Rede zur Einweihung von historischen Grabsteinen für ehemalige Bürgerschaftsabgeordnete: 7. Oktober 2016

Sehr geehrte Frau Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit, sehr geehrte Damen und Herren Bürgerschaftsabgeordnete, liebe Freundinnen und Freunde des Gartens der Frauen
Seien Sie herzlichst begrüßt zu unserer, mit unserer meine ich den Verein Garten der Frauen – Einweihung zweier historischer Grabsteine und eines Erinnerungssteins im Garten der Frauen. Musikalisch begleitet wird unsere kleine Feier von dem Gitarristen Rüdiger Zierroth.
Der Termin im Oktober 2016 wurde für die Einweihung dieser Steine bewusst gewählt, denn bei zwei Frauen, deren Grabsteine wir heute einweihen, handelt es sich um Bürgerschaftsangeordnete, die genau vor 70 Jahren in die erste frei gewählte Hamburgische Bürgerschaft nach der Befreiung vom Nationalsozialismus einzogen: Annie Kienast (SPD) und Hilge Nordmeier (SPD).
Wir freuen uns deshalb ganz besonders, dass Frau Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit zu dieser Einweihung gekommen ist und einige Worte an uns richten wird.
Vor 70 Jahren, am 13. Oktober 1946 fand die Wahl dieser ersten frei gewählten Bürgerschaft nach dem Ende des Nationalsozialismus statt. Von den 110 Abgeordneten waren 17 Frauen. 15 Frauen gehörten der SPD an, je eine der FDP und der KPD. Als einzige Frau der CDU rückte Else Kesting im Februar 1949 nach.
Zwischen der männlichen Mehrheit wurden die wenigen Frauen in der Bürgerschaft kaum wahrgenommen. Auch in der Presse wurden sie kaum erwähnt. Und so blieben auch ihre Leistungen kaum bekannt. Hauptsächlich die Namen und Taten der Männer blieben im öffentlichen Bewusstsein. Doch ohne diese Frauen, die sich ebenso wie Männer in Politik und Gesellschaft für den Wiederaufbau Hamburgs starkgemacht haben, wären die Ernährungslage, das Gesundheitswesen, die Sozialfürsorge und der Wohnungsbau im Nachkriegs-Hamburg nicht in dem damaligen erheblichen Maße verbessert worden.
In der ausgebombten Stadt standen für die Bevölkerung und die Parlamentarierinnen Fragen der Nahrung, Kleidung, Wohnung und Feuerung an erster Stelle. Dabei achteten die weiblichen Abgeordneten zum Beispiel darauf, dass Frauen bei Nahrungszuteilungen nicht benachteiligt wurden, weil ihre Arbeit im Hause und ihre Erwerbstätigkeit als weniger schwer betrachtet wurde – im Vergleich zur Arbeit der Männer.
Im Jahre 1948 hatte Hamburg ca. 1,1 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Davon waren 56.000 Ostvertriebene, 46.000 Flüchtlinge aus der sowjetisch besetzten Zone und 15.500 Deutsche aus dem Ausland. Viele Photos aus der damaligen Zeit zeigen das Elend und die Not der Ausgebombten und der Flüchtlinge vor siebzig Jahren in Hamburg und vergegenwärtigen uns damit die heutige Situation in Kriegsgebieten und die Lage der Flüchtlinge.
Besonders die weiblichen Abgeordneten hatten sich damals die Hamburger Flüchtlingspolitik zum Thema gemacht. So bildeten sie denn auch im bürgerschaftlichen Flüchtlingsausschuss, der sich mit der Vorbereitung eines Flüchtlingsgesetzes beschäftigte, die Mehrheit: sie hatten sechs der neun Sitze inne.
Den weiblichen Abgeordneten lag die Integration der Flüchtlinge sehr am Herzen, denn auch dies war für den wirtschaftlichen Aufstieg Hamburgs nach dem Zweiten Weltkrieg wichtig.
Die weiblichen Abgeordneten der „Ersten Stunde“ machten in der Bürgerschaft deutlich, dass die Erhaltung der Lebens- und Arbeitskraft der Menschen die Basis jeder Volkswirtschaft ist und dass sich Hamburg nicht aus dem Trümmerelend erholen könne, solange die Bevölkerung darbte. Während die männlichen Abgeordneten sich um den Wiederaufbau der Werften und der Industrien als volkswirtschaftliche Voraussetzung für ein Wiedererstarken der Wirtschaft bemühten, forderten die Frauen beharrlich eine Lösung der sogenannten kleinen Dinge des Lebens, die aber fürs Überleben und für die weitere Zukunft Hamburgs von überlebensnotwendiger Bedeutung waren. Denn eine hungernde Bevölkerung war kaum in der Lage, Werften und Städte wiederaufzubauen. Somit schufen die weiblichen Abgeordneten damals den Grundstock dafür mit, von dem aus Hamburg zu dem werden konnte, was es heute ist: zu einer wirtschaftlich blühenden Großstadt.
Annie Kienast und Hilge Nordmeier waren zwei dieser weiblichen Abgeordneten. Die Nutzungsdauer ihrer Grabstätten auf dem Ohlsdorfer Friedhof lief Ende Dezember 2015 ab. Angehörige, die die Grabstellen hätten verlängern können, waren nicht mehr zu ermitteln. So hat der Verein Garten der Frauen die Grabsteine in den Garten der Frauen verlegen lassen, um die Grabsteine damit vor dem Zerschreddern zu retten und dadurch diesen beiden Frauen im Gedächtnis der Stadt einen Platz zu geben.
(Nach der rtede der Bürgerschaftspräsidentin)
Kommen wir nun zur Enthüllung der beiden historischen Grabsteine. Darf ich Sie Frau Bürgerschaftspräsidentin bitten, die Steine zu enthüllen. Währenddessen spielt uns Rüdiger Zierroth ein weiteres Gitarrenstück.
Kommen wir nun zur Enthüllung des neuen Erinnerungssteins in der Erinnerungsspirale.
Auf diesem Stein stehen die Namen der Bürgerschaftsabgeordneten Elsa Jacobs und Gerda Gühlk.
Elsa Jacobs war Abgeordnete der Ernannten Bürgerschaft gewesen und von Emmy Beckmann als Vertreterin der Hausfrauen für die Ernannte Bürgerschaft vorgeschlagen worden. Auch Emmy Beckmanns Grabstein befindet sich im Garten der Frauen.
Elsa Jacobs, geb. Eskelsen wurde am 5. Mai 1885 in Hamburg geboren. Sie verstarb im Alter von 81 Jahren am 18. Juni 1966.
Im Februar 1946 ging die britische Militärregierung daran, eine Volksvertretung zu bilden, deren Mitglieder sie selbst ernennen wollte. Den Briten war daran gelegen, dass zu den 81 Mitgliedern auch Frauen gehörten. Deshalb baten sie den Kreis um Emmy Beckmann, geeignete Frauen zu empfehlen. Darunter war auch Elsa Jacobs. In der Ernannten Bürgerschaft waren sieben Frauen: 2 von der KPD, 3 von der SPD, 1 von der FDP und eine von der CDU. Die Ernannte Bürgerschaft dauerte von Februar 1946 bis Oktober 1946.
Die Hausfrau Elsa Jacobs, die schon vor 1933 Mitglied der SPD geworden war, hatte das Bürgerschaftsmandat nur deshalb angenommen, weil ihr versprochen worden war, dass auch die Nöte und Sorgen der Hausfrauen Gehör finden würden. Als sie Abgeordnete war, musste sie feststellen: „Aber es sind so viele Nöte, die die Hausfrauen heute treffen, daß es ein wahres Martyrium ist. (…) Es ist nicht nur die Ernährung, sie haben für andere Dinge mit zu sorgen. Die Haufrauen sind heute der Blitzableiter für alle Dinge.“
Mit dem Ende der Ernannten Bürgerschaft im Oktober 1946 schied Elsa Jacobs aus der Bürgerschaft aus.
Ein weiterer Name auf dem neuen Erinnerungsstein ist der der SPD-Abgeordneten Gerda Gühlk. Sie wurde am 11. Mai 1920 geboren und verstarb im Alter von 82 Jahren am 16. Dezember 2003. Sie bekam eine Seebestattung, deshalb ist kein Grabstein vorhanden. Gerda Gühlk gehörte der Bürgerschaft von 1966 bis 1971 an.
1960 war sie in die SPD eingetreten und wurde bald Mitglied des Distrikts Vorstandes. Gerda Gühlks politische Schwerpunkte lagen in den Bereichen Haushalts-, Rechts- und Baupolitik.
Als politischen Erfolg bezeichnete sie die Initiative zur Einbringung der Großen Anfrage „Aufhebung der Verjährungsfrist für Mord“ als Gesetzesvorlage im Bundestag, denn die Strafbarkeit von Mord sollte nicht verjährt werden können.
Im Garten der Frauen stehen seit einigen Jahren noch weitere historische Grabsteine von weiblichen Bürgerschaftsabgeordneten, die damals in die erste frei gewählte Bürgerschaft nach dem Ende des Nationalsozialismus gewählt wurden: Es sind Olga Brandt-Knack (SPD), Paula Westendorf (SPD) und Grete Wöhrmann (SPD). Auf einem Erinnerungsstein in der Erinnerungsspirale erinnern wir auch an die SPD-Abgeordnete der Ersten Stunde Gertrud Lockmann.
Daneben finden Sie noch die Grabsteine der weiblichen Bürgerschaftsabgeordneten: Johanna Reitze (SPD, vor 1933 in der Bürgerschaft), Elsa Teuffert (FDP in den 1950er Jahren in der Bürgerschaft), Emmy Beckmann (vor 1933 für die DDP und von 1949-1957 für die FDP Abgeordnete).
Und in der Erinnerungsspirale gedenken wir an die Abgeordneten: Marie Bautz (SPD vor 1933 Abgeordnete), Johanna Stolten (SPD, vor 1933 in der Bürgerschaft), Elisabeth Pape (Deutsche Volks Partei vor 1933 in der Bürgerschaft), und Emma Ender (Deutsche Volks Partei vor 1933 in der Bürgerschaft).
Die Stellen, wo die Grabsteine stehen, sind markiert mit roten Sternen. Davor stehen Notenständer, auf denen die Viten dieser Frauen nachgelesen werden können.
An dieser Stelle möchte ich noch auf eine gerade für die Nachkriegszeit weitere wichtige Frau hinweisen: auf Rosamunde Pietsch. Sie wurde vor kurzer Zeit hier im Garten der Frauen im Alter von 101 Jahren bestattet. Rosamunde Pietsch war eine der ersten Polizistinnen der „weiblichen Polizei“. Die „weibliche Schutzpolizei“ wurde 1945 auf Intervention der britischen Militärregierung eingerichtet und hatte ihre Aufgabengebiete im Jugendschutz, in der Gefahrenabwehr für Minderjährige, in der Ahndung von Sittlichkeitsdelikten und in der Verfolgung von Straftaten Jugendlicher unter vierzehn Jahren sowie Straftaten von Frauen.
Das Einsatzgebiet von Frau Pietsch war die Umgebung des Hauptbahnhofs mit den verschiedenen Bunkern. Auch hatte Frau Pietsch mit der britischen Militärregierung im Kampf gegen die Geschlechtskrankheiten zusammenzuarbeiten. Die Polizistinnen mussten die bei Razzien festgenommenen Frauen zur Untersuchung zu bringen. Über diese Razzien regten sich besonders die weiblichen Bürgerschaftsabgeordneten auf, weil willkürlich Frauen aufgegriffen und zur Untersuchungsstelle gebracht wurden. Männer hingegen wurden nicht bei den Razzien zur Untersuchung von Geschlechtskrankheiten gebracht.
1953 war Rosamunde Pietsch die einzige Frau, die als Kommissarin ausgebildet wurde. 1975 schied Polizeihauptkommissarin Rosamunde Pietsch aus dem Dienst aus.