Mitglied und ihr gelangen wiederum viele sportliche Erfolge.
    1971 Clubmeisterin
    1973 Siegerin und Platzrekord beim Golfclub Bad Mergentheim
    1974 Hamburger Meisterin der Seniorinnen in St. Dionys
    1981 ein Hattrick: Deutsche Meisterin
    Hamburger Meisterin
    Club Meisterin Wendlohe
    1985 Hamburger Meisterin der Seniorinnen
    1987 Deutsche Senioren Mannschafts-Meisterschaft
    1989 2. Platz bei der europäischen Seniorinnen Mannschafts-Meisterschaft in Montreux
    7 x war sie Club Meisterin/Seniorinnen auf der Wendlohe:
    1974, 1975, 1976, 1981, 1984, 1987, 1992
    2009 Letzte Golfrunde im Wettspiel der Wendloher Damen im Alter von 88 Jahren. Ergebnis: 37 Punkte
    2016 Ehrenmitgliedschaft für sportliche Verdienste im Golf-Club Wendlohe - als erste und bisher einzige Frau!
    Ihre letzten Jahre hat sie im Elim-Seniorenheim in der Frickestraße in Eppendorf erlebt.
    Zu ihrem 99. Geburtstag wurde ihre Geschichte in ihrem Golfclub auf der Wendlohe vorgestellt. Es war ihr größter Wunsch, ihre Geschichte festzuschreiben, damit sie nicht verloren geht.
    Ihren 100. Geburtstag hat sie ebenfalls auf der Wendlohe feiern dürfen. Ihre Wegbegleiter/Innen und der Club haben es ihr ermöglicht.
    Gestorben ist sie am 21. April 2022.
    Text: Gudrun Jungblut MA
    Quelle:
    Die Geschichte von Edith Schmidt, Golflegende in Karlsbad und Hamburg
    Die Geschichte von Edith Schmidt, Golflegende in Karlsbad und Hamburg:
    "Es war einfach so" - Erinnerungen 1921 - 2020
    zum 99. Geburtstag erzählt von Gudrun Jungblut
    ist zu beziehen über gudrunjungblut@alice-dsl.net

Harburg

    Frieda Cordes

    geb. Kistner

    Stille Helferin: half in der NS-Zeit jüdischen Freunden

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    3.8.1895
    Harburg
    -
    27.7.1978
    Hamburg
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    Bestattet auf dem Neuen Harburger Friedhof. Die Grabstelle wurde 2003 aufgelassen

    Friederike (Frieda) Kistner, kam am 3.8.1895 in der Industriestadt Harburg an der Elbe zur Welt und heiratete 1922 den Schlosser Georg Cordes. Dass das junge Ehepaar bald eine Wohnung in der Kurzen Straße 1 (heute: Konsul-RenckStraße) beziehen konnte und dort die Geburt ihres Sohnes erleben durfte, war sicherlich ein besonderes Glück. Die neue Wohnung lag im so genannten Phoenixviertel, einem Wohnquartier, das in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts im Zuge
    der rasanten Industrialisierung und der explodierenden Entwicklung der Einwohnerzahlen der Stadt praktisch aus dem Boden gestampft worden war.
    Zu den Mitbewohnern des Hauses zählten die jüdischen Eheleute Hermann (*13.11.1878) und Elisabeth Goldberg, geb. Simon, (*16.5.1882) mit ihren drei Töchtern Erna (*13.1.1909), Reta (24.3. 1910) und Henny (26.7.1915), die vorher einige Jahre in Wilhelmshaven gelebt hatten. Hermann Goldberg war in Cieszkowice im damals österreichischen Galizien (heute: Ukraine) zur Welt gekommen und hatte dort auch seine Kindheit verbracht.
    Frieda Cordes und Elisabeth Goldberg waren nicht nur einfache Nachbarinnen, sondern auch gute Freundinnen. Diese Freundschaft war für beide Familien in den Jahren der Weltwirtschaftskrise von unschätzbarem Wert und erwies sich in den Jahren nach 1933 als noch segensreicher. Am 28. Oktober 1938 gehörten Hermann und Elisabeth Goldberg mit ihren drei Töchtern zu den ca. 17.000 Juden polnischer Herkunft, die in einer Nacht-und-Nebel-Aktion in das östliche Nachbarland abgeschoben wurden.
    Während Reta und Henny Goldberg kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs noch nach England ausreisen konnten, mussten ihre Eltern und ihre Schwester Erna zwei Jahre später nach der Besetzung Polens durch deutsche Truppen in das völlig überfüllte Getto der Stadt Tarnow übersiedeln. Die Pakete und Briefe, die Frieda Cordes den Leidgeprüften in diesen Tagen schrieb und schickte, waren die einzigen Zeichen von Menschlichkeit in einer unmenschlichen Zeit. Als die `Aktion Reinhardt´, die Ermordung der polnischen Juden, im Frühjahr 1942 begann, brach der Kontakt ab. Frieda Cordes hat die Briefe mit den verzweifelten Hilferufen und den nie ausbleibenden Dankesworten der vertriebenen Freunde aufbewahrt und nach dem Zweiten Weltkrieg den beiden Töchtern Reta und Henny Goldberg als private Zeugnisse der Erinnerung an ihre ermordeten Eltern übergeben.
    Text: Klaus Möller

    Johanne Günther

    geb. Wassul

    Stille Helferin: half in der NS-Zeit Zwangsarbeiterinnen

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    28.6.1876
    Tilsit
    -
    26.11.1949
    Harburg
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    Grablage: H 1483

    Johanne Wassul wurde am 28.6.1876 in Tilsit in der damaligen Provinz Ostpreußen des Deutschen Reiches geboren, wo sie die ersten Jahre ihrer Kindheit verbrachte. Nachdem ihr Vater von seinem Dienstherrn, einem preußischen Adligen, entlassen worden war, weil er ihm nicht den nötigen Respekt erwiesen hatte, verließ die Familie ihre ostpreußische Heimat. Die Industriestadt Harburg an der Elbe war für sie offenbar der richtige Ort für einen hoffnungsvollen Neubeginn. Hier engagierte Johanne Wassul sich schon in jungen Jahren ehrenamtlich in der Heilsarmee, und hier heiratete sie später den Arbeiter Paul Günther.
    Die jungen Eheleute fanden eine Wohnung in der Lassallestraße im Phoenixviertel der Stadt, in der drei Kinder ihnen bald Gesellschaft leisteten. Ein Sohn starb allerdings schon bald nach seiner Geburt. Im Zweiten Weltkrieg arbeitete Johanne Günther in der nahe gelegenen Harburger Jutespinnerei und -weberei, in der auch viele vor allem aus Osteuropa verschleppte Frauen Zwangsarbeit leisten mussten. Ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen waren menschenunwürdig, was die meisten Deutschen unberührt ließ. Nicht jedoch die 66jährige Johanne Günther. Sie blickte diese armseligen Geschöpfe nicht mürrisch oder gar feindselig an, wenn sie ihren Weg kreuzten, sondern schenkte ihnen ein freundliches Lächeln. Sie half ihnen, wann immer sie konnte, wenn es darum ging, einen Fehler auszubügeln, bevor der Werkmeister ihnen Sabotage unterstellte. Hier und wieder steckte sie ihnen unauffällig auch einen Apfel oder eine Scheibe Brot zu.
    Ein besonders großes Herz hatte sie für die Russin Tamara Marková aus Taganrog am Asowschen Meer. Mit ihrer Herzensgüte war sie für die junge Russin eine `Babuschka´, ein Großmütterchen. Zweimal lud sie die mit ihrem Schicksal hadernde Kollegin sogar zu sich nach Hause ein, indem sie ihr half, sich bei den gelegentlichen Sonntagnachmittagsausflügen heimlich für eine Stunde von der beaufsichtigten Gruppe zu entfernen. Nach dem Zweiten Weltkrieg verloren die beiden Frauen sich aus den Augen, aber die Erinnerung an Johanne Günther verblasste bei Tamara Marková in all den Jahren danach nie.
    Als sie in hohem Alter im Mai 2003 als freier Mensch auf Einladung des Hamburger Senats noch einmal nach Harburg zurückkehrte, war es ihr größter Wunsch, das Grab ihrer Wohltäterin aufzusuchen und ihr aus ganzem Herzen für ihre einzigartige Menschlichkeit zu danken. Ein Grabstein mit der Inschrift `Johanne Günther, geb. Wassull, 28.6.1876 – 26.11.1949. Unvergessen in den Herzen vieler Zwangsarbeiterinnen 1942 – 1945´ erinnert heute an diese couragierte Harburgerin.
    Text: Klaus Möller

    Berta Marie Sophie Kröger

    geb. Bischoff

    Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft (SPD) von Oktober 1946 bis 1962

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    24.9.1891
    Hamburg
    -
    14.1.1962
    Hamburg
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    Urnenversand 1962 vom Ohlsdorfer Friedhof zum Neuen Harburger Friedhof.

    Laut Auskunft der Verwaltung des Neuen Harburger Friedhofes soll Berta Kröger dort nicht bestattet sein. Es erfolgte dorthin jedoch 1962 ein Urnenversand (F640) vom Ohlsdorfer Friedhof aus
    Einzelhändlerin, Hausangestellte. Von 1919 bis 1927 war sie Mitglied des Gemeinderates Wilhelmsburg, von 1919 bis 1921 Mitglied des Kreistages Harburg und von 1921 bis 1933 Mitglied des Preußischen Landtages, Wahlkreis Hannover-Ost.
    Während der NS-Zeit und nach dem Zweiten
    Weltkrieg führte sie am Vogelhüttendeich ein Brotgeschäft. Nach 1945 war sie Mitglied des Vorstandes des SPD-Bezirks Hamburg Nord-West, Mitglied des Bezirksfrauenausschusses Hamburg, Zweite Vorsitzende der Hamburger Arbeiterwohlfahrt und Kuratoriumsmitglied des Wilhelmsburger Krankenhauses. Von Oktober 1946 bis Januar 1962 war sie Bürgerschaftsabgeordnete, seit 1957 Mitglied des Präsidiums der Hamburgischen Bürgerschaft. Ihre politischen Schwerpunkte lagen in den Bereichen Gefängniswesen und Wiedergutmachung. Vierzehn Jahre agierte sie als Deputierte der Gefängnisbehörde.
    Text: Dr. Rita Bake

    Marie Kroos

    Stifterin, Frauenrechtlerin
    Blohmstraße 20 (Wohnadresse)
    Ehestorfer Weg 148 (Stift) Marie-Kroos-Stift: Altenheim

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    10.2.1863
    Harburg
    -
    11.6.1955
    Hamburg
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    Grablage: 1117/19f bei Familie Mergell

    Geboren in der Harburger Blohmstraße 20, der Vater Kaufmann, gründete Marie Kroos 1903 den "Deutschen Evangelischen Frauenbund" in Hamburg, der sich u. a. um die Weiterbildung von Frauen aus der Arbeiterschicht, die Betreuung von Kindern werktätiger Mütter und um die Rechte der Frauen kümmerte. So entstanden eine Rechtsschutzstelle für "unbemittelte" Frauen und Weiterbildungskurse für Arbeiterinnen. Auch wurde 1906 das evangelische Kinderheim "Margaretenhort" in der Nöldekestraße erbaut.
    Da Marie Kroos unverheiratet und vermögend war - sie lebte mit ihrer Schwester in der Familienvilla - konnte sie sich ganz ihrem frauenpolitischen und karikativen Engagement widmen. Um die Not der Arbeiterschaft zu lindern, initiierte sie eine "Arbeiterinnenküche". Hier gab es für geringes Geld Frühstück und Mittagessen. Außerdem wurden eine Volks- und Jugendbibliothek, Schularbeitenhilfe und ein Gebrauchtwarenmarkt für Frauen aus der Arbeiterschaft eingerichtet.
    Zwischen 1918 und 1933 war Marie Kroos Abgeordnete der Bürgerschaft. Sie wollte, dass Frauen mehr politischen Einfluss erhielten. "Als Leiterin einer Studienkommission befasste sie sich mit arbeitsrechtlichen Fragen, der Wohnungsreform und der Analyse des Jugendschutzes und der Jugendfürsorge. Um die Multiplikatoren des neuen Bildes einer selbstbewußten und selbstbestimmten Frau zu gewährleisten, setzten sich die Frauen [ des evangelischen Frauenbundes Harburg] für die weibliche Leitung an höheren Mädchenschulen und die bedingte Zulassung von Mädchen an höheren Knabenschulen ein." ( "Der Deutsche Evangelische Frauenbund Harburg" ein Bericht von Frau Ettinger aus dem Jahre 1953).
    Im Alter von 70 Jahren legte Marie Kroos den Vorsitz im Deutschen Evangelischen Frauenbund Harburg nieder. Während der NS-Zeit lebte sie sehr zurückgezogen. Nach Ende des Krieges hatte sie ihr Vermögen verloren, ihr Haus war abgebrannt. Von nun an lebte sie bei ihren Verwandten, der Familie Thörl.
    Zeit ihres Erwachsenen Lebens hatte Marie Kroos davon geträumt, einmal ein Damenstift zu gründen für kulturell und sozial engagierte Frauen des Bürgertums. Doch es standen immer wieder andere dringlichere soziale Aktivitäten auf dem Plan. 1948 beschlossen Frauen des Deutsch Evangelischen Frauenbundes, Marie Kroos ihren Lebenstraum zu verwirklichen. Es wurde zwar kein Damenstift gegründet, dafür aber ein Altersheim, für das Marie Kroos den Rest ihres Vermögens gab. 1955 wurde das Marie-Kroos-Stift eingeweiht, drei Monate später starb Marie Kroos.
    Text: Rita Bake

    Klara Laser

    geb. Rungwitz

    Stille Helferin: nahm in der NS-Zeit 1942 einen jüdischen Waisenjungen auf

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    11.3.1877
    Penig/Sachsen
    -
    26.3.1969
    Harburg
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    Grablage: K 1437. Die Grabstelle wurde 2013 aufgelassen

    Klara Laser, geb. Rungwitz, (*11.3.1877 - 26.3.1969) war mit dem erfolgreichen Harburger Kaufmann Salomon (Sally) Laser verheiratet, der in jungen Jahren das renommierte Geschäft `J. Weinthal´ für Herren-, Knaben- und Berufsbekleidung an der Ecke Lüneburger Straße/ Sand in der Harburger Altstadt übernommen hatte. Privat bewohnten die beiden Eheleute mit ihren drei Kindern Margarete (*19.6.1908), Kurt (*9.12.1912) und Ilse (*10.9.1916) ein kleines Haus im Langenberg 12 in Appelbüttel vor den Toren der Stadt. Alle drei Kinder erhielten kurz nach ihrer Geburt in der Ev.-Luth.
    Dreifaltigkeitskirche in der Neuen Straße wie ihre Mutter das Sakrament der Taufe.
    Nach 1933 blieb die Familie nicht von schwerwiegenden Veränderungen verschont.Sally Laser war Jude, und der Boykott-Aufruf des Harburger Magistrats und der Harburger NSDAP betraf auch sein Geschäft. Der Druck verschärfte sich in den folgenden Jahren vor allem nach der Verkündung der `Nürnberger Gesetze´, durch die Ehen zwischen `Nichtariern´ und `Ariern´ zu `Mischehen´ und die Kinder dieser Eheleute zu `Mischlingen´ erklärt wurden. Angesichts dieser Zuspitzung der Lage entschieden Kurt und Ilse Laser sich zur Emigration in die USA und nach Spanien. Kurz vor dem Auswanderungsverbot für Juden im Oktober 1941 gelang auch ihrem Vater noch die Flucht nach Kuba, nachdem er sich vorher von seinem Geschäft hatte trennen müssen.
    Seine Frau und seine Tochter Margarete blieben in Harburg zurück. Heute lässt sich nicht mehr klären, welche Beweggründe für Klara Laser im Herbst 1942 ausschlaggebend dafür waren, in dieser sowieso schon nicht ganz ungefährlichen privaten Situation noch ein zusätzliches Risiko einzugehen und ein jüdisches Waisenkind bei sich aufzunehmen. Helmut Wolff war damals sechs Jahre alt. Seine Mutter Anna Maria Kugelmann, geb. Wolff, und ihr Mann Robert Donald Kugelmann sowie seine Großeltern Gottfried und Lydia Wolff hatten sich am 18. und 19. Juli 1942 kurz vor ihrer angeordneten Deportation nach Theresienstadt das Leben genommen, was der Junge damals noch nicht wusste. Seine Mutter hatte ihn vor ihrem Freitod in den Sommerferien guten Freunden in Potsdam anvertraut, und von dort führte seine Odyssee über zwei weitere Familien zu Klara Laser in HamburgAppelbüttel. Sie war für Helmut Wolff eine Ersatz-Großmutter. Sie schottete den Jungen nicht hermetisch von der Außenwelt ab, sondern meldete ihn unerschrocken beim Einwohneramt und in der Schule als uneheliches Kind ihrer Tochter Margarete an.
    Mit seinem zunehmenden Alter und seinem regelmäßigen Kontakt zu Gleichaltrigen wuchsen auch die Probleme, die Helmut Wolff in Appelbüttel auslöste. Doch Klara Laser stellte sich der Herausforderung auch in höchst brenzligen Situationen. Das Ende des Zweiten Weltkriegs war für beide – für Klara Laser und für Helmut Wolff - eine Erlösung. Für Klara Laser ging es nach der glücklichen Rückkehr ihres Mannes aus dem Exil in erster Linie darum, ihm zur Seite zu stehen und seinen beruflichen Neubeginn nach Kräften zu fördern, während Helmut Wolff den weiteren Teil seiner Kindheit und Jugend in der Familie Margarete Lasers verbrachte, die nach dem Ende des NS-Zeit frei in der Wahl ihres Ehepartners war.
    Text: Klaus Möller

    Elisabeth Ostermeier

    Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft 19946-1978

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    9.5.1913
    Kanzlerhof/Landkreis Harburg,
    gest.
    6.12.2002
    Hamburg
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    Grabstätte: 2U 1337

    32 Jahre war Elisabeth Ostermeier Bürgerschaftsabgeordnete und schied im Alter von 65 Jahren nur aus, um - wie sie sagte - "etwas mehr Freizeit zu haben". Davon war kaum etwas zu spüren. Als 81jährige war sie ständig auf Achse, machte weiter örtliche Parteiarbeit und war in der Seniorenarbeit höchst aktiv.
    Als Elisabeth Ostermeier im Alter von 33 Jahren in die Bürgerschaft eintrat, waren ihre Kinder gerade mal sechs und acht Jahre alt. (geb. 1938 und 1940). Neben ihrer Arbeit als Hausfrau und Mutter war die gelernte Verkäuferin 20 Jahre als Sachbearbeiterin für Frauenfragen und Hausgehilfinnen für das Bundesgebiet bei der Gewerkschaft Nahrung, Genuss und Gaststätten tätig und 16 Jahre (1954-1970) geschäftsführendes Bundesvorstandsmitglied dieser Gewerkschaft im Zuständigkeitsbereich Frauen, Jugend, Berufsausbildung.
    Eine berufliche Karriere, die sich finanziell später auch auf ihre Rente auswirken würde, war bedingt durch ihren jahrzehntlangen Einsatz für die Bürgerschaft nicht möglich. Da die Honorierung für die geleistete Arbeit in der Bürgerschaft eine reine Aufwandsentschädigung ist, musste Elisabeth Ostermeier mit einer nicht gerade üppigen Rente auskommen.
    An Elisabeth Ostermeier zeigt sich, dass diese in Hamburg praktizierte Form der Aufwandsentschädigung für eine Bürgerschaftstätigkeit besonders Frauen sehr hart treffen kann. Denn viele Frauen sind aufgrund ihrer Mutter- und Hausfrauenarbeit kaum noch in der Lage, neben der politischen Arbeit im Erwerbsleben gut dotierte Stellen zu bekommen. Vollzeitarbeit, die also notwendig wäre, um später eine ausreichende Rente zu haben, ist oft eben so wenig zu erlangen wie zu bewältigen. Hinzu kommt noch, dass viele Frauen durch Kindererziehungszeiten keine kontinuierliche Berufslaufbahn vorweisen können. Wer neben der Tätigkeit als Abgeordnete "nur" Hausfrau und Mutter ist, kann später, trotz langjähriger politischer Arbeit in der Bürgerschaft, über keine eigene Rente verfügen.
    Elisabeth Ostermeiers politischer Weg begann im Alter von 13 Jahren, als sie Mitglied der Falkenbewegung und der SAJ (Sozialistische Arbeiterjugend) wurde. 1931 trat sie der SPD bei - wurde in der NS-Zeit politisch verfolgt und inhaftiert. Elisabeth Ostermeiers Hauptinteressen lagen auf den Gebieten der Sozialpolitik und des Arbeitsrecht. Mehrere Jahre hindurch war sie Deputierte der Arbeits- und Sozialbehörde, bis die Deputierten Tätigkeit für Bürgerschaftsabgeordnete eingestellt wurde. Auch gehörte sie dem Bauausschuss an, musste dieses Amt aber wegen Überlastung aufgeben. Im Zentrum ihrer parlamentarischen Arbeit standen jedoch vor allem Jugendfragen, ein Bereich, den sie auch beruflich berührte; Mit fast 60 Jahren war sie noch im Vorstand der Gewerkschaft NGG hauptamtlich für die Jugend tätig.
    Elisabeth Ostermeier widerfuhr ein typisches Mädchenschicksal. Mit 14 Jahren verließ sie die Schule und wurde in den nächstbesten Beruf gesteckt, weil es nichts anderes gab. Geld war nur für eine Ausbildung vorhanden, und die bekam ihr Bruder. Elisabeth Ostermeier wäre gern Lehrerin geworden, musste aber stattdessen Verkäuferin in einem Schlachterladen werden. Nach absolvierter Lehre verließ sie den Schlachterladen und fuhr als Brotfahrerin täglich ab fünf Uhr morgens auf den Vierländer Deichen. Mit den Broten begann auch ihre "konspirative Karriere" gegen das NS-Regime. Als die Nationalsozialisten zwischen ihren Broten Flugblätter mit Aufrufen gegen den Gewaltterror fanden, kam sie gemeinsam mit ihrem Mann, den sie 1935 geheiratet hatte, für fast ein Jahr ins Gefängnis.
    Als 1946 Hamburg als erstes Bundesland wieder ein Parlament einberief, war Elisabeth Ostermeier mit dabei. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie zwei kleine Kinder, Sie war zwar an Politik interessiert, doch in der parlamentarischen Arbeit ein Neuling. " Das war der Zeitpunkt, wo Frauen alle Chancen hatten. Ich glaube, wir Frauen hatten damals sogar ungeheuren Mut, denn was in unserem zerstörten Land wieder herzustellen war, verlangte die Kraft von Sisyphus-Wesen, die nicht zu erschüttern sind, immer und immer wieder von vorn anzufangen." Die Wiederaufbauphase begann auch für die Bürgerschaftsabgeordneten unter schwersten Bedingungen. Sie saßen im eiskalten Rathaus, waren hungrig, wussten selbst nicht, wie sie ihre Familien ernähren sollten, waren aber von der großen Hoffnung durchdrungen, mit vereinten Kräften etwas Neues zu schaffen. "Da fragte keiner, ob Frauen logisch genug und beständig genug fürs politische Handwerk seien - wir waren da, und wir packten mit zu. Wir lernten, weil wir mitdachten, mithalfen, mitredeten.
    Aber dann kamen die Männer wieder nach Hause. Und viele Frauen traten bescheiden zurück, weil sie sich sagten: Nur so helfen wir dem seelisch zerstörten Heimkehrer. Hat er seinen Job zurück, fühlt er sich wieder als Mann. Doch letztlich habe ich nie akzeptiert, dass es nicht Aufstände gab, wenn auch die leitenden Positionen so mir nichts, dir nichts zurückgefordert wurden." Diese lethargische Verhalten der Frauen erklärte sie sich folgendermaßen: "Die Frauen vertrauen nicht wirklich auf ihre eigenen Fähigkeiten. Für sie verbindet sich mit dem Manne die Vorstellung, von Sicherheit. Ohne ihn flattern sie. Der Mann schafft Beruhigung - als Vater, als Bruder und auch als Meister im Betrieb. Eine Frau an der Spitze wollten sie noch nicht; deren Ängste kennen sie zu gut."
    Auch für die wenigen Frauen in der Politik wusste Elisabeth Ostermeier eine Erklärung: "Dies komplizierte Nebeneinander von Beruf, Familie und Abgeordnetendasein schaffen die meisten nicht. Da bleibt den Frauen am Ende nur Zorn, weil die Männer kaum helfen, die Dreifachkombination zu erleichtern. Sie erwarten, dass wir genauso oft in Parteiversammlungen sitzen, den Kassierer spielen, als Hausfrau nicht versagen und auch als Frau noch was hermachen. Da müssen die Männer noch Fairness lernen." Elisabeth Ostermeier schimpfte auch über einen Bericht in der "Welt am Sonntag" unter dem Titel: "Gesucht: junge Politikerinnen". Elisabeth Ostermeier: "Wir Frauen sollen hübsch sein, jung und außerdem noch klug, wenn wir in die Bürgerschaft einziehen wollen. Wer fragt eigentlich bei den Männern nach gutem Aussehen? Die meisten unserer Rathauskollegen sind wahrhaftig auch nicht einem Adonis gleich."
    Elisabeth Ostermeier schaffte die parlamentarische Arbeit nur deshalb, weil sie einen Mann hatte, "der alles voll unterstütze; ohne ihn wäre nichts". Er kümmerte sich um den Haushalt und versorgte die Kinder, wenn sie unterwegs war.
    Elisabeth Ostermeier hat mit ansehen müssen, wie wenige Frauen den Weg in die Politik schafften oder politische Laufbahnen durchhielten. "Wenn Frauen was schaffen, sind Männer empfindlich. Im Nachhinein denke ich manchmal, man hätte sie überrennen sollen mit der eigenen Tüchtigkeit. Bei Sitzungen abends stöhnten die Herren, dass sie seit morgens um acht aus dem Haus seien. Das war ich auch. Nur da hatte ich bereits den ganzen Haushalt versorgt. Trotzdem dachte ich stets, halt den Mund, lass ihnen die Rolle der Geplagten."
    Als Elisabeth Ostermeier ihr Bürgerschaftsmandat wegen Alters niederlegte, hatte sie sich keine Pfründe in diesen Jahren geschaffen. Sie besaß keinen Aufsichtsratsposten, kein lukratives Amt - im Gegensatz zu ihren Mit-Bürgerschaftsabgeordneten, mit denen sie gemeinsam 1946 in die Bürgerschaft eingetreten war: "Eigentlich sollten wir Frauen es auch niemals lernen - dies Pokern um materielle Vorteile. Wir sollen bei den Werten bleiben, die wir für richtig halten." Einmal - 1974- fragte sie der damalige Bürgermeister Peter Schulz, ob sie nicht Senatorin werden wolle. Dies wäre nicht nur Anerkennung ihrer politischen Laufbahn gewesen, sondern hätte auch ihre Rente verdoppelt. Doch Elisabeth Ostermeier entschied sich nach dem Ausscheiden aus der Bürgerschaft für ihr Privatleben.
    Text: Dr. Rita Bake

    Irene Knickrehm

    geb. Spir

    Sozialpädagogin, Abgeordnete (CDU) der Hamburgischen Bürgerschaft

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    27.10.1925
    Hamburg
    -
    2.12.2019
    Hamburg
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    Grablage: Block 21, Nr. 1e

    Irene Spir wurde auf der Uhlenhorst geboren. Ihr Vater war Arzt und jüdischer Herkunft und galt in der NS-Zeit als "Halbjude", seine Tochter Irene als "Vierteljüdin". Die NSDAP beorderte Irenes Vater in die Kleinstadt Köthen in Sachsen, wo er fortan als Arzt praktizieren sollte.
    1) Nachdem Irene Spir 1944 ihr Abitur gemacht hatte, arbeitete sie als Praktikantin in verschiedenen Kinderheimen, um dann eine Ausbildung zur Fürsorgerin am Sozialpädagogischen Institut in Hamburg zu absolvieren.1949 erhielt sie eine Anstellung bei der Jugendbehörde.1950 heiratete Irene Spir. Drei Jahre später trat sie der CDU bei. Den Grund hierfür gab sie folgendermaßen an: "Nach den Schrecken der Hitler-Diktatur wollte ich am Aufbau eines demokratischen Deutschlands mithelfen. Dieses neue Deutschland sollte freiheitlich sein und - darauf lege ich besonderen Wert - auf christlichen Werten errichtet werden".
    2) Irene Knickrehm wurde stellvertretende Landesvorsitzende der Jungen Union. Später, 1957 wurde sie in die Bezirksversammlung Hamburg-Nord gewählt. Dort war sie bis 1967 aktiv. Dann zog sie nach Neugraben-Fischbek, so dass sie der Bezirksversammlung Hamburg-Nord nicht mehr angehören konnte. Als sie noch in Barmbek-Süd wohnte, war sie bis 1965 auch Mitglied im Ortsausschuss Hamburg-Uhlenhorst gewesen und hatte dem Vorstand der CDU-Bezirksfraktion angehört.
    In den 1960er Jahren wurde Irene Knickrehm Mitglied des Landesvorstandes der CDU. In den 1970er und 1980er Jahren war sie stellvertretende Landesvorsitzende der CDA (Christliche Demokratische Arbeitnehmerschaft) und in den 1990er Jahren Vorsitzende der Delegiertenversammlung der Hamburger CDA.
    Diese politischen Aktivitäten qualifizierten sie, um als Abgeordnete für die Hamburgischen Bürgerschaft aufgestellt zu werden. Als sie Abgeordnete wurde, war ihr Stiefsohn schon erwachsen. Ihr Ehemann und ihr Sohn unterstützten ihre politische Arbeit. Privatleben und Bürgerschaftsarbeit vereinbaren zu können war nach Irene Knickrehms Meinung eine: "Frage der physischen und psychischen Belastbarkeit und der Fähigkeit, den Tagesablauf zu organisieren."
    3)Während ihrer Abgeordnetentätigkeit fungierte Irene Knickrehm in den 1970er Jahren auch noch als Landesvorsitzende im Berufsverband katholischer Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter. Irene Knickrehm war von 1965 bis 1966 (März 1966: Ende der Legislaturperiode) als Nachrückerin für den früheren Bürgermeister Kurt Sieveking und von 1970 bis 1978 Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft. Ihre politischen Schwerpunkte als Abgeordnete lagen in den Bereichen Sozial- und Jugendpolitik. Dort konnte sie ihr Fachwissen politisch einbringen und "aus christlicher Verantwortung an der Erarbeitung von Zukunftsperspektiven für die Menschen" mitwirken. "Sie forderte dort eine Erhöhung der Regelsätze für Bezieher von Sozialhilfe und höhere Zuschüsse an die Verbände der freien Wohlfahrtspflege. Außerdem sprach sich dagegen aus, die Fürsorgeämter auf die Bezirksämter zu verlagern, weil damit weil das zu einer Steigerung der ‚Kompetenzverwirrungen und -überschneidungen' führen würde. Stattdessen sollten die Zuständigkeiten für den Fürsorgebereich in einem Amt für Soziale Dienste konzentriert werden."
    4) Als Niederlagen empfand sie, "wenn Initiativen, für die ich viel Engagement und großen Zeitaufwand eingesetzt hatte, durch die Mehrheitsfraktionen ohne erkennbaren Grund niedergestimmt wurden".
    5) Weil sich ihre Fraktion stets in der Opposition befand, gab es nur wenig Erfolgserlebnisse. Erfolge hatte sie bei interfraktionellen Anträgen erlebt.
    6) Irene Knickrehm schied aus der Bürgerschaft aus, weil sie nach eigenen Aussagen an der Basis die Mehrheit verloren hatte und nicht mehr aufgestellt wurde. Nach dem Ausscheiden als Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft war Irene Knickrehm Mitglied/Fraktionssprecherin in Deputationen, zuletzt bis Herbst 1993 der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Außerdem hatte sie Aufgaben im Partei-Ortsvorstand und Landesvorstand der CDA übernommen, war Delegierte in der Landespartei und leistete Seniorenarbeit. 1992 übernahm sie die Leitung des Seniorentreffs in Neugraben, die sie 2009 an Jüngere abgab.
    Text: Rita Bake
    Quellen:
    1) 1) Vgl: Ergebnisse eines Zeitzeugeninterviews mit Frau Knickrehm über ihr Leben in der nationalsozialistischen Diktatur bis zum Mauerbau 1961. Autorin: Jessica Chen (*1999), November 2015 Lebendiges Gedächtnis, Gymnasium Süderelbe, Hamburg http://docplayer.org/38174085-Luftangriffe-fuehrten-zu-schulfrei.html
    2) 2) "Die Medaille werde ich in Ehren halten". Irene Knickrehm erhielt die silberne Verdienstmedaille der CDU für 50 Jahre engagierter Unions Mitgliedschaft, in: Der Neue Ruf. Die Zeitung zum Wochenende im Großraum Harburg, Sonnabend, 22.11.2003.
    3) 3) Inge Grolle, Rita Bake: "ich habe Jonglieren mit drei Bällen geübt". Frauen in der Hamburgischen Bürgerschaft 1946 bis 1993. Hamburg 1995, S. 359.
    4) 4) Wikipedia: Irene Knickrehm, unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Irene_Knickrehm (abgerufen: 31.3.2020)
    5) 5) Inge Grolle, Rita Bake, a. a. O., S. 359.
    6) 6) Ebenda.

    Johanna Renate Wöhlke

    geb. Wietzorreck; alias Cosia Immerscheen

    Diplom-Politologin, freie Journalistin und Autorin, Lyrikerin, Fotografin, Musikerin und Komponistin sowie bildende Künstlerin, Kuratorin und Galeristin

    Ornament Image
    11.3.1950
    Pegau/Leipzig
    -
    15.6.2017
    Hamburg-Neugraben
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    Grablage: Falkenbergsweg 155, Heidefriedhof, Hamburg-Neugraben, Block 4c-ewp/27-28

    Geboren wurde sie 1950 in Pegau bei Leipzig. Früh hat sie ihre Kreativität in sich gefunden, "schon als Kind Gedichte geschrieben und hat selbst die Räume geschaffen, sie wachsen und reifen zu lassen. Denn ihr Start ins Leben war mühsam - keine sonnendurchflutete glückliche Kindheit. Aus Ostpreußen stammend, war die Familie Wietzorreck über Leipzig nach Hamburg gezogen. Das Abitur war nicht vorgesehen, aber der Schuldirektor setzte sich für das so vielseitig interessierte und begabte Mädchen ein (1). Ihr weiter Horizont führte sie zum Studium der Volkswirtschaft und der Politikwissenschaft mit Öffentlichem Recht und Völkerrecht in Hamburg. Nach einem Zeitungsvolontariat arbeitete die Diplom-Politologin viele Jahre als freie Mitarbeiterin für das Hamburger Abendblatt und die Harburger Rundschau. Mit gleichem Enthusiasmus wie als Familienfrau mit Leib und Seele - war sie rührig als Autorin, im Journalismus, als Lyrikerin, Texterin von Songs und modernen Kirchenliedern.
    Auf Anhieb zum "Ohrwurm" wurde der von ihr getextete und komponierte "Hamburg"-Song. Es war das Jubiläumslied zum 25. Alstervergnügen im Jahr 2000, entdeckt von dem bekannten NDR-Fernseh- und Rundfunk-Moderator Carlheinz Hollmann, der mit seiner Produktionsfirma u.a. das "Alstervergnügen" organisierte (2). Nana Gualdi, erfolgreiche Sängerin und Schauspielerin, interpretierte das Lied und nahm es in ihr Repertoire auf.
    Johanna Renate Wöhlke arbeitete auch gern mit anderen Talenten oder förderte bereitwillig. Als Cosia Immerscheen experimentierte sie auf ihre ureigene Weise mit der Bildenden Kunst. Ihre "EGGart" wurde international ausgestellt (www.eggart.eu). Der Zustimmung und Unterstützung durch ihre aufgeschlossene Familie mit Tochter und Sohn konnte sie auch darin sicher sein.
    In einem Nachruf im Hamburger Abendblatt hieß es: "Wir verlieren eine Künstlerin, die eigentlich ein Tausendsassa war und scheinbar mühelos die Genregrenzen zwischen Text und Bild überwand", erklärte Sabine Witt, Vorsitzende der Hamburger Autorenvereinigung AV: "Legendär ihre künstlerische Bearbeitung das Themas ,Ei', das sie in allen Variationen fotografisch, bildnerisch wie textlich bearbeitete." Von der Lokalreportage bis zum Feuilletontext sei Johanna Renate Wöhlke "überall zu Hause gewesen". (3)
    Und die Malerin und Buchkünstlerin Hanna Malzahn von der GEDOK (Verband der Gemeinschaften der Künstlerinnen und Kunstförderer e.V., gegr. 1926 von Ida Dehmel) (4) ergänzte aus ihrem persönlichen Erleben: "Johanna Renate Wöhlke (Diplom-Politologin, Redakteurin, freie Journalistin und Autorin, Lyrikerin, Fotografin, Musikerin und Komponistin sowie bildende Künstlerin, Kuratorin und Galeristin) war eine bemerkenswerte Frau, sehr vielseitig, sehr begabt, humorvoll, kritisch, lebenslustig, feinfühlig und sehr, sehr aktiv.
    Sie veröffentlichte Gedichte in Anthologien, in zahlreichen Gedichtbänden und Hörbüchern, vertonte eigene Texte, schrieb u.a. für das Hamburger Abendblatt, war Präsidentin der auswärtigen Presse und aktives Mitglied der Hamburger Autorenvereinigung und im Verband Deutscher Schriftsteller.
    Unter dem Künstlernamen Cosia Immerscheen schuf Johanna digitale Kunst mit Spiegeleiern (Egg-Art), als bildende Künstlerin war sie in vielen Einzel- und Gruppenausstellungen in Hamburg und einer großen Zahl anderer Orte in Deutschland, Österreich, Italien, Finnland und USA vertreten. Ebenso war sie am Kunstprojekt Skulpturenpark-Neugraben beteiligt.
    In der GEDOK hat Johanna bis zu ihrer Erkrankung sehr engagiert im Fachbereich Literatur gearbeitet. Als Mitglied des Fachbereichs hat sie organisatorische Aufgaben erledigt und wichtige Beiträge geliefert. Sie führte verschiedene Lesungen und Performances durch und hat maßgeblich die konzeptionelle Gestaltung der Ausstellung ‚Lebensmosaik' (2015) erarbeitet. Ebenso wurde die Ausstellung über Buchillustration/ Künstlerbücher (2013) zum Thema Kindheit mit Bildern, Gedichten und Geschichten sowie mit Kinderliedern von Johanna bereichert. Zuletzt war sie 2016 in der GEDOK präsent, unter dem Pseudonym ‚Johanna von der Käserinde' trat sie bei ‚Poesie trifft Komposition' mit Maren und Wolfgang Schönfeld am Tag der Poesie auf.
    Johanna und ich sind zur gleichen Zeit in die GEDOK aufgenommen worden. Ich habe sie schon bei der Ausstellung ‚Neu in der GEDOK' (2013) als zugewandte, kompetente, kreative und sehr verlässliche Kollegin schätzen gelernt. Für den ‚Tag der Poesie' (2013) habe ich vier Frühlingsgedichte von Johanna illustriert. Es hat sich eine sehr schöne und tiefe Freundschaft sowohl beruflich als auch privat zwischen uns entwickelt. Ich bedauere ihren viel zu frühen Tod sehr und bin sehr, sehr traurig. Hanna Malzahn." (5)
    Das Gemeindeleben, Kultur- und Bildungsprogramm oder die von Frauen gestalteten "Dekade-Gottesdienste" in ihrer evangelisch-lutherischen Kirche Michaelis-Neugraben prägte sie über viele Jahre kreativ entscheidend mit, unter anderem als engagiertes Mitglied der dortigen Frauengruppe unter der Leitung von Renate Gresens. So zeichnete sie mitverantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit von Michaelis Neugraben, was sich sowohl auf die überregionale Popularität ihrer Kirche als auch der sozialpolitischen Aktivitäten Neugrabens auswirkte.
    Ehrenämter
    "Seit 2009 Präsidentin der Journalistenvereinigung ‚Die Auswärtige Presse e.V.' in Hamburg; Ehrenämter in meiner evangelischen Kirchengemeinde; Mitglied in den Berufsorganisationen von VS (Verdi-VS = Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller) bis zum Deutschen Textdichterverband, gerne das ganz normale Leben"
    (Auszug aus eigener Kurz-Biografie unter Link: http://www.hh-av.de/mitglieder/johanna-renate-woehlke/)
    Veröffentlichungen (Auswahl)
    - Federpferde. Lyrikmarmelade aus Schneckeckenheckenzecken, Elefantentränen, Regenküssen, ewigem Rosenrot und Hoffnung, ab 1969
    - Im Himmel gebadetes Obst. Eine skurril-poetische Gedankenreise, 1996, Buch und Hörbuch-CD
    - Der Mensch im Gemüsefach der Geschichte. Alltagsminiaturen. Hamburg 2004
    - Männer mögen Maiglöckchen. 99 und eine Schmunzelgeschichte. Hamburg 2007
    - HautKontakt. Schatten von Träumen. Eine Anthologie, 2009
    - LebensKontakte. Eine Enzyklopädie menschlichen Handelns, Hamburg 2012
    - Recherche und Beiträge für die Festschrift "100 Jahre Michaeliskirche Neugraben", (Autorinnen u.a. Renate Gresens), Hamburg 2011.
    Ehrungen und Preise (Auswahl)
    - 2003 Stipendiatin der "Celler Schule", ein Förderprojekt der GEMA-Stiftung für Textschaffende in der deutschen Unterhaltungsmusik.
    - Im Jahr 2005 zählt die FÜR SIE-Redaktion mein Buch "Der Mensch im Gemüsefach der Geschichte" zu den elf jahrgangsbesten Büchern des Frauenmagazins.
    Ein überbordender Fundus von assoziativ mit einander verwobenen und mäandrierenden Themen spiegelt ihren breiten Schaffensstrom, ihre Freude am Netzwerken wie an der Förderung von Talenten und findet sich auf ihren beiden Internet-Portalen:
    www.jrwoehlke.de/ (darauf viele Hörproben !) und eggart.eu
    Zitate:
    "Als EGGart (conzeptfrei - aus der Bratpfanne des Lebens, seit 2008) bezeichne ich mein skurriles Umgehen mit dem Ei als Spiegelei als materielle Grundlage für Graphiken - wobei nicht in jedem Augenblick sicher ist, ob ich mit dem Ei etwas tue oder das Ei mit mir. Im ersten Fall bin ich die EGGart- Schöpferin, im zweiten Fall ist das Ei in sich selbst die Kunst. Der Betrachter mag für sich eine Haltung dazu entwickeln.
    Alle Dinge des Lebens gestalten sich und verwischen zwischen Sein und Nichtsein, zwischen Fragen und Wissen, zwischen Wahrheit und Erkenntnislosigkeit, ich sage bewusst nicht Lüge. Das alles spiegelt sich für mich im Ei. Das Ei schenkt mir geradezu den skurrilen künstlerischen Umgang mit Geheimnis und Erkenntnis, mit Form und Inhalt - ein kreatives Geschenk als Inbegriff der Geheimnisse und Wunder des Lebens und…Humor! (Quelle: http://eggart.eu/; abgerufen März 2019 CG).
    Als "Johanna von der Käserinde" machte sie sich Gedanken über alles rund ums Kochen und Haushalten: "Nun bin ich älter geworden und gleichzeitig ist mir klar geworden: Alles Wesentliche ist schon seit Jahrtausenden gedacht, gesagt, geschrieben und ausgesprochen worden. Was bleibt mir also noch? Da bleibt mir nur noch, die ewigen Wiederholungen in meine Form zu gießen, die mit Humor ausgekleidet ist, mehr noch: deren Kern Humor ist! Auch das ist nicht neu, in der Tat.
    Ich baue mir eine Brücke: Die Wiederholung ist der wahre Herrscher der Welt, denn in ihr leben und lieben sich Fortsetzung und Ewigkeit. Das gilt auch für das Schreiben und seine Buchstaben. Kein Leben ohne Wiederholung, kein ewiges Leben ohne ewige Wiederholung." (Johann Renate Wöhlke, zitiert aus LINK: http://www.jrwoehlke.de/?cat=881).
    Ausstellungen:
    Eine Auswahl ihrer Ausstellungen zwischen Hittfeld, Gut Basthorst/SH, Berlin, Würzburg, New York und Florida findet sich unter dem LINK: http://eggart.eu/?page_id=2590, abger. März 2019 CG)
    Weitere Quellen:
    (1) Aus der Predigt zum Festgottesdienst als Trauerfeier am 30.6.2017 v. Pastorin Bettina v. Thun. Michaeliskirche Neugraben
    (2) vgl. dazu LINK: https://de.wikipedia.org/wiki/Carlheinz_Hollmann und zur Geschichte der Milleniumshymne vgl. den LINK: https://www.abendblatt.de/archiv/2000/article204324973/Musikalische-Liebeserklaerung-an-Hamburg.html)
    (3) Nachruf in: Hamburger Abendblatt v. 26.06.17; LINK: https://www.abendblatt.de/kultur-live/article211035639/Journalistin-Johanna-Renate-Woehlke-gestorben.html (abgerufen: 5. März 2019 CG) (4) Die GEDOK, wurde 1926 von Ida Dehmel, geb. Coblenz, in Hamburg gegründet, damals unter dem Namen "Gemeinschaft Deutscher und Österreichischer Künstlerinnenvereine aller Kunstgattungen". Auf diesen Namen geht noch das heutige Kürzel GEDOK zurück. "Die GEDOK ist ein Verband, der in allen Kunstsparten - in bildender, angewandter und darstellender Kunst, Architektur, Literatur, Musik - besonders die Interessen der Künstlerinnen vertritt. Dieser Gründungsmaxime Ida Dehmels stellt die GEDOK sich auch noch heute, da Künstlerinnen, trotz formal erreichter Gleichberechtigung, vielfach benachteiligt sind." Als Verband der Gemeinschaften der Künstlerinnen und Kunstförderer e. V. ist die Gedok bis heute das älteste und europaweit größte Netzwerk für Künstlerinnen aller Kunstgattungen. Vgl. z.B. https://www.gedok-hamburg.de/info/geschichte (abgerufen 15.5.2019, 13 Uhr, CG).
    (5) Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in GEDOK-Künstlerinnen, Nachruf von EW. Permanenter Link des Eintrags; LINK: http://blog.gedok-hamburg.de/nachruf-johanna-renate-woehlke/ ; abger. März 2019 CG).
    Text: Dr. Cornelia Göksu

Mitte

    Elise Averdieck

    Leiterin des Diakonissenhauses Bethesda, Kinderbuchschriftstellerin.

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    26.2.1808
    Hamburg
    -
    4.11.1907
    Hamburg
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    Grablage: Im Gras liegender Grabstein

    Elise Averdieck war die Zweitälteste von zwölf Kindern einer Hamburger Kaufmannsfamilie. Als das Geld in der Familie knapp wurde, ging sie als Gesellschafterin zu Madame Schmilinsky nach St. Georg. Im Alter von 27 Jahren erlebte sie am 3. November 1835 ihre Bekehrung. Der Glaube wurde das Fundament ihres Lebens.
    Nach ihrer Tätigkeit als Gesellschafterin pflegte sie fünf Jahre lang kranke Kinder in der Privatklinik des Arztes Dr. Günther am Borgesch. Als er als Professor nach Kiel berufen wurde, eröffnete Elise Averdieck in St. Georg eine Vorschule für Knaben, entwickelte eine eigene Lesefibel und verfasste selbst Kinderbücher, weil ihr die angebotenen nicht kindgerecht erschienen. Sie schrieb Kinderbücher, die im Hamburger Milieu spielten und die Alltagswelt des Kindes darstellten. 1843 wurde Elise Averdieck Lehrerin der Mädchenklasse in Pastor Rautenbergs Sonntagsschule in St. Georg, in der unbeschulte Kinder aus der Armutsschicht lesen lernten und Biblische Geschichte hörten. 1852 errichtete sie mit den Mitarbeitern der Sonntagsschule eine "Kinderkirche" in der Stiftstraße.
    Doch damit nicht genug. Elise Averdieck plante auch die Gründung eines christlichen Krankenhauses. Der Zufall wollte es, dass ein Bekannter seine Krankenhausbehandlung nicht bezahlen konnte. Elise Averdieck nahm ihn bei sich zu Hause auf und pflegte ihn zusammen mit ihrer Freundin. Ein Arzt untersuchte den Kranken unentgeltlich. Bald kamen weitere Kranke aus der Armutsschicht, und Elise Averdiecks Zimmer, das sie als Krankenzimmer zur Verfügung gestellt hatte, wurde zu eng. Und wieder eine Fügung: Zur gleichen Zeit zog ein Großteil ihrer Schüler aus Hamburg fort oder wurde aus der Schule entlassen, so dass Elise Averdieck kaum noch Kinder zu unterrichten hatte. Außerdem wurde das Haus frei, in dem sie ehemals die kranken Kinder von Dr. Günther gepflegt hatte. Sie widmete sich von nun an ausschließlich der Krankenpflege. 1856 erfolgte der Umzug in die neuen Räume des ehemaligen Kinderkrankenhauses von Dr. Günther. Das Haus wurde "Bethesda" genannt und finanzierte sich über Spenden. Elise Averdieck wurde zur Vorsteherin für das zu erbauende Krankenhaus gewählt, wurde Diakonissenmutter und bildete Schwestern aus. 1860 fand die Einsegnung der ersten Hamburger Diakonissin statt.
    Zur Krankenpflege kam nun noch die Gemeindepflege hinzu. Im Jahre 1881 legte Elise Averdieck die Leitung der Anstalt aus Altersgründen nieder.
    Text: Dr. Rita Bake

    Auguste Jauch

    geb. Stubbe

    Wohltäterin

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    20.4.1822
    Kiel
    -
    4.1.1902
    Hamburg
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    Grablage: Laut Wikipedia soll sie in der Jauchschen Familiengruft auf dem Hammer Friedhof bestattet sein. Das Grab ist nicht auffindbar

    Auguste Jauch war die Tochter eines Uhrmachers. Im Alter von 26 Jahren heiratete sie den 18 Jahre älteren Hamburger Großbürger und Oberleutnant der Hanseatischen Kavallerie Moritz Jauch (1804-1876), Sohn eines Großkaufmannes. Das Paar bekam einen Sohn (Hermann, 1855-1916, Erbauer des Herrenhauses Schönhagen).
    Auguste Jauch unternahm viele Reisen ins Ausland. Auf einer dieser Reisen, sie weilte damals in Istanbul, erhielt sie die Nachricht vom Tod ihres Ehemannes in Hamburg. Sie soll darauf telegraphisch übermittelt haben: "Beerdigt ihn würdig."
    Nach dem Tod ihres Mannes im Jahre 1876 gründete Auguste Jauch aus dem großen Erbe ihres Mannes mehrere wohltätige Stiftungen, wobei der Schwerpunkt auf der Linderung der Not der armen Bevölkerung lag. Darüber hinaus gab sie der Inneren Mission große Geldbeträge.
    1889 kaufte sie ein Stiftsgebäude in der Bürgerweide 59 für ihre: "Auguste-Jauch-Stiftung", eine Stiftung zur Vergabe von Freiwohnungen an bedürftige Witwen und zur Speisung armer Kinder.
    Außerdem wurde im dem Gebäude eine Suppenküche für Arme eingerichtet. Auguste Jauch verwaltete diese Stiftung bis zu ihrem Tode.
    In Kiel ließ Auguste Jauch 1884 neben der Jakobikirche ein Damenstift für "gebildete, unverheiratete Damen" errichten.
    1891 wandelte sie gemeinsam mit ihrem Sohn das Stammhaus der Familie Jauch am Stadtdeich 9 um in ein Heim "für alleinstehende, in ihrer Arbeitsfähigkeit beschränkte alte Männer aus der Arbeiterschaft". Die Männer erhielten hier freie Unterkunft und freie Kost. Ca. 21 alte Männer konnten aufgenommen werden.
    Viele Familiengehörige setzten das wohltätige Wirken von Auguste Jauch in den Stiftungen fort.
    Die Stiftsgebäude wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört, das Restvermögen ging in die Hamburger Stiftung Gast- und Krankenhaus über.
    Neben ihrem wohltätigen Engagement widmete sich Auguste Jauch auch der Kunst. Sie besaß eine große Sammlung von Gemälden und Asiatica. Einzelne Institutionen bekamen von ihr daraus Einzelstücke gestiftet.
    Quelle:
    Vgl: Wikipedia: Auguste Jauch (abgerufen 8.1.2018)

    Anna Lühring

    Lützower Jäger, Heldenmädchen

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    3.8.1796
    Bremen
    -
    25.8.1866
    Hamburg
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    Grablage: Lützower Jäger, Heldenmädchen

    Namensgeberin für: Anna-Lühring-Weg, seit 1929 in Hamburg-Horn
    Anna Lühring wurde als fünftes Kind eines Bremer Zimmermeisters geboren. Über die Mutter ist nichts bekannt. In der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1814 verließ sie in den Kleidern ihres Bruders ihr Elternhaus in der Bremer Brautstraße, um zu den Lützower Jägern zu gelangen, die vorher durch Bremen gezogen waren. Unter dem Namen Eduard Kruse trat sie als freiwilliger Jäger in das Lützower Korps ein und zog mit ihm in den Krieg. Was sie zu diesem Schritt bewogen hatte, ist nicht eindeutig zu ermitteln. Vielleicht waren es die verklärten Vorstellungen vom Heldenruhm, die damals stark verbreitet waren. Vielleicht die Sehnsucht nach Abenteuer und Freiheit. Ihr Vater glaubte an ein Liebesverhältnis zu einem Soldaten, das seine Tochter dazu veranlasst hatte, sich in das Lützower Jägerkorps als Mann verkleidet einzuschleichen Niemand merkte, dass "Eduard Kruse" eine junge Frau war. Anna Lühring gab sich mutig und züchtig. Sie nahm an der Belagerung Jülichs teil, zog mit nach Frankreich. Auf dem Marsch gen Frankreich erreichte das Korps in Aachen ein Brief von Vater Lühring. Dadurch wurde die Identität des Jägers Kruse entdeckt. Doch das inständige Bitten Anna Lührings und ihr vorbildlicher Lebenswandel waren die ausschlaggebenden Kriterien, sie in der Kompanie zu belassen. Allerdings wurden ihre Kameraden nicht in das Geheimnis um den Soldaten Kruse eingeweiht,
    nur der Hauptmann und der Kompaniechef wussten Bescheid. Als das Korps in Frankreich einmarschiert war, wurde am 8.4.1814 das Kriegsende verkündet. Die Lützower zogen nach Berlin zurück, wo sich das Korps auflöste. Dort, in Berlin, wurde Anna Lühring von Wilhelm von Preußen empfangen und von der Fürstin Radziwill ausgezeichnet und beschenkt. Vater Lühring jedoch wollte seine Tochter nicht zurückhaben. Er grollte ihr, hatte sie sich in seinen Augen doch zu unanständig verhalten. Der Hofrat und Schriftsteller Karl Gottlob Heun intervenierte beim Bremer Senator Johann Smidt. Der Bremer Senat versprach daraufhin, Anna Lühring gebührend zu ehren. Durch diese Zusage wurde auch Vater Lühring umgestimmt, und so kehrte Anna Lühring 1915 nach Bremen zurück. Der Einzug in Bremen war imposant, neben dem Wagen ritten ehemalige Lützower Jäger, an den Straßenrändern standen jubelnde Menschen. Doch schon bald wurde es wieder still um Anna Lühring. 1820 ging sie nach Hamburg, arbeitete dort in einem Geschäft für weibliche Industrieartikel, heiratete 1823 den Kellner Lucks und wurde 1832 Witwe. Sie lebte an der Horner Landstraße in äußerst bescheidenen Verhältnissen und versuchte sich mit Näharbeiten über Wasser zu halten. Manchmal erhielt sie auch private Spenden. Nachdem sich ehemalige Lützower Jäger für sie eingesetzt hatten, bekam sie ab 1860 von ihrer Mutterstadt Bremen eine regelmäßige kleine Pension. Anna Lühring wurde auf dem Kirchhof zu Hamm in Hamburg beigesetzt. 43 Jahre nach ihrem Tod erhielt die Grabstätte einen neuen Grabstein. Immer dann, wenn patriotische Gesinnung gefragt war, wurde sich Anna Lührings erinnert - so im Ersten Weltkrieg, als auch die weibliche Bevölkerung zu vaterländischen Taten aufgerufen wurde.
    Text: Dr. Rita Bake

    Amalie Sieveking

    Vorsteherin des Weiblichen Vereins für Armen- und Krankenpflege, gegr.: 1832.

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    25.7.1794
    Hamburg
    -
    1.4.1859
    Hamburg
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    Grablage: Familiengruft Sieveking auf kleinem Hügel

    Namensgeberin für den Amalie-Sieveking-Weg, benannt 1957 in Hamburg Volksdorf und seit 2018 auch des Sievekingdamms
    Amalie Sieveking war eine Senatorentochter und -enkelin. Die Eltern starben früh, hinterließen Amalie kein Vermögen. Nach dem Tod der Eltern wurde Amalie von ihren beiden Brüdern getrennt und kam zu Verwandten, wo sie den kranken Sohn des Hauses pflegen und durch Handarbeiten und deren Verkauf zu ihrem Lebensunterhalt beitragen musste. In diesem Haushalt wurde sie mit Religion und Frömmigkeit vertraut gemacht. Amalie Sievekings berufliche Laufbahn führte sie in die pädagogische Richtung. Sie beteiligte sich an der 1815 gegründeten Freischule für Mädchen und richtete selbst eigene Schulkurse ein. Durch sittliche und religiöse Erziehung wollte Amalie Sieveking die Mädchen zu tüchtigen Hausfrauen und Müttern erziehen.
    "Umschreibend gestand sie sich im Tagebuch geheime Sehnsüchte ein, die glücklichste Erfüllung jeder Frau an der Seite eines geliebten Mannes zu erreichen. Später beteuerte sie, an Gelegenheit habe es ihr nicht gefehlt, es wird aber nicht klar, worin die Barriere bestand, ob in ihrem eckigen, schroffen Wesen und ihrer wenig charmanten Erscheinung oder in ihrer finanziellen Blöße? Darüber grübelte
    Amalie Sieveking nicht weiter, sondern rang sich die Disziplin ab, je länger desto entschiedener das Faktum der Ehelosigkeit anzunehmen und es ins Positive zu wenden. Als sie mit sich darüber im Reinen war, bekannte sie sich nachdrücklich zu dem allgemein verspotteten und gewiss nicht erstrebenswerten sozialen Stand der ‚alten Jungfer'." [1] "Ihr Vetter Karl Sieveking, der die Liebe nicht erwiderte, blieb zeitlebens ihr Freund und Berater." [2]
    Religiös wurde Amalie Sieveking durch Pastor Rautenberg und ihren Cousin Karl Sieveking in die Gemeinschaft der Erweckten (Erwecktenbewegung) eingeführt. "Die Elemente ihres ‚lebendigen' Glaubens waren Sünde, Buße, Versöhnung, Heilung, Erleuchtung. So sehr sich Amalie zur Gemeinschaft mit diesen Menschen hingezogen fühlte, so wach blieb ihre Kritik. Über die Erleuchtung schrieb sie: ‚Ist sie nicht nur der Schimmer einer trügerischen Aufklärung, die ihre Fackel nur gezündet am Licht der eigenen Vernunft ?'" [3]
    Amalie Sievekings Hinwendung zur Armenpflege war die Folge ihrer Entscheidung, ehelos zu bleiben. So erwuchs der Plan, ähnlich den katholischen Frauenorden, eine Gemeinschaft von Protestantinnen zu gründen. Der Ausbruch der Cholera in Hamburg im Jahre 1831 gab den entscheidenden Ausschlag, auf dem Gebiet der tätigen Nächstenliebe zu arbeiten. Amalie Sieveking meldete sich als Pflegerin in der Cholera-Quarantäne des St. Ericus -Hospitals. Dort beließ sie es jedoch nicht beim Pflegen der Kranken, sondern machte sich sogleich an die Organisation des chaotischen Krankenhauswesens. Gleichzeitig entwarf sie die Statuten für einen zu gründenden Weiblichen Verein für Armen- und Krankenpflege. Armen, die unschuldig in Armut geraten waren, sollte geholfen werden. So genannte verwahrloste Arme erhielten keine Zuwendung.
    Um sich über den Zustand der Armen ins Bild zu setzen, machte Amalie Sieveking als Vereinsvorsteherin - diese Position hatte sie 27 Jahre lang inne - den ersten Besuch bei der empfohlenen Armenfamilie.
    Amalie Sievekings Helferinnen kamen aus dem gehobenen Bürgertum. Sie hatten genügend Zeit und auch die finanzielle Unabhängigkeit, sich unentgeltlich solch einer Tätigkeit zu widmen. Voraussetzung für die Aufnahme in den Kreis der Helferinnen war eine evangelische Glaubenshaltung und die Überzeugung, dass der Unterschied zwischen Arm und Reich gottgewollt sei. Arme sollten als Unmündige angesehen werden, denen durch Mitgefühl und Zuspruch geholfen werden sollte. Sie erhielten Naturalien, Kleidung, Haushaltungsgegenstände und es wurde ihnen Arbeit vermittelt. Finanzielle Unterstützung bekamen die Armen nur selten. Wer besonders fromm war, erhielt zusätzliche kleine Zuwendungen. "Die bestehende Kluft zwischen Armen und Reichen meinte sie [Amalie Sieveking] in persönlicher Zuwendung zu den Unterschichten überbrücken zu können, indem sie auf die Gleichheit aller Menschen vor Gott hinwies. Gleichwohl nahm sie ‚ihren' Armen gegenüber eine paternalistische Haltung ein, so wie sie auch den Verein für Armen- und Krankenpflege hierarchisch gliederte. Die ständisch verfasste Gesellschaftsordnung galt ihr als gottgewollt. Aus dieser sozialkonservativen Überzeugung heraus hielt sie alle demokratischen Ansätze und gar revolutionären Umstürze für friedensgefährdend." [4]
    1840 gründete Amalie Sieveking ein Armenwohnstift, das Amalienstift, welches neun Wohnungen und ein Kinderkrankenhaus mit zwei Zimmern und vierzehn Betten enthielt. Die ehrenamtlichen Helferinnen kontrollierten die Stiftsbewohnerinnen und -bewohner. Hielten diese sich nicht an die strenge Hausordnung und besuchten z. B. nicht die täglichen Andachten, schickten ihre Kinder nicht regelmäßig zur Schule oder machten ihre Wohnung nicht genügend sauber, mussten sie mit Strafe rechnen.
    "Das von ihr begründete Werk lebt bis heute fort in einer Stiftung, die ihren Namen trägt. Das Verwaltungsgebäude befindet sich in dem 1840 erbauten ‚Ersten Amalienstift' in der Stiftstraße 65. Hier und in drei weiteren benachbarten Häusern in St. Georg - Minenstraße 11, Alexanderstraße 28 und Brennerstraße 77 - wohnen 165 bedürftige Menschen zu den günstigen Bedingungen der Stiftung. (…) Die Trägerschaft lag bis 1978 beim ‚Weiblichen (Sievekingschen) Verein für Armen- und Krankenpflege' und ging dann auf die Nachfolgeeinrichtung, die ‚Amalie-Sieveking-Stiftung' über. Die Zweckbestimmung der Einrichtungen als Wohnstifte ist unter veränderten Zeitläuften erhalten geblieben.
    Im Gedenken an die von Amalie Sieveking gegründete Krankenpflege ist auch das Krankenhaus in Volksdorf benannt worden," [5] schreibt die Historikerin Inge Grolle über Amalie Sieveking. Auch wird Amalie Sieveking mit einem Medaillon in der Rathausdiele geehrt.
    Von der 1848 ausbrechenden bürgerlichen Revolution hielt Amalie Sieveking überhaupt nichts. Sie empfand es als völlig widersinnig, der Arbeiterschicht zu erklären, dass diese sich selbst aus ihrem Elend befreien solle. Demokratie bedeutete für Amalie Sieveking Anarchie.
    Ebenso war Amalie Sieveking wenig begeistert von der sich im Zuge der bürgerlichen Revolution formierenden religiös-demokratischen Glaubensbewegung, die gegen Priesterherrschaft und engen Dogmatismus angingen. Diese Bewegung "erschien ihr in höchstem Maße verderblich. Denn die Anhänger beriefen sich auf eine Religion der Humanität, auf ein von traditionellen Dogmen gelöstes Christentum der Tat, das allein auf Mitmenschlichkeit im Hier und Jetzt baute und sich vehement gegen die Vertröstung auf ein ungewisses Jenseits richtete. (…) Mit Beklemmung beobachtete Amalie Sieveking, wie attraktiv für Frauen die deutsch-katholische Bewegung war. In deren Zukunftsentwürfen wurde der Weiblichkeit eine erlösende Funktion zugeschrieben; die Befreiung der Menschheit aus den Fesseln weltlicher und geistlicher Herrschaft sollte mit der Emanzipation des Weibes beginnen. In den neu gebildeten freikirchlichen Gemeinden erhielten Frauen volle Mitbestimmungsrechte.
    Im Spätherbst 1846 entstand in Hamburg eine deutsch-katholische Gemeinde. Um ihr die Finanzierung eines Predigers und des Gottesdienstraums zu gewährleisten, bildeten Hamburger Frauen aus gutbürgerlichen Familien um Emilie Wüstenfeld und Bertha Traun einen Unterstützungsverein" [6]
    Amalie Sieveking verurteilte u. a. Bertha Trauns und Emilie Wüstenfelds Einstellung zur Ehe. Dass Bertha Traun sich scheiden ließ und Emilie Wüstenfeld diesen Schritt guthieß, sogar selbst Scheidungsabsichten hegte, stieß nicht nur bei Amalie Sieveking auf heftige Kritik.
    Amalie Sievekings Armenverein wurde zu einer festen Institution der hamburgischen Armenpflege und von den wohlhabenden Bürgern Hamburgs mit reichen Spenden bedacht. Viele Städte in Deutschland und im Ausland gründeten ähnliche Vereine.
    Text: Dr. Rita Bake
    Quellen:
    1 Ulrich Heidenreich, Inge Grolle: Wegbereiter der Diakonie. Johann Wilhelm Rautenberg, Amalie Sieveking. O. O. 2005, S. 72. (Hamburgische Lebensbilder in Darstellungen und Selbstzeugnissen. Hrsg. vom Verein für Hamburgische Geschichte, Bd. 18.)
    2 A. a. O., S. 82.
    3 A. a. O., S. 80.
    4 A. a. O., S. 66.
    5 A. a. O., S. 64.
    6 A. a. O, S. 115ff.
    Vgl. auch: Inge Grolle: "Auch Frauen sind zulässig". Die Frauensäule in der Hamburger Rathaus diele, in: Rita Bake, Birgit Kiupel: Auf den zweiten Blick. Streifzüge durch das Hamburger
    Rathaus. Hamburg 1997.

    Amanda Wichern

    geb. Böhme

    Leitende Mitarbeiterin ihres Mannes Johann Heinrich Wichern

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    12.9.1810
    Hamburg
    -
    7.5.1888
    Hamburg
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    Grablage: Ihr Grabstein steht rechts neben dem ihres Mannes. Der Grabstein ihrer Schwiegermutter Caroline Wichern steht links neben dem ihres Sohnes. Damit ist der Grabstein von Johann Heinrich Wichern rechts und links flankiert von den Grabsteinen seiner Ehefrau und seiner Mutter

    Namensgeberin für: Wichernsweg
    Nachdem Johann Heinrich Wichern 1833 mit seiner Mutter und seiner Schwester ins Rauhe Haus gezogen war, die ersten zwölf Jungen hier untergebracht worden waren und ein Jahr später bereits ein weiteres Haus gebaut worden war, wurden ab 1835 auch Mädchen im Rauhen Haus aufgenommen. Im selben Jahr verlobte sich Johann Heinrich Wichern mit der Sonntagsschullehrerin Amanda Böhme. Er hatte die junge Frau in der Sonntagsschule von Pastor Rautenberg, wo sie als Sonntagsschullehrerin tätig war, kennen und lieben gelernt.
    Amanda Böhme, geboren am 12. September 1810 in Hamburg, hatte mit ihren Eltern - ihr Vater war Direktor der hamburgischen Feuerversicherungskasse - und Geschwistern am Besenbinderhof gewohnt. Als Amanda dreizehn Jahre alt war, starb ihre Mutter. Amanda, dunkelhaarig und klein von Statur, sanftmütig und gelassen, übernahm die Erziehung ihrer jüngeren Geschwister - und damit war der Grundstock für ihre weitere Lebenslaufbahn gelegt.
    Im Rauhen Haus wohnte das junge Paar mit Wicherns Mutter Caroline im Mutterhaus. Amanda ging der Schwiegermutter bei der Haushaltsführung zur Hand und wollte es der Schwiegermutter recht machen. Doch es gab Konflikte und so manche heimlich vergossene Träne, bis der Gatte es eines Tages bemerkte und eine Aussprache mit seiner Mutter führte. Danach übergab er seiner Frau einen Teil seiner Geldgeschäfte und stellte für die Hilfe im Haushalt eine Küchen- und eine Wäschefrau ein. Damit schien der Konflikt zwischen Schwiegertochter und Schwiegermutter bereinigt gewesen zu sein.
    1836 kam Amanda Wicherns erstes Kind zur Welt. Dazu gesellten sich im Laufe der nächsten Jahre noch weitere acht Kinder. Ein Kind starb bereits im Kindesalter, ein weiteres wurde im Alter von 22 Jahren als Soldat im Krieg getötet.
    Die Arbeit im Rauhen Haus reichte Wichern nicht, er wollte solche "Werke rettender Liebe" in ganz Deutschland anregen. Deshalb unternahm er viele Vortragsreisen.
    Während Johann Hinrich Wichern auf Reisen war, übernahm seine Ehefrau die vielfältigen administrativen Arbeiten für den Geschäftsbetrieb des Rauhen Hauses. Sie war nicht nur - obwohl auch dies schon erheblich war - Mutter und Hausfrau, sie war auch Verwalterin und Managerin des Rauhen Hauses und leitete das Haus in Abwesenheit ihres Mannes. Auch war sie für die im Rauhen Haus aufgenommenen Mädchen und deren Arbeitsgebiete zuständig.
    Zum Rollenverständnis zwischen Mann und Frau äußerte sich Johann Hinrich Wichern wie folgt: "Mutter zu sein, ist der erste Beruf einer Frau. Ihr Wirkungskreis ist das Haus. Als Organ, als Diakon Gottes, dient sie dem Tisch, wie der Mann dem Worte dient. Der Dienst bei Tische ist dem Dienst des Mannes am Wort nicht untergeordnet, sondern nebengeordnet. Über diese Trennung jedoch darf kein Zweifel bestehen.
    Die Frau hat sich nicht in den lärmenden Streit der Männer zu mischen, und in der Kirche hat sie zu schweigen. Mann und Frau gehören zueinander wie die Räder einer Achse. Sie helfen sich gegenseitig, fortzukommen. Ich bin der Außenminister des Rauhen Hauses und Du der Finanzminister."
    1856 waren Amanda Wichern und zwei ihrer Töchter ihrem Mann nach Berlin gefolgt, wo er sich um das Gefängniswesen kümmerte. Die anderen Kinder waren entweder in einem Internat untergebracht, absolvierten eine Lehre oder lebten bei der Großmutter, um in Hamburg weiterhin zur Schule gehen zu können.
    Im Laufe der Jahre bekam Johann Hinrich Wichern mehrere Schlaganfälle, seinen ersten 1866. Nach seinem zweiten Schlaganfall 1871 wurde er vom Staatsdienst beurlaubt, und das Ehepaar Wichern kehrte ganz nach Hamburg ins Rauhe Haus zurück. Wichern begann an Depressionen zu leiden. Sieben Jahre bis zu seinem Tod pflegte Amanda aufopferungsvoll ihren Mann. Am 7. April 1881 wurde die Achtzigjährige Witwe. Fünf Jahre später erblindete sie und starb zwei Jahre darauf am 7. Mai 1888.
    Seit 1890 gibt es im Hamburger Stadtteil Hamm-Mitte den Wichernsweg , benannt nach dem Theologen Johann Heinrich Wichern, ergänzt 2001/2002 um die ebenso bedeutende Ehefrau Amanda Wichern. Neuer Erläuterungstext: "benannt nach dem Ehepaar Johann Heinrich W. (1808-1881), Theologe, Gründer des Rauhen Hauses, und Amanda W. (1810-1888), Leitende Mitarbeiterin ihres Mannes."
    Text: Rita Bake

    Caroline Wichern

    Dirigentin, Gesangspädagogin, Komponistin

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    13.9.1836
    Hamburg-Horn
    -
    19.03.1906
    Hamburg-Horn
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    Grablage: Ihr Grabstein liegt auf der Familiengrabstätte Wichern zu Füßen des Grabsteins ihres Vaters Johann Heinrich Wichern

    Tochter von Amanda Wichern und dem Begründer des Rauhen Hauses Johann Heinrich Wichern. Leitete von 1860 bis 1880 den Männer- und Knabenchor des Rauhen Hauses, von 1881-1896 Gesangslehrerin in Manchester, danach zurück in Hamburg, wo sie im Rauhen Haus als Dirigentin tätig war. 1900 dirigierte sie in Hamburg ein Orchesterkonzert mit eigenen Kompositionen. Sie gab Liedersammlungen heraus, bearbeitete wallische Volksweisen, komponierte Lieder, Gesänge, Klaviermusik.

    Gerda Aldermann

    geb. Ewe

    Gewerkschafterin, ehrenamtlich tätig in mehreren Organisationen

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    6.10.1927
    Magdeburg
    -
    7.10.2020
    Hamburg
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    Anonym bestattet auf dem Öjendorfer Friedhof

    Nach dem Realschulabschluss 1942 besuchte Gerda Aldermann die Höhere Töchterschule bei Fr. Dr. Krausnick in Bad Harzburg. 1945, so schreibt Gerda Aldermann in ihrem Lebenslauf, wurde sie mit ihren Angehörigen aus ihrem Haus auf dem Fliegerhorst in Zerbst, Sachsen-Anhalt vertrieben. Zwischen 1946 und 1948 arbeitete sie bei der Schutzpolizei in Magdeburg als Oberwachtmeisterin der Verkehrspolizei. Von Juli 1948 bis Juni 1949 musste sie dann Zwangsarbeit bei der Wismuth AG, einem Bergbauunternehmen im Übertageabschnitt Affonin, Aue/Erzgebirge leisten.
    Am 19. Juni 1949 glückte die Flucht nach Westberlin. Gerda Aldermann wurde als politischer Flüchtling anerkannt.
    1950 wurde der Sohn Martin geboren. Gerda Aldermann war nun alleinerziehende Mutter und leistete damals als Schichtschreiberin des Senats von Westberlin Notstandsarbeit auf Trümmergrundstücken. Danach war sie zwischen 1950 und 1961 in der Damenoberbekleidungskonfektion tätig und von 1962 bis 1973 z. B. bei Bayer-Leverkusen und bei Ara-Schuhe Wermelskirchen.
    Dann kam sie nach Hamburg und arbeitete zwischen 1974 und 1987 als Versicherungsangestellte bei der Hamburg-Mannheimer Versicherung. Sie wurde Mitglied der DAG, Vertrauensfrau und Betriebsratsmitglied.
    Auch frauenpolitisch engagierte sich Gerda Aldermann. So fungierte sie seit 1987 im Landesfrauenrat Hamburg viele Jahre als Delegierte für die DAG und den Deutschen-Staatsbürgerinnen-Verband. Für ihr langjähriges Engagement für Frauen- und Gleichstellungspolitik erhielt sie 1998 den Zitronenjette Preis durch den Landesfrauenrat Hamburg und die Messe "Du und Deine Welt" verliehen. Gerda Aldermann wurde auch die "Hausphotographin" des Landesfrauenrates. Viele Jahre photographierte sie die vom Landesfrauenrat durchgeführten Veranstaltungen, so auch seine Aktivitäten auf der Messe "Du und Deine Welt" und wurde damit eine stetige und zuverlässlige Bild-Dokumentarin des Landesfrauenrates. In dieser Funktion war sie u. a. auch für den Verein Garten der Frauen, den Staatsbürgerinnen-Verband, die Landeszentrale für politische Bildung und das Senatsamt für die Gleichstellung treu und engagiert tätig. Gab man ihr dafür einen kleinen Obolus für ihre entstandenen Auslagen, dann bedankte sie sich dafür wiederum mit Blumensträußen.
    Aber nicht nur als Photographin dieser Institutionen war Gerda Aldermann ehrenamtlich aktiv, sie engagierte sich auch noch auf ganz anderen Gebieten, worüber sie aber kaum mit anderen sprach. In einem Interview mit dem Landfrauenververband beschrieb sie ihre Motivation: "Menschen zu helfen, die krank, hilfsbedürftig und allein sind, war und ist mir stets ein wichtiges Anliegen. Denn mein eigenes Leben war nicht immer einfach." Gerda Aldermann war seit 1975 im Malteser Hilfsdienst tätig, ließ sich 1975 zur Schwesternhelferin ausbilden, um Menschen mit Behinderung, Kranke und alte Menschen zu betreuen. Damals gab es noch keine ambulanten Pflegedienste.
    Auch im Schneewinter 1978/79, als der Schneenotstand im Norden ausgebrochen war, sprang Gerda Aldermnann helfend - neben ihrer Berufsarbeit - ein. In der Malteser-Dienststelle Timmendorfer Strand kochte sie Tee und Erbsensuppe für die Helferinnen und Helfer sowie für die vom Schneenotstand Betroffenen.
    Aber damit nicht genug: 1979 absolvierte Gerda Aldermann eine Ausbildung als Helferin am Unfallort und versorgte Unfallopfer an der B 404 bei Nütschau. Dazu Gerda Aldermann: "Manchmal, wenn ich erschöpft war, dachte ich an das dankbare Lächeln der Betroffenen, an ihren bedeutungsvollen Händedruck - und dann ging es mir wieder gut."
    Trotz ihrer Berufstätigkeit ließ sie sich als Schwesternhelferin beim Tennis am Rotherbaum, beim Horner Derby, beim Alstervergnügen und beim Hafengeburtstag einsetzen. Nach einer im Jahr 1980 erfolgten weiteren Ausbildung, diesmal zur Hilfsköchin war Gerda Aldermann z. B. zwischen 1978 und 1982 beim Volkslauf in Travemünde tätig, kochte Tee für die Läuferinnen und Läufer und Erbsensuppe für die Helferinnen und Helfer. Kocheinsätze hatte sie auch bei Volks- und Straßenfesten in Hamburg und im Raum Schleswig-Holstein. Damit waren ihre Wochenenden stets ausgefüllt. In der Woche betreute sie dann nach der Erwerbsarbeit noch Kranke, alte Menschen und Menschen mit Behinderung. So begleitete sie z. B. Menschen mit Behinderung nach Münster zum Papstbesuch und auf Tagesfahrten. Daneben fungierte sie auch noch als Helferinnen-Vertreterin im Vorstand des Malteser Hilfsdienstes, betreute die Schwesternhelferinnen und absolvierte 1982 noch eine Ausbildung zur Altenpflegerin im Marienkrankenhaus.
    Immer wieder nahm Gerda Aldermann an Fort- und Weiterbildungen teil und nahm dafür oft ihren ganzen Jahresurlaub.
    1989, als Gerda Aldermann 62 Jahre alt war, erweiterte sich ihr ehrenamtliches Aufgabengebiet und es begann ihre Arbeit im Volksdorfer Malteser-Hospiz. Dazu Gerda Aldermann: "Meine Aufgaben: Lebens-, Sterbe- und Trauerbegleitung. Die Aufgabe erfüllt mich. Sterbende Menschen an eine zuversichtliche Hand zu nehmen, ihren ausgesprochenen Gedanken zuzuhören und ihnen die Angst vor dem Alleingelassensein zu nehmen, ist für mich Menschenpflicht, die man verantwortungsvoll wahrnehmen muss."
    1999, im Alter von 72 Jahren, übernahm Gerda Aldermann weitere Arbeiten in der Patientinnen- und Patientenbetreuung. "Ich betreue Menschen, die unter der Alzheimer Krankheit leiden. Nachdem ich meine anfänglichen Bedenken überwunden und Angstgefühle beiseitegestellt habe, erfahre ich viel Freude, Liebe und Anerkennung. Ehrenamtliche Arbeit für Menschen, die krank, sterbend und allein sind, wird immer wichtiger. Es wird wieder Zeit, dass wir Zeit füreinander haben, besonders für diejenigen, denen nicht mehr viel Zeit verbleibt. Zeit schenken, ein gutes Wort sagen und Berührung …. das sind die wichtigen Dinge des Lebens!"
    Gerda Aldermann lebte bis fast zuletzt in ihrer Wohnung. Nur die letzten Lebensmonate verbrachte sie in einem Alten- und Pflegeheim.
    Text: Rita Bake
    Quellen:
    Selbst verfasster Lebenslauf von Gerda Aldermann.
    Bericht über Gerda Aldermann in der Vereinszeitschrift des Landfrauenverbandes Hamburg e. V., Dezember 2000.

    Leonore Gottschalk-Solger

    geb. Swoboda, später umbenannt in Solger

    Star-Anwältin, Strafverteidigerin

    Ornament Image
    7.10.1936
    Dittersdorf/Kr. Neustadt,
    Oberschlesien,
    heute Lkr. Opole/Polen
    -
    31.10.2016
    Hamburg
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    Grablage: 402-03-111; Qu: 6

    Was steckt dahinter? Dieser Titel des Hamburger Verzeichnisses der nach Frauen benannten Straßen von Dr. Rita Bake könnte Leonore Gottschalk-Solger als Lebensmotto gedient haben. Als Leonore Swoboda wurde sie 1936 in Dittersdorf, im damaligen Oberschlesien geboren. "Die Eltern Gabriele (geborene Hanke) und Viktor trugen den slawischen Namen (Swoboda heißt auf polnisch = Freiheit, Unabhängigkeit, CG.), den sie später, als der Vater Offizier und in den Krieg eingezogen wurde, in den deutschen Namen Solger umwandeln ließen. Leonore kam als zweites von vier Kindern zur Welt. Die Familie lebte in einem Teil der Schule, in der der Vater Lehrer und Schulleiter war. Er beherrschte mehrere Fremdsprachen und hatte Geschichte studiert". Die Mutter kümmerte sich unter anderem um den großen Garten und konnte gut nähen und fabelhaft kochen. Die Swobodas beschäftigten ein Hausmädchen, das sich mit um die Kinder und den Haushalt kümmerte. Es gab eine Tante, deren Mann ein großes Fotoatelier in Schlesien betrieb und auch Kunstfotos machte. (Informationen und Zitat aus Qu: [1], S. 46). Ein Schwager des Vaters war Arzt und lebte in der Nähe von Kattowicz in einem schlossähnlichen Haus mit Türmchen. Eine Tante väterlicherseits war mit einem adligen, sehr reichen ehemaligen Offizier verheiratet. "Am Kriegsende wurden dem ehemaligen Offizier durch Fremdarbeiter, die er angestellt hatte, sämtliche Orden entrissen, was ihn so sehr verstörte, dass er nicht mehr leben wollte." Er beging er erweiterten Suizid und erschoss zuerst seine Frau und dann sich. Leonores Mutter hatte dies, trotz intensiver Bemühungen, nicht verhindern können.
    Zu Anfang des 2. Weltkrieges gehörte Leonores Vater zu den ersten, die eingezogen wurden - als Soldat nach Russland. Leonore besuchte von 1942 bis 1944 die Volksschule in Dittersdorf, wuchs in Wohlstand und behütet auf. Auf der Flucht gen Westen, gemeinsam mit ihrer schwerkranken Mutter und ihren Geschwistern, hatte sie bedrohliche, erschütternde Erlebnisse. Diese grauenhaften Bilder haben mich nie losgelassen" (Qu. [1], S. 47 - 50).
    Von Schlesien kam die Familie in den Ort Kirchweilheim, Bezirk Bremen. Nach seiner Rückkehr wurde der Vater zunächst Leiter einer Schulbibliothek. Die unternehmungslustige und eigensinnige Leonore entwickelte sich zu einer Leseratte mit minutiösem Gedächtnis. Sie ging auf die Mädchenoberschule in Verden/Aller und bestand ihr Abitur an der Jungen-Oberschule in Bremen-Walle, die auch ihr älterer Bruder besuchte.
    Schon als Schülerin war sie mit einer Freundin - teils heimlich - getrampt, nach Paris, Spanien, Italien. Sie interessierte sich für Kunst und wollte Malerin werden. Der Hinweis ihres Vaters, als Frau bräuchte sie nicht zu studieren, stachelte sie an. Einige ihrer Schulkameraden entschieden sich für das Jurastudium. Auch Leonore interessierte sich dafür, obwohl sie ursprünglich Künstlerin werden wollte. Damals war sie eine der wenigen Frauen, die sich ab 1957 an dieser Fakultät einschrieben. Sie studierte in Hamburg und Heidelberg. Als einzige ihres Jahrgangs schaffte sie beide Examina und übte den Beruf später tatsächlich aus, während die anderen Frauen sich ins Familienleben zurückzogen. Mit Jobs, die zeitig am Morgen vor Beginn der Vorlesungen begannen ("ich habe überall gearbeitet, wo man mich ließ", 1, S. 58) , verdiente sie sich ein Zubrot, um sich Extras zu leisten, wie z.B. einen Motorroller. Zuerst wohnte sie zur Untermiete in Kirchdorf, zog dann ins Univiertel. "Als Leonore eine Zeitlang im Statistischen Bundesamt in Bremen jobbte, erfuhr sie, wer alles vorbestraft war, Leute, von denen sie niemals gedacht hätte, Prominente." Die Erfahrungen aus ihren Studi-Jobs haben sie "sehr geprägt. ‚Als ich auf einem Schiff arbeitete, begegnete ich den Hafenarbeitern, die täglich viele Stunden lang schwer schufteten. Ich begriff, dass man von ihnen nicht erwarten konnte, dass sie abends Bücher von Nietzsche lasen.'" Deshalb erbosten sie sich auch später im Beruf verwöhnte Kommilitonen, "die noch bei ihren Müttern wohnten, brave Söhne waren, in Hamburger Clubs gingen" und später als Staatsanwälte auf Menschen herabschauten, "die ein einfacheres oder härteres Leben" hatten (vgl. Qu. [1], S. 59). Gutes Geld verdiente die Studentin Leonore auch mit dem Malen von unsignierten Kopien bekannter Motive in Öl. Viel Zeit gönnte sie ihren künstlerischen Interessen und hielt sich gern in Worpswede auf. [2]
    Während des ersten Staatsexamens verliebte sie sich in ihren ersten Mann Klaus Mosel.
    Sie arbeitete in dieser Zeit bei der Allianz-Versicherung. In der Abteilung "Todesfälle" lernte sie viel für ihre zukünftige Arbeit. Im Referendariat erhielt sie sofort dramatische Kriminalfälle bei Staatsanwalt Dr. Wiegand. Und sie erfuhr auch von Ungerechtigkeiten vor Gericht ( [1], S. 69/70). In Hamburg gab es eine einzige Anwältin, die sich auf Strafrecht spezialisiert hatte: Tosca Genzmer. "Ich lernte und arbeitete bei ihr und musste unter anderem Mandanten in Gefängnissen aufsuchen.(...) Auch Vertreter der Presse hatten immer gern mit ihr zu tun, denn sie war, wie ihre Mentorin Tosca Genzmer, eine bemerkenswerte Erscheinung in Strafprozessen und deshalb attraktiver zu fotografieren" ( [1], S. 74). Sie arbeitete kurzfristig auch beim Seeamt und wäre gern Seerechtlerin geworden, doch ohne Kapitänspatent hätte sie lediglich ihren Kollegen zuarbeiten dürfen.
    Nachdem sie ein Jahr lang in einer Kanzlei angestellt war, machte sie sich als Strafverteidigerin selbstständig und bezog ihr erstes Büro in Öjendorf ( [1], S. 77). Eine weitere starke Seite hatte sich in den Examina offenbart: Sie behielt einen klaren Kopf in Prüfungssituationen. Ergänzt durch ihr fotografisches Gedächtnis, ihren ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, eine gehörige Portion Zähigkeit gepaart mit einfühlsamer Toleranz, zeichnete sich ihr ungewöhnlich erfolgreicher beruflicher Aufstieg ab.
    Im "verflixten siebten Jahr" ihrer Ehe trennten sich die Wege. Ihr Unzufriedensein mit dem mangelnden Ehrgeiz ihres Gatten ermutigte diesen dazu, in Rekordzeit ein Jurastudium zu beenden und auch Anwalt zu werden. In der zweiten Ehe mit dem Anwalt Peter Gottschalk wurde 1970 der Son Ilja geboren. Bis zu ihrem Tod lebte sie mit ihrem dritten Ehemann, Laid Frej, in Winterhude. Leonore Gottschalk-Solger hat zwei Kinder: Tochter Katharina Mosel aus erster Ehe ist Anwältin für Erb- und Familienrecht (Kanzlei Linden & Mosel, Köln). Sohn Ilja Gottschalk aus zweiter Ehe ist Geschäftsführer eines Pharma-Vertriebs (gmd-service).
    In einer Ära, in der spektakuläre Verbrechen und Strafverfahren von den Printmedien sowie dem Fernsehen ausführlich aufgegriffen und darüber berichtet wurde, wirkte die zierliche, blonde Frau - stets hochwertig, auffallend gekleidet, die im Porsche vorfuhr - ausgesprochen exotisch. Mit ihrer Devise: Ich will vor allem ein faires Verfahren für Alle und wegen ihres zunehmenden Erfolges, war sie bald der Geheimtipp für "besondere Fälle". Darunter befanden sich: "Der Anlageberater Jürgen Harksen, der viele Menschen um ihr Geld brachte. Gerhard Müller, Baader-Meinhof-Kronzeuge. Lutz R., 'Säuremörder von Rahlstedt', der zwei Frauen tagelang gefoltert und in Salzsäure aufgelöst hat. Der Terrorverdächtige Hamadi. Mafiosi. Zuhälter. Vergewaltiger. Drogenbosse. Leonore Gottschalk-Solger hat sie alle verteidigt", so schrieb das Hamburger Abendblatt in einem Porträt [3].
    Als Leonore Gottschalk-Solger 2009 ihr Buch mit dem Titel "Die Strafverteidigerin" herausbrachte, schrieb die Presse: "Die 71 Jahre alte Strafverteidigerin mit Gemeinschaftskanzlei an den Colonnaden ist Deutschlands wohl bekannteste Anwältin. Sie sieht sich als Fürsprecherin. "Jeder hat das Recht auf einen fairen Prozess." Seit 40 Jahren vertritt Gottschalk-Solger die härtesten Verbrecher. Jetzt hat sie ein Buch mit ihren interessantesten Fällen herausgebracht ("Die Strafverteidigerin" (…).
    In ihrem Büro knallrote Boxhandschuhe neben dem Schreibtisch. Aus Spaß. Denn lachen kann Frau Gottschalk-Solger viel und herzlich. Überhaupt, wer sich klischeehaft eine harte Frau vorstellt, liegt falsch. Leonore Gottschalk-Solger ist Mensch geblieben. Trotz der Abgründe der menschlichen Seele, in die sie oft geblickt hat. "In meinem Beruf muss man Menschen mögen. Für alle da sein. Versuchen zu ergründen, was geschehen ist. Egal, ob jemand reich, mittellos oder ein armes Schwein ist. Man muss helfen wollen", sagt die Frau, die oft mitten in der Nacht von Mandanten angerufen wird, weil sie in Schwierigkeiten stecken. Dann fährt sie los, immer allein. ‚Ich kann genau sagen, auf welcher Polizeiwache es den besten Kaffee gibt.' Eines hat sie im Laufe der Jahrzehnte gelernt. ‚Ich bin der festen Überzeugung, dass fast jeder einen Mord begehen kann. Es ist eine Glücksfrage, ob man gut durchs Leben kommt.'
    Dabei ist diese Frau selbst oft genug in Gefahr. Als sie den RAF-Terroristen verteidigte, stand sie mit ihrer ganzen Familie ein halbes Jahr lang unter Polizeischutz. Sie entging nur knapp dem Tod, als sie in den 90er-Jahren Dieter D. vertrat, der seine Freundin auf deren eigenes Verlangen hin getötet hatte. Nach der Urteilsverkündung erstach ein Bekannter des Opfers den Angeklagten im Gerichtssaal. "Es hätte genauso gut mich treffen können. Der Mann hat mich gehasst", sagt die gebürtige Schlesierin. Solche Ängste schiebt sie weg. ‚Das darf man nicht zulassen', so die Mutter zweier erwachsener Kinder. Trotzdem ist die Verteidigerin gegen mögliche Angriffe gewappnet. ‚Ich gehe nie ohne Waffe aus dem Haus.' Sie ist Mitwisserin brisanter Interna in Mafia- und Drogenkreisen. ‚Wenn ich das Buch So war es wirklich geschrieben hätte, wäre ich längst tot', sagt sie.
    So viel Einsatz kann nur bringen, wer in seinem Beruf aufgeht. Ihre Tochter Katharina Mosel, ebenfalls Anwältin, soll früher gesagt haben: "Ich muss wohl erst einen Mord begehen, um dich mal zu sehen." So selten war Mama zu Hause. Ihre beiden ersten Ehen sind gescheitert: "Für viele Männer ist es schwierig, mit einer erfolgreichen Frau zu leben." Gerade hatte sie sich mit dem Gedanken angefreundet, Single zu sein, da traf sie ihren heutigen Ehemann. Laid Frej ist 19 Jahre jünger, die Liebe ihres Lebens. "Er stand mir sehr zur Seite, als ich schwer an Krebs erkrankte. Er ist beliebt bei allen, würde jedem helfen." Wie seine Frau." [3]
    In der Regel traten ihr die Mandanten nicht gegenüber und gaben die Tat zu. Viele verdrängten, was sie getan hatten. Erst spät erkannte die idealistische Frau, dass aus schwarzen Schafen nicht immer weiße Lämmer werden. Mit toleranter Unterstützung ihrer Mutter und ihrer Familie ließ sie auch Straftäter bei sich zu Hause wohnen, in der Hoffnung, ihre Tochter, ihr Sohn könnten ihnen den Weg in eine bessere Einsicht ebnen. Durch Mitgefühl, nicht Mitleid, versuchte sie den Menschen hinter der Tat auszumachen. Auch deshalb hatte sie im Nebenfach Soziologie gewählt. Als die Strafverteidigerin Petra Winderl nach 30 eigenen Berufsjahren 1990 noch ein Praktikum bei Leonore Gottschalk-Solger machte, erkannte sie, dass diese Frau ihr im Gefängnis schon vor 20 Jahren begegnet war, "im schicken Nerzmantel und Stiefeln, mit einem dunkelroten Aktenkoffer - eine Diva". In den zahlreichen gravierenden Fällen von brutalen Tötungsdelikten und aus dem Sexualstrafrecht dachten und fragten viele: Welch ein furchtbarer Mann! Wie kann man den verteidigen?' Doch Leonore Gottschalk-Solger dachte "niemals so, das hat mich sehr beeindruckt." Sie sah den Menschen dahinter, nicht das "Monster", wollte alle Tragödien ans Tageslicht befördern ( [1], S. 161 f.). So gründete sie die Vereinigung Zuflucht e.V. gemeinsam mit Joachim Ziegenrücker (1912 - 2008), von 1963 bis 1980 Direktor der Evangelischen Akademie in Hamburg, und dem früheren Stern-Redakteur Günther Schwarberg, der immer wieder große Reportagen über die Strafverteidigerin schrieb. Ein Drittel ihrer Arbeit widmete Leonore Gottschalk-Solger "den Menschen, die juristische Hilfe benötigen, weil sie zu Unrecht in Psychiatrien oder Haftanstalten einsaßen, und um die sich keiner mehr kümmerte" ( [1], S. 108).
    Gern und oft war sie zu Gast in Talkshows, auf Bällen, Partys, Empfängen. Zeitlebens war sie sportbegeistert, ließ sich in der Kunst des Fechtens unterrichten, schwärmte für den FC St. Pauli und fürs Boxen. Lange vor dem Siegeszug der Gerichtsshows wirkte sie in der Lifesendung "Das Fernsehgericht tagt" im ZDF mit. Ein besonders gruseliger Fall, der des "Säuremörders Lutz R.", wurde mit ihrer Beratung - noch während der Prozess lief - vom WDR als Thriller mit dem Titel "Angst hat eine kalte Hand" verfilmt. In den Hauptrollen spielten Cornelia Froboess, Katja Riemann und Udo Samel ( [1], S. 191 sowie [4]).
    Mit 80 Jahren verstarb die "Star-Anwältin" nach schwerer Krankheit. Noch Anfang der 1990er Jahre war sie zwischen Bestrahlungen im UKE und als Verteidigerin in dem mysteriösen Indizienprozess "Mord ohne Leiche" in Lübeck hin- und hergependelt ( [1], s. 162). Die Trauerfeier fand am 11. November 2016 auf dem Öjendorfer Friedhof statt [5]. Text: Dr. Cornelia Göksu
    Anmerkungen/ Quellen:
    1 Leonore Gottschalk-Solger mit Anke Gebert: Die Strafverteidigerin. Erinnerungen. Reinbek bei Hamburg, 2009. Dieses autobiografische Kompendium fasst Erinnerungen von Frau Gottschalk-Solger an spektakuläre Straffälle zusammen. Dazwischen gesetzt sind Erinnerungsbausteine von Menschen aus dem beruflichen und privaten Umfeld. So etwa die Bild-Reporterin Anja Wieberneit, ihrem Bruder Johannes Solger, ihren Kindern Katharina und Ilja. Aber auch von Ursula Caberta, langjährige Leiterin Arbeitsstelle Scientoloy Hamburg, der Krimiautorin Petra Oelker, Hilmar Zschach, Gerichtsreporter NDR, Petra Winderl, Strafverteidigerin, oder Jürgen Harksen, dem Hochstapler, den sie erfolgreich verteidigt hatte. Historische Fotos runden das Mosaik ab. Diese Quelle dient hauptsächlich als Hintergrund für die vorgelegte Kurzbiografie. CG
    2 "Jeder von uns könnte zum Mörder werden". Mit einer der berühmtesten Strafverteidigerinnen Deutschland - Leonore Gottschalk-Solger - sprach Christa Schaffmann:. In: Berliner Zeitung v. 1.7.1995. Vgl. online unter www.berliner-zeitung.de
    3 Sabine Sautter: Star-Verteidigerin Leonore Gottschalk-Solger: "Ich trage immer eine Waffe bei mir". In: Hamburger Abendblatt, Ressort "Hamburg persönlich" v. 3.5.2009
    4 "Angst hat eine kalte Hand". Kurzvorschau in: Der Spiegel 14 v. 1.4.1996, Rubrik "Fernsehen". Online Version unter www.spiegel.de/spiegel/print/d-9259849.html. Angekündigt als "ein feministischer Thriller ohne Sprüche".
    5 "Tod mit 80 Jahren. Trauer um Staranwältin Leonore Gottschalk-Solger". In: Hamburger Abendblatt v. 5.11.2016
    6 Freundliche Information von Herrn Olaf Leguttky, Geschäftszimmer Öjendorf - Hamburger Friedhöfe, E-Mail v. 10. Juli 2017 an die Verfasserin.

Nord

    Esther Bejarano

    Verfolgte des NS-Regimes, Musikerin, engagierte Zeitzeugin Mahnerin gegen neofaschistische Umtriebe

    Ornament Image
    15.12.1924
    Saarlouis
    -
    10.7.2021
    Hamburg
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    Grablage: D-191

    Esther Bejarano ist am 10.07.2021 im Alter von 96 Jahren gestorben. Sie war so vieles: Künstlerin, Überlebende der Konzentrationslager Auschwitz und Ravensbrück, prominente Mahnerin gegen neofaschistische Umtriebe und unermüdliche Aufklärerin für Schulkinder und Jugendliche.

    Vor allem war sie uns aber eine kritische und zuverlässige Freundin. Wir vermissen sie sehr.
    Immer wieder meldete sie sich zu Wort, wenn Neofaschisten Einwanderer und Flüchtlinge bedrohten, wenn institutioneller Rassismus mehr oder weniger öffentlich an den Menschenrechten kratzte. Einige ihrer Aussprüche sind zu viel zitierten, geflügelten Worten geworden, zuletzt in ihrem Brief an den Bundesfinanzminister: "Das Haus brennt, und Sie sperren die Feuerwehr aus!", als die Finanzbehörden mehrerer Bundesländer der VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten e.V.) 2018 die Gemeinnützigkeit entzogen. Ich erinnere mich an Esthers Unterstützung, als wir Mitglieder der damaligen Initiative Bleiberecht für Roma und Cinti 1989 die alljährliche Demonstration anlässlich der Pogromnacht am 9. November dem Protest gegen die polizeiliche Räumung um ihr Bleiberecht hungerstreikender Roma aus
    dem Klinkerwerk in der Gedenkstätte Neuengamme widmen wollten. Esther entgegnete den Einwänden anderer Überlebender der Shoa gegen eine befürchtete Instrumentalisierung des Gedenkens an die Pogromnacht mit einer öffentlichen Erklärung unter dem Titel "Die Lebenden müssen geschützt werden." Das wurde dann später auch unser Titel für die Broschüre über den Kampf der geflüchteten Roma um ihr Bleiberecht in Hamburg.

    Noch am diesjährigen (2021) Holocaust-Gedenktag sendeten die Tagesthemen Esthers eindringliche Video-Botschaft, in der sie sachlich und schonungslos die gegenwärtige Rechtsentwicklung in der Mitte der Gesellschaft einschätzt.

    Esthers außergewöhnlicher Lebensweg begann am 15. Dezember 1924 als jüngstem von fünf Kindern des Kantors Rudolf Loewy und der Lehrerin Margarethe, geb. Heymann in Saarlouis. Schon früh entwickelte sie eine Leidenschaft für Musik, spielte Klavier und sang. Nach einer anfangs sorglosen Kindheit, die nach der Machtübertragung an den Hitlerfaschismus immer öfter von Zwangsmaßnahmen gegen jüdische Deutsche überschattet wurde, besuchte sie ein Vorbereitungslager für die Auswanderung nach Palästina, wurde nach dessen Auflösung in ein Arbeitslager und von dort am 19.04.1943 nach Auschwitz verschleppt, wo ihr die Verpflichtung als Akkordeonistin in das von der Lagerleitung angeordnete Mädchenorchester das Leben rettete. Im September 1943 wurde sie in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück verlegt und musste von dort aus bei Siemens Zwangsarbeit leisten. Im April 1945 zwang die SS die Ravensbrückerinnen auf einen Todesmarsch, aber Esther und einigen Freundinnen gelang die Flucht. Am 3. Mai feierte sie gemeinsam mit Rotarmisten und GIs die Befreiung vom Faschismus: man brachte ihr ein Akkordeon, Esther spielte und alle lagen sich in den Armen und tanzten.
    Wesentlich später erfuhr Esther, dass ihre Eltern 1941 in Kowno ermordet worden waren und ihre Schwester Ruth 1942 in Auschwitz. Ihre beiden ältesten Geschwister konnten rechtzeitig in die USA und nach Palästina ausreisen.
    Ende 1945 gelang ihr die Auswanderung nach Palästina, sie arbeitete, wo immer sie Arbeit fand, begann schließlich ein Gesangsstudium und wurde ständiges Mitglied eines Arbeiterchors, der mehrere Preise erlangte. 1948 wurde sie zum Militär eingezogen. Während des Unabhängigkeitskrieges trat sie in Soldatencamps auf.
    1950 heiratete sie Nissim Bejarano, 1951 kam die Tochter Edna und 1952 der Sohn Joram zur Welt. 1960 siedelten Esther und Nissim Bejarano nach Deutschland um und ließen sich nach kurzem Aufenthalt in Saarlouis und Saarbrücken in Hamburg nieder.
    Ende der 1970er Jahre musste sie erleben, dass vor der Boutique, die sie damals betrieb, eine Nazi-Kundgebung stattfand. Nicht nur wurde die Umgebung mit einer Rede beschallt, in der der Holocaust geleugnet wurde, die Holocaustleugner wurden auch noch von der Polizei vor GegendemonstrantInnen in Schutz genommen.
    Von da an begann Esther ihr Engagement, als Zeitzeugin in Schulklassen aufzutreten, und trat in der Folge der VVN-BdA bei, wo sie Anfang der 1990er Jahre eine der Bundessprecherinnen wurde. Außerdem begründete sie gemeinsam mit Peter Gingold und vielen anderen das Auschwitz-Komitee in der Bundesrepublik Deutschland e.V., deren Vorsitzende sie bis zu ihrem Tod war.
    Auch ihre Musikkarriere nahm wieder Fahrt auf: Sie wurde Mitbegründerin der Gruppe Siebenschön, mit der sie 1987 sogar in Vancouver auftrat. 1988 gründete sie gemeinsam mit Tochter Edna und Sohn Joram und mehreren InstrumentalistInnen die Gruppe Coincidence. In beiden Formationen standen Lieder aus dem Ghetto, aus dem Widerstand und antifaschistische Lieder im Mittelpunkt. 2009 schloss sie sich mit der Hip-Hop-Band Microphone Mafia aus Köln zusammen, mit der sie und Joram bis 2020 einige Hundert Auftritte im In- und Ausland hatten.
    Noch im Jahr 2018 übernahm sie die Rolle der Pianistin im prominent besetzten Musikdrama gegen das Vergessen "Die Kinder der toten Stadt".
    Hier ist Esthers Diskographie:
    1987: S dremlen Feigl ojf di Zwajgn / Vögel träumen auf den Zweigen (Lieder aus dem Widerstand) mit Siebenschön
    1995: Esther und Edna Bejarano & Coincidence: Lider fars Lebn - Lieder für das Leben
    2012: Per la Vita mit Microphone Mafia
    2013: La Vita Continua mit Microphone Mafia
    2018: Rolle der Pianistin in Die Kinder der toten Stadt
    Für ihr Engagement wurde Esther vielfach ausgezeichnet, mit dem Bundesverdienstkreuz in mehreren Stufen und mit diversen Hamburger und internationalen Verdienstmedaillen. Seit 2008 war sie Ehrenpräsidentin der VVN-BdA. Noch am 08. Mai 2021 nahm sie als Passagierin einer Fahrradrikscha an den Feierlichkeiten anlässlich des 76. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus teil. Esther zu begegnen, hat mir überdeutlich gemacht, was dieses irre geleitete Volk seinen Nachgeborenen durch den Hitlerfaschismus geraubt hat. Sie fehlt mir, auch mit 96, in der Art, wie ein Kurt Tucholsky unserer gegenwärtigen Literaturszene fehlt.
    Ihr Vermächtnis an uns ist analog dem Schwur von Buchenwald;
    Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung, der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.
    Text: Traute Springer

    Eddy Beuth

    geb. Marie Cohn; verh.+verw. Sohm, gesch. Sack und verw. Ar(o)nheim

    Textautorin, Schriftstellerin, Drehbuchautorin
    Jüdischer Friedhof Ilandkoppel
    Stolperstein vor Eppendorfer Landstraße 28

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    7.5.1872
    Breslau (ehem. Schlesien; heute: Wroclaw/Polen)

    16.12.1938
    Hamburg
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    Eddy Beuth, alias Marie Cohn wurde als Tochter des jüdischen Technikers Isidor Cohn (geb. 1841) und seiner Frau Frida (geb. Vogel, verstorben 1920) im damaligen Breslau/Niederschlesien geboren. Für ihre Veröffentlichungen - Liedtexte, Beiträge für Zeitschriften und Bücher - verwendete sie jedoch zeitlebens das Pseudonym Eddy Beuth. Vermutlich wählte sie, wie viele Frauen ihrer Zeit, ein androgyn klingendes Pseudonym in der Hoffnung, auf diese Weise ihren Beruf ohne Vorurteile ausüben zu können und leichter Anerkennung zu finden. Das Chanson begann sich gerade in Deutschland zu etablieren als Eddy Beuth ihre Arbeit als Textautorin mit den bedeutendsten Komponisten des Genres aufnahm. Die Schauspielerin und (Chanson-)Interpretin Evelyn Förster (geb. 1955) hat die Lebensgeschichte Eddy Beuths zu ihrem Buchprojekt "Die Frau im Dunkeln" angeregt 1). Von ihr erfahren wir, dass Eddy Beuth ihre Liebe zur Literatur schon als Backfisch entdeckt habe, wie diese selber schrieb: "Ich dichtete in meinen Mußestunden zu Hause. Die Lieder einer Verlorenen, einer Verlorenen, wie ich sie mir mit 15 Jahren vorstellte; ich glaube, die Mädels in der Friedrichstrasse hätten sich totgelacht, wenn sie ihr Spiegelbild in meinem Gedichtbuch gelesen hätten. In einem Jour, den ausschließlich vornehme, alte Damen besuchten, auch meine Mutter war anwesend, trug Mirjam Horwitz 2), auch ein kleines Mädchen damals, diese überhitzten Verse vor. Wir hatten es uns so schön gedacht, daß die vornehmen alten Damen durch unsern beredten Mund das soziale Elend der Dirnen kennen lernen sollten. ( ... ) Die vornehmen alten Damen zeigten keinerlei Verständnis für diese Abart des ,sozialen Elends', erst rückten und rutschten sie verlegen auf ihren Stühlen, beim zweiten Gedicht schickten sie ihre erwachsenen Töchter 'raus, beim dritten Gedicht gab mir meine Mutter eine schallende Ohrfeige (Eddy Beuth: Cabaret und ich. Cabaret-Tanz-Revue, ohne Jahresangabe, zitiert von Evelyn Förster 2013, S. 57/58). Auf einem Vereinsfest sei sie dem Komponisten Rudolf Nelson mit den Worten "dieses Fräulein dichtet auch", vorgestellt worden, berichtet Evelyn Förster weiter. Sein erster Besuch bei Eddy Beuth habe damit geendet, dass er eines ihrer Gedichte vertonte: Reichst Dein Mäulchen mir zum Kuß, Daß ich nicht mehr grolle, Weißt's daß ich Dich lieben muß, Süsse, kleine Tolle. 1902 wurden "Die Lieder einer Verlorenen" in der Publikation "Liebeslieder Moderner Frauen. Eine Sammlung" von Paul Grabein" im Berliner Verlag von Hermann Costenoble veröffentlicht. Das Chanson begann sich gerade in Deutschland zu etablieren, als 1904 Eddy Beuths Zusammenarbeit mit den bedeutendsten Komponisten, die sich diesem Genre verschrieben hatten, begann. Dies waren, um einige zu nennen: Rudolf Nelson, Ludwig Friedmann, Martin Knopf, Siegwart Ehrlich oder Erich Ziegler. Bis heute bekannte Diseusen wie Claire Waldoff, Elly Leonard, Käthe Erlholz, Fritzi Massary und Erika (Elli) Glässner interpretierten Chansons, deren Texte von Eddy Beuth geschrieben waren (Förster 2013, S.59). Eine intensive, über Jahre dauernde Zusammenarbeit mit Rudolf Nelson begann ebenfalls 1904. Er leitete das Cabaret "Roland von Berlin" in der Potsdamer Straße, sie schreib Couplets für seine Bühnenshows. Ab 1907 schloss sich ihre ständige Mitarbeit im ebenso noblen wie mondänen Berliner Nachtclub "Chat Noir" in der berühmten Passage, der Kaisergalerie, zwischen Unter den Linden und Friedrichstraße an. Dort hatte die Revue "eine besondere Note, die das Verlangen eines Großstadtdurchschnitts nach leichter, halb sentimentaler und halb frivoler Musik traf. Das Talmikavaliertum einer aufsteigenden, smarten Geschäftswelt und ihre kesse, hundeschnäuzige, doch kitschig verbrämte ‚Erotik' fand den rechten Ausdruck" (Max Herrmann Neiße, zitiert in Förster 2013, S. 60f.). 1907 textete Eddy Beuth auch für das in Wien gegründete Kabarett "Die Hölle" unter anderem das Lachchanson "Nach dem Balle". Ihre gepfefferten "erotisch-gewagten oder satirisch überdeutlichen Texte wurden gekonnt graziös, lebendig, ausdrucksvoll, mit soviel mimischen Einfällen in Szene und Musik gesetzt", dass sie zu stürmischem Beifall führten (vgl. Förster 2013, S.60 f.). Von 1906 bis 1931 publizierte sie in Zeitschriften wie Berliner Leben und diversen Verlagen. Zudem war Eddy Beuth ab 1918 als Drehbuchautorin tätig. Ihr Werk kann der expressionistischen Phase des Stummfilms zugeordnet werden. 1920 wurde an der Komischen Oper in Berlin die Operette "Die Frau im Dunkeln" uraufgeführt: "Für die Musik zeichnete der Komponist Siegfried Schulze verantwortlich, die Texte verfassten Erich Urban und Eddy Beuth. In einer Rezension aus dem Jahr 1920 in dem Gesellschaftsblatt "Elegante Welt", wurden jedoch nur die Protagonisten Erich Urban und Siegfried Schulz sowie Trude Hesterberg als Hauptdarstellerin, nicht aber Eddy Beuth erwähnt (Förster 2013, S. 62). Im Laufe ihres Lebens verwendete bzw. trug sie verschiedene Namen und Namensvarianten wie Marie Vogel. Den Geburtsnamen ihrer Mutter hatte sie wohl durch die Adoption nach dem frühen Tode der Mutter durch ihren Onkel Josef Vogel erhalten (vgl. Eddy Beuth, Personendaten in: Lexm.uni-hamburg.de). Auch Doppelnamen während ihrer drei Ehen - wie Beuth-Sohm oder Beuth-Sack - sind in den Adressbüchern zu finden. Darüber hinaus änderten sie und ihr dritter Gatte ihren jüdisch-klingenden Namen Aronheim um in "Arnheim". Eddy Beuth alias Marie Cohn war dreimal verheiratet und ist zweimal verwitwet Anfang des 20. Jahrhunderts heiratete Beuth den Theater-Oberinspektor 3) Fritz Sohm. Nach dessen Tod im Jahre 1909 verband sie sich fünf Jahre später dem Verleger und Schriftsteller Hermann Karl Otto Sack (geb. 1886). Am 27. Mai 1918 wurde diese Ehe geschieden, woraufhin sie am 1. März 1919 den Bankbeamten Fritz Magnus Aronheim (1874-1928) ehelichte. "Eddy Beuth war inzwischen 56 Jahre alt, und als im Jahr 1930 der dritte Mann ihrer Schwester, der Hamburger Industrielle Siegmund Freund (ehemals Geschäftsführer der Ges. f. Eisenbahn-Draisinen) verstorben war, zog sie zu ihrer Schwester nach Hamburg, wo sie bis zu ihrem gemeinsamen Tod zusammenlebten. Das Geschwisterverhältnis muss, ähnlich dem in ihrem Roman "Sehnsucht nach Glück" beschriebenen, sehr intensiv gewesen sein. Immer wieder kreuzten sich die Biographien (...). Es gibt ein Chanson über schwesterliche Seelenverwandtschaft; beide waren dreimal verheiratet und beide hatten keine Kinder. Der letzte Lebensabschnitt war für die jüdischen Schwestern überschattet von den zunehmenden antisemitischen Repressalien. Die Gesetze der Nationalsozialisten führten auch für Eddy Beuth 1938 zum endgültigen Berufsverbot als Schriftstellerin. In der Pogromnacht im November 1938 fanden die Angriffe gegen Juden auch in Hamburg einen neuen Höhepunkt. Eine Synagoge wurde angezündet und der jüdische Friedhof geschändet, es wurden Scheiben eingeschlagen und Juden willkürlich verhaftet. Viele ältere Juden sahen nur noch in der Selbsttötung einen Ausweg. In einem ihrer der letzten Briefe schrieb Lisbeth Margot Freund: "Gebe Gott Dir die Stärke, die uns fehlt, um all das zu überstehen, was über uns verhängt ist". Als sie das schrieb, hatten sich die Schwestern bereits Gift besorgt. Am 16. Dezember 1938 wurden ihre Leichen aufgefunden. Der kurze Abschiedsbrief war datiert auf den 14. Dezember: "Hiermit erklären wir, dass wir unserem Leben freiwillig ein Ende gemacht haben. Frau Lisbeth Freund. Frau Marie Aronheim." Der Nachlass wurde entsprechend dem Wunsch der Toten an Freunde und Verwandte verteilt, ein Rest wurde versteigert. Eine Kiste mit Manuskripten von Eddy Beuth wird nur in einem Protokoll erwähnt und taucht dann nicht mehr auf. Der Verbleib ist ungeklärt. Einige Fotos wurden vererbt, die neue Besitzerin deportierten die Nationalsozialisten 1942 nach Theresienstadt, wo sie 1943 ums Leben kam. So wie sie wurden viele Freunde und Verwandte von Eddy Beuth ermordet. Das Grab von Marie Aronheim alias Eddy Beuth und ihrer Schwester Lisbeth Margot Freund befindet sich auf dem Jüdischen Friedhof in Hamburg" (Recherchen von Jörg Engelhardt, zitiert aus Förster 2013, S. 65 - 67). Am 29 Oktober 2014 sind vor dem Haus in der Eppendorfer Landstraße 28, in dem die Schwestern zuletzt lebten, Stolpersteine gelegt worden (stolpersteine-hamburg.de). Die Initiative hierzu kam von der Berliner Sängerin und Schauspielerin Evelin Förster und dem Museologen Jörg Engelhardt. Text: Cornelia Göksu Quellen: 1) Evelin Förster: Die Frau im Dunkeln. Autorinnen und Komponistinnen des Kabaretts und der Unterhaltung von 1901 bis 1935. Eine Kulturgeschichte. Mit Textbeiträgen von Anja Köhler und Jörd Engelhardt. Berlin 2013; mit einem umfangreichen, sorgfältig recherchierten Werkverzeichnis und Abbildungen von S. a206-217 = Förster 2013 2) Mirjam Horwitz (1882-1967) leitete zusammen mit ihrem Ehemann Erich Ziegel (1876-1950) bis 1926 die Hamburger Kammerspiele am Besenbinderhof, zur damaligen Zeit eine der wichtigsten deutschsprachigen Bühnen außerhalb von Berlin. 3) Verantwortlicher Koordinator von Bühnen- und Lichttechnik sowie allen Abläufen rund um die Theatervorstellung.

    Emilie Bieber

    Photographin

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    26.10.1810
    Hamburg
    -
    5.5.1884
    Hamburg
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    Grablage: Grab: A 12-29

    Nach alten Stadtplänen befand sich das Haus mit der Hausnummer 26 an der Ecke Große Bäckerstraße/ Börsenbrücke. Anfang Februar 1853 gaben Emilie Bieber und Adelgunde Köttgen die Eröffnung ihres Daguerreotyp-Ateliers (photographisches Atelier) in der Großen Bäckerstraße 26 in Anzeigen der "Hamburger Nachrichten" bekannt
    1) Das Atelier befand sich hoch oben unter dem Dach des Hauses. ihrer Zeit. Doch ihre Geschäfte gingen schlecht. Deshalb suchte sie Rat bei einer Wahrsagerin, die ihr eine rosige Zukunft vorhersagte. Emilie Bieber überwand die geschäftliche Durststrecke und avancierte in den folgenden Jahren zu einer erfolgreichen Photographin, deren Spezialität handkolorierte Portraits waren. Am 31. Oktober 1872 ernannte Friedrich Karl, Prinz von Preußen sie zu seiner Hofphotographin.Bereits ein Jahr zuvor hatte sie Ende 1871 ihr Atelier in der Großen Bäckerstraße aufgegeben und verlegte ihr Atelier in ein repräsentatives fünfstöckiges Haus am Neuen Jungfernstieg 20, welches sie bereits 1868 gekauft und hatte umbauen lassen.
    2) Als ihren Nachfolger bestimmte sie ihren Neffen Professor Leonard Berlin (1841-1931). Er führte das Atelier ab 1885 zu Weltruhm und eröffnete 1890 eine Filiale in Berlin. Emilie Bieber war auch in der bürgerlichen Frauenbewegung Hamburgs aktiv, die damals maßgeblich von Emilie Wüstenfeld und Bertha Traun getragen wurde. So war sie Mitglied des von Emilie Wüstenfeld und Bertha Traun ins Leben gerufenen Vereins von Frauen und Jungfrauen zur Unterstützung der Deutschkatholiken und des Frauenvereins zur Unterstützung der Armenpflege. Die damalige Frauenbewegung setzte sich auch für qualifizierte Ausbildungsmöglichkeiten für Frauen ein. Eine Möglichkeit der Erwerbsarbeit wurde in der Ausbildung von Frauen als Kindergärtnerinnen gesehen. Dabei favorisierte die bürgerliche Frauenbewegung die Fröbelsche Kindergartenpädagogik.Auch Emilie Bieber scheint sich hier engagiert zu haben, denn in einer Anzeige der Hamburger Nachrichten vom 24. Januar 1851, die Vorlesungen über die Bedeutung des Kindergartens bewirbt, wird Emilie Bieber als Ansprechpartnerin, um sich für die Vorlesung anzumelden, genannt.
    3) Ihr Engagement in der bürgerlichen Frauenbewegung brachte Emilie Bieber wohl auch den Auftrag ein, Kronprinzessin Victoria zu photographieren. Diese hatte während eines Erholungsurlaubs auf Föhr Emilie Wüstenfeld kennengelernt, die ihr über die Arbeit ihrer Frauenvereine in Hamburg berichtete. Daraufhin besuchte Kronprinzessin Victoria inkognito auf ihrer Rückreise Hamburg, um das Paulsenstift und die Gewerbeschule für Mädchen von Emilie Wüstenfeld zu besuchen. Dabei erfüllte sie die Bitte von Emilie Wüstenfeld,, sich von Emilie Bieber in deren Hamburger Atelier ablichten zu lassen, "als Anerkennung für den großen Fleiß und die Energie, womit sie [Emilie Bieber] als alleinstehende Frau ihr Atelier aus bescheidensten Anfängen - so bescheiden, daß ihr Kompagnon, der Maler Köttgen, die Flinte ins Korn warf und sie im Stiche ließ - aus eigener Kraft zu dem ersten damals in Hamburg gemacht hatte und das Haus am Neuen Jungfernstieg hatte erwerben können", schreibt Marie Kortmann in ihrer Abhandlung über ihre Tante Emilie Wüstenfeld.
    4) Allerdings irrt sie an einer Stelle: Nicht der Portraitmaler Gustav Adolf Koettgen, sondern seine Ehefrau Frau Adelgunde, geb. Lyra (1823 Osnabrück - 1909 Düsseldorf) hatte mit Emilie Bieber das Photoatelier gegründet. Sie war politisch aktiv und hatte, nachdem sie 1846/47 mit ihrem Mann, der als Kommunist galt, nach Bremen gezogen war, den Demokratischen Frauenverein von 1849 gegründet. Bald musste das Ehepaar aber auch Bremen verlassen, weil Koettgen bei einer Volksversammlung verhaftet worden war. Sie gingen nach Hamburg und wohnten in einer Wohnung am Pferdemarkt, in der Koettgen auch sein Atelier hatte. Da die Familie von den Einkünften aus dem Verkauf der Bilder nicht überleben konnte, eröffnete Emilie Bieber, die damals ebenfalls am Pferdemarkt wohnte, gemeinsam mit Adelgunde Koettgen ein Photoatelier. 1854 kehrte Adelgunde mit ihrem Mann und ihren Kindern ins Rheinland zurück.
    5) Text: Dr. Rita Bake
    Quelle:
    1) Hamburger Nachrichten vom 5.2.1853. (freundlicher Hinweis von Kai Deecke)
    2) freundlicher Hinweis von Kai Deecke.
    3) freundlicher Hinweis von Kai Deecke.
    4)Marie Kortmann: Emilie Wüstenfeld. Eine Hamburger Bürgerin. Hamburg 1927, S. 123.
    5) Vgl.: Hannelore Cyrus: Adelgunde Koettgens, in: bremer-frauenmuseum, unter: web.archive.org/web/20141103164148/http://www.bremer-frauenmuseum.de/frauenhandbuch/koettgen.html

    Dr. med. Adele Bornstein

    Ärztin Nach ihr und ihrem Mann 2016 benannt: Bornsteinplatz in Steinwerder

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    7.7.1881
    Odessa
    -
    24.1.1912
    Hamburg
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    Grablage: M 3 - 113

    1909 wurde das Ärzteehepaar, das sich mit der Caissonkrankheit beschäftigt hatte, als Druckluftärzte auf die Tunnelbaustelle des St. Pauli Elbtunnels berufen; mit ihren sorgfältigen Untersuchungen und neuen Behandlungsmethoden mit der Druckkammer wurden über 700 Arbeiter behandelt und vor gesundheitlichen Schäden bewahrt; dies Wirken galt als Geburtsstunde der Druckluftmedizin.
    Arthur Bornstein (14.4.1881 Berlin-25.1.1932 Bad Oeynhausen) war der Sohn von Jenny Bornstein, geborene Barth (13.7.1859 Berlin-1951 Herrin/USA), eine der ersten Frauen, die in Marburg ein Staatsexamen in Medizin abgelegt hatte.
    Das war im Jahre 1902. Vier Jahre zuvor hatte sie 1898 in Zürich promoviert. Damals war ihr Sohn Arthur 17 Jahre alt gewesen.
    Jenny Bornstein, die mit dem Kaufmann Philipp Bornstein verheiratet war, wurde 1891 im Alter von 32 Jahren Witwe. Neun Jahre später begann sie 1900 eine Tätigkeit als Vereinsärztin bei der Hilfskasse des "Kaufmännischen und gewerbl. Hilfsverein f. weibl. Angestellte" in Berlin; von 1903 bis 1912 arbeitete sie als niedergelassene Ärztin in der Halleschen Straße 1 in Berlin. "Ihr Name taucht in der Auseinandersetzung um die Zulassung der im Ausland approbierten Ärztinnen zur Kassenpraxis auf. Nach der negativen Entscheidung des Berliner Polizeipräsidenten (1900) scheint die Hilfskasse des ‚Kaufmännischen und gewerblichen Hilfsvereins
    für weibliche Angestellte' das Verbot umgangen zu haben. Im Juli 1900 tauchen zwei der bisherigen Kassenärztinnen, Agnes Hacker und Pauline Ploetz, als ‚Vereinsärztinnen' auf. Jenny Bornstein wird als dritte Ärztin anstelle von Agnes Bluhm genannt. November 1901 wurde sie vom Hilfsverein beurlaubt, wahrscheinlich um sich auf das deutsche Staatsexamen vorzubereiten, das sie 1902 in Marburg ablegte. Danach war sie wieder im Hilfsverein tätig. Am 21.6.1902 hält sie vor dem Neuen Volksschullehrerinnenverein in Berlin einen Vortrag über ‚Erholungsreisen'. (Lt. Auskunft der Urenkelin soll J. B. in Berlin an der Charité und im Krankenhaus Moabit mit Prostituierten gearbeitet haben)."
    1) Sohn Arthur studierte ebenfalls Medizin und bestand ein Jahr vor seiner Mutter das Physikum. Er promovierte an der Universität Kiel, war dann von 1903 bis 1905 am Tierphysiologischen Institut der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin tätig, danach Assistent an der Psychiatrischen Klinik Basel, am Physiologischen Institut in Berlin und an der Universität Genf. Von 1907 bis 1909 arbeitete er im Stoffwechsellabor der Psychiatrischen Klinik in Göttingen. Hier habilitierte er sich. "1905 beschloss die Hamburger Bürgerschaft, einen Tunnel unter der Elbe zu bauen. Dieser sollte Arbeitern, die nördlich der Elbe wohnten, einen einfachen und ungefährlichen Weg zu ihren Arbeitsstätten im Hafen ermöglichen. Nach Beginn der Ausschachtung traten bei Druckluftarbeiten innerhalb von drei Monaten mehr als 200 Fälle einer Krankheit [Taucherkrankheit] auf, die therapeutisch nicht beherrschbar war. Scharfe Kritik an den Behörden, gar ein kurzfristiger Streik der Arbeiter waren die Folge. Daher wurde ein Arzt gesucht, der die Baustelle betreuen und gleichzeitig wissenschaftliche Untersuchungen durchführen sollte."
    2) Arthur Bornstein bekam die Stelle und zog Anfang 1909 mit seiner Frau Olga Adele in eine Wohnung in der Nähe der Baustelle des Hamburger Elbtunnels. Ein Jahr später wurde der Sohn Friedrich, genannt Fritz (9.2.1910-1978) geboren, der später ebenfalls Mediziner wurde. Olga Adele Bornstein war die Tochter von Emanuel Brunstein und dessen Ehefrau Elisabeth, geb. Heller. Auch sie studierte Medizin und promovierte zur Ärztin. Zu Lebzeiten veröffentlichte sie folgende Publikationen: Ueber Salvarsan in der Milch (Münch. Med. Wschr. 1911, Nr. 3
    3); Über den Einfluß komprimierter Luft auf die Blutbildung. In: Pflügers Archiv 138 (1911), S. 609-616. 3) Die wissenschaftlichen Untersuchungen, die auf der bezahlten und von Arthur Bornstein ausgefüllten Stelle vorgenommen werden sollten, wurden vom Ehepaar Bornstein gemeinsam durchgeführt. Das bedeutete: Adele Bornsteins Forschungstätigkeit wurde nicht entlohnt. Die gemeinsam vom Ehepaar Bornstein durchgeführten Untersuchungen lieferten die "Grundlage für die auch heute noch angewendete Rekompressions- und Sauerstoffüberdrucktherapie der Caissonkrankheit" 4) Adele Bornstein starb 1912 im Alter von 31 Jahren bei der Geburt ihres zweiten Kindes.
    4) Nach ihrem Tod kümmerte sich Jenny Bornstein, damals Mitte 50 Jahre alt, um den Enkel Fritz und den Haushalt des Sohnes, der 1910, nach Abschluss der Bauarbeiten des Elbtunnels, Leiter des neu eingerichteten Chemischen Laboratoriums am Allgemeinen Krankenhaus St. Georg geworden war. Nach dem Tod seiner Frau teilte Arthur Bornstein die Ergebnisse ihrer Untersuchungen über Plethora mit, die sie in der biologischen Abteilung des ärztlichen Vereins in Hamburg durchgeführt hatte.
    1919 wurde Arthur Bornstein ordentlicher Professor für Pharmakologie an der neu eröffneten Hamburger Universität und 1930/31 Dekan der medizinischen Fakultät. Er widmete sich in seinen Forschungen dem Hormonstoffwechsel und nahm gefährliche Selbstversuche mit Insulinpräparaten vor.
    1931/32 gründete er eine balneologische Forschungseinrichtung in Bad Oeynhausen. Hier erforschte er den Einfluss von Bädern auf den menschlichen Organismus. So verfasste er 1931eine Untersuchung mit dem Titel "Aenderung der sensiblen und motorischen Erregbarkeit in Bädern". 1932 verstarb er.
    Der gemeinsame Sohn des Ehepaares Adele und Arthur Bornstein emigrierte nach 1933 in die USA, wahrscheinlich mit seiner Großmutter Jenny Bornstein, da diese in den USA verstarb.
    5) Quellen:
    1 Ärztinnen im Kaiserreich, Biografie über Jenny Bornstein, unter: http://geschichte.charite.de/aeik/biografie.php?ID=AEIK00157
    Biographien von A bis Z.
    1) Kai Sammer: Arthur Bornstein. In: Franklin Kopitzsch, Dirk Brietzke (Hrsg.): Hamburgische Biografie. Personenlexikon. Bd. 4. Göttingen 2008, S. 61.
    2) Ärztinnen im Kaiserreich, Biographie: Olga Adele Bornstein, unter: https://geschichte.charite.de/aeik/biografie.php?ID=AEIK00893
    3) Kai Sammer, a. a. O., S. 61.
    4) Siehe unter: http://geschichte.charite.de/aeik/biografie.php?ID=AEIK0089

    Julie Eichholz

    geb. Levi

    Frauenrechtlerin

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    22.3.1852
    Zweibrücken
    -
    24.12.1918
    Hamburg
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    Grablage: Grabstätte: C9-202

    Von 1900 bis 1904 hatte die mit einem Juwelier und Uhrenhändler verheiratete Julie Eichholz den Vorsitz der Ortsgruppe Hamburg des "Allgemeinen Deutschen Frauenvereins" (ADF). So wie Helene Bonfort gehörte auch sie dem gemäßigten Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung an. Ihr Hauptbetätigungsgebiet war der Rechtsschutz. Sie war Erste Vorsitzende der Rechtsberatungsstelle der Ortsgruppe Hamburg des "Allgemeinen Deutschen Frauenvereins". In dieser Eigenschaft mietete sie im Haus Brandsende 5 die Räumlichkeiten für die 1896 vom ADF gegründete Rechtsberatungsstelle. Hier wurde "von Frau zu Frau beraten". "Die beratenden Frauen mußten sich dafür eigenständig und unabhängig von einer Ausbildungseinrichtung in wichtige juristische Fragen einarbeiten, um kompetenten Rat zu erteilen. Bis 1908 durften Frauen in Preußen nur mit Ausnahmegenehmigung studieren, und in Hamburg selbst gab es bis 1919 noch keine Universität. Aufgrund dieser Situation konnten nur wirtschaftlich unabhängige bzw. nicht auf Erwerbsarbeit angewiesene Frauen in der Rechtsberatung tätig werden, da nur sie die entsprechende Zeit für das Selbststudium erübrigen konnten. Die Beratung ‚von Frau zu Frau' korrespondierte daher mit einer Beratung von ‚Bürgerin zu Arbeiterin'." A) In Laura Bromberg (15.12.1852-20.12.1927 Hamburg) hatte Julie Eichholz eine kompetente zweite Vorsitzende. Der "Hamburger Correspondent" schrieb über ihre Tätigkeit in der Rechtsberatung. "Hier tätig zu sein, hier mit jener scharflogischen, und in aller Wirrnis der meist mit bedeutend mehr Breitschweifigkeit als Klarheit von den Klientinnen (aller Gesellschaftsschichten) vorgetragenen Klagen, den Kernpunkt erkennenden Art der Sache auf den Grund zu gehen und ihren Schützlingen mit weitsichtigem, lebenserfahrenem Rat und Tat beizustehen, war ihr selbstverständliche, liebgewordene Pflicht." Julie Eichholz war zu Beginn des 20. Jahrhunderts neben Laura Bromberg und der Oberin des Allgemeinen Krankenhauses Eppendorf, Hedwig von Schlichting (29.10.1861 Berlin - 14.11.1924 Hamburg) auch im Vorstand der " Stellenvermittlung für weibliches Hauspersonal " mit Sitz in der ABC-Straße 57, welche auf Anregung der Ortsgruppe Hamburg des ADF gegründet worden war, um den damals bestehenden Mangel an Dienstboten zu beheben und eine "Hebung des Dienstbotenstandes" zu erreichen. Um Letzteres voranzutreiben, wies die Stellenvermittlung Arbeitgeberinnen auf ihre Vorbildfunktion hin. Die Mitglieder der Stellenvermittlung waren meist Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber (1907 ca. 4000 Mitglieder). Ihnen war daran gelegen, "ordentliche" Dienstmädchen einzustellen. Deshalb erhielten Dienstbotinnen die Möglichkeit, sonntags zwischen 17 und 22 Uhr die "Sonntäglichen Heimstuben" zu besuchen. Dort gab es eine kleine Bibliothek. Im Winter wurde "gesellige, ernste und heitere Unterhaltung" geboten, im Sommer monatlich einmal ein Ausflug unternommen und jeden Donnerstag zwischen 20 und 22 Uhr ein Gesangsabend veranstaltet. 1902 gründete Julie Eichholz den "Verband Norddeutscher Frauenvereine", dem zunächst siebzehn Frauenvereine angeschlossen waren und dem Julie Eichholz bis 1912 vorstand, sowie 1904 den "Hamburger Hausfrauen Verein" (HHV). Er war aus der "Stellenvermittlung" hervorgegangen und hatte deshalb auch seinen Vereinssitz in der ABC-Straße 57, später dann in der Moorweidenstraße 5. 1904 kam es zwischen Julie Eichholz und Helene Bonfort zu einem schweren Zerwürfnis. U. a. hatte Julie Eichholz versucht, den ADF zum "Sammel- und Mittelpunkt der gemäßigten Frauenbewegung, als Gegenpartei des Fortschrittlichen Verbandes" zu implementieren. "Mit einfach ‚Frauenbewegung treiben' kommen wir nicht mehr aus. (…) Die Radikalen und die Evangelischen treiben auch Frauenbewegung, deshalb müssen wir mit einem festen, von ihnen verschiedenen Programm auf den Plan treten; wir müssen sagen können, dies thun wir und das thun wir nicht, wir können unsere höchsten Ziele nennen, aber dazu auch den von den anderen verschiedenen Weg, die verschiedenen Mittel dazu nicht verschweigen." A). Julie Eichholz widersprach der Auffassung des ADF, er sei das Sprachrohr der einheitlich agierenden bürgerlichen Frauenbewegung. Sie vertrat vielmehr die Meinung, die Frauenbewegung würde von unterschiedlichsten Gruppierungen betrieben, die selbst für sich sprechen wollten.
    Doch dieser Einstellung folgten weder Helene Bonfort in Hamburg noch Helene Lange für Deutschland. Julie Eichholz wurde im Winter 1904 als Vorsitzende der Ortsgruppe Hamburg des ADF abgewählt. Der ADF meinte nach wie vor der Mittelpunkt der Frauenbewegung in Hamburg zu sein. Wegen dieser Differenzen mit ihren Mitstreiterinnen engagierte sich Julie Eichholz bald fast nur noch in den von ihr selbst gegründeten Frauenvereinen. Diese wandten sich entschieden gegen die Ziele und Methoden der radikalen bürgerlichen Frauenbewegung. Gleichzeitig waren sie aber weitaus frauenrechtlerischer in ihrer Vorgehensweise als auch inhaltlichen Ausrichtung als die Vereine des ADF. So wandte sich Julie Eichholz gegen den § 218 und forderte die ersatzlose Streichung dieses Paragraphen. Auch vertrat sie in der Frage der Zulassung von Frauen zum Amt des Armenpflegers einen frauenrechtlerischen Standpunkt - im Gegensatz zu Helene Bonfort, die ihre Mitstreiterinnen aufforderte "jedes Pochen auf den frauenrechtlerischen Standpunkt abzulegen". Julie Eichholz entwickelte sich zu einer gemäßigten Frauenrechtlerin. Nachdem Julie Eichholz den ADF verlassen hatte, löste sie 1911 ihre Vereine von der Ortsgruppe Hamburg des ADF ab. Im selben Jahr gründete sie den " Rechtsschutzverein für Frauen ". Seine Auskunftstelle befand sich im Parterre eines großbürgerlichen Etagenhauses an der Moorweidenstraße 5. Die Sprechzeiten waren: Mi u. Sa. 19-21 Uhr, Fr.: 10-12 Uhr. Rechtsschutz: Di: 7.30 - 9 Uhr.
    Der Verein bot Frauen mit wenig Einkommen Rechtsauskunft besonders in Ehe-, Miet- und Lohnstreitigkeiten, in Erbschaftsangelegenheiten, bei Vertragsabschlüssen und bei der Anfechtung von Schadensersatzansprüchen.
    Bereits 1907 hatte sich Julie Eichholz Hausfrauen Verein vom ADF getrennt. "Der HHV führte eine entschlossene Auseinandersetzung mit der Sozialdemokratie über die ‚richtige' Form der Dienstbotenorganisation und die Rolle der bürgerlichen Hausfrau dabei". A) In der "Hamburger Frauen Zeitung", der kostenlosen Vereinszeitung des HHV, bot die Rubrik "Für unser Hauspersonal" "meistens (…) belehrende Aufsätze über ‚das Wesen des Dienens' oder Tips für Küche und Haushalt. Insgesamt betrachtet waren die Initiativen des HHV darauf ausgerichtet, ein reformiertes, aber an traditionell patriarchalischen Vorstellungen orientiertes Dienstverhältnis zu erhalten - auch um weitergehende Ansprüche der Sozialdemokratie abzuwehren. Im Laufe seiner Tätigkeit wurde der HHV daher immer stärker ein berufspolitischer Verein für Arbeitgeberinnen."
    Als Julie Eichholz starb gab es mehrere Nachrufe in den Hamburger Tageszeitungen. Der "Hamburger Correspondent" schrieb am 29.12.1918: "Mitten aus regem Schaffen hat der Tod Julie Eichholz gerissen. Noch am Tage zuvor, ehe ein Schlaganfall sie dahin raffte, war sie mit Plänen beschäftigt, wie der Hausfrauenverein politisch aufzuklären sei.
    Dieser Verein, aus ihrer Initiative vornehmlich entstanden, war ihr Lieblingskind und machte ihr viel Freude durch seine gedeihliche Entfaltung. Als erfahrene und nachdenkliche Hausfrau war sie von jeher überzeugt, daß die Reform des Dienstbotenwesens mit weitgreifenden kulturellen Aufgaben im Zusammenhang stehe, an deren Lösung die gebildeten Frauen regen Anteil nehmen müßten. Die Frauen wurden daher durch rege Werbearbeit und energisch Werbekraft fortgesetzt zur Mitarbeit an dem gemeinnützigen Werke herangezogen, dem sich allmählich schätzenswerte Einrichtungen zur sozialen und geistigen Hebung und eine vortreffliche Fachschule zur Ausbildung von Hausmädchen angliederten.
    (…) Es ist bezeichnend für die tüchtige und umgängliche Frauenrechtlerin Frau Eichholz , daß ihr durch viele Jahre hindurch eine Gruppe von treuen Helferinnen zur Seite gestanden hat, denen die Fortführung ihrer Bestrebungen gemäß den Forderungen einer neuen Zeit, sicher am Herzen liegen wird."
    Text: Rita Bake
    Anmerkungen:
    A: Kirsten Heinsohn: Politik und Geschlecht. Zur politischen Kultur bürgerlicher Frauenvereine in Hamburg, Hamburg 1997.

    Lore (Eleonore) Feldberg-Eber

    Lore Feldberg-Eber, verheiratete Eber

    Malerin; Porträtistin

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    4.5.1895
    Hamburg, auf Grabstein
    1894
    -
    27.9.1966
    London
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    Schenefelder Landstraße 5 in Dockenhuden bei Hamburg (Wohnadresse) Am Bismarckstein 2 (Wohnadresse), Mörikestraße 24 in Dockenhuden (Atelier), Glockengießerwall 23, Malschule für Damen (Ausbildung), Platz der Republik, Altonaer Museum (Werke), Erinnerung an Lore Feldberg-Eber an der Familien-Grabwand "Feldberg", Grablage: A 10-725

    Lore Feldberg-Eber, Tochter aus großbürgerlichem Hause, besuchte ab ihrem Alter von 19 Jahren die Hamburger Malschule von Gerda Koppel. 1917 ging sie nach München an die Schule für Freie und angewandte Kunst und dann für zwei Jahre nach Berlin. Nach der Rückkehr nach Hamburg ab 1919/1920 arbeitete Lore Feldberg-Eber als freischaffende Malerin. Sie war Mitglied der Hamburgischen Sezession, des Deutschen Künstlerbundes und des Altonaer Künstlervereins. Außerdem wurde sie Ende der 1920-er Jahre Mitglied der GEDOK (Gemeinschaft Deutscher und Österreichischer Künstlerinnen).
    1921 heiratete sie den Hamburger Exportkaufmann Moritz Eber. Er betrieb im Thaliahof in der Mönckebergstraße die Firma A., Eber & Sohn, die mit Rohgummi und Afrikaartikeln handelte Lore feldberg-Eber bekam zwischen 1922 und 1927 drei Kinder. Hauspersonal versorgte den Haushalt und die Kinder, so dass die Künstlerin von morgens bis abends ungestört arbeiten konnte. 1927 zog Lore feldberg-Eber mit ihrem Mann und den Kindern in ein umgebautes Bauernhaus in die Schenefelder Landstraße. In der Mörikestraße 24, wo der Architekt Karl Schneider ein modernes Atelierhaus erbauen ließ, hatte Lore Feldberg-Eber ihr Atelier und lud dort viele Künstlerfreunde ein.
    Die Kunsthistorikerin Maike Bruhns schreibt in ihrem Porträt über Lore Feldberg-Eber: "Lore Feldberg-Eber bekam mehrere Aufträge und stellte häufig in Hamburg und Berlin aus. Ihre Bilder zeigen eigenständige Malerei, orientiert an Paul Cézanne, Auguste Renoir und den Kubisten. Sie porträtierte bekannte Persönlichkeiten (…). Außerdem beschäftigte sie sich mit religiösen Themen, schuf Stillleben, Blumen- und Reisebilder. Besonders qualitätvoll fielen die Bilder vom Leben am Strand in Blankenese aus."
    1) Wegen der Verfolgung der Familie auf Grund ihrer jüdischen Herkunft waren Lore Feldberg-Ebers Ausstellungsmöglichkeiten sehr eingeschränkt. So konnte sie nur noch im Jüdischen Kulturbund, der seinen Sitz in der Hamburger Hartungstraße hatte, ausstellen. Nachdem auch ihr Besitz.enteignet worden war, emigrierte Lore Feldberg-Eber 1938 mit ihren Töchtern nach England; ihr Mann folgte der Familie. Maike Bruhns schreibt: "Im September 1940 wurde die Familie ausgebürgert, 1943 das malerische Werk der Künstlerin im Atelierhaus in Dockenhuden durch die Gestapo vernichtet, ihre Grafiksammlung und das Mobiliar wurden versteigert."
    2) Um sich in England finanziell über Wasser zu halten, gab Lore Feldberg-Eber Deutsch- und Kunstunterricht und porträtierte Studierende. Ihr Mann war drei Jahre lang interniert. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm sie ihre künstlerische Tätigkeit wieder auf, fuhr auch jährlich nach Hamburg und setzte sich für die Versöhnung ein.
    Quellen:
    1)Maike Bruhns: Feldberg-Eber, in: Hamburgische Biografie. Personenlexikon. Hrsg. von Franklin Kopitzsch und Dirk Brietzke. Bd. 5. Hamburg 2010, S. 114.
    2) Maike Bruhns, a. a. O., S. 115.
    Vgl.: Wikipedia: Lore Feldberg-Eber, unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Lore_Feldberg-Eber (abgerufen. 14.10.2024)

    Klara Gordon

    Oberin des Israelitischen Krankenhauses.

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    20.11.1866
    -
    20.12.1937
    Hamburg
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    Grablage: Grab: M 2-203

    Namensgeberin für: Gordonkehre Am 1. März 1898 kam Klara Gordon als ausgebildete Krankenschwester an das Israelitische Krankenhaus in Hamburg. 1908 wurde sie dort Oberin und leitete die krankenhauseigene Krankenpflegeschule und das Schwesternheim, das seit 1902 als unabhängige Stiftung geführt wurde. Klara Gordons Ziel war es, "eine Pflegerinnenschule in Anlehnung an das Krankenhaus zu errichten, um jüdische Mädchen und Frauen zu tüchtigen Krankenpflegerinnen heranzubilden, die in der Schule übernommenen Krankenpflegerinnen (Schwestern) sowohl in Kranken- und Siechenanstalten zu beschäftigen als auch der Pflege von Kranken aller Konfessionen in Familien (gegen ein der Stiftung zu entrichtendes Honorar) und in die Armenpflege unentgeltlich zu entsenden, den Schwestern in Krankheitsfällen bei Erwerbsunfähigkeit und im Alter eine auskömmliche Versorgung zu sichern." Für alte Schwestern war durch einen Pensionsfond gesorgt. Während des Ersten Weltkrieges wurde das Israelitische Krankenhaus zum Reservelazarett. Nach 1933 war das Krankenhauspersonal starken Repressalien ausgeliefert. Klara Gordon verhielt sich in all diesen Zeiten vorbildlich und aufopfernd gegenüber ihren Kranken. Bei ihrer Verabschiedung sagte der Kuratoriumsvorsitzende Dr. Fritz Warburg: "Sie war eine aufrechte Jüdin, allgemein anerkannt als vorzügliche Vertreterin ihres Berufes, die voll tiefem Mitgefühl für alle körperlichen und seelischen Schmerzen ihrer Glaubensgenossen für sie sorgte und doch auch gern Liebestätigkeit den Nichtjuden zuwandte, damit jeder den Segen unseres Krankenhauses empfinde. (...). Stolz und bescheiden, aufrecht und anspruchslos, überlegt und zurückhaltend, streng gegen sich selbst und andere, aber voll Nachsicht und Verständnis für die Schwächen und Fehler ihrer Mitmenschen, trat uns Clara Gordon entgegen. Indem sie mit ihrer Würde und unermüdlichen Willenskraft das innere Leben im Krankenhaus leitete, straffte sie auch den Willen der Kranken und war allen eine Quelle des Trostes und des Lebensmutes. (...) Wir wollen uns ihre wundervolle Hingabe an unser Krankenhaus, dessen wahre Mutter sie war, die Charakterstärke und Energie, in der sie eine schöne Tradition aufrecht erhielt, zum Muster nehmen." (Mary Lindemann (Hrsg.): 140 Jahre Israelitisches Krankenhaus in Hamburg, Hamburg 1981.)
    Seit 1985 gibt es im Hamburger Stadtteil Alsterdorf die Gordonkehre .
    Text: Rita Bake

    Betty Heine

    geb. Goldschmidt

    Ehefrau des Bankiers Salomon Heine Jungfernstieg 34 (Bank- und Wohnhaus) Elbchaussee 31, 31a und Nr. 43 (Villa stand dort bis 1880) Betty-Heine-Stieg, St. Pauli seit 2019

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    25.9.1777
    -
    15.1.1837
    Hamburg
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    Grablage: O3

    Betty Goldschmidt entstammte einer wohlhabenen Hamburger jüdischen Familie. Im Alter von 17 Jahren, im Jahr 1794, wurde sie von dem zehn Jahre älteren Bankier Salomon Heine (1767-1844) geheiratet. Damals war Salomon Heine im Bankhaus von Meyer Wolf Popert, einem Verwandten seiner Mutter, beschäftigt. Drei Jahre nach seiner Vermählung mit Betty gründete er 1797 zusammen mit Marcus Abraham Heckscher (1770-1823) die Privatbank Heckscher & Co. Weitere zwanzig Jahre später war er alleiniger Geschäftsführer der Bank geworden und hatte die Firma in Bankhaus Salomon Heine umbenannt.
    Salomon Heine soll sich sehr dem weiblichen Geschlecht hingezogen gefühlt haben. Besonders, wenn junge Damen bei ihm um Spenden baten, bedachte er diese sehr großzügig aus seiner Geldschatulle. Die Autorin Susanne Wiburg schreibt in ihrem sehr lesenswerten Buch über Salomon Heine: "Über Wohltaten dieser Art wurde in der Stadt um so mehr getratscht, als Salomon Heine, zumindest in jungen Jahren, ein recht gutaussehender Mann gewesen sein muß."[1] Eine andere Charakterseite Salomon Heines war sein Jähzorn. Er "neigte zu plötzlichen wilden Wutanfällen und konnte dann recht ausfallend werden. Darunter litt besonders seine geduldige Ehefrau Betty."[2] Betty und Salomon Heine bekamen im Laufe ihrer Ehe neun Kinder, von denen drei im Kindesalter verstarben.
    Das Wohn- und Bankhaus befand sich am Jungfernstieg 34. In den Sommermonaten lebte die Familie im 1808 erworbenen Haus an der Elbchaussee 31, 31a und 43. Die Villa wurde 1880 abgerissen. Erhalten blieb nur das Gärtnerhäuschen, welches heute als Gedenkstätte und Sitz des Vereins "Heine-Haus" dient. Ein Portrait von Betty Heine befindet sich seit 2015 im Heine-Haus. Die Jüdische Gemeinde Hamburg hatte dem Verein Heine-Haus e. V. das Gemälde als Dauerleihgabe übergeben. Das Gemälde selbst wurde zehn Jahre zuvor im Keller der Synagoge Hohe Weide wiedergefunden
    "Heinrich Heine war oft zu Besuch im Landhaus des Onkels in Ottensen. Bei manchen Unterredungen mit seinem Onkel soll es oftmals sehr hitzig zugegangen sein, wobei die liebenswürdige Tante Betty vieles wieder beschwichtigt haben soll. Dieser Tante widmete Heinrich Heine zum 48. Geburtstag am 25. September 1825 das Gedicht ,Sonnenaufgang'
    Hochgeehret fühlt sich die Sonne,
    Die purpurgeborene,
    Sie schmückt sich hastig,
    Und hastig eilt sie über das Wasser,
    Eilt in die Mündung der Elbe,
    Stromaufwärts, Blankenes entlang,
    Und sputet sich eifrig, und kommt noch zeitig
    Nach Onkels Villa zu Ottensen,
    Und findet noch, frühstückversammelt,
    Alldort die schöne Tante
    Und den Oheim, den fürstlichen Mann,
    Und die lieben Mädchen,
    Und Carl, den göttlichen Jungen,
    Dem die Welt gehört,
    Und den vornehmherrlichen Herrmann,
    Der jüngst aus Italien gekommen,
    Und vieles gesehn und erfahren, [....]'"[3]
    Als Betty Heine im Alter von 59 Jahren unerwartet verstarb, war ihr Ehemann sehr bestürzt darüber: "Noch zwei Jahre nach diesem traurigen Ereignis schrieb er seinem Neffen Heinrich nach Paris: ‚Den 15. Jan. wird es Zwey Jahr, daß mein Glück zur Erde gegangen, meine Nächte sind fürchterlich genug, was helft schreiben und klagen, der Mann mus allein tragen können.'"[4] Nach dem Tod seiner Frau machte sich Salomon Heine einige Jahre darüber Gedanken, wie er ihrer gedenken könne. So entstand die Idee, ein Krankenhaus zu stiften: das Israelitische Krankenhaus und dieses nach seiner verstorbenen Frau zu benennen. Für den Bau dieses Krankenhauses an der Simon-von-Utrecht-Straße 2 im Jahre 1839 gab Salomon Heine 80 000 Mark Banco. Weil seine Schenkung zu Ehren seiner 1837 verstorbenen Ehefrau Betty geschehe, machte er zur Bedingung, dass dies deutlich als Inschrift an der Fassade des Hauses sichtbar werden müsse. So wurde die Inschrift angebracht: "Krankenhaus der israelitischen Gemeinde der sel. Betty Heine zum Andenken erbaut von ihrem Gatten Salomon Heine Ao. 1841." Das Krankenhaus war damals das modernste Krankenhaus der Stadt und nahm PatientInnen ohne Ansehen der Konfession auf. Als sich das Krankenhaus schon bald als zu klein erwies und neue Gebäude errichtet werden mussten, spendete Salomon Heine wieder eine große Geldsumme, diesmal 30 000 Mark. Auch diese Spende war mit der Auflage verbunden, seiner verstorbenen Ehefrau Betty zu gedenken. Deshalb sollte nun in der Krankenhaussynagoge eine ewige Lampe brennen und "für die wenige Zeit jedes Jahr an ihrem Todestag auf ihrem Grabe durch zehn arme Israeliten die in solchem Falle üblichen Gebete verrich[tet werden]".
    5) Quellen:
    1) 1) Susanne Wiborg: Salomon Heine. Hamburgs Rothschild Heinrichs Onkel. Hamburg 1994, S. 44.
    2) 2) Susanne Wiborg, a. a. O., S. 45.
    3) 3) www.heine-haus-hamburg.de/Salomon-Heine/
    4) 4) zit. nach: Sylvia Steckmest: Drei Stifter für Hamburg. Salomon Heine und das Israelitische Krankenhaus - Carl Heine und die Kunsthalle - Therese Halle geb. Heine und das Wohnstift. In: Liskor - Erinnern. Magazin der Hamburger Gesellschaft für jüdische Genealogie e. V., 1. Jg. Juni 2016.
    5) 5) Joseph Mendelssohn: Salomon Heine. Blätter der Würdigung und Erinnerung für seine Freunde und Verehrer. 2. vervollständigte Aufl. Hamburg 1845, S. 31.

Wandsbek

    Clara Horn

    (Clara Maria Amalie Horn)

    Schauspielerin am Thalia-Theater von 1875 bis 1884

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    6.11.1852
    Berlin
    -
    3.7.1884
    Hamburg
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    Grablage: Jacobipark (erster Friedhof Hamburgs, eröffnet 1848, aufgehoben 1954). Einige Grabsteine stehen dort noch, auch der von Clara Horn.

    "Mein erster Schritt oder Sprung auf die Bretter geschah in der Rolle eines kleinen Grenadiers in dem Ballett "Der Geburtstag". Es "schwebt" mir noch lebhaft vor, wie Se. Excellenz der Herr General-Intendant von Hülsen in wirklich höchsteigener Person uns achtundzwanzig kleinen "Ratten" wie, zu meinem größten Bedauern, der technische Ausdruck lautet, mit eiserner Strenge den Grenadiermarsch einstudirte. Man denke! Achtundzwanzig Rat- das Wort will mir nicht über die Feder, sagen wir Rangen, das klingt weicher. Wieviel Geduld braucht man nicht oft schon im Verkehr mit einer einzigen solchen Naturerscheinung, und nun gar 28! Indeß, Herr von Hülsen hat diese, wie seitdem gewiß noch manche andere Geduldprobe glücklich überstanden, - und auch ich bin mit heiler Haut davon gekommen, trotzdem mein linkes Nebenmädchen mir jedes Mal beim Präsentiren des Gewehres mit demselben einen Schlag auf die Schulter versetzte, so daß mir das Exercitium nachgerade höchst ungemütlich wurde. Zum Glück wurde sie von der angestrebten Carriere sehr bald wieder aufgegeben, so dass weiteres Unglück verhütet wurde; ich aber marschierte und hüpfte lustig weiter, bis ich eines Tages den kühnen Sprung vom Tanzboden auf den Boden des Schauspiels executirte."1
    Mit viel Humor erzählt Clara Horn hier von den Anfängen ihrer Theaterlaufbahn. Der Besuch einer Kindervorstellung mit Tanz brachte alles ins Rollen. Seitdem wollte die Neunjährige unbedingt tanzen lernen. Die Eltern, bürgerliche Leute, Inhaber einer Mobilienhandlung in der Friedrichstraße in Berlin, gaben dem Drängen der Tochter nach und ließen sie auf der Königlichen Ballettschule ausbilden. Bereits nach einem Jahr wurde die kleine Clara ins Kinderballett aufgenommen. Doch dann lockte das Schauspiel. Clara Horn erhielt Unterricht bei der Schauspielerin Minona Frieb-Blumauer und hatte 1873 ihren ersten Auftritt im Königlichen Schauspielhaus. Da der Anfängerin hier jedoch nur kleine Rollen angeboten wurden, ging sie für ein Jahr nach Danzig, um ein wenig Routine zu bekommen. Danach verschaffte die Empfehlung ihrer Lehrerin ihr zunächst ein Gastspiel, dann ein Engagement am Thalia-Theater in Hamburg. Die folgende kleine Anekdote zeigt, wie sehr Clara Horn damals noch der Übung und Erfahrung bedurfte: Als sie sich kurz vor ihrem Gastspiel mit Fieber ins Bett legte, schickte man den Arzt Dr. Engel-Reimers zu ihr. Ein Blick genügte: "Sie haben wirklich Fieber, mein Fräulein, aber es ist nur ein unschuldiges Lampenfieber, für das freilich kein Kräutlein gewachsen ist. Sie müssen sich einfach tüchtig zusammennehmen."1
    Clara Horn folgte seinem Rat und bestand mit ihrer kleinen Rolle vor Publikum und Kritikern. Ihren ersten echten Erfolg hatte sie als Fifi in dem Lustspiel "Die Augen der Liebe" von Wilhelmine von Hillern, der Tochter der damals überall gespielten Charlotte Birch-Pfeiffer. Über Nacht war der Name Clara Horn bzw. Fifi, wie ihre Kolleginnen und Kollegen sie fortan nannten, in Hamburg in aller Munde. Schnell avancierte sie zum Publikumsliebling schlechthin.
    Einer ihrer Verehrer, Harbert Harberts, schrieb in einem biographischen Abriss, mit dem er der flüchtigen Kunst der Schauspielerin ein Denkmal setzen wollte: "Wenn auf der Bühne der Frohsinn sein rosenrotes Scepter schwang, dann concentrirte sich zumeist unser Interesse auf eine Gestalt und sie war der Magnet, dem die Herzen zuflogen. Der Magnet hieß Clara Horn. Jedes Wort, das in so gewinnender Schalkhaftigkeit, in so köstlichem Mutwillen von ihren Lippen perlte; die reizende Natürlichkeit, mit der sie jede Bewegung, jede Geste ihres Spiels ausführte, nahm uns gefangen und sicherte Stürme des Beifalls, die sie allabendlich zu ernten pflegte. Sie war im besten und schönsten Sinne des Wortes unser Liebling."1 Aber nicht nur das Publikum, auch die Kritiker waren bezaubert von der jungen Schauspielerin. Ein Journal rühmte: "Man darf kühnlich behaupten, daß Clara Horn in ihrem Genre unerreicht dasteht. Ihr Lachen und Weinen ist unübertrefflich und von bezaubernder Wahrheit, ihr eigenthümlich trockener und doch so liebenswürdiger Humor übt eine magische Wirkung auf die Zuschauer aus; Alles an ihren Leistungen athmet Anmuth und Heiterkeit, nirgendwo läßt sich eine Absichtlichkeit, ein Haschen nach gewöhnlichem Theatereffekt entdecken, mit einem Worte: Clara Horn ist eine echte Künstlerin, die mit Recht die reichen Ovationen verdient, welche ihr von allen Seiten dargebracht werden, ein echtes Kind der heiteren Muse Thalia, deren Schwestern die Wiege des Pathchens mit herrlichen Gaben überschütteten."1 Als Clara Horn sich ins ernste Fach vorwagte, scheiterte sie. Ihre Domäne war der Backfisch, der ins weibliche übersetzte dumme Junge, der damals in zahlreichen Lustspielen und Possen vorkam, und sie war nach einigen missglückten Versuchen klug genug, ihre Grenzen nicht mehr zu überschreiten.
    Das Jahr 1882 war für Clara Horn in doppelter Hinsicht ein ganz besonderes. In diesem Jahr begegnete sie den zwei Männern, die wenig gemein, aber für sie und ihr Leben eine große Bedeutung hatten: dem Kaiser und ihrem künftigem Bräutigam.
    Kaiser Wilhelm II. hatte Clara Horn schon als kleines Kind verehrt. Sein Bild, das der Bruder des Kaisers der kleinen Ballettrange geschenkt hatte, hing gerahmt in ihrem Zimmer. Zum Kaisergeburtstag beschloss die Zwölfjährige zusammen mit ihrer älteren Schwester Julie, ihn bei seiner Spazierfahrt durch den Tiergarten zu erwarten und ihm ein Blumenbouquet in die Kutsche zu werfen. Da der Kaiser an diesem Tag jedoch einen neuen Weg für seine Ausfahrt gewählt hatte, warteten die beiden Mädchen vergeblich, und es blieb ihnen nichts anderes übrig, als das Bouquet durch einen Dienstmann ins Schloss schicken zu lassen. Am nächsten Tag erschien der Kaiser persönlich im Theater, bedankte sich bei Clara und bat scherzend um ein neues Bouquet. Fortan schickte Clara Horn dem Kaiser zu jedem Geburtstag Blumen und illuminierte ihre Fenster. Nun, im Sommer 1882, sollte sie ihm bei einem Gastspiel in Bad Ems erneut begegnen. Er zeigte sich entzückt von ihrem Spiel und ließ ihr ein kostbares Armband überbringen. Als man sich am nächsten Tag auf der Promenade traf, plauderte man angeregt.
    Dem zweiten bedeutenden Mann ihres Lebens begegnete sie auf der Insel Norderney. Hier traf Clara Horn, die äußerst beliebt war und in Kreisen verkehrte, die sonst über ihresgleichen die Nase rümpften, den begüterten Guts- und Mühlenbesitzer Josef Daubeck aus der Umgebung von Brünlitz in Böhmen. Die beiden verliebten sich ineinander, zu Ostern 1884 fand die offizielle Verlobung statt, im Mai, bei Saisonende, wollte Clara Horn ihren Abschied von der Bühne nehmen und im Monat darauf ihren Bräutigam heiraten. Doch es kam anders.
    Am 13. Mai 1884 brach Clara Horn nach Schluss der Vorstellung zusammen. Die offizielle Diagnose: Gelenkrheumatismus. Die ganze Stadt nahm rührenden Anteil an dem Schicksal der jungen Schauspielerin. Täglich brachten die Zeitungen Meldungen über ihr Befinden, die Menschen strömten in ihr Haus am Pferdemarkt (heute Gerhart-Hauptmann-Platz), um sich selbst nach ihrem Zustand zu erkundigen. Als sie sieben Wochen nach diesem Zusammenbruch starb, blieb die offizielle Version eines Gelenkleidens bestehen. Dass die wahre Todesursache wohl im Zusammenhang mit der Geburt eines Kindes stand, zeigt ein Eintrag in das Ohlsdorfer Grabregister, wo der Tod eines Sohnes der Schauspielerin Clara Horn am 17. Juni 1884 nach nur einer Stunde Lebenszeit vermerkt ist. Nach einer Trauerfeier, die einer Fürstin zur Ehre gereicht hätte, wurde Clara Horn auf dem Jakobi-Friedhof beigesetzt. Josef Daubeck ließ einen großen Grabstein mit einem Bronzerelief anfertigen, das einen Engel mit umgedrehter Fackel zeigt. Er ist heute noch an der alten Stelle zu finden, obwohl der Friedhof längst aufgelassen ist - im öffentlich zugänglichen Jakobipark. In seinem Haus umgab sich Josef Daubeck mit allen verfügbaren Bildern von seiner Braut, die er in Lebensgröße hatte ausführen lassen.
    Text: Brita Reimers
    Zitate:
    1) Harbert Harberts: Clara Horn. Ein Charakterbild ihres Lebens und Wirkens. Mit einer Sammlung Portraits nach Original-Photographien. In: Hamburger Familiengeschichten. Bd.10.

    Anna Rebecca Claudius

    geb. Behn

    Ehefrau von Matthias Claudius

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    12.6.1754
    Barmbek
    -
    26.7.1832
    Wandsbek
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    Matthias Claudius, der Redakteur des "Wandsbecker Bothen", lernte seine Rebecca kurz vor Weihnachten 1770 kennen, als er sich die Haustürschlüssel für sein zu mietendes Haus am Lübecker Steindamm beim Zimmermann Behn abholen wollte. Die älteste Tochter, die 16jährige Anna Rebecca, war allein zu Hause und versuchte gemeinsam mit Claudius, den verschlossenen Wandschrank zu öffnen, in dem sich die Schlüssel befanden. Die beiden verliebten sich ineinander. Am 15. März 1772 heirateten sie, obwohl Claudius" Gehalt als Redakteur nicht ausreichte, um eine Familie zu ernähren. Rebecca wurde für den 14 Jahre älteren Claudius "sein Bauernmädchen" und der Ruhepol, an dem er Halt und Frieden fand. Nun wohnten sie beide im Haus am Steindamm . Sechs Monate nach der Hochzeit wurde ihr Sohn Matthias zu früh geboren. Wegen der ständigen Geldsorgen nahm Matthias Claudius eine Stelle in Darmstadt als Oberlandkommissar an. Doch das Ehepaar wurde krank vor Heimweh und kehrte nach Wandsbek zurück.

    Rebecca Claudius bekam viele Kinder: im September 1772 Matthias (starb als Baby), 1774 Karoline, 1775 Christiane, 1777 Anna, 1779 Auguste, 1781 Henriette (Claudius wünschte sich sehnlichst einen Jungen). 1783 Johannes, 1784 Rebekka, 1786 Matthias (starb im Alter von zwei Jahren), 1789 Friedrich, 1792 Ernst, 1794 Franziskus. Haushalt und Kinder zehrten an Rebeccas Kräften und sie unternahm mit Claudius einige Kuraufenthalte. Rebecca Claudius starb 17 Jahre nach dem Tod ihres Mannes.
    Seit 1970 gibt es im Hamburger Stadtteil Marienthal der Rebeccaweg .
    Text: Rita Bake

    Hermine Albers

    Wohlfahrtspflegerin, Mitbegründerin des Hamburger Frauenrings, Mitbegründerin der Arbeitsgemeinschaft für Jugendpflege und -fürsorge, Regierungsdirektorin der Jugendbehörde/ Leitung des Landesjugendamtes. Mitherausgeberin der Fachzeitschrift "Unsere Jugend", Verfolgte des NS-Regimes

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    21.7.1894
    Bitburg
    -
    24.4.1955
    Hamburg
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    Grablage: Das Grab ist nicht mehr vorhanden

    Seit 2014 gibt es in Hamburg-Jenfeld die Hermine-Albers-Straße
    Hermine Albers soll auf dem Friedhof Bergstedt bestattet worden sein neben ihrer Mutter, die 1940 verstarb, so heißt es in einem ihrer Nachrufe. Laut dortiger Auskunft ist eine Hermine Albers nicht in den Akten vermerkt.
    Hermine Albers wurde 1894 als einziges Kind
    von Klara Helene, geb. Linden und Hermann Albers geboren. Ihr Vater, ein Kreisschulrat, starb kurze Zeit vor Hermines Geburt. Klara Helene Albers gab ihrer Tochter eine sorgfältige Erziehung mit auf den Weg. Als Hermine zwölf Jahre alt war, zog ihre Mutter mit ihr nach Köln, wo Hermine das humanistische Mädchengymnasium besuchte. Nach dem Abitur studierte sie zwischen 1914 und 1917 Sozial- und Staatswissenschaften.
    Als im Ersten Weltkrieg Frauen im stärkeren Maße als Arbeitskraft zur Aufrechterhaltung der "Heimatfront" z. B. in den Rüstungsbetrieben arbeiten mussten, stellte sich die junge Volkswirtschaftslehrerin Hermine Albers dem Frauenreferat der Kriegsamtsstelle Koblenz als Hilfsreferentin zur Verfügung. Dabei lernte sie die praktischen Notwendigkeiten und Möglichkeiten der Arbeitsfürsorge an Frauen kennen.
    Nach Kriegsende übernahm Hermine Albers als Geschäftsführerin den Verein für Säuglingsfürsorge und Wohlfahrtspflege in Düsseldorf. Ab 1921 unterrichtete sie auch Volkswirtschaft und Rechtswesen am Frauenseminar für soziale Berufsarbeit in Frankfurt am Main und leitete von 1923 bis 1926 eine Abteilung des Wohlfahrtsamtes in Solingen. Gleichzeitig setzte sie ihre sozialwissenschaftlichen Studien an den Universitäten in Köln und Bonn fort und promovierte 1926 zum Dr. rer. pol. der Staatswissenschaften.
    1927 ging sie als Dozentin an die Wohlfahrtsschule für Hessen und Hessen-Nassau nach Frankfurt am Main.
    1928 verlegte sie ihre berufliche Tätigkeit nach Hamburg. Dort erhielt sie eine Anstellung in der Sozialbehörde. Hermine Albers wurde Regierungsrätin und beriet in dieser Funktion auch den Stadtbund Hamburger Frauenvereine.
    1933, nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, wurde Hermine Albers wegen ihrer Mitgliedschaft in der SPD - sie war seit 1919 Mitglied der SPD - und der Arbeiterwohlfahrt (AWO) aus ihrem Amt als Regierungsrätin entlassen. Fortan arbeitete sie, eingesetzt von der Handelskammer wegen ihrer fachlichen Kenntnisse - als Wirtschaftsprüferin und Treuhänderin in verschiedenen Wirtschaftsunternehmen. Hermine Albers wohnte damals im Wiesenkamp 9 und unterstützte ihre Freundin Hilde Wulff (ihr Grabstein steht im Garten der Frauen), die das Kinderheim "Im Erlenbusch" betrieb, in der Gegnerinnenschaft gegen den Nationalsozialismus. Bereits 1930 hatte sich Hermine Albers als Sprecherin der Sozialbeamtinnen für die Frauenfront gegen den Nationalsozialismus engagiert.
    Gleich nach Ende der Herrschaft des Nationalsozialismus wurde Hermine Albers Mitglied des Entnazifizierungskomitees. Beruflich wurde sie zur Senatsrätin ernannt und mit dem Aufbau und der Leitung des Hamburger Landesjugendamtes betraut. Drei Jahre später ernannte der Senat sie zur Regierungsdirektorin.
    In den Jahren 1945 bis 1948 waren rund 20.000 Jugendliche unter achtzehn Jahren, die durch die Bunker zogen, in Erdhöhlen schliefen, keine Lehrstellen und oft kein Elternhaus mehr hatten, zu betreuen. Hermine Albers versuchte den jungen Menschen Obdach und Nahrung zu verschaffen und die Eltern wiederzufinden. Wie dieses Chaos in den Griff zu bekommen war, wurde als Hermine Albers" Geheimnis und das ihrer Mitstreiterinnen und -streiter bezeichnet.
    Als sich die Wirtschaftslage gebessert hatte, Eltern für ihre Kinder Erziehungshilfen bekamen, Übernachtungs- und Tagesheime sowie Schulen wieder aufgebaut waren, kümmerte sich Hermine Albers um arbeitslose Jugendliche und um eine sinnvolle Freizeitgestaltung für Jugendliche.
    Durch Hermine Albers" langjährige Erfahrungen in der Jugend- und Wohlfahrtshilfe entstand der Grundgedanke für den späteren Bundesjugendplan, an dem Hermine Albers einen großen Anteil hatte. Mittlerweile war ihre Arbeit über den Rahmen Hamburgs hinausgewachsen. In ganz Westdeutschland fand sie Beachtung und Würdigung. Als Mitbegründerin und Mitarbeiterin der Arbeitsgemeinschaft für Jugendpflege und Jugendfürsorge übernahm sie von 1952 bis 1955 auch die Arbeit der zweiten Vorsitzenden. Zwischen 1949 bis zu ihrem Tod 1955 arbeitete sie als Mitherausgeberin der Zeitschrift für Jugendhilfe in Wissenschaft und Praxis, "Unsere Jugend", München, Forum der Jugendämter in Stadt und Land. Hier nahm sie vor allem laufend zu den wichtigsten Gesetzesvorschlägen in Fragen der Erziehung und Wohlfahrt Stellung und vertrat ihre Idee des lebendigen Jugendamtes. Darüber hinaus war Hermine Albers Mitglied des deutschen Landesausschusses der UNESCO.
    Hermine Albers starb 1955 im Alter von 60 Jahren. In einem der Nachrufe hieß es ganz der Rollencharaktere der Frau folgend über sie: "Sie konnte beides - mit männlich scharfem Verstand planen und mit einem unbestechlich nüchternen Blick für das Sachliche abwägen. Dabei war sie gleichzeitig ganz Frau mit starker Gefühlsbeteiligung und dem Vermögen, die Dinge von der Wurzel her zu erfassen." (Gedenkwort von Stadtarzt Marx, Nürnberg)
    Pastor Wilhelm Engelmann, Direktor des Centralausschusses für die Innere Mission, Bethel, fasste Hermine Albers" Leben wie folgt zusammen: "Sie gehörte zu denen, die Glück und Qual dieses Zeitalters in sich aufgenommen und verarbeitet haben, die wissend geworden sind. Diese Menschen sind äußerlich nicht leicht begeisterungsfähig, vielleicht scheinen sie verschlossen, zurückhaltend und manchmal auch hart. Aber in ihnen wohnt - oft nur dem Kundigen erkennbar - eine stille Güte und Barmherzigkeit, die die Not und das Leid des Bruders und der Schwester mitträgt, und die recht zu helfen wissen. Diese Menschen wissen es auch, daß sie dazu bestimmt sind, daß von ihnen gefordert wird, ihre Erkenntnisse und Erfahrungen, ihren Verstand und ihre Fähigkeiten und nicht zuletzt ihre Liebe ganz darzubringen. Dies wird eine selbstverständliche Haltung. Diese Menschen verzehren sich im Dienst. Sie hassen das Laute und Vordergründige, denn sie kennen die Hintergründe des Lebens. In ihnen lebt das Wissen um das Wesentliche."
    Seit 1955 vergibt die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe alle zwei Jahre den Hermine-Albers-Preis (auch Deutscher Jugendhilfepreis genannt).

    Hedwig Florey

    geb. Elsner

    Pianistin, Professorin für Musiktheorie an der Hochschule für Musik und Theater HfMT Hamburg, Mitglied im Ensemble Hinz & Kunst, Mitbegründerin "Hamburger Sängerhaufen"

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    24.8.1943
    Oldenbüttel/Eiderstedt
    -
    27.8.1999
    Hamburg
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    Grablage: I. C 3/363-364

    Hedwig Florey war die Tochter von Dr. Kurt Elsner, Rechtsanwalt in Flensburg, der 1944 an einer chronischen Erkrankung verstarb. Ihre Mutter Tine Elsner, geb. Hansen-Nootbaar, war Physiotherapeutin. "Hedwig kam als fünftes Kind zur Welt, und es war - unter den erschwerten Bedingungen der Nachkriegszeit - eine harte Herausforderung für die allein erziehende Mutter, allen Kindern eine ihrer jeweiligen Begabung entsprechende Förderung zuteil werden zu lassen. Die musische Erziehung ihrer Kinder war der Mutter eine Herzensangelegenheit. Weil Hedwig von früher Jugend an eine besondere musikalische Begabung gezeigt hat, wurde das durch instrumentalen Musikunterricht gefördert. Neben ihrer Schulausbildung hatte sie nicht nur Klavierunterricht, sondern lernte Querflöte bei einem Musiker des Flensburger Orchesters. Außerdem war sie eine ebenso begeisterte wie engagierte Chorsängerin. Nach dem Abitur entschied sie sich zwar für ein Klavierstudium, vernachlässigte aber ihr Flötenspiel nicht, sondern nutzte ihre Kenntnisse zum kammermusikalischen Musizieren." [1]
    An der Hamburger Musikhochschule studierte sie Klavier bei Frau Prof. Eliza Hansen und Musiktheorie bei Prof. Werner Krützfeldt. Beide Fächer schloss sie 1968 und 1970 mit einem Diplom ab. 1973 begann sie ihre Tätigkeit an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg, zunächst in dem Fach Klavierimprovisation, später als Teilprofessorin für Musiktheorie. Ein Jahr später verlieh ihr der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg die akademische Bezeichnung "Professor".
    1970-1982 war sie Mitglied der Hamburger Musikgruppe "Hinz und Kunst" und 1978 gründete sie den "Hamburger Sängerhaufen" mit.
    Sie organisierte Veranstaltungen über Kurt Weill, Kurt Tucholsky, Hanns Eisler, Paul Dessau und Bert Brecht. [3]
    Am 19. September 1969 heirateten die Pianistin Hedwig Elsner und der Violoncellist Wolfgang Florey in Flensburg. Auch nach späterer Trennung blieben sie einander freundschaftlich verbunden. Zu ihrem Werdegang ergänzte Wolfgang Florey:" (...) so gehört es zum Leben meiner Frau, dass sie drei Kinder zur Welt gebracht hat, Georg Heinrich Friedemann (1970), Daniel Georg Sebastian (1971) und Marianne Katharina (1979). Nach unserer Trennung im Jahr 1985 war sie diesen Kindern eine alleinerziehende Mutter. All die damit verbundenen Schwierigkeiten hatte sie neben ihrer beruflichen Entwicklung zu meistern. Und versteht sich von selbst, dass das ihrer beruflichen Karriere nicht unbedingt förderlich war. [1]
    Unter dem Titel "Trauer um Hedwig Florey" meldete ein kurzer Nachruf im Hamburger Abendblatt vom 7. September 1999: "Hedwig Florey, Professorin für Musiktheorie an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg, ist nach langer, schwerer Krankheit im Alter von 56 Jahren gestorben. Sie war seit 26 Jahren an der Hochschule und galt als hervorragende Künstlerin und sensible Pädagogin. Sie widmete sich besonders der Neuen Musik. Neben ihrer Lehrtätigkeit arbeitete sie als Pianistin mit unterschiedlichen Ensembles und Künstlern. HA". [2] Bestattet ist Hedwig Florey auf dem Friedhof Bergstedt, Grablage: I.C 3/363-364. [3] Ihr Nachlass ist in der Handschriftenabteilung der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky als "Nachlass Hinz & Kunst, Florey, Hedwig" unter der Signatur NHK bibliothekarisch katalogisiert, "eine Arbeit, die durch eine großherzige Stiftung von H. W. Henze ermöglicht worden ist und gefördert wurde von dem Musikwissenschaftler Dr. Peter Petersen." [1]
    Die Pianistin war Gründungsmitglied und Mit-Komponistin in dem Quintett Hinz & Kunst. Deren innovatives und charakteristisch-politisches Konzept, "typisch" für den Aufbruch der "68er Generation", schilderte der Cellist und frühere Ehemann von Hedwig Florey, Wolfgang Florey, der selbst dieser Musiktheatertruppe angehörte: "Das Ensemble Hinz & Kunst wurde 1969 an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Hamburg gegründet - aus Interesse an neuen musikalischen Strömungen und Experimentierlust, an der Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Musik, die im Ausbildungsplan der Musikhochschule so gut wie nicht vorkam. Durch gemeinsames, stundenlanges frei improvisierendes Musizieren in verschiedenen Formen und Konzepten versuchten wir zu neuer Art der Musikausübung zu gelangen, die die Trennung in ‚reproduzierende" und ‚produzierende" Musiker endlich aufhob.
    Die Sechziger Jahre waren in musikalischer Hinsicht geprägt von den verschiedensten sich überlagernden und durchaus nicht homogenisierbaren Strömungen. Uns beschäftigte die Tatsache, dass Musik seit eh und je diejenige der Künste ist, die am wenigsten mit ihrer Zeitgenossenschaft etwas anzufangen weiß, was wahrscheinlich auf Gegenseitigkeit beruht. Fühlte sich die gemäßigte Moderne, anknüpfend an den musikpädagogischen Versuchen Hindemiths und Orffs, noch für die ästhetische Erziehung der nachwachsenden Generation verantwortlich, so beschränkte sich der soziale Bezug der jetzt tonangebenden Komponistengeneration im wesentlichen auf die Vorteilnahme aus einem hochsubventionierten Kulturbetrieb. Die musikalische Avantgarde scherte sich nicht im mindesten darum, dass sich das Musikleben währenddessen in einen Marktplatz verwandelte, der vom Propagandageschrei der Marketingspezialisten einer sich ins ökonomisch Gigantische aufschwingenden Unterhaltungsindustrie widerhallte, die von nun an bestimmen sollte, welcher Ton die Musik der Zukunft machte. Von den Institutionen des Musiklebens, den Konzertsälen und Opernhäusern, deren gesellschaftliche Verantwortung sich ohnehin in der Verpflichtung zu einer mehr oder minder musealen Wiedergabe von musikalischen Antiquitäten erschöpfte, war in bezug auf die gewaltige Metamorphose des Musiklebens wenig Widerständiges zu erwarten, zumal sie ökonomisch noch munter im wirtschaftswunderbaren Wohlstand vor sich hin speckten. Es schienen keine zwingenden Gründe für den Musikbetrieb zu bestehen, von überkommenen Musikkonzepten abzuweichen oder sich in welcher Weise auch immer neuen Publikumsschichten zu öffnen. Sowieso war den seriösen Musikern mitsamt der Zunft der Musikwissenschaftler die Beschäftigung mit den Gesetzen des Marktes genauso fremd wie eine Auseinandersetzung mit den Erscheinungen der neuen, industriellen Massenkultur. Mit ihren musikalischen Genres wollten diese genauso wenig zu tun haben, wie die Bürger mit dem Plebejer.
    Was sich jedoch entscheidend geändert hatte, war, dass die zukünftige gesellschaftliche Elite sich nicht länger in den Musentempeln ihrer Vorfahren zum Guten, Wahren und Schönen erziehen lassen wollte, sondern den ihr gemäßeren musikalischen Ausdruck in den subkulturellen Novitäten der kommerziellen Rock- und Popmusik zu finden glaubte. Das hatte allerdings keine primären musikalischen Ursachen, sondern war das Ergebnis eines fundamentalen gesellschaftlichen Paradigmenwechsels. Dieser war es, der es uns unmöglich zu machen schien, über Musik nachzudenken, ohne wenigstens den Versuch zu unternehmen, die sozialen Aspekte, denen das Musikmachen unterworfen war, zu verstehen. Und indem wir uns darum bemühten, fanden wir uns bald in einer reichlich unwirtlichen Landschaft wieder und hineingestellt in ein politisches System, das von den Widersprüchen des Kalten Krieges geprägt war.
    Der Krieg in Vietnam wurde für uns zu einer grundlegenden moralischen Frage und führte dazu, dass das bis dahin einigende ideologische Fundament, auf das alle Parteien des Landes sich beriefen, böse Risse bekam. Gemeint ist nicht das Grundgesetz der Bundesrepublik, sondern der bis dahin alles beherrschende Antikommunismus. So kam es zu einem immer breiter geführten Diskurs über die Bedeutung der Marxschen Analyse des Kapitalismus und seiner Kritik der Politischen Ökonomie.
    Und auf dem Gebiet der Künste wurde immer lebhafter diskutiert über die Rolle des ‚Ästhetischen bei der Scheinlösung von Grundwidersprüchen der kapitalistischen Gesellschaft", über die ‚Bedeutung und Funktion der Massenkultur und Massenkommunikation im spätkapitalistischen System", über die ‚Klassenbezogenheit der herrschenden Kunst" und darüber, dass ‚Kunst notwendige Inhalte verständlich und wirksam verbreiten müsste". Wie nun aber die musikalischen Modelle konkret auszusehen hätten, die den neuen Anforderungen gerecht werden könnten, dafür schien es uns zunächst nur wenig Beispielhaftes zu geben.
    Für uns Musikstudenten wurde der Allgemeine Studentenausschuss (AStA) der Musikhochschule in dieser Zeit zu so etwas wie einer organisatorischen Plattform nicht nur der politischen, sondern auch der ästhetischen Diskussion. Hier kam es auch zur ersten Begegnung mit Hans Werner Henze. Zeitlich fiel sie in die Vorbereitungszeit der geplanten Uraufführung seines Oratoriums Das Floß der Medusa im Herbst 1968. Unsere Erwartungen waren groß, aber nicht geringer war unsere Skepsis, ob gerade sein Werk uns ein Beispiel geben könne. Die Lektion wurde uns aber nicht vom Komponisten, sondern - wie allgemein bekannt - von der Polizei erteilt. Am Abend der Uraufführung erklang in der Ernst-Merck-Halle keine Note. Zu vernehmen war nur ein Sprechchor, der nicht in der Partitur stand. Der RIAS-Kammerchor skandierte, als Henze zum Beginn des Konzerts den Taktstock hob: ‚Wir kommen aus Berlin - wir singen nicht unter der roten Fahne". Diese Erklärung leitete eine der größten Konzertskandale in der Geschichte der BRD ein. Er endete mit dem Einsatz einer Hundertschaft der Polizei im Konzertsaal, die eine größere Anzahl von Konzertbesuchern zur Feststellung der Personalien vorrübergehend festnahm.
    Doch ein konkretes Ergebnis hatte dieses Ereignis: Seitdem gab es in Hamburg einen ‚Arbeitskreis Sozialistischer Musikstudenten". Ausgehend von ihm bildeten sich eine ganze Reihe von studentischen Diskussions- und Arbeitsforen. Hier wurden nicht nur Forderungen zur Studien- und Strukturreform der Musikhochschule entwickelt, es ging auch ganz konkret um die Erprobung alternativer musikalisch praktischer Ansätze - und damit um vieles, was für das spätere Selbstverständnis der Gruppe Hinz & Kunst von Bedeutung war.
    Und schließlich lernten wir die musikalisch-politische Arbeit der ‚Hamburger Liedermacher", einem Kreis von engagierten Laien um Renate Bauche (Ehefrau von Dr. Ulrich Bauche, Kulturhistoriker und Volkskundler, ehemals Hauptkustos am Museum für Hamburgische Geschichte, Honorarprofessor der Universität Hamburg, CG.) und der ‚Hamburger Songgruppe" kennen, woraus sich eine mehrjährige Zusammenarbeit ergab. Und im Rahmen der Musikhochschule war es Jürgen Tamchina, Theatermusiker und Kinderbuchautor, später auch Komponist und Theaterregisseur, der damals mit Schauspielstudenten ein Programm mit Liedern von Eisler erarbeitete. Der Kreis von Musikern, der sich hier als Begleitensemble zusammenfand, konstituierte sich später als Hinz & Kunst. Es setzte sich im Kern zusammen aus dem Klarinettisten und Saxophonisten Bernhard Asche, dem Posaunisten und Komponisten Thomas Jahn, der Pianistin und Musiktheoretikerin Hedwig Florey, dem Schlagzeuger Peter Wulfert (an dessen Stelle später Matthias Kaul trat) und dem Cellisten Wolfgang Florey.
    Jürgen Tamchina, der an der Entwicklung einer vorschulpädagogischen Fernsehreihe für das ZDF arbeitete und den Auftrag erhielt, für eine Serie von Sendungen Lieder für Puppenspieler zu schreiben, stützte sich im Kern auf dieses Ensemble von Instrumentalisten. Thomas Jahn gab den Liedern ihre klangliche Gestalt und schrieb die Arrangements. Als ‚Die Lieder von der Rappelkiste" wurden die Aufnahmen zu einem riesigen Schallplattenerfolg. Die Liedtexte von Tamchina machten im Sinne eines emanzipatorischen Erziehungskonzeptes den Kindern Mut zu einem selbständigen Urteil und Handeln in verschiedenen realistisch geschilderten Lebenssituationen. Dem gleichen pädagogischen Ziel folgend widersetzte sich die musikalische Sprache der Lieder dem in diesem Genre inzwischen verbreiteten kommerziellen Sound und knüpfte bewusst am traditionellen Kinderlied an. Das Instrumentarium der Begleitung war dem Bereich der klassischen Musik entlehnt und entfaltete seinen Zauber mit spieltechnischer Raffinesse und einem Witz, der sich der Erfahrung mit der Moderne ebenso verdankte, wie der Zusammenarbeit mit den Hamburger Liedermachern.
    Das Selbstverständnis von Hinz & Kunst ist das Ergebnis auch anderer Erfahrungen. Sie gehen zurück auf zwei sehr verschiedene Aspekte der Diskussion in den studentischen Basisgruppen. Der eine betrifft die Frage nach der Aufhebung der Teilung der Arbeit in eine Sphäre der geistigen und eine der materiellen sowie die Frage nach der Überwindung ihrer Entfremdung. Der andere Aspekt betrifft das Konzept einer Politik der gewerkschaftlichen Orientierung. Konkret auf dem künstlerischen Gebiet bedeutete dies, dass nicht nur allgemein der Mensch, sondern der arbeitende Mensch in den Mittelpunkt des künstlerischen Interesses rücken müsse.
    Dieser Zusammenhang fand seinen Niederschlag in einer gemeinsamen kompositorischen Arbeit, die H.W. Henze vorschlug. Ein Text war bald gefunden, nämlich eine aktuelle Recherche der Fernsehjournalistin Erika Runge über einen ‚wilden" Streik in einem Walzwerk der Firma Mannesmann, Duisburg. Jeder der Komponisten, auch H.W. Henze, übernahm es, einen Teil des Textes in Musik zu setzen, und das Ganze wurde schließlich als Szenische Kantate von einem Ensemble, das sich im Kern aus der Gruppe Hinz & Kunst zusammensetzte, einstudiert. Unter tätiger Mithilfe von Ruth Berghaus und in Anwesenheit von H.W. Henzes und der meisten Komponisten wurde das Werk im Theater am Schiffbauerdamm im August 1973 uraufgeführt. Für die Schallplatteneinspielung dieser Kantate Streik bei Mannesmann erhielt Hinz & Kunst von der Deutschen Phonoakademie 1975 die Auszeichnung ‚Künstler des Jahres".
    Mit diesem Werk verknüpft ist der Beginn einer langjährigen Freundschaft und Zusammenarbeit des Ensembles Hinz & Kunst mit Hans Werner Henze. Er lud das Ensemble zur Mitarbeit an seinem ‚Cantiere Internazionale d´Arte" ins toskanische Montepulciano ein, wo das Ensemble über eine Reihe von Jahren neben Konzerten und instrumentalen Begleitaufgaben im kleinen Opernhaus konkrete Musikanimationsarbeit leistete.
    Aus Anlass seines fünfzigsten Geburtstages baten die Hinz & Künstler Henze um einen Gegenstand, um den Jubilar überhaupt würdig mit Musik bedenken zu können, und so bekam Hinz & Kunst ein Stück Musik, das für die Kernbesetzung der Gruppe spielbar war. Es ist ein Quintett und trägt den schlichten Namen Amicizia!. Es erklang zum ersten Mal 1976 bei einem Kammerkonzert von Hinz & Kunst im Teatro di Montepulciano.
    In Erinnerung des alten Anspruches, die Arbeitsteilung des Musikers in einen reproduzierenden und einen produzierenden zu überwinden, und angeregt durch die konkreten Aufgaben unserer künstlerischen Praxis, gingen wir auch daran, nicht nur als Einzelne, sondern auch als Gruppe schöpferisch tätig zu werden. Für Montepulciano entwarfen wir das Libretto und schrieben die Musik zu einem Singspiel, das wir beim ‚3. Cantiere Internazionale d´Arte" in Montepulciano und einer Reihe umliegender Ortschaften aufführten. Für dieses Stück, das wir Mongomo in Lapislazuli [4] nannten, erhielten wir den Preis der Jury des Komponistenseminars in Boswil (Schweiz). Es folgten noch zwei weitere Arbeiten: das Musical Komm, Collie wir gehen in´s Öl, das beim Steirischen Herbst 1981 uraufgeführt wurde, und das Ballett Der Schal. In beiden Fällen war die Gruppe Librettist, Komponist und schließlich ausführendes Instrumentalensemble.
    Als Instrumentalensemble hatte sich Hinz & Kunst im Verlaufe der Jahre ein beachtliches Repertoire an zeitgenössischer, vornehmlich engagierter Musik erarbeitet und eine ganze Reihe von Komponisten haben für Hinz & Kunst geschrieben, insbesondere wieder H.W. Henze, der sein imaginäres Musiktheater El Rey de Harlem für Mezzosopran und acht Instrumentalisten für Hinz & Kunst schrieb. 1980 brachten wir es im Rahmen der ‚Wittener Tage für Neue Kammermusik" mit Maureen McNally und unter der Leitung von Spiros Argiris zur Uraufführung". [5]
    Die Geschichte der Gruppe Hinz & Kunst endete mit dem Jahr 1981. Das hatte vor allem existentielle-wirtschaftliche Gründe: "Schwierig war natürlich die materielle Basis der künstlerischen Arbeit. Eine finanzielle Förderung der Gruppe durch wie auch immer geartete Subventionen gab es so gut wie überhaupt nicht, und Förderungsanträge wurden in der Regel kategorisch abgelehnt. Die Freie und Hansestadt Hamburg erwies sich in ökonomischer Hinsicht als besonders trostloses Terrain. Ohne jede Subvention kann man in einem hochsubventionierten Umfeld nicht bestehen. Das ist auch ohne große Einsicht in Wirtschaftsfragen nicht schwer zu begreifen. Aber auch andere Möglichkeiten, uns eine materielle Basis für unsere Arbeit zu gewinnen, blieben uns in dieser Stadt weitgehend verwehrt. Während wir bei anderen Rundfunkanstalten regelmäßig zu Gast sein durften, blieb uns der Zugang zum NDR verschlossen. Die aus alledem folgenden existentiellen Schwierigkeiten hatten natürlich eine immer stärkere Fluktuation im Ensemble zur Folge, weil niemand die Arbeit mit Hinz & Kunst längerfristig in den Mittelpunkt seiner beruflichen Tätigkeit stellen konnte. Damit wurde aber das eigentliche Ziel, nämlich ein Modell der künstlerischen Arbeit zu entwerfen, in dem ihre Entfremdung gesellschaftlich quasi antizipatorisch aufgehoben ist, immer unerreichbarer. Damit geriet aber der Anspruch, mit dem wir angetreten waren, mit der Wirklichkeit, die sich aus unseren Arbeitsbedingungen ergab, in einen immer krasseren und nicht mehr aufzulösenden Widerspruch. Das Ziel, mit unserer Arbeit eine Alternative aufzuzeigen und diese im Musikleben nachhaltig zu etablieren, war uns zur uneinlösbaren Utopie zerronnen.
    Thomas Jahns Ausbildung als Komponist und Posaunist ermöglichte es ihm, den Produktions- und Reproduktionsgedanken des Ensembles Hinz & Kunst in seiner Person zu vereinen. Das Herstellen von Musik war für ihn ein Kommunikationsprozess. Diese Haltung, gang und gäbe im Bereich der Jazz- und Popmusik, war im Bereich der sogenannten ernsten Musik eher ungewöhnlich. Sie prägte das Ensemble, und das Feedback prägte auch ihn und seine Produktion. So schrieb er neben einer Fülle von Songs und Arrangements auch konzertante Musiken wie sein Nonett Zeitgeist und Akkordarbeit, vokalinstrumentale Kompositionen wie Denkzettel und seine drei Opernszenen The zoological palace für das Ensemble Hinz & Kunst. Das Erstellen von musikalisch-theatralischen Konzepten im Verbund mit anderen fand seinen Niederschlag in den oben erwähnten Gemeinschaftsarbeiten. Und auch heute noch legt Thomas Jahn großen Wert auf konzeptionelle Zusammenarbeit, wie sein Wirken bei den Eppendorfer Blechbläsern, dem Ensemble Undezett oder dem Intervall-Projekt an der Erika-Klütz-Schule für Theatertanz und Tanzpädagogik in Verbindung mit der Fachschaft Architektur an der Fachhochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg beweist.
    Aus: impulse Nr. 7, Mai 2004". [5]
    Text: Dr. Cornelia Göksu
    Anmerkungen:
    1 Freundliche Informationen von Herrn Wolfgang Florey, in E-Mail-Korrespondenzen mit CG, Mai und Juni 2018. - Univ-Prof. i.R. Peter Petersen ist u.a. Herausgeber der Schriftenreihe "Musik im ‚Dritten Reich" und im Exil". Gemeinsam mit Claudia Maurer Zenck und Sophie Fetthauer gibt er das Online-Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit heraus (Universität Hamburg seit 2005: www.lexm.uni-hamburg.de); diese Daten sind entnommen der Website: www.fbkultur.uni-hamburg.de/hm/personen/petersen.html; abgerufen Juni 2018, CG).
    2 Online in "Hamburger Abendblatt" Zeitungsarchiv unter abendblatt.de/archiv/1999/article204664785/Trauer-um-Hedwig-Florey
    3 Daten und Lebenslauf entnahm Frau Dr. Rita Bake der Publikation: Grabstätten von bekannten Persönlichkeiten auf dem Bergstedter Friedhof. Hg. vom Evangelisch-lutherischen Kirchengemeindeverband Bergstedt-Friedhof. Volksdorfer Damm 261 Hamburg, o.J.
    4 Zur Mitarbeit von Hedwig Florey und zum Inhalt der genannten Kompositionen vgl. folgende LINKS: thomasjahn.com -> Gemeinschaftskompositionen sowie florey.de/musik.htm -> Werkverzeichnis sowie www.florey.de/mongomo.htm Zur Improvisationsfreude dieser Festivals vgl. z.B. "Zum zweiten Mal Hans Werner Henzes "Cantiere" von Montepulciano: Ein ganzer Verdi für achthundert Mark". In Wochenzeitung Die Zeit, Ausgabe 35/1977, Online im ZEIT-Archiv unter LINK: https://www.zeit.de/1977/35/ein-ganzer-verdi-fuer-achthundert-mark/seite-2
    5 Bernhard Asche und Wolfgang Florey: Über das Ensemble Hinz und Kunst (1969-81) und den Komponisten Thomas Jahn. In: impulse, Nr. 7, Mai 2004. Online Version unter www.kammermusik-heute.de/projekte/projekte06.html -> Über das Ensemble Hinz & Kunst e.V. (abgerufen Juni 2018, CG).
    Diskografie:
    Hans Werner Henze I Dietrich Boeckle I Niels Frederic Hoffmann I Luca Lombardi (2) I Thomas Jahn I Wilfried Steinbrenner I Erika Runge I Ensemble Hinz & Kunst - Streik Bei Mannesmann: Szenische Kantate
    Spieldauer 45 Minuten
    Label: Pläne - S 30 E 100
    Format: Vinyl, LP
    Land: Germany
    Veröffentlicht: 1976
    Genre: Classical
    Stil: Post-Modern
    A Streik Bei Mannesmann
    B Streik Bei Mannesmann
    Mitwirkende:
    Artwork [Graphics] - Dieter Süverkrüp
    Cello, Other [Liner Notes] - Wolfgang Florey
    Clarinet - Bernhard Asche
    Composed By - Dietrich Boeckle, Hans Werner Henze, Luca Lombardi (2), Thomas Jahn, Wilfried Steinbrenner
    Composed By, Other [Artistlc Project Leading] - Niels Frederic Hoffmann
    Ensemble - Ensemble Hinz & Kunst
    Layout - Gangolf Dörr
    Libretto By - Erika Runge
    Mixed By, Producer - Ensemble Hinz & Kunst
    Other [Collaboratlon] - Angelika Rehfeld, Erich Bahr, Jürgen Vater, Kerstin Meyer, Marcus Boysen, Timo Bernd
    Percussion - Peter Wulfert
    Piano - Hedwig Florey
    Recorded By - Rainer Hecht
    Recorded By [Voice Recording] - Martin Hömberg
    Trombone - Thomas Jahn
    Trumpet. VocaIs - Jürgen Tamchina
    VocaIs [Betriebsrat-guest] - Dieter Herzog
    VocaIs [Guest] - Carola BückIers, Christoph Hagin
    VocaIs [Untemehmer-guest] - Adalbert Stamborski
    VocaIs [Worker-guest] - Karsten Gaul
    Voice {Guest) - Reinhold Ohngemach
    Voice [Jugendsolidaritäts-text-guest] - Christa Weber
    Anmerkungen
    Contains , 12" sized Insert with Iyrics and analysis of the work
    Ein Projekt des vds zu den X. Weltfestspielen der Jugend und Studenten in Berlin/DDR 1973.
    Quelle: discogs.com/de/Hans-Werner-Henze-Dietrich-Boeckle-Niels sowie:
    www.hans-werner-henze-stiftung.de/hans-werner-henze/werkverzeichnis/detail/news/detail/News/streik-bei-mannesmann/

    Frieda Roß

    geb. Hinsch

    Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft (SPD) von: Ernannte Bürgerschaft: Februar 1946 bis 1949

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    27.7.1899
    Hamburg
    -
    8.7.1975
    Hamburg
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    Grablage: R 16a/17 U, Das Grab ist bereits abgeräumt worden

    Frieda Roß war die Tochter einer Wäscherin und eines Ewerführers. Schon in ihrer Jugend trat sie der SPD bei und arbeitete, nachdem sie nach dem Abschluss der Höheren Handelsschule den Beruf der Korrespondentin und Buchhalterin erlernt hatte, ab 1919 als kaufmännische Angestellte beim "Hamburger Echo", der Zeitung der Hamburger Sozialdemokratie. Dort lernte sie ihren späteren Mann Rudolf Roß (1872-1951) kennen, der damals Leiter der neugegründeten Volkshochschule und Präsident der Hamburgischen Bürgerschaft war. Nachdem das Paar 1923 geheiratet hatte, wurde Frieda Roß Hausfrau und Mutter zweier Kinder. 1930/31 wurde ihr Mann Erster Bürgermeister von Hamburg (bis 1933 zeitweise auch Zweiter Bürgermeister) und sie die First Lady. 1946 wurde sie in ihrer Funktion als Vertreterin der Hausfrauen Abgeordnete in der Ernannten Bürgerschaft. Dort schloss sie sich der SPD-Fraktion an. Ihre politischen Schwerpunkte waren die Lage der Hausfrauen und das Gesundheitswesen. Sie sorgte sich um die Flüchtlingsjugend, forderte Röntgen-Reihenuntersuchungen gegen die Krankheit TBC und setzte sich für die Verbesserung der Zustände in Krankenhäusern ein. Frieda Roß war bis 1970 Bürgerschaftsabgeordnete. Auch spielte sie eine aktive Rolle in der Hamburger Frauenbewegung. Im April 1946 war sie beteiligt an der Gründung des Hamburger Frauenrings, dessen Vorstandsmitglied sie bis 1949 war. Im Juli 1946 gründete sie mit anderen Frauen den Verein Hamburger Hausfrauen, dessen Vorsitzende sie von 1949 bis 1951 und 1953 war. Ihr erklärtes politisches Ziel war, dem Hausfrauenberuf gesellschaftliche Anerkennung zu verleihen. Deshalb forderte sie auch die Anerkennung der hauswirtschaftlichen Tätigkeit als Beruf.
    Text: Dr. Rita Bake

    Elsa Haensgen-Dingkuhn

    geb. Haensgen

    freischaffende Malerin der Neuen Sachlichkeit

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    7.11.1898
    Flensburg
    -
    7.5.1991
    Hamburg
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    Grablage: Auf Bitten der Familie soll die genaue Grablage nicht veröffentlicht werden, deshalb auch kein Photo von der Grabstelle

    Elsa Haensgen entstammte einer reichen Familie; ihr Vater war ein Flensburger Werftdirektor. "Typisch für eine höhere Tochter ihrer Zeit besuchte sie zunächst ein Mädchen-Lyzeum und dann eine Hauswirtschaftliche Berufsfachschule. Nach Ende des Ersten Welkrieges, begann sie von 1917 bis 1918 (…) an der Kunstgewerblichen Fachschule Flensburg Kunst zu studieren. Von 1919 bis 1922 studierte sie an der Kunstgewerbeschule am Lerchenfeld, (…). Sie gehörte zur ersten Klasse von Frauen, die in der Kunsthochschule als Kunststudentinnen zugelassen wurden."
    1) "Nach anfänglichem Interesse für soziale Themen, wie dem Leben der Kinder in der Großstadt, wandte sie sich am Ende der Zwanzigerjahre unter dem Einfluss von George Grosz und Otto Dix der Neuen Sachlichkeit zu. Ihre Bilder zeigen das Nachtleben im Hamburger Vergnügungsviertel St. Pauli, das sie aus eigener Anschauung hautnah schilderte. Daneben malte sie Kinder, Kleinbürgerfamilien und Liebespaare. Mit ihren Selbstporträts machte sie in Hamburg und Berlin auf großen Ausstellungen Furore. Bekannt wurde sie in Hamburg und Schleswig-Holstein für ihre Kinderbilder, Bilder vom Laternelaufen, von Jahrmärkten und von der Kindergilde in Angeln."
    2) "1922 heiratete sie den Maler und späteren Kunsterzieher Fritz A. Dingkuhn und arbeitete ab 1923 als freischaffende Malerin in Hamburg. Das Paar lebte eine emanzipierte Ehe. So führte sie neben dem Ehenamen ihren Geburtsnamen in einem Doppelnamen weiter. Der Ehemann unterstützte die Ambitionen seiner Ehefrau und stellte seine künstlerische Karriere hinter die seiner Frau. So konnte sie an zahlreichen Einzel- und Gemeinschaftsausstellungen, u. a. an der Hamburgischen Sezession teilnehmen und ihren Erfolg ausbauen. So erwarb z. B. Gustav Pauli, Direktor der Hamburger Kunsthalle Arbeiten der Künstlerin.
    1926 wurde der Sohn Jochen, 1932 die Tochter Wiebke geboren. Die Kinder - überhaupt die Auseinandersetzung mit der Mutterschaft und Frauendasein in dieser Zeit - wurden ab da zeit ihres Lebens Mittelpunkt und Hauptthema ihrer Bilder und Zeichnungen. Wie das Paar zu der Politik und der Ideologie der Nationalsozialisten stand, bleibt unklar. Beide verwandten unpolitische Themen in ihren Bildern - ob sie sich zu dieser künstlerischen ‚Nicht-Positionierung' entschieden, um sich nicht wie andere Künstler in Lebensgefahr zu bringen, ist nicht bekannt. 1933 trat Elsa Haensgen-Dingkuhn der Hamburgischen Künstlerschaft bei, im selben Jahr in welchem aber jüdische Künstler (…) ausgeschlossen wurden. (…)
    1935 zog die Familie in eine Wohnung in die Gartenstadt-Siedlung Hamburg-Farmsen-Berne, wo sie bis zu ihrem Tode ihren Lebensmittelpunkt behalten sollten. (…)
    Von 1936 bis 1939 hielt sich Haensgen-Dingkuhn regelmäßig in Ostpreußen und Angeln zu Studienzwecken auf, viele Bilder mit Landschafts- und Küstenthemen entstanden. Nach Kriegsbeginn wurde Fritz Dingkuhn im Rahmen der Kinderlandverschickung nach Niederbayern geschickt und so zog die Familie von 1940 bis 1941 nach Vilsbiburg, wo Fritz A. Dingkuhn an der dorthin verlegten Schule Kunsterziehung unterrichtete. (…)
    Kurz nach Kriegsende wurde Fritz A. Dingkuhn wieder nach Hamburg an die Volks- und Realschule Hamburg-Sasel versetzt, so dass die Familie wieder in ihre Heimat zurückkehren konnte. (…) 1959 starb nach langer Krankheit die kleine Enkeltochter, das Kind der Tochter Wiebke, 1964 die Tochter selbst im Kindbett mit dem zweiten Kind.
    Von diesen Schicksalsschlägen erholte sich das Paar nie wieder vollständig. Der Sohn, inzwischen wie der Vater auch Kunstlehrer geworden, arbeitete zu der Zeit für die Entwicklungshilfe in Äthiopen. Das Ehepaar besuchte ihn von 1963 bis 1965, um sich abzulenken. Die Eindrücke der exotischen Umgebung verarbeiteten beide in neuen Werken.
    1979 starb ihr Mann Fritz im Alter von 85 Jahren an den Folgen eines leichten Schlaganfalls. 1981 fand eine Retrospektive der Werke von Elsa Haensgen-Dingkuhn im damaligen Kunsthaus Hamburg statt. 1991 verstarb die Künstlerin in der langjährigen Wohnung im Alter von 92 Jahren."
    3) Quellen:
    1) Wikipedia: Elsa Haensgen-Dingkuhn, aberufen am 24.12.2017.
    2) Text zur Ausstellung: "Sachlich bleiben! Elsa Haensgen-Dingkuhn, Ausstellung ihrer Bilder vom 9.02.2017 - 01.05.2017 i Museumsberg Flensburg, unter: ttps://www.museumsberg-flensburg.de/de/ausstellungen/details/sachlich-bleiben-elsa-haensgen-dingkuhn.html
    3) Wikipedia, a. a. O.
    Zur Vita von Elsa Haensgen-Dingkuhn, siehe: Gisela Jaacks, in: Hamburgische Biografie. Hrsg. von Franklin Kopitzsch und Dirk Brietzke. Bd. 1. Hamburg 2001, S. 118.

    Marie-Louise Henry

    Evangelische Theologin, erste Frau in Deutschland, die 1956 auf einen Lehrstuhl für Altes Testament berufen wurde

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    15.6.1911
    Brüssel
    -
    29.6.2006
    Hamburg
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    Grablage: Cg 23-24

    Marie-Louise Henry war die älteste Tochter von Marie Auguste, geb. Platz, einer Deutschen und dem französischen Ingenieur Adolphe Henry. Drei Jahre nach ihrer Geburt wurde ihre Schwester Marguerite Constance geboren.
    Im Ersten Weltkrieg zog die Mutter mit ihren beiden Töchtern nach Linz/Rheinland, der Vater starb 1915 als Soldat.
    Ihre Schulzeit verbrachte Marie-Louise in Wismar. 1932 begann sie an der Rostocker Universität ein Theologiestudium. Sie schloss das Studium 1936 ab. "Von 1936 bis 1941 folgte ein Vikariat in Berlin-Spandau. Ein weiteres Studium an der Rostocker Universität in den Fächern Geschichte, Germanistik und Italienisch begann Henry im 1. Trimester 1941, beendete es jedoch im März 1942 wieder aufgrund von Berufstätigkeit."
    1) "Die junge Absolventin wurde 1942-1945 nach Hamburg gerufen und arbeitete wissenschaftlich in der Luther-Gesellschaft."
    2) Während der NS-Zeit engagierte sich Marie-Louise Henry für die Bekennende Kirche. 1948 promovierte sie zum Doktor der Theologie, 1952 habilitierte sie sich. Von 1953 bis 1959 lehrte sie als Dozentin an der Theologischen Fakultät der Rostocker Universität.
    "1959 wurde sie als erste Frau in Deutschland Professorin für Altes Testament an der theologischen Fakultät der Universität Leipzig. In jener Funktion engagierte sie sich 1960 bei der Verhinderung der Sprengung der Marienkirche in Wismar, wobei sich ein unfruchtbarer Schriftwechsel mit der Obrigkeit der DDR entspann."
    1) "Die kleine, zierliche Theologie-Professorin in Leipzig machte sich bei den DDR-Behörden durch unerschrockene Meinungsäußerung verdächtig und unbeliebt. So rieten 1961 Mitarbeiter der belgischen Botschaft ihr als Inhaberin zweier Staatsbürgerschaften, einer Verhaftung zuvorzukommen. An der Leipziger Theologischen Fakultät blieb bis heute, wie erzählt wird, ihre Tabakspfeife zurück. Sie selbst fand Aufnahme als Gastdozentin in Wien."
    2) Nach dem Tod ihrer Mutter verließ sie mit ihrer Schwester am 21. November 1961 die DDR und "kam zunächst in Ahrensburg (…) bei Verwandten unter. 1963 habilitierte sie sich erneut an der, [diesmal an der] Universität Hamburg und wurde dort 1973 ordentliche Professorin für Altes Testament. In dieser Zeit baute sie zahlreiche Verbindungen zu jüdischen Einrichtungen auf. 1976 wurde sie emeritiert, setzte aber ihre Lehrtätigkeit 1986 im Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Hamburg, wegen zu geringer Dozentenzahl fort."
    1) Über ihr wissenschaftliches Wirken schrieb 2006 Dr.-Ing. Karl-Heinz Kutz von der Presse- und Kommunikationsstelle der Universität Rostock in seinem Artikel " Eine Maßstäbe setzende Theologin aus Rostock: Marie-Louise Henry": "Kreativität und hohe analytische Intelligenz bewies Marie-Louise Henry auf ihrem wissenschaftlichen Gebiet. Ihr Gespür für wichtige Themen, lange bevor sie in das Bewusstsein der Öffentlichkeit traten, war bemerkenswert. Ihr Buch über Tiere im religiösen Bewusstsein des Menschen erschien lange, bevor es eine ‚grün-ökologische Bewegung' gab. Andererseits ermöglichte es ihr eine umfassende Bildung, begründete Auffassungen auch gegenüber Modetrends in glasklare und einfache Worte zu kleiden. Dabei war ihre Kritik nie verletzend oder herabwürdigend, sondern - bei sachlichem Ernst - eher liebenswürdig und konstruktiv. Als Professorin erlebte sie in Hamburg die 68er Studentenbewegung, ‚unter den Talaren den Muff von 1000 Jahren'. Bei differenzierender Beurteilung und Würdigung der Anliegen der Studenten, aber auch Kritik der anarchischen Auswüchse griff sie das gesellschaftskritische Anliegen konstruktiv durch eine Studie zum Problem ‚Glaube und Gesellschaft' auf.
    In einem Buch stellte sie sich 1990 der Frage nach Verletzungen derer, die z.B. in Konzentrationslagern litten, der Frage ‚Gott im Leiden? Gott in Auschwitz?' und der Frage nach Sinn und Wirkung von Gebet im Umfeld des Unmenschlichen. In ihrem 81. Lebensjahr veröffentlichte sie ‚Alttestamentliche Überlegungen zum Problem der Feministischen Theologie'. Die in der Bibel dargestellte menschliche Gemeinschaft beruhe zwar - wie jede menschliche Gesellschaft - auf Auseinandersetzungen. Aber der in der Bibel bezeugte Wille Gottes schließe eine Unterdrückung des Menschen, natürlich auch der Frau, kategorisch aus. Nur so könne eine demokratische Rechtsgemeinschaft wachsen und gedeihen."
    2) Text: Rita Bake
    Quelle:
    4) wikipedia: Marie-Louise Henry, abgerufen: 15.11.2017
    5) https://idw-online.de/de/news168739

    Erika Krauß

    Deutschlands dienstälteste aktive Pressefotografin mit Meisterbrief; 63 Jahre freie Fotoreporterin für die "Hamburger Morgenpost" Namensgeberin für Erika-Krauß-Twiete, benannt 2016 in Altona-Nord

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    6.2.1917
    Karski/Polen
    -
    26.6.2013
    Hamburg
    Mehr erfahren
    Grablage: Fd 128-129

    "Die Grande Dame der MOPO ist tot", titelte die Hamburger Morgenpost am 27. Juni 2013.
    Auf ihrem Titelaufmacher trug die MOPO Trauer. "Unsere legendäre Fotografin Erika Krauß (96) ist tot. Vor ihr verneigen sich in Hamburg die Stars - und 13 Bürgermeister". (1) Doch im Leben wie danach schien die zierliche, willensstarke Ikone ihre letzten Geheimnisse zu wahren. Ob sie nun im Alter von 95 oder 96 Jahren im Bundeswehr Krankenhaus "friedlich eingeschlafen" sei, darüber waren sich selbst die großen Tageszeitungen nicht recht einig. Das Magazin Der Spiegel, Hamburger Morgenpost und Bild ließen ihr 96 Jahre, Abendblatt und Die Welt billigten ihr 95 Erdenjahre zu. "Mit ihrem Alter hatte Erika Krauß kein Problem, das genaue Geburtsdatum behielt sie aber trotzdem gern für sich. Gewiss nicht aus Eitelkeit, wohl aber aus jenem Eigensinn, der typisch war für Deutschlands dienstälteste Fotografin. ‚Geboren wurde ich am Ende der Ersten Weltkriegs', beantwortete sie hartnäckige Nachfragen. Das musste reichen", schrieb Matthias Gretzschel in Hamburger Abendblatt. "Die körperlich kleine Frau wirkte wie eine zerbrechliche Person, war aber resolut und voller Energie, eine Persönlichkeit mit enormer Präsenz". (2). Viele Jahrzehnte lang hat Erika Krauß Politiker, Künstlerinnen und Künstler, Prominente, Manager und Monarchen fotografiert, Marlene Dietrich und Romy Schneider, Präsidenten wie Clinton und Gorbatschow ebenso wie Yassir Arafat. So begleitete sie die junge Queen Elizabeth II; später folgten Prinz Charles und Lady Diana. "Selbst hochbetagt hat Erika Krauß noch tagesaktuell gearbeitet, und zwar in ihrem Revier, dem Rathaus" (3).
    Dabei stammte das "Hamburger Original" gar nicht aus der Hansestadt. Geboren wurde sie in Karski, einer zwischen Breslau und Lodz gelegenen Ortschaft. "Erika meisterte ein Leben, das wahrlich nicht durchschnittlich war. Hinein in den Ersten Weltkrieg wird sie 1917 im polnischen Karski geboren - als Tochter eines Reichsbahnbeamten. Sie wächst in Berlin auf und besucht die Höhere Handelsschule" (3). Mit Mitte Zwanzig absolvierte sie zwischen 1940 und 1942 die private Kunst- und Kunstgewerbeschule in Berlin-Schöneberg (4). 1928 erweiterte sich das Lehrangebot dieser Schule um eine Filmabteilung. In den neuen Räumen wurde zusätzlich ein Fotostudio für den Unterricht und die Produktion eingerichtet. In einer Werkstatt widmete man sich dem Trickfilm. Die Ausbildung umfasste sämtliche Berufsfächer des Tonfilms auf technischer und künstlerischer Basis (wikipedia.org/wiki/Schule_Reimann). "Ich habe meinen Eltern gesagt: Ich will filmen, will mit etwas arbeiten, das sich bewegt'." (3) So absolvierte sie ihre Ausbildung mit einem Abschluss als "Kameramann", darauf legte sie besonderen Wert (5).
    Im Anschluss war sie tätig als "Kamerafrau, Cutterin und Regisseurin - zu einer Zeit, in der es Frauen in diesem Beruf noch gar nicht gibt" (3). Ab 1941 war sie Filmkameraassistentin des Chefkameramanns Ansor von Brasy bei der Tobis Film GmbH in Berlin und der Ufa (Dokumentarfilme u.a. Weben und Wirken, Kinder reisen von 1941; Dämmerung im Teufelsmoor, Dorfrichter von Gössl von 1944). Von 1942-44 arbeitete sie im Tobis Star Foto Atelier in Berlin. "Sie erzählte oft, dass sie sich mal mit dem NS-Propagandaminister angelegt habe. Und wann immer ihr später einer dumm kam, sagte sie: ‚Ich habe den Goebbels überlebt. Dann überlebe ich das hier auch.'"(3)
    Zeitweise soll Erika Krauß in Österreich und in der Künstlerkolonie Worpswede gelebt haben (2).
    Im niedersächsischen Verden an der Aller erhielt sie ein Jahr nach Kriegsende den Lehrbrief für das Fotografenhandwerk und legte 1948 in Celle die Meisterprüfung ab. Damit war der künstlerisch-solide Grundstein für eine Karriere als Pressefotografin gelegt. Zunächst fotografierte sie bis 1950 für den "Düsseldorfer Mittag". Seitdem war Erika Krauß als freie Pressefotografin von den ersten Stunden der Zeitung für die "Hamburger Morgenpost" unterwegs. "Nach dem Krieg verschlägt es sie nach Hamburg. Der deutsche Film liegt am Boden. Sie braucht einen neuen Job. Wieder sucht sie sich eine Männerdomäne. Sie wird Fotografin. Im Pressehaus am Speersort stellt sie sich der Reihe nach in sämtlichen Redaktionen vor. Bei Henri Nannen vom ‚Stern', bei Rudolf Augstein vom ‚Spiegel', bei Gerd Bucerius von der ‚Zeit'. Alle sagen: Mit Frauen arbeiten wir nicht! Nur Heinrich Braune, dessen ‚MOPO' damals im ersten Stock residierte, gibt ihr eine Chance. Das war 1950" (3).
    Zu ihrem Privatleben ist nicht viel bekannt: "Erika Krauß bringt sechs Kinder zur Welt, von denen zwei sterben. Sie zieht die Rasselbande allein groß. Sie ist zweimal verheiratet. Der erste Mann stirbt, vom zweiten trennt sie sich" (3, Seite 25).
    "Niemand, der Erika nicht schätzte. Je älter sie wurde, desto unverwechselbarer. Ihre ‚Marke' - immer in Schwarz, langer Rock, breiter Gürtel, nie ohne Hut, so sah man die Fotografin auch an beim großen Empfang im Hamburger Rathaus 2007 zu Ehren des 90. Geburtstags der ‚Rathauskönigin'" (6). Allein 13 Bürgermeister hat "die Legende der Hamburger Presselandschaft" (Henning Voscherau) erlebt und fotografiert. Der erste war Max Brauer; besonders verbunden fühlte sie sich auch mit Helmuth und Loki Schmidt. Es gab kaum Prominente, die sie nicht abgelichtet hätte, und alle kannten und liebten sie in ihrer individuellen Erscheinung. Eine Veranstaltung im Rathaus ohne sie habe praktisch nicht stattgefunden, so erinnerte sich die Fotografin Margit Tabel-Gerster in ihrem 1994 veröffentlichten Porträtband "Hamburger Persönlichkeiten aus Kultur, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Alltag" an ihre große alte Kollegin, die Fotopionierin Erika Kraus (5).
    "Erika Krauß wollte (und musste vielleicht auch) weitermachen, bis ihr die Kamera aus der Hand fiel", schrieb Henning Voscherau (Hamburger Bürgermeister 1988-1997) in seinem Nachruf. "Kein Außenstehender wird ermessen können, wie viel Kraft es sie gekostet hat, mit 80 Jahren und schließlich sogar mit über 90 Jahren einfach weiterzuarbeiten. So blieb sie und fotografierte, wie die anderen kamen und gingen (2).
    "Selten hat eine Journalistin auf so hohem Niveau und über eine so lange Zeit eine Stadt und ihre Politik begleitet und abgebildet und sich dabei eine so hohe menschliche Anerkennung erworben, resümierte die DJV-Vorsitzende Marina Friedt: Rund fünf Jahrzehnte war Krauss Mitglied im Deutschen Journalistenverband. Aus Anlass der 100. Wiederkehr ihres Geburtstages organisierte Marina Friedt, in Zusammenarbeit mit der Familie und der Geschichtswerkstatt St. Georg, am 6. Februar 2017: "Erika Krauß - eine Werkschau der besonderen ART", im Vor-Ort-Büro am Hansaplatz, Zimmerpforte 8, 20099 Hamburg (die Finissage war am 11. März 2017). Diese letzte Ehre für eine Ausnahme-Persönlichkeit wurde ihr erwiesen in unmittelbarer Nähe zu ihrer einstigen Privatwohnung. Mit dabei waren langjährige Weggefährten wie Jürgen Heuer (1968-2018, langjähriger Vorsitzender der Hamburger Landespressekonferenz), Altbürgermeister Hans-Ulrich Klose und seine Gattin. Eine der Festreden hielt Dr. Sabine Sommerkamp-Homann. Wir geben sie im Wortlaut wieder:"Gedanken und Erinnerungen an unsere geliebte Erika. In der Jugend ist man glücklich,
    weil man die Fähigkeit hat,
    das Schöne zu sehen.
    Wer diese Fähigkeit bewahrt,
    wird niemals alt.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Familie Krauß, meinem Glückwunsch an Erika Krauß zu ihrem 90. Geburtstag stellte ich dieses Zitat von Franz Kafka voran. - Erika hat sich diese Fähigkeit bis ins hohe Alter bewahrt, sie ist im Geiste immer jung geblieben, wie ich im Laufe unserer fast vier Jahrzehnte währenden Freundschaft immer wieder bewundernd feststellen konnte.
    Was uns verband, war zunächst ein literarisches Interesse. Erika interessierte sich u. a. für meine Haiku-Dichtung, besuchte Lesungen und organisierte dann später selber Lesungen, z. B. mit dem Stormarner Schriftstellerkreis im " Rosengarten", wo ich aus meinem Haiku-Märchen "Die Sonnensuche" las. Fasziniert war Erika von dieser japanischen Form von Kürzest-Lyrik zum einen wegen ihres Japan-Interesses - sie selbst reiste nach Japan, um dort ihre Tochter Christin zu besuchen, die sich beruflich mehrere Jahre dort aufhielt -, zum anderen, weil das kurze Bild-Gedicht des Haiku einer gedanklichen Momentaufnahme gleicht, einem tiefgründigen Foto-Moment. - Die Fotografin Erika als literarische Freundin.
    Erika war reich an Erfahrungen und Lebensweisheit, nicht zuletzt aufgrund ihres oft beschwerlichen, entbehrungsreichen Lebensweges. Als Freundin, die mir auch dadurch eine wertvolle Ratgeberin wurde, erlebte ich sie beruflich und familiär. Mitte der 80er Jahre hatte ich es in meiner damaligen Position als Stellvertretende Konzernsprecherin der Beiersdorf AG nicht immer leicht, mich als junge Frau in einer "Männer-Domäne" zu behaupten. Erika besuchte mich mehrmals in meinem Büro in der Unnastraße und ermutigte mich; es sei klar, dass ich als Frau mehr leisten müsse, um die Anerkennung der "Männer-Welt" zu erlangen, die gutes Aussehen nicht unbedingt mit Tüchtigkeit und Intelligenz gleichsetze. - Ihr Rat tat gut, wie später dann auch familiär. Es ergab sich, dass Erika, die meinen Vater schätzte, gleichsam meinen Mann und meine Mutter verehrte, mich auch zu Hause besuchte; anfangs ab und zu, dann immer häufiger, gern Gast unserer Familienfeiern und Veranstaltungen war, denn, wie sie sagte, sie fühlte sich bei uns zu Hause. Hier könne sie sich ausruhen.
    Das bedeutete aber nicht, dass sie ihre Kamera aus der Hand legte. Auf Veranstaltungen war sie nicht davon abzubringen, zu fotografieren, von Anfang bis Ende. Großzügig überließ sie mir ihre Fotos samt Negativen, Aufnahmen teils von bekannten Persönlichkeiten und Künstlern. Ihr Geschenk.
    Und sie beschenkte uns überreichlich. Jedes Mal, wenn sie zu uns kam, die kleine, zarte Frau in Schwarz mit Hut, die lange Auffahrt zum Haus, bepackt und im Laufe der letzten Jahre immer etwas gebeugter, auch unter der Last der Kameras um ihren Hals. Sie ließ es sich nicht nehmen, trotz ‚Verbots', jedes Mal Blumen mitzubringen, zwei wunderschöne Rosen für meine Mutter, zwei für mich und immer eine kleine Pflanze für unseren Sohn Alexander, den sie seit seiner Geburt 1990 wie eine gute Fee und Ratgeberin begleitete. Kein Kindergeburtstag verging ohne sie, kein ‚Jugend forscht'-Wettbewerb, ohne dass auch sie den Stand von Alexander besuchte und fotografierte. Und die ihm bei einem ihrer letzten Besuche wie ein Geheimnis ein kommendes Weltproblem nahelegte: ‚Alexander, Du hast mit 13 Jahren das erste Brennstoffzellen betriebene Modellboot der Welt gebaut, Du hast auch das Zeug, das große Problem, das die Zukunft bringt - Wasserknappheit - zu lösen. Du musst eine Tablette erfinden, die Wasser erzeugt. Geh` in die Forschung.'
    Erika wirkte inspirierend auch auf die Jugend in unserem Hause. Junge Menschen versammelten sich bei Geburtstagen um den Sessel, auf dem sie gerne saß, gegenüber vom Kamin, und hörten ihr zu. Sie spürten, dass diese ungewöhnliche Frau Wesentliches zu sagen hatte. - Ratgeberin.
    Erika kam bis auf die letzte Zeit mit ihrem Golf zu uns, den sie aber immer vor dem Eingangstor parkte. Wenn ich sie hinaus begleitete, sah ich jedes Mal, wie beladen ihr Wagen war, vollgepackt, und es berührte mich, einmal zu sehen, dass obenauf, auf der Rückbank, die Bibel lag. -‚ In Glaubensfragen war sie nicht sehr gesprächig, wir diskutierten über das eine oder andere Thema, wortlos schenkte sie mir einen Schutzengel. Wir stellten fest, dass wir beide täglich in den Losungen der Herrnhuter Brüdergemeinde lasen. Erika war tief religiös, sie sprach nicht, sie handelte danach. - Vielleicht schöpfte sie aus ihrem Glauben einen Teil der enormen Kraft, der Unbeirrbarkeit und ihres Willens, der ihr eigen war. Vieles mehr ließe sich aus persönlichen Erinnerungen über Erika sagen, von ihrem lebhaften Interesse an den Themen der Familie: Lettland, Reisen, meine Malerei und Musik, besonders für gemeinsame Studioaufnahmen mit Alexander, seinem Klavierspiel; auch von Gesprächen und Besuchen bei ihrer Tochter Christin und Enkelin Lila-Zoe, für die sie beeindruckend sorgte. Als Lila ihr Abitur bestanden hatte, war ein wichtiges Lebenskapitel erfüllt, Erika schloss in Frieden für immer ihre klugen, wachen Augen. Erika - literarische Freundin, Ratgeberin, Freundin der Familie, große Künstlerin, einzigartiger Mensch. - Das Bild von ihrem 90. Geburtstag, als eine Schar von Fotografen-Kollegen sie auf einem Stuhl thronend wie eine Königin durch den Rathaus-Saal trug, wo Bürgermeister von Beust einen Empfang für sie gab, kennzeichnet ihre Größe und ihre Beliebtheit. - Oder auch das Bild des Dalai Lama, der, 2007, eingeladen ins Hamburger Rathaus, unprotokollarisch ausscherte, als er Erika erblickte, und sich zum Gruß vor ihr verneigte. Der weise Mann hatte ihre große Persönlichkeit intuitiv gespürt.
    Erika, wenn Du uns im Himmel hören kannst: Sei herzlich gegrüßt und umarmt zu Deinem 100. Geburtstag!
    Deine Sabine und Familie" (7).
    Erika Krauß hatte sechs Enkelkinder. (de.wikipedia.org/wiki/Erika_Krauß).
    Ausstellungen (Auszug):
    Arbeiten von ihr wurden ausgestellt im Bauzentrum Hamburg 1970, in der Galerie Latin1976 ("aktu-ell/fish-eye-ell"), im Studio Wandsbek 1982, im Kunsthaus Hamburg und auf der ART Hamburg 1991 ("Hamburger Fotografinnen"); 1996: Eine Ausstellung in der Messe Du und Deine Welt für die dienstälteste Fotografin Hamburgs, ausgerichtet von einer Reihe von Fotografen; "Erika Krauß - eine Werkschau der besonderen ART", im Vor-Ort-Büro am Hansaplatz, Zimmerpforte 8, 20099 Hamburg (die Finissage war am 11. März 2017).
    Auszeichnungen:
    1990 erhielt sie die "Goldene Filmrolle" der Internationalen Kunstmesse ART Hamburg.
    1999 Alexander-Zinn-Preis der Freien und Hansestadt Hamburg
    2004 Goldene Ehrennadel des Deutschen Journalisten-Verbandes DJV
    2016 Benennung einer Straße im Neubau-Gebiet Altona Nord als " Erika-Krauß-Twiete"
    Text: Dr. Cornelia Göksu
    Anmerkungen und zitierte Quellen:
    (1) Hamburger Morgenpost v. 27. Juni 2013, S.1: Grande Dame der Fotografie ist tot.
    (2) Matthias Gretzschel in: Hamburger Abendblatt v. 27.6.2013, Seite 16
    (3) Hamburger Morgenpost v. 27. Juni 2013, S.24-25
    (4) Margit Tabel-Gerster: Hamburger Persönlichkeiten aus Kultur, Politik, Wissenschaft und Alltag. Photographien von Margit Tabel-Gerster. Gedanken der Portraitierten zur Stadt. Biographische Notizen. Hamburg 1994, S. 263, eigener Text von Erika Krauß auf S. 202, Fotoporträt auf S. 203.
    (5) Marina Friedt: Erika Krauß - die Fotografin der Herzen. In: DJV NORDSPITZE. Das Magazin der Norddeutschen Landesverbände. 2. Jg., April 2017, S.6
    (6) Dienstälteste Bildjournalistin. Pressefotografin Erika Krauß ist tot. In: Der Spiegel v. 26.6.2013, online unter spiegel.de/kultur/gesellschaft/hamburger-pressefotografin-erika-krauss-mit-96-gestorben-a-908055.html
    (7) Text von Dr. Sabine Sommerkamp-Homann mit freundlicher Abdruck-Erlaubnis für diese Biografie in E-Mail vom 29. Mai 2017 an die Autorin CG. Weitere Quelle:
    - Sonderteil in der Hamburger Morgenpost v. 4.2.2017 von Olaf Wunder: Grande Dame der MOPO. Erika Krauss wäre heute 100 Jahre alt geworden. Online unter mopo.de/hamburg/grande-dame-der-mopo-erika-krauss-waere-heute-100-jahre-alt-geworden-25676834