Neue Biografien

Frauen auf der Erinnerungsskulptur
Bertha Rohlsen
geb. Rodatz
Mäzenin, Vorsitzende des Frauenklubs Hamburg

9.4.1852
–
2.12.1928
Grablage: Ohlsdorfer Friedhof, Z24-92. Erhaltenswertes Grabmal
Bertha Rohlsen, die mit ihrem Mann, dem Konsul Gustav Rohlsen in der Hammer Landstraße 225 lebte, fungierte als Vorsitzende des Frauenklubs Hamburg. Dieser befand sich von 1910 bis 1920 am Neuen Jungfernstieg 19 und später dann im Uhlenhorster Fährhaus.
Der exklusive Frauenklub war 1906 von der Ortsgruppe Hamburg des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF) zum geselligen Beisammensein unter Gleichgesinnten gegründet worden. Für die Mitglieder, die hauptsächlich aus der oberen, der „tonangebenden“ Gesellschaftsschicht kamen, stand die Verfolgung der eigenen Interessen im Mittelpunkt des Klublebens und nicht – wie es bei den vielen Frauen-Wohltätigkeitsvereinen der Fall war – die Hilfe für andere. So hieß es denn auch in der Klubsatzung: „Der Frauenklub Hamburg bezweckt, die geistigen, sozialen und materiellen Interessen seiner Mitglieder zu fördern, und zwar zunächst durch folgende Veranstaltungen: a. Lese- und Schreibzimmer b. Gesellschaftsräume c. Erfrischungsräume d. Schlafzimmer für Mitglieder oder für von diesen eingeführte Gäste e. Ausstellungsräume für schriftstellerische, künstlerische und kunstgewerbliche Erzeugnisse seiner Mitglieder.“ 1) Drei- bis viermal die Woche bot der Klub nachmittags und abends kulturelle Veranstaltungen, Diskussionsabende und Bildungskurse an. Die Lese- und Schreibzimmer wurden rege genutzt, hauptsächlich von denjenigen Frauen, die außerhalb Hamburgs wohnten und den Klub in der Innenstadt als standesgemäße Aufenthaltsmöglichkeit nutzten. Wer Mitglied werden wollte, musste von zwei Mitgliedern schriftlich empfohlen werden. Männer hatten als Gäste nur zu bestimmten Veranstaltungen Zutritt und dann auch nur zu den Erfrischungsräumen.
„Der ‚Frauenclub Hamburg‘ war also zunächst einmal eine Gruppe von Frauen, die sich eigene Räume für Veranstaltungen organisierten. Der Klub sollte ein ‚Gesellschaftshaus‘ werden, in dem ‚die gebildeten Frauen Hamburgs einen geistigen Mittelpunkt, eine Stätte künstlerisch, beruflicher und anregender Förderung‘ finden sollten. Als Mitgliederkreis waren Lehrerinnen, Malerinnen, Pianistinnen, Journalistinnen und andere künstlerisch oder freiberuflich tätige Frauen vorgesehen. Gesellschaftliche Schranken sollten zwar abgebaut werden, doch war der Kreis der Mitglieder nicht offen für alle. (…)
Auch hoffte der Vorstand, daß der Klub als ein verbindendes Element für die einzelnen Frauenvereine dienen könnte. (…) Unter den Gründungsmitgliedern befanden sich prominente Vertreterinnen der gemäßigten Frauenbewegung, wie Helene Bonfort [siehe: Erinnerungsspirale im Garten der Frauen], Bertha Wendt [siehe: historischer Grabstein im Garten der Frauen], Marie Kortmann [siehe: historischer Grabstein im Garten der Frauen] und Bertha Rohlsen (…)“ [2]
Bertha Rohlsen war die Schwester von Martha Rauert (11.9.1869–25.9.1958), die mit dem Juristen Paul Rauert verheiratet und passives Mitglied der Künstlervereinigung „Brücke“ war (gegr. 1905 in Dresden von Malern des Expressionismus). Martha und Paul Rauert besaßen eine große Kunstsammlung und luden zu Musikabenden und Lesungen in ihr Haus ein. Auch Bertha Rohlsen sammelte Kunst, so z. B. Werke von Alma del Banco, Alexandra Povorina und Schmidt-Rottluff. Und auch sie war Mitglied der „Brücke“ (seit 1908), und so wurde der Frauenklub Treffpunkt für Kunstliebhaberinnen. Luise Schiefler, eine der Gründerinnen des Frauenklubs, hielt dort Vorträge über Graphik. Weitere Mitglieder des Klubs waren u.a. Ida Dehmel und die Kunsthistorikerin Rosa Schapire. „Gebildete Frauen, die in gewerblichen Berufen tätig waren, fühlten sich offenbar nicht angesprochen bzw. meinten, den im Klub gepflegten Standard hinsichtlich der Kleidung und der zur Verfügung stehenden Zeit nicht entsprechen zu können. Eine anonyme Leserbriefschreiberin führte 1909 dazu aus: ‚Gerade in seiner glänzenden Ausstattung und dem vornehmen Ton, der dort herrscht, ist er ein wenig geeigneter Aufenthalt für die vielen gebildeten Damen, die tagtäglich in der Arbeit stehen und sich abends, oft schon recht ermüdet, nach einem zwanglosen Verkehr mit Gleichgesinnten sehnen, um sich neuen Mut zur Arbeit zu holen …). Da haben wir keine Zeit, erst große Toilette zu machen; wie unbeholfen aber fühlt man sich in seinem sonst so geliebten Arbeitskleid gegenüber den feinen Toiletten der anderen Damen und in den eleganten Räumen.‘“ 3) So wurden denn auch 1909 und 1910 zwei weitere Frauenklubs gegründet, die sich mehr an die anderen Frauen wendeten. 1911 besaß der Frauenklub Hamburg 765 Mitglieder. Text: Rita Bake
Quellen: [1] Zit. nach: Kirsten Heinsohn: Politik und Geschlecht. Zur politischen Kultur bürgerlicher Frauenvereine in Hamburg, Hamburg 1997, S. 150 [2] Kirsten Heinsohn, a. a. ., S. 150f. [3] Kirsten Heinsohn, a.a.O.; S. 152.
verstorbene Vereinsmitglieder
Doris Gercke
geb. Günther
Autorin

Doris Gercke auf der Eröffnungsfeier des Gartens der Frauen im Jahr 2000

88 Jahre
7.2.1937
-
25.7.2025
Bestattet auf dem Friedhof Bergedorf, Grablage: Abt. 68, Nr. 152-153.
Wir kennen Doris Gehrke als großartige Krimi-Schriftstellerin, vor allem auch als Schöpferin der Bella Block. Doch sie war viel mehr als Krimi-Schriftstellerin, sie war Lyrikerin, Drehbuchautorin und schrieb auch für Kinder. Dieser Weg war nicht vorhersehbar.
1937 wurde sie in einer Arbeiterfamilie in Greifswald geboren, 1949 flüchtete die Familie nach Hamburg. 1951 bis 1954 besuchte sie das Gymnasium Lerchenfeld, dann musste sie abbrechen, weil die Familie das Schulgeld nicht bezahlen konnte. Sie machte eine Ausbildung zur Verwaltungsbeamtin, heiratete mit 20 Jahren und bekam zwei Kinder. Nach der Geburt des zweiten Kindes 1959 gab sie ihren Beruf auf, lebte 15 Jahre lang als Hausfrau und Mutter in Hamburg-Bergedorf, betätigte sich schon damals aktiv politisch. Dann begann ein neuer Lebensabschnitt. Sie legte das Begabtenabitur ab und studierte Rechtswissenschaften. Sie wollte die Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft offenlegen und den davon belasteten Menschen helfen. Als Juristin hat sie jedoch nie gearbeitet, sie schrieb stattdessen ihren ersten Roman "Weinschröter, du musst hängen". Das war der Beginn ihrer langen erfolgreichen Schriftstellerinnen-Karriere.
Sie schrieb stets mit politischem Blick auf die dunklen Seiten der Gesellschaft, verstand sich als Linke (gehörte einige Jahre der DKP an), als Antifaschistin, als Feministin.
2015 gründete sie mit anderen Krimi-Schriftstellerinnen das Netzwerk HERLAND, der Anspruch war: Feministischer Realismus in der Kriminalliteratur. 2023 wurde sie zur Ehrenvorsitzenden ernannt. Sie sagte einmal: "Der Widerspruch zwischen der Lebensleistung der Frauen und ihrem gesellschaftlichen Ansehen ist gewaltig" Mit dieser Überzeugung fanden sie und ihr zweiter Mann Lothar Reckert schon früh zum Garten der Frauen. Beide haben ihre letzte Ruhestätte auf dem Friedhof in Bergedorf.
Text: Sigrid Meissner
Renate Herzog
86 Jahre, Verlagsvertreterin, Kommunalpolitikerin (SPD); Vorsitzende der Bezirksversammlung Hamburg-Nord

08.04.1937
-
16.02.2024 Hamburg
Elisabeth Mitzlaff
Künstlerinnenname: Elisabeth Vehlbehr
99 Jahre, Schauspielerin unter dem Künstlerinnennamen Elisabeth Vehlbehr

16.5.1915
–
6.6.2014
Elisabeth Mitzlaffs Schauspieltätigkeiten fanden hauptsächlich auf diversen Bühnen Hamburgs statt. Sie spielte zumeist klassische Rollen am Thalia-Theater und am Schauspielhaus Hamburg unter Gustaf Gründgens. Ihre sehr einprägsame, dunkle Stimme prädestinierte sie zudem für das Hörspiel. Anfang der 1950er-Jahre produzierte der damalige NWDR (heute NDR) mit Elisabeth Mitzlaff, unter ihrem Künstlerinnennamen Elisabeth Vehlbehr, mehrere Hörspiele, u.a. „Der alte Roboter (NWDR 1951) Autor: Christian Bock und „Einer lügt von Anfang an“ (NWDR 1951) Autor: Harro Torneck. Auch beim SDR und SWF wirkte sie in Hörspielen mit. 1953 heiratete sie den fünf Jahre älteren Architekten und Designer Hans Mitzlaff. Für ihn war es die zweite Ehe. Nach ihrer Heirat und der Geburt ihres gemeinsamen Sohnes lebte das Ehepaar in Mannheim, wo Hans Mitzlaff seit 1947 gemeinsam mit seinem Kollegen Albrecht Lange als selbständiger Architekt tätig war. Ihre letzte Rolle auf einer Theaterbühne spielte Elisabeth Mitzlaff 1960 am Mannheimer Nationaltheater in dem Ibsen-Stück „Hedda Gabler“. Danach widmete sie sich ihrer Familie. Hans Mitzlaff war als Architekt an zahlreichen Bauprojekten beteiligt. Er war ein großer Anhänger des Bauhaus-Stiles und so entstanden rund um den Mannheimer Marktplatz und an den Einkaufsstraßen „Planken“ und „Breite Planken“ eine beachtliche Zahl von Neubauten, welche Hans Mitzlaff konzipiert hatte. Als sein bekanntestes architektonisches Werk galt der neue Anbau der Mannheimer Kunsthalle, welcher 1983 erfolgte. 2014 wurde im Zuge einer Neugestaltung der Kunsthalle dieser Bau jedoch wieder abgerissen. Elisabeth und Hans Mitzlaff waren kulturell und politisch sehr interessierte Menschen. Beide engagierten sich im Mannheimer Kunstverein und in der „Gesellschaft für neue Musik“. Sie begeisterten sich für moderne und abstrakte Malerei. Das Paar bewohnte in Mannheim eine großzügige 4 Zimmer Wohnung im Stadtteil Lindenhof am Waldparkdamm Nummer 4. Dort hatten sie genügend Raum für ihre Sammelleidenschaft. Neben vielen Gemälden befanden sich dort auch eine Stein- und Konchyliensammlung. Elisabeth Mitzlaff erzählte in späteren Jahren immer wieder gerne und begeistert von ihrer Schauspieltätigkeit in Hamburg. Ihrer Heimatstadt blieb sie ein Leben lang fest verbunden. Obwohl sich das Paar gut in Mannheim eingelebt hatte, verspürte Frau Mitzlaff doch eine gewisse Sehnsucht nach ihrer Heimat und ihrem Beruf. Sie lebte jedoch in einer Zeit, in welcher es für viele Frauen ganz natürlich war, sich nach der Heirat voll und ganz auf den Ehemann und ihre Rolle als Hausfrau und Mutter zu konzentrieren. Bei Elisabeth Mitzlaff war es deshalb umso schmerzlicher, weil sie als talentierte Frau eine fundierte Ausbildung absolviert hatte und sicherlich noch viele Jahre als Schauspielerin hätte arbeiten können. Ihre schwerste Prüfung stand Elisabeth Mitzlaff jedoch noch bevor. Anfang der 1990er-Jahre zeigten sich bei ihrem Mann erste Anzeichen einer Alzheimer-Erkrankung, welche zügig voranschritt und den Lebensabend des Paares außerordentlich belastete. Von 1992 bis zu seinem Tod war Hans Mitzlaff auf die Unterstützung durch die Mitarbeiter eines ambulanten Pflegedienstes angewiesen. Elisabeth Mitzlaff gab ihren Mann nicht in ein Pflegeheim, sondern umsorgte ihn fast die ganzen Jahre aufopfernd und geduldig in der gemeinsamen Wohnung. Sie war ein außerordentlich empathischer und integrer Mensch. Die letzten Monate seines Lebens verbrachte Hans Mitzlaff in der Pflegeabteilung der Seniorenresidenz Niederfeld in Mannheim, wo er im Oktober 1997 im Alter von 87 Jahren verstarb. Elisabeth Mitzlaff zog zurück nach Hamburg und verbrachte ihren Lebensabend in der Seniorenresidenz Stiftung Altenheim St. Johannis – St. Nicolai, am Mittelweg 106. Noch lange lernte Elisabeth Mitzlaff, um ihr Gedächtnis zu schulen und weil sie es als ehemalige Schauspielerin gewohnt war, Texte und Gedichte auswendig. Sie starb im Alter von 99 Jahren. Text: Klaus Enser-Schlag
Marie Nejar
Künstlerinnenname: Leila Negra
95 Jahre, Krankenschwester, Schauspielerin, Sängerin


20.3.1930
Mühlheim a. d. Ruhr
-
11.5.2025
Hamburg
Kielortallee 26 (Wohnadresse)
Marie Nejar war die nichteheliche Tochter der 1909 in Altona geborenen Sängerin Cécilie Nejar und des Kapitänsstewards aus Ghana Albert Yessow, der in England lebte und oft, wenn sein Schiff in Hamburg anlegte, seine Tochter in Hamburg besuchte.
Marie Nejar wurde in einem Krankenhaus in Mühlheim geboren und kam ins dortige Waisenhaus. Ihre Mutter, die lange versucht hatte, die Schwangerschaft zu verbergen, wollte ihre Tochter zur Adoption freigeben. Doch die verwitwete Großmutter Mary Nejar, geborene Wüstenfeld holte ihre Enkelin nach Hamburg, wo sie mit ihr auf St. Pauli lebte. Auch Marie Nejars Mutter wohnte auf St. Pauli und trat dort in verschiedenen Bars und Kneipen als Sängerin auf.
Marie Nejar wuchs nun bei ihrer Großmutter auf, die bis zu seinem gewaltsamen Tod (aus rassistischen Gründen erschossen) mit dem Kellner und Kreolen aus Martinique Joseph Nejar verheiratet gewesen war, mit dem sie zwei Kinder hatte: Marie Nejars Mutter Cécilie und Alphons.
Als Marie Nejar zehn Jahre alt war, starb ihre Mutter im Alter von 31 Jahren nach einer missglückten Abtreibung.
Als die Nationalsozialisten die Macht übernahmen, war Marie Nejar Anfeindungen und Verfolgung ausgesetzt.
Als Propagandaminister Joseph Goebbels für UFA-Filme schwarze Kinder suchte, die als „Buschvolk“ auftreten sollten, bekam Marie Nejar 1942 durch Vermittlung einer Freundin ihrer Mutter in dem mit Hans Albers gedrehten Film „Münchhausen“ die Rolle einer schwarzen Dienerin und 1944 in dem mit Heinz Rühmann gedrehten Filme „Quax in Afrika“ eine kleine Rolle als Tochter eines Stammeshäuptlings. Dazu äußerte Marie Nejar viele Jahre später: „Mir war damals die Tatsache nicht klar, dass die Schwarzen in den Filmen der Nazizeit missbraucht wurden, um die Ideologie der Nationalsozialisten zu untermauern. Für mich zählte damals nur der Glanz der Filmwelt, von dem ich ein Teil zu werden glaubte.“
Nach dem Abschluss der Volksschule im Frühjahr 1944 wollte Marie Nejar die Handelsschule besuchen. Doch sie wurde davon ausgeschlossen und musste in einer Keks- und Zwiebackfabrik am Berliner Tor Zwangsarbeit leisten.
Nach Kriegsende und der Befreiung vom Nationalsozialismus arbeitete Marie Nejar 1948 als „Page“ im Pagen-Anzug an der Garderobe der am Neuen Wall gelegenen „Er und Sie-Bar“. Nach dem Tod ihrer Großmutter, die 1949 starb, war Marie Nejar zusätzlich noch als Zigarettenverkäuferin in der Timmendorfer Strandhalle tätig.
An einem Nachmittag des Jahres 1948/50, so Marie Nejar: „sortierte ich meine Zigaretten für den Abend. Irgendwoher hörte ich aus einem Radio Horst Winter das ‚Negerwiegenlied‘ singen und ich summte mit. Da wurde ich von einem Musiker aufgefordert, mal ins Mikrofon zu sprechen, irgendwas sei damit nicht in Ordnung. Weiterhin summend und dann leise singend stellte ich mich auf die Bühne und sang das Negerwiegenlied. Irgendwann wurde ich von Hans, einem der Musiker unterbrochen: ‚Lass gut sein, wir hören dich nicht, das Mikro ist offensichtlich kaputt‘. Also ging ich wieder zu meinen Zigaretten zurück. Am Abend gingen immer mehr Besucher auf den Strandhallenbesitzer zu, um zu erfahren, wer denn da gesungen habe. ‚Am Nachmittag ist dieses Negerwiegenlied über den ganzen Strand zu hören gewesen, im Vordergrund sang die Frau und ganz leise im Hintergrund Horst Winter.‘ Plötzlich sprang Hans auf, klopfte auf das angeblich defekte Mikro und stellte fest, dass es nach draußen eingestellt war.“ Von nun an durfte Marie Nejar abends als Sängerin auftreten.
Als der Schallplattenproduzent Gerhard Mendelson im Sommer 1950 Marie Nejar in der Strandhalle singen hörte, bot er ihr einen Schallplattenvertrag an. In Wien wurde mit ihr das Lied „Mach nicht so traurige Augen, weil du ein Negerlein bist“ für die Schallplattenproduktion aufgenommen. Auch bekam sie nun einen Künstlerinnennamen verpasst: Leila Negra. Dieser Name sowie weitere Liedtexte wie „12 kleine Negerlein“ verdeutlichen den alltäglichen Rassismus im damaligen Deutschland. Je länger ich den Titel ‚Mach nicht so traurige Augen‘, im Repertoire hatte, umso bewusster wurde mir, wie wichtig dieses Lied für das Nachkriegsdeutschland war. Nach meinen Auftritten kamen immer wieder junge weiße Mütter mit schwarzen Kindern hinter die Bühne, um mir zu erzählen, wie ihre Töchter oder Söhne angefeindet wurden.“
Zwischen 1952 und 1957 ging Marie Nejar auf viele Tourneen unter dem Motto „Musik kennt keine Grenzen“. Unter den Künstlerinnen und Künstlern, die mit dabei waren, waren u. a. Conny Froboess, Lale Andersen, Ilse Werner, Evelyn Künnecke und auch Peter Alexander, den Marie Nejar als besten Kollegen bezeichnete, denn er half ihr über alle Anfangsschwierigkeiten hinweg. Mit ihm hatte sie auch einen großen Schlagererfolg mit dem 1952 produzierten Schlager „Die süßesten Früchte fressen nur die großen Tiere“, den beide im Duett sangen.
Über ihre weitere Karriere erzählte Marie Nejar: „Obwohl ich inzwischen [1956-1957] auf Ende Zwanzig zuging, bekam ich keine neuen Songs geschrieben und durfte auch nicht die Schlager von ‚erwachsenen‘ Kollegen interpretieren. Auf einmal standen sämtliche Lieder der kleinen Cornelia Froboess wie ‚Pack die Badehose ein‘ oder ‚Für die große Liebe bin ich noch zu klein‘ auf meinem Programm. Ich konnte mich nicht dagegen wehren. Ich mochte Conni sehr gerne, wir waren häufig zusammen auf den Tourneen und hatten viel Spaß miteinander. Aber diese nette Kinderwelt in den Schlagern hatte überhaupt nichts mit meinem Leben als Frau zu tun, die sich über ihre Zukunft Gedanken machte. Auch wenn ich noch immer wie ein Teenager aussah, meine Wünsche waren die einer Frau. Ich sollte weiterhin die naive Leila Negra spielen, die einst von meinem Schallplattenproduzenten kreiert worden war. Nur so würde ich Erfolg haben und sie an mir Geld verdienen. Das Singen machte mir immer weniger Freude.“ Hinzu kam noch, dass Marie Nejar oft mit einem großen Teddy im Arm auftreten musste, um als Kind und nicht als Erwachsene gesehen zu werden.
Marie Nejar wirkte in fünf Filmen mit und hatte ca. 30 Schlageraufnahmen. 1957 endete ihre Karriere als Sängerin. Ihre Schallplattenfirma entließ sie, was Marie Nejar als Segen empfand. Diesen Circus der Eitelkeiten und die ihr zugewiesene Rolle der süßen Kleinen Schwarzen, die nie erwachsen werden darf, wollte sie nicht mehr mitmachen und bedienen. Marie Nejar ließ sich zur Krankenschwester ausbilden und arbeitete in diesem Beruf bis zu ihrem Rentenalter. 2007 erschienen ihre Lebenserinnerungen.
2009 wurde Marie Nejar Mitglied des Vereins Garten der Frauen und engagierte sich in der „Gartengruppe“, die den Garten der Frauen gärtnerisch pflegt. 2010 organisierte der Verein Garten der Frauen eine Lesung mit ihr im Eppendorfer Park, im dort aufgestellten Circuszelt.
Marie Nejar pflegte auch engen Kontakt zur afrodeutschen Community Hamburgs. Sie war sehr sportlich, fuhr hervorragend Schlittschuh – oft auf der Eisbahn in den Hamburger Wallanlagen und liebte Tiere.
Quelle:
Marie Nejar, Regina Carstensen: Mach nicht so traurige Augen, weil du ein Negerlein bist. Meine Jugend im Dritten Reich. Reinbek b. Hamburg 2007.
Frauen auf anderen Hamburger Friedhöfen
- https://damm-mann.de/anwaelte/renate-damm/ (abgerufen: 29.6.2025.)
- Springer-Justiziarin Renate Damm verstorben. Rechtsanwältin kämpfte für „Bild“ und „Welt“, und für die Emanzipation, Hamburger Abendblatt, Nr. 136 2025.
- Wikipedia: Renate Damm, unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Renate_Damm_(Juristin) (abgerufen: 29.6.2025)
- Traueranzeige des djb, in: Hamburger Abendblatt vom 21.6.2025.
- Traueranzeige des FDP Landesverband Hamburg, FPD Bezirks- und Kreisverband Eimsbüttel, in: Hamburger Abendblatt vom 21.6.2025.
- Juristinnen in Deutschland. Hrsg. Deutscher Juristinnenbund. 3. Aufl. Baden-Baden 1998, S. 75.
- Juristinnen in Deutschland, a. a. O., S. 76.
- https://damm-mann.de/anwaelte/renate-damm/ (abgerufen: 29.6.2025.)
- Wer soll Einzelzimmer bezahlen?
- Wie müssen Heimstrukturen umgebaut/neu gebaut werden?
- Wie müssen sich die Arbeitsprozesse in den Heimen verändern UND wer macht das?
- Seite „Ursula Preuhs“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 16. November 2024, 01:20 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Ursula_Preuhs&oldid=250383110 (Abgerufen: 17. November 2024, 15:23 UTC)
- Ebenda
- Wandsbek-Medaille in Silber 1997 und 2008 durch die Bezirksverwaltung,
- Medaille für treue Arbeit im Dienste des Volkes in Bronze 1998 durch den Hamburger Senat,
- Portugaleser »Bürger danken« in Bronze 2007 durch den Zentralausschuss Hamburgischer Bürgervereine,
- Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland 2012.
- Der Neue Rump. Lexikon der bildenden Künstler Hamburgs. Überarb. Neuauflage des Lexikons von Ernst Rump (1912). Hrsg. von Familie Rump. Ergänzt, überarbeitet und auf den heutigen Wissensstand gebracht von Maike Bruhns. 2. Aufl. Neumünster 2013, S.496.
- https://de.wikipedia.org/wiki/Doris_Waschk-Balz, abgerufen 6.4.2025.
Renate Damm
Vorsitzende des Deutschen Juristinnenbundes e. V., Rechtsanwältin

27.9.1935
-
7.6.2025
Friedhof Bergstedt.
Renate Damm studierte Jura in Erlangen und Hamburg und legte 1959 ihr erstes und 1963 ihr zweites juristisches Staatsexamen ab. Nach ihrem Jurastudium wurde Renate Damm 1963 als Rechtsreferendarin von dem Verleger Axel Springer eingestellt und avancierte 1967 zur Leiterin der Rechtsabteilung des Axel-Springer-Verlages. „1985 übernahm sie die Leitung der Stabsabteilung Recht der Axel Springer Verlag AG.“ 1)
In einem Nachruf des Hamburger Abendblattes heißt es: „Damm bekam in ihrer über 30-jährigen Karriere bei Springer alle Höhen und Tiefen des teilweise stark umstrittenen Verlags mit. Wie die ‚Bild‘-Zeitung in ihrem Nachruf berichtet, soll Axel Springer Damm einmal als den ‚einzigen Mann im Haus‘ bezeichnet haben.
Damm war dabei immer emanzipatorisch unterwegs und hatte im Justiziariat bereits früh eine 50-Prozent-Quote für Frauen durchgesetzt. (…).“ 2)
Renate Damm, die zwei Mal verheiratet gewesen war und einen Sohn hatte, wechselte 1996 im Alter von 61 Jahren in das Hamburger Büro der Sozietät der Bonner Kanzlei Redeker Schön Dahs & Sellner. Im Jahr 2000 „gründete sie in Hamburg die Kanzlei Damm & Mann, in der sie bis zum Jahr 2022 mit Schwerpunkt Presse-, Arbeits-, Vertrags- und Urheberrecht tätig war.“3)
Renate Damm engagierte sich ehrenamtlich auch standes- und parteipolitisch und setzte sich dabei für die Rechte der Frauen ein.
Von 1979 bis 1983 fungierte sie als Mitglied des Bundesvorstandes des deutschen Juristinnenbundes e. V. (djb), ab 1983 als deren Erste Vorsitzende. Später wurde sie Ehrenpräsidentin des Deutschen Juristinnenbundes.
„In ihrer Amtszeit verdoppelte sich die Mitgliederzahl. Ihr Wunsch war, dass jede Juristin selbstverständlich Mitglied im djb ist und dass Frauen Führungspositionen zur Normalität werden.
Renate Damm hat den djb sowohl in ihrer Amtszeit als Erste Vorsitzende als auch in den mehr als 50 Jahren ihrer Mitgliedschaft insgesamt stark geprägt,“ 4) heißt in der Traueranzeige des djb.
Parteipolitisch engagierte sich Renate Damm in der FDP. Über 50 Jahre war sie deren Mitglied. Von 1987 bis 1989 fungierte sie als stellvertretende Landeschefin der Elbliberalen.
„Ihre wichtigste Zeit in der FDP war in der Bundespolitik die Zusammenarbeit mit Hans-Dietrich Genscher. Er hatte auf ihren Wunsch, die Gleichberechtigungskommission der Bundesländer gegründet. In dieser Kommission wurden zahlreiche Gesetze erarbeitet. Das Wichtigste war das Gesetz zur Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe.
Für ihr politisches Engagement ist Renate Damm 1990 mit dem Bundesverdienstkreuz erster Klasse ausgezeichnet worden. Sie wurde 2008 von der FDP mit der ‚Liberta‘, dem Ehrenpreis für Frauen, ausgezeichnet. 2011 wurde sie vom deutschen Anwalt Verein (DAV) für Ihre herausragende Rolle als Anwältin mit dem Marie-Otto-Preis ausgezeichnet. Seit 2016 war sie Ehrenmitglied der FDP Hamburg. (…),“ 5) ist im Nachruf des FDP Landesverbandes Hamburg nachzulesen.
Renate Damm und Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit verfassten 1984 eine umfangreiche Stellungnahme zu dem Referentenentwurf des sogenannten Unterhaltsänderungsgesetzes. Es wurden die darin vorgeschlagenen Kürzungen des Unterhalts abgelehnt, denn solche Kürzungen würden allein zu Lasten derjenigen Frauen gehen, „die nur deshalb sozial nicht abgesichert sind, weil sie sich in Übereinstimmung mit dem Ehepartner auf die Versorgung der Familie beschränkt haben. Der DJB formulierte deshalb eigene Beschränkungsmöglichkeiten, durch die sichergestellt werden sollte, dass Frauen, die langjährige Familienarbeit geleistet haben, von den neuen Kürzungsvorschriften ausgenommen wurden.“ 6)
1985 vertraten Frau Dr. Peschel-Gutzeit und die damalige Vorsitzende des „Deutschen Juristinnenbundes“ Renate Damm ihre Reformvorschläge auf einer vom Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages durchgeführten Anhörung. Es konnte erreicht werden, da ´die ‚Kürzungsgefahr und der damit vorprogrammierte soziale Abstieg für Frauen, die langjährige Familienarbeit geleistet haben, gebannt wurden.“ 7)
Renate Damm war auch daran beteiligt, dass Frauen nach der Hochzeit nicht mehr den Nachnamen ihres Ehemannes tragen müssen.
Renate Damm war von 1989 bis 1995 auch: „Mitglied im geschäftsführenden Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft der Syndikus-Anwälte im Deutschen Anwaltverein; bis 2001 langjähriges Mitglied im Rechtsausschuss des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger e.V. (VDZ) [und von] 1983 bis 2002 (…) Lehrbeauftragte für Medienrecht an der Universität München und von 1992 bis 2002 Dozentin für Presserecht am Institut für Kultur- und Medienmanagement der Hochschule für Musik und Theater, Hamburg.“ 8)
Quellen:
Hannelore Hoger
Schauspielerin, Theaterregisseurin, Hörbuch- und Hörspielsprecherin

© Kulturkarte.de/Hans-Jürgen Schirmer

20.8.1939
Hamburg
–
21.12.2024
Hamburg
Bestattet auf dem Friedhof Bernadottestraße in Hamburg-Altona, Grablage: IB 266ab.
Als Charakterdarstellerin wurde Hannelore Holger vielfach ausgezeichnet, mit dem Grimme-Preis etwa und der Goldenen Kamera. Als Schauspielerin an mehreren Theatern, in Filmen und TV-Filmen wurde sie gefeiert. Außerdem als Sprecherin in Hörspielen und Hörbüchern.
Sie arbeitete mit der Regisseurin Margarethe von Trotha und dem Regisseur Volker Schlöndorff für den Film "Die verlorene Ehre der Katarina Blum", auch mit Helmut Dietl, Alexander Kluge, Peter Zadek. Mit dem Hamburger Ulrich Waller auch am Hamburger Schauspielhaus. Waller bescheinigte ihr "einen untrüglichen Gerechtigkeitssinn".
Den bewies sie auch in der Krimifilm-Serie, mit der sie einem breiten TV-Publikum bekannt wurde: Bella Block, die zur Kultfigur gewordene etwas raubeinige Kriminalkommissarin nach den Romanen von Doris Gercke (siehe zu ihr: Bergedorfer Friedhof), im ZdF von 1994 bis 2018. In einer anderen Serie gab sie die Privatdetektivin Charlotte Burg, auch in der Krimireihe "Die Drei" war sie dabei. 2014 hatte sie in dem TV-Film "nichts für Feiglinge" den Mut, eine an Demenz erkrankte Frau zu spielen.
Ihre Schauspielkunst lernte sie schon als Kind. Als 6-Jährige stand sie auf der Bühne im Ohnsorg-Theater. Ihr Vater Leo Hoger war dort Schauspieler und Inspizient. Ihre Mutter Johanne Hoger war Schneiderin. Hannelore Hoger schützte ihr Privatleben vor Indiskretionen. Sie zog ihre Tochter Nina - inzwischen auch eine große Schauspielerin - allein groß. In einem Interview in der Zeitschrift "Frau im Spiegel" sagte sie: "Nina ist der wichtigste Mensch in meinem Leben. Ich kann mich immer auf sie verlassen. Bedingungslos". 2017 erschien ihr Buch "Ohne Liebe trauern die Sterne." Nach dem Ende der Bella Block-Serie beendete sie ihre Schauspieler-Karriere, war aber regelmäßig mit Lesungen unterwegs.
Nach ihrem Tode wurde sie von vielen ihrer Wegbegleiterinnen und Begleiter verabschiedet. Ihr Grab befindet sich auf dem Friedhof Bernadottestraße.
Text: Sigrid Meissner
Ingrid Jungesblut
Kommunalpolitikerin, Leiterin einer Altentagesstätte

29.5.1930
-
24.8.2015
Vera Jürs
geb. Warwas
Politikerin, Bürgerschaftsabgeordnete (CDU)


9.10.1944
Gleiwitz/Oberschlesien
-
16.3.2019
Hamburg
Bestattet auf dem Alten Friedhof Hamburg Niendorf, Grablage: Abteilung A6, Reihe 80, Nummer 1.
Nach dem Besuch des Gymnasiums absolvierte Vera Warwas ab 1962 eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester und arbeitete dann zwischen 1964 und 1978 als Kauffrau. 1964 heiratete sich den Bestattungsunternehmer Erwin Jürs, in dessen Betrieb sie mitarbeitete und mit dem sie vier Kinder bekam. 1990 trat sie der CDU bei und engagierte sich dort aktiv. So war sie Mitglied in verschiedenen Parteiausschüssen und stellvertretende CDU-Ortsvorsitzende in Harvestehude, Lokstedt und Niendorf-Schnelsen. Von 1993 bis 2000 amtierte sie als CDU-Mitglied in der Bezirksversammlung Eimsbüttel. 2000 bis 2001 sowie von 2006 (als Nachrückerin für Thorsten Kausch) bis 2008 und von 2009 (ab November 2009 als Nachrückerin für Rüdiger Kruse) bis 2011 gehörte sie als Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft der CDU-Fraktion an und war im bürgerschaftlichen Sozialausschuss sowie im Familien-, Kinder- und Jugendausschuss tätig. Während ihrer Amtszeit als Bürgerschaftsabgeordnete forderte sie z. B. 2001 ein Amt für Verbraucherschutz. Dazu heißt es in einem von Saskia Tants verfassten Artikel der „Welt am Sonntag“ vom 11.2.2001 unter der Überschrift „Hamburg braucht Amt für Verbraucherschutz“: „Die Bürgerschaftsabgeordnete Vera Jürs von der CDU will damit behördliche Nahrungskontrollen nach bayerischem Vorbild sicherstellen . (…) ‚Wir brauchen diese Behörde als Kontrollinstanz‘, sagt die verbraucherpolitische Sprecherin der CDU (…). ‚Das hat uns die BSE-Krise gezeigt.‘ (…) Die neue Behörde soll aufklären und umfassend informieren, ‚und zwar über alle Hiobsbotschaften, von denen wir derzeit aus den Medien erfahren‘, sagt Vera Jürs.“ Ein anderes Thema, mit dem sich Vera Jürs als Abgeordnete beschäftigte, waren z. B. die Todesfälle durch die Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung (CJK). 2000 warf Vera Jürs dem Hamburger Senat vor, „‘unwahre‘ Angaben über Todesfälle durch die Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung gemacht zu haben“, so das Hamburger Abendblatt in seinem Artikel „18 Tote zwischen 1994 und 1999“ vom 2.12.2000. darin heißt es weiter: „laut BAGS-Statistik sei 1998 in Hamburg kein CJK-Toter gemeldet worden. Das Bestattungsunternehmen ihres Ehemannes habe aber 1998 drei Tote durch CJK aus Hamburg beerdigt, sagte Vera Jürs (…). Der Sprecher der BAGS, Stefan Marks, und das Abendblatt prüften die Angaben. Ergebnis: Es gibt zwei unterschiedliche Statistiken für die Erfassung von CJK-Todesfällen. 1. Die Todesursachenstatistik des Statistischen Landesamtes. Sie beruht auf der Auswertung von Totenscheinen. 18 Tote sind zwischen 1994 und 1999 erfasst worden, 1998 waren es zwei. 2. Die Meldepflicht der Ärzte für Sterbefälle an der nicht erblichen Form von CJK. Laut BAGS: 10 Tote zwischen 1994 und 1999. 1998 wurde keiner gemeldet. Die letzte Statistik liegt Vera Jürs seit März dieses Jahres vor. Wie erklärt sich die Differenz zur Todesursachenstatistik, immerhin acht Fälle? ‚In der Todesursachenstatistik werden auch Hamburger Bürger erfasst, die außerhalb von Hamburg gestorben sind. Außerdem umfasst sie nicht nur die nicht erbliche Form von CJK, sondern auch die erbliche Form‘, erklärt Marks. Ein weiterer möglicher Grund der unterschiedlichen Ergebnisse: Sowohl die Erkrankung an CJK als auch der Tod durch CJK sind seit 1994 meldepflichtig. ‚Möglich ist, dass ein Arzt zwar einen Patienten mit CJK meldet, aber nicht auch noch dessen Tod‘, räumt Marks ein.“ (www.abendblatt.de/archiv/2000/article204387495/18-Tote-zwischen-1994-und-1999.html) Als Bürgerschaftsabgeordnete kümmerte sich Vera Jürs, die langjährig auch stellvertretende Landesvorsitzende der Senioren Union der Hamburger CDU sowie Kreisvorsitzende der Senioren-Union Eimsbüttel war, um die Situation von Seniorinnen und Senioren. So stellte sie z. B. im Jahr 2010 eine Kleine Anfrage an den Senat betrifft: Ambulantisierung der Pflege in Wohngemeinschaften“ (Drs. 19/6040 vom 4.5.2010) und stellte dem Senat die Frage wie es um diese Form altersgerechten Wohnens bestellt sei, denn immer mehr Seniorinnen und Senioren suchen alternative Wohnprojekte, da sie auf der einen Seite noch agil sind, so dass sie nur leichte pflegerische Unterstützung bedürfen. Deshalb seien „kleinräumige Versorgungsstrukturen in Haus- und Wohngemeinschaften immer mehr gefragt“. (Kleine Anfrage Drs. 19/6040). Vera Jürs fungierte auch lange Jahre als Vorsitzende im Bürgerhaus Niendorf. Text: Rita Bake
Quellen: Vgl.: wikipedia: Vera Jürs, unter: de.wikipedia.org/wiki/Vera_Jürs abgerufen 1. 1. 2020; vgl. auch: Niendorfer Wochenblatt vom 27.3.2019: Trauer im Vera Jürs, unter: www.niendorfer-wochenblatt.de/2019/03/27/trauer-um-vera-juers/
Ursula Preuhs
Bürgerschaftsabgeordnete


© Kulturkarte.de/Hans-Jürgen Schirmer

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30.9.1931
Hamburg
-
4.11.2024
Hamburg
Quellen: Inge Grolle, Rita Bake: „Ich habe jonglieren mit drei Bällen geübt“. Frauen in der Hamburgischen Bürgerschaft 1946 bis 1993. Hamburg 1995, S. 381. 1) Seite „Ursula Preuhs“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 16. November 2024, 01:20 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Ursula_Preuhs&oldid=250383110 (Abgerufen: 17. November 2024, 15:23 UTC) 2) Ebenda 3) EbendaTrauerrede, gehalten von Inka Damerau Liebe Ulla, lieber Heinz, liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde, liebe Trauergemeinschaft, Eine herzliche und kluge, streitbare Sozialdemokratin durch und durch – eine beeindruckende Politikerin - eine politische Freundin. Ursel Preuhs ist tot. Ihr 93-jähriges langes Leben war geprägt von ihrer grundständigen Haltung, dass diese Gesellschaft Freiheit, Demokratie und Frieden braucht. Dafür ist Ursel ihr Leben lang politisch und gesellschaftlich aktiv geblieben. Ihre politische Heimat war die Sozialdemokratie, der sie 1953 beitrat – in dem Jahr, in dem Paul Nevermann als Vorsitzender die SPD-Fraktion in der Bürgerschaft anführte (nach der verlorenen Wahl gegen den vereinigten Bürgerblock). Ihre Erlebnisse in den Kriegsjahren und die permanente Bedrohung der Familie durch die Nazis (Ihr Vater Paul war ein engagierter Gewerkschafter und Sozialdemokrat) in ihrer Kindheit und Jugend – die Erfahrungen in der Nachkriegszeit mit Hunger und Kälte sind bestimmt eine lebenslange Prägung für Ursel gewesen und erkennbar die Triebfeder aus der heraus sie ihre grundsätzliche Haltung immer wieder betont hat, Frieden und Demokratie als unabdingbare Voraussetzung für die Gestaltung der Gesellschaft. Dies bis hinunter in kommunale und soziale Fragen. Das war sozusagen ihr Credo – ihr Handlungsleitfaden. Von 1966 bis 1986 war Ursel Bezirksabgeordnete danach bis 1997 Bürgerschaftsabgeordnete. Sie war über viele Jahre hinweg Mitglied des Kreisvorstands Hamburg-Nord. Im Anschluss an ihre Abgeordnetenzeit in der Bürgerschaft 1997 hat sie weitere 20 Jahre als Vorsitzende des Bezirksseniorenbeirates und parallel auch zeitweise als Mitglied im Landesseniorenbeirates die Senior*innenpolitik im Bezirk und in Hamburg geprägt. Und natürlich war sie Gewerkschafterin. Egal wo: Wenn Ursel sich zu Wort meldete und anfing, mit „Ich sag mal …“, dann wussten alle: Das war nicht einfach daher gesagt, sondern in aller Regel ein kluger Gedanke, ein wichtiger Hinweis, eine gute Lösung, … Meine eigenen Begegnungen mit Ursel begannen, als ich 1991 als Juso-Vertreterin in den SPD Kreisvorstand Hamburg Nord gewählt wurde, später als Kreisvorsitzende und schließlich von 2008 bis 2021 als stellv. Landesvorsitzende. Kontakt und Zusammenarbeit mit Ursel war immer auf Augenhöhe, inspirierend, manchmal anstrengend, aber immer motivierend. Für Ursel lagen die politischen Themen, denen sie sich in der Bezirks- und Landespolitik gewidmet hat, auf der Hand: Bis weit in die 1960er Jahre hinein war der Wiederaufbau der zerstörten Stadt nach dem Krieg das zentrale Thema: Wohnungsbau, Schulbau und Schulversorgung, Kinderbetreuung, Schaffung von Jugendeinrichtungen, die Instandsetzung der Verkehrsinfrastruktur, das Gesundheitswesen und natürlich der Aufbau demokratischer Strukturen. Und weil es ja um die konkreten Lebensverhältnisse der Bürger*innen ging, war Ursel umfassend mit nahezu allen Themen beschäftigt. In ihren Funktionen und Mandaten hat Ursel in vielen dieser Fragen die politische Arbeit langfristig geprägt. Heute wissen wir das: Politik, vor allem in Hamburg Nord war ohne Ursel Preuhs kaum vorstellbar und zeigt bis heute Wirkung. ein Beispiel: Heute wie damals ist der mangelnde Wohnraum – sozusagen als Dauerbrenner unterwegs. Wenn Politikerinnen heute in ihre Planungen gehen, dann können sie auf Standards zurückgreifen, die genau in den 1960 er Jahren und danach erstritten worden sind – dies oftmals auch nach schmerzhaften Lernerfahrungen: So führte der Bau von Großsiedlungen wie Steilshoop, Mümmelmannsberg und Osdorfer Born in der Folge zu sehr streitbaren Auseinandersetzungen innerhalb unserer SPD und in der Stadt: Wie müssen Stadtteile und Quartiere und somit eben auch das Bauen sich entwickeln, damit die Menschen gesund und sozial leben können? – im Kontakt mit anderen? - damit sich Gemeinschaften entwickeln können. Das waren auch höchst streitbare Diskussionen unter den Bedingungen eines anhaltenden Wohnraummangels, dem mit hochverdichtetem Bauen begegnet werden sollte. Und trotz dieses Mangels, der selbstverständlich auch großen Druck erzeugte, hat es Ursel und ihre damaligen Mitstreiter*innen nicht davon abgehalten, die notwendigen Auseinandersetzungen über qualitative Fragen des Wohnens und des Städtebaus zu führen. UND weil es Ursel stets um machbare Lösungen - auch im Sinne der Finanzierbarkeit für Menschen mit nicht so dickem Geldbeutel - ging, entstand nach nächtlichen Diskussionen an ihrem Esstisch u. a. die Idee von Kleingenossenschaften. Diese Idee wurde tatsächlich Wirklichkeit und konnte später am Brödermannsweg in Groß Borstel und mit der Wolfgang Borchert Siedlung verwirklicht werden. Viele von Euch wissen, dass an diesem Esstisch auch noch viele andere gute Gedanken ihren Ursprung hatten – nach langen Diskussionen natürlich. Themen, die Ursel während der ganzen Jahrzehnte ihres politischen Einsatzes fest im Blick hatte waren die Sozial-, Gesundheits- und Seniorenpolitik. Ein Bereich, in dem ich selbst beschäftigt war und bin und worüber wir sofort eine nicht aufhörende Verbindung herstellen konnten. Die Situation von Senior*innen, so u.a. die Lage in den Altenheimen, die bis weit in die 1980er Jahre hinein durch Mehrbettzimmer – gekennzeichnet waren, – teilweise bis zu 8 Personen in einem Zimmer – hat Ursel sehr umgetrieben. Das Fehlen jeglicher Privatsphäre für jeden einzelnen Menschen in seiner letzten Lebensphase - DAS kann und darf so nicht sein! Und so begann sie sich für eine Veränderung dieser Situation einzusetzen. Dabei stieß sie auf die gesamte Komplexität, die für diese Veränderung entschlüsselt und geknackt werden mussteMehr als 20 Jahre Durchhaltevermögen und Dranbleiben waren erforderlich, bis schließlich der Anspruch auf ein Einzelzimmer auch gesetzlich verankert war. Ein langer, harter und sehr erfolgreicher Kampf, von dem heute so viele pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen profitieren. Wohnen und Pflege - mit diesen zwei Beispielen haben wir Ursel im Auge und im Ohr. Stets ist sie von den Menschen ausgegangen. Oberste Priorität war, die Lebensverhältnis zu verbessern und eben entsprechende Strukturen zu entwickeln. Dicke Bretter. Als Ursel Preuhs in den 1960-er Jahren ihre parlamentarische Arbeit in der Bezirksversammlung Hamburg Nord begann, war es in der Gesellschaft und auch in der SPD nicht selbstverständlich, dass Frauen sich politisch engagierten oder gar wichtige Ämter übernahmen. Auch hier war Ursel eine Vorreiterin: 1973 wurde sie Vorsitzende der BV in HH Nord – als erste Frau in Hamburg überhaupt in dieser Position. Und 1983 wurde sie ebenfalls als erste Frau Vorsitzende des Personalrates der Landesversicherungsanstalt. Das hat vielen Frauen Mut gemacht, sich selbst zu engagieren – sich etwas zu trauen. Ein großes Herzensanliegen war Ursel der unmittelbare Kontakt mit Bürgerinnen und Bürgern, mit ihrer Partei und den Genossinnen und Genossen. So war eine ihrer ersten Amtshandlungen als Präsidentin die Einführung einer aktuellen Stunde bei den Sitzungen der Bezirksversammlung – sehr zur Verärgerung der Verwaltung, denn damals durften Bürger*innen zwar zuhören, aber Fragen zu stellen (auf die es dann auch noch eine Antwort geben sollte), das war nicht üblich. Aber Ursel nahm die Menschen ernst und wollte ihnen Gehör verschaffen. Und noch Jahrzehnte später hat sie bis zum Beginn der Pandemie über viele Jahre hinweg Menschen im SPD-Bürgerbüro des Kurt-Schumacher-Hauses zu ihren vielfältigen Anliegen beraten und ihnen oft helfen können. Darin – im Gespräch mit anderen zu bleiben - war sie unermüdlich. Bis in das hohe Alter hinein hat sie ihre Kraft dazu genutzt, zu motivieren und zu ermutigen, sich zu engagieren, dranzubleiben, nicht nachzulassen, die Gesellschaft im Sinne von Demokratie und Frieden und sozialer Gerechtigkeit weiter voranzutreiben und auch zu verteidigen. Aktuell müssen wir erkennen, wie äußerst fragil und angreifbar unsere Demokratie ist. Das hat Ursel in den letzten vielen Jahren sehr umgetrieben und ihr große Sorge bereitet. Im persönlichen Gespräch mit ihr hat die Formulierung dieser Sorge nie gefehlt. Viele von euch werden sich erinnern, dass ein Gespräch mit Ursel nicht selten mit der sehr konkreten Aufforderung beendet wurde, dranzubleiben, sich einzusetzen. „Wir dürfen nicht nachlassen, es uns nicht bequem machen“ – so erinnere ich Gespräche mit Ursel. Und in etwa so weiter: „Wie wirst Du das jetzt angehen?“ Das hat Ursel Preuhs geschafft – sich selbst ein Leben lang der Verantwortung zu stellen – das politische Anliegen zu ihrem persönlichen zu machen und mit der größtmöglichen Authentizität in den Kampf zu gehen. Für mich und viele andere Frauen und Männer war und ist Ursel ein überzeugendes und ermutigendes Vorbild. Ursel war eine große Sozialdemokratin, eine beispielgebende Politikerin, die sich unermüdlich für das Gelingen unserer Demokratie eingesetzt hat. Nicht leichten Herzens, aber mit großer Dankbarkeit nehmen wir heute Abschied von Ursel Preuhs, von ihrer Herzlichkeit und von ihrer Überzeugungskraft – sie wird uns fehlen. „Wie wirst Du das jetzt angehen?“ Ursel – mit Entschlossenheit Du hast uns gezeigt, wie man das macht Mit Entschlossenheit müssen wir ihre Arbeit fortsetzen! Sie hat uns gezeigt, wie man das macht!
Trauerrede von Prof. Heinz Lohmann Als Ursel Preuhs 1931 im AK Barmbek geboren wurde, war die Weimarer Republik schon in ihrer Endphase. Die wirtschaftliche Situation war bedrückend, nicht zuletzt in der Folge der unversöhnlichen Auseinandersetzungen der vorausgegangenen Jahre. Ursels Vater verlor als Gewerkschaftssekretär 1933 mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten seinen Arbeitsplatz und musste um seine Unversehrtheit fürchten. Diese besonderen Lebensumstände und die Folgen des Krieges haben ihre Jugend unauslöschlich geprägt. Die Familie hat diese Zeit in der Nordheide überlebt. Nie vergessen hat Ursel, wie sie als Kind auf der Fahrt von ihrem Wohnort Wenzendorf nach Buchholz zur Schule bei Tieffliegerangriffen mit den anderen Reisenden unter dem Zug Schutz suchen musste. Erst vor kurzem hat Ursel berichtet, wie unendlich schwer es ihr gefallen ist, ihrer Mutter die Zustimmung dazu zu geben, in den dramatischen letzten Kriegsjahren, in denen Armut und Hunger herrschten, den wunderbaren Puppenwagen und später sogar die geliebte Puppe Rosemarie gegen Lebensmittel bei der Krämerfrau im Dorf einzutauschen. „Man musste ja essen,“ hat sie dazu gesagt. All‘ die Erlebnisse in dieser Zeit haben sie dazu gebracht, sich später zu Geburtstagen, Silvester und Weihnachten immer nur eines wünschen: Frieden. Die Eltern hatten sie zu ihrem Ärger immer um spätestens viertel vor Zehn ins Bett geschickt. Aller Protest half nichts. Erst nach dem Krieg hat sie den Grund erfahren. Um 22 Uhr haben ihr Vater und ihre Mutter unter drei Decken die deutschsprachigen Nachrichten von BBC London im Radio gehört. Sie wollten verhindern, dass sich die keine Ursel in der Schule verplappert. Ursel Preuhs wollte eigentlich immer schon Krankenschwester werden. Und selbst die Einwände ihres Vaters, da wäre sie doch viel zu abhängig von den Ärzten hat sie nicht von ihrem Berufswunsch abgebracht. Ihr ging es um den direkten Kontakt zu den Menschen. Auch später in der Diabetikerzentrale der LVA war das für sie der wichtigste Antrieb. Die Situation während ihrer Ausbildung zur Krankenschwester mit dem kasernenähnlichen Reglement im 6-Bett-Zimmer hat ihre Begeisterung für den ersehnten Beruf auf eine harte Probe gestellt, aber sie hat durchgehalten. Wie bei vielen anderen Herausforderungen in ihrem Leben später auch. Ursel war ein durch und durch politischer Mensch. Deshalb gab es nicht hier ein öffentliches und dort ein privates Leben. Aber ihre ersten Urlaubsreisen hat sie mit ihren Freundinnen unternommen, die in ihren politischen Alltag nicht involviert waren. In Hamburg war sie im gesellschaftlichen Dauereinsatz. Wenn man sie anrief und der Anrufbeantworter sprang an, wusste man, es geht ihr gut. Sie ist aktiv. Und selbst abends traf man sich gerne zu strategischen Endlosgesprächen bei ihr. Da gab es auch immer etwas zu Essen. Wer bei ihr nicht satt geworden ist, dem war nicht zu helfen. Ursel selbst war durchaus krüsch, wie man in Hamburg sagt. Sie aß das, was auch ihr Vater gegessen hat und das nicht, was auch ihr Vater nicht aß. Und das war doch so einiges. Aber das, was sie aß, aß sie mit großem Appetit. Bis zuletzt – bis wenige Wochen vor ihrem Tod – hat sie sich auch immer ein gutes Glas Wein oder, wenn es besser passte, ein Glas Bier gegönnt. Sie konnte selbst genießen und anderen etwas gönnen. Unser Hund Lovis – Ursel sagte konsequent Lovi – ist immer, wenn wir sie besuchten, den langen Gang zu ihrer Wohnung entlang geflitzt. Wusste er doch, dass sie an ihrer Wohnungstür nicht mit einem Leckerli, wie zu Hause, sondern mit einer ganzen Hand voll auf ihn wartete. Den strafenden Blick von Ulla hat Ursel dann hinterher weggelächelt. Der „arme Hund“, wie sie öfter spaßeshalber sagte, hat es ihr mit größter Zuneigung gedankt und ist ihr, auch als sie dann im Rollstuhl saß, nicht von der Seite gewichen. Natürlich haben wir in der Hamburgischen Staatsoper Nabucco erlebt. Aber Ursel war durchaus mehr zuzumuten. War sie doch wegen unserer Passion für die experimentelle Gegenwartskunst schon einiges gewohnt. So hat sie eine ganze Reihe von Künstlerinnen und Künstlern persönlich kennen gelernt und sich sogar mit einigen von ihnen angefreundet. Deshalb haben wir gemeinsam in der Elbphilharmonie den Disharmonien von Hans Werner Henzes „Floß der Medusa“ gelauscht und Ursel war begeistert. Über „Die Nase“ von Dimitri Schostakowitsch haben wir lange Zeit diskutiert. Sie hat das dramatische Leben dieses begnadeten Musikers erschüttert, aber gleichzeitig seine geniale Schaffenskraft bewundert. Wir hören deshalb zum Abschluss der Trauerfeier sein Prélude Nr. 1. Ulla und ich sind heute sehr froh, dass wir mit Ursel immer wieder gemeinsam in den Urlaub gefahren sind. Das erste Mal hat vor vielen Jahren der Zufall dafür gesorgt, dass wir wunderschöne Tage im bayerischen Krün erlebt haben. Ursel hatte sich zum Urlaub in der Nähe von Mittenwald und wir uns in der Nähe von Garmisch voneinander verabschiedet, ohne zu realisieren, dass wir auf dem Weg in dieselbe Region unterwegs waren. Gleich am ersten Abend trauten Ulla und ich unseren Augen nicht, als wir bei einem kleinen Erkundungsspaziergang erst ihr uns gut bekanntes Auto und dann sie selbst in einem Hotelrestaurant hinter der Fensterscheibe beim Essen sitzen sahen. Die Besuche an den folgenden Tagen von Museen, Schlössern und Konzerten haben dann Lust auf mehr geweckt. Die Flensburger Förde, Heiligendamm, meine alte Heimat Ostfriesland und Sylt waren Ziele, die wir in den nachfolgenden Jahren, teils mehrfach, besucht haben. Ich sehe mich heute noch mit ihr auf dem Roten Kliff in Kampen stehen und auf das Meer blicken. Sie war schon vorher mehrfach auf der Insel gewesen, aber immer nur beruflich – morgens Anreise, nachmittags Abreise und abends natürlich in Hamburg wieder ein wichtiger politischer Termin. Jetzt hatte sie Zeit und wir konnten über die Urgewalt der Natur philosophieren. Zwar lag die Nordsee völlig ruhig da, aber die Abbruchkante des Kliffs zeigte deutlich, welche Kräfte im Orkan wirksam werden können. Ruhe vor dem Sturm. War das ein Sinnbild unserer Zukunft? Ein verlängertes Wochenende auf Schloss Liebenberg in der oberen Havelniederung nördlich von Berlin hat uns viel Stoff zum Nachdenken geliefert. Von der Kaiserzeit mit politischen Intrigen, über die krisenhaften Jahre der Weimarer Republik, die Zeit des Nationalsozialismus mit Anpassung und Widerstand, den Niedergang der DDR bis hin zum Aufblühen nach der Wiedervereinigung, wird an diesem Ort mehr als 150 Jahre deutsche Geschichte, wie in einem Brennglas erlebbar. Wir haben lange und intensiv darüber diskutiert, warum viele Menschen in Ostdeutschland sich als abgehängt empfinden und was da im Umgang miteinander schiefgegangen ist. „Ich bin völlig unwichtig“, erwiderte Ursel, als wir sie mit der Idee konfrontierten, eine Biografie über sie herauszugeben. Später sagte sie zu Isabel Lenuck, die ihr in langen Sitzungen zuhörte und dann das Buch über Ursels Leben schrieb: „Der einzige Grund, weshalb ich an dieser Biografie überhaupt mitwirke, ist meine Hoffnung, dass die Menschen niemals vergessen mögen, wie wertvoll Freiheit und Demokratie sind. In einem freien Land zu leben, ist keine Selbstverständlichkeit, das habe ich am eigenen Leib erfahren. Nie wieder darf es so etwas Furchtbares wie 1933 geben.“ Unwichtig war Ursel für ihre Freundinnen und Freunde ganz und gar nicht. Einige von ihnen haben sie auch in den letzten Wochen immer wieder im Krankenhaus und ganz zuletzt in den allerletzten Tagen im Pflegeheim besucht, als sie schon nicht mehr sprechen konnte. Sie haben ihr einzelne Abschnitte aus der Biografie vorgelesen oder aus dem Gedächtnis Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse erzählt. Hin und wieder hatten wir den Eindruck, dass sie da ein ganz klein wenig genickt und gelächelt hat. Nachdem es in der Nachkriegszeit in ihrem Leben eigentlich immer bergauf gegangen ist, hat Ursel in letzter Zeit doch gelegentlich das Gefühl beschlichen, es könnte vorbei sein mit den positiven Entwicklungen. Ja, sie machte sich Sorgen, dass unsere Gesellschaft schon an vielen Punkten, kulturell, sozial und politisch, in der falschen Richtung unterwegs ist. Ursel war keine große Strategin. Aber sie hat die Angst der Menschen gespürt, Opfer der Umwälzungen unserer Zeit zu werden. Sie hat mit ihren Mitteln versucht, sich dagegen zu stemmen und eine individuelle Perspektive für den Einzelnen zu eröffnen. Deswegen war sie immer, bis zum Schluss, unterwegs für ein lebenswertes Leben. Danke, Ursel, für alles! Zitate:Literatur: Inge Grolle, Rita Bake: „Ich habe jonglieren mit drei Bällen geübt“. Frauen in der Hamburgischen Bürgerschaft 1946 bis 1993. Hamburg 1995, S. 381. Mit herzlichen Grüßen, für den Vorstand
Ingrid Voss
Ehrenamtlich Engagierte, Z. B. Vorstandsmitglied der Hamburger Elternkammer, Kommunalpolitikerin, Vorsitzende des Bürgervereins Wandsbek von 1848 e. V.



© Kulturkarte.de/Hans-Jürgen Schirmer

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14.9.1938
Harz
-
22.2.2025
Hamburg
Doris Waschk-Balz
Bildhauerin, Medailleurin

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Erinnerungsskulptur im Garten der Frauen, geschaffen 2016 von Doris Waschk-Balz.

Erinnerungsskulptur im Garten der Frauen, geschaffen 2016 von Doris Waschk-Balz.

26.11.1942
Berlin
-
8.3.2025
Hamburg
Doris Waschk-Balz entstammte einem Künstlerhaushalt. Sowohl ein Großvater als auch ihr Vater waren Bildhauer, die Ehefrau – ihre Großmutter – des als Bildhauer tätigen Großvaters war die Bremer Malerin Mili Plump (1879-1947), die in Worpswede gemalt hatte.
Nach dem Abitur, welches sie in Heilbronn absolviert hatte, war der Berufswunsch noch nicht klar ausgeprägt. Doris Waschk-Balz wollte Kunsterzieherin oder Architektin werden. Sie begann 1964 an der staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart zu studieren und besuchte für zwei bis drei Semester die Keramikklasse von Ulrich Günther. Doch dann zog es sich mehr zur Bildhauerei und begann dieses Fach bei Rudolf Daudert zu studieren.
1964 ging sie nach Hamburg und setzte ihr Studium der Bildhauerei bei Gustav Seitz an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg bis 1968 fort. Seitz Kunstwerke kannte sie schon lange, da er ein ehemaliger Studienkollege ihres Vaters und ehemaliger Schüler ihres Großvaters Wilhelm Gerstel (1879-1963) gewesen war.
An der HfbK lernte sie auch ihren späteren Ehemann, den Zeichner und Buchillustrator Klaus Waschk (geboren 1941) kennen. Das Paar heiratete 1968, 1971 kam der Sohn Kolja auf die Welt.
Während Klaus Waschk 1989 eine Professur im Fachbereich Gestaltung der Fachhochschule Hamburg (später umbenannt in Hochschule für angewandten Wissenschaften Hamburg) annahm und daneben freischaffend Arbeiten in Kunst und Illustration schuf, war Doris Waschk-Balz ab 1968 als freischaffende Künstlerin mit eigenem Atelier tätig, das sich in Hamburg-Ottensen befand.
Im „Der neue Rump“ steht über Doris Waschk-Balz Kunst: „Ihr Generalthema ist der Mensch in seinen Zuständen, äußeren Situationen u. Beziehungen. Oft ist die menschl. Figur in Verbindung zu architektonischen Elementen gebracht, Wänden, Treppen, Rahmen, Kästen als Ausdruck für das menschliche Umfeld. Seit 1989 entstanden Ensembles, ‚Landschaften‘, in denen aus welligem Grund Figurengruppen herauswachsen. Arbeiten in Ton, Gips, Bronze, Terrakotta, Holz, Jute, Wachs, Vollplastik, Büsten und Relief. Der Weg führt von der Geschlossenheit der frühen Arbeiten mit umspannender Oberfläche zu einer offeneren Auffassung von Einzelfiguren bis zu Gruppierungen.“ 1)
Viele ihrer Arbeiten sind in Hamburg und anderen umliegenden Städten im öffentlichen Raum zu sehen. „Am Großneumarkt in Hamburg steht ein aus Bronze gefertigter Brunnen mit einer Wendeltreppe, auf deren Stufen die Künstlerin unterschiedlich große Figuren platzierte. Der ‚Ottenser Torbogen‘ am Spritzenplatz in Hamburg-Ottensen, eine Bronzeplastik, in der sich eine sitzende und eine schreitende Frau einen Torbogen teilen, prägt seit 1980 das Stadtteilbild. 1985 konzipierte sie das umfangreiche Projekt der künstlerischen Gestaltung der Wohnsiedlung Essener Straße in Hamburg-Langenhorn mit 12 Einzelskulpturen und einer großen Skulpturengruppe. Außerdem sind u. a. das Amtsgericht Ahrensburg, die Fachhochschule Lüneburg, das Fernmeldeamt Heide und die Landeszentralbank Uelzen mit Kunstwerken von Doris Waschk-Balz geschmückt.
Als Denkmal zeigt das Synagogenmahnmal (1982) an der Oberstraße in Hamburg einen zerrissenen Toraschreinvorhang mit Tora-Rolle und soll daran erinnern, dass die Tempelsynagoge von 1931 (erbaut von den Architekten Felix Ascher und Robert Friedman; heute Rolf-Liebermann-Studio des NDR) geschändet, aber nicht zerstört wurde. (…).“2)
Im Auftrag des Vereins Garten der Frauen e. V. schuf Doris Waschk-Balz 2026 eine Terrakottaskulptur, die auf dem Ohlsdorfer Friedhof im Garten der Frauen im Rosenpavillon auf einem Sockel aufgestellt wurde. Mit dieser Skulptur erinnert der Verein Garten der Frauen an diejenigen Frauen, deren Grabsteine aus unterschiedlichen Gründen nicht in den Garten der Frauen verlegt werden. Im Sockel, auf dem die Skulptur steht, sind zwei Tafeln zum Ausziehen eingelassen. Auf ihnen sind die Namen und die Grablagen dieser Frauen, die auf dem Ohlsdorfer Friedhof bestattet sind, aufgelistet. Ihre Biografien sind auf der Website des Gartens der Frauen nachzulesen.
Die Skulptur besteht aus zwei Terrakottafiguren. Die eine ist eine Büste, die andere eine kleine, aufrechtstehende Person. Beide schauen in unterschiedliche Richtungen. Getrennt sind sie durch ein wandartiges Element. Sie können sich deshalb nicht sehen, sind aber durch die Erinnerung miteinander verbunden und sich nahe.
Doris Waschk-Balz wurde auch für Münzgestaltungen angefragt. So gestaltete sie Sonder- und Gedenkmünzen, zum Beispiel die vierte von fünf Sondermünzen, die die Bundesrepublik Deutschland für die Olympischen Sommerspiele 1972 in München prägen ließ.
Quellen:
Karin Wienberg
Prägende Gestalterin des Stadtteils Horn




15.9.1942
Hamburg
-
26.3.2025
Hamburg
In der Traueranzeige der Familie Wienberg heißt es: „Mit Engagement und Professionalität hat sie [Karin Wienberg] auf dem Hintergrund der Worte Jesu in der Lehre der Hochschul-Bildung die Bedeutung des sozialen Handels den studierenden der sozialen Berufe erdnah weitergegeben. Ihre eigene Sozialarbeit hat sie mit dem Ziel geleistet, Horn zu einem lebens- und liebenswerten Stadtteil zu machen. Dafür hat sie den Hamburger Bürgerpreis erhalten.“ (Christian Wienberg, Silke Stephan und Familie, Markus Wienberg und Familie).
„Geboren wurde Karin Wienberg 1942 in Hamburg-Eppendorf, inmitten der Bombennächte des Zweiten Weltkriegs. Früh prägten sie die Herausforderungen der Nachkriegszeit und das Aufwachsen in einer Familie mit zwei blinden Eltern. Schon damals entwickelte sie eine klare Sprache, ein feines Gespür für Kommunikation und ein ausgeprägtes Verantwortungsgefühl – Eigenschaften, die sie später in ihr berufliches und ehrenamtliches Wirken einbrachte.
Nach ihrer Konfirmation engagierte sie sich als Pfadfinderin in der evangelischen Jugendarbeit. In den 1960er Jahren kam sie mit ihrem Ehemann Christian Wienberg [ab 1967 Pastor an der Timotheus-Kirche] nach Horn, wo sie bis zuletzt verwurzelt blieb. Schon bald übernahm sie erste Aufgaben im kirchlichen und sozialen Umfeld, studierte als Mutter zweier Kinder Soziale Arbeit und verband Theorie und Praxis bei ihrem Wirken auf beispielhafte Weise.
Karin Wienberg war eine Vordenkerin und Macherin zugleich. Sie war keine, die auf Veränderung wartete – sie gestaltete sie mit. In einer Zeit, in der der Begriff ‚Sozialraumorientierung‘ noch kaum bekannt war, setzte sie ihn bereits um: in Stadtteilinitiativen, Netzwerken, Workshops, Gremien und politischen Gesprächen. Sie gründete mit anderen die Stadtteilkonferenz Horn, war aktiv im Stadtteilverein und der Kinderwerkstatt und hat zahlreiche Projekte nicht nur initiiert, sondern auch langfristig begleitet.
Ihr bekanntestes Vermächtnis ist ohne Zweifel das Stadtteilhaus Horner Freiheit. Über 20 Jahre lang kämpfte Karin Wienberg unermüdlich für einen zentralen Ort der Begegnung im Stadtteil – mit Ideen, Konzepten, Briefen, unzähligen Gesprächen und großem diplomatischen Geschick.
Ihr Engagement war entscheidend für die Entstehung dieses Hauses, das heute ihren Namen trägt: Der große Veranstaltungssaal heißt „Karin-Wienberg-Saal“ – ein bleibendes Zeichen für ihren Einsatz und ihre Überzeugung, dass Veränderung nur im Miteinander gelingt.
Karin Wienberg glaubte daran, dass ein lebendiger Stadtteil Räume braucht, in denen Menschen sich begegnen, austauschen und gemeinsam gestalten können. Sie verstand es, andere zu ermutigen, Verantwortung zu übernehmen, und sie scheute nicht vor Konflikten zurück, wenn es darum ging, für sinnvolle Strukturen einzutreten. Ihr Handeln war geprägt von Klarheit, Beharrlichkeit und eignem tiefen sozialen Verantwortungsbewusstsein. (…)“ (Nachruf auf Karin Wienberg: Engagierte Bürgerin, Sozialarbeiterin und prägende Gestalterin des Stadtteils Horn, verfasst von Holger Beermann, in: Gemeindemagazin Horn, Nr. 23, Juni-August 25).
Karin Wienberg war Vorsitzende im Trägerverein des Stadteilhauses Horner Freiheit. Auch war sie als Dozentin an der evangelischen Hochschule für soziale Arbeit am Rauhen Haus in Hamburg-Horn tätig.