Grabstätte: 2U 1337
32 Jahre war Elisabeth Ostermeier Bürgerschaftsabgeordnete und schied im Alter von 65 Jahren nur aus, um - wie sie sagte - "etwas mehr Freizeit zu haben". Davon war kaum etwas zu spüren. Als 81jährige war sie ständig auf Achse, machte weiter örtliche Parteiarbeit und war in der Seniorenarbeit höchst aktiv.
Als Elisabeth Ostermeier im Alter von 33 Jahren in die Bürgerschaft eintrat, waren ihre Kinder gerade mal sechs und acht Jahre alt. (geb. 1938 und 1940). Neben ihrer Arbeit als Hausfrau und Mutter war die gelernte Verkäuferin 20 Jahre als Sachbearbeiterin für Frauenfragen und Hausgehilfinnen für das Bundesgebiet bei der Gewerkschaft Nahrung, Genuss und Gaststätten tätig und 16 Jahre (1954-1970) geschäftsführendes Bundesvorstandsmitglied dieser Gewerkschaft im Zuständigkeitsbereich Frauen, Jugend, Berufsausbildung.
Eine berufliche Karriere, die sich finanziell später auch auf ihre Rente auswirken würde, war bedingt durch ihren jahrzehntlangen Einsatz für die Bürgerschaft nicht möglich. Da die Honorierung für die geleistete Arbeit in der Bürgerschaft eine reine Aufwandsentschädigung ist, musste Elisabeth Ostermeier mit einer nicht gerade üppigen Rente auskommen.
An Elisabeth Ostermeier zeigt sich, dass diese in Hamburg praktizierte Form der Aufwandsentschädigung für eine Bürgerschaftstätigkeit besonders Frauen sehr hart treffen kann. Denn viele Frauen sind aufgrund ihrer Mutter- und Hausfrauenarbeit kaum noch in der Lage, neben der politischen Arbeit im
Erwerbsleben gut dotierte Stellen zu bekommen. Vollzeitarbeit, die also notwendig wäre, um später eine ausreichende Rente zu haben, ist oft eben so wenig zu erlangen wie zu bewältigen.
Hinzu kommt noch, dass viele Frauen durch Kindererziehungszeiten keine kontinuierliche Berufslaufbahn vorweisen können. Wer neben der Tätigkeit als Abgeordnete "nur" Hausfrau und Mutter ist, kann später, trotz langjähriger politischer Arbeit in der Bürgerschaft, über keine eigene Rente verfügen.
Elisabeth Ostermeiers politischer Weg begann im Alter von 13 Jahren, als sie Mitglied der Falkenbewegung und der SAJ (Sozialistische Arbeiterjugend) wurde. 1931 trat sie der SPD bei - wurde in der NS-Zeit politisch verfolgt und inhaftiert. Elisabeth Ostermeiers Hauptinteressen lagen auf den Gebieten der Sozialpolitik und des Arbeitsrecht. Mehrere Jahre hindurch war sie Deputierte der Arbeits- und Sozialbehörde, bis die Deputierten Tätigkeit für Bürgerschaftsabgeordnete eingestellt wurde. Auch gehörte sie dem Bauausschuss an, musste dieses Amt aber wegen Überlastung aufgeben. Im Zentrum ihrer parlamentarischen Arbeit standen jedoch vor allem Jugendfragen, ein Bereich, den sie auch beruflich berührte; Mit fast 60 Jahren war sie noch im Vorstand der Gewerkschaft NGG hauptamtlich für die Jugend tätig.
Elisabeth Ostermeier widerfuhr ein typisches Mädchenschicksal. Mit 14 Jahren verließ sie die Schule und wurde in den nächstbesten Beruf gesteckt, weil es nichts anderes gab. Geld war nur für eine Ausbildung vorhanden, und die bekam ihr Bruder. Elisabeth Ostermeier wäre gern Lehrerin geworden, musste aber stattdessen Verkäuferin in einem Schlachterladen werden. Nach absolvierter Lehre verließ sie den Schlachterladen und fuhr als Brotfahrerin täglich ab fünf Uhr morgens auf den Vierländer Deichen. Mit den Broten begann auch ihre "konspirative Karriere" gegen das NS-Regime. Als die Nationalsozialisten zwischen ihren Broten Flugblätter mit Aufrufen gegen den Gewaltterror fanden, kam sie gemeinsam mit ihrem Mann, den sie 1935 geheiratet hatte, für fast ein Jahr ins Gefängnis.
Als 1946 Hamburg als erstes Bundesland wieder ein Parlament einberief, war Elisabeth Ostermeier mit dabei. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie zwei kleine Kinder, Sie war zwar an Politik interessiert, doch in der parlamentarischen Arbeit ein Neuling. " Das war der Zeitpunkt, wo Frauen alle Chancen hatten. Ich glaube, wir Frauen hatten damals sogar ungeheuren Mut, denn was in unserem zerstörten Land wieder herzustellen war, verlangte die Kraft von Sisyphus-Wesen, die nicht zu erschüttern sind, immer und immer wieder von vorn anzufangen." Die Wiederaufbauphase begann auch für die Bürgerschaftsabgeordneten unter schwersten Bedingungen. Sie saßen im eiskalten Rathaus, waren hungrig, wussten selbst nicht, wie sie ihre Familien ernähren sollten, waren aber von der großen Hoffnung durchdrungen, mit vereinten Kräften etwas Neues zu schaffen. "Da fragte keiner, ob Frauen logisch genug und beständig genug fürs politische Handwerk seien - wir waren da, und wir packten mit zu. Wir lernten, weil wir mitdachten, mithalfen, mitredeten.
Aber dann kamen die Männer wieder nach Hause. Und viele Frauen traten bescheiden zurück, weil sie sich sagten: Nur so helfen wir dem seelisch zerstörten Heimkehrer. Hat er seinen Job zurück, fühlt er sich wieder als Mann. Doch letztlich habe ich nie akzeptiert, dass es nicht Aufstände gab, wenn auch die leitenden Positionen so mir nichts, dir nichts zurückgefordert wurden." Diese lethargische Verhalten der Frauen erklärte sie sich folgendermaßen: "Die Frauen vertrauen nicht wirklich auf ihre eigenen Fähigkeiten. Für sie verbindet sich mit dem Manne die Vorstellung, von Sicherheit. Ohne ihn flattern sie. Der Mann schafft Beruhigung - als Vater, als Bruder und auch als Meister im Betrieb. Eine Frau an der Spitze wollten sie noch nicht; deren Ängste kennen sie zu gut."
Auch für die wenigen Frauen in der Politik wusste Elisabeth Ostermeier eine Erklärung: "Dies komplizierte Nebeneinander von Beruf, Familie und Abgeordnetendasein schaffen die meisten nicht. Da bleibt den Frauen am Ende nur Zorn, weil die Männer kaum helfen, die Dreifachkombination zu erleichtern. Sie erwarten, dass wir genauso oft in Parteiversammlungen sitzen, den Kassierer spielen, als Hausfrau nicht versagen und auch als Frau noch was hermachen. Da müssen die Männer noch Fairness lernen." Elisabeth Ostermeier schimpfte auch über einen Bericht in der "Welt am Sonntag" unter dem Titel: "Gesucht: junge Politikerinnen". Elisabeth Ostermeier: "Wir Frauen sollen hübsch sein, jung und außerdem noch klug, wenn wir in die Bürgerschaft einziehen wollen. Wer fragt eigentlich bei den Männern nach gutem Aussehen? Die meisten unserer Rathauskollegen sind wahrhaftig auch nicht einem Adonis gleich."
Elisabeth Ostermeier schaffte die parlamentarische Arbeit nur deshalb, weil sie einen Mann hatte, "der alles voll unterstütze; ohne ihn wäre nichts". Er kümmerte sich um den Haushalt und versorgte die Kinder, wenn sie unterwegs war.
Elisabeth Ostermeier hat mit ansehen müssen, wie wenige Frauen den Weg in die Politik schafften oder politische Laufbahnen durchhielten. "Wenn Frauen was schaffen, sind Männer empfindlich. Im Nachhinein denke ich manchmal, man hätte sie überrennen sollen mit der eigenen Tüchtigkeit. Bei Sitzungen abends stöhnten die Herren, dass sie seit morgens um acht aus dem Haus seien. Das war ich auch. Nur da hatte ich bereits den ganzen Haushalt versorgt. Trotzdem dachte ich stets, halt den Mund, lass ihnen die Rolle der Geplagten."
Als Elisabeth Ostermeier ihr Bürgerschaftsmandat wegen Alters niederlegte, hatte sie sich keine Pfründe in diesen Jahren geschaffen. Sie besaß keinen Aufsichtsratsposten, kein lukratives Amt - im Gegensatz zu ihren Mit-Bürgerschaftsabgeordneten, mit denen sie gemeinsam 1946 in die Bürgerschaft eingetreten war: "Eigentlich sollten wir Frauen es auch niemals lernen - dies Pokern um materielle Vorteile. Wir sollen bei den Werten bleiben, die wir für richtig halten." Einmal - 1974- fragte sie der damalige Bürgermeister Peter Schulz, ob sie nicht Senatorin werden wolle. Dies wäre nicht nur Anerkennung ihrer politischen Laufbahn gewesen, sondern hätte auch ihre Rente verdoppelt. Doch Elisabeth Ostermeier entschied sich nach dem Ausscheiden aus der Bürgerschaft für ihr Privatleben.
Text: Dr. Rita Bake