Friedhof Bernadottestraße

Jede Frau erzählt ihre eigene Geschichte – entdecken Sie ihr Vermächtnis.

Friedhof Bernadottestraße

    Dr. Elisabeth von Dücker

    Museumskuratorin im Museum der Arbeit

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    25.2.1946
    -
    9.7.2020
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    Grablage: 1B 132 AB 7 - 04024 Die Historikerin und Journalistin Juliane Brumberg hat noch im Januar 2020 ein Interview mit Dr. Elisabeth von Dücker führen können. Es ist abgedruckt auf der Website "beziehungsweise-weiterdenken, Forum für Philosophie und Politik" unter: www.bzw-weiterdenken.de/2020/01/liebe-zur-arbeit-der-frauen-die-museumskuratorin-elisabeth-von-duecker/ Juliane Brumberg gab uns die Erlaubnis dies Interview aufzunehmen. Fotos, wenn nicht anders angegeben, von Juliane Brumberg. Liebe zur Arbeit der Frauen: Die Museumskuratorin Elisabeth von Dücker Bei Hamburger Schmuddelwetter laufe ich den Elbhang hinunter von der Bushaltestelle zum Gebäude Altonaer Seemannsmission in unmittelbarer Nähe des Hafens. Lissi - so wird sie von Freundinnen, Kolleginnen und Mitstreiterinnen genannt - hat es als Treffpunkt für unser Gespräch vorgeschlagen. Klingt merkwürdig bei einer Frau, die immer wieder den Fokus auf die Arbeitsplätze von Frauen gelegt hat. Schon auf dem Weg dorthin muss ich mehrmals den Fotoapparat zur Hand nehmen. Denn immer wieder leuchten mir die farbenfrohen Wandgemälde der Hamburger FrauenFreiluftGalerien entgegen. Das ist ein lebendiges Langzeitprojekt, das auf die Initiative von Elisabeth von Dücker hin 1994 ins Leben gerufen wurde und sich seitdem immer wieder verändert und weiterentwickelt hat. "Wir wollten und wollen die Arbeitswelt von Frauen im Hamburger Hafen sichtbar machen", berichtet Lissi. Dafür nutzen sie und ihre Malerin-Kollegin Hildegund Schuster die grauen Flächen alter Gebäude oder Mauern von Treppenanlagen. Sie zeigen darauf zum Beispiel auch noch die Fischarbeiterin aus Portugal, die Fahrerin eines Gabelstablers im Containerhafen, die Kaffeeverleserinnen, die beim großen Hamburger Hafenstreik 1896 neben höheren Löhnen auch erstritten haben, dass das Verbot von Singen und Reden am Arbeitsplatz aufgehoben wurde - und auch die Zwangsarbeiterinnen, die 1944 unter unmenschlichen Bedingungen die Trümmer der Bombenangriffe im Hafengebiet beseitigen mussten. "Wir wollen eine andere Erzählung des Hamburger Hafens anbieten. Mit unseren Gemälden rückt die Vielfalt der von Frauen getätigten Jobs in den Blick. Der Hafen galt und gilt bis heute als Männerdomäne. Jedoch ohne die Frauen läuft hier nichts rund", erklärt Lissi. "Hildegund und ich haben in unserem Uwo-ladies-project´ eine Art Arbeitsteilung; hauptsächlich ist sie für die künstlerische Gestaltung der Wandgemälde zuständig. Und alles, was nicht mit dem Malen zu tun hat, mache ich, also die kuratorische Tätigkeit: Neben Kommunikation und Pressearbeit sind das zentral die Recherchen zu den Hafenjobs, die Interviews mit den Hafenfrauen, quasi unsere lebenden Quellen. Wir führen Gespräche nach der Pral-history-Methode'. Häufig im Arbeitsambiente. Und falls das ungünstig ist, auch mal am Küchentisch der Interviewpartnerin. Die meisten Frauen freuen sich, dass da mal nachgefragt wird, ob wirklich nur Männer im Hafen arbeiten; so dekonstruieren wir vermeintliche Gewissheiten oder langlebige Stereotypien. Und immer gibt es die Frage, wie sich die Arbeit im Hafen mit der Familien-Arbeit, den vielfältigen, meist als Frauensache angesehenen Sorge- und Care-Tätigkeiten unter einen Hut bringen lässt, oder nach Themen, die sich nur schwer visuell darstellen lassen wie Heimweh, Verliebt-Sein oder Lärmbelastung beim Job". Lissi spricht von sich selbst als Long-Runnerin: "Wenn Du erst mal Feuer gefangen hast, gehen die Projekte immer weiter. Ich habe so viel erfahren dürfen, aber ich hadere noch, ob ich es schaffe, ein Buch aus dem zu machen, womit die Frauen uns beschenkt haben. Bislang steckt das in diesem zwei Kilometer langen Spaziergang entlang der Wandbilder vom Holzhafen bis nach Övelgönne - und im Internet. "Der Internetauftritt ist tatsächlich eine Fundgrube. Sehr genau werden da die einzelnen Bilder, ihre Entstehung und ihre aktuellen und historischen Hintergründe beschrieben. Beeindruckend auch die Quellenangaben, der Pressespiegel und der Hinweis auf die Dokumentationen sowie Film- und Buchprojekte, in denen die FrauenFreiluftGalerie vorgestellt wird. Denn auch wenn Lissis eigenes Buch noch wartet, andere haben sehr wohl darüber geschrieben. Mit dem bloßen Anfertigen der Wandbilder ist es nicht getan. Nach einigen Jahren müssen sie ausgebessert werden, dafür wird Geld gebraucht. Oder Häuser werden abgerissen und damit gehen auch die Wandgemälde verloren. "Durch die moderne Fassadengestaltung aus Glas und Metall ist es mittlerweile fast schwieriger, Wände zu finden als die Finanzakquise zu organisieren". Sie freut sich sehr, dass "neben privaten Sponsoren und der Kulturbehörde mittlerweile der Bezirk Altona auch die Restaurierung finanziell unterstützt." Und: "So ein autonomes Non-Profit-Projekt einer open-air-Galerie zur hafenbezogenen Frauenarbeit findest du in der ganzen Republik nicht noch einmal. Getreu dem feministischen Ansatz nehmen wir uns Raum in der Stadt und an gesellschaftlich genutzten Orten, tun Aufklärungs-, Vermittlungsarbeit." Diese geschieht durch Führungen oder Lesungen mit zündenden Aussprüchen aus den Interviews, organisiert und durchgeführt von Dr. Elisabeth von Dücker persönlich. Beim genauen Hinsehen fällt auf: Die bislang 15 Gemälde der open-air-Galerie tragen künstlerisch unterschiedliche Handschriften. Denn neben Malerinnen aus Hamburg waren auch Künstlerinnen aus London, New York und aus Argentinien am Werk. Andere Stilrichtungen und Blickweisen bringen somit Vielfalt ins Projekt. Bevor ich die Frage stellen kann, greift Lissi sie selber auf: "Was ist das Feministische an dem Wandbildprojekt? Wir meinen: Es sind nicht Bilder über die, sondern mit den Zeitzeuginnen, aus dezentraler Perspektive, partizipatorisch, emanzipatorisch. Eben Bilder, die den Stereotypen zuwiderlaufen." Begeisterung für das Museum Wer ist nun diese Frau, die so voller Ideen steckt? Als allererstes ist sie eine leidenschaftliche Museumsfrau. "Nach einem Museumspraktikum während des Studiums war sofort klar: "Ich will ins Museum!" Geboren wurde sie kurz nach dem Krieg, 1946, und hat, bedingt durch den Beruf ihres Vaters, eine unruhige Schulkarriere "einmal durch die Republik" hinter sich und dabei acht verschiedene Schulen besucht. "Dadurch habe ich wohl gelernt, mich auf neue Situationen einzustellen." Studiert hat sie, zunächst in West-Berlin und Frankfurt/Main, "mein Lieblingsfach Kunstgeschichte", seinerzeit als Studiengang für Iöhere Töchter' bekannt, sowie Volkskunde und Klassische Archäologie. Zwischendrin absolvierte sie noch eine Buchhändlerinnen-Ausbildung mit Kaufmannsgehilfenbrief. "Das wähnte ich als ein gewisses finanzielles Standbein." 1970 hat sie in Hamburg eine Heimat gefunden, "der Liebe wegen", schloss dort ihr Studium ab und legt Wert darauf, dass sie seitdem Wahl-Altonaerin ist. Das hängt sicherlich auch damit zusammen, dass sie 1975 ein wissenschaftliches Volontariat am Altonaer Museum begann. Altona war bis zur Eingemeindung nach Hamburg 1938 eine zu Dänemark gehörende selbstständige Großstadt und hat deshalb auch eine ganz eigene Geschichte. Das Altonaer Museum war für die junge, engagierte Kunsthistorikerin der richtige Ort zur richtigen Zeit. "Stadtgeschichte ist eine wunderbare Sache. Vor allem in einem solchen Viel-Sparten-Museum mit umfangreicher kulturgeschichtlicher Palette. Hier lag die Idee, Stadtgeschichte von unten zu versuchen, quasi auf dem Pflaster des Quartiers, in dem das Museum beheimatet ist." Noch als Volontärin entwarf sie das Konzept zu einer großen Ottensen-Ausstellung. Immer noch begeistert erzählt sie: "Ende der 1970er Jahre gab es in dem zu Altona gehörenden ehemaligen Industriequartier Ottensen eine bunte Mischung von Alteingesessenen, Handwerksbetrieben, Industriearbeiterschaft und 'Gastarbeiter_innen´. Mit seinen historischen Industriebauten entwickelte es sich zu einem brodelnden Meltingpott-Stadtteil. Es gab in den 1970/80ern an die 100 Bürgerinitiativen sowie alle Schattierungen von Friedens-, Frauen- und politischen Bewegungen. Anliegen der Ausstellung war es, Ottensens Geschichte vom Dorf zur Industriestadt und als Migrationsort zu erzählen, und zwar in enger Kooperation mit den Menschen, den Akteur_innen vor Ort. In diesem Rahmen wurde 1980 Hamburgs erste Geschichtswerkstatt, das Stadtteilarchiv Ottensen, gegründet, beflügelt von unserer Ausstellungsgruppe. So kam ein Mitspieler als eine autonome Partnerorganisation für das Ausstellungsprojekt im Museum hinzu, übrigens durchaus kritisch beäugt von der damaligen Museumsleitung, galt diese Methode zu jener Zeit als eher unüblich. Die Anwohner_innen waren aufgerufen, sich mit Fotos, Dokumenten und Erinnerungen an der Ausstellung zu beteiligen. Die Geschichtswerkstatt diente damals als Anlaufstelle ohne Hemmschwelle für die persönlichen Erinnerungsstücke." Idee und Umsetzung waren museales Neuland: Alltagsgeschichte eines Quartiers unter Beteiligung der Anwohnerschaft. 1982 eröffnet, war sie mit über 70 000 Besucherinnen ein Publikumsrenner. Ganz Museumsfrau, hebt sie hervor: "Außerdem gewann das Haus einen Zuwachs an Sammlungsstücken aus gut 100 Jahren Arbeits- und Alltagsleben im proletarisch geprägten Ottensen. Und neue Freunde." Und: die Kuratorin Elisabeth von Dücker durfte im Museum bleiben - festangestellt. Feministische Fragestellungen ins Museum transferiert In diese Zeit fallen auch die Anfänge ihrer Politisierung, die schon um 1975 begann, "als ich gegen den frauenfeindlichen § 218 auf die Straße ging und mich einer Frauengruppe anschloss. Und auf der grünen Frauenliste bei der Rathauswahl kandidierte. Doch schon vorher hatte ich Augen und Ohren offen, nicht zuletzt durch meine Promotion über Thomas Theodor Heine, einen der Gründer der Münchner Karikaturenzeitschrift 'Simplicissimus', der nicht nur die wilhelminische Politik und das deutsche Spießertum kritisierte, sondern sich auch in seiner Malerei ironisch mit den Geschlechterverhältnissen beschäftigt hat." Die feministischen Fragestellungen nahm Elisabeth von Dücker mit in die Museumsarbeit, kuratierte am Altonaer Museum weitere Ausstellungen und wurde dort Abteilungsleiterin. "In den Jahren lernte ich Museum von der Pieke auf." Was ihr nicht gelang, war jedoch, die neuen Methoden der oral history mit dem Blick auf Klasse, Gender, Ethnie und Generation dauerhaft am Altonaer Museum zu etablieren. Insofern reizte sie eine neue Herausforderung: Das in der Gründungsphase befindliche Museum der Arbeit in Hamburg-Barmbek. 1986 wechselte sie als Museumswissenschaftlerin in ein Museum, das noch gar nicht bestand. "Das war eine eher diffizile Sache. Die endgültige Museumseröffnung in dem Gebäude einer ehemaligen Gummiwaren-Company zog sich aus politischen und finanziellen Gründen bis 1997 hin. Konzepte für ein auf Partizipativität ausgerichtetes sozialgeschichtliches Museum mit zu erarbeiten, Sammlungen anlegen, Dauerausstellungen konzipieren und bestücken, einen Museumsalltag organisieren. Und gleichzeitig erschien uns die Anschubfinanzierung für eine Kulturgeschichte von Arbeit eher mager." Elisabeth von Dücker war zuständig für den Bereich Alltags- und Frauengeschichte und den ehrenamtlich tätigen 'Arbeitskreis Frauen im Museum'. "Dieser Arbeitskreis war für mich wie für das entstehende Museum eine wichtige Ressource mit einer politischen Komponente, war doch der Grundtenor dezidiert frauenbewegt und feministisch. Hauptmotiv war, die Konzeption des Museums mitzubestimmen, da es nicht nur ein Museum der männlichen Arbeiter werden sollte. Die Debatten drehten sich um die Erweiterung des traditionellen Arbeitsbegriffs, um die unbezahlte, gesellschaftlich wenig gewertete Hausarbeit, um Geschlechterrollen und Sammlungsstrategien." Und dann holt Lissi noch ein bisschen weiter aus und erklärt den theoretischen Hintergrund ihrer Tätigkeit in der Museumslandschaft: "Die Konfliktlinie hieß damals: Autonomie versus Integration, also autonomes Frauenmuseum gegenüber der Integration von Frauen- und Geschlechterperspektiven in bestehende Häuser. Mich haben der Mut und die Vielfalt fasziniert, wie das Begehren der Frauen nach Repräsentanz im Museum formuliert und strategisch durchgesetzt werden könnte. Mir persönlich war klar, dass mein Weg derjenige durch die Institutionen war, mit dem Anliegen, versuchsweise die Grenzen der Institution zu verschieben. Dazu gehörte auch die wichtige Forderung, die im Arbeitskreis Frauen entstanden war: eine Quotierung der Quadratmeter. Das meinte, nicht nur eine 'Frauenecke' im Museum, sondern mindestens die Hälfte für Frauen- und Geschlechtergeschichte." Das gelang zwar nicht, aber immerhin wurde mit der Eröffnung des Museums der Arbeit im Jahr 1997 auch die Dauerausstellung 'Frauen und Männer - Arbeitswelten und Bilderwelten' im Museum der Arbeit auf 400 qm installiert. In einem wissenschaftlichen Aufsatz erläutert Elisabeth von Dücker: "Ich und das Team haben den Versuch unternommen, die Befunde in den Arbeits- und Geschlechterverhältnissen nicht nur zu zeigen, sondern auf ihre Konstruktionsmuster hin zu befragen: Warum gibt es geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, warum ökonomische Privilegierung und Diskriminierung, wie wird mit den Bildern von Weiblichkeit und Männlichkeit soziales Geschlecht konstruiert, wie gestaltet sich Wandel in gesellschaftlicher und individueller Hinsicht." Das ist jetzt mehr als 20 Jahre her, ein Zeitraum, in dem Ausstellungen erneuert werden müssen und Strategien sich ändern. Diese Abteilung musste weichen, ist Frauenarbeit im Museum der Arbeit heute immer noch adäquat präsentiert? Lissi antwortet etwas ausweichend: "Eine schöne Frage und eine schwierige. Mir schwebt eine work-in-progress-Abteilung vor, durchlässig für aktuelle, auch historische Debatten über den Wandel von lokaler und globaler Arbeit, der sich wandelnden Geschlechterrollen im Dialog unterschiedlicher Kulturen und Herkünfte. Und das alles in einem inspirierenden Ort im Museum, der zu einem individuellen Mitwirken verlockt - so etwa, wie sich die Abteilung Frankfurt jetzt im Historischen Museum Frankfurt präsentiert. Dort sind die Stadtbewohner_innen eingeladen, ihre Expertise mit dem Leben hier und ihren Zukunftswünschen einzubringen - ihnen ist diese Ausstellungs- und Veranstaltungsfläche gewidmet, wo jetzt, im Jahr 2019 eine große Schrifttafel zum Mittun aufruft." Viel zu tun, "manchmal ein bisschen mehr ..." Wenn Lissi sich an die Gründungsjahre des Museums der Arbeit erinnert, fällt ihr als Erstes ein: "Mein Tag hatte nicht unselten immer mindestens 25 Stunden." Neben der Berufstätigkeit engagierte sie sich im Stadtteilarchiv Ottensen, war fast von Anfang an im bundesweiten Frauengeschichtsnetzwerks Miss Marples Schwestern dabei und seit 1986 "gab es ja auch noch den Arbeitsplatz 'Laura', meine kleine Tochter, die in der Anfangszeit im Laufgitter im Büro dabei war. Das war ganz schön anstrengend. In der Folge habe ich außerdem in unserem Stadtviertel Ottensen den bilingualen deutsch-türkischen Kinderladen mitgegründet." Gleichzeitig wuchs die Ungeduld. "Ich kam von einem seit 1860 etablierten Museum und wollte meine Erkenntnisse und Ideen in die Museumsarbeit einbringen, aber es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, mehr als 10 Jahre. Da das Museum der Arbeit immer noch nicht eröffnet war, wir aber mit neuem Blick auf geschlechtsspezifische Arbeit loslegen wollten, entstand die Idee zu dem ersten Wandbild, und dann gleich ein richtig Großes mit 1000 Quadratmetern! Zum 800. Hafengeburtstag am 1. Mai 1989 gelang es dem Arbeitskreis Frauen im Museum, mir als Kuratorin und in Kooperation mit dem Museum, an einem alten Getreidespeicher das Wandgemälde "100 Jahre Frauenarbeit im Hamburger Hafen" zu präsentieren. Quasi eine unübersehbare Außenstelle für das Museum der Arbeit. Leider musste nach vier Jahren der industriehistorische Getreidespeicher umgebaut werden, die Wand erhielt Fenster und damit war das Bild dahin. Wir sind zum Investor gegangen und haben tatsächlich sozusagen als "Wiedergutmachung" eine fünfstellige Summe erhalten. Damit machten wir, Hildegund Schuster und ich und damals noch für einige Jahre die Sozialwissenschaftlerin Emilija Mitrovic einen Neustart, es war der Anfang der späteren FrauenFreiluftGalerie." Bevor Lissi mit dem nächsten großen Projekt begann, hat sie sich mit 53 Jahren ein Jahr Auszeit genommen. "Mein Vater ist mit 53 Jahren gestorben, er hat immer nur gearbeitet, das war mir eine Warnung." Prostitution als Arbeitsplatz Hafenarbeit, Frauenarbeit, Arbeitsplatz Kind - Elisabeth von Dücker interessierte sich nicht nur für herkömmliche Erwerbsarbeitswelten, sondern auch für Themen, die nicht sofort ins Auge fallen: "Mir lag am Herzen, daran mitzuarbeiten, dass Museum nicht als traditioneller Musentempel funktioniert, sondern dass dort auch Neuland betreten, Perspektivwechsel erprobt wird, ein Dialog zwischen Jetzt und Zukünftigem stattfindet." Also traute sie sich an das Thema Sexarbeit heran. Ausgangspunkt war das 2002 in Kraft getretene neue Prostitutionsgesetz, das die rechtliche Stellung von Prostitution als Dienstleistung regelt, um die rechtliche und soziale Situation von Prostituierten zu verbessern. Wie bei jeder anderen Arbeit ist es ihnen dadurch möglich, sozialversichert zu sein. "'SEXARBEIT - Prostitution - Lebenswelten und Mythen' war wohl eine meiner zentralen Ausstellungen, habe ich doch unendlich viel dabei gelernt. Wir hatten eine ausgetüftelte Ausstellungsarchitektur in 14 Räumen auf 700 Quadratmetern. Man stand Schlange, um die Eröffnung im November 2005 zu erleben. Und auch bei der Finissage nach zweimaliger Verlängerung. Die Hafenstadt Hamburg, als Hauptstadt der Prostitution geltend, war schlichtweg der richtige Ort für das Thema." Anschließend war die Ausstellung in Bern zu sehen. Das von Lissi als verantwortlicher Kuratorin herausgegebene Katalog-Buch umfasst 346 Seiten. Sie vergisst nicht zu erwähnen, dass es von der Stiftung Buchkunst 2006 als schönstes deutsches Sachbuch ausgezeichnet wurde. Nicht nur der Erfolg des Buches und der Ausstellung hat sie als Kuratorin glücklich gemacht, sondern auch die Art und Weise, wie sie über zwei Jahre hinweg und mit unterschiedlichen Kooperateur_innen erarbeitet wurde. Ein sehr großer Kreis hat daran mitgewirkt, fachkompetente Soziologinnen, Historiker_innen, Beratungsstellen über ganz Deutschland verteilt und natürlich Frauen und Männer, die im Sexgewerbe arbeiteten und sich auf Interviews eingelassen haben. "Wir haben viele persönliche Materialien bekommen und konnten Protagonist_innen gewinnen, die ihre Arbeitskleidung und -utensilien zur Verfügung stellten. Es war das erste Mal in Deutschland, dass ein Museum solche Artefakte, jeweils mit authentischer Nutzungsgeschichte, gesammelt und gezeigt hat. Das Thema stand bzw. steht nicht unbedingt im Fokus musealen Interesses, doch wir wollten diese vermeintlich 'dunkle Ecke´ der Gesellschaft ausleuchten. Immerhin spricht man von schätzungungsweise 1,2 Millionen Kunden_innen. Ziel war, das Thema nicht aus der Schlüssellochperspektive zu betrachten." Vielmehr sollte die Präsentation eine Einladung sein, sich mit eigenen und fremden (Vor-) Urteilen auseinanderzusetzen. Besonders gefreut hat die Ausstellungsmacherin sich über die positive Resonanz aus dem Milieu: "Aus Stuttgart, Berlin und St. Pauli waren die Akteur_innen gekommen, zufrieden, dass ihre Arbeit in einem gesellschaftlich anerkannten Rahmen wertschätzend repräsentiert wurde. Wir hätten den Job gezeigt, wie er ist, war ihr Urteil." Wie gründlich die Ausstellung vorbereitet wurde, zeigen auch die Themen des Buches, an dem 130 Autoren und Autorinnen mitgewirkt haben. Es geht los mit der Frage: 'Wer arbeitet warum als Prostituierte?' Dann folgen Oberkapitel wie 'Jobs im Sexgewerbe', 'Das große schnelle Geld?', 'Arbeitsmigration', 'Kunden, Freier, Gäste', 'Prostitution und Gesundheit', 'Moral, Sexualität Gesellschaft', und selbstverständlich auch 'Frauenhandel - Menschenhandel'. Interessant ist, wie Elisabeth von Dücker in der Einleitung schreibt, dass die Spendenbereitschaft bei diesem Projekt nicht überschäumend war und sie sich deshalb umso mehr über die Zeit- und Wissensspenden freute. Wertschätzende Anerkennung Lissis feministisch geprägte Arbeit wurde wahrgenommen und anerkannt. Seit 2008 ehrt der Hamburger Landesfrauenrat alljährlich eine Frau, die sich Verdienste um die Gleichberechtigung von Frau und Mann erworben hat. Allererste Preisträgerin war Elisabeth von Dücker, weil "sie bei ihrer Tätigkeit als Kustodin im Museum auf geschlechtsspezifische Unterschiede aufmerksam gemacht hat, bei dem großen Wandbild zur Frauenarbeit im Hamburger Hafen unsichtbare Frauengeschichte in den öffentlichen Raum gebracht hat und weil sie mit der SEXARBEITs-Ausstellung zur Enttabuisierung des Themas Prostitution beigetragen hat", heißt es in der Presseerklärung. Seit 2007 ist Lissi im Ruhestand, was nicht heißt, dass sie nicht mehr arbeitet. Für das Stadtteilarchiv Ottensen ist sie nach wie vor aktiv und als 2010 das Altonaer Museum geschlossen werden sollte, war sie eine der Sprecherinnen der Bürgerinitiative 'Altonaer Museum bleibt'; mit Erfolg übrigens, denn der Hamburger Senat revidierte aufgrund der vielen Proteste seine Entscheidung. Ansonsten genießt sie es als über 70jährige, "lustvoll die Museumsentwicklung hier und andernorts zu verfolgen und mich kulturgeschichtlich auf den neuesten Stand zu bringen". Und jetzt im Januar, zur Hamburger Schmuddelwetterzeit, flieht sie auf eine warme Insel und ist ganz glücklich "dort in einem kleinen Cafè in Ruhe die dicken Bücher zu lesen, zu denen ich hier in Hamburg kaum komme". Zur Zukunft des Feminismus meint sie: "Ich glaube, das könnte wohl ganz gedeihlich werden, wenn zunehmend mehr Männer sich als Feministen verstehen. Dann haben sie erkannt, wie wichtig es ist, gemeinsam am Strang der Geschlechtergerechtigkeit zu ziehen, denn Feminismus umfasst das ganze Leben und ist für alle gut." Und natürlich die FrauenFreiluftGalerie. Da gibt es immer was zu tun. Die nächste Führung ist für den 11. März im Rahmen des Internationalen Frauentages und am 8. Mai 2020 im Rahmen des Hafengeburtstags geplant. Abgesehen davon ist sie ja rund um die Uhr geöffnet. Über den Internetauftritt können auch private Rundgänge gebucht werden. Außerdem betreut Lissi seit Neustem auch eine Wanderausstellung mit Fotos und Texten über Hafenarbeiterinnen. Sie ist ausleihbar. Derzeit hängt sie im Speisesaal der Altonaer Seemannsmission; damit ist auch das Geheimnis unseres Treffpunkts gelüftet. Gemütlich im Warmen konnte ich mir dort auf den Text-Foto-Tafeln die Details des großen Wandgemäldes an der Außenfassade der Seemannsmission anschauen, auch das wieder eines von Lissis kreativen Projekten, in diesem Fall sogar bi-kulturell. Auf zwei gegenüberliegenden Wänden ist ein Brückenschlag zwischen Hamburg und New York abgebildet: moderne Frauenarbeitsplätze in den Häfen hier und dort - auf der Basis aktueller Interviews. Wer zu weit entfernt wohnt, um sich selbst vor Ort umzusehen, kann die Details und den Entstehungsprozess des Brückenschlags auf der Homepage nachvollziehen, ohne nach Hamburg oder nach New York reisen zu müssen Text: Juliane Brumberg

    Jutta Heinrich

    Jutta Heinrich-Rosemann

    Schriftstellerin

    Ornament Image
    4.4.1937
    Berlin
    -
    23.7.2021
    Hamburg
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    Grablage 1A 280 AB 2-04

    In ihrem Wikipedia Eintrag heißt es über die Herkunft von Jutta Heinrich: Sie "war die Tochter eines Juristen und Unternehmers und einer ausgebildeten Kunstmalerin. Sie wuchs in Bayern auf, besuchte die Schule bis zur mittleren Reife und übte anschließend verschiedene Tätigkeiten im Groß- und Einzelhandel aus; u. a. leitete sie zeitweise die väterliche Funier- und Sperrholzfabrik."
    1) Jutta Heinrich arbeitete als "Sekretärin, Handelsvertreterin und Inhaberin eines Großhandels für Gardinen sowie mehrerer Einzelhandelsgeschäfte".
    2) "Nachdem sie ihr Abitur nachgeholt hatte, studierte sie ab 1972 Sozialpädagogik an der Fachhochschule Hamburg und ab 1975 Literaturwissenschaft und Germanistik an der Universität Hamburg. Parallel zu ihrem Studium begann sie mit der Veröffentlichung literarischer Werke. 1987 nahm sie am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt teil. Ab 1988 war sie Lehrbeauftragte für Literatur, Politik und Geschichte an Universitäten in Bremen, Hamburg und Berlin; 2005 hatte sie eine Gastdozentur [für szenisches Schreiben] an der Universität der Künste in Berlin. (…)" 1) 1999 wurde sie in den P.E.N. gewählt. "Sie erhielt neben diversen Arbeitsstipendien 1989 den Würzburger Literaturpreis und 2017 die Biermann-Ratjen-Medaille" 1) in Hamburg. Bei dieser Verleihung sagte der amtierende Kultursenator Carsten Brosda: "Jutta Heinrich hat mit ihrer Literatur den feministischen Diskurs vorangetrieben. Ihr Hauptwerk ‚Das Geschlecht der Gedanken' ist ein hoch moderner Text, der an Aktualität nicht verliert. In den vergangenen Jahren hat sich Jutta Heinrich vor allem um die Literaturvermittlung verdient gemacht, unter anderem mit dem von ihr 2009 ins Leben gerufenen Schulschreibprojekt ‚LIT. Junge Köpfe, im Literaturzentrum'. Jutta Heinrich lehrt Jungen und Mädchen in allen Teilen der Stadt die Schönheit der Literatur und die Kraft der Worte. Dafür gebührt ihr unser Respekt und Dank.'"
    3) Jutta Heinrich war auch Vorstandsvorsitzende des Literaturzentrums im Literaturhaus Hamburg und Kuratoriumsmitglied der Kulturstiftung Schloss Agathenburg, Niedersachsen. "Ihre Werke: ‚Mit meinem Mörder Zeit bin ich allein', München 1981, ‚Alles ist Körper', Frankfurt am Main 1991 und das in mehrere Sprachen übersetzte und von Wolfgang Emck verfilmte Buch ‚Das Geschlecht der Gedanken', München 1977, wurden 2015 bei S. Fischer neu aufgelegt. Weitere Veröffentlichungen waren: ‚Unterwegs', Berlin 1978, ‚Eingegangen', Berlin 1987, ‚Männerdämmerung', Köln 1989, der Essayband, ‚Im Revier der Worte', Frankfurt am Main 1994, ‚Sturm und Zwang', Hamburg 1995 (zusammen mit Elfriede Jelinek und Adolf Ernst-Meyer), ‚Unheimliche Reise', Hamburg 1998", 3) heißt es in einer Pressemitteilung des Verbandes deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller anlässlich des 80. Geburtstages von Jutta Heinrich.
    Die Journalistin der taz, Petra Schellen, schrieb einen Nachruf auf Jutta Heinrich. Darin heißt es: "Da war einmal die 14-Jährige, die sich nach dem Weggang der Mutter auch um die jüngeren Schwestern kümmerte und im väterlichen Unternehmen mitarbeitete. Da war später die selbstständige Handelsvertreterin und Unternehmerin, die zwar der bürgerlichen Enge entkommen war, aber oft männliche Dominanz erlebte. Erfolgreich war sie trotzdem, die Geschäfte florierten.
    Ausschließlich aufs Materielle fixiert war Jutta Heinrich dabei nie, hat schon als Kind geschrieben. Dafür habe sie sogar manchmal die Schule geschwänzt, erzählt ihre langjährige Weg- und Lebensgefährtin Heidemarie Ott. (…). Früh hat Jutta Heinrich auch die strukturelle und individuelle Unterdrückung der Frau gespürt und sie 1966 in ihrem Debütroman ‚Das Geschlecht der Gedanken' beschrieben.
    In dem Buch rebelliert ein Mädchen gegen die beengende Erziehung zur Frau im kleinbürgerlichen Milieu, gegen männliche Dominanz und den Chauvinismus der deutschen Nachkriegsgesellschaft überhaupt. Der Roman ist analytisch scharf, erbarmungslos, bissig. Er hätte sofort erscheinen können - wenn sich Jutta Heinrich ein männliches Pseudonym zugelegt hätte. Denn die Verlage wollten ein so radikales, nicht larmoyantes Buch nur einem Mann zuschreiben - zynischer Beleg für den im Buch verhandelten Herrschaftsanspruch. Aber Jutta Heinrich wollte sich nicht verleugnen und genau jene Strukturen stärken, gegen die sie schrieb. Also wartete sie, bis auch die Verlags- und Feuilletonbranche so weit war, und brachte das Buch 1977 heraus.
    Das Echo: furios. Statt der bis dato Frauen zugeschriebenen Leidensliteratur sei dies die ‚Rache des Opfers', schrieb die Zeit. (…). ‚Eines der aufregendsten, poetischsten und genauesten Bücher über die Wechselwirkung von Unterdrückung und Gewalt', schrieb Prof. Renate Möhrmann im ‚Kritischen Lexikon der Gegenwartsliteratur'. (…) Doch so radikal Jutta Heinrich auch war: Sie hatte auch eine zarte, ängstliche Seite, ja: eine Ur-Angst, die nach dem Fast-Atom-GAU von Harrisburg 1979 viel Raum bekam: ‚Mit meinem Mörder Zeit bin ich allein' heißt die Sammlung von Briefen, Romanfragmenten, Traumprotokollen, Tagebuchaufzeichnungen und Gedichten, mit denen sie gegen das Verdrängen der atomaren Bedrohung anschrieb. ‚Diese Texte sind Ausdruck meiner körperlichen und seelischen Reaktionen auf ein Leben unter dem Atompilz, es ist die rebellische, irrende Suche nach einer Heimat meines Lebens, unser aller Leben, in einer Zeit, die immer zeitloser wird, in einer Zukunft, die explodiert', hat die Autorin laut Homepage des Fischer-Verlags einmal über ihr Buch gesagt. Schreiben war für Jutta Heinrich Verarbeitung, Politikum und Botschaft zugleich, und auch in ihrem Habitus war sie absolut: Ihre Wut und Hoffnungslosigkeit über die gesellschaftlichen Verhältnisse sei frisch wie eh und je, aber sie wolle sich nicht wiederholen, hat sie der taz 2016 anlässlich der Neuauflage einiger ihrer Werke gesagt. Deshalb schreibe sie nicht mehr - weder Literatur noch Radiobeiträge.
    Stattdessen produzierte Jutta Heinrich in den letzten Jahren spitze, spritzige Kabarett-Texte und betrieb vor allem die transgenerationelle Weitergabe durch Schreibwerkstätten für die Jüngeren. Für diejenigen, die ihren literarischen Ausdruck noch nicht gefunden hatten. (…)
    Jutta Heinrich liebte Männer und Frauen, lebte die letzten 24 Jahre mit Heidemarie Ott in einer Wohnung am Hamburger Hafen. (…)
    So ganz zum Zeitgeist gepasst hat Jutta Heinrich allerdings nie: ‚Ohne meinen Chauvi-Geist wäre ich längst tot', hat sie der taz einmal gesagt. ‚Ihre punktuelle ,Über-Heblichkeit' bezog sich auf Einverleibungsversuche und identitäre Zuschreibungen', erklärt Heidemarie Ott. ‚Meine Sexualität ist ja an und für sich in Ordnung, nur nicht im Verhältnis zur Welt', fand Jutta Heinrich selbst. (…)."
    4) Quellen:
    1. Wikipedia: Jutta Heinrich, unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Jutta_Heinrich abgerufen 20.11.2021
    2. Munzinger archiv, unter: www.munzinger.de/search/portrait/jutta+heinrich/0/17876.html
    3. Pressemitteilungen des Verbands deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller; Jutta Heinrich wird 80, unter: https://vs.verdi.de/presse/pressemitteilungen/++co++2535f312-7642-11ea-8e3a-001a4a160100
    4. Petra Schellen: Feministische Kämpferin gestorben: Rebellin wider den Zeitgeist. Die feministische Autorin Jutta Heinrich ist vorige Woche in Hamburg gestorben. Aufgefallen war sie durch klare Analysen der Geschlechterverhältnisse, in: taz vom 31.7.2021, unter: https://taz.de/Feministische-Kaempferin-gestorben/!5788734/

    Charlotte Niese

    Schriftstellerin, Heimatdichterin, Lehrerin

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    7.6.1851
    Burg/Fehmarn
    -
    8.11.1935
    Hamburg Altona
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    Grablage: I A 687 abc

    Namensgeberin für Charlotte Niese-Straße in Hamburg-Osdorf seit 1929
    Unter sechs Söhnen war Charlotte Niese zunächst die einzige Tochter eines Pastors und seiner Frau - später wurde noch eine weitere Tochter geboren. Charlotte Niese erhielt eine "Spezialausbildung", sprich, eine andere als ihre Brüder. Dazu wurde sie zu ihren Großeltern geschickt, wo sie viele Jahre lebte. Charlotte Niese bemerkte schon früh, dass die Brüder weitaus mehr durften als sie. Sie litt darunter, klagte aber nicht öffentlich darüber, sondern schwieg, wie es sich für ein wohlerzogenes Mädchen gehörte. Die Brüder erhielten Latein- und Griechischunterricht und schlugen eine wissenschaftliche Laufbahn ein. Charlotte Niese besuchte das Lehrerinnenseminar und unterrichtete nach dem Examen in mehreren Familien in Nordschleswig, in der Rheinprovinz und in Ascheberg. Als der Vater 1881 starb, kehrte Charlotte zu ihrer Mutter zurück, gab ihren Beruf auf und lebte mit ihr bis zu deren Tod im Jahre 1907 zusammen. Nicht mehr als Lehrerin tätig, schaffte sich Charlotte Niese den Freiraum, um ihrem lang gehegten Wunsch zu schreiben nachzugehen. Ihre ersten Prosatexte veröffentlichte sie unter dem männlichen Pseudonym "Lucian Bürger" in der Kieler Zeitung. Nachdem Charlotte Niese mit ihrer Mutter ein Jahr bei einem Bruder in New York verbracht hatte, zogen die beiden Frauen auf Rat eines Bruders nach Altona, denn dort wohnte ein Teil der
    Verwandtschaft. Dort lebte Charlotte Niese bis 1900 zusammen mit ihrer Mutter und der jüngeren Schwester im Philosophenweg. Dort begann auch der schriftstellerische Erfolg. Charlotte Niese wurde eine der bekanntesten Holsteinischen Heimatdichterinnen, sogar in Schulbüchern wurden ihre Erzählungen abgedruckt.
    Charlotte Niese befasste sich auch mit der Frauenfrage. So war sie eine Zeitlang erste Vorsitzende der Altonaer Ortsgruppe des Verbandes Norddeutscher Frauenvereine. Ziel dieses konservativen Vereins waren bessere Bildungs- und Berufschancen für Frauen. Auch in ihren Romanen setzte sich Charlotte Niese mit der Rolle der Frau auseinander. Sie zeigte immer wieder die gesellschaftspolitischen Grenzen auf, an die Frauen stießen. Jedoch trat sie, die selbst unter diesen Gegebenheiten litt, nicht für eine Überwindung dieser Verhältnisse ein. Charlotte Niese akzeptierte den status quo. Die traditionellen Geschlechtsrollenmuster zu durchbrechen, entsprach nicht ihrem Temperament und Weltbild.
    Text: Rita Bake

    Lieselotte Pongratz

    Soziologin und Kriminologin

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    24.12.1923
    Harburg
    -
    5.9.2001
    Hamburg
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    Grablage: anonyme Grabstelle

    Für Liselotte Pongratz gibt es einen Wikipedia-Eintrag. Darin heißt es über ihren Lebensweg: "Sie war ab 1973 Professorin für Soziologie an der Universität Hamburg. 1975 wurde sie auf den dortigen Lehrstuhl für Kriminologie berufen und war die dritte Frau in der Bundesrepublik, die einen solchen Lehrstuhl innehatte.
    Als Tochter eines Kommunisten war Pongratz der Besuch einer höheren Schule aus politischen Gründen während des Nationalsozialismus versagt. Sie besuchte die Volksschule und leistete ein Pflichtjahr in der Landwirtschaft ab. Anschließend machte sie eine kaufmännische Lehre, die sie mit der Gehilfenprüfung abschloss.
    Es folgten eine Kriegdienstverpflichtung und bis 1945 der Einsatz im Reichsarbeitsdienst in Ostpreußen. Nach dem Krieg begann sie 1946 eine Ausbildung zur Fürsorgerin am Sozialpädagogischen Institut Hamburg, machte dort 1949 das Examen und arbeitete danach als Sozialarbeiterin bei der Jugendbehörde Hamburg.
    1953 wurde Pongratz für eine wissenschaftliche Studie über Jugendliche in Heimen von der Jugendbehörde freigestellt. Im Rahmen dieser Arbeit entwickelten sich Kontakte zu einer Gruppe von Soziologen um Helmut Schelsky, insbesondere zu dem späteren Soziologieprofessor Heinz Kluth, der sie unterstützte, das Begabtenabitur zu machen. 1954 begann Pongratz mit dem Studium der Soziologie, Kriminologie, des Jugendstrafrechts und der Psychologie in Hamburg und an der London School of Economics and Political Science. Sie wurde 1963 im Rahmen eines Stipendiums bei Heinz Kluth an der Universität Hamburg promoviert. Ihr Dissertationsthema war die Sozialisation und das soziale Lebensschicksal von Prostituiertenkindern.
    Von 1963 bis 1966 arbeitete sie als wissenschaftliche Assistentin am Institut für Kriminologie der Universität Hamburg. In Zusammenarbeit mit den beiden Senatsbeauftragten Curt Bondy und Rudolf Sieverts war sie mit dem Aufbau des Sozialpädagogischen Zusatzstudiums für Sozialwissenschaftler, Juristen, Mediziner und andere Fachrichtungen an der Universität befasst. 1966 wurde Lieselotte Pongratz Wissenschaftliche Rätin am Seminar für Sozialwissenschaften der Universität Hamburg. Hier führte sie eine methodologische Ausbildung ein und setzte den Schwerpunkt auf abweichendes Verhaltens in der Jugend und Familie. Aus dieser Tätigkeit heraus war sie mit im Aktionsforschungsprojekt in der Hamburger Übergangsstrafanstalt für Strafgefangene in der Alsenstraße.
    Nachdem sie mehrere Rufe an andere Universitäten abgelehnt hatte, wurde sie 1973 Professorin für Soziologie an der Universität Hamburg und baute den Bereich ‚Abweichendes Verhalten und soziale Kontrolle" weiter aus. 1975 nahm sie den Ruf auf eine Professur für Kriminologie am Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Hamburg an. Nach Anne-Eva Brauneck und Hilde Kaufmann war sie die dritte Professorin für Kriminologie in der Bundesrepublik.
    Von 1979 an war Pongratz maßgeblich an der Gründung des Aufbau- und Kontaktstudiums für Kriminologie beteiligt, dessen Lehrbetrieb 1984 aufgenommen wurde. Diese Modelleinrichtung (…) war die erste Diplom-Ausbildung für Kriminologie in der Bundesrepublik. Zum Wintersemester 1985/1986 wurde Pongratz emeritiert.
    2000 gründete sie die nach ihr benannte Lieselotte-Pongratz-Stiftung, deren Vorsitz sie bis zu ihrem Tode innehatte. Ziel der Stiftung ist es, Studierenden und Promovierenden der Kriminologie und der sozialen Arbeit zu ermöglichen, Forschungsprojekte erfolgreich zu beendigen. (…)
    Lieselotte Pongratz war Mitbegründerin des Arbeitskreises Junger Kriminologen (AJK), die sich am 12. Juni 1969 zu einer interdisziplinären Arbeitsgruppe mit dem Ziel zusammenschloss, ein Diskussionsforum für Nachwuchswissenschaftler über neue Forschungsarbeiten und Forschungskonzepte zu bieten. Ebenfalls 1969 war sie Mitbegründerin und -autorin des Kirminologischen Journals (KrimJ). (…) 1972 war sie an der Gründung des Moritz-Liepmann-Hauses beteiligt.
    1973 war sie Mitbegründerin der European Group for the study of deviance and social control, der sie bis zu ihrem Tode angehörte. Seit 1969 war sie zusammen mit Fritz Sack, Klaus Sessar und Bernhard Villmow Mitherausgeberin der Hamburger Studien zur Kriminologie. Zu Beginn der 1970er Jahre war Pongratz Mitglied und später für vier Jahre Vorsitzende des Bundesjugendkuratoriums. Der kriminologische Forschungsansatz von Pongratz war stark geprägt von ihrem sozialpädagogischen Praxisbezug und ihrer methodischen Ausbildung. Sie initiierte Projekte auf der Grundlage der empirischen Sozialforschung. (…) Ihre Aufgabe als Kriminologin sah sie vor allem darin, mit kriminologischem Wissen die Situation der von der Kriminalpolitik Betroffenen tatsächlich zu verändern. Es ging ihr wesentlich um die Herausarbeitung belastender Lebensumstände, die auf Menschen einwirken und die durch deren Handeln wiederum reproduziert werden. Sie zeigte auf, wie Menschen mit gleichen Umständen unterschiedlich umgehen, sie bewältigen oder an ihnen scheitern. (…)
    Aufgrund der Kombination aus Wissenschaftlerin und Kriminalpolitikerin unterschied Pongratz sich von der rein wissenschaftlichen, theorieorientierten wie auch von der üblichen kriminalpolitischen Betrachtungsweise ab. Ihr Engagement war maßgeblich auf eine zielorientierte Umsetzung von Maßnahmen für die Betroffenen ausgerichtet. Kennzeichnend für ihren wissenschaftlichen Ansatz war die Integration von Rechts- und Sozialwissenschaften auf den Gebieten des Strafrechts und der Kriminologie, insbesondere durch interdisziplinäre Forschungsaktivitäten." 1)
    Quelle:
    Wikipedia: Liselotte Pongratz (abgerufen: 21.7.2017)

    Martina Severin-Kaiser

    geb. Severin

    Ökumenebeauftragte der Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland, Geschäftsführerin der ACK Hamburg, Hauptpastorin St. Petri, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen beim Deutschen Evangelischen Kirchentag

    Ornament Image
    21.2.1959
    Eutin
    -
    8.7.2016
    Hamburg
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    Grablage: IB 231

    Unter dem Titel "Tiefe Anteilnahme - Hauptpastorin Martina Severin-Kaiser ist plötzlich gestorben", meldete die Website der Hauptkirche St. Nikolai am 11. Juli 2016: "Wir sind erschüttert und fassungslos - am Freitag, den 8. Juli, ist Martina Severin-Kaiser plötzlich gestorben. Erst im Dezember wurde sie in ihr Amt als Hauptpastorin von St. Petri eingeführt und konnte bereits in diesem ersten halben Jahr ihres Wirkens viel Vertrauen erwerben und für Aufbruchsstimmung sorgen.
    Geboren 1959 in Eutin, verbrachte Martina Severin Kaiser ihre Schulzeit in Lübeck. Nach dem Theologie- und Geschichtsstudium in Münster, Tübingen, Jerusalem und Hamburg arbeitete sie in Jerusalem in interreligiösen und christlich ökumenischen Initiativen. Für acht Jahre war sie im Anschluss Pastorin im multikulturellen Stadtteil Hamburg-Steilshoop. Dort war sie u. a. in der Frauenarbeit tätig, stellte die Arbeit mit Seniorinnen und Senioren auf neue Beine und war in der Entwicklung des Stadtteils engagiert.
    Von 1996 - 2004 leitete sie die deutschsprachige evangelische Gemeinde in Brüssel und in der Wallonie. Sie öffnete in Stellenteilung mit ihrem Mann die Gemeinde im internationalen Umfeld als Diskussionsforum im vorpolitischen Raum und als offenen Ort für junge Menschen und Familien. Während dieser Zeit war sie als Delegierte der Konferenz europäischer Kirchen (KEK/CEC) an gemeinsamen Projekten der internationalen Ökumene und in Gremien der Europäischen Institutionen im interreligiösen Gespräch beteiligt.
    Seit 2004 hat Martina Severin-Kaiser als Ökumenebeauftragte der Nordkirche besonders die Zusammenarbeit mit den vielen Gemeinden anderer Sprache und Herkunft im Bereich der Nordkirche gestaltet. Sie leitete bis Ende letzten Jahres die Arbeit der regionalen Hamburger Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACKH), einem Zusammenschluss von derzeit 36 verschiedenen Kirchen und Gemeinden. Sie gehört außerdem zum Vorstand des Trägervereins ‚Ökumenisches Forum HafenCity" und war dessen Sprecherin [1]. Ihre Themenschwerpunkte der letzten Jahre waren u.a. die Entwicklung einer alltagstauglichen interkulturellen Theologie. Unser tiefes Mitgefühl gilt der Familie von Martina Severin-Kaiser" [2].
    Ihr Engagement im Rahmen des christliche-jüdischen Dialoges umschreibt der Nachruf des Deutschen Evangelischen Kirchentages mit dem Titel: Kirchentag trauert um Martina Severin-Kaiser. "Die Hauptpastorin der City-Kirche St. Petri in Hamburg war seit über 20 Jahren bei Kirchentagen aktiv und seit 2009 christliche Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen. Generalsekretärin Ellen Ueberschär: ‚Martina Severin-Kaiser war in den letzten Jahren gewissermaßen das Herz der Arbeitsgemeinschaft. Sie hat mit ihrer fachlichen Kompetenz immer wieder neue Akzente im jüdisch-christlichen Gespräch gesetzt und mit ihrer offenen und herzlichen Art Menschen für diese Arbeit begeistern können. (...)
    Mit Martina Severin-Kaiser verliert der Kirchentag eine engagierte Persönlichkeit des christlich-jüdischen Dialogs. In Bibelarbeiten hat die AG-Vorsitzende immer wieder theologische Impulse gesetzt und als Ökumenebeauftragte der Nordkirche das ökumenische und interreligiöse Profil des Hamburger Kirchentages 2013 entscheidend geprägt.
    Die Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen beim Kirchentag besteht seit 1961. Die Arbeit der AG ist geprägt vom gemeinsamen theologischen Nachdenken und hat entscheidende Beiträge zur Annäherung, zur Verständigung und zum Verständnis zwischen Juden in Christen in Deutschland nach der Schoa geleistet." [3]
    Ihr Vorgänger im Amt eines Hauptpastors an St. Petri von 2002 bis 2015 war Christoph Störmer. "Verkehrte Welt" betiteltet er seinen Nachruf: "Am vergangenen Sonntag wollte Severin-Kaiser zum Thema ‚Verkehrte Welt" predigen, im Rahmen einer Predigtreihe der Hauptkirchen anlässlich der gleichnamigen Hieronymus-Bosch-Ausstellung im Bucerius Kunst Forum. Stattdessen wurde es ein bewegender Trauergottesdienst mit großer Anteilnahme. Verkehrte Welt. Die Citykirche steht kopf und trägt Trauer, die Pastorin hinterlässt eine große Lücke. Auch mich wühlt dieser Tod auf, er geht mir unter die Haut. Das spüre ich körperlich. Wie gern hatte ich im November 2015 den Staffelstab an die neun Jahre jüngere Kollegin übergeben! Ich hatte sie bereits in meiner ersten Pfarrstelle in den achtziger Jahren kennen und schätzen gelernt. Sie kam damals, als ich von dort wegging, nach Hamburg-Steilshoop in die Martin-Luther-King-Kirchengemeinde. Auch für sie war es die erste Pfarrstelle, die sie sich mit ihrem Mann teilte.
    Im vergangenen Jahr (2015) wurde Martina Severin-Kaiser von der Kirchenkreissynode Hamburg-Ost in ihr neues Amt in St. Petri gewählt, davor war sie ein Jahrzehnt lang die Ökumene-Beauftragte der Nordkirche. Aus meiner Sicht war das eine ideale Besetzung. Denn St. Petri steht seit Jahrzehnten für die christliche Ökumene Hamburgs und hat sich in Zusammenarbeit mit der Akademie der Weltreligionen und dem Rathaus zu einem Ort des interreligiösen Gesprächs und internationaler Begegnungen entwickelt - unter engagierter Beteiligung von Frau Severin-Kaiser. Es gab in Hamburg kaum eine erfahrenere und kompetentere Person für diese Aufgabe.
    Martina Severin-Kaiser vereinte Bodenhaftung mit Weltoffenheit. Sie kannte und liebte die Schätze anderer Kulturen, Konfessionen, Religionen, sie pflegte den Diskurs und zeigte zugleich ein eigenes theologisches Profil. Längere Zeit hielt sie sich in Jerusalem auf, später lebte sie mit ihrer Familie jahrelang in Brüssel. Sie sprach die alten und die neuen Sprachen fließend. Martina Severin-Kaiser war mit Herz und Seele angekommen in St. Petri. Man schätzte ihre Klarheit, ihre Offenheit, die positive und zupackende Art. Sie hatte eine große Neugier und Begabung, Traditionen weiterzuentwickeln und dabei die Menschen mitzunehmen Persönlich mochte ich ihre erfrischende Nüchternheit, ihren trockenen Humor, ihre warme Präsenz und ihre ganz und gar unprätentiöse, uneitle Art." [4].
    Der Trostgottesdienst fand am 20. Juli 2016 in der Hauptkirche St. Petri statt. Pastorin Martina Severin-Kaiser hinterließ drei Kinder, für die nun ihr Gatte Matthias Kaiser, Pastor an der nahe gelegenen Ev.-Luth. Tabita-Kirchengemeinde, zuständig ist. Eine Kranzspende wurde für das Qualifizierungsprojekt "Interkulturelles Lernhaus für Frauen in Hamburg" (Leitung: Irene Pabst) erbeten, dessen Trägerin die ACKH und das Frauenwerk der Nordkirche ist [5].
    Quellen:
    1 Ökumenisches Forum Hafencity und Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Hamburg ACKH: Trauer um Martina Severin-Kaiser. Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Hamburg und Ökumenisches Forum Hafencity erschüttert über den Tod einer ökumenisch engagierten Frau. Von Vikar Walter Jungbauer (Pressemitteilung ohne Datum)
    2 www.hauptkirche-stnikolai.de/2016/07/11/tiefe-anteilnahme-hauptpastorin-martina-severin-kaiser-ist-ploetzlich-gestorben
    3 www.kirchentag.de/no_cache/service/meldungen/berlin/juli_2016/ kirchentag_trauert_um_martina_severin_kaiser.html
    4 www.zeit.de/2016/30/nachruf-martina-severin-kaiser-st-petri-hamburg; Erstdruck in: DIE Zeit, Nr. 30, 14.7.2016, Hamburg-Teil, Seite 4
    5 Fünf Traueranzeigen im Hamburger Abendblatt, 16./17.7.2016, S. 28

    Doris Waschk-Balz

    Bildhauerin, Medailleurin
    Övelgönne 23 (Wohnadresse)
    Atelier in Ottensen
    Bestattet auf dem Friedhof Bernadottestraße

    Ornament Image
    26.11.1942
    Berlin
    -
    8.3.2025
    Hamburg
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    Doris Waschk-Balz entstammte einem Künstlerhaushalt. Sowohl ein Großvater als auch ihr Vater waren Bildhauer, die Ehefrau – ihre Großmutter – des als Bildhauer tätigen Großvaters war die Bremer Malerin Mili Plump (1879-1947), die in Worpswede gemalt hatte.

    Nach dem Abitur, welches sie in Heilbronn absolviert hatte, war der Berufswunsch noch nicht klar ausgeprägt. Doris Waschk-Balz wollte Kunsterzieherin oder Architektin werden. Sie begann 1964 an der staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart zu studieren und besuchte für zwei bis drei Semester die Keramikklasse von Ulrich Günther. Doch dann zog es sich mehr zur Bildhauerei und begann dieses Fach bei Rudolf Daudert zu studieren.

    1964 ging sie nach Hamburg und setzte ihr Studium der Bildhauerei bei Gustav Seitz an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg bis 1968 fort. Seitz Kunstwerke kannte sie schon lange, da er ein ehemaliger Studienkollege ihres Vaters und ehemaliger Schüler ihres Großvaters Wilhelm Gerstel (1879-1963) gewesen war.

    An der HfbK lernte sie auch ihren späteren Ehemann, den Zeichner und Buchillustrator Klaus Waschk (geboren 1941) kennen. Das Paar heiratete 1968, 1971 kam der Sohn Kolja auf die Welt.

    Während Klaus Waschk 1989 eine Professur im Fachbereich Gestaltung der Fachhochschule Hamburg (später umbenannt in Hochschule für angewandten Wissenschaften Hamburg) annahm und daneben freischaffend Arbeiten in Kunst und Illustration schuf, war Doris Waschk-Balz ab 1968 als freischaffende Künstlerin mit eigenem Atelier tätig.

    Im „Der neue Rump“ steht über Doris Waschk-Balz Kunst: „Ihr Generalthema ist der Mensch in seinen Zuständen, äußeren Situationen u. Beziehungen. Oft ist die menschl. Figur in Verbindung zu architektonischen Elementen gebracht, Wänden, Treppen, Rahmen, Kästen als Ausdruck für das menschliche Umfeld. Seit 1989 entstanden Ensembles, ‚Landschaften‘, in denen aus welligem Grund Figurengruppen herauswachsen. Arbeiten in Ton, Gips, Bronze, Terrakotta, Holz, Jute, Wachs, Vollplastik, Büsten und Relief. Der Weg führt von der Geschlossenheit der frühen Arbeiten mit umspannender Oberfläche zu einer offeneren Auffassung von Einzelfiguren bis zu Gruppierungen.“ 1)

    Viele ihrer Arbeiten sind in Hamburg und anderen umliegenden Städten im öffentlichen Raum zu sehen. „Am Großneumarkt in Hamburg steht ein aus Bronze gefertigter Brunnen mit einer Wendeltreppe, auf deren Stufen die Künstlerin unterschiedlich große Figuren platzierte. Der ‚Ottenser Torbogen‘ am Spritzenplatz in Hamburg-Ottensen, eine Bronzeplastik, in der sich eine sitzende und eine schreitende Frau einen Torbogen teilen, prägt seit 1980 das Stadtteilbild. 1985 konzipierte sie das umfangreiche Projekt der künstlerischen Gestaltung der Wohnsiedlung Essener Straße in Hamburg-Langenhorn mit 12 Einzelskulpturen und einer großen Skulpturengruppe. Außerdem sind u. a. das Amtsgericht Ahrensburg, die Fachhochschule Lüneburg, das Fernmeldeamt Heide und die Landeszentralbank Uelzen mit Kunstwerken von Doris Waschk-Balz geschmückt.

    Als Denkmal zeigt das Synagogenmahnmal (1982) an der Oberstraße in Hamburg einen zerrissenen Toraschreinvorhang mit Tora-Rolle und soll daran erinnern, dass die Tempelsynagoge von 1931 (erbaut von den Architekten Felix Ascher und Robert Friedman; heute Rolf-Liebermann-Studio des NDR) geschändet, aber nicht zerstört wurde. (…).“2)

    Im Auftrag des Vereins Garten der Frauen e. V. schuf Doris Waschk-Balz 2026 eine Terrakottaskulptur, die auf dem Ohlsdorfer Friedhof im Garten der Frauen im Rosenpavillon auf einem Sockel aufgestellt wurde. Mit dieser Skulptur erinnert der Verein Garten der Frauen an diejenigen Frauen, deren Grabsteine aus unterschiedlichen Gründen nicht in den Garten der Frauen verlegt werden. Im Sockel, auf dem die Skulptur steht, sind zwei Tafeln zum Ausziehen eingelassen. Auf ihnen sind die Namen und die Grablagen dieser Frauen, die auf dem Ohlsdorfer Friedhof bestattet sind, aufgelistet. Ihre Biografien sind auf der Website des Gartens der Frauen nachzulesen.

    Die Skulptur besteht aus zwei Terrakottafiguren. Die eine ist eine Büste, die andere eine kleine, aufrechtstehende Person. Beide schauen in unterschiedliche Richtungen. Getrennt sind sie durch ein wandartiges Element. Sie können sich deshalb nicht sehen, sind aber durch die Erinnerung miteinander verbunden und sich nahe.

    Doris Waschk-Balz wurde auch für Münzgestaltungen angefragt. So gestaltete sie Sonder- und Gedenkmünzen, zum Beispiel die vierte von fünf Sondermünzen, die die Bundesrepublik Deutschland für die Olympischen Sommerspiele 1972 in München prägen ließ.

    Quellen:

    1. Der Neue Rump. Lexikon der bildenden Künstler Hamburgs. Überarb. Neuauflage des Lexikons von Ernst Rump (1912). Hrsg. von Familie Rump. Ergänzt, überarbeitet und auf den heutigen Wissensstand gebracht von Maike Bruhns. 2. Aufl. Neumünster 2013, S.496.
    2. https://de.wikipedia.org/wiki/Doris_Waschk-Balz, abgerufen 6.4.2025.