Frauen auf der Erinnerungsspirale

Jede Frau erzählt ihre eigene Geschichte – entdecken Sie ihr Vermächtnis.

Frauen auf der Erinnerungsspirale

    Dr. Margareta Adam

    Hochschullehrerin, leistete Widerstand gegen das NS-Regime, ohne einer Widerstandsgruppe anzugehören

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    13.07. 1885
    Patschkau/Schlesien

    27.03.1946
    Berlin
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      Margaretha Adam entstammte einer deutsch-nationalen Familie und war überzeugte Katholikin. Nach dem Schulabschluss arbeitete sie als Lehrerin bevor sie ein Universitätsstudium aufnahm. Dann studierte sie an der Hamburger Universität Philosophie, Psychologie und Geschichte und promovierte 1925 bei Ernst Cassirer. Sie wurde Dozentin an der Hamburger Universität und an der Volkshochschule in Hamburg. „In den 1920er Jahren schrieb sie Artikel für ‚Die Frau‘, die damals führende feministische Zeitschrift in Deutschland.“ 1) „Im Dezember 1930 verfasste Adam ein Essay in der Broschüre des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens. Darin untersuchte sie die Geschichte der ‚Judenfrage‘, bezeichnete sich selbst als ‚Philosemantin‘ und verurteilte den Antisemitismus des Nationalsozialismus. Sie erkannte zwar die Gefahr, hielt eine staatliche Entrechtung der Juden jedoch für undenkbar. In einem Nachwort bekannte sie sich dazu, bei den Reichstagswahlen am 14. September 1930 die NSDAP gewählt zu haben. Sie habe die Partei nicht wegen, sondern trotz ihres Antisemitismus gewählt, weil sie die Einzige sei, die sich die Revision des Versailler Vertrages und den Kampf gegen Korruption und Bolschewismus zum Ziel gesetzt habe. Es existieren allerdings durchaus antisemitische Äußerungen Adams. So stellte sie fest: ‚Der Jude wird vom Arier als ein dem Wesen nach anderer Mensch empfunden.‘ Ferner schrieb sie über die ‚jüdische Presse‘ und ‚deren Frechheiten und Schnoddrigkeiten über große Persönlichkeiten der deutschen Vergangenheit‘. Die Praxis der Weimarer Republik, auch höhere Beamtenstellen Bürgern jüdischen Glaubens zugänglich zu machen, titulierte sie als ‚geschichtsnaturwidriges Experiment‘. 1933 wurde ihr der Lehrauftrag an der Universität Hamburg entzogen und sie entschloss sich zum Widerstand“ 1) „Als es im Juni/Juli 1934 zum so­ge­nannten „Röhm-Putsch“ kommt, einem Machtkampf innerhalb der national­sozialis­tischen Bewe­gung, in dessen Ver­lauf Füh­rungs­perso­nen der ‚Sturm­abteilung‘ (SA) ermo­rdet werden, wendet sie sich end­gültig ge­gen das neue Regime. Sie versucht wiederholt, die Ver­ant­wort­lich­en für die Mor­de an den SA-Männern vor Ge­richt zu brin­gen.“ 2) Margaretha Adam wandte sich in über 1200 Briefen und Flugblättern an Reichswehroffiziere, bekannte Personen des öffentlichen Lebens und auch an Vertretungen ausländischer Regierungen in der Hoffnung, dass diese Menschen bereit und imstande seien, Hitler zu stürzen. Im März 1937 wurde Dr. Margaretha Adam verhaftet und zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. „Das Gericht thema­tisiert hor­monelle Ver­än­derungen wäh­rend der Wechsel­jahre als an­geb­liche Ur­sache für ihren Wider­stand.“ 2) Sie kam in das Frauengefängnisse Lübeck-Lauerhof sowie in die Haftanstalt Cottbus und dort in Einzelhaft. 1944 wurde sie wegen Haftunfähigkeit in das Krankenhaus Rosstal bei Dresden und später in die Berliner Charité gebracht. 1946 starb sie an einem Tumorleiden. Quellen: 1) Wikipedia: Margarete Adam de.wikipedia.org/wiki/Margarete_Adam abgerufen 2.2.2019. Diese Informationen über Margarete Adam sind auch nachzulesen bei: Birthe Kundrus: Zur Geschlechtergeschichte des Nationalsozialismus, in: Jana Leichsenring (Hrsg): Frauen und Widerstand. Münster 2003, S. 14. 2) Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand, unter: www.frauen-im-widerstand-33-45.de/biografien/biografie/adam-margaretha/p-1/m-1 (abgerufen: 25.9.2024)    

    Mara Arndt

    "Der Engel der Gefangenen"

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    15.12.1900
    Palmnicken/Samland

    2.6.1964
    Hamburg
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    Mara Arndt besaß vor dem Zweiten Weltkrieg eine Buchhandlung mit Antiquariat in der Französischen Straße in Königsberg. Ihre Spezialabteilungen umfassten ein Weltantiquariat von über 10.000 Bänden sowie baltische, russische und polnische Altliteratur. In ihrer Jugendzeit war sie eine begeisterte Theater-Liebhaberin gewesen, später verdiente sie ihr Geld dann mit internationaler Literatur. 1939 wurde Mara Arndt dienstverpflichtet, von der sie 1941 dann befreit wurde, so dass sie ihre Firma als Buchhandlung mit Leihbücherei und angeschlossener Papierwarenhandlung in die polnische Stadt Pruszana verlegte. Durch ihre große Menschlichkeit und Großzügigkeit wurde Mara Arndt die „Mutti Mara“ der Soldaten, aber auch die „Matka Germanska“ der dort lebenden Polen und Russen. Bedingt durch ihre Herzensgüte machte sie in Fragen der Gerechtigkeit gegenüber Freund und Feind keine Ausnahmen, das brachte ihr auch die Achtung der russischen Partisanen ein. Behilflich bei ihrer tätigen Nächstenliebe war ihre Tochter Karin. Sie war ein kleines Sprachgenie. Sie verstand Polnisch, Russisch und Ukrainisch. Und so konnte sie all die Sorgen und Nöte der polnischen und russischen Bevölkerung vor Ort ihrer Mutter übersetzen. Und diese half, indem sie die deutschen Stellen zu einer Änderung bereits getroffener Anordnungen überzeugen konnte. 1943 starb ihre Tochter im Alter von neun Jahren an Masern. Die Trauer um ihr Kind blieb der Motor zum Helfen. Ihre Hilfe für die Kriegsgefangenen setzte Mara Arndt in direkten Bezug zu ihrer verstorbenen Tochter. Durch ihre tätige Nächstenliebe war sie ihrer Tochter ganz nah, die in Russland beerdigt war und zu dessen Grab Mara Arndt nicht konnte. So schreibt sie denn auch z.B. in einem Brief an einen ihrer Schützlinge, dem sie hatte helfen können: „Sie, lieber Kamerad B […], sind mir ein lebendiger Gruß meiner kleinen, geliebten Karin, die Rußlands Erde deckt. Sie bringen das Fluidum mit den weiten Steppen der dunklen Urwälder, die ich mit meinem eigenen Wagen oft Tage und Nächte durchjagt habe. Jeder Ruf nach Euch ist ein Gruß an mein Kind. Jeder Kamerad aus meiner Forschung bringt ihn mir wieder.“ Gegen Ende des Krieges wurde Mara Arndt als Flüchtlingsbetreuerin in Pillau und Gotenhafen eingesetzt, später wurde sie Lagerführerin in einem dänischen Internierungslager. Von Dänemark kam sie ins Weserbergland in ein einsam gelegenes Forsthaus am Duingerberg bei Marienhagen Kreis Alfeld/Leine. Hier lebte eine mit ihr bekannte frühere Zivilverwaltungsangestellte, die ihr ein Dachzimmer zum Bewohnen gab. Auf Mara Arndts Schreibtisch und einem weiteren Tisch stapelten sich Aktenordner und befanden sich mehrere Karteikästen. In den Kästen: Karteikarten, auf denen die Namen der sich in Kriegsgefangenschaft befindenden Soldaten aufgeführt waren. Mara Arndt baute damit eine private Vermisstenkartei auf, mit der ihr die Freilassung von über 4500 Kriegsgefangenen gelang. Dies tat sie völlig unentgeltlich, nur die Portokosten ließ sie sich ersetzen. In einem Brief an einen ihrer Schützlinge, dem sie zur Freilassung aus russischer Kriegsgefangenschaft verholfen hatte, wird ihre Motivation deutlich: 2. Mai 1950 Meine liebe Frau. […] und mein großes Sorgenkind B […] Hermann! Mit tiefer Freude nehme ich an Ihrem großen Glück teil! Aus meiner Gratulationsliste nach Moskau streiche ich Nr. 1 B[…], nachdem ich H. […] und Adelbert W. […] auch schon als ‚heimgekehrt‘ buchen durfte. Ich habe ein unbeschreibliches Glücksgefühl. Und was macht der Österreicher L. […] und S […]? Viele meiner Sorgenkinder sind heimgekehrt, aber der größte Teil blieb noch zurück. Kann ich für einen Ihrer Kameraden noch etwas tun? Heute in der Nacht wird das 1. Dankesschreiben nach Moskau geschrieben. Ich danke im Namen der Mütter, Frauen und Kinder, deren Söhne, Männer und Väter aus meiner Forschung heimgekehrt sind. Im Weihnachts-Bittschreiben schrieb ich nach Moskau: ‚Mit dem Glauben eines Kindes komme ich als Bittende für unsere Frauen zu Ihnen.‘ Heute kann ich schreiben: ‚Als beschenktes Kind, dessen Vertrauen nicht enttäuscht wurde, komme ich als Dankende für unsere Frauen, deren Lieben jetzt heimgekehrt sind.‘ Eingeengt von Not- und Hilferufen unserer Frauen schreibe ich Ihnen in Eile diese Zeilen immer getrieben von dem Gedanken an den Erfolg. Und dafür kreuzigt mich die Kirche. Trotzdem halte ich jenen die Treue dort draußen. Und nun, lieber Kamerad B […], wünsche ich Ihnen von Herzen, daß die Schatten der Vergangenheit sich bald lichten und Sie nur Freude und Glück erleben im Kreise ihrer Familie. Nun hat die Sorge für Ihre liebe Frau endlich ein Ende. Ihre Briefe in meinen Akten legen Zeugnis ab von all der Seelenqual. Aber auch dem Hoffen, dem ich manchmal nachhelfen mußte. Ich danke dem Schicksal für die Kraft, mit der es mich ausgestattet hat. Ich bin über mein eigenes Leid hinausgewachsen. Mit guten Wünschen und lieben Grüßen nehme ich Teil an Eurem Glück und bleibe der Gefangenen getreue Schwester Mara.1) Inländische wie ausländische Zeitungen berichten Anfang der 1950er-Jahre über das Engagement von Mara Arndt. Dazu schrieb sie an Familie B. am 27.7.1950: „ (…) Seit sich die ganze Welt mit mir beschäftigt, große Artikel im In- und Ausland mit Bildserien erscheinen, bin ich kaum ein Mensch mehr. Unmenschliches ist zu bewältigen. Aber die fast unwahrscheinlichen Erfolge geben mir Kraft. Heute singen die Zeitungen ein Loblied, aber die Tränen lassen sich nicht trocknen. Aber ich bin glücklich, daß ich vielen habe Freude spenden können. Es gibt Lager in Rußland, in die grundsätzlich keine Post kommt oder besser, in denen keine Post ausgegeben wird. Auch Moskau leitet keine Briefe hinein. Dafür aber liegen nachweislich alle meine begleitenden Bittschreiben monatlich in Moskau und beim Lager-Chef resp. Oberst des Stabes. Und das ist wichtig! Meine Briefe sind in anderen Lagern bis Ostern ausgegeben worden. So berichteten ‚meine Heimkehrer, die sie selbst erhielten (…). Die Rückführungen aus tschechischen Zuchthäusern, aus Polen und Ostpreussen klappen. Ca. 1000 Gesuche liegen zur Bearbeitung. Ich habe an jedem Heimkehrer eine aufrichtige Freude, der zu meinem Sorgenkreis gehörte. (…) Oft bewundere ich meine eigene Ausdauer, aber meine Aufgabe ist wohl schicksalsbedingt.“1) Wegen ihres Engagements wurde Mara Arndt jahrelang diffamiert und sogar der Spionage für den „Osten“ verdächtigt. Sie galt in Zeiten der Kalten Krieges in den Augen vieler anderer als politische Agentin für den Osten, denn für die meisten war es unerklärlich, warum Mara Arndt es schaffte, viele Kriegsgefangene aus den russischen Lagern zu holen. Die Diffamierung nagte sehr an Mara Arndts Seele und so schrieb sie in dem Brief an Familie B. vom 27.7.1950: „Leider hat der ‚Wettlauf mit dem Galgen‘ der letzten 2 Jahre viel in mir zerstört. Die Behörden, vor allem die Kirche hat mich mit Füßen getreten …., Bischof Heckel mich sogar ans Kreuz genagelt. Es war eine entsetzliche Zeit – bis das Ausland sich einsetzte.“ Ein Journalist, der Mara Arndt in ihrem Forsthaus aufgesucht und mit ihr ein Interview geführt hatte, versuchte die Wirkung Mara Anrdt‘s zu beschreiben und zu erklären, warum sie mit ihren Bitten bei der russischen Regierung Gehör fand: „Abseits jeder Doktrin und staatlicher Instanz hat sie es unternommen, als schwacher Einzelmensch, gestützt nur auf die Kraft ihrer beispiellosen Nächstenliebe mit beherzter Hand ganz allein ins Räderwerk der Weltpolitik zu greifen, um den schon verloren scheinenden Opfern der staatlichen und politischen Auseinandersetzungen zu helfen.“ Ab 1960 ist Mara Arndt im Hamburger Adressbuch aufgeführt. 1960 bekam sie das Bundesverdienstkreuz verliehen. Sie lebte von einer sehr geringen Rente. Text: Rita Bake [1] Private Briefe    

    Albertine Assor

    Gründerin u. Leiterin, erste Oberin, der später nach ihr benannten evangelischen Diakonie- und Krankenanstalten

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    22.3.1863
    Zinten/Ostpreußen

    22.2.1953
    Hamburg
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    Albertine Assor, deren Vater nach jahrzehntelanger Arbeit als Maurerpolier Prediger in Baptistengemeinden wurde, wandte sich der Gemeindediakonie zu, wurde 1891 Gemeindeschwester in Berlin-Moabit und kümmerte sich um arbeitslose junge Frauen und Straßenkinder. 1894 arbeitete sie in einem Bochumer Wohnheim für junge Frauen, ab 1895 als Gemeindeschwester im Berliner Norden, ab November 1902 dann als Oberin des Diakonissenhauses Tabea in Altona. Ihre selbstbewussten Ansichten kollidierten mit der Weltfremdheit des Hausvorstandes des Diakonissenhauses und dem dortigen männlichen Regiment. 1907 kam es zum Bruch: Albertine Assor wurde entlassen. Daraufhin gründete sie am 1.5.1907 zusammen mit sieben weiteren abtrünnigen Schwestern in einer kleinen Mietwohnung in der Fettstraße 20 das baptistische Diakonissen-Mutterhaus Siloah. Albertine Assor führte für die Schwestern u. a. das Mitbestimmungsrecht ein und sorgte dafür, dass sie sozialversichert wurden. Die Hilfe von Frau zu Frau war für Albertine Assor ein wichtiges Element, um Frauen ein neues Selbstwertgefühl zu geben. So übernahm sie im Januar 1909 ein Mädchenheim für alleinstehende erwerbstätige Mädchen in Hamburg-Eilbek, gründete 1910 den Schwesternverband, kaufte 1918 ein Haus in der Tornquiststraße 50, das zum Mutterhaus umgebaut wurde. Eifersucht, Ehrgeiz und Unverstand führten im Oktober 1919 zur Suspendierung Albertine Assors von ihrem Amt als Oberin bei Siloah. Sie zog zu Verwandten nach Ostpreußen und organisierte bereits ein Jahr später die Wanderfürsorge. 1921 wurde sie die 1. Vorsitzende des Schwesternverbandes, im Januar 1922 Leiterin eines christlichen Erholungsheimes in Schorborn. Als Siloah in eine Krise geriet, bat man um Albertine Assors Rückkehr nach Siloah. Im März 1925 wurde sie wieder als Oberin eingesetzt. 1927 pachtete sie für Siloah das Krankenhaus Am Weiher, das ab 1928 eine eigene Krankenpflegeschule erhielt. Weitere Einrichtungen der Schwesternschaft u. a.: 1928 Kauf des Hauses Tornquiststraße 48 als Altenheim; 1930 Umzug des Mädchenheims in die Heimhuderstraße 78, dort Einrichtung eines Leichtkrankenhauses für Frauen. 1935 Kauf des Hauses Mittelweg 111 als Leichtkrankenhaus für Männer. 1938 Kauf der Klinik Johnsallee. 1941 legte Albertine Assor ihr Amt nieder. Kurz darauf wurde auf staatliches Drängen der jüdische Name Siloah "getilgt" und das Werk in Albertinen-Haus umbenannt. Heute trägt das Werk zu Ehren seiner Gründerin den Namen Albertinen-Diakoniewerk e.V. Es gehört zum Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden. Das Albertinen-Krankenhaus und die Altenwohnanlage befinden sich in Hamburg Schnelsen.

    Rosa Bartl

    geb. Leichtmann

    Illusionistin, Zauberhändlerin, eine der vier "Magischen Schwestern" der "Leichtmann-Zauber-Dynastie", ab 1950 Mit-Inhaberin "Zauberzentrum János Bartl" Hamburg; NS-Verfolgte Hamburg

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    17.7.1884
    Wien

    23.9.1968
    Hamburg
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    "Zauber Bartl" / Geschäfts-Anschriften: Colonnaden 5 (erste gewerbliche Anschrift ab 1910 lautete "Akademie für moderne magische Kunst", Quelle z. B Hamburger Adressbücher) ; Neuer Jungfernstieg 1 (1. Zauber Bartl-Geschäft 1910 - 1930); Jungfernstieg 24 (2. Zauber Bartl-Geschäft 1930 -1952); Neuer Jungfernstieg 22 (3. Zauber-Bartl-Geschäft 1952 - 1962); Warburgstraße 47 (4. Zauber-Bartl-Geschäft 1962 -1968 im Privatdomizil) "Wenn in den 1930er Jahren Zauberfreunde miteinander fachsimpelten und dabei die Rede auf Hamburgs 'Zauberhändler vom Jungfernstieg' kam, dachten sie an den Firmeninhaber János Bartl, der den vielseitigen Service-Betrieb leitete, ebenso aber an seine in der Fachwelt unvergessene Ehefrau Rosa. Ihr war das Detail-Geschäft anvertraut. Während János Bartl üblicherweise im Hintergrund wirkte, führte seine Frau verantwortlich vor den Kulissen die Regie. Rosa Bartl war nicht nur eine exzellente Illusionistin sondern auch eine ausgezeichnete Verkäuferin." So schilderte der einstige Zauberhistoriker Werner Johannsen 1997 seine persönlichen Erinnerungen an die Blütezeit des renommierten Hamburger Zauberhauses Bartl. In seinem Artikel "Die Zauberhändler vom Hamburger Jungfernstieg" schrieb Johannsen weiter: "Besuchern im Zauberladen wurde keine Zeit gelassen, einzelne Kunststücke näher zu betrachten.'Wieselflink' huschte eine kleine schwarz gekleidete Dame aus einer Deckung hervor, um den Ankömmling in Empfang zu nehmen. Dies geschah immer in gleicher Weise, in einer höflichen Anrede in der dritten Person: 'Womit kann ich meinem Kunden dienen? Was wünscht der Herr (die Dame) auszugeben?', fragte sie in einem Tonfall, der auf eine österreichische Herkunft schließen ließ. Das war Madame Bartl, die hier das Sagen hatte. Wer das nicht wusste, dem wurde dies bald durch einen Verkäufer signalisiert. Im Gespräch mit einem Kunden wechselte Frau Bartl (wie sie sich selbst nannte) schon mal zum 'Sie' der Anrede über. Ein vertrauliches 'Du' kam ihr nie über die Lippen. Ältere Schulkinder wurden grundsätzlich von ihr gesiezt, was deren Kauflust in der Regel steigerte. - Ein Besucher, der nichts Besonderes suchte, wurde an eine Verkäuferin weitergereicht. Wer sich aber aus den hervorragend bebilderten Bartl-Katalogen einen anspruchsvollen Trick herausgesucht hatte, dessen Vorführung Geschicklichkeit erfordert, der wurde von der Chefin persönlich bedient. Im Nu hatte sie die Zaubertricks parat, die ihre Kunden interessierten, und begann mit der Demonstration. Rosa Bartl zauberte meisterlich, mit einem charmanten Begleitvortrag. Nie sah man bei ihr etwas 'blitzen', was eine Desillusionierung bewirkt hätte. Welcher Zauberadept wollte da nicht das 'Know-how' für das von Frau Bartl zelebrierte Wunder erfahren? In neun von zehn Fällen waren ihre Bemühungen von Erfolg gekrönt. Erst wenn der Kunde sich zum Kauf entschlossen hatte, legte die Zauberfee die geheimen Hilfsmittel auf den Tisch. Dann begann sie damit, Instruktionen zu erteilen, wie und an welcher Stelle die 'zauberischen Hilfsgeister' einzusetzen waren. Jeder Käufer sollte nach eigenem Üben in der Lage sein, mit Bartl-Requisiten erfolgreich zu zaubern. War der Unterricht beendet, ertönte aus ihrem Munde ein schneidend-lautes 'Der Kunde zahlt'. Die eingetütete Ware wanderte zur Kasse. Die weiteren Formalitäten übernahm die Kassiererin. Rosa Bartls Art entsprach es nicht, Geldbeträge entgegen zu nehmen und Zahlungsbelege auszustellen." "Die Mutter der Hamburger Zauberkünstler" - so ihr Ehrentitel in Fachkreisen - kam 1884 als gebürtige Rosa Leichtmann in Wien zur Welt. Ihr Vater Josef Leichtmann (03.01.1855 Kisvárda/Ungarn - 25.3.1929 München) war Kaufmann, Zauberhändler und Artist. 1880 zog Leichtmann von Ungarn nach Wien in die Metropole der damaligen Österreichisch-ungarischen Monarchie. Hier heiratete er seine aus Warschau stammende Frau Leonia, eine geborene Gantower (13.03.1854 Warschau/Polen - 29.11.1933 München). Während der Wiener Zeit des jüdischen Ehepaares (1881 bis 1892) wurden in der Donaumetropole vier ihrer fünf Kinder geboren: Stammhalter Maximilian (1881) und die Töchter Charlotte (1882), Rosa (1884), Melanie (1887). Nesthäkchen Leonie kam 1895 in Berlin zur Welt. - Die Leichtmann-Töchter gingen als "Magische vier Schwestern" in die Zaubergeschichte ein. Während der 1880er Jahre legte Ehepaar Leichtmann in Wien zunächst mit Läden für "Galanterie- und Nürnberger Waren" den Grundstein zum wirtschaftlichen Erfolg. - Josef Leichtmanns Liebe aber gehörte der Zauberkunst. Er war der Gründervater der "Leichtmann-Zauberdynastie" mit seinen Zauberkönig-Geschäften in Berlin, Köln, München und Zauber Bartl Hamburg. - 1884 begab er sich von Wien aus auf eine längere Geschäftsreise nach Deutschland, um dort "Boden" zu machen. In jenem Jahr gründete er seine beiden ältesten "Zauberkönig-Geschäfte" - zuerst in München, dann in Berlin. 1909 entstand in Köln ein dritter Leichtmann-Zauberladen, zunächst namentlich "Steinböck und Leichtmann zum Zauberkönig". Hintergrund: Josef Leichtmann (die Familie lebte damals bereits in München) hatte seine schwangere Tochter Melanie geradezu "verpflichtet", München zu verlassen, um mit ihrem 30 Jahre älteren Geliebten Eduard Steinböck - ein honoriger Kapellmeister am Münchner Gärtnerplatztheater - in Köln ein Scherzartikelgeschäft zu eröffnen. Das Paar beugte sich dem Diktat. - Hier kam nun Melanies patente Schwester Rosa Leichtmann (später verheiratete Bartl) ins Spiel: Rosa begleitete Schwester Melanie von München nach Köln und half, das Geschäft in der Hohestraße aufzubauen. Aber sie half im Laden nicht nur aus. Die exzellent zaubernde Rosa wurde Gesellschafterin. - Wenige Monate nur währte das schwesterliche "Teilhaberinnen-Glück". "Amore" stellte andere Weichen. Im Dezember 1909 betrat der junge János Bartl alias "ARADI" das Zauberreich der Schwestern. Rosa fing Feuer. Sie verliebte sich in den smarten ungarischen Zauberkünstler, ein gelernter Buchbinder und Vergolder (János Bartl, 13.4.1878 Nagybecskerek/Ungarn, heute Zrenjanin/Republik Serbien - 27.9.1958 Hamburg). Nach einer Wirbelwindromanze brannte das Paar nach London durch. Im Frühjahr 1910 waren die jüdische Rosa Leichtmann und der katholische János Bartl in London-Shoreditch standesamtlich verheiratet. Die emanzipierte Rosa war die erste dreier Leichtmann-Töchter, die sich getraut hatte, einen nicht-jüdischen Ehemann zu heiraten. Nach ihrer Eheschließung gründete das zauberbegeisterte Paar zunächst in Aachen ein Scherzartikelgeschäft. Schon Monate später ließen sie sich in der Hansestadt nieder. Bartls Entscheidung pro Hamburg kam nicht von ungefähr. Die Metropole Berlin, aber auch Köln und München waren familiär bereits mit "Leichtmann Zauberkönig-Geschäften" "besetzt". - Der Berliner Zauberladen auf der Friedrichstraße lag seit 1906 in Händen von Arthur und Charlotte Kroner (die älteste Leichtmann-Tochter). - In Köln auf der Hohestraße führte Melanie Leichtmann (seit 1911 nun verheiratete Steinböck) Regie als "Zauberkönigin". Die Bayernhauptstadt München galt als Familien-Stammsitz der Leichtmanns. Der "Zauberkönig" im dortigen historischen "Stachus-Kiosk" sollte einmal der jüngsten Leichtmann-Tochter Leonie, verheiratete Mösch, überantwortet werden. Das maritime Hamburg an der Schwelle des 20. Jahrhunderts galt als "das Tor zur Welt". Überseehandel, prosperierende Wirtschaft und rasante Industrialisierung ließen die Hansestadt zu einer der modernsten und reichsten Städte Deutschlands werden. Rosa und János Bartl strebten nach Unabhängigkeit und wirtschaftlichem Erfolg. Ihr Entschluss, in Hamburg ein Zauberimperium mit Exportmöglichkeiten nach allen Teilen der Welt aufzubauen, stand unter einem guten Stern. Dort war fruchtbarer Boden auch für die Illusionskunst; 1912 wurde im heutigen Hamburg-Altona der älteste deutsche Magische Zirkel gegründet - einer der frühesten Magier-Klubs weltweit. Bartls erste gewerbliche Hamburger Geschäftsadresse 1910 lautete: Colonnaden 5. Hier tauchte auch zum ersten Mal der Name "Bartls Akademie für moderne magische Kunst" auf Nur wenige Schritte von den Colonnaden entfernt eröffnete "Zauber Bartl" kurz darauf in einem attraktiven Eckhaus am Neuen Jungfernstieg 1 sein erstes Zauber- und Scherzartikelgeschäft. - Noch vor Beginn des Ersten Weltkriegs brachte die Firma ihren großen 316-seitigen Zauberkatalog heraus. 1910 kam Sohn Hans (15.12.1910 - 3.41986 Hamburg) zur Welt. 1913 wurde Tochter Elly geboren (22.11.1913 Hamburg - 3.4.1996 Stockholm/Schweden). Die Bartls liebten ihre Kinder. Leidenschaft und Passion ihres Lebens aber gehörten der Zauberkunst. Weder Hans noch Elly gelang es, je einen ersten Platz im Leben ihrer Eltern einzunehmen. Der erste Weltkrieg (1914 - 1918) machte es dem Zauber-Unternehmen schwer. János Bartl war bei Kriegsausbruch auf Geschäftsreise in Großbritannien. Die Zeit bis zum Waffenstillstand verbrachte er als Zivilinternierter auf der britischen Insel "Isle of Man". Rosa oblag es, das Geschäft am Neuen Jungfernstieg allein weiterzuführen. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs fusionierten die Zauberhändler Bartl und die Hamburger Requisiten-Fabrikanten "Carl und John Willmann" über einen Zeitraum von fünf Jahren. Von Juli 1919 bis August 1924 schlossen sich der Händler und der Fabrikant zur offenen Handelsgesellschaft OHG "Vereinigte Zauberapparate-Fabrik Bartl & Willmann" zusammen. Eine sinnvolle "Firmen-Zweckgemeinschaft", die sich aber wegen Partnerdifferenzen 1924 wieder auflöste. Nach dem Ende der Fusion "Bartl & Willmann" und der Einführung der stabilen Reichsmark im Jahre 1924 beantragte János (Johann) Bartl im Frühjahr 1925 für sich und seine Familie den Erwerb der "Hamburger Staatsangehörigkeit". Er berief sich darauf, aus einer deutschen katholischen Handwerker-Familie zu stammen, die einst nach Ungarn ausgewandert war. Nach einem langwierigen Einbürgerungsverfahren - bei dem auch der Werdegang seiner Frau Rosa penibel auf Lauterkeit nachverfolgt wurde - erhielt János Bartl am 3. September 1925 für sich, seine Frau Rosa und seine beiden Kinder die "Einbürgerungsurkunde der Freien und Hansestadt Hamburg". Ende der 1920er Jahre hatten Rosa und János Bartl den Sprung "vom Zauberhändler zum Fabrikanten" geschafft. Es gab aber auch geschäftlich einschneidende Veränderungen.1930 wurde das gründerzeitliche Eckhaus "Neuer Jungfernstieg 1" mit Bartls Zauberladen zugunsten des heutigen "Prien-Hauses" (auch: "Alstereck"/"Nivea Haus") abgerissen. Zauber Bartl musste umziehen. Rosa und János fanden attraktive Geschäftsräume in einem schmalen Bürohaus am Jungfernstieg 24, ehemals direkt neben einer großen Filiale der Dresdner Bank. Außenwerbung konnte hier kaum angebracht werden. János Bartl engagierte daher einen "werbenden Talermann" - eine Art "Sandwich-Man" mit Zylinder und wallendem Mantel voll aufgenähter, hörbar klimpernder Münzen. Tag für Tag stapfte er vor Bartls Laden auf und ab und verteilte Werbezettel an staunende Passanten." Zauberhistoriker Werner Johannsen beschrieb in seiner Abhandlung "Die Zauberhändler vom Hamburger Jungfernstieg" die Besonderheiten des neuen Geschäfts am Jungfernstieg 24: "Den "Zauber Bartl"-Laden fand man, wenn man einen tunnelartigen Gang durchschritten hatte. Hinter der Ladentür gelangte der Besucher in einen Raum, der in seiner Ausstattung einzigartig war. Der schlauchartig sich in die Tiefe erstreckende Raum wurde am Ende durch eine märchenhafte Versuchsbühne abgeriegelt." Viele Illusionisten und Zauberkünstler wie Horace Goldin, Arnold de Bière, Lewis Davenport, Bellachini u.v.a.m. haben hier erworbene Kunststücke eingeübt. Zu den Räumlichkeiten des Geschäfts gehörte auch eine moderne feinmechanische Werkstatt. - Zwei Meister aus früheren "Bartl & Willmann"-Zeiten standen János Bartl mit ihrem Fachwissen zur Seite. Die 1930er Jahre galten als Epoche des "Bartl-Booms" vor dem Zweiten Weltkrieg. Zu den genialen Bartl-Erfindungen zählten das Verschwinde-Kästchen "Silkwonder Superb", der Verkaufsschlager "Cobra" ("Indische Schlangenbaumwurzel"), das Flüssigkeitswunder "Evaporation", aber auch viele weitere Illusionen und Neuerungen. - Achtzig abgelaufene János Bartl-"D.R.G.M.-Patente" (Deutsches Reichs-Gebrauchsmuster) im Berliner Patentamt aus den 1920er bis 1930er Jahren zeugen von jener erfinderisch vielseitigen Bartl-Ära. Auch so wird eine Anekdote verständlich: "Der Herr Direktor ist nicht im Hause", unter diesem, bei Zauberern wohlbekannten Vorwand ließ die Bartl-Chefin bisweilen selbst beste Zauberfreunde schnarrend abblitzen, wenn sie mit János fachsimpeln wollten oder künstlerische Höhenflüge ihres hinter einem Paravent tüftelnden Mannes hätten stören können. "ETUISO" - eine besondere Rosa Bartl-Erfindung, bereicherte das umfangreiche Trickrepertoire ihres Mannes. Mit "Etuiso - das neueste Zigarettenetui" machte Rosa Bartl als eigenständige Erfinderin Furore! Werner Johannsen schrieb dazu: "Eine brennende Zigarette wird in eine vernickelte Röhre geschoben, in der sie spurlos verschwindet. Statt der Zigarette findet der Zuschauer in der Hülse einige Streichhölzer. - Wer Etuiso in seiner Tricksammlung hat, weiß, dass die Zubehörteile äußerst präzise gefertigt wurden. Auch ein sehr aufmerksamer Zuschauer findet keine Anhaltspunkte dafür, wie das ´Verschwinde-Wunder" zustande kommt", erklärte der Zauber-Historiker Johannsen. Und er fügte hinzu: "Der Firmengründer übertreibt wohl nicht, wenn er Anfang der 1930er Jahre sein Unternehmen als "größtes Spezialhaus der Branche" bezeichnet." Geschäfte in der Zeit bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges machten Bartls glänzende. Um 1934 wurden sie von der Hamburger Handelskammer als Geschäft ausgezeichnet, das in der Hansestadt in einer Woche den höchsten Betrag an Bar-Devisen eingenommen hatte. Rund 60.000 US-Dollar häuften sich damals in Rosa Bartls Kasse. Der zauberbegeisterte US-Präsident Franklin D. Roosevelt (1882-1945) hatte seinen Finanzstaatssekretär William W. Durbin gebeten, bei Bartl am Jungfernstieg Illusionen in beträchtlichen Dimensionen zu erwerben. Dieser zauberhafte "Rosa-Bartl-Coup" nötigte selbst der hanseatischen Kaufmannschaft Respekt ab. Mit der Machtübernehme der Nationalsozialisten 1933 begann für die Leichtmann-Familie mit ihren Zauberkönig-Geschäften in Berlin (Charlotte und Arthur Kroner), Hamburg ("Zauber Bartl" mit Rosa und János), Köln (Melanie und Eduard Steinböck) wie München (Leonie und Otto Mösch) ein verzweifeltes Ringen um die Existenz. Rosa und ihre "Magischen Schwestern" waren - wie auch Arthur Kroner in Berlin - Juden. In jener konflikt- und spannungsgeladenen Zeit dramatischer Verfolgungen und Hetzjagd auf alles Jüdische zerbrachen Familien und familiäre Bande. Die Dramen der Leichtmann-Familie spielten sich in Berlin und Köln ab. Aber auch hier gab es "Wunder": Ehepaar Kroner in Berlin und ihre älteste Tochter Meta wurden Opfer des Holocaust. Einem Teil der jungen Familie Kroner - zwei Töchtern mit ihren Ehepartnern und Kindern - aber gelang 1939 gerade noch die Flucht aus Deutschland. Die Kölner Zauberkönigin Melanie Steinböck - bereits seit 1926 Eduard Steinböcks Witwe - wurde 1943 von den Nazis aus dem zerbombten Köln in das KZ Theresienstadt verschleppt (Terezin, errichtet 1940-1945 auf dem im "Dritten Reich" besetzten Gebiet des damaligen Böhmen und Mährens, heute Tschechische Republik). Sie überlebte, kehrte 1945 nach Deutschland zurück und baute inmitten von Schutt und Asche der Kölner Hohe Straße dort ihren Zauberkönig wieder auf. In der Hansestadt Hamburg überlebten wie durch ein Wunder Rosa und János Bartl mit ihren Kindern Hans und Elly. Eine entscheidende Rolle dürfte gespielt haben, dass Rosa (wie Schwester Leonie Mösch, die in München die NS-Zeit ebenfalls unbeschadet überlebte,) in sogenannter privilegierter Mischehe mit einem christlichen Ehemann verheiratet war. - Psychisch erleichternd könnte gewesen sein, dass Rosa Bartl - wie auch Schwester Leonie - keinen gelben Judenstern tragen musste. In Bartl-Familienkreisen mutmaßt man, Rosa und János hätten Schutz im Hamburger Senat gehabt. Ebenfalls denkbar: Als hoch geschätzte "Zauberhändler vom Hamburger Jungfernstieg" könnten die Bartls hinter den Kulissen brauner Machtstrukturen Fürsprecher beim Magischen Zirkel gehabt haben, dem sie sich - auch als Nichtmitglieder - ein Leben lang eng verbunden fühlten. Rosa Bartl erlebte während der Nazi-Zeit Schikanen, Demütigungen und diverse Gestapo-Vorladungen. Sie durfte ihr geliebtes Zaubergeschäft nicht mehr betreten. Eines Tages - so weiß Bartl-Enkel Bernd zu berichten - soll ein typischer "Möbelwagen der Gestapo" vor der Bartl-Villa geparkt haben. Es heißt, Rosa hätte nach Theresienstadt deportiert werden sollen. Sie rettete sich "dank" einem Schnitt in die Pulsader. 1945 war Rosa Bartl als eine von nur 647 jüdischen Überlebenden des Holocaust im Raum Hamburg gemeldet. Ein treuer Bartl-Kunde erinnerte sich an seinen ersten Besuch in "Bartls Reich" am Jungfernstieg nach dem Krieg: Dort saß "inmitten eines gänzlich leeren Geschäfts mit gähnend leeren Vitrinen Rosa Bartl. Ansonsten schien alles wie vor dem Krieg zu sein. Auch Rosas vertrauter Willkommensspruch: "Womit kann ich meinem geschätzten Kunden dienen? - Was wünscht der geehrte Kunde auszugeben?"" Der Zauberkunde verlangte aus dem Bartl-Katalog Tricks "für sehr viel Geld". Aber Rosa gestand, dass es die Requisiten "umständehalber" nicht gab." Bis zur Währungsreform 1948. Zwischen 1948 und 1950 traten entscheidende Wandelungen in der Bartl-Firmenstruktur ein. Im Februar 1948 benannten Rosa und János Bartl ihr Geschäft in "Zauberzentrum János Bartl" um. Die neue Firmenbezeichnung soll auf Anregung von Rosa Bartl entstanden sein. Kurz zuvor, im Mai 1949, besiegelte der Artikel 3, Abs.2, des neuen Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland die Gleichberechtigung für Mann und Frau. Sogleich übernahm das Zauberzentrum János Bartl die neue Gleichstellung: 1950 wurde Rosa Bartl Gesellschafterin ihrer Firma. Das "Zauberzentrum János Bartl" firmierte ab sofort als offene Handelsgesellschaft (OHG). 1952 mussten Rosa und János Bartl noch einmal an der Binnenalster umziehen. Die Dresdner Bank, auf deren Gelände sich die von Bartl gemieteten Geschäftsräume befanden, meldete nach zwanzig Jahren Eigenbedarf an. So kam es zur Kündigung für den Traditionszauberladen am Jungfernstieg 24 Ein ehemaliger Röhrenbunker des Zweiten Weltkriegs, nahe Lombardsbrücke und Esplanade, wurde Bartls neues Domizil. Im Bunker mussten einschneidende Veränderungen in Kauf genommen werden. In der schmalen, schlauchartigen Schutzanlage gab es weder Platz für eine Versuchsbühne noch für eine feinmechanische Werkstatt. Im räumlich begrenzten hinteren Ladenteil konnten lediglich Tricks, Schabernack- und Silvesterscherzartikel gefertigt werden. "Lachen ist gesund" lautete die Devise nach zwei Weltkriegen. Bartls mussten die neuen Gegebenheiten hinnehmen. So verwandelten sie Ihr Bunkerkellerreich mehr und mehr in ein Scherzartikelgeschäft. Ein besonderes Flair hatte der zum Zauberladen umfunktionierte "3-Röhren-Schutzbunker". Man musste zunächst in eine Art kühle Kellergruft hinabsteigen, um bei Bartls Staunen und Wundern zu erlernen. Unten im Illusionsreich schaltete und waltete wie eh und je Madame Rosa und zog Dukaten aus Nasen, Ohren und Geldbörsen ihrer verblüfften Klientel. Mitunter zauberte sie die Münzen auch in die Taschen ihrer glückstrahlenden Enkel, erinnert sich Birgit Bartl-Engelhardt, Enkelin und Autorin des am 21. August 2019 in Hamburg erschienenden Werks "Die Bartl-Chronik Hamburg". Am 27. September 1958 starb János Bartl. Vier Jahre später sah sich Rosa gezwungen - nach zähem Ringen mit der Stadtverwaltung um Kündigungsaufschub - ihren Zauberbunker an der Alster endgültig aufzugeben. Unter dem Motto "Unsere Stadt soll grüner werden", im Zusammenhang mit der Internationalen Gartenbauausstellung IGA 1963, wurde der Röhrenbunker 1962 abgerissen. Rosa Bartl musste mit ihrem Zauberinventar noch einmal umziehen. Dieses Mal in ihre Privatvilla in der Warburgstraße 47. Dort vertrieb die betagte Illusionistin noch sechs Jahre lang "Bartls begehrte Zauberrequisiten". 1968 sollte die ruhig gelegene Stadtvilla der früheren Fontenay-Gesellschaft abgerissen werden. Printmedien und Fernsehen waren informiert. Alle wollten Rosa Bartl - "die Grande Dame" der Hamburger Zauberkunst - noch einmal live erleben. So auch Filmemacher Ernst Günter Paris. Er durfte seinerzeit im Auftrag des WDR-Fernsehens in "Bartls Hexenhäuschen" drehen. Zwischen Glimmer, Glitzer, Geisteruhren war die Mutter der Hamburger Zauberkünstler in ihrem Element. Madame Bartl, bekannt als strenge Bewahrerin großer Tricks und kleiner Bluffs, zeigte ein letztes Mal auf ihrer Lebensbühne eine zauberisch tadellose Darbietung. Im WDR-Sechs-Minuten-Film "Mini Magie" demonstrierte sie noch einmal bekannte Bartl-Tricks wie "Cobra" oder "Fidelicus". (Der gesamte Film von 1968 aus dem WDR-TV-Magazin "Bitte umblättern" ist zu sehen auf Youtube unter dem LINK: https://www.youtube.com/watch?v=sMFg57Di50U). Am 23. September 1968 starb Rosa Bartl mit 84 Jahren einsam, verbittert und ihrer nicht würdig. - In ihren letzten Lebenstagen wurde sie "zwangsentmündigt" in die Hamburger "Nervenheilanstalt" Langenhorn/Ochsenzoll eingewiesen (heutige Bezeichnung: Klinik Nord Ochsenzoll). Jànos und Rosa Bartl fanden ihre letzte Ruhe auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Das Nutzungsrecht für die Grabstätte "Bartl Q 15/92, Grabbriefnummer 183320" (Brief Elly Schlossmann, geb. Bartl, Mörbydalen/Schweden, v. 22.11.1993, an "Verwaltung Hauptfriedhof Ohlsdorf, Herrn Lehmann") lief 1998 aus (Foto des ehemaligen Grabmals von Werner Johannsen). Das "Zauberzentrum János Bartl" wurde 1968 an den Zauberkünstler und -händler Carl-Gerd Heubes veräußert, der das Geschäft bis zu seinem frühen Tode 1998 innehatte (ausführlich dargestellt unter dem LINK: http://www.zauber-pedia.de/index.php?title=Carl-Gerd_Heubes). Text: Dr. Cornelia Göksu unter Mitwirkung der Enkelin Birgit Bartl-Engelhardt Hauptsächlich benutzte Quellen - Johannsen, Werner: János Bartl. "Der Zauberhändler vom Hamburger Jungfernstieg". / In: MAGIE 1/97, S. 24-32. - Johannsen, Werner: János Bartl. "Die Zauberhändler vom Hamburger Jungfernstieg: János Bartl (1878-1958) und seine Ehefrau Rosa (1884-1968)". Erinnerungen von Werner Johannsen. In: Hamburgische Geschichts- und Heimatblätter, Band 14, Heft 12, Oktober 2003, Seite 273-282. - Witt, Wittus: Janos Bartl: Eine Chronologie: 1. In: Magische Welt 57/2008, S. 102-109 - Rawert, Peter: Zauberkunst. Als Hamburg das Zaubern lernte. Vor 100 Jahren gründeten hanseatische Hobby-Zauberer den Magischen Zirkel, Deutschlands ersten Magier-Klub: über die Lust an der Illusion. In: Tageszeitung Hamburger Abendblatt, 12.4.2012, online unter LINK: https://www.abendblatt.de/hamburg/article107789340/Als-Hamburg-das-Zaubern-lernte.html (aufgerufen am 24.7.2019, 16.30 Uhr) - Bartl-Engelhardt, Birgit (Enkelin von Rosa und János Bartl): Ein Leben für die Zauberkunst. In: Die Kunst des Verzauberns. Festschrift 100 Jahre Magischer Zirkel Hamburg, Hamburg 2012, S. 179-190 - Hirsch, Vanessa/Rawert, Peter: Verzaubert! Von geheimen Wissenschaften und magischen Spektakeln = Begleitheft zur gleichnamigen Ausstellung im Altonaer Museum, Hamburg 2012. Hrsg. v. der Stiftung Historische Museen, Hamburg, Altonaer Museum für Kunst und Kulturgeschichte (AM) und dem Verlag Magische Welt, Hamburg. Gestaltung Wittus Witt. Weiterführende Literatur - Am 21. August 2019 erscheint das Werk "Die Bartl-Chronik Hamburg 1910 - 1998". Die Buchpräsentation findet in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky statt. Diese Dokumentation basiert auf langjährigen Recherchen der Autorin Birgit Bartl-Engelhardt, die Enkelin von Rosa Bartl ist. (Satz, Layout, Gesamtgestaltung: Wittus Witt. Druck und Produktion: Verlag Magische Welt Hamburg 2019. ISBN 978-3-947289-23-3).

    Marie Bautz

    geb. Bachmann

    SPD-Bürgerschaftsabgeordnete

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    1.2.1879
    Eppishofen bei Augsburg

    30.12.1929
    Berlin
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    Marie Bautz arbeitete zuerst als Dienstmädchen und später bis zu ihrer Verheiratung im Jahre 1900 als Fabrikarbeiterin. 1907 kam sie nach Hamburg und wurde 1913 Geschäftsführerin im Verband der Hausangestellten. Nachdem 1918 die Frauen das aktive und passive Wahlrecht erkämpft hatten, wurden 1919 bei der Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft zum ersten Mal Frauen in die Bürgerschaft gewählt. 168 Männer und siebzehn Frauen zogen 1919 in die Bürgerschaft ein. Unter ihnen war auch Marie Bautz. Sie und weitere acht Frauen gehörten der SPD-Fraktion an., vier Frauen der DDP (Deutsche Demokratische Partei), zwei der USPD (Unabhängige sozialdemokratische Partei), eine der DVP (Deutsche Volkspartei) und eine weitere der DNVP (Deutschnationale Volkspartei). Schwerpunkte der Politik der weiblichen Bürgerschaftsabgeordneten waren die Bereiche Sozialpolitik und Wohlfahrtspflege, Bevölkerungspolitik und Gesundheitsfürsorge, Jugendpflege und Schulpolitik sowie Ehe- und Familienrecht. Obwohl Frauen nun das aktive und passive Wahlrecht besaßen, blieben sie im Parlament in der Minderheit und erhielten kaum aussichtsreiche Listenplätze. Frauen waren als Politikerinnen nicht gefragt. Marie Bautz war von 1919 bis 1924 Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft und Deputierte der Behörde für Öffentliche Jugendfürsorge.

    Lonny Beese

    geb. Lisser

    Opfer des Nationalsozialismus

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    18.05. 1905
    Breslau

    10.09.1944
    durch Freitod in Hamburg
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    Die Kindheit von Lonny Beese begann in einer gutbürgerlichen jüdischen Familie in Bremen. Nachdem die Ehe ihrer Eltern im Jahr 1925 geschieden worden war, ging ihre Mutter Alma Lisser nach Hamburg und arbeitete als Wirtschafterin bei Adolf Beese in der Grindelallee 73. Hier lernte ihre Tochter Lonny den Sohn des Hauses, Walter Beese, kennen. 1927 wurde geheiratet, nachdem Lonny zum Christentum konvertiert war. Am 21. Februar 1928 kam Tochter Ursula auf die Welt. Im April 1940 reichte Walter Beese die Scheidung ein. Er verstieß seine Tochter als "Bastard" und brach jeglichen Kontakt ab. Lonny konnte zu ihrer Mutter Alma Lisser und ihrem Schwiegervater Adolf Beese in die Grindelallee 73 ziehen. Sie musste nun alleine für ihre Tochter sorgen, die als "Mischling ersten Grades" galt. Das rettete Lonny vorläufig vor der Deportation. Die antijüdischen Gesetze zwangen ihre Mutter Alma Lisser im Januar 1941, die gemeinsame Wohnung in der Grindelallee 73 zu verlassen. Sie musste - völlig mittellos - zunächst im Mittelweg 16 und dann im "Judenhaus", Rutschbahn 25a, wohnen. Von dort aus wurde sie am 11. Juli 1942 nach Auschwitz deportiert und ermordet. Lonny Beese konnte bis 1943 im Büro eines jüdischen Rechtsanwalts arbeiten. Nach dessen Verhaftung wurde sie zum "Judeneinsatz" gezwungen: Sie musste bei der Firma Heldmann-Chemie Ratten- und Mäusegift verpacken und für die Firma Dralle Trümmer und Schutt beseitigen. Die Zwangsarbeit und die Deportation ihrer Mutter belasteten Lonny seelisch so sehr, dass sie sich krankschreiben lassen musste. Sie machte eine Eingabe bei Karl Kaufmann, dem Reichsstatthalter von Hamburg, um wieder im Büro arbeiten zu dürfen. Sie wurde als Stenotypistin der Firma Greve und Behrens zugewiesen. Im April 1943 starb Adolf Beese. Lonny konnte den Mietvertrag für die Grindelallee 73 übernehmen und dort mit ihrer Tochter wohnen bleiben. Allerdings war sie jetzt vollkommen schutzlos dem Leiter des Arbeitsamtes "für den Judeneinsatz", Willibald Schaller, ausgesetzt, der sie zu Hause aufsuchte und bedrängte. Willibald Schaller hatte, wie ein Gericht nach dem Krieg feststellte, mehrere jüdische Frauen sexuell bedrängt und sie sich - bei Androhung einer Anzeige bei der Gestapo - gefügig gemacht. Ausgerechnet die "arischen" Untermieter, die Lonny nach der Ausbombung 1943 bei sich in der Wohnung aufgenommen hatte, denunzierten und beschuldigten sie der "Rassenschande" und des Abhörens feindlicher Sender. Diese ausweglose Lage trieb Lonny Beese in den Freitod. Sie nahm am 8. September 1944 eine Überdosis Veronal und starb zwei Tage später an den Folgen der Vergiftung im Universitätskrankenhaus Eppendorf. In ihrem Abschiedsbrief erklärte sie, der Verrat der Untermieter hätten ihr den Rest gegeben, und dass sie als Jüdin niemals Recht bekommen hätte. Lonnys Tochter Ursula Beese überlebte. Sie ist am 24. Juli 2018 gestorben und wurde in Ohlsdorf, im Ehrenhain der Geschwister-Scholl-Stiftung für die Verfolgten des Naziregimes, bestattet. In der Grindelallee 73 erinnern Stolpersteine an Alma Lisser und Lonny Beese. Alma Lisser, geb. Königsfeld, ist als Opfer auch in der Gedenkstätte am Deportationsort Hannoverscher Bahnhof namentlich aufgeführt. Quellen: Die Biographietexte zu den Stolpersteinen und Erinnerungen aus den Gesprächen zwischen Ursula Beese und ihren Söhnen.

    Uschi Beese

    geb. Roggenbau

    Landesvorsitzende der Hamburger Guttempler

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    8. 7. 1930
    Hamburg

    26 1. 2008
    Hamburg
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    Die Anwaltsgehilfin Uschi Beese war seit 1958 mit dem Buchhändler Heinz Jacob Beese (gest. 1999) verheiratet, der einen Buchladen in Hamburg-Bergedorf betrieb, wo das Ehepaar seine erste gemeinsame Wohnung bezog, bevor es vier Jahre später 1961 nach Wandsbek in die Walddörferstraße 42 (später in Nr. 214) zog.
    Ihr gemeinsamer Kinderwunsch erfüllte sich leider nicht. Nach drei Fehlgeburten gab das Paar ihn auf Anraten der Ärzte auf. Vielleicht war dies ein Auslöser für die spätere Alkoholerkrankung.
    Wegen seines immer größer werdenden Alkoholproblems musste Heinz Beese schließlich die Buchhandlung aufgeben, was Arbeitslosigkeit zur Folge hatte. Auch Uschi Beese hatte mit dem Alhohol Probleme und bezeichnete sich als alkoholgefährdet.
    Nach der "Trockenschleuderung" von Heinz Beese im AK Alsterdorf lernte das Ehepaar Beese Walter Zwang kennen, Suchtberater im Guttemplerhaus am Moorkamp, woraufhin Uschi Beese im April 1976 Mitglied der Guttempler-Gemeinschaft in Hamburg St. Georg wurde. Ihr Ehemann folgte ihr im August desselben Jahres.
    Die ehrenamtliche Arbeit in der Guttempler-Organisation wurde für das Ehepaar Beese zur Lebensaufgabe. Es stieg in die Selbsthilfegruppenarbeit ein und gründete seine eigene Gesprächsgruppe im Guttemplerhaus St. Georg.
    Im Oktober 1980 wurde die Guttempler-Gemeinschaft "Wandsbek" gegründet, deren Leiter Heinz Beese und deren Schriftführerin Uschi Beese wurde. Das Ehepaar Beese organisierte dort ebenfalls eine Gesprächsgruppe, zeitweise leitete es sogar zwei Gruppen. Außerdem unternahm es viele Jahre lang gemeinsam Hausbesuche bei Menschen in Not. Einige Jahre später zog sich Heinz Beese aus der Gesprächsgruppenarbeit zurück. Uschi Beese managte nun diese Gruppen allein. Auch gab Heinz Beese wegen seiner beruflichen Arbeitsbelastung die Leitung der Guttempler-Gemeinschaft "Wandsbek" an seine Frau ab.
    Uschi Beese, die den Sinn ihres Lebens darin sah, Menschen zu helfen, von der Alkoholsucht frei zu kommen, stellte die Guttempler im Allgemeinen Krankenhaus Eilbek vor. Dafür war sie jeden Sonntag um 10.00 Uhr dort anwesend und ansprechbar. Nur sehr selten war sie verhindert. Als die Guttempler-Gemeinschaft "Wandsbek" 1988 insgesamt 93 Mitglieder besaß, gründete Uschi Beese noch im selben Jahr die Gemeinschaft "Eilbek". Darüber hinaus führte Uschi Beeses Gemeinschaft die Guttempler im Allgemeinen Krankenhaus Alsterdorf ein, woraus sich auf dem Gelände des Krankenhauses die zweite Gesprächsgruppe der Guttempler-Gemeinschaft "Wandsbek" etablierte. 1997 folgte die Gemeinschaft "Alstersterne".
    Uschi Beeses Lebensaufgabe war und blieb die offene Gesprächsgruppenarbeit. Zu jeder Tages- und Nachtzeit war sie für ratsuchende GuttemplerInnen erreichbar. Später wurde Uschi Beese Distrikttemplerin (Landesvorsitzende) in Hamburg und leitete den Distrikt einige Jahre. 1999 verlieh ihr der Hamburger Senat die Medaille für herausragende ehrenamtliche Tätigkeiten.
    Durch Uschi Beeses Engagement wurden im Laufe der Jahre mehrere hundert Menschen für ihr weiteres Leben "trocken". Aus dem Kreis der Gesprächsgruppenteilnehmenden und deren Angehörigen wurden viele Menschen dauerhaft Mitglieder im Deutschen Guttempler Orden Hamburg.
    Bis zwei Wochen vor ihrem Tod am 26. Januar 2008 war Uschi Beese in "ihrer" Gesprächsgruppe präsent. Wenn auch, bedingt durch ihre schwere Krebserkrankung, nicht immer persönlich, dennoch hielt sie jederzeit telefonisch Kontakt zu ihren Mitmenschen und war für sie da.

    Clara Gertrud Antoinette Benthien

    geb. Vetter

    Gemeinsam mit ihrem Mann Hans Benthien war sie Inhaberin des Künstlerkellers "Weinprobierstube Benthien - Tante Clara"

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    27.9.1887
    Düsseldorf

    16.11.1962
    Hamburg
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    Clara Benthien wurde als Tochter des Düsseldorfer Architekten Carl Vetter und seiner Frau Christine Antoinette Josephine Henriette (Nachname unbekannt) geboren. Die Mutter verstarb früh und sie wuchs zusammen mit einer etwas jüngeren Stiefschwester auf und erlernte - wegen ihrer künstlerischen Begabung - den Beruf der Hutmacherin. Bei einem Ferienaufenthalt an der Ostsee lernte sie den Hamburger Fabrikantensohn und Maler Hans Carl Louis Benthien kennen, den sie 1912 in Hamburg heiratete. 1913 wurde ihre Tochter Henni Karla Louise, genannt Henriette, geboren. Vom Kriegsdienst an der russischen Front nach dem Ersten Weltkrieg heimgekehrt begann ihr Mann mit dem Weinhandel. Inspiriert dazu hatte ihn die Erinnerung an eine alte Familientradition - Vorfahren seiner Mutter waren Besitzer des Heusshof, einer berühmten Gastwirtschaft in Eimsbüttel gewesen nach welcher der Heußweg benannt ist. Bald gründete er "Benthiens Weinprobierstube" am Brandsende 13/Ecke Raboisen. Von 1925 bis zu dessen Ausbombung 1944 führte er zusammen mit Clara den allmählich weltbekannt gewordenen Künstlerkeller "Tante Clara", der sich daraus entwickelt hatte und dessen Zentrum sehr schnell seine originelle und einfallsreiche Frau wurde. Sieben Stufen stieg man hinab, um in einen Raum mit Weinfässern als Tische zu gelangen, mit selbst entworfenen Hockern und Lampen und mit großem von dem Hamburger Maler und Architekten Robert Schneller (1901-1980) mit Decken- und Wandgemälden ausgestatteten Haupt- und kleinen verwinkelten Nebenräumen (genannt "Neue Loge" und "Alte Loge", da sich hier nach 1935 auch unerkannt Hamburger Freimaurer treffen konnten). Clara Benthien war die Seele des Ganzen. Für ihre Gäste sang sie mit rauchig-herber Stimme ab 1930 von Künstlern ihres Kellers extra nur für sie und für diesen Ort gestaltete Moritaten, angeregt von Kurt Pabst Film "Dreigroschenoper und bestärkt von ihrer Freundin der Berliner Chansonsängerin Claire Waldoff und begleitet von einem Akkorde on. Auch den Klängen einer Laute konnte man dort lauschen. Es sind mehr als 136 Bekanntheiten des kulturellen und wissenschaftlichen Lebens als ihre Gäste identifiziert worden: Publizisten wie Erich Lüth, Julius Jacobi und Hugo Sieker, Schriftsteller wie Johannes R. Becher, und Carl Brinitzer, die Verleger Hilde und Eugen Claassen, Schauspieler wie Siegfried Arno, Anita Berber, Heinrich George, Brigitte Helm, Marianne Hoppe, Leopold Jessner, Victor de Kowa und Conrad Veidt und neben Robert Schneller Maler und Zeichner wie Hannes Runge, Jan Laß, Elzie Crisler Segar (der Erfinder von "Popeye"), Tetjus Tügel und Otto Wild. Endlich wurde Clara Benthien - im wesentlichen um Künstler zu unterstützen - auch zur Kunsthändlerin. Während der NS-Zeit fanden hier Unangepasste und in Opposition zum NS-Staat Stehende einen verschwiegenen Ort, an dem sie sich mit Gleichgesinnten treffen konnten. Hier fanden und entwickelten sie sogar einen Humor, der draußen vor "Draußen vor der Tür" verloren gegangen war. Hier konnte man offen miteinander sprechen und erfuhr Unterstützung, die von einer warmen Mahlzeit für Verarmte und Ausgebombte bis hin zu Wegen ins Exil nach London oder in die USA reichten. In einem Hinterzimmer wurden jüdische Mitbürger beraten und selbst im Feld fühlte man sich in der Erinnerung an diesen Sehnsuchtsort geborgen: Nach der Ausbombung 1944 und dem Tod ihres geliebten Mannes 1947 lebte Clara Benthien nur noch für die Familie ihrer Tochter. Zusammen mit ihr und mit den aus den Trümmern geretteten Kunstwerken, Foto- und Gästebüchern sorgte sie dafür, dass ihre 1948 geborene Enkelin Nele Lipp (geb. Cornelia Gabriele Müller) noch einen Einblick in diese Welt bekam, um endlich 2013 aus ihrer ererbten Privatsammlung die Ausstellung "Treffpunkt Tante Clara Hamburgs Sphinx" in der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek realisieren zu können. Ein Film über Clara Benthien, auf Initiative von Stephan Mathies, einem Enkel des Malers Otto Wild, der dort ein häufiger Gast war, ist in Vorbereitung. Mehr zu "Tante Clara", auch mit Hörbeispielen von 1937: http://blog.sub.uni-hamburg.de/?p=10717 Text: Nele Lipp

    Abelke Bleken

    Einwohnerin Ochsenwerders (Hamburger Landgebiet) als Hexe beschuldigt

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    18.3.1583
    auf dem Scheiterhaufen verbrannt
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    Abelke Bleken wurde einst nicht auf dem Ohlsdorfer Friedhof bestattet, denn, als sie verstarb, gab es diesen Friedhof noch nicht. Dennoch entschied sich der Verein Garten der Frauen, einen Erinnerungsstein in der Erinnerungsspirale im Garten der Frauen aufzustellen, denn in Hamburg wird an keiner Stelle an die Frauen erinnert, die in der frühen Neuzeit Opfer des Hexenwahns wurden. Somit ist dieser Stein, hergestellt aus schwarzem Basalt, Hamburgs erster und einziger Erinnerungsstein, der an die Frauen erinnert, die in Hamburg als Hexen beschuldigt und verbrannt wurden. Der Stein wurde am 7. Juni 2015 im Beisein der damaligen Zweiten Bürgermeisterin von Hamburg Katharina Fegebank eingeweiht.

    Abelke Bleken bewohnte ein Grundstück am Ochsenwerder Norderdeich. Im Jahre 1577 wurde ihr Hof zusammen mit anderen benachbarten Anwesen dem Hamburger Ratsherrn Johann Huge zugeschrieben. Die Allerheiligflut vom November 1570 hatte schwere Schäden verursacht, so dass Abelke und ihre Nachbarn vermutlich nicht mehr in der Lage waren, ihre Grundstücke selbst zu unterhalten und den Deich zu pflegen. Später pfändete der in Ochsenwerder tätige Landvogt Dirck Gladiator bei einer Deichschau Abelkes Kessel. Ein Kessel war in der Frühen Neuzeit nicht nur ein zentraler Haushaltsgegenstand, sondern unter Umständen ein repräsentatives Erbstück. Der Verlust wog schwer. Abelke sprach bei der Ehefrau des Vogts vor und bat sie um Rückgabe des Kessels. Diese Bitte wurde ihr abgeschlagen. Von dem Grundstücksverkauf, der Kesselpfändung und dem Gespräch mit der Vögtin erfahren wir aus Abelkes Urgicht, dem Geständnisprotokoll, in dem der Gerichtsschreiber die Aussagen notierte, die Abelke unter der Folter abgerungen wurden. Hier heißt es, dass sie und ihre Nachbarin Gesche Schwormstedt Rache am Ratsherrn Huge nehmen wollten, und dass sie mit einem Stab in aller Teufel Namen Löcher in den Boden gestochen habe - so viele Löcher wie Ochsen, deren Tod Johann Huge später zu beklagen hatte. Ferner habe Abelke Huges Kälber getötet, indem sie ihnen Rattengift in den Trog gelegt habe. Auch habe sie sich die Kesselpfändung nicht gefallen lassen wollen und zu dem Vogt Gladiator gesagt, "dass er dies auf dem Bett büßen solle". Daraufhin habe sie ihren Wollgürtel genommen, in aller Teufel Namen Knoten in die beiden Enden geschlagen und Haare des Vogts und Fingernägel der Vögtin hineingebunden. Der Gürtel sei von ihr in den Pferdestall gelegt worden, "damit der Vogt in Krankheit bleiben sollte" - bis der Gürtel gefunden und die Knoten gelöst seien. Der Vögtin habe sie eine Suppe aus Kohl und Warmbier gegeben, versehen mit dem Hirn einer Katze, die sie in des Vogtes Haus in aller Teufel Namen totgeschlagen habe. Die Vögtin sei am dritten Tag krank geworden und bald danach gestorben. Die soziale Situation, in der Abelke lebte, war geprägt von der Bedrohung ihrer Lebensgrundlage durch die Natur und von den Konflikten mit den Mächtigen im Ort. Die Zaubermittel, die Abelke in ihrer Urgicht nennt, galten in der frühneuzeitlichen Gesellschaft als wirksame Praktiken zur Behebung von Alltagsproblemen. Ob Abelke tatsächlich versucht hatte, sich mithilfe dieser Künste zu rächen …? Zur Hexe wurde sie erst unter der Folter: Sie bekannte, dass sie sich in dem Jahr, als die Ochsen starben, dem Satan ergeben und mit diesem Geschlechtsverkehr gehabt habe. Dabei sei ihr Buhle stets kalt gewesen. Auch sei sie mit anderen zum Hexentanz gegangen. Der Satan sei in der Nacht als Pferd zu ihr gekommen, und sie habe sich auf ihn gesetzt … "Worauf sie also leben und sterben will."  

    Francoise (France) Bloch-Sérazin

    französische Widerstandskämpferin

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    21.2.1913
    Paris

    12.2.1943
    Hamburg
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    Francoise (France) Bloch-Sérazin stammte aus einer jüdischen intellektuellen Familie. Ihre Mutter war Marguerite, geb. Herzog, ihr Vater Jean-Richard Bloch, Schriftsteller und Journalist. France Bloch wurde mit ihren drei Geschwistern durch ihre linkspolitisch eingestellten Eltern geprägt. Nach dem Studium der Chemie und Mathematik arbeitete sie ab 1934 als Chemikerin am Chemischen Institut in Paris. 1938 trat sie der Kommunistischen Partei Frankreichs (P.C.F.) bei, die ein Jahr später verboten wurde, was eine Massenverhaftung von KommunistInnen und GewerkschafterInnen auslöste.1939 heiratete France Bloch den Metallarbeiter, Kommunisten und Gewerkschafter Frédo Sérazin. 1940, zwei Wochen nach der Geburt ihres Sohnes, wurde Frédo Sérazin verhaftet. Nachdem die deutsche Wehrmacht auch Frankreich überfallen hatte, floh France Bloch-Sérazin mit ihrem drei Monate alten Kind nach Bordeaux zu einer Freundin und tauchte bei ihr unter. Das seit 1940 in Frankreich herrschende Pétain-Regime glich sich in seinen Handlungen dem Regime Hitlers an und verhängte z. B. am 3. Oktober 1940 das Berufsverbot für Jüdinnen und Juden. Auch France Bloch-Sérazin, die inzwischen nach Paris zurückgekehrt war, wurde mit Berufsverbot belegt. Sie intensivierte ihre Untergrundarbeit und schloss sich der O.S. (Organisation Spéziale) an, einer von der Kommunistischen Partei gegründeten Kampfgruppe, die Waffen liefert und Sabotageakte gegen die deutsche Besatzungsmacht organisierte. France Bloch-Sérazin setzte ihre Chemiefachkenntnisse ein, um Bomben, Sprengstoff und Zündschnüre zu produzieren. Im Mai 1942 wurde sie von der französischen Polizei verhaftet und im September 1942 von dem deutschen Militärgericht zum Tode verurteilt und in das Gefängnis Fresnes verlegt. Da laut französischer Verfassung Frauen nicht hingerichtet werden durften, wurde France Bloch-Sérazin Anfang Dezember nach Deutschland deportiert und am 10. Dezember 1942 in das Frauengefängnis Lübeck-Lauerhof gebracht. Am 10. Februar 1943 kam sie in das Untersuchungsgefängnis Hamburg und wurde dort zwei Tage später enthauptet. Sieben Tage später, am 19. Februar 1943 wurde die Leiche eingeäschert und am selben Tag in der Grablage BL 71, Reihe 60 Nr. 2 des Ohlsdorfer Friedhofes beigesetzt. Sieben Jahre später, im Februar 1950, wurde die Asche nach Frankreich überführt. In den Hamburger Wallanlagen erinnert an der Mauer, die das Untersuchungsgefängnis abgrenzt, eine Gedenktafel an France Bloch-Sérazin, als eines von vielen Opfern, die als Mitglied der Résistance im Hamburger Untersuchungsgefängnis mit dem Fallbeil enthauptet wurden. Eine weitere Gedenktafel erinnert an die während der NS-Zeit im Untersuchungsgefängnis inhaftierten politisch Verfolgten: "Während der nationalsozialistischen Herrschaft 1933-1945 wurden im Hof des UG Holstenglacis 3 fast 500 Menschen enthauptet. Frauen und Männer, die sich am europäischen Widerstand gegen die deutsche Okkupation und Kriegsführung beteiligt hatten, fanden hier den Tod durch das Fallbeil."

    Margarete Braun

    Theologin

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    15.12.1893
    Hamburg

    22.4.1966
    Hamburg
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    In der St. Nikolai Kirche am Hopfenmarkt geschah am 19. Februar 1928 etwas für damalige Verhältnisse Außergewöhnliches: Die Theologin Margarete Braun wurde in die Funktion einer Pfarramtshelferin eingesegnet. Damit war sie die zweite Pfarramtshelferin in der Evangelisch-lutherischen Kirche im hamburgischen Staate. Die Tochter eines Oberpostinspektors hatte nach dem Abitur zuerst die Lehrerinnenlaufbahn eingeschlagen. Doch dann studierte sie Theologie. Nachdem sie die erste theologische Prüfung absolviert hatte, arbeitete sie zwischen 1921 und 1925 als Pfarrgehilfin in der Ringgemeinde in Wiesbaden. 1926 kam sie nach Hamburg an die Hauptkirche St. Nikolai, wo sie ihr zweites theologisches Examen bestand. Ihre Stelle als Pfarrgehilfin wurde nun in die einer Pfarramtshelferin umgewandelt. Obwohl sie mit beiden abgelegten theologischen Prüfungen die Voraussetzung erfüllte, um sich Pastorin zu nennen, wurde ihr dies verwehrt. Zu stark war der Widerstand gegen Frauen auf der Kanzel. Der Hauptpastor von St. Michaelis und spätere Bischof Simon Schöffel vertrat vehement die Auffassung, Frauen hätten als Pfarrerinnen in der Kirche nichts zu suchen. An der Spitze der Gemeinde müsse der Mann stehen. Frauen war zwar das Studium der Theologie, das Vikariat und das Ablegen der theologischen Prüfungen erlaubt, doch sie erhielten nur eine Anstellung als Pfarramtshelferin. Laut damaligem Kirchengesetz wurde sie: "(...) Anstalten oder Pfarrämtern ‚mit Berücksichtigung der besonderen Aufgaben an Frauen und Mädchen angegliedert' (§7). (...) Ihr Aufgabenbereich lag (...) in der Wortverkündigung in Andachts- und Bibelstunden vor Frauen und Jugendlichen, im Abhalten von Kindergottesdiensten oder Religionsunterricht, in der Vorbereitung und Mitarbeit (!) am Konfirmationsunterricht sowie in der seelsorgerlichen und sozialen Gemeindearbeit an Frauen und Mädchen (§ 8). (...) Im Falle der Eheschließung schied sie ohne Anspruch auf Ruhegehalt aus dem Dienst der Kirche aus (§18). Die Tätigkeit der Pfarramtshelferin wurde nicht als geistliches Amt verstanden, sie wurde zum Dienst eingesegnet (§12), nicht ordiniert!" schreibt der Historiker Rainer Hering. Margarete Braun wurde das Seitenschiff der St. Nikolai Kirche zugewiesen, wo sie Jugendliche und Frauen kirchlich betreute, mit ihnen Bibelstunden abhielt und vor ihnen predigte. Außerdem wanderte sie mit ihnen und organisierte die Jugendfreizeit. 1934 wurde sie gegen ihren Willen von Landesbischof Simon Schöffel als Pfarramtshelferin für die Betreuung der Frauenabteilung am Krankenhaus Hamburg-Eppendorf und an der Mädchenanstalt in der Feuerbergstraße beordert. Von 1947 bis zu ihrer Pensionierung im Jahre 1959 arbeitete Margarete Braun als Vikarin in Frauen-, Mädchen- und Jugendheimen. Bis 1968 waren Theologinnen in Hamburg von der Mitarbeit in allen führenden und leitenden Gremien der Landeskirche wie Synoden und Kirchenrat ausgeschlossen. Erst 1968 entschied sich die Hamburger Landeskirche, Frauen zum Pfarramt zuzulassen. Es musste allerdings noch weitere zehn Jahre dauern, bis 1978 die rechtliche Gleichstellung der Pastorin für alle Gliedkirchen geltendes Recht wurde. Zitat: Rainer Hering: Frauen auf der Kanzel? Internet: www.fachpublikationen.de/dokumente/01/07/01008.html

    Laura Bromberg

    Aktiv in der bürgerlichen Frauenbewegung

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    15.12.1852
    Hamburg

    20.12.1927
    Hamburg
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    Laura Bromberg war die zweite Vorsitzende der 1896 von der Ortsgruppe Hamburg des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins gegründeten Rechtsberatungsstelle für Frauen am Brandsende 5. Hier wurde "von Frau zu Frau" beraten. Um kompetent Auskunft zu geben, mussten sich die beratenden Frauen in wichtige juristische Fragen selbst einarbeiten. Dies konnten sich nur wirtschaftlich unabhängige bzw. nicht auf Erwerbsarbeit angewiesene Frauen leisten, da nur sie die entsprechende Zeit für das Selbststudium erübrigen konnten. Laura Bromberg muss ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit hoch engagiert nachgegangen sein. Der Hamburgische Correspondent schrieb in einem Nachruf über sie: "Hier tätig zu sein, hier mit jener scharf logischen und in aller Wirrnis der meist mit bedeutend mehr Breitschweifigkeit als Klarheit von den Klientinnen (aller Gesellschaftsschichten) vorgetragenen Klagen, den Kernpunkt erkennenden Art der Sache auf den Grund zu gehen und ihren Schützlingen mit weitsichtigem, lebenserfahrenem Rat und Tat beizustehen, war Laura Brombergs selbstverständliche, liebgewordene Pflicht." Laura Bromberg war in noch weiteren Frauenvereinen tätig. Sie war Mitbegründerin des Frauenvereins zur Unterstützung der Armenpflege. Außerdem war sie im Vorstand der Stellenvermittlung für weibliches Hauspersonal, die ihren Sitz in der ABC-Straße 57 hatte und 1900 von der Ortsgruppe Hamburg des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins gegründet worden war, um den damals bestehenden Mangel an Dienstmädchen zu beheben und eine "Hebung des Dienstbotenstandes" zu erreichen. Um Letzteres voranzutreiben, wies die Stellenvermittlung Arbeitgeberinnen auf ihre Vorbildfunktion hin.

    Clémence Budow

    Frauenpolitikerin

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    8.12.1908
    Riga

    10.5.1995
    Hamburg
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    "Ich bin für die Politik als Akteurin nicht geschaffen. Ich habe ein zu ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl, als dass ich für einen politischen Kampf geeignet bin. Es würde mir stets sehr schwerfallen, für etwas einzutreten, wovon ich nicht überzeugt bin, was die Partei aber verlangt", erklärte Clémence Budow in einem Interview, welches sie Rita Bake und Birgit Kiupel in ihrer Wohnung im Hermann-Behn-Weg gab. Dennoch saß Clémence Budow von 1953 bis 1957 für den Hamburg Block als Abgeordnete in der Hamburgischen Bürgerschaft. Ihr politischer Werdegang war eng verknüpft mit ihren Erfahrungen im Berufs- und Privatleben. "Mein politisches Leben begann Anfang der 30-er Jahre mit meiner Laufbahn als Privatsekretärin beim ersten Hamburger Rundfunkintendanten Hans Bodenstedt." Als er bei den Nazis in Ungnade fiel und seine Position verlor, stellte sein Schwager Clémence Budow bei sich ein. Er besaß die Verlagsrechte der "Hausfrauenzeitung", die von den Hausfrauenverbänden Hamburg, Bremen, Mecklenburg und Lübeck herausgegeben wurde. Doch schon bald wurden die Hausfrauenverbände aufgelöst, und Clémence Budow musste sich einen neuen Wirkungskreis suchen. Sie begann Bunte Nachmittage zu organisieren. Ihre Klientel bestand hauptsächlich aus den ehemaligen Mitgliedern der Hausfrauenverbände. Die Bunten Nachmittage fanden im Deutschlandhaus in der Dammtorstraße statt, finanziert wurde alles durch Werbevorträge für Markenartikelfirmen. Einen ihrer Vertreter - den Chef der Hamburg Vertretung für Rosenthalporzellan - heiratete Clémence Budow. "Da war ich gar nicht mehr so jung - so ungefähr um die 30 Jahre alt." Sie gab ihre Arbeit auf und wollte nur noch Hausfrau sein. Doch das Arbeitsamt zwang sie, eine der ihr angebotenen fünf Stellen zu nehmen - "alles Parteidienststellen" (der NSDAP). "Mein Mann diktierte, dass ich zur NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) zu gehen hätte, da sei ich bei ‚Mutter und Kind' am besten aufgehoben." So wurde Clémence Budow als Fürsorgerin auf dem Hamburger Hauptbahnhof eingestellt. Die NSV war mit "17 Mio. Mitgliedern (1943) nach der Dt. Arbeitsfront die größte (…) NS-Massenorganisation.(…) Ihren Anspruch auf Monopolisierung der gesamten freien und öffentlichen Wohlfahrt konnte die N. zwar nicht realisieren, doch gelang es ihr, die in der freien Wohlfahrtspflege tätigen Verbände zurückzudrängen bzw. gleichzuschalten (…). Angesichts der ihr zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel (Mitgliedsbeiträge, Spenden, staatliche Zuwendungen) war es ihr n möglich, in alle Bereiche der Wohlfahrt zu expandieren (…). Aufgrund ihrer scheinbaren Ideologieferne war die Arbeit der N. populär und die Mitgliedschaft erschien auch für diejenigen, die dem Regime eher zögernd oder kritisch gegenüberstanden, aber aus Opportunitätsgründen in eine Parteiorganisation eintreten wollten, akzeptabel. Tatsächlich war die Arbeit der N. von rasse- und erbbiologischen Selektionskriterien bestimmt (…)." [1] 1937 trat Clémence Budow der NSDAP bei (Mitgliedsnummer 4229815). Dies konnte aus den Akten, die sich im Bundesarchiv befinden, ermittelt werden. (BArch (Bundesarchiv) R 9361-IX Kartei 4961189) Ihr Mann zog an die Front und wurde als Soldat getötet. Nach Kriegsende erhielt sie, so erzählte sie weiter, wegen ihrer Arbeit für die NSV keine Anstellung bei der Sozialbehörde. An dem Tag, als sie, die abschlägige Antwort in der Hand, das Bieberhaus am Hamburger Hauptbahnhof verließ, in dem die Sozialbehörde untergebracht war, sprachen sie auf dem Bahnhofsvorplatz einige Männer an. Diese ehemaligen Soldaten erinnerten sich an Clémence Budow, wie sie ihnen auf dem Hauptbahnhof als Letzte nachgewunken hatte, als sie an die Front fahren mussten. "Frau Budow, Sie wissen doch, dass wir Soldaten nicht alle Verbrecher waren. Kommen Sie zu uns zur Deutschen Partei (DP). Helfen Sie uns, dass wir alle wieder rehabilitiert werden." (Interview mit Clemence Budow) Und das tat Clémence Budow. Sie übernahm bei der DP das Frauenreferat, zog 1953 in den Wahlkampf, wurde Abgeordnete der DP im Hamburg Block und bekam 1954 eine Anstellung in der Freien Wohlfahrtspflege. Sie wurde Leiterin der Fürsorgeabteilung und des Jugenderholungswerkes der Deutschen Hilfsgemeinschaft Hamburg. "Ich hatte das Glück, dass sich meine beruflichen Aufgaben mit meinen politischen und sozialen Ambitionen ergänzten." So "habe ich weitgehend das Jugenderholungswerk auf die Beine gestellt und auch die Mittel dafür in der Bürgerschaft eingeworben." Nach ihrer Abgeordnetenzeit war sie von 1961 bis 1973 Referentin für die Öffentlichkeitsarbeit im Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge Hamburg. Hier beschäftigte sie sich eingehend mit den Frauengräbern auf Soldatenfriedhöfen. In dem Interview sagte sie dazu: "Die Menschen wissen gar nicht, wie viel Frauengräber es auf den deutschen Kriegsfriedhöfen im Ausland gibt. Ich ließ früher in der Kriegsgräberfürsorge Listen anfertigen von den deutschen Friedhöfen, wo Frauengräber sind. (...) Auf den vielen Soldatengräbern lagen Blumen von Angehörigen. Aber bei den Frauengräbern waren keine Angehörigen gewesen. Solange ich bei der Kriegsgräberfürsorge war (...), nie erlebte ich in der Dienststelle, dass nach einem Frauengrab geforscht wurde. Die Frauen waren vergessen. Meistens sind es ledige Frauen, die im Ausland begraben sind. Aber auch die Geschwister und Eltern kümmerten sich nicht um die Gräber. Die Familienangehörigen trauern wohl. Aber die Familie empfindet den Verlust einer Frau nicht so stark - immer im Allgemeinen gesprochen - und deswegen bin ich so sehr gegen ‚Frauen in der Bundeswehr'." Clémence Budow engagierte sich für Fraueninteressen und war Mitbegründerin der Arbeitsgemeinschaft Hamburger Frauenorganisationen (ahf). Sie erhielt viele Auszeichnungen, so die Goldene Nadel und andere Ehrungen des Verbandes der Heimkehrer, die Goldene Nadel vom Reichsbund der Kriegsopfer, die Ehrennadel vom Verband der weiblichen Arbeitnehmer, das Bundesverdienstkreuz am Bande, das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse und die Ehrennadel der Hamburger Frauenorganisationen. Text: Rita Bake

    Elisabeth Büttner

    (Portrait) Malerin

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    4.12.1853
    Hamburg

    5.4.1934
    Hamburg
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    Elisabeth Büttners Vater, Johann Christoph Büttner, war Kaufmann und besaß das Geschäft "Büttner & Co. Commissionsgeschäft" bei der Petrikirche 3 in Hamburg. Zum Zeitpunkt der Hochzeit ihrer Eltern im Jahre 1856 waren die Töchter Elisabeth und Johanna (geb. 1855) bereits geboren. Zwei Jahre nach der Hochzeit starb der Vater und hinterließ seine schwangere Frau Catharina Margaretha Elisabeth, geb. Kröger (geb. um 1823, gest. 1899) mit den zwei Töchtern. In dieser Situation nahm die Witwe eine weibliche Verwandte in ihrem Haushalt auf und führte das Geschäft ihres verstorbenen Mannes weiter. Mit dieser Verwandten und ihrer Tochter Johanna lebte sie bis zu ihrem Tod in einem gemeinsam geführten Haushalt im Kreuzweg 11. Die Büttner Schwestern blieben ledig. Johanna Büttner (gest. 1900) wurde Krankenpflegerin. Anna Büttner (gest. 1925) wurde Lehrerin. Diese lebte mit ihrer Schwester Elisabeth in der Brückwiesenstraße 31, wohin Elisabeth Büttner, nachdem sie zuvor in der Lübecker Straße 4 und am Schwanenwiek 29 gewohnt hatte, hingezogen war. Elisabeth Büttner studierte an der Akademie in München und auch in Paris Malerei. Nach privaten Aufzeichnungen zufolge soll sie einen Sponsor in Pesc (Ungarn) gehabt haben. Dort in Ungarn und auch in Amerika sowie nach mündlicher Überlieferung ebenso in Russland soll sie als Lehrerin gearbeitet haben. Weitere Aufenthaltsorte waren Berlin und Rothenburg o. T. Dort in Rothenburg hatte sie Kontakt zur Malschule von Elise Mahler und Maria Ressel. Zu diesen beiden Malerinnen entwickelte sich eine über 30 Jahre währende Freundschaft. Um die Jahrhundertwende sollten die beiden Schwestern Elisabeth und Anna Büttner in den Volksschuldienst berufen werden. Anna Büttner folgte dem Aufruf, Elisabeth fand dies erniedrigend und wurde freischaffende Künstlerin. 1904 reiste Elisabeth Büttner zum ersten Mal auf die Insel Hiddensee. Ab 1910 unternahm sie Sommeraufenthalte in Vitte auf Hiddensee. Dort erwarb sie 1914 ein "Hexenhaus", eine kleine, 1755 erbaute schilfgedeckte Fischerkate, die heute unter Denkmalschutz steht. Unter dem Dach hatte Elisabeth Büttner ihr Atelier. Elisabeth Büttner war Malgast des 1919 auf der Insel Hiddensee gegründeten "Hiddensoer Künstlerinnenbund". Auch war sie Mitglied im Künstlerinnenverein München. 1908 ließ Elisabeth Büttner an der Brückwiesenstraße 31 eine kleine Jugendstilvilla mit abgerundeten Ecken bauen, in der sie sich ein Atelier und eine Malschule einrichtete. Im Alter von fast 66 Jahren adoptierte sie 1919 das Kind Ernst Richard, dessen ledige Mutter sie kannte, wahrscheinlich eine Malschülerin von ihr. Auch der Vater des Kindes, ein verheirateter Mann, soll Elisabeth Büttner bekannt gewesen sein, da auch er ein Künstler gewesen war. Die Kindseltern hatte Elisabeth Büttner bei ihren Inselaufenthalten auf Hiddenssee kennen gelernt. 1930 verkaufte Elisabeth Büttner, damals verarmt und krank, das Haus in Vitte auf Hiddensee für 2000,- Mark an Annemarie Pallat aus Berlin. In ihren letzten Lebensjahren lebte Elisabeth Büttner im Vorsorgungsheim Baumkamp 79.

    Bertha Dehn

    Geigerin

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    23.11.1881
    Hamburg

    17.4.1953
    Hamburg
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    1915 wurde Bertha Dehn ans Stadttheater verpflichtet. Als einzige Frau saß sie im Orchestergraben und spielte die Erste Geige. Als sechstes von acht Kindern des Arztes Dr. Maximilian Moses Dehn und seiner Ehefrau Bertha geboren, lebte Bertha Dehn nach dem frühen Tod des Vaters (1897), der die Familie in finanzielle Schwierigkeiten brachte, bei einem Onkel in England. Spätestens ab 1909 war sie wieder in Hamburg und arbeitete als Musiklehrerin. Dass für ihre Degradierung vom Ersten ans Zweite Pult bei der Umwandlung des Orchesters im Jahre 1932 und für ihre Kündigung im September 1933 ihre jüdische Herkunft ausschlaggebend war, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Dass es Bertha Dehn gelang, mittels zweier Gutachten ihre Kündigung in eine frühzeitige Pensionierung aus Krankheitsgründen umzuwandeln, spricht nicht dagegen, denn eine solche Lösung erwirkte der damalige Verwaltungs- und Operndirektor Albert Ruch auch für andere jüdische Mitglieder des Hauses. Ganz offenbar war Bertha Dehns Gesundheit zu diesem Zeitpunkt aber wirklich schwer angegriffen. Ein Cellist des Orchesters erinnerte sich, dass die Kollegin in den letzten Jahren ausgesprochen „unlustig“ gewesen sei, nichts sei von ihr ausgegangen, sie habe die Sternstunden des Orchesters nicht mitempfunden. „Wir haben ihr keine Träne nachgeweint!“1) lautete sein Resümée. Die Anfeindungen der Nazis mögen die Lebensenergie einer sensiblen Künstlerin, deren Familie keine enge Verbindung zum Judentum hatte, und die 1924 aus der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg ausgetreten war, in ganz besonderer Weise getroffen haben. Die Grabrede von Agnes Holthusen geht in diese Richtung: „Lässt sich zu solchem Herkommen ein schneidenderer Gegensatz denken als der, den die geschichtliche Stunde darstellte, die das Schicksal der Lebensspanne von Bertha Dehn zugeordnet hatte? Sie ist an diesen überpersönlichen Geschehnissen, die auch über sie gnadenlos hinweggingen, äußerlich betrachtet, zerbrochen. Hatte sie wohl früh schon ein starkes Ungenügen an der nüchternen Realität des Lebens gequält, so hüllte sich ihre sensitive Seele nun immer mehr in den Schatten einer tiefen Melancholie. Trotzdem wurde sie nie stumpf: ununterbrochen beschäftigten sich ihre Gedanken mit dem Ergehen der hiesigen Verwandten und der fernen Geschwister draußen in Übersee und sie trug mit an ihren Sorgen, fast verzehrt von dem Kummer, ihnen nicht aktiv mehr helfen zu können. Als ihr der Tod ihren Lieblingsbruder Max Dehn kurz vor dessen Besuch in der alten Heimat raubte [ 1952], hat dieser Schlag sie dem eigenen Ende noch näher gebracht“1). Eine Zeit lang gab Bertha Dehn nach ihrer Pensionierung vereinzelt Privatstunden, im Rahmen des Jüdischen Kulturbundes Hamburg wirkte sie im 1934 von Edvard Moritz gegründeten Jüdischen Kammerorchester mit. Im Winter 1936/37 und in der darauffolgenden Saison war sie im Orchester des Jüdischen Kulturbundes Rhein-Main in Frankfurt engagiert. Zwischen dem 13.10.1941 und dem 15.10.1941, wenige Tage, bevor durch einen geheimen Erlass des Reichssicherheitshauptamtes den Juden die Auswanderung aus dem Reich für die Kriegszeit verboten wurde, und wenige Tage vor der ersten Deportation am 25.10.1941 von Hamburg nach Lodz, für die sie laut Deportationsliste vorgesehen war, emigrierte Bertha Dehn nach Ecuador zu ihrem Bruder Georg. Da ihre musikalische Tätigkeit in Quito wenig Resonanz fand, ging sie nach Cuenca, wo sie mit Geigen- und Sprachunterricht ihren Lebensunterhalt verdiente und in einem Streichquartett spielte. Nach einem Schlaganfall, der vermutlich durch die extreme Höhenlage des Ortes begünstigt wurde, verbrachte Bertha Dehn die letzten beiden Jahre in Porto Alegre in Brasilien. 1948 kehrte sie mit einem schweren Augenleiden aus dem Exil nach Hamburg zurück, wo sie eine Wohnung im Jüdischen Altersheim bezog. Noch in ihren letzten Lebensjahren musizierte Bertha Dehn regelmäßig bei ihrem Großneffen Thomas Brandis. Doch wie dieser berichtete, quittierte sie jeden Versuch einer Unterweisung mit der Bemerkung, ihr verehrter Lehrer Marteau habe das ganz anders gemacht. Text: Brita Reimers Zitate: [1] Ute Schomerus: Die Hamburger Geigerin Bertha Dehn. In: Zündende Lieder - verbrannte Musik. Folgen des Nazifaschismus für Hamburger Musiker und Musikerinnen. Hrsg. von Peter Petersen u.a. Hamburg 1995.    

    Dr. Dorothea Eckardt

    geb. von Schwerin

    Journalistin, Frauenrechtlerin

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    25.8.1903
    Stockholm

    5.10.1974
    Hamburg
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    Dorothea Eckardt war die Tochter von Albert von Schwerin (1870-1956) und Enole Marie geb. von Mendelssohn-Bartholdy (1878-1947). Dorothea hatte sechs Geschwister und heiratete 1927 Wilhelm Eckardt. Ihre Dissertation schrieb sie über den ostdeutschen Getreidemarkt und seine Umgestaltung nach dem Weltkrieg.
    Dr. Dorothea Eckardt war Gründungsmitglied und von 1964-1968 Erste Vorsitzende des Akademikerinnenbundes Hamburg, Präsidentin der Welt-Organisation der Mütter aller Nationen (W.O.M.A.N.) Deutschlandzentrale Landesverband Hamburg und Trägerin des Großen Bundesverdienstkreuzes.
    Dorothea Eckardt war auch eine Zeitlang Erste Vorsitzende des "Hamburger Frauenrings". Dieser geht von der Auffassung aus, dass alle Frauen zusammengehören, einerlei welcher Konfession, welchem Verein, welcher Partei, welchem Berufsverband sie sonst angehören. Seine Ziele waren damals: "Überwindung militaristischer und faschistischer Tendenzen durch Stärkung eines vorbehaltlosen Friedenswillen und durch Erziehung der Jugend auf diesem Gebiete. Wiedergewinnung einer den Frauen und Müttern zukommenden Stellung im Leben des Volkes und der Familie. Mitarbeit an der Beseitigung der materiellen und seelischen Nöte unsres Volkes."
    Außerdem war Dr. Dorothea Eckardt beim Zustandekommen der Arbeitsgemeinschaft Hamburger Frauenorganisationen (ahf, heute: Landesfrauenrat Hamburg)beteiligt. Desweiteren war sie Vorsitzende der Stiftung Hamburger Studentinnenheime, die in den 1950er Jahren gegründet wurde. Die Stiftung errichtete drei Häuser: Das Amalie-Dietrich-Haus in der Bieberstraße 6, in dem früh schon Übungs"zellen" für Musikstudentinnen vorgesehen wurden, die Studierendenwohnungen am Doormannsweg, das erste Heim für Studierendenehepaare und das Studierendenwohnheim Ölmühlenweg für Studentinnen und Studierendenehepaare mit Kindern.
    Das Amalie Dietrich Haus war das erste Studentinnenwohnheim Hamburgs.
    1945 hatte Anna Derzewsky der Universität Hamburg ein Haus in der Bornstraße vermacht, mit der Auflage, es als Studentinnenwohnheim herzurichten. Die Universität hatte das Vermächtnis zwar angenommen, ohne es aber der testamentarischen Bestimmung entsprechend als Studentinnenheim zu nutzen. Auf Initiative des Akademikerinnenbundes konnte 1958 dem Vermächtnis Rechnung getragen werden, so dass 1960 das Amalie-Dietrich-Haus in der Bieberstraße eröffnet werden konnte.
    Dr. Dorothea Eckardt war nach dem Zweiten Weltkrieg auch Mitbegründerin der FDP. Als Wirtschaftsjournalistin bei der Deutschen Presseagentur - dpa - half sie noch während der Besatzungszeit ein verantwortungsbewusstes, dabei an der Pressefreiheit orientiertes Presse- und Verlagswesen neu zu begründen.

    Ingeborg Eggert-Sander

    Journalistin, aktiv in Frauenverbänden

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    22.6.1922
    Kiel

    12.4.2005
    Seevetal
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    Ingeborg Eggert könnte auch in der Rubrik „Verstorbene Mitglieder“ verzeichnet sein, da sie Mitglied des Vereins Garten der Frauen war. Da sie aber nicht auf einer der Gemeinschaftsgrabplätze im Garten der Frauen bestattet wurde, sondern – ihrem Wunsch entsprechend- eine Seebestattung erhielt, wurde sie auf einem Erinnerungsstein in der Erinnerungsspirale verewigt. Ingeborg Eggert, älteste Tochter des Oberleutnants zur See und Vizeadmirals Friedrich Ruge und seiner Frau Ruth geb. Greeff, wuchs mit vier Geschwistern auf. Ihre erste Auslandsreise führte sie 1937 mit ihrem Vater sechs Wochen nach England. 1940 machte sie Abitur, heiratete im Zweiten Weltkrieg, bekam zwei Kinder, ließ sich bald scheiden und arbeitete als Fremdsprachensekretärin. Von 1949 bis 1952 war sie Mitarbeiterin des "Naval Historical Team" in Bremerhaven, in dem ehemalige hochrangige deutsche Marineoffiziere Kriegserfahrungen aufarbeiteten. In diesen Jahren schrieb sie erste Fachartikel im Bereich Seefahrt und arbeitete an den Büchern ihres Vaters mit, der auch international Anerkennung als Militärhistoriker gefunden hatte. 1953 dann die zweite Ehe. Ingeborg Eggert bekam zwei weitere Kinder und war nun überwiegend die Ernährerin der Familie. 1954 trat sie dem Deutsch-.Amerikanischen Frauenclub in Bremerhaven bei, dessen Vorstandsmitglied sie ab 1956 wurde. Im selben Jahr gründete sie für die Amerikaner im Land Bremen die Zeitschrift "Your German Companion", deren alleinverantwortliche Redakteurin sie wurde. Sie schrieb zahlreiche Artikel über Schifffahrt und Wirtschaft. 1957 erfolgte eine erneute Scheidung. Nun war sie alleinerziehende Mutter von vier Kindern. Ab 1965 lebte Ingeborg Eggert in Hamburg und wurde dort als Journalistin, Redakteurin und Lektorin tätig. Zwölf Jahre war sie bei der Zeitschrift "Yacht" für die Schlussredaktion zuständig - anfangs als einzige Redakteurin in einem spezialisierten Männerteam. Auch in Hamburg übte sie überwiegend Vorstandsfunktion im Deutsch-Amerikanischen Frauenclub aus. 1974 unternahm sie mit ihrem Vater, den ersten Inspekteur der Bundesmarine und späteren Professor an der Universität Tübingen, eine mehrwöchige Amerikareise. Von 1975 bis 1979 war sie Vorstandsmitglied im Dachverband der Deutsch-Amerikanischen Clubs und zuständig für Norddeutschland und Berlin, ab 1983 Delegierte im Landesfrauenrat Hamburg und seit 1985 Vorsitzende des Kuratoriums der Hamburger Bibliothek für Frauenfragen und Vorstandsmitglied des Hamburger Verbandes für Fraueninteressen. Ingeborg Eggert machte sich durch ihren unermüdlichen und kenntnisreichen Einsatz für den Auf- und Ausbau der "Hamburger Bibliothek für Frauenfragen" des Landesfrauenrates verdient und erhielt 1989 den Zitronenjette Preis des Landesfrauenrates. 1984 ging sie ihre vierte Ehe ein. Mit Helmut Sander war sie bis zu seinem Tod glücklich verheiratet. Am Ende ihres Lebens war Ingeborg Eggert, die auch Gründungsmitglied des Vereins Garten der Frauen war, Jörg Hillmann beim Verfassen einer Biographie über ihren Vater behilflich. Sie selbst schrieb darin ein persönliches Kapitel über ihren Vater.

    Emma Ender

    (geb. Behle)

    Frauenrechtlerin, Bürgerschaftsabgeordnete (Deutsche Volks Partei)

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    2.8.1875
    Frankfurt a. M.

    25.2.1954
    Hamburg
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    1925, zum 50. Geburtstag Emma Enders schrieb der Hamburgische Correspondent: „Ihr Leben galt einzig und allein der Emanzipation der Frau. Um dieses gleiche Recht der Frau im öffentlichen Leben hat Emma Ender Zeit ihres Lebens gekämpft, aber sie tat es nie mit dem Fanatismus der sog. Frauenrechtlerin, immer mit dem klugen und gesunden Gefühl für die echte Neben- und Unterordnung, die das Leben verlangt. Und weil sie neben allem Kampfe und Streit niemals das Wesen der Frau vergaß, darum hat sie die Erfolge gehabt, die den Werdegang ihres Lebens bezeichnen." In solch einem abgesteckten Rahmen, der es nicht zuließ, dass die Frau jemals eine gleichberechtigte Stellung dem Manne gegenüber einnehmen konnte, durfte die Frau für die Rechte der Frauen eintreten und galt das Wort „Emanzipation" nicht als Schimpfwort. Emma Ender wurde 1875 als fünftes Kind einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie in Frankfurt a. Main geboren. Das Elternhaus stand in Darmstadt. Als Emma 15 Jahre alt war, zog ihr Vater nach Frankfurt, wohin sie ihm zunächst allein folgte. Drei Jahre später, 1893, starb Emmas Mutter, und zwei weitere Kinder zogen nun nach zum Vater. Emma Ender hatte in Darmstadt und Frankfurt die Staatliche Schule für höhere Töchter besucht. Aber der Vater erlaubte ihr nicht, einen Beruf zu erlernen, er wollte sie im Hause behalten. Mit 25 Jahren heiratete Emma Ender den Hamburger Exportkaufmann Max Ender und zog 1900 mit ihm nach Hamburg. Die Ehe blieb kinderlos. Emma Ender schloss sich der Ortsgruppe Hamburg des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF) an. Ziel des ADF war es unter anderem, der bürgerlichen Frauenbewegung zu einem positiven Image in der Öffentlichkeit zu verhelfen und ihre Mitglieder in gesellschaftspolitischen Fragen fortzubilden. Außerdem war dem ADF die ehrenamtliche Wohlfahrtspflege ein wichtiges Anliegen. Durch die Betätigung auf diesem Gebiet sollten seine Mitglieder eine verantwortungsvolle Aufgabe erhalten und gleichzeitig die Not sozial schwacher Frauen gelindert werden. Im Januar 1900 gründete der ADF den Verein Soziale Hilfsgruppen (SHG). Dieser betätigte sich u. a. in der Kinderfürsorge, Blinden- und Hauspflege und bot Arbeitsvermittlung für Heimarbeiterinnen an. Besonders die Kinder- und Jugendarbeit lag Emma Ender sehr am Herzen, was bei kinderlos verheirateten Frauen öfter zu beobachten war. Emma Ender besaß praktisches und organisatorisches Talent, und so wurde ihr 1906, als sie 31 Jahre alt war, die Leitung eines Mädchenhortes übertragen. Von 1910 bis 1919 war sie Vorsitzende des Verbandes Hamburger Mädchenhorte, von 1907 bis 1916 stellvertretende Vorsitzende des ADF. 1911 gehörte sie zu den Initiatorinnen der Jugendgruppe Hamburg des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins, die als Zweigverein der Ortsgruppe arbeitete, und wurde deren Beiratsmitglied. Die Gruppe gab Volksschülerinnen Nachhilfeunterricht, Anleitung zum Gartenbau, besaß Schneiderstuben für weibliche arbeitslose Jugendliche, eine Büchersammelstelle, eine Abteilung für Blumenspenden, die zu besonderen Anlässen Arbeiterinnenvereine, Altersheime und alleinstehende alte Frauen beschenkte. Emma Ender wollte mit der Gründung solcher Jugendgruppen, denen Frauen bis zu ihrem 30. Lebensjahr angehören sollten, Jugendliche für die Ziele und Aufgaben der bürgerlichen Frauenbewegung interessieren, sie für soziale Hilfsarbeiten gewinnen und sie, wie sie sagte, im „Vereinswesen schulen". Gleichzeitig sollten durch diese Jugendgruppen dem Mutterverein potenzielle Mitglieder zugeführt werden. Aber damit nicht genug: Von 1912 bis 1915 war Emma Ender auch noch Vorsitzende des Vortragskartells Hamburgischer Frauenvereine, und außerdem trat sie 1912 als eine der ersten Frauen dem Hamburger Nationalliberalen Verein bei. Dieser hatte sich bisher sehr patriarchalisch benommen und sich noch 1910 geweigert, Frauen in seine Reihen aufzunehmen. Im Ersten Weltkrieg gehörte Emma Ender zu den Gründerinnen des Frauenausschusses der Hamburgischen Kriegshilfe - ein Ableger der auf Initiative des ADF gegründeten Hamburgischen Gesellschaft für Wohltätigkeit e.V.. Das Anliegen dieses Ausschusses war es, durch soziale Arbeit an der Heimatfront seinen Beitrag für den Krieg zu leisten. So wurden Freitische, Kleidung und Arbeitsmöglichkeiten für Lehrerinnen und Bühnenkünstlerinnen organisiert. Es gab für Frauen Kurse im pflegerischen Bereich und Haushaltstipps zum sparsamen und effektiven Lebensmittelverbrauch. Emma Ender leitete die weibliche Jugend in der Kriegsjugendpflege und die Abteilung für Kinderkrippen, Warteschulen und Horte. Ziel der Kriegsjugendpflege war es, arbeitslosen jungen Mädchen Beschäftigung zu geben, damit diese auch ihren patriotischen Beitrag für den Krieg leisten konnten. Denn Emma Ender empfand es als eine starke Benachteiligung der weiblichen Jugend, dass diese nicht für den Krieg tätig sein konnte: „Ich habe viel daran gedacht, wie hart es besonders für Töchter der unteren Schichten sein musste, bei dem Aufflammen des patriotischen Empfindens in allen Volksschichten untätig in dem Maße zu sein, wie es die Arbeitslosigkeit der ersten Monate des Krieges für sie mit sich brachte und wie stark gerade sie in dieser Zeit dadurch benachteiligt sind, dass das Mädchen der gleichen Schichten viel weniger daran gewöhnt ist, sich von dem vaterländischen Erleben erfassen zu lassen wie der junge Mann".1) Nach dem Krieg wurde aus dem Frauenausschuss der Hamburgischen Kriegshilfe und dem Vortragskartell der Frauenorganisationen der Stadtbund hamburgischer Frauenvereine. Ziel des Stadtbundes war es, alle Frauenvereine Hamburgs zusammenzuschließen, „denen die Förderung der Frauen in geistiger und körperlicher, in wirtschaftlicher und rechtlicher, sozialer und politischer Hinsicht obliegt"1). 1916 forderten die Mitglieder des Stadtbundes einstimmig, „dass in der bevorstehenden Zivildienstpflicht die Frau in gleicher Weise wie der Mann zur Arbeit für den Staat zu verpflichten"1) sei. Emma Ender war im Stadtbund tonangebend, ihre geistige Einstellung war - wie Helmut Stubbe-da Luz formulierte - geprägt von einem „nationalen Liberalismus zwischen Hurrapatriotismus und verbandsegozentrischer, ungeduldig fordernder Frauenpolitik"1).  Emma Ender war von 1915-1933 Vorsitzende des Stadtbundes, der sich 1933 nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten auf eigenen Beschluss selbst auflöste. (Staatsarchiv Hamburg, 221-11 C (I) 2737). Als der Kaiser in seiner Osterbotschaft vom 7. April 1917 eine gewisse Liberalisierung des politischen Systems ankündigte und der Hamburger Senat im Begriff war, das Wahlrecht zu demokratisieren, sah der Stadtbund die Gelegenheit gekommen, für die Frauen das Bürgerrecht zu fordern, so Stubbe-da Luz. Emma Ender überreichte am 2. November 1918 Bürgermeister von Melle eine diesbezügliche Petition mit rund 18.600 Unterschriften. Eine Antwort erhielten die Frauen nicht - aber, kurze Zeit später, am 12.11.1918 verkündete der revolutionäre Rat der Volksbeauftragten in Berlin das allgemeine und gleiche Wahlrecht. Ein Schritt zur Gleichberechtigung war getan, aber es war nicht selbstverständlich, dass nun alle Frauen ihr Recht wahrnahmen und zum Wählen gingen. Emma Ender erkannte, dass viele Frauen zuerst einmal motiviert werden mussten, ihr neues Recht auch in Anspruch zu nehmen. Aus diesen Überlegungen heraus gründete sie den Wahlwerbeausschuss des Stadtbundes. Gleichzeitig war es ihr ein Anliegen, diejenigen Frauen politisch zu schulen, denen sofort, nachdem die Frauen das Wahlrecht erhalten hatten, Parteiämter übertragen worden waren. Denn nach Meinung Emma Enders waren viele dieser Frauen zu oberflächlich politisiert worden und entbehrten der „Vorschule der Frauenbewegung" Emma Ender betätigte sich jetzt auch parteipolitisch. Von März 1919 bis 1924 war sie für die DVP Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft und stand oft am Redepult. Nach dem Krieg protestierte Emma Ender scharf gegen die Verdrängung von Frauen aus dem Arbeitsbereich Wohlfahrtspflege, in den Frauen während des Krieges wegen des Männermangels verstärkten Zugang gefunden hatten. Auch wehrte sie sich vehement gegen die Entlassung so genannter Doppelverdienerinnen. Angesichts der großen Not weiter Bevölkerungskreise infolge der Inflation setzte sich Emma Ender als Vorsitzende des Stadtbundes für den Zusammenschluss der Frauenverbände in dem sozialen Hilfswerk Hamburgische Frauenhilfe 1923 ein. Nachdem Emma Ender 1924 aus der Bürgerschaft ausgeschieden war, wurde sie Vorsitzende des BDF (Bund Deutscher Frauen). Helmut Stubbe-da Luz schreibt dazu: „Emma Enders Wahl entsprach einem Trend nach rechts im BDF, der 1920 mit dem Beitritt des mitgliederstarken Reichsverbandes landwirtschaftlicher Hausfrauenvereine begonnen hatte; freilich besaßen im neunköpfigen Vorstand weiterhin die linksliberalen ‚Demokratinnen' die Mehrheit und  Gertrud Bäumer, die als stellvertretende Vorsitzende fungierte, übte nach wie vor eine Art inoffizieller Richtlinienkompetenz aus"1). 1931 wurde Agnes Zahn-Harnack im BDF die Nachfolgerin der 56jährigen Emma Ender. Von 1920 bis 1927 war Emma Ender außerdem noch Vorsitzende des Verbandes Norddeutscher Frauenvereine. Dieser Verein gab die wöchentlich erscheinende Zeitschrift „Frau und Gegenwart" heraus, die später mit der Illustrieren „Neue Frauenkleidung und Frauenkultur" zusammengelegt wurde. In ihrem Entnazifizierungsverfahren gab sie an, dass sie 1932 die Vorsitzende der „Frauenfront 1932“ gewesen war. Dazu erläuterte sie, dass sie die Frauenfront als Kampforganisation gegen den Nationalsozialismus gegründet habe zur Verteidigung der Frauenrechte und gegen jede Gewaltanwendung bei weltanschaulichen und politischen Auseinandersetzungen. (Staatsarchiv Hamburg, 221-11_ C (I) 2737) Im Mai 1933 bekam Emma Ender als Stadtbundvorsitzende eine Staatskommissarin vorgesetzt. Am 15. Mai löste sich der BDF und am 20. Juli der Stadtbund auf - teils, wie Stubba-da Luz schreibt, „aus Resignation, teils auch aus Gutgläubigkeit". Als Gegnerin des Nationalsozialismus zog Emma Ender sich 1933 aus dem öffentlichen Leben zurück. Sie half jedoch, soweit es ihr möglich war, ihren jüdischen Freundinnen und Freunden. 1940 starb ihr Mann. Emma Ender wurde Mitinhaberin der Firma ihres Mannes. Nach dem Krieg - nun schon siebzigjährig - fühlte sie sich nicht mehr stark genug, um beim Aufbau der Frauenbewegung mitzuarbeiten. 1920 hatte Emma Ender in einem Zeitungsartikel über ihre Einstellung zum Leben geschrieben: „Meine Einstellung zum Leben wurde wesentlich beeinflusst, so scheint es mir wenigstens heute, durch den Glauben, ich sei ein Sonntagskind. Irgendjemand, der in meiner Kindheit Autorität hatte, hat es mir gesagt, vielleicht war es nur sinnbildlich gemeint, ich glaubte es jedenfalls als Tatsache. Als ich dann nach mehr als drei Jahrzehnten meines Lebens durch einen Zufall erfuhr, dass ich an einem Montag geboren bin, war es mir eine richtige Enttäuschung, aber ich ließ mich nun nicht mehr beirren und registrierte weiter in dem Geist des wirklichen Sonntagskindes. Wie unendlich oft habe ich in naivem Kinderglauben kleine gute Erlebnisse auf mein Sonntagskindglück bezogen und mich auf seinen Schutz verlassen. Und alle Güte, die mir im Leben von Menschen widerfahren ist, habe ich als etwas Besonderes, Unverdientes, dem Sonntagskind Zufallendes genossen." Emma Ender wurde fast vergessen. Über ihre Beerdigung schrieb das „Hamburger Echo" vom 2.3.1954: „Ein kleiner Kreis von Freunden und früheren Mitarbeitern nahm am Montag in der Halle B des Ohlsdorfer Friedhofes Abschied von Emma Ender.(...) Ihr Lebensabend in Rahlstedt war einsam." Text: Rita Bake Alle Zitate und Wesentliches aus: [1] Helmut Stubbe-da Luz: Die Stadtmütter Ida Dehmel, Emma Ender, Margarete Treuge. Hamburgische Lebensbilder in Darstellungen und Selbstzeugnissen. Hrsg. v. Verein f. Hamburg. Geschichte Bd.7. Hamburg 1994.      

    Marie Firgau

    Schulleiterin

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    29.3.1845
    Hamburg

    14.12.1935
    Hamburg
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    Marie Firgau, Tochter des Kaufmannes Peter Friedrich Firgau und der Amalie Elisabeth Auguste geborene Tiede, wohnte mit ihren Eltern im Hamburger Stadtteil St. Georg. Nach dem Besuch der Vorschule von Fräulein von Königslöw vom 6. bis zum 10. Lebensjahr ging Marie Firgau bis zum 16. Lebensjahr auf die Höhere Mädchenschule von Johanna (Hannchen) Averdieck, einer Schwester von Elise Averdieck. Nach ihrem Schulabschluss begann Marie Firgau dort als Lehrerin die Elementar- und Mittelklasse zu unterrichten. 1865 ging sie als Erzieherin auf das Gut Bundhorst bei Plön und erzog dort fünf der neun Kinder der hier lebenden Familie Droege. Nach dreieinhalb Jahren auf Gut Bundhorst zog Marie Firgau nach England, um dort von August 1869 bis Oktober 1970 an einer englischen Schule zu unterrichten. Zurück in Hamburg war sie von April 1871 bis Oktober 1876 an der Höheren Mädchenschule von Ferdinand August Louvier Beim Strohhause 14 tätig. Danach ging sie nach Paris, wo sie bis Januar 1881 als Lehrerin arbeitete. Wieder zurück in Hamburg machte Marie Firgau ihre Schulvorsteherinnen-Prüfung und eröffnete im selben Jahr zum 1. Oktober 1881 am Theresienstieg auf der Uhlenhorst eine Kursusschule mit zehn Schülerinnen zwischen 15 und 16 Jahren.
    Bereits kurze Zeit später reichten die Räumlichkeiten nicht mehr aus, so dass Marie Firgau ihre Schule in größere Räume in die Abendrothstraße 2 (heute: Osterbekstraße) verlegte. Marie Firgaus Schule entwickelte sich zu einer 10-stufigen Höheren Mädchenschule.
    Die Schule zog wegen Platzmangels noch zweimal um, so 1895 in die Adolpfstraße 22 (heute: Herbert-Weichmann-Straße) und 1910 schließlich in die Sierichstraße 53. Hier bezog Marie Firgau im Obergeschoss auch ihre privaten Räume. Nun hatte die Schule 300 Schülerinnen.
    Die Autorität der Schulleiterin soll "allgemein anerkannt und gewürdigt" worden sein: "der Umgangston war freundlich, aber ‚nicht familiär'". 1)
    In den Vorstand der Schule wurden nur Töchter gebildeter Familien aufgenommen. "Unterrichtsgegenstände waren Religion, Kirchengeschichte, Deutsch, Grammatik und Literatur, Geschichte, Übung in der Betrachtung von Kunstwerken in Museen und Privatgalerien, Naturgeschichte, Physik, Küchenchemie, verbunden mit praktischen Übungen, Französisch, Englisch, Rechnen, Mathematik, Schreiben, Zeichnen, Gesang, Handarbeit und Turnen resp. Tanzen." 1) Die wöchentliche Schulzeit betrug 29 Stunden.
    Als 1911 Marie Firgau 66 Jahre alt wurde, zog sie sich aus dem Schulbetrieb zurück, wohnte aber weiterhin im Schulgebäude und war deshalb immer noch gefragt. Ihre Nachfolgerinnen waren Rebecca Beit und Bertha Helene Mosengel. Zum 50. Schuljubiläum am 1. Oktober 1931 erhielt Marie Firgau eine von der Hamburger Künstlerin Frieda Mathaei-Mitscherlich entworfene Bronzeplakette überreicht.
    Zwei Jahre nach Marie Firgaus Tod musste Helene Mosengel 1938 die Schule schließen. "Der Abbau der Grundschule und die Neuordnung des Schulwesens" 1) waren der Grund hierfür.
    Lit:
    Renate Hauschild-Thiessen: Marie Firgau (1845-1935) und ihre Schule. In: Hamburgische Geschichts- und Heimatblätter, Bd. 15, Heft 12, Oktober 2009, S. 294ff.

    Klara Fricke

    (geb. Magers)

    ehrenamtlich tätig im Sozialbereich

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    4.2.1871
    Hamburg

    16.10.1951
    Hamburg
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    „Große Sitzung im Hamburger Jugendamt. Männer und Frauen, Vertreter der Behörden und Vertreter der privaten Wohlfahrtsverbände beraten über Maßnahmen zum Schutze und zur Förderung der Hamburger Jugend, über Verwendung der bereitgestellten Mittel, über Einwerbung neuer Gelder. Erregt wogen die Meinungen hin und her. Besonders einer der Männer, ein sozialdemokratischer Hitzkopf, macht der Versammlung viel zu schaffen. Leidenschaftlich um die Lösung der drängenden Fragen bemüht, streitlustig, sturköpfig, - wirft er immer wieder Zündstoff in die Debatte, hindert er oft im letzten Augenblick die mühsam erkämpfte endgültige Einigung. Alles atmet erleichtert auf, als er sich erhebt, weil ein anderes Amt seine Anwesenheit fordert. ‚Ich wünsche aber, dass mir alle Entschlüsse erst vorgelegt werden, dass nichts ohne mich entschieden wird!’ In der Tür dreht er sich noch einmal um: Falls aber Frau Fricke etwas vorschlägt, dem stimme ich auf jeden Fall zu, deren Vorschläge nehme ich ohne weiteres an, die brauchen mir nicht vorgelegt werden!’“1) Klara Fricke, geb. Magers war von 1916 bis 1934 Vorsitzende der Ortsgruppe Hamburg des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF) und leitete von 1924 bis 1934 den Ausschuss zur Förderung der Jugendwohlfahrt, die Spitzenorganisation der privaten und öffentlichen Jugendpflege in Hamburg. 1871 in Hamburg am Sandtorkai geboren, war Klara Fricke das zweite Kind aus einer wohlhabenden bürgerlichen Familie - der Vater Prokurist in einer großen Hamburger Firma, ihre Mutter eine Fabrikantentochter. Die Eltern engagierten sich stark auf dem Gebiet der Wohltätigkeit. Klara Fricke besuchte die Volksschule einschließlich der Selecta und ging, um Sprachen zu lernen, in eine Pension in der französischen Schweiz. Als sie nach Hamburg zurückkehrte, hatte sie soviel Wissen erworben, dass sie Privatunterricht geben konnte. Mit 30 Jahren heiratete sie 1901 den Hamburger Bürger Traugott Fricke. Die beiden hatten keine Kinder. Sie lebten im Haus von Klara Frickes Eltern an der Großen Allee 24. Durch ihren Mann, der ehrenamtlich als Armen- und Waisenpfleger arbeitete, wurde Klara Fricke mit der sozialen Arbeit vertraut - und nach einiger Zeit zur selbstständigen Armen- und Waisenpflegerin ernannt. Um sich in dieser Arbeit zu vervollkommnen, belegte sie bei der Ortsgruppe Hamburg des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF) einen Kursus für Armen- und Waisenpflegerinnen. So lernte sie die Arbeit des ADF kennen und arbeitete bald aktiv in seinen Reihen mit. Sie wurde Leiterin eines Mädchenhortes auf St. Pauli, 1912 war sie Mitbegründerin des Verbandes für Waisenpflege, Armenpflege und Vormundschaft und wurde 1915 dessen Vorsitzende. Ihre Karriere ging rasch weiter. 1916 wurde Klara Fricke Nachfolgerin von Helene Bonfort (siehe zu ihr Erinnerungsstein in der Erinnerungsspirale), die bis zu diesem Zeitpunkt als erste Vorsitzende der ADF-Ortsgruppe fungiert hatte. 18 Jahre, bis zur Auflösung der Gruppe im Jahre 1934, war Klara Fricke in diesem Amt. Als nach 1918 die Frauen das Bürgerrecht erworben hatten und damit die Möglichkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, wurde Klara Fricke mit noch einer anderen Frau in die Vormundschaftsbehörde gewählt. Am 30. Mai 1919 wurde sie im Hamburger Rathaus feierlich vereidigt. Auf der offiziellen Einladung war der Passus: „Gefl. Im Frack“ durchgestrichen. Außerdem kam sie 1919 auf die Kandidatenliste der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) zur Bürgerschaftswahl - allerdings nur auf den aussichtslosen Listenplatz 72. Ähnlich wie Emma Ender (Erinnerungsstein für sie in der Erinnerungspirale) sah auch die kinderlose Klara Fricke ihre Hauptaufgabe in der Jugendpflege. 1923 starb Traugott Fricke nach langer schwerer Krankheit. Klara Fricke, die nun in der Moorweidenstraße 4 im Stadtteil Rotherbaum wohnte, erfuhr nach dem Tod ihres Mannes große Unterstützung durch ihre Freundin Olga Lichtenberger, mit der sie seit den zwanziger Jahren einen gemeinsamen Haushalt führte. Auf dem sozialen Gebiet engagierte sich Klara Fricke weiterhin in der Jugendwohlfahrt. So erhielt sie 1924 den Vorsitz im Ausschuss zur Förderung der Jugendwohlfahrt, den sie 1933 aufgeben musste. 1928 erhielt sie als Anerkennung für ihre ehrenamtliche soziale Arbeit vom Hamburger Senat die Plakette für treue Arbeit im Dienst des Volkes. In einer Schrift des ADF zum 70. Geburtstag von Klara Fricke wird ein Tagesablauf dieser vielseitig beschäftigten Frau gezeichnet: „Wir wurden morgens um ½ 5 Uhr angeklingelt, weil siebenbürgische junge Mädchen auf Ferienreise gerade angekommen sind. Frau Fricke hat sich erboten, sie aufzunehmen. Also hin zum Hauptbahnhof, um sie abzuholen und daheim freundlich zu versorgen. Das Obdachlosenasyl klingelt an. Keine Kohlen mehr! Also zum Kohlenhändler und verschiedenen anderen Stellen, um es zu versorgen. Dann zur Bank, zum Finanzamt, Verhandlung mit Friedrichsberg, weil ein Schützling dort zu Beobachtung und Begutachtung ist, dann zum Untersuchungsgefängnis. Ein Herr aus Berlin kommt, der das Protektorat des A.D.F. für einen Film wünscht, Sitzung in der Vormundschaftsbehörde über einen Gesetzesentwurf zum Schutz des unehelichen Kindes, Sitzung im Jugendamt über Filmzensur, Besuch einer Mitarbeiterin und Aussprache über schwebende Probleme der Fürsorge. Eine andere bringt eine Vortragsfolge zum Begutachten. Dazwischen bringt ein Neffe Freunde mit ins Haus, die beköstigt werden sollen; ein Stoß Akten vom Vormundschaftsgericht liegt auf dem Schreibtisch und soll bis zum nächsten Tag erledigt werden - Das alles in bunter Folge! Ein kleiner Neffe, der sein Weihnachtsgeheimnis nicht bei sich behalten kann, sondern notwendig erzählen muss, was er da gebastelt hat, meint nicht mit Unrecht: ‚Tante Klara kann man es ruhig erzählen, die vergisst es ja doch gleich, die hat so viel Frauensachen im Kopf.’“ All diese Arbeit leistete Klara Fricke ehrenamtlich. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten zog sich Klara Fricke aus der ehrenamtlichen Sozialarbeit zurück. Aber gleich nach Kriegsende war sie wieder aktiv beim Aufbau der Frauenbewegung dabei und wurde eine der Mitbegründerinnen des Hamburger Frauenrings e.V.. Text: Rita Bake Zitate: [1] Wesentliches aus: Hagemann Karen, Kolossa Jan: Gleiche Rechte - Gleiche Pflichten? Hamburg 1990. Vgl.: Klara Fricke zum 4. Februar 1941. Festschrift anlässlich ihres siebzigsten Geburtstags, Hamburg 1941.      

    Lilly Giordano

    geb. Seligmann -Lehmkuhl

    Klavierlehrerin, Mutter des Schriftstellers Ralph Giordano

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    16.1.1897
    Hamburg

    1.1.1980
    Hamburg
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    Geboren als uneheliches Kind von Selma Seligmann wuchs Lilly überwiegend bei ihren Großeltern auf. Ihr Vater war ein wohlhabender Jude aus Straßburg, "der verschwand, als seine Tochter sechs Jahre alt war. Bald nach 1900 heiratete die Mutter den Bauschlosser und entschiedenen Sozialdemokraten Rudolph Lehmkuhl, der von da an als Stiefvater Lillys fungierte. (…). Als Lilly schon als Kind musikalische Begabung zeigte, förderten ihre Großeltern sie, indem sie ihr ein Klavier kauften und sie in einem der Hamburger Musikinstitute zum Klavierstudium anmeldeten. Am 4. Mai 1917 schloss sie mit dem ‚Reifezeugnis der Lehrbefähigung für Elementar- und Mittelstufe' mit sehr gutem Erfolg ab (…). Seitdem gab sie privat Klavierstunden und war zudem in der Saison 1919/1920 als Dozentin am Klaerschen Konservatorium in Blankenese, das damals zu Altona gehörte, tätig. 1921 lernte sie den Pianisten Alfons Giordano kennen und heiratete ihn im Jahr darauf. Das Paar bekam insgesamt vier Kinder, eins davon ist der spätere Schriftsteller Ralph Giordano, der 1923 geboren wurde. Mit den Klavierstunden, die sie in ihrer Mietwohnung in der Hufnerstraße in Hamburg-Barmbek gab, trug sie in den nächsten Jahren zum Lebensunterhalt der Familie bei." 1) 1935 wurde Lilly Giordano wegen ihrer jüdischen Herkunft aus der Reichsmusikkammer ausgeschlossen und erhielt Berufsverbot. "Im Herbst 1942 wurden Lilly und Alfons Giordano in die Gestapoleitstelle in Hamburg befohlen, wo dem ‚arischen' Ehemann nahegelegt wurde, sich von seiner ‚jüdischen' Frau scheiden zu lassen. Giordano, dessen Impulsivität sich schon früher oft und unerwartet Bahn gebrochen hatte, bekam einen Tobsuchtsanfall und drohte damit, in seiner ersten Heimat Italien von den Zumutungen der deutschen Polizei zu berichten. Die Gestapo ließ die beiden wieder gehen, doch ab jetzt war es klar, dass das Leben von Frau und Kindern einzig davon abhing, dass Alfons Giordano zu ihnen hielt, damit der Status einer ‚privilegierten Mischehe' - so die Nomenklatur der Nazis - aufrecht erhalten blieb. 1943 wurde das Berufsverbot, das für Lilly Giordano schon seit 1935 galt, auch auf ihren Mann ausgedehnt." 2) 1943 wurde die Familie ausgebombt. Sie fand Zuflucht in Bösdorf, doch 1944 wurden Lilly und Alfons denunziert und sie mussten zurück nach Hamburg, wo die beiden Zwangsarbeit leisten mussten. Lilly Giordano musste in Hamburg Bahrenfeld in den Firmen Heldmann und Bommelmann, die Rattengift produzierten, unter schlimmsten hygienischen Bedingungen Sortier- und Einfüllarbeiten verrichten, was zu starken gesundheitlichen Schäden führte. "Im Februar 1945 wurde Lilly Giordano von der Gestapo erneut aufgefordert, sich zur 'Verschickung' bereit zu halten, was wohl ihren Tod bedeutet hätte. Dies nahm Sohn Ralph zum Anlass, die Familie in ein bereits vorher ausgekundschaftetes Versteck in der Alsterdorfer Straße in Hamburg-Alsterdorf zu bringen, wo die fünf Personen vom 14. Februar an bis zur Befreiung am 4. Mai unter unerträglichen Bedingungen, unterstützt von ihrer früheren Nachbarin Grete Schulz, dahinvegetierten und am Ende auch überlebten. Nach dem Krieg konnte Lilly Giordano mit Mann und Kindern eine Wohnung in der Elbchaussee beziehen. Doch selbst hier noch waren sie antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt; gegen verleumderische Handzettel mit der Aufschrift ‚Judenschweine raus!' strengten sie eine Strafanzeige gegen Unbekannt an, die zu Ermittlungen bis ins Jahr 1954 führte, ohne dass Täter gefasst wurden (…). Lilly Giordano traute sich zu, wieder als Klavierlehrerin zu arbeiten, hatte aber kein Instrument mehr und bat deshalb - wegen Ausbombung - um Soforthilfe beim Amt für Wiedergutmachung. Diese wurde nicht gewährt. Zehn Jahre lang kämpfte sie um Anerkennung als an Beruf und Gesundheit schwer Geschädigte. Am Ende wurde ihr eine monatliche Rente in Höhe von 250,- DM zugestanden, die sich freilich Jahr für Jahr erhöhte. Den Beruf als Klavierlehrerin konnte sie jedoch nicht wieder aufnehmen. Sie lebte einige Jahre in Altona, wo sie ihrem Mann bei dem Versuch half, ein Geschäft aufzubauen: erst eine Leihbibliothek, dann einen Waschsalon; am Schluss blieben aber nur Schulden übrig. 1963 zog sie mit Mann und Tochter nach Hamburg-Langenhorn um. Hier starb Alfons Giordano im Oktober 1972. Ihre behinderte Tochter [geboren 1946] kam 1978 in die Alsterdorfer Anstalten. Lilly Giordano - inzwischen 82jährig - ging 1979 in das nicht weit davon entfernte Pflegeheim Alsterberg. Hier starb sie am 1. Jan. 1980." 3) Quelle: Ausführlicher Lebenslauf unter: www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00005725 1-3: Peter Petersen: Lilly Giordano, in: Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit, Claudia Maurer Zenck, Peter Petersen (Hg.), Hamburg: Universität Hamburg, 2014 ( www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00005725).

    Martha Golembiewski

    Verfolgte des Nazi-Regimes

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    16.2.1900
    Kreis Mühlheim

    25.9.1943
    Hamburg
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    Martha Golembiewski starb im KZ-Fuhlsbüttel und wurde auf dem Ohlsdorfer Friedhof in einem, heute nicht mehr vorhandenen, Reihengrab beigesetzt. Ihre Akten weisen sie als "Wiedereindeutschungsfähige" aus. Obwohl bei Mühlheim geboren, scheint Martha Golembiewski in Polen gewohnt zu haben. Die 1939 im annektierten Polen lebenden Menschen wurden nach "Deutschstämmige", "Eindeutschungsfähige" oder "Fremdvölkische" eingeteilt. Wer ökonomischen Nutzen brachte, wurde "eingedeutscht" und ins Deutsche Reich verschleppt. Martha Golembiewski kam nach Hamburg, wo sie in der Isestraße 41 als Hausangestellte arbeitete. Ihre Inhaftierung ins KZ-Fuhlsbüttel veranlasste das "Ausländerreferat" II E.2. der Gestapo. Es gab als Inhaftierungsgrund oft "Arbeitsvertragsbruch" an, obwohl meist politische Gründe zur Inhaftierung führten.

    Gerda Gühlk

    Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft

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    11.05.1920

    16.12.2003
    Seebestattung
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    Gerda Gühlk war von 1966 bis 1971 SPD-Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft. Dann schied sie aus familiären Gründen aus, denn neben ihrer politischen Tätigkeit hatte sie vier Kinder zu versorgen. Ihre politischen Schwerpunkte lagen in den Bereichen Haushalts-, Rechts- und Baupolitik. Sie arbeitete im "Parlamentarischen Unterausschuss Neubau Allgemeines Krankenhaus Othmarschen", in der Arbeitsgruppe "Strafrechtsreform" der SPD - Fraktion und bei der Neufassung der Hamburger Bauordnung mit. Als politischen Erfolg bezeichnete sie die Initiative zur Einbringung der Großen Anfrage "Aufhebung der Verjährungsfrist für Mord" (Die Strafbarkeit bleibt erhalten) als Gesetzesvorlage im Bundestag. Politische Aktivitäten, Privatleben und Kindererziehung konnte sie nur mit Zustimmung und Hilfe ihrer Familie befriedigend in Einklang bringen. Als Prämisse galt stets: notfalls haben die Belange der Kinder Priorität. Nach ihrem Ausscheiden aus der Bürgerschaft übernahm sie keine Funktion mehr. Gerda Gühlk hatte nach eigenen Aussagen das Glück gehabt, Emanzipation durch ihre gleichberechtigte Erziehung mit drei Brüdern geübt zu haben. Die alleinige Verantwortung für ihre Kinder in den Kriegs- und Nachkriegsjahren taten ein weiteres.

    Beate Hasenau

    Schauspielerin, Kabarettistin, Synchronsprecherin

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    15.04.1936
    rankfurt a. M.

    01.10.2003
    Hamburg
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    Beate Hasenau absolvierte eine Schauspiel- und Gesangsausbildung und durchlief parallel dazu noch eine kaufmännische Lehre. Da sie nach dem Abschluss der künstlerischen Ausbildung Theaterengagements erhielt, so z. B. in Frankfurt a. M., brauchte sie nicht, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, einen kaufmännischen Beruf ergreifen. Bekannt wurde Beate Hasenau u.a. durch ihre Auftritte ab 1965 im deutschlandweit bekannten Kabarett "Die Stachelschweine" und durch Fernsehrollen in Serien wie "Ein Heim für Tiere", "Der Alte", "Großstadtrevier" und "Die Männer von K3".
    Weil Beate Hasenau über eine rauchige Stimme verfügte, entsprach sie damit dem Frauenklischee einer "Dame der Halbwelt", die sie deshalb in Filmen auch vielfach verkörperte.
    Sie spielte z. B. 1962 in dem Kinofilm "Nachts ging das Telephon"; 1967 in dem Gansterfilm "heißes Pflaster Köln" oder 1969 in der Filmkomödie "Dr. med. Fabian - Lachen ist die beste Medizin". Auch trat sie 1975 in der Fernsehserie "Tatort" (Titel: "Als gestohlen gemeldet"), 1976 in der Verfilmung des Romans von Hans Fallada "Jeder stirbt für sich allein" oder 1977 in dem Sexfilmlustspiel "Drei Schwedinnen in Oberbayern" auf. In den 1980er Jahren bekam Beate Hasenau Rollen z. B. in den Filmen "Piratensender Powerplay" (1981), in dem auch Thomas Gottschalk, Mike Krüger und Evelyn Hamann auftraten oder 1983 in dem Film "Kiez - Aufstieg und Fall eines Luden". In den 1990er Jahren gab Beate Hasenau z. B. in dem Zeichentrickfilm "Bodo und die Hasenbande" (1995) der Elster ihre Stimme.
    Beate Hasenau war vielfach auch als Synchronsprecherin tätig. So lieh sie 1961 ihre Stimme der Schauspielerin Claudia Cardinale in dem Kinofilm "Spiel mir das Lied vom Tod" und der Schauspielerin Gina Lollobrigida in dem Film "Die Puppen", ebenso Raquel Welch in dem Film "Auf leisen Sohlen kommt der Tod" und Beatrice Arthur für deren Figur "Dorothy" in der Fernsehserie "Golden Girls". Auch wirkte Beate Hasenau in den Walt Disney Zeichentrickfilmen "Arielle, die Meerjungfrau" mit und gab die deutsche Stimme für die Meerhexe Ursula. In dem Zeichentrickfilm "Cap und Capper" lieh sie der Big Mama ihre Stimme, in dem Film "101 Dalmatiner" der Cruella De Vil und in "Bernhard und Bianca" der Figur Madame Medusa. 2002 wurde ihre Stimme auch für ein PC-Spiel benötigt, so verkörperte sie dort die Mama Dorita in dem PC-Spiel "Runaway: A Road Adventure".
    Und auch für Hörspiele gab sie ihre markante rauchige Stimme, so für Rollen in "TKKG", "die 3 ???" oder "Die kleine Hexe".
    Beate Hasenau, die 1984 nach Hamburg gezogen war und dort auch im St. Pauli Theater und am Theater Am Holstenwall auftrat, verstarb 2003 an einem Krebsleiden im Hospiz Hamburg Leuchtfeuer
    Quellen:
    Wikipedia: Beate Hasenau, abgerufen: 15.12.2019

    Dörte Helm

    verh. Heise

    Bauhaus-Künstlerin, Malerin, Grafikerin

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    3.12.1898
    Berlin

    24.2.1941
    Hamburg
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    Dörte Helm war eine vielseitig begabte Künstlerin. Sie schuf Holzfiguren, hölzerne Sitzwürfel, Schmuck, Textilien, Grafiken, Gemälde, Plakatentwürfe, Drucke, Glasfenster. Auch war sie schriftstellerisch tätig und schuf Illustrationen für Märchen. Dörte Helms Eltern waren Alice Caroline Helm, geb. Bauer und Rudolf Helm, Prof. für klassische Philologie an der Universität Rostock. Dieser entpuppte sich als strenger Patriarch. Wie es in einer patriarchal geprägten Gesellschaft für Frauen üblich ist, sollte Dörte die Haltung einnehmen, es allen recht zu machen. Diesem Ansinnen widersetzte sie sich. Dennoch schufen Vater und Tochter auch etwas Gemeinsames. So erschien 1921 Dörte Helms Kinderbuch "Im Märchenreich" mit Versen des Vaters. "Dörte, die Tochter, illustrierte seine Elaborate als Jugendliche brav und mit heute noch zu bewundernder und zugleich erschreckender Perfektion." Nach dem Schulabschluss am Rostocker Lyzeum besuchte Dörte Helm von 1913 bis 1915 die Rostocker Kunstgewerbeschule, dann bis 1918 die Kunstakademie in Kassel. 1918/1919 studierte sie in der Grafikklasse der Großherzoglichen Kunsthochschule Weimar. Danach ging sie als Lehrling in die Wandmalerei- und Textilwerkstatt des Staatlichen Bauhauses Weimar. 1921 durfte sie an Walter Gropius' Projekt "Haus Sommerfeld" mitwirken: sie stellte einen Applikationsvorhang her. Zwischen 1922 und 1923 war sie in der Weberei-Werkstatt tätig. Auf der Bauhaus-Ausstellung 1923 war sie mit einem Wandbehang und einem Wandschirm vertreten. 1922 legte sie die Gesellenprüfung als Dekorationsmalerin ab und arbeitete bis 1924 als Gesellin am Bauhaus - in bezahlter Position. Dörte Helm hatte sich immer als gleichberechtigte Künstlerin gesehen. So ließ sie sich nicht in die Weberei abschieben, wo nach Meinung der meisten Künstler der Platz der Künstlerinnen sei, sondern erkämpfte sich "einen Platz in der Werkstatt für Wandmalerei (…). Obwohl Frauen dort nicht erwünscht waren, wirkte sie eigenständig an Architekturprojekten mit." 1924 zog sie zurück nach Rostock, wurde u. a. Mitglied der Vereinigung Rostocker Künstler und nahm mit eigenen Werken an deren Ausstellungen teil. Sie arbeitete als Malerin und Gestalterin. Auf ihrem Briefkopf stand "Raumkunst Dörte Helm". 1927 erhielt sie z. B. den Auftrag, die Innengestaltung des Warnemünder Kurhauses zu übernehmen. Dörte Helm ging auch Liebesbeziehungen mit Frauen ein. Von ihr geschaffene Bilder zeigen die Liebe zwischen zwei Frauen "oder die Auseinandersetzung mit dem Verbot oder dem Scheitern dieser Liebe (…)." Ihre ab 1930 geschaffenen Bilder zeigen keine Frauengestalten mehr, sondern "(…) heimatlich-anziehende, aber zugleich leere, einsam wirkende norddeutsche Landschaft". 1930 heiratete sie den Journalisten Heinrich Heise und zog zu ihm nach Hamburg. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde sie, weil ihre Mutter jüdischer Herkunft war, von den Nazis als "Halbjüdin" bezeichnet und erhielt 1933 Berufsverbot, durfte nicht mehr ausstellen. Sie wich aufs Schreiben aus, gab ihre Texte unter Pseudonym heraus. 1938 wurde ihre Tochter Cornelia Heise geboren. Drei Jahre später starb Dörte Helm an einer Lungenentzündung. Der größte Teil ihrer Arbeiten ist heute noch vorhanden. Quellen: Alle Zitate, siehe: Ulrike Müller: Bauhaus Frauen. Meisterinnen in Kunst, Handwerk und Design. 2. Aufl. München 2019, S. 101ff. Auszüge aus dem Nachruf auf Dörte Helm, von Hugo Sieker Ich war in diesen Tagen in den Räumen, die Dörte Helm-Heise für sich und die ihren hergerichtet hat. Alles zeugte noch von ihr und von dem Maß der Liebe, das sie auf Dinge und Pflanzen, auf Tiere und Menschen verwendete. Die Pflanzen im kleinen Erker, die so willig unter ihrer behutsamen pflegenden Hand gegrünt hatten, sie grünten noch (…) Der Kater Müffchen, den sie in einer Erzählung verewigt hat, strich noch hoheitsvoll und mit der Neugier eines aufgeweckten Menschen über die Teppiche. Die Buchregale waren wohlgefüllt mit der Nahrung, die sie ihrem so regen und aufgeschlossenen Geist zuführte (…). Die Möbel, deren Form und Farbe sie selber bestimmte, schauten den Besucher wie mit lieben, klaren Gesichts-zügen an. An den Wänden hingen die Bilder, die sie einst in frohen Schaffensjahren gemalt hat. Die Landschaften grüßten aus ihnen, die sie geliebt hat, die Kieler Förde, die heitere grüne Marschlandschaft der Warnow bei Rostock. (…) Ein (…) Schrank hütete die schriftstellerischen Entwürfe, die manchmal kleinen Märchen und Erzählungen, ein fertiges Kinderbilderbuch, das Märchenspiel vom König Drosselbart, das bei seiner Aufführung im Rostocker Stadttheater so viele kleine und große Menschen erfreute. Alle diese Dinge und Kunstwerke und Pflanzen schienen mir von der leisen Unruhe des Wartens erfüllt, als ich unter ihnen weilte. Der Kater Müffchen trug die Frage in seinen fast menschlichen Augen herum: "Weißt du nicht, wo sie ist?" Ach, euer Warten wird vergebens sein, nie wird Dörte zu euch zurückkehren (…). Da aber trippelte die kleine Cornelia ins Zimmer herein - zierlich noch die Glieder und unbeholfen noch die Beinchen, aber die Augen des Kindes blickten aus derselben Tiefe und sie hatten dasselbe bunte Leuchten wie die Augen der Mutter. Sie trippelte herein und erfüllte die Räume mit ihrer zirpenden Stimme, und die Unruhe des Wartens schien von den Dingen zu weichen, so lange sie unter ihnen weilte. Wie gut, dass für Cornelia alles noch lange so bleiben wird. Für sie werden die Pflanzen weiter grünen, für sie die Möbel ihren treuen Dienst verrichten, für sie der Vater und die Großmutter ihre sorgende Liebe zu jeder Stunde walten lassen. Ihr gewohntes Leben wird weitergehen, sie wird spielen und die Seele des von der Mutter gerichteten Heims bleiben, und jeden Abend wird sie in ihrem Bettchen das Gebet der Unschuld sprechen, so wie sie es heute tat: "ich bin klein, mein Herz ist rein, soll niemand drin wohnen als die liebe Mama allein." Ach du ahnungsloses Menschlein, wie wahr ist doch dein Gebet, wie gewiss ist doch, dass in dir die Mutter fortlebt - das Beste der Mutter. Verbunden mit der besten Kraft des Vaters. Nein, niemand löst sich ganz aus diesem Leben, auch wenn es dem Nächsten im ersten Schmerz so scheinen will. Wie in einem kleinen Gewebe schlingt sich ein Faden um den andern, und die Klugheit der Mütter gar, die im Leben so manches sinnvoll richtet, kann auch durch den Tod nicht ohne weiteres abgeschnitten werden, sie wirkt fort und fort und tritt im Gewebe des Daseins immer wieder hervor und gibt ihm seinen Halt. Du wirst heranwachsen in einem behüteten Kreise, kleine Cornelia, so wie es sicherlich der letzte, sehnlichste Wunsch deiner Mutter war. (…) veröffentlicht: Sonderdruck aus dem "Hamburger Anzeiger" vom 1./2. März 1941

    Erna Hoffmann

    Opfer der Euthanasie

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    11.8.1892
    Hamburg

    27.10.1942
    Pfafferode
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    In der Zeit des Nationalsozialismus Ende April 1938 wurde Erna Hoffmann als eine von mehreren hundert Patientinnen der "Irrenanstalt" Hamburg Langenhorn in das Krankenhaus für Behinderte und psychisch Kranke nach Rickling/Schleswig-Holstein verlegt, wo die Versorgung der PatientInnen u. a. kostengünstiger war. Die Hamburger "Irrenanstalten" Langenhorn und Friedrichsberg wurden zur Aufnahme "wertvollerer" Kranker benutzt, denn im Nationalsozialismus galten Menschen mit Behinderung und psychisch Kranke als "wertlos". Deshalb wurde die Vernichtung "unwerten Lebens", bewusst verursacht z. B. durch mangelhafte Versorgung und schlechte Behandlung, als "normal" angesehen. 1941 sollte auch Rickling nicht mehr als Heim für Behinderte und psychisch Kranke dienen. So wurden am 25. und 28. Nov. 1941 170 Hamburger Patientinnen, die in Rickling untergebracht waren, darunter auch Erna Hoffmann, in die Heil- und Pflegeanstalt Pfafferode/Thüringen abtransportiert. Dort wurden Menschen direkt mit Gift getötet, oder man ließ sie durch Nahrungsentzug verhungern. Nur zehn der Frauen aus Rickling überlebten das Ende der nationalsozialistischen Herrschaft. Erna Hoffmanns Schicksal steht für die Frauen, die zwischen November 1941 und dem Kriegsende 1945 in der Heil- und Pflegeanstalt durch Nahrungsentzug verhungert sind. Erna Hoffmann steht für eine große Anzahl Hamburger Frauen, die als Opfer der NS-Euthanasie systematisch durch Nahrungsentzug getötet wurden. Deshalb wurde der kompakte Stein ausgehöhlt und mit Glassplittern gefüllt, die an die durchscheinenden verhungerten Körper erinnern sollen. Die Glasstäbe werden begrenzt und eingeschlossen durch Eisenstäbe, was das zwangsweise Eingesperrt Sein dieser Frauen versinnbildlicht.

    Else Jacobs

    Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft (SPD) in der Ernannten Bürgerschaft: Februar 1946 - Oktober 1946

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    15.5.1885
    Hamburg

    18.6.1966
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    Die Hausfrau Else Jacobs war von 1924 bis 1933 und ab 1945 Mitglied der SPD, fungierte dort u. a. als Distriktsfrauenleiterin. Außerdem war sie Mitglied des Elternrats der Siedlungsschule und Delegierte zum Schulbeirat.
    Als die britische Militärregierung im Februar 1946, eine Volksvertretung bilden, deren Mitglieder sie selbst ernennen wollte, war es den Briten daran gelegen, dass zu den 81 Mitgliedern auch Frauen gehörten. Nach dem Willen der britischen Militärregierung sollte die Bürgerschaft die ganze Hamburger Bevölkerung repräsentieren und einen Querschnitt durch alle Kreise darstellen.
    Sieben der 81 Ernannten waren Frauen, darunter auch Else Jacobs die von Emmy Beckmann als Vertreterin der Hausfrauen benannt worden war. Else Jacobs, die während ihrer Bürgerschaftszeit u. a. Mitglied des ständigen Eingabenausschusses der Bürgerschaft war, hatte das Bürgerschaftsmandat nur deshalb angenommen, weil ihr versprochen worden war, dass auch die Nöte und Sorgen der Hausfrauen Gehör finden würden. Als sie dann Abgeordnete war musste sie feststellen: "Aber es sind so viele Nöte, die die Hausfrauen heute treffen, daß es ein wahres Martyrium ist. (…) Es ist nicht nur die Ernährung, sie haben für andere Dinge mitzusorgen. Die Haufrauen sind heute der Blitzableiter für alle Dinge."
    Else Jacobs und ihre sechs Mitstreiterinnen in der Hamburgischen Bürgerschaft stellten die Existenznotwendigkeit der Hausfrauenarbeit heraus. Sie machten deutlich, dass die Erhaltung der Lebens- und Arbeitskraft der Menschen die Basis jeder Volkswirtschaft sei und dass sich Hamburg nicht aus dem Trümmerelend erholen könne, solange die Bevölkerung darbte. Dies erkannten auch die männlichen Abgeordneten, schon weil sie die Not am eigenen Leibe spürten. Sie würdigten deshalb die auf elementare menschliche Bedürfnisse ausgerichteten Beiträge ihrer Kolleginnen, griffen deren Anregungen auf und nahmen an den Diskussionen über Gesundheit und soziale Zustände engagiert teil, so dass in der ersten Nachkriegszeit diese sonst eher randständigen traditionellen "Frauenthemen" ins Zentrum parlamentarischen Interesses rückten.
    Mit dem Ende der Ernannten Bürgerschaft im Oktober 1946 schied Else Jacobs aus der Bürgerschaft aus.

    Christel Klein

    geb. Pazdera

    Opfer häuslicher Gewalt

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    27.11.1938
    Hamburg

    ermordet am
    6.5.1981
    in Hamburg
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    Acht Monate Flucht vor ihrem gewalttätigen, alkoholabhängigen Ehemann endeten für Christel Klein aus Herten am 6.5.1981 tödlich. Bereits ein Jahr zuvor hatte sie ihn mit ihren drei Töchtern verlassen; nun wollte sie sich scheiden lassen. Nachdem sie in Hamburg zuerst in einem Frauenhaus untergekommen war, startete sie ein neues Leben in einer kleinen Wohnung in Hamburg-Jenfeld. Obwohl es eine Auskunftssperre gab, spürte ihr Mann sie auf. Da sie nicht weiterhin vor ihm flüchten, sondern ein normales, menschenwürdiges Leben führen wollte, ging sie mit ihren Töchtern nach einem erneuten, kurzem Aufenthalt im Frauenhaus zurück in ihre Wohnung. Eines Nachts drang ihr Ehemann durch ein Fenster in die Wohnung ein und erschoss Christel K. in ihrem Bett aus nächster Nähe mit drei Schüssen aus einem Kleinkaliberrevolver. Jeder Schuss war tödlich. Die Anwesenheit ihres neuen Lebensgefährten und die der drei Töchter, die im Nebenzimmer schliefen, hinderten ihn nicht an seiner Tat. Der Täter wurde am nächsten Morgen gefasst und kurz vor Weihnachten 1981 zu acht Jahren Haft wegen Totschlags verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Verurteilung zu 15 Jahren Haft wegen Mordes gefordert. Fünf Jahre später, im September 1986, wurde der Täter wegen guter Führung vorzeitig aus der Haft entlassen. Er zog nach Gelsenkirchen, lernte dort eine Frau kennen, die sich nach wiederholtem Streit von ihm trennte. Daraufhin lauerte er ihr auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstelle auf. Als sie vor ihm flüchtete, schoss er von hinten mehrmals auf sie und gab dann aus unmittelbarer Nähe einen gezielten tödlichen Schuss auf den Kopf der am Boden liegenden Frau ab. Anschließend erschoss er sich auf einem nahe gelegenen Spielplatz.

    Lotte Klein-Fischer

    Schauspielerin mit Auftrittsverbot in der NS-Zeit

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    13.6.1883
    Hamburg

    24.7.1962
    Garmisch-Partenkirchen
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    Man sagt, Backfische schnitten sich damals, vor dem Ersten Weltkrieg, in Dresden ihren Namen aus dem Programm und verschlangen ihn auf Butterbrot. Die Rede ist von dem Idol Lotte Klein-Fischer, Tochter eines Wiener Bankiers, geboren in Hamburg an den Großen Bleichen, die gegen den Willen der Eltern eine Schauspielerinnenlaufbahn durchsetzte. Nach ihrer Schul- und Studienzeit in Wien und Berlin gab Lotte Klein-Fischer 1901 ihr Debüt am Berliner Theater unter Paul Lindau. Hier stand sie mit dem Dichter Frank Wedekind in dem Stück „Kammersänger“ auf der Bühne. 1910 ging sie ans Hoftheater nach Dresden, wo auch der Schauspieler und Regisseur Hanns Fischer arbeitete. Noch im gleichen Jahr heiratete das Paar. Während Hanns Fischer im Verlauf des Ersten Weltkrieges am Hoftheater blieb, hatte seine Frau in dieser Zeit offenbar kein festes Engagement. Das bekam sie erst im Jahre 1918 wieder, als sie eine Saison am Albert-Theater in Dresden spielte. 1923 kam das Ehepaar Klein-Fischer erstmals nach Hamburg ans Thalia-Theater, 1925 ans Altonaer Stadttheater. Sie kehrten jedoch noch einmal nach Dresden zurück, weil Hanns Fischer 1927 ein eigenes Theater, die Komödie, angeboten wurde. Als der Traum zerrann, zog das Paar abermals nach Hamburg und gehörte ab 1929 zum Ensemble des Altonaer Stadttheaters, bis die Nationalsozialisten 1933 Lotte Klein-Fischer Berufsverbot erteilten. Hanns Fischer spielte noch bis 1938 am Altonaer Stadttheater, welches die Nationalsozialisten 1938 in „Deutsches Volkstheater Hamburg-Altona“ umbenannten. Nach dem Krieg verpflichtete Willy Maertens [historischer Grabstein von Willy Maertens und Charlotte Kramm im Garten der Frauen] Lotte Klein-Fischer ans Thalia-Theater. Ihr Mann trat nur noch hin und wieder auf. Als er starb, stand Lotte Klein-Fischer bereits eine Stunde nach seinem Tod zur Generalprobe auf der Bühne und ließ es sich auch nicht nehmen, bei der Premiere am selben Abend aufzutreten. Zu ihrem 70. Geburtstag schrieb das Hamburger Abendblatt am 11.6.1953: „Das Theater hat es heute zuweilen schwer, Menschen der Vergangenheit wirklich glaubhaft zu machen. Einige Typen scheinen ausgestorben. Wo gibt es, ein Beispiel, noch den ‚Lebemann’ der Jahrhundertwende? Wo die ‚Salondame’? Hamburg ist glücklich, wenigstens noch eine echte Vertreterin des Faches der damenhaften alten Damen auf der Szene zu haben: Lotte Klein (…). Die Witwe Hanns Fischers, die in ihren Zimmern in der Weidenallee so rührend das Andenken an den Künstler und Lebensgefährten pflegt, blickt auf fünfzig Bühnenjahre zurück und steht zur Freude ihres Thaliapublikums immer noch in wesentlichen Aufgaben auf den Brettern.“ Lotte Klein-Fischer starb 79-jährig überraschend während eines Ferienaufenthaltes in Garmisch-Partenkirchen. Kurz vorher hatte sie noch als Frau Appelton in „Belvedere“ auf der Bühne gestanden, einer Einstudierung, die in der nächsten Theatersaison fortgesetzt werden sollte. In ihrer Darstellung hat sich die zierliche Frau von der Naiven über viele Stationen zur liebenswürdigen alten Dame entwickelt. Das Thalia-Theater ehrte sie anlässlich ihres 75. Geburtstages mit der Ehrenmitgliedschaft des Hauses. Text: Brita Reimers Quelle: Altonaer Stadttheater. Erinnerungen an die Schauspielerin Lotte Klein-Fischer. O.O., o. J.    

    Elfriede Kneiphoff

    Malerin

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    11.12.1900
    Elbing

    26.12.1973
    Hamburg
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    Elfriede Kneiphoff entstammte einer kinderreichen Kaufmannsfamilie. Mit ihren vier Schwestern besuchte sie in Elbing das höhere Mädchenlyzeum, das sie nach der 10. Klasse verließ, um sich in dem der Schule angegliedertem Lehrerinnenseminar zur Lehrerin ausbilden zu lassen. Bereits in ihrer Schulzeit schloss sie sich der Jugendbewegung an und war Mitglied einer Mädchengruppe des Elbinger Wandervogel. Ihre berufliche Laufbahn startete sie 1917 mit einer Anstellung als Privatlehrerin auf einem Gut in Reichenbach. Dort war sie bis 1919 tätig. In dieser Zeit begann sie in Königsberg ein Kunststudium bei dem Kunstmaler Paul Emil Gabel (1875-1938), der ebenfalls aus Elbing stammte. Mit Gabel ging Elfriede Kneiphoff eine Liebesbeziehung ein. Gabel war zu dieser Zeit bereits verheiratet, kehrte aber nur zu seltenen Besuchen zu seiner Familie zurück. Ab 1920 arbeitete Elfriede Kneiphoff als freischaffende Malerin - u. a. in Worpswede, wo sie sich über mehrere Monate niederließ und viele Kontrakte zur dort ansässigen Künstlerkolonie hatte. Mit Gabel bereiste sie viele Orte, an denen er als bekannter Portraitmaler Aufträge übernommen hatte, so z. B. nach Scheveningen, Stralsund, Rügen und Danzig. Das Paar bekam 1922 eine Tochter, Ruth, und zog 1928 nach Hamburg - das "vagabundierende Leben" beendend - als das Kind eingeschult werden musste. Nach dem Tod von Gabel im Jahre 1938 lebte sie allein mit ihrer Tochter bis diese 1946 den späteren Maler und Kunsterzieher Bernd Hering heiratete. Elfriede Kneiphoff nahm nach der Heirat ihrer Tochter viele Einladungen zu Studienreisen und Ausstellungen an. So war sie z. B. häufig in Worpswede und auf Schloss Elmau. Seit 1930 war Elfriede Kneiphoff Mitglied der GEDOK (Gemeinschaft Deutscher und Oesterreichischer Künstlerinnenvereine aller Kunstgattungen), seit den 1950er Jahren gehörte sie dem BBK (Berufsverband Bildender Künstler in Hamburg) an. Sie wohnte in Hamburg-Eppendorf in der Haynstraße 7 in einer ‚malerischen' Wohnung unter dem Dach - später in der Eppendorfer Landstraße 1. Die Motive ihrer Aquarelle sind vorwiegend Blumen und Früchte, es finden sich in ihren Werken aber auch zahlreiche Portraits und Stadtansichten. Sie hatte Einzelausstellungen in Hamburg, Bremerhaven, Höxter und auf Schloss Elmau und Gemeinschaftsausstellungen im Hamburger Kunstverein (1937) und im Kunsthaus Hamburg (1969/70). 1953 stellte der Lyzeums-Club Hamburg, der der bürgerlichen Frauenbewegung entstammt, in einer Ausstellung im Völkerkundemuseum Werke seiner Mitglieder aus, zu denen Elfriede Kneiphoff als Mitglied der GEDOK engen Kontakt pflegte. Ihre Werke befinden sich u. a. im Stadtmuseum Elbing, im Museum Bremerhaven und in der Hamburger Kulturbehörde. Quellen: Der neue Rump. Lexikon der bildenden Künstler Hamburgs. Überarbeitete Neuauflage des Lexikons von Ernst Rump (1912). Hrsg. von der Familie Rump, ergänzt, überarbeitet und auf den heutigen Wissensstand gebracht von Maike Bruhns. 2. Aufl. Neumünster/Hamburg 2013, S. 237. Christa Mühleisen: Paul Emil Gabel. Ein Maler aus Elbing (1875-1938), unter: http://www.aefl.de/ordld/Gabel/gabel3/gabel3.htm Wikipedia, Eintrag: Elfriede Kneiphoff, unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Elfriede_Kneiphoff, abgerufen: 14.12.2019.

    Prof. Dr. Agathe Lasch

    Erste Lehrstuhlinhaberin an der Universität Hamburg, als Jüdin von den Nazis deportiert und in den Tod getrieben

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    4.7.1879
    Berlin

    am
    15.8.1942
    deportiert nach Riga
    am
    18.8.1942
    ermordet
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    Agathe Lasch erhielt ihre Ausbildung auf dem damals für Mädchen allein üblichen Weg der höheren Mädchenschule und des Lehrerinnenseminars. Frauen waren damals noch vom Abitur und akademischer Bildung ausgeschlossen. Während sie als Lehrerin arbeitete, machte sie 1906 ihr Abitur. Als 1908 in Preußen Frauen zum Studium zugelassen wurden, lehnte der Berliner Germanist Roethe die Zulassung von Agathe Lasch ab. Sie konnte erst ab ihrem 30. Lebensjahr Germanistik studieren. Nach all den Jahren der Entbehrungen und Demütigungen bekam sie endlich ein einjähriges Stipendium an der Heidelberger Universität. 1909 schrieb sie ihre Doktorarbeit über die "Berliner Schriftsprache". Aussichten auf eine wissenschaftliche Karriere bestanden im deutschen Kaiserreich für Agathe Lasch als Frau und Jüdin jedoch nicht. Sie ging deshalb 1910 an das führende amerikanische Frauencollege Bryn Mawn und unterrichtete dort deutsche Philologie. Deutschfeindliche Stimmungen nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs bewogen sie 1916 zur Rückkehr nach Deutschland. Ab 1917 war Agathe Lasch wissenschaftliche Hilfsarbeiterin am Deutschen Seminar des Kolonialinstituts und des Allgemeinen Vorlesungswesens in Hamburg. Als sie diese Stelle antrat, hatte sie bereits einen überragenden Ruf in der Germanistik, den sie sich 1914 mit ihrem Buch über die Mittelniederdeutsche Grammatik erworben hatte. Sie erhielt Arbeit am Hamburgischen (niederdeutschen) Wörterbuch und überarbeitete das Mittelniederdeutsche Wörterbuch. Nach Eröffnung der Universität Hamburg im Jahre 1919 war Agathe Lasch die erste Frau, die an der Universität habilitierte und 1923 zur Professorin ernannt wurde. Mit ihrer Berufung auf das Extraordinariat für Niederdeutsche Philologie im Dezember 1926 war sie die erste weibliche Inhaberin eines Lehrstuhls der Hamburger Universität. Als die Nationalsozialisten im Sommer 1933 Agathe Lasch entlassen wollten, reichten 30 Studierende und 14 schwedische Hochschullehrer eine Petition für die Verlängerung der Lehrbefugnis ein. So blieb Agathe Lasch zunächst an der Universität, doch im Juni 1934 wurde sie dann endgültig zwangsweise in den "Ruhestand" versetzt. Sie bekam Publikationsverbot. 1937 zog sie zu ihren Schwestern nach Berlin. Agathe Lasch wurde die Pension entzogen, sie durfte keine Bibliothek mehr betreten und ihre persönliche Bibliothek wurde beschlagnahmt. Am 13. August 1942 wurde Agathe Lasch mit ihren Schwestern von der Polizei abgeholt und am 15. August nach Riga deportiert. Nach ihrer Ankunft in Riga-Škirotava am 18. August 1942 wurden sie in den dortigen Wäldern ermordet

    Gertrud Lockmann

    (geb. Buschow)

    aktiv im Widerstand gegen das NS-Regime, Bürgerschaftsabgeordnete (SPD)

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    29.4.1895
    Hamburg

    10.9.1962
    Hamburg
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    Über Gertrud Lockmanns Elternhaus und beruflichen Werdegang gibt es nur spärliche Angaben: Ihre Mutter, eine Hebamme, starb, als Gertrud Lockmann 14 Jahre alt war. Nach dem Besuch der Volksschule, die Gertrud Lockmann mit der Selekta abschloss, bekam sie einen Ausbildungsplatz als Buchhalterin und Helferin in Steuersachen. Politisch aktiv wurde Gertrud Lockmann im Alter von 17 Jahren. 1912 schloss sie sich der SPD an und bildete sich im Arbeiterbildungswesen und an der Volkshochschule weiter. Politische Leitungsfunktion übernahm sie von 1926 bis 1929 als SPD-Bezirksführerin in Hamburg-Uhlenhorst. In der SPD lernte sie auch ihren späteren Mann - einen Behördenangestellten - kennen. Sie heirateten und bekamen eine Tochter, ließen sich aber später scheiden. Während ihrer Ehe zogen sie 1929 nach Goslar und leiteten dort gemeinsam das Genesungsheim der Betriebskrankenkasse für staatliche Angestellte. 1930, im Alter von 35 Jahren, wurde Gertrud Lockmann zweite Vorsitzende der SPD in Goslar und Referentin für den Kreis Hildesheim. „Da sie den offiziellen Kurs der SPD im Kampf gegen den Nationalsozialismus ablehnte, schloss sie sich im Oktober 1931 der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) an, die sich von der SPD abgespalten hatte."1) Aus politischen Gründen verlor sie 1933 ihre Arbeitsstelle. Sie musste vor der Gestapo fliehen und tauchte ein Jahr lang unter. „In dieser Zeit knüpfte sie die Kontakte zu Widerstandsgruppen, so z. B. zur Bästlein-Jacob-Abshagen-Widerstandsgruppe.“ 1) Ihre illegale Widerstandstätigkeit bestand u. a. darin, illegales Informationsmaterial an Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten weiterzuleiten. „Erst 1936 gelang es ihr, eine Beschäftigung als Buchhalterin zu finden.“1) „Sie kehrte nach Hamburg zurück und war vorübergehend in dem Büro der Gaststättenbetriebe Planten un Blomen beschäftigt.“2) 1941/1942 machte sie sich als Helferin in Steuersachen selbstständig. Gleich nach Ende des Zweiten Weltkriegs nahm sie ihre parteipolitische Tätigkeit wieder auf, wurde 1946 Mitglied im Vorstand der SPD-Landesorganisation Hamburg, dem sie bis 1954 angehörte. Von Oktober 1946 bis Dezember 1950 war sie Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft. Dort sprach sie u. a. die Interessen der Hausfrauen an und forderte z. B. eine vernünftige Konsumgüterwirtschaft statt des Trends zu Luxuswaren. Als der Bundestagsabgeordnete der SPD, Erich Klabunde, starb, übernahm Gertrud Lockmann im Januar 1951 sein Mandat. Damit war sie als Nachrückerin die zweite Hamburger Sozialdemokratin im ersten Bundestag geworden. Außerdem wurde sie Mitglied der Bundesversammlung. Von November 1957 bis November 1961 übernahm Gertrud Lockmann, die zuletzt in der Sengelmannstr. 107 im Stadtteil Alsterdorf wohnte, ein zweites Mal ein Mandat in der Hamburgischen Bürgerschaft. Text: Rita Bake Quellen: [1] Karen Hagemann, Jan Kolossa, Jan: Gleiche Rechte - Gleiche Pflichten? Hamburg 1990, S. 239. [2] Holger Martens: Gertrud Lockmann. In: Für Freiheit und Demokratie. Hamburger Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in Verfolgung und Widerstand 1933-1945. Hrsg. von der SPD-Landesorganisation Hamburg, Arbeitskreis Geschichte und Arbeitsgemeinschaft ehemals verfolgter Sozialdemokraten. Hamburg 2003, S. 97.      

    Elfriede Lohse-Wächtler

    Malerin; NS-Euthanasieopfer

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    4.12.1899
    Dresden

    31.7.1940
    Pirma
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    Aufgewachsen in einem bürgerlichen Elternhaus, versuchten die Eltern die künstlerische Laufbahn ihrer Tochter zu verhindern. 1915 begann sie ein Studium an der Königlichen Kunstgewerbeschule Dresden. Der Vater wollte, dass sie "Mode und weibliche Handarbeiten" studiere, was in seinen Augen einem "züchtigen Weibe" entsprach. Doch Elfriede Wächtler hatte ihren eigenen Kopf und wechselte 1916 das Fach, studierte "Angewandte Graphik", um freischaffende Künstlerin zu werden und verließ das Elternhaus. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie sich mit Batikarbeiten. Elfriede Wächtler verkehrte in der Dresdner Boheme und war eine Anhängerin des Dadaismus. Sie schnitt sich die Zöpfe ab, trug Herrenhüte und Männerhosen, rauchte Pfeife und Zigarren und gab sich den männlichen Namen "Nikolaus", um dem Makel der damaligen verpönten "Frauenkunst" entgegenzuwirken.
    Sie fand Anschluss bei der Dresdner "Sezession Gruppe 1919". 1921 heiratete sie den Maler und Opernsänger Kurt Lohse - ein unglückliche Verbindung, er soll verschwenderisch und rücksichtslos gewesen sein. 1925 zog das Paar nach Hamburg. Ein Jahr später trennte es sich. Kurt Lohse zog zu seiner Freundin, die 1927 das erste von fünf Kindern mit ihm bekam. Für Elfriede Lohse-Wächtler, die aus wirtschaftlichen Gründen mehrmals abgetrieben hatte, ein tiefer Schock.
    Elfriede Lohse-Wächtler lebte in finanziell engen Verhältnissen. Dennoch hatte sie in Hamburg eine ihrer kreativsten Schaffenszeiten. Zwischen 1927 und 1931 entstanden einige ihrer Hauptwerke in Öl, Pastell und Aquarell. Sie malte Portraits, Paarbeziehungen, Bilder aus dem Prostituierten- und Arbeitermilieu. 1929 erlitt sie einen Nervenzusammenbruch und kam in die psychiatrische Klinik Hamburg-Friedrichsberg. Dort malte sie die "Friedrichsberger Köpfe", ca. 60 Zeichnungen und Pastelle als Kopf- und Körperstudien von psychisch Kranken. Die Bilder erhielten gute Kritiken. Elfriede Lohse- Wächtler wurde bekannt, was sich finanziell nicht auswirkte. Bis 1931 nahm sie an zahlreichen Ausstellungen teil u. a. in der Hamburger Kunsthalle. 1931 wurde sie obdachlos, übernachtete in Bahnhofswartehallen und kehrte schließlich in ihr Elternhaus zurück, wo die Spannungen mit ihren Eltern wieder auftraten. 1932 ließ ihr Vater sie in die Landes-Heil- und Pflegeanstalt Arnsdorf einweisen. Die Diagnose: Schizophrenie. Anfangs konnte sie noch schöpferisch tätig sein. Doch nachdem sich Kurt Lohse 1935 von ihr wegen ihrer "unheilbaren Geisteskrankheit" scheiden ließ, sie entmündigt und zwangssterilisiert wurde, zerbrach ihre Schaffenskraft. 1937 diffamierten die Nazis Elfriede Lohse-Wächtlers Kunst als "entartet". 1940 kam sie in die Landes-Heil- und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein und wurde dort im Rahmen der nationalsozialistischen Euthanasie-Aktion T4 getötet.

    Helene Bonfort und Anna Meinertz

    Lebensgefährtinnen, Gründerinnen der Hamburger Ortsgruppe des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins

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    10.3.1854
    Hamburg

    5.6.1940
    München
    29.12.1840
    Düsseldorf

    10.9.1922
    Hamburg
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    Helene Bonfort, die schon früh Kontakt zu den Führerinnen des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF) besaß, gründete 1896 zusammen mit ihrer Freundin Anna Meinertz die Ortsgruppe Hamburg des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins und war von 1896 bis 1900 und von 1904 bis 1916 deren Leiterin. In dieser Funktion musste sie starke Nerven und Durchsetzungsvermögen beweisen, denn sie stieß überall auf heftige Widerstände auf Seiten der Behörden und auf Seiten von Männern in so genannten Machtpositionen. So sagte ein Herr von Stumm 1901 von der Frauenbewegung: „Ich habe Macht, sie an die Wand zu drücken, und werde alles tun, dass es geschieht." Nicht nur die Forderungen der Frauenbewegung nach Mädchenbildung und Zulassung zum Studium wurden abgewertet, allein schon die Bemühungen, in der Armenpflege mithelfen zu dürfen, provozierte Gegenwehr der in ehrenamtlichen Organen arbeitenden Männer. Sie wollten von einer Mitarbeit der Frauen nichts wissen und drohten ihr Amt niederzulegen, wenn weibliche Armenpflegerinnen in der staatlichen Armenpflege angestellt würden. Die Hamburger Behörde konnte deshalb nur die Zulassung von Helferinnen im Wohlfahrtsbereich erreichen. Noch schwieriger war das Bemühen der bürgerlichen Hamburger Frauenbewegung, als es um die Einrichtung eines Mädchengymnasiums ging. Als Helene Bonfort diesbezüglich bei Bürgermeister Schröder vorstellig wurde, vergaß er ganz seine gute Kinderstube, bot ihr noch nicht einmal einen Stuhl an und versuchte sie mit den Worten abzufertigen: „Wenn es nach Ihnen ginge, würden alle Mädchen Latein lernen und meine Söhne müssten die Ascheimer auf die Straße tragen." Über die Widerstände, die Helene Bonfort von Seiten der Männer erfuhr, äußerte sich auch der Richter und Kunstkritiker Gustav Schiefler, allerdings mit antisemitischen Anklängen: „Aber das Publikum, insbesondere der hamburgischen Gesellschaft gegenüber, hatte sie [Bonfort] manche Widerstände zu überwinden: ein stark geprägtes jüdisches Äußere in Verbindung mit lautem, sehr lebhaftem Wesen und durchdringender Stimme schreckten bei oberflächlicher Bekanntschaft zurück; und die Tatsache, daß sie für eine, wenn auch beschränkte Erweiterung der Frauenrechte eintrat, genügte, daß die Männer und die kritiklos in ihrem Kielwasser schwimmenden Frauen sie lächerlich fanden und sich über sie lustig machten.“ (Gustav Schiefler: Eine Hamburgische Kulturgeschichte 1890-1920. Beobachtungen eines Zeitgenossen. Bearbeitet von Gerhard Ahrens, hans Wilhelm Eckardt und Renate Hauschild-Thiessen. Hamburg 1985, S. 297.) Helene Bonfort ließ sich jedoch nicht abschrecken. Doch woher nahm sie diese Energie? Helene Bonfort kam aus einem liberalen jüdischen Elternhaus. Schon ihre Mutter gehörte zum Kreis um Emilie Wüstenfeld (siehe zu ihr in der Rubrik: Erinnerungsskulptur), der Frauenrechtlerin aus der Epoche der bürgerlichen Revolution von 1848 und war Mitbegründerin der Hochschule für das weibliche Geschlecht. So scheint die Tochter von der Mutter geprägt worden zu sein, obwohl Helene Bonfort ihre Eltern früh verlor und bei einem Onkel aufwuchs. Helene Bonfort schlug die übliche Laufbahn einer bürgerlichen Frau, die ledig bleiben und erwerbstätig werden wollte, ein. Nach dem Besuch der Höheren Mädchenschule absolvierte sie eine Lehrerinnenausbildung und wurde mit 18 Jahren Lehrerin in der Paulsenstiftschule (siehe dazu auch historischer Grabstein von Hanna Glinzer im Garten der Frauen), deren Direktorin damals Anna Wohlwill (siehe: historischer Grabstein Anna Wohl im Garten der Frauen) war. Während des Ersten Weltkrieges war Helene Bonfort Vorsitzende der 62 Vereine umfassenden Organisation des Frauenausschusses, der Hamburgischen Kriegshilfe und Leiterin der Frauenhinterbliebenenfürsorge. 1917 wurde die Soziale Frauenschule gegründet, für deren Zustandekommen sich Helene Bonfort jahrelang stark gemacht hatte. Zur Gründung spendeten Helene Bonforts Freundinnen das Kapital für Schulfreistellen, das in die zu diesem Zweck gegründete Helene-Bonfort-Stipendien-Stiftung einfloss. Helene Bonfort wohnte mit ihrer Lebensgefährtin und Berufskollegin Anna Meinertz in der Beselerstraße 8 in Hamburg Othmarschen, wo sie auch nach dem Tod ihrer Freundin allein weiterlebte. Die Freundinnen hatten sich in Anna Meinertz Heimatstadt Düsseldorf kennengelernt, wo beide als Lehrerinnen angestellt waren. Anna Meinertz war die Tochter eines höheren Beamten. Bereits mit 16 Jahren arbeitete sie als Lehrerin und unterstützte die früh verwitwete Mutter. Schon bald wurde sie als erste Kraft im Schubert-Schmidt-Lyzeum in Düsseldorf eingestellt. 1881 zogen Helene Bonfort und Anna Meinertz nach Hamburg. Gemeinsam übernahmen sie die Leitung einer Höheren Töchterschule. Zwölf Jahre später zogen sie sich aus der pädagogischen Arbeit zurück und unternahmen eine zweijährige Studienreise nach Amerika, um sich über neue Organisationsmethoden der Volksbildung, Wohlfahrtspflege und Frauenbewegung zu informieren. Zurückgekehrt gründeten sie in Hamburg die erste Volkslesehalle und am 27. Juni 1896 mit 25 Gleichgesinnten die Ortsgruppe Hamburg des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins. Die treibenden Kräfte des Vereins waren hauptsächlich Lehrerinnen. Die finanziellen Trägerinnen in den ersten Jahren waren dagegen mehr Damen der Gesellschaft, die entweder in ihrer Jugend durch die 48er Revolution geprägt worden waren, oder aber, beeinflusst durch ihre in der Bürgerschaft sitzenden Ehemänner, soziales Pflichtgefühl zeigten und Verbesserungen auf dem sozialen- und frauenpolitischen Bereich leisten wollten. Das Gros der Hamburger Gesellschaft verhielt sich allerdings lange sehr ablehnend gegenüber den Frauen der gemäßigten Frauenbewegung. Aber mit ansprechenden Zeitungsartikeln und Broschüren weckte Helene Bonfort, die in der Zwischenzeit durch ihren Onkel, dem Redakteur des Hamburgischen Correspondenten, als erste Frau im journalistischen Bereich zur Hamburger Tagespresse gekommen war, das Interesse der Bevölkerung an ihrem Verein. Gleichzeitig unterstützte der Hamburgische Correspondent, unter Leitung von Prof. E. Francke, als erste Zeitung in Deutschland die Frauenbewegung durch fortgesetzte Aufnahme ihrer Mitteilungen sowie vom 15.9.1896 an durch Errichtung einer ständigen Abteilung für Frauenvereinsinteressen. Wenige Jahre nach der Gründung der Ortsgruppe des ADF hatte der Verein schon Beträchtliches geleistet: „Die acht Abteilungen und Ausschüsse kamen offenbar einem vorhandenen Bedürfnis entgegen. Im ‚Rechtsschutz' füllten sich die Wartezimmer von Jahr zu Jahr mehr. Der ‚Jugendschutz' fand wachsende Beachtung bei den Behörden. In der ‚Auskunftsstelle' wurde neben Nachweis von Wohlfahrtsanstalten auch Rat für weibliche Erwerbsmöglichkeiten in der Heimat und in den Kolonien erteilt. Aus der Mädchen-Bildungs-Abteilung ging der ‚Verein für Haushaltungsschulen von 1899' hervor und der ‚Verein zur Förderung von Frauenbildung und Frauenstudium in Hamburg' mit dem ersten Mädchengymnasium hier, das vorbildlich für ähnliche Lehrstätten wurde. Die Abteilung für Arbeiterinneninteressen leitete zu der selbstständigen Organisation des ‚Vereins für Heimarbeiterinnen' über. Immer neue Gebiete der sozialen Tätigkeit wurden von den verdienstvollen 'Sozialen Hilfsgruppen' erfasst, und die Herbeiführung der Fortbildungsschulen und der gewerbeordnungsmäßigen Lehre für Mädchen ist von dem betreffenden Ausschuss emsig gefördert worden. Der Hamburger Hausfrauen Verein verdankt der Ortsgruppe sein Entstehen", so die damaligen Berichte aus der Presse. Auf Initiative von Anna Meinertz entstand in der Ortsgruppe des ADF die Abteilung Jugendschutz, die 1897 Sonntagsunterhaltungen für jugendliche Dienstmädchen organisierte. Als die Frauen des ADF erkannten, dass die Dienstmädchen mit sehr geringen Kenntnissen ihren Dienst antraten, gründeten Anna Meinertz und Bertha Wentzel 1898 den Ausschuss für die Vorbereitung der Dienstmädchenlehranstalt Annaheim in Alsterdorf. 1899 wurde die Anstalt unter der Leitung der beiden Damen eröffnet. Anna Meinertz gehörte dem Vorstand bis 1913 an. Außerdem gründete sie diverse Kinderhorte, von denen sie zwölf persönlich anleitete. Anna Meinertz starb im Alter von 81 Jahren. Helene Bonfort überlebte ihre 14 Jahre ältere Lebensgefährtin um 18 Jahre. Über die letzten Lebensjahre von Helene Bonfort ist nicht viel bekannt. Noch 1932 lebte sie allein in der Beselerstraße. Eine Haushälterin ging ihr zur Hand. Diese Margaretha Steffensen übernahm die Wirtschaft und Pflege von Helene Bonfort. Trotz dieser und weiterer Hilfe in der großen Wohnung zog Helene Bonfort mit ihrer Wirtschafterin in eine Wohnung in Blankenese und zwar in die Straße „Goßlers Park“. Als Helene Bonfort 1934 ihren 80. Geburtstag feierte, gratulierte ihr noch das Hamburger Fremdenblatt mit einem kleinen Artikel. Danach verläuft sich ihre Spur im Sande. Helene Bonfort zog nach München und wohnte in der Dürerstraße 17. 1940 wurde ihre Urne aus München zum Ohlsdorfer Friedhof überführt und am 26.6.1940 neben Anna Meinertz beigesetzt. Helene Bonforts Testamentsvollstrecker war der Hamburger Jurist Dr. Felix Julian Löwenthal (1899, 1941 deportiert nach Lodz, 1942 ermordet). Mit ihm, für den vor seinem Wohnhaus in der Olshausenstraße 15 in Hamburg  Othmarschen ein Stolperstein liegt, löste Margaretha Steffensen den Haushalt von Helene Bonfort auf. Text: Rita Bake Literatur: Hamburger Fremdenblatt 9.3.1929 und 14.3.1929; Hamburger Anzeiger 12.3.1929; Hamburger Nachrichten 9.3.1929; Hamburger Correspondent 8.3.1929          

    Prof. Dr. h.c. Johanna Mestorf

    erhielt als erste Frau in Preußen, den Titel "Professor". Direktorin am Museum für vaterländische Altertümer in Kiel

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    17.4.1828
    Bramstedt

    20.7.1909
    Kiel
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    Johanna Mestorf war das vierte von neun Kindern des Arztes Jacob Heinrich Mestorf und seiner Ehefrau Anna Maria Sophia geb. Rosen. Der Vater widmete sich mit Leidenschaft der Altertumsforschung, was seine Tochter Johanna sicherlich beeinflusste. Er starb, als Johanna neun Jahre alt war. Die Mutter zog mit ihren Kindern - fünf lebten noch - nach Itzehoe. In Alter von 20 Jahren zog Johanna Mestorf als Gesellschafterin und Erzieherin nach Schweden. Hier machte sie sich vertraut mit der Archäologie Germaniens und lernte nordische Sprachen. Wegen ihrer zarten Gesundheit musste sie Schweden nach einigen Jahren verlassen. Sie lebte zunächst als Begleiterin einer Gräfin in Italien und zog 1859 mit ihrer Mutter zu ihrem Bruder nach Hamburg. Hier beschäftigte sie sich vornehmlich mit Mythologie und Archäologie und übersetzte die archäologische Literatur Skandinaviens. Johanna Mestorf war Mitglied der Anthropologischen Gesellschaft und später Gründerin seines schleswig-holsteinischen Zweigvereins. 1871 schickte sie der Hamburger Senat als seine Vertreterin zum Anthropologenkongress nach Bologna. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie in dieser Zeit als Sekretärin für ausländische Korrespondenz bei der Hamburger Lithographischen Anstalt C. Adler. Johanna Mestorf war reine Autodidaktin. Sie hätte auch keine Universität besuchen können, denn Frauen durften erst ab der Jahrhundertwende an deutschen Universitäten studieren. Johanna Mestorfs wissenschaftliches Ansehen war bereits zu Beginn der 1870er Jahre so bedeutend, dass sie 1873 Kustodin am Museum für vaterländische Altertümer in Kiel wurde. Nach dem Tod ihres Vorgesetzten 1891 wurde sie zur Direktorin des Museums ernannt. Im Alter von 71 Jahren erhielt sie als erste Frau in Preußen, den Titel "Professor". Johanna Mestorf übersetzte Arbeiten nordischer Archäologen und Anthropologen und lieferte zahlreiche eigene Arbeiten, von denen besonders diejenigen über Moorleichen, weit bekannt wurden. Und sie schrieb z. B. Werke über "Urnenfriedhöfe in Schleswig-Holstein". 1903, drei Monate vor ihrem Tod, trat sie von ihrem Amt als Direktorin des Museums zurück.

    Margarethe Meyer-Schurz

    Wegbereiterin des Kindergartens in den USA

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    27.8.1833
    Hamburg

    15.3.1876
    New York
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    Sie war keine gefürchtete Verschwörerin, sie war keine geschmähte Revolutionärin – wenn sie zu Lebzeiten auch als solche hier in Deutschland von verschiedenen staatlichen Stellen, insbesondere der Geheimpolizei Preußens, beobachtet wurde. Sie war eine freisinnige Frau, Mutter ihrer Kinder und Partnerin ihres Mannes. Ihr Name ist in Deutschland, ist hier in ihrer Geburtsstadt Hamburg, die sie nie aus dem Herzen verloren hatte, nahezu vergessen. Hier auf dem Friedhof Ohlsdorf hatte sie einst ihre letzte Ruhestätte finden sollen. Das Grab wurde vor einer Anzahl von Jahren oberirdisch abgeräumt. Niemand hier wie auch niemand in den USA lehnte sich damals dagegen auf, dass damit die Erinnerung an eine der großen Frauenpersönlichkeiten aus dem Bereich des Bildungs- und Erziehungswesens gelöscht wurde. Wer heute im Gespräch den Namen von Margarethe Meyer Schurz erwähnt, wird zumindest fragend bis ungläubig angeschaut – nur wenige Menschen verbinden mit dem Namen dieser Frau eine Vorstellung zu ihrem Leben und Wirken. Die tief gehenden Umwälzungen und Umstürze in ihrem Geburtsland, insbesondere in der ersten Hälfte des uns noch gegenwärtigen 20. Jahrhunderts, trugen dazu bei, dass man sich dieser früh vollendeten Frau in Deutschland kaum erinnerte. Wer sich der Persönlichkeit von Margarethe Meyer Schurz nähert, kommt auch mit ihrem Mann Carl Schurz in Berührung, dem deutschen 1848er Revolutionär, US-amerikanischen Staatsmann und Reformer. An seiner Seite hat Margarethe Meyer Schurz für die Nachwelt immer im Schatten gestanden – doch diese Sicht verkennt in der fortwährenden Überlieferung, dass Carl Schurz seine Frau um 30 Jahre überlebte und sein höchstes politisches Amt erst nach ihrem Tode erlangte. Beide Ehepartner standen den Forderungen nach Freiheit, Gleichheit und Bildung offen zur Seite, erlebten die hieraus entstehenden Bedrängnisse durch Obrigkeit und Gesellschaft im Familien- oder Freundeskreis und auch an der eigenen Person. Sie erlebten beide die deutschen Revolutionsbewegungen von 1848/49 und die damit verbundenen Verfolgungen, sie wurden beide Teil des politischen Ventils der Auswanderung. Margarethe Meyer Schurz wurde am 29.August 1833 geboren. Sie war das jüngste von elf Kindern in der Familie Meyer, von denen sieben das Erwachsenenalter erreichten. Ihre Mutter Agatha Margaretha starb im Wochenbett wenige Stunden nach Margarethes Geburt im Alter von 39 Jahren. Margarethes Vater Heinrich Christian Meyer, in Hamburg unter dem Spitznamen „Stockmeyer“ bekannt geworden, war in seinen sozialen und persönlichkeitsbezogenen Aktivitäten ein prägendes Vorbild für seine jüngste Tochter. Der freisinnige, kritische und liberale Lebensansatz von Margarethe Meyer Schurz war auch ein Erbe ihres Elternhauses und ihrer Familie. Durch ihre älteren Schwestern Amalie und Bertha (geschiedene Traun, verheir. Ronge; siehe zu ihr bei Antonie Wilhelmine Traun: historischer Grabstein im Garten der Frauen) kam sie sehr früh mit den drängenden Fragen der Zeit um Demokratie, Freiheit, Bürgerrechte, Frauenbildung und Kindererziehung nach Fröbels Leitsätzen in Berührung. 1849/50 war sie eine von 22 Schülerinnen Friedrich Fröbels in Hamburg und besuchte hier auch die Hochschule für das weibliche Geschlecht (siehe hierzu bei Emilie Wüstenfeld in der Rubrik: Erinnerungsskulptur). Dort begegnete sie Malwida von Meysenbug und schloss mit ihr Freundschaft. Im Hause ihrer nach London emigrierten Schwester Bertha lernte sie 1852 auch den deutschen 1848er Revolutionär Carl Schurz kennen, der aus politischen Gründen aus Deutschland geflohen war. Noch in jenem Jahre heirateten sie dort im Exil und wanderten in die USA aus. Zu dem geistigen Gepäck, das Margarethe Meyer Schurz in die USA mitgenommen hatte, gehörten die Grundsätze um Friedrich Fröbels Menschenerziehung, die sie in Hamburg wie auch im Hause ihrer Schwester Bertha in London praktisch erfahren hatte. In den USA war sie damals die einzige Frau, die dem „Erfinder des Kindergartens“ persönlich begegnet und in Hamburg von ihm in den Grundlinien seiner Menschenbildung unterrichtet worden war. Der Kindergarten war ein erster und grundlegender Schritt auf dem Weg einer „neuen Erziehung“, und Margarethe Meyer Schurz brachte ihn nach Amerika. In Watertown im US-Bundesstaat Wisconsin gründete Margarethe Meyer Schurz im August 1856 in ihrem Wohnhaus einen Kindergarten. Sie lud ihre vier Nichten zum Spielen mit ihrer Tochter Agathe ein und, als es draußen kalt wurde und der Winter kam, gesellten sich weitere Kinder von Verwandten, von Freunden und Nachbarn dazu. Da die Kindergruppe für das Schurzsche Haus bald zu groß war, wurde fortan ein kleines Haus im Stadtzentrum genutzt – das war der erste Kindergarten in den USA. Bedingt durch die politische Karriere von Carl Schurz verließ die Familie zwei Jahre später die Stadt. Die Ehe von Carl und Margarethe Schurz hatte ein Vierteljahrhundert bis zu Margarethes Tod Bestand. Diese Verbundenheit war häufigen Belastungen ausgesetzt, sollte sich aber auf allen Wegen des gemeinsamen Lebens bewähren. Margarethe Meyer Schurz führte nach dem Fortgang aus Watertown ein Leben zwischen ihrer Familie in den USA und ihren Angehörigen in Europa. Einer Einladung ihres Bruders Heinrich Adolph Meyer folgend reiste die Familie Schurz im Mai 1875 in die Alte Welt. Sie besuchten zunächst ihre Verwandten in Hamburg, danach fuhren sie weiter nach Kiel in das Haus ihres Bruders – für Margarethe war es das letzte Wiedersehen mit Deutschland, mit ihrer Heimat, mit ihren Verwandten. Margarethe Meyer Schurz starb am 15. März 1876 nach der Geburt ihres 5. Kindes an Kindbettfieber in New York. Doch sie sollte ihre letzte Ruhestätte nicht in den USA erhalten, sondern in ihrer Geburtsstadt Hamburg, der sie im Herzen ihr Leben lang verbunden war. Der Sarg wurde nach Deutschland überführt und 1876 im Meyerschen Grabgewölbe auf dem St. Petri-Friedhof in Hamburg beigesetzt, wo seit 1863 auch der Leichnam ihrer Schwester Bertha Ronge seinen Platz gefunden hatte. 1914 wurde Margarethes Sarg dann auf den Ohlsdorfer Friedhof umgebettet, die Grabstätte im Jahre 1965 oberirdisch abgeräumt. Margarethe Meyer Schurz hat in ihrem Leben dazu beigetragen, den Kindergarten-Gedanken in die Welt hinauszutragen. Sie hat der Menschenbildung in der freien Entfaltung des Kindes in Amerika den Weg gewiesen. Im Jahre 2001 besuchten 3,7 Millionen Kinder zwischen vier und sechs Jahren in den USA einen Kindergarten, 60 Prozent einen Ganztagskindergarten Text: Gerd Stolz Literatur: Gerd Stolz, Das Leben der Margarethe Meyer Schurz – Wegbereiterin des Kindergartens in den USA, Husum 2007.      

    Dr. Martha Muchow

    Psychologin

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    25.9.1892
    Hamburg

    29.9.1933
    Hamburg
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    Die Bibliothek der Fakultät 4 Erziehungswissenschaft, Psychologie und Bewegungswissenschaft der Universität Hamburg Binderstraße 40 heißt Matha-Muchow-Bibliothek. An der Außenwand der Bibliothek zum Joseph-Carlebach-Platz hin befindet sich ein Graffiti des Portraits von Martha Muchow. Seit 2010 gibt es auch die Martha-Muchow-Stiftung. Sie dient der wissenschaftlichen Forschung mit Schwerpunkt zwischen Kindheitsforschung und Schulpädagogik. Martha Muchow war die Tochter von Dorothee Muchow, geb. Korff, und ihres Ehemannes, des Zollinspektors Johannes Muchow. Das Ehepaar hatte noch ein weiteres Kind. Nachdem Martha Muchow 1912 das Abitur gemacht hatte, absolvierte sie eine einjährige Lehrerinnenausbildung. Danach war sie zwei Jahre in Tondern an einer Höheren Mädchenschule tätig. In ihrer Freizeit besuchte sie Vorlesungen von William Stern (geboren als Wilhelm Louis Stern) am Hamburgischen Kolonial-Institut (erste staatliche Hochschule vor Gründung der Universität Hamburg). Das Interesse für Psychologie erwachte, als sie sich ab 1917 an der Ausarbeitung von Beobachtungsbögen für Intelligenzprüfungen an Schulen beteiligte. 1919 nahm sie ihr Studium der Psychologie, Philosophie, der deutschen Philologie und Literaturgeschichte an der frisch gegründeten Hamburger Universität auf. In den Jahren davor hatte sie bereits im Hamburger Schuldienst als Volksschullehrerin gearbeitet. William Stern, Professor für Psychologie, wurde schnell auf die Studentin aufmerksam und erwirkte schon ein Jahr, nachdem Martha Muchow mit dem Studium begonnen hatte, bei der Schulbehörde ihre Beurlaubung aus dem Schuldienst, um sie als wissenschaftliche Hilfsarbeiterin am psychologischen Laboratorium der Universität einzustellen. 1923 promovierte Martha Muchow mit einer Arbeit über „Studien zur Psychologie des Erziehers“. Die Forschung auf dem Gebiet der Psychologie hatte in dieser Zeit eine große Wandlung genommen – weg von der zergliederten, von naturwissenschaftlich- experimentellen Methoden beeinflussten Forschung in Einzeldisziplinen hin zu einer Betrachtung des Menschen in seiner Gesamtheit. Zudem gewann William Sterns kinder- und jugendpsychologischer Forschungsschwerpunkt immer mehr an Bedeutung. Beeinflusst von all diesen Forschungsansätzen arbeitete Dr. Martha Muchow u. a. darauf hin, dass in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung ein sozialpädagogisches Praktikum eingeführt wurde. „Seit 1926 war Martha Muchow ständige Mitarbeiterin der renommierten Fachzeitschrift ‚Kindergarten’. Parallel dazu hatte sie engen Kontakt zur Fröbel-Bewegung und zum Hamburger Fröbel-Seminar, wo sie Psychologie unterrichtete.“ 1) Während ihrer Tätigkeit am Psychologischen Institut erhielt Dr. Martha Muchow die Gelegenheit, in den USA die amerikanischen Methoden der psychologischen Forschung kennenzulernen und dort in verschiedenen Großstädten über ihre eigene Arbeit zu berichten. Sie bekam mehrere Angebote, in den USA zu bleiben und dort zu forschen. So schrieb sie im November 1930 aus Washington: „Wenn ich nicht so tief in meiner Arbeit verwurzelt wäre, könnten mich vielleicht einige Angebote verlocken, hier zu bleiben, wenigstens für ein paar Jahre. Aber gerade hier merke ich doch, wie sehr kultur- und schicksalsverwachsen ich im Grunde bin, so daß selbst ungeahnte Mittel für ungeahnte Forschungsarbeiten mir nichts sagen können; meine ganzen Arbeitspläne für die kommenden Jahre sind unverpflanzbar (...).“ 2) Als Dr. Martha Muchow nach Hamburg zurückkehrte, musste sie mit Schrecken die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten miterleben: Die Freiheit der Lehre und Forschung gab es nicht mehr, und die politische Entwicklung wirkte sich zunehmend bedrohlich und damit negativ auf die Arbeit am Psychologischen Institut aus. Es kam zu diversen Zusammenstößen mit der Landesunterrichtsbehörde, da Dr. Martha Muchow die von den Nationalsozialisten geforderten Erziehungsmethoden aus humanistischen Gründen nicht mittragen wollte. Ihr physischer und psychischer Zustand wurde immer schlechter; sie war überarbeitet, gönnte sich jedoch keine Erholungspause. Als dann am 9. April 1933 auch noch ihre Mutter starb, fühlte sie starke Verzweiflung und war am Ende ihrer Kräfte. Doch zur Trauer und zum Rückzug hatte sie keine Zeit, keine Möglichkeit. Täglich kamen verzweifelte Menschen zu ihr, Verfolgte und Geächtete. „Als nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ihr Lehrer William Stern entlassen wurde, denunzierte man sie in einem Brief vom 10. Juli 1933 als ‚Judengenosse’: ‚Fräulein Dr. Muchow, die engste Vertraute von Prof. Stern, die ihn auch heute täglich besucht und mit ihm alle Pläne ausarbeitet, ist die gefährlichste. Sie war aktives Mitglied des marxistischen ‚Weltbundes für Erneuerung der Erziehung’ (…). Ihr Einfluß ist unheilvoll und einer deutschen Staatsauffassung direkt zuwiderlaufend.’“ 3) Zu ihrem 41. Geburtstag am 25.9.1933 erhielt Martha Muchow den Bescheid, das Institut, in dem sie als wissenschaftliche Rätin tätig war, zu verlassen und in den Schuldienst zurückzukehren. Zutiefst erschüttert äußerte sie zwar noch den Wunsch, eine Anfängerklasse zu übernehmen – aber in Wahrheit sah sie wohl keine Perspektiven mehr für sich. Zwei Tage nach ihrer Suspendierung wurde sie bewusstlos in ihrer Wohnung in der Bundesstraße 78 aufgefunden. Sie starb zwei Tage später im Jerusalem-Krankenhaus an den Folgen ihres Versuches, sich das Leben zu nehmen. Seit 2010 gibt es in Uhlenhorst den Martha-Muchow-Weg. Quellen: [1] wikipedia: Martha Muchow, Stand: 6.8.2011. [2] Angela Bottin: Enge Zeit, Spuren Vertriebener und Verfolgter der Hamburger Universität. Berlin 1992. [3] wikipedia: Martha Muchow, Stand: 6.8.2011 und zitiert nach: Karl-Heinz Hitze: Martha Muchow und ihr Beitrag zur Erforschung der frühkindlichen Sozial-, Denk- und Bewusstseinsentwicklung. Unveröffentlichte Diplomarbeit. München 2001, S. 197.      

    Margarethe Münch

    (geb. Wille)

    Gründerin und erste Leiterin der Hamburger Kinderpflegerinnenschule

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    12.4.1894
    Hamburg

    13.1.1930
    Hamburg
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    Margarethe Münch war das vierte von fünf Kindern einer 1898 im 30. Lebensjahr verstorbenen Hausfrau und eines Kaufmanns. Sie besuchte ab 1900 die höhere Töchterschule von Gude Kuk und bis 1911 das Kindergärtnerinnen-Seminar des Fröbel-Hauses. Nach verschiedenen Anstellungen übernahm sie 1914 die Leitung der Warteschule im Waisenhaus der Stadt Hamburg. Von 1915 bis 1916 folgte die Fachausbildung im Kindergärtnerinnen-Seminar des Fröbel-Hauses mit der staatlichen Prüfung zur Kindergärtnerin. Nach erneut verschiedenen Anstellungen arbeitete sie von April bis Dezember 1918 als Technische Lehrerin an der Kinderpflegerinnenschule des Fröbelvereins. 1919 erreichte sie nach einjährigem Besuch des Lyzeums der Klosterschule den Lyceal- Abschluss. Danach konnte sie die Fachausbildung zur Jugendleiterin im staatlichen Pestalozzi-Fröbel-Haus in Berlin absolvieren und arbeitete anschließend als aufsichtführende Jugendleiterin für die Vereinigten Fröbelkindergärten.
    Auf Anregung und mit der Unterstützung mehrerer Hamburger Bürgerinnen (u.a. Anna Warburg) erarbeitete sie ab Februar 1922 den Lehrplan für eine private Kinderpflegerinnenschule mit angeschlossenem Internat, durch deren Besuch Mädchen aus "einfachen" Verhältnissen eine Berufsausbildung ermöglicht werden sollte. Im Mai 1922 wurde die Hamburger Kinderpflegerinnenschule mit Margarethe Münch als Leiterin eröffnet.
    Am 28.12.1923 heiratete Margarethe Münch den Bibliothekar Walter Münch. Trotz der Geburt ihrer Tochter Maria am 11.08.1924 arbeitete sie weiter als Lehrerin und Leiterin der Schule. Am 1.5.1927 übernahm die Berufsschulbehörde die Kinderpflegerinnenschule. Die Schulleitung verblieb bei Margarethe Münch bis zu ihrem frühen Tod im Jahr 1930.

    Margarethe Münchs Tochter Maria Sturmhoebel (1924-2014) wurde im Garten der Frauen bestattet.

    Elisabeth Pape

    Gründerin des Verbandes für Altersschutz

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    5.9.1870
    Hamburg

    15.2.1964
    Hamburg
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    Zu Elisabeth Papes Engagement für und in der bürgerlichen Frauenbewegung gibt es unterschiedliche Informationen. Die Zeitungen behaupteten anlässlich Elisabeth Papes hochbetagten Geburtstagen und sonstigen Jubiläen, Elisabeth Pape sei weder aus der „Bewegung" noch aus den Kreisen der Frauen gekommen, die schon vor dem Krieg das Wahlrecht der Frauen gefordert hatten. Dagegen spricht die Historikerin Karen Hagemann von einer Mitgliedschaft Elisabeth Papes in der Abteilung Jugendschutz der Ortsgruppe Hamburg des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF), einem Verein, der Teil der bürgerlichen Frauenbewegung war. Außerdem gehörte Elisabeth Pape 1919 neben  Emmy Beckmann (Ihr historischer Grabstein steht im Garten der Frauen) und Margaretha Treuge (Erinnerungsstein in der Erinnerungsspirale im Garten der Frauen) zu den Initiatorinnen einer aus dem Stadtbund hamburgischer Frauenvereine hervorgegangenen neuen Vereinsgründung, der Politischen Frauengemeinschaft Hamburg, deren Ziel die staatsbürgerliche Erziehung breiterer Frauenkreise war. Dies wollte die Frauengemeinschaft dadurch erreichen, indem sich Vertreterinnen aller Parteien und verschiedener Weltanschauungen zusammenschlossen, um den Frauen ihre überparteilichen gemeinsamen Interessen zu zeigen. Mangels geringen Zulaufs löste sich diese Vereinigung allerdings 1921 wieder auf. Die Zeitungen erwähnen dieses in keinem der im Staatsarchiv zugänglichen Artikel. Elisabeth Pape setzte sich als Lehrerin für die Gleichberechtigung der weiblichen Lehrkräfte ein. Sie unternahm als erste weibliche Lehrkraft auf eigene Kosten mit ihren Schülerinnen eine Klassenreise, die in den Harz führte und konnte in den 1920er Jahren das vom Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenverein schon lange geforderte Klassenlehreramt (Ordinariat) für Frauen in den höheren Klassen des Mädchenschulwesens durchsetzen, was bis dato eine Domäne der männlichen Kollegen gewesen war. Als Elisabeth Pape die erste Ordinarin einer Selekta wurde, gab es einen Aufschrei unter den männlichen Kollegen. Sie diffamierten ihre Kolleginnen, die auf Grund des Beamtengesetzes unverheiratet bleiben mussten, als alte Jungfern, die ein unerfülltes Triebleben besäßen, was sich in einer vermeintlich säuerlichen Schärfe` der Lehrerinnen ausdrückte und als Grund diente, Lehrerinnen ein Ordinariat abzusprechen. Auch die Elternvertretungen und der Schulbeirat waren mit dieser neuen Verordnung der Schulbehörde nicht einverstanden. Sie machten den Vorschlag, dass allein die persönliche Eignung, unabhängig vom Geschlecht, für die Besetzung der Ordinariate ausschlaggebend sein sollte. Schön gesagt: doch dass mit solch einer Regelung, angesichts der massiven Vorurteile, die es gegen erwerbstätige Frauen gab, Lehrerinnen kaum ein Ordinariat erhalten würden, wurde nicht erkannt. Elisabeth Papes Werdegang nahm zunächst den üblichen Weg einer bürgerlichen Tochter. Nach Abschluss des Lehrerinnen-Seminars wurde sie Volksschullehrerin und 1889 als 19jährige in den Hamburger Schuldienst übernommen, was nach den damaligen Gesetzen den Verzicht auf Ehe und Familie bedeutete. Bis 1929 war sie als Lehrerin tätig, dann arbeitete sie bis 1934 als Dezernentin für Schüler-Erholungsfürsorge und Verkehrserziehung im Verwaltungsdienst der Oberschulbehörde. In der Weimarer Zeit war sie zudem Mitglied der Lehrerkammer und des Beamtenrates. Elisabeth Pape hatte nicht nur pädagogische und frauenpolitische Amibitionen, sie zeigte auch starke altruistische Züge. Schon als junges Mädchen engagierte sie sich für notleidende Menschen. So kümmerte sie sich während der Choleraepidemie 1892 um die Kinder, deren Eltern Opfer dieser Krankheit geworden waren und rettete die Kinder aus den verseuchten Wohnungen. Im Ersten Weltkrieg war sie Mitbegründerin der Hamburgischen Kriegshilfe und arbeitete als Lazaretthelferin bei Prof. Dr. Nonne. Dafür wurde sie später mit dem Eisernen Kreuz am schwarz-weißen Band geehrt. Während des Rübenwinters nach dem Ersten Weltkrieg setzte sie sich für eine Unterbringung von ca. 800 Kindern bei Bauernfamilien ein. Lange Jahre war sie ehrenamtliche Waisenpflegerin. 1920 gründete Elisabeth Pape den Landesverein Hamburg des Deutschen Rentnerverbundes (Verband für Altersschutz), den sie auch noch im hohen Alter von 90 Jahren leitete. 1935 wurde sie Mitglied des Aufsichtsrates des Vereins Rentnerheim  Fiefstücken e. V. Hamburg. In dieser Funktion gelang es ihr mit Hilfe der Hamburger Sparcasse von 1827, das Rentnerheim Fiefstücken mit 1- und 2-Zimmer-Wohnungen errichten zu lassen. Außerdem arbeitete Elisabeth Pape 40 Jahre lang als Vorstandsmitglied des Hamburgischen Seehospitals Nordheim Stiftung in Sahlenburg bei Cuxhaven, war bis ins hohe Alter Ehrenmitglied des Verbandes deutscher Landschulheime und nach ihrem nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgten Eintritt in die SPD Mitglied der Arbeiterwohlfahrt. Für ihre ehrenamtlich geleistete Arbeit im Dienste der Wohltätigkeit erhielt Elisabeth Pape 1952 das Bundesverdienstkreuz. Neben all diesen ehrenamtlichen Aktivitäten war die am Efeuweg 64 und zuletzt am Lämmersieht 75 wohnende, hauptberuflich als Pädagogin Arbeitende zwischen 1921 bis 1932 Bürgerschaftsabgeordnete der DVP und von 1928 bis 1932 Schriftführerin ihrer Bürgerschaftsfraktion. Während ihrer Bürgerschaftstätigkeit arbeitete sie u.a. in der Jugendbehörde, dem Ausschuss zur Festsetzung der Mieten und dem Beschwerdeausschuss für das Wohnungsamt. In der NS-Zeit trat sie nicht der NSDAP bei. Sie war von 1940 bis 1943 Mitglied des NSV (Nationalsozialistische Volksfürsorge). Sie wurde drei Mal bei der Gestapo denunziert und einmal bei der vorgesetzten Behörde wegen Weigerung die Hakenkreuzfahne zu zeigen.1) Text: Dr. Rita Bake Quelle: [1] Staatsarchiv Hamburg, 221-11_52535 Literatur: Elisabeth Pape: Zeitungssauschnittsammlung A 765, Staatsarchiv Hamburg.     Elisabeth Pape setzte sich als Lehrerin (tätig von 1889-1929, dann Wechsel in die Verwaltung der Oberschulbehörde) für die Gleichberechtigung der Lehrerinnen ein. Sie unternahm als erste weibl. Lehrkraft auf eigene Kosten mit ihren Schülerinnen eine Klassenreise und konnte in den 20-er Jahren das vom Allgm. Deutschen Lehrerinnenverein schon lange geforderte Klassenlehreramt für Frauen in den höheren Klassen des Mädchenschulwesens durchsetzen. 1920 gründete sie den Verband für Altersschutz und ließ das Rentnerheim Fiefstücken errichten. Sie war Vorstandsmitglied des Hamburger Seehospitals Nordheim Stiftung in Sahlenburg, Ehrenmitglied des Verb. Dt. Landschulheime und erhielt 1952 für ihre Arbeit im Dienste der Wohltätigkeit das Bundesverdienstkreuz. Von 1921-1932 war sie Bürgerschaftsabgeordnete der Deutschen Volks Partei.

    Toni Pergelt

    geb. Hahlbohm

    Verfolgte des NS-Regimes

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    19.11.1893

    29.8.1979
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    Toni Pergelts Grabstelle wurde 2005 auf dem Ohlsdorfer Friedhof geräumt und damit auch der Grabstein. An Toni Pergelt würde heute nichts mehr erinnern, wäre da nicht der Journalist Thomas Hirschbiegel. Er fand bei enem Flohmarktbesuch den Nachlass von Toni Pergelt und veröffentlichte dazu einen Artikel in der Hamburger Morgenpost. Dies las Wolfgang Haack, ein Angestellter des Ohlsdorfer Friedhofes, der dem Verein Garten der Frauen immer wieder behilflich ist bei der Suche nach den Grabstellen von Frauen. Er fand heraus, dass Toni Pergelt einst auf Ohlsdorf bestattet wurde und informierte umgehend den Verein Garten der Frauen. Und so bekam Toni Pergelt einen Erinnerungsstein im Garten der Frauen.
    Hier ausszugsweise der Bericht von Thomas Hirschbiegel über Toni Pergelt:
    Der abgewetzte hellblaue tschechische Pass lag auf einem Stand des Flohmarkts am U-Bahnhof Feldstraße. Auf dem Umschlag befand sich ein Aufkleber: "Deutsches Reich. Protektorat Böhmen und Mähren". Er war ausgestellt auf eine Frau, die in "Hamburk" geboren wurde. Ich wurde neugierig. Das Dokument war Teil eines umfangreichen Nachlasses, den ich dann für ein paar Euro kaufte. (…) Diese Hamburgerin versorgte unter ständiger Lebensgefahr ihren Mann im Ghetto Kielce, überlebte den Nazi-Terror und schlug sich dann nach dem Krieg mit hiesigen Behörden herum, um eine gerechte Entschädigung zu erhalten. (…) Geboren wurde Toni P. am 19.11.1893 in Hamburg. Das intelligente Mädchen wuchs am Winterhuder Weg auf und besuchte nach der Volksschule ab 1908 zwei Jahre lang die "Gewerbeschule für Mädchen" an der Brennerstraße in St. Georg. Dort machte sie als eine der fünf besten Schülerinnen ihren Abschluss. Toni fand schnell Anstellungen bei Hamburger Im und Exportfirmen, wurde leitende Angestellte. 1919 arbeitete Toni P. bei der Hamburger "Korsettfabrik Hinrichsen". Im selben Jahr heiratete sie den sechs Jahre älteren Erich P., einen Juden aus Prag. Das Paar zog in die tschechische Hauptstadt. 20 Jahre lang war Toni P. dort in Lederwarenfirmen beschäftigt. Ihr Mann fand ebenfalls eine Anstellung als kaufmännischer Angestellter. Dann rückten 1938 die Nazis in Prag ein. Das Ehepaar P. wollte nach Angola auswandern. In dem Nachlass befand sich ein Schreiben der "Hamburg-Amerika-Linie", welches zwei Plätze in der Touristenklasse an Bord der "Watussi" bestätigte. Am 27.
    April 1939 sollte es von Hamburg nach Luanda gehen. Das Ehepaar besaß ein Visum der tschechischen Behörden, hatte seinen Haushalt verpackt und nach Hamburg verschickt. Laut einer Liste befanden sich darin auch Schmuckstücke und eine goldene Omega-Armbanduhr. Zeichen eines bescheidenen Wohlstands, welchen sich die P.s erarbeitet hatten. Arbeitskontrakte bei einer Exportfirma in Luanda lagen auch vor. Der Jude Erich P. war inzwischen, es war wenige Monate vor Beginn des Zweiten Weltkriegs, vor den Nazis von Prag nach Polen geflüchtet. Doch um zum Hamburger Hafen zu kommen, benötigte er einen "Durchlassschein" der Gestapo. Seine mutige Frau ging in Prag mehrfach persönlich zur Gestapo und bat um diesen Schein. Toni P. erinnert sich in ihrem Lebenslauf: "Ich bin bedroht und beschimpft worden und dort so lange hin gegangen, bis mir gesagt wurde, dass ich bei weiterem Erscheinen verhaftet würde." Toni P. reiste resigniert nach Polen zu ihrem Mann. Dann überfielen die Deutschen Polen, das Paar geriet in die Kampfhandlungen und erlebte in der 60 000-Einwohner-Stadt Kielce im Südosten Polens den Einmarsch der deutschen Truppen. Das verzweifelte Ehepaar wollte nun zu Fuß die russische Grenze erreichen. Toni P. erinnert sich in ihrem Lebenslauf: "Zehn Tage sind wir umhergeirrt, die Panzer rollten an uns vorüber. Die Dörfer brannten. Uns blieb schließlich nichts anderes übrig, als nach Kielce zurückzukehren, wo wir zu Tode erschöpft und an der Ruhr erkrankt ankamen." Bis 1941 schlug sich das Paar in Kielce durch. Dann kam der 21. März 1941, und die Nazis zwangen die polnischen Einwohner ein Viertel zu räumen. Das Ghetto Kielce entstand. Fast 30 000 Menschen drängten sich hier auf engstem Raum. Am 5. April kam auch Erich P. dorthin. Seine Frau blieb bei einer polnischen Familie in einer Dachkammer. Täglich schlich sie sich ins Ghetto und später ins Arbeitslager des Unternehmens "Ludwigshütte" und brachte ihrem Mann Lebensmittel. Auch andere Ghetto-Bewohner versorgte Toni P. mit Medikamenten, kochte für Kranke und kümmerte sich aufopferungsvoll. Außerdem versorgte sie die eingepferchten Menschen mit Nachrichten von draußen. Das war lebensgefährlich. Denn Hans Gaier, der deutsche Polizeichef in Kielce, hatte sich schnell den Namen "Schlächter von Kielce" verdient. Der Mann war in Deutschland im Zivilleben gescheitert, brachte es aber nach 1933 als SA-Obersturmbannführer zum Bürgermeister der hessischen Gemeinde Hofheim. Wegen "Unregelmäßigkeiten" flog Gaier aus dem Amt. Und nur mit Mühe kam er dann 1936 bei der Polizei unter. Als Hauptmann der Schutzpolizei mordete dieser Mann bei jeder sich bietenden Gelegenheit. In Kielce war er der Herr über Leben und Tod. So erschoss er bei einem Sonntagsspaziergang mit seiner Freundin Eva V. ein etwa 16-jähriges hungerndes Mädchen, nur weil dieses Beeren von einem Strauch pflückte. Ab 1942 leitete der 40-jährige Offizier mehrere Massen-Erschießungen in Kielce, führte Selektionen durch und ordnete Deportationen in Vernichtungslager an. Unter seinem Befehl kam es wiederholt zu Massenmorden auch an Kindern. So wurden am 19. August 1942 die 40 Kinder des jüdischen Waisenhauses von Ukrainischen Hilfstruppen unter Schlägen gezwungen, sich an einer Grube nackt auszuziehen. Dort wurden die Kinder von Wachtmeister Rumpel aus Gaiers Truppe erschossen. Rumpel wurde im Ghetto nur "Der Schießer" genannt. Und dieser Hauptmann Gaier sorgte dafür, dass Toni P. am 14. Oktober 1943 wegen "Sabotage und Staatsfeindlichkeit" verhaftet wurde. Gaier sagte ihr ins Gesicht, dass er sie am liebsten sofort erschießen würde. Vermutlich rettete Toni P. nur die Tatsache, dass sie Deutsche war, das Leben. Auch ihr Mann kam ins Gefängnis. Am 23. Dezember 1943 wurde er zusammen mit Polen und weiteren Juden auf einem Friedhof erschossen. Toni P. erinnert sich: "Wir haben uns am Morgen dieses schrecklichen Tages von 4 bis 6 Uhr im Gefängnis verabschiedet." Vermutlich auf Intervention ihrer Hamburger Geschwister kam Toni P. im Februar 1944 frei und gelangte im Juli 1944 nach Hamburg. Im August 1944 kam es zur Räumung des Kielcer Ghettos. Kinder, Alte und Kranke wurden gnadenlos erschossen. Die Überlebenden kamen nach Auschwitz oder andere Vernichtungslager. Einer von ihnen war Dr. Leon Reitter. Er hatte Kielce überlebt, aber sein einziges Kind war auf Gaiers Befehl erschossen worden. 1946 war der Arzt Vorstand der jüdischen Gemeinde Göttingen. Damals bestätigte er Toni P. in einem Schreiben: "Ich, sowie alle Juden in Kielce, haben Frau P. als zu uns gehörig betrachtet und sehr verehrt, weil sie jeden Tag ihr Leben eingesetzt hat, um ihren jüdischen Mann zu retten. Sie war die einzige deutsche Frau, die diesen Mut bewiesen hat." Und Toni P.s "Lohn" für diesen Mut? Ärger mit dem Hamburger Oberversicherungsamt", bei dem sie offenbar vergeblich um eine Entschädigung gebeten hatte. Im Nachlass liegen Schreiben, die bezeugen, wie in Deutschland nach 1945 oft mit Nazi-Opfern umgegangen wurde. Toni P. war durch die Jahre in ständiger Lebensgefahr körperlich und psychisch schwer angeschlagen. Sie zog in eine Mietwohnung an der Ludolfstraße in Eppendorf, später wohnte sie in der Bilser Straße in Alsterdorf. Ihr weiterer Lebensweg ist unbekannt. Aber bis zu ihrem Tode stand sie in Kontakt mit Überlebenden aus dem Ghetto. Der letzte Brief im Nachlass stammt von 1972. Da war Toni P. fast 80 Jahre alt. (…)

    Cläre Popp

    Puppenspielerin

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    21.3.1896

    26.7.1978
    Hamburg
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    Während des Ersten Weltkriegs hatte Cläre Popp als Flugzeugmechanikerin gearbeitet. Sie wurde später Muse und Freundin des Schriftstellers Hans Leip und des Juweliers und Kunstmäzens Carl M. H. Wilkens. In seinem an der Ecke Neuer Wall/Jungfernstieg gelegenen Haus befand sich sein Juweliergeschäft. In dem Haus lebte er in einer bohememäßig ausgestalteten Wohnung. Das zur Wohnung ausgebaute Dachgeschoss stellte er gern Dichtern zur Verfügung. So lebte hier von 1921 bis 1931 Hans Leip, der diese Wohnung als seine "Himmelsecke" gezeichnete. Cläre Popp und Hans Leip hatten sich im Oktober 1919 kennen gelernt. Äußerlich soll sie, so Hans Leip, "eine Puppe von Pariser Schnitt, innerlich ironische, tüchtige Hamburgerin" gewesen sein. Hans Leip trennte sich von seiner Frau Lina, mit der er erst seit einem Jahr verheiratet war und die im Februar 1920 die gemeinsame Tochter Grita gebar. Hans Leip gab sein Lehramt auf und wurde freiberuflicher Grafiker und Maler. Cläre Popp wurde seine Muse. Das Paar lebte 1920 einen Sommer lang in Övelgönne 56 bei der Lotsenfamilie Meyer. Im selben Jahr schrieb er für Cläre Popp, die er Muschemuj nannte, ein Liebesgedicht. Zusammen mit Hans Leip und anderen gründete Cläre Popp 1920 das "Hamburger Puppenspiel". Die Idee dazu hatte Hans Leips Chef Hans W. Fischer, der Leiter des Feuilletons bei der "Neuen Hamburger Zeitung" gehabt, für die Hans Leip als Kunstkritiker tätig war. Das Puppentheater sollte kein Kaspertheater, sondern zwischen Dada und Expressionismus angesiedelt wissen. Zusammen bastelten Hans Leip und Cläre Popp Köpfe, Hände, Dekorationen, Kostüme. Im Raum 143 der Hamburger Kunstgewerbeschule baute der befreundete Architekt Kurt F. Schmidt eine Puppenbühne. Claire Popp, die während des Ersten Weltkrieges Mitarbeiterin bei der Puppenbühne von Albert Schlopsnies in München gewesen war und bei dem sie auch das Bauen und Entwerfen von Marionetten erlernt hatte, machte tatkräftig bei den Vorbereitungen für die erste Aufführung eines Puppenspiels mit. Der Kostenplan für die Puppenbühne war sehr hoch angesetzt. "Von der angestrebten Summe kam aber lediglich ein Bruchteil zusammen, der gerade mal zur Fertigstellung der Puppenbühne und für eine Aufführung auf dem Künstlerfest ‚Die Gelbe Posaune der Sieben' am, 7. Februar 1920 im Curiohaus reichte." 1) Die Aufführung des Puppenspiels "Der betrunkene Lebenskelch oder wider Willen ins Grab zurück" musste jedoch abgebrochen werden, weil es im Festsaal zu unruhig und die Akteure zu betrunken waren. Zu weiteren Aufführungen kam es nicht mehr. Das Ende der Liebe zwischen Hans Leip und Cläre Popp kam 1921, nachdem sich beide auf einer Puppenbühne erzürnt hatten. Cläre Popp fuhr ohne Abschied mit Wilkens nach Insbruck. Im Alter wurde Cläre Popp sehr krank und soll, so Hans Leip: "bei ihrer Schwester von langen Halluzinationen erlöst worden" sein. 1) Lit: Rüdiger Schütt (Hrsg.): Hans Leip, Tage- und Nächtebuch der Hamburger Puppenspiele, Kiel 2005.

    Marie Priess

    (geb. Drews)

    Kommunistische Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus, Mitglied der Widerstandsgruppe Bästlein-Jacob-Abshagen

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    13.9.1885
    Bühnsdorf/Segeberg, laut Sterbeurkunde

    9.1.1983
    Reinbek
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    Marie Drews entstammte einer Arbeiterfamilie. Ihr Vater starb, als Marie zwei Jahre alt war, ihre Mutter arbeitete auf dem Gutshof in Bühnsdorf. Zunächst war Marie Drews Mitglied der SPD. 1918 gehörte die damals Neunzehnjährige als einzige Frau dem Arbeiter- und Soldatenrat in Kiel an. In der Weimarer Zeit trat sie der KPD bei und gehörte schon damals zu den entschiedenen Gegnerinnen des aufkommenden Nationalsozialismus. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten trat sie in den illegalen Widerstand gegen das NS-Regime. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges gehörte sie zur Widerstandsgruppe Bästlein-Jacob-Abshagen. Marie Priess hatte 1908 einen Schauermann aus dem Hamburger Hafen geheiratet. Während des Ersten Weltkrieges erlitt er als Soldat eine Kampfgasvergiftung, von der er sich nicht wieder erholte und an der er schließlich später um 1938 auch verstarb. Das Paar hatte drei Söhne und eine Tochter. Die Tochter starb bereits im Alter von neun Jahren an einer Infektion. Viktor (1908-1999), Bruno I(1911-1938) und Heinz (1920-1945) gingen in der Zeit des Nationalsozialismus in den illegalen Widerstand. Viktor und Bruno konnten nach ihrer KZ-Haft aus Deutschland fliehen und kämpften in Spanien in den Internationalen Brigaden. Bruno wurde dabei in der Schlacht am Ebro am 21.9.1938 getötet. "Zusammen mit ihrem Sohn Heinz Priess [Flugzeugkonstrukteur bei Blohm &Voss] und dem Lehrer Ernst Mittelbach half sie den im Sommer 1942 über Ostpreußen mit einem Fallschirm abgesprungenen deutschen Kommunisten Erna Eifler und Wilhelm Fellendorf, die wegen der bereits begonnenen Verhaftungswelle gegen die Berliner Gruppen der Roten Kapelle dort vergeblich eine Kontaktaufnahme versucht hatten und mit ihren Reserve-Adressen nach Hamburg gekommen waren. Sie boten ihnen für einige Zeit ein Versteck." 1) Marie Priess' Sohn Viktor, der damals bei dem militärischen Nachrichtendienst der Roten Kapelle tätig war, hatte die Adresse der Mutter als zuverlässiges Versteck genannt. Doch bereits im Oktober 1942 wurden Marie Priess und ihr Sohn von der Gestapo verhaftet. Nachdem durch die Bombardierung Hamburgs im Juni 1944 die Gefängnisgebäude sehr stark beschädigt worden waren, erhielten die Häftlinge Hafturlaub unter der Bedingung, sich nach zwei Monaten zurückzumelden. Marie Priess entschied sich mit ihrem Sohn in den Untergrund zu gehen und sich in Hamburg illegal aufzuhalten. Am 19. April 1944 wurden Mutter und Sohn erneut festgenommen und im Oktober 1944 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt. Heinz Priess wurde am 12. März 1945 im Zuchthaus Brandenburg hingerichtet. Marie Priess "konnte wegen zunehmender Desorganisation der Verkehrswege am Ende des Krieges nicht in eine Hinrichtungsstätte transportiert werden und überlebte daher." 1) Wikipedia: Eintrag zu Marie Priess (abgerufen am: 23.3.2013.)  

    Anna Frieda Susanna Radel

    geb. Johannsen

    Journalistin

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    10.05.1869
    Altona

    26.11.1958
    Hamburg
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    Bekannt wurde Frieda Radel in Hamburg als Journalistin durch regelmäßige Artikel zu sozialpolitischen Forderungen der radikalen Frauenbewegung. Als Redakteurin und Herausgeberin u. a. der Hamburger Hausfrauenzeitung nutzte sie diese Öffentlichkeit für die Themen der Frauenbewegung, in der sie sich nach der Trennung von ihrem Mann engagierte. Sie hatte drei Töchter. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts setzte sich die Frauenrechtlerin ein gegen die Diskriminierung unehelicher Kinder und alleinerziehender Mütter; sie war aktiv in der Hamburger Ortsgruppe des Bundes für Mutterschutz und eine fachkundige Beraterin in der Wohnungsfürsorge. Ein weiteres wichtiges Thema für sie war die Abschaffung der staatlichen Reglementierung der Prostitution. Hierzu engagierte sie sich im Hamburger Zweigverein der Internationalen Abolitionistischen Föderation. Frieda Radel war zudem Vorstandsmitglied des Hamburg-Altonaer Vereins für Frauenstimmrecht und des Vereins Frauenwohl, der für die Gleichberechtigung von Frauen auf allen Gebieten arbeitete. Zur Vernetzung und politischen Bildung von Frauen organisierte sie die "Kaffeestunde der Hamburger Hausfrau", ein regelmäßiges politisches und kulturelles Großereignis in Hamburg, zu dem mehrere Tausend Besucher*innen kamen. Frieda Radel war sehr gut vernetzt in Hamburg. Ihr Bekanntheitsgrad war bedeutend bei der Bürgerschaftswahl 1919, bei der zum ersten Mal Frauen aktiv und passiv wahlberechtigt waren. Als Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei wurde Frieda Radel 1919 und 1923 in die Hamburger Bürgerschaft gewählt. Dort arbeitete sie u. a. erfolgreich für die Abschaffung der staatlichen Reglementierung der Prostitution, was nach Jahren der gesellschaftlichen Diskussion und Auseinandersetzung 1923 ein großer politischer Erfolg für die radikale Frauenbewegung war. 1925 konzipierte Frieda Radel für die Nordische Rundfunk AG "Die Schule der Frau", die sie als freie Mitarbeiterin erfolgreich leitete. Zudem hielt sie Vorträge für den Frauenfunk der Deutschen Welle. Damit gehörte sie zu den Rundfunkpionierinnen. Mit anderen gründete sie 1931 in Hamburg den ersten Zonta-Club in Deutschland. Zonta-Mitglieder weltweit verfolgen bis heute das Ziel der Verbesserung der gesellschaftlichen Stellung der Frau - für Frieda Radel war dies immer ein Leitthema ihres politischen Handelns. In den 1940er Jahren zog Frieda Radel von Hamburg nach Berlin und wurde nach dem Krieg 1947 Mitgründerin des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands. Bis 1950 war sie Mitglied der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik. Sie starb in Potsdam und wurde wenig später auf dem Ohlsdorfer Friedhof beigesetzt. Sabine Hoffkamp

    Margaretha Rothe

    Medizinstudentin, leiste Widerstand gegen das NS-Regime

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    13.6.1919
    Hamburg

    15.4.1945
    Leipzig
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    Margaretha Rothe, seit 1936 Schülerin der Lichtwarkschule, nahm zeitweilig am privaten "Lesekreis" der Lehrerin Erna Stahl teil. 1937, nach Aufhebung der Koedukation an der Lichtwarkschule wechselte Margaretha Rothe zur Klosterschule, an der sie 1938 Abitur machte. Als Medizinstudentin suchte sie am Universitätskrankenhaus Eppendorf Kontakt zu oppositionellen Kommilitonen und wagte den Schritt in den Widerstand. Sie druckte und verteilte Streuzettel mit Frequenzen und Sendezeiten ausländischer Rundfunksender. 1941/42 erweiterte sich ihr Freundeskreis, zu ihm stießen u. a. der Chemiestudent Hans Leipelt und Reinhold Meyer, Junior-Chef der Buchhandlung des Rauen Hauses am Jungfernstieg, wo sich im Keller nachts der Kreis traf. Durch Margaretha Rothes Kommilitonin Traute Lafrenz, die in München Kontakt zu Hans und Sophie Scholl hatte, gelangten einige Flugblätter der "Weißen Rose" nach Hamburg, wo der Freundeskreis sie verbreitete. Seine Treffen flogen durch Verrat auf. Seit Ende 1943 kamen Margaretha Rothe und über dreißig weitere Personen - später "Hamburger Zweig der Weißen Rose" genannt - ins Gestapo-Gefängnis Fuhlsbüttel. Von dort wurde Margaretha Rothe im November 1944 über Berlin und Cottbus nach Leipzig transportiert, wo sie schwer erkrankt am 10.2.1945 ins Frauengefängnis Leipzig kam und von dort einen Monat später ins dortige Krankenhaus. Hier starb sie am 15.4. an den Folgen einer Lungentuberkulose. Dieser Stein ist nach einer Idee einer Schülerin des Margaretha Rothe Gymnasiums aus Hamburg entworfen und hergestellt worden. Die Schülerinnen und Schüler hatten zum Leben und Wirken von Margaretha Rothe geforscht und dafür 2005 den Bertinipreis erhalten. Der Stein ist in der Mitte ausgehöhlt. Da Margaretha Rothe Widerstand gegen das NS-Regime leistete, indem sie in Hamburg die Flugblätter der Geschwister Scholl heimlich verteilte, wurde in die Steinaushöhlung eine aus Metall geformte Schwalbe hineingehängt. Diese Schwalbe versinnbildlicht ein zu einer Schwalbe gefaltetes Flugblatt der Geschwister Scholl, das aus der Öffnung, gemeint ist hier das Zellenfenster, hinter dem Margaretha Rothe saß, in die Freiheit fliegt.

    Emily Ruete

    geb. Salme Prinzessin von Oman und Sansibar

    Schriftstellerin

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    30.8.1844
    Sansibar

    29.2.1924
    Jena
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    Als Frau multipler Identitäten war die Hamburgerin Emily Ruete, geborene Sayyida Salme bint Said ibn Sultan, Prinzessin von Oman und Sansibar, eine ambivalente Denkerin und eine mutige Frau. Ihre Mutter, Jilfidan, war eine kaukasische Frau, die durch Zwangsmigration zu einer der Ehefrauen des Sultans wurde. Salmes Geburtshaus Bet il Mtoni ist der älteste Palast auf Sansibar und liegt direkt am Meer. Sie lebte dort bis zu ihrem fünfzehnten Lebensjahr zusammen mit ihrer Mutter, ihren Halbgeschwistern und deren Müttern - circa 75 Frauen und Kinder - im Harem des Sultans. In dem multikulturellen Reich im Indischen Ozean lebten Menschen fast aller Weltregionen (Afrika, Oman, Indien und Europa) zusammen. Europäer*innen, die wirtschaftliche Interessen durchzusetzen suchten, verglichen Sansibar mit Paris. Im Jahr 1866 migrierte Salme heimlich an Bord eines englischen Kriegsschiffs nach Hamburg, dem Geburtsort ihres zukünftigen Ehemannes Rudolph Heinrich Ruete, wo sie in einer Villa an der Schönen Aussicht 29 lebte. Für diese Reise gab sie ihren Status als Prinzessin des Osmani-Sansibarischen Reiches auf. Während der dreimonatigen Schifffahrt verlor sie ihr erstes Kind, konvertierte von einer Muslima zu einer Christin und ließ sich in Emily umtaufen. Sie gewann dadurch an sozialer Mobilität, doch die Anerkennung als gleiche Bürgerin blieb ihr, sogar innerhalb der Familie ihres Mannes, verwehrt. Das Paar hatte drei weitere Kinder: Antonie (1868), Rudolph (1869) und Rosalie (1870). Im Jahr 1870 verwitwete sie. Ihr wurde zuerst in Sansibar und später in Hamburg und London ihre Erbschaft aberkannt. Auch später durfte sie ihr Vermögen nicht selbst verwalten und wurde juristisch entmündigt. Sie zog 1872 weiter nach Dresden, Darmstadt, Köln, Rudolstadt und Berlin. Im Jahr 1888 emigrierte sie nach Jaffa und Jerusalem und lebte von 1892 bis 1914 in Beirut. Später kam sie zurück nach Deutschland und starb im Beisein ihrer deutschen Kinder in Jena. Um eine neue Finanzierungsquelle für das Leben ihrer Kinder zu suchen, hatte Ruete zunächst Arabischunterricht erteilt. Im Jahr 1886 verfasste sie ihre Autobiografie Memoiren einer arabischen Prinzessin in zwei Bänden auf Deutsch. Zuvor hatte sie sich selbst das Lesen und Schreiben beigebracht in einer Zeit, in der Bildung für Frauen weltweit sozial geächtet und sogar untersagt war. Ihre Memoiren wurden zum Bestseller und mehrfach ins Englische übersetzt. Mit diesem Werk gilt sie als Pionierin der arabischen und ostafrikanischen Literatur. Ihre Schriften werden mit einem Märchen von Eintausend und einer Nacht verglichen und beeinflussen auch heute eine Reihe von Romanen und Filmen deutscher Autor*innen. Mit ihren Veröffentlichungen agierte Ruete als kulturelle Übersetzerin im deutschen Kolonialreich. Sie stellte der eurozentrischen Wahrnehmung des Osmani-Sansibarischen Reiches ihre eigene frauenzentrierte Erzählung gegenüber. Ihr war die Unvollständigkeit dieser ethisch-politischen Aufgabe bewusst. So schrieb sie: "[E]s wird mir doch nicht gelingen, die schiefen und falschen Ansichten, welche in Europa und besonders in Deutschland über die Stellung einer arabischen Frau gegenüber ihrem Manne im Schwunge sind, gründlich auszurotten." Die Kosmopolitin Ruete hatte in der deutsch-tansanischen Kolonialzeit eine zwiespältige Position inne, die sie wie folgt beschrieb: "Eine schlechte Christin und etwas mehr als eine halbe Deutsche!". Otto von Bismarck nutzte Ruetes Position aus, als er ihr 1885 die Reiseerlaubnis nach Sansibar erteilte, um wirtschaftliche Vorteile für deutsche Firmen und Gesellschaften vor Ort zu sichern. Nach fast zwanzig Jahren Abwesenheit besuchte Ruete mit ihren Kindern ihren Geburtsort. Einige Wochen später musste sie auf Befehl des Auswärtigen Amtes Sansibar verlassen. Ihre Namensänderung und ihre religiöse und kulturelle Konversion reichten nicht aus, um das Gefühl der Heimatlosigkeit abzulegen. Sie berichtete von der Gastfreundschaft, die sie außerhalb Hamburgs erfuhr, nannte sich jedoch "nur ein[en] Fremdling in Deutschland". Trotz Sprachkenntnissen sowie der finanziellen, politischen und intellektuellen Beiträge, die sie leistete, erfuhr sie Diskriminierung in vielerlei Formen. Sie berichtete über Exotisierungserfahrungen und erlebte Erniedrigungen seitens von Behörden und Institutionen. Doch lehnte sie weder die deutsche Kultur ab, noch grenzte sie sich vom Kolonialismus und Rassismus ab. Zur Zeit ihres Lebens wurde der anti-Schwarze Rassismus zum gemeinsamen Nenner einer globalen Kultur der Entmenschlichung: Während Europa die sogenannte Rassenlehre lehrte, wurden auf Sansibar Menschen regelmäßig auf den Markt verkauft. Als Prinzessin besaß sie Plantagenarbeitende und zahlreiche dienende Menschen, über welche sie sich in ihren Memoiren abscheulich äußert. Als Bürgerin der Hansestadt profitierte Ruete von der Versklavungsökonomie auf Sansibar, da ein Drittel der Exporte der sansibarischen Plantagen nach Hamburg gingen. Unterschiedliche Versklavungsverhältnisse wurden sowohl von ihrem Vater, dem Sultan Said, seinem Sohn, Madschid, Ruetes Bruder und späteren Sultan von Sansibar, als auch von den europäischen Kolonialmächten (Portugal, Deutschland, England) und ihren Kolonialunternehmen in allen Bereichen der Gesellschaft vorangetrieben. Ruetes Schriften sind zugleich Zeugenschaft und Quelle des Rassismus, sowohl im globalen Süden als auch im globalen Norden. Sie beschreibt ihren privilegierten doch streng regulierten Status im patriarchalen Reich und erzählt von ihren Erfahrungen des Sexismus und der rassistisch motivierten Ausgrenzung. Gleichzeitig traf sie rassistische Aussagen und bediente sich erniedrigender Begriffe, um gegen die Befreiung versklavter Menschen zu argumentieren. Sie sagte aber auch, dass eine Beendigung der Versklavungsökonomie mehr als ein moralisches Urteil benötige: Nur eine allumfassende Veränderung der Gesellschaft könne die Arbeitsrechte und die Freiheit in der Gleichheit von Menschen sichern, um die illegale Fortsetzung von Versklavungsverhältnissen absolut zu verhindern. Die Schriftstellerin Ruete war eine subalterne Frau, d. h. eine Frau aus einem kolonialisierten Gebiet, die Rassismus in Hamburg erfuhr. Gleichzeitig war sie eine aristokratische nicht-weiße Frau, die Rassismus gegen Schwarze Menschen reproduzierte. Eine kritische Erinnerungskultur an die feministische Bedeutung Salmes/Ruetes Biografie erkennen diese Widersprüche an. Ihr Leichnam wurde nach Hamburg zurückgebracht und neben ihrem Mann auf dem Ohlsdorfer Friedhof beigesetzt. Text: Dr. Tania Mancheno

    Hedwig von Schlichting

    Erste Oberin im AK Eppendorf, Gründerin des Schwestern-Vereins der Allgemeinen Staatskrankenanstalten

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    29.10.1861
    Berlin

    14.11.1924
    Hamburg
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    Über die erste Oberin am Allgemeinen Krankenhaus Hamburg Eppendorf, Hedwig von Schlichting, eine Generalstochter, schrieben die Hamburger Nachrichten am 19.11.1924 in einem Nachruf: "Aus einem Geschlecht stammend, das zum Führen geboren war, wurde sie eine Führerin." Damit hatte so mancher Kollege und Vorgesetzte seine Schwierigkeiten, und Hedwig von Schlichting hatte deshalb im Laufe ihrer Dienstjahre viel auszuhalten. Mit 15 Jahren begann sie mit der Krankenpflegeausbildung am Berliner Augusta-Hospital. Als 28jährige wurde sie 1889 Oberin an der Chirurgischen Universitätsklinik Heidelberg. "Sie hatte ihre eigene Auffassung von ihrem Beruf, ihren festen Willen, ihr hohes Ziel; für andere war es oft nicht leicht," hieß es in der Trauerrede zu Hedwig von Schlichtings Begräbnis. Am 1. Juni 1894 ging Hedwig von Schlichting an das Neue Allgemeine Krankenhaus nach Hamburg - zunächst jedoch nur als "Hülfs-Inspektor", weil selbst auf der Frauenabteilung hauptsächlich Männer als Pfleger arbeiteten. Am 5.2.1895 wurde sie schließlich doch erste Oberin und sollte einen eigenständigen Schwesternverband aufbauen. Als Tochter eines bekannten Generals brachte sie die von der Krankenhausleitung für die neue Schwesterngeneration erwünschte herausgehobene soziale Stellung mit. Man glaubte, dass Frauen aus dem Bürgertum sich leichter in die Hierarchie und Organisationsstruktur eines Krankenhauses einfügten und die Entwicklung moderner Apparate und Medizin besser verständen als Pflegekräfte aus der Arbeiterschicht, die bis dato das Gros der Pflegekräfte gestellt hatten. Bis April 1895 waren die Vorbereitungen für einen unabhängigen Schwesternverein soweit fortgeschritten, dass er gegründet werden konnte. Anfang des Jahrhunderts kam es jedoch zu erheblichen Differenzen zwischen der Oberin Hedwig von Schlichting und dem Krankenhausdirektor Theodor Rumpf. Obwohl sie alle Entscheidungen mit Professor Rumpf abstimmen musste und kaum offiziellen Einfluss innerhalb des Allgemeinen Krankenhauses besaß, hatte ihr großes Durchsetzungsvermögen, was ihre Pläne und Vorstellungen hinsichtlich des Pflegepersonals betraf, ihren Chef nachhaltig verstört. Zum Eklat kam es, als Hedwig von Schlichting ihre Erica-Schwestern zum Dienst im Allgemeinen Krankenhaus St. Georg abordnete, obwohl Rumpf vorgehabt hatte, die Schwestern an anderer Stelle einzusetzen. Daraufhin versuchte Rumpf die Dienstinstruktion für Hedwig von Schlichting einzuschränken. Hedwig von Schlichting wurde jedoch vom Krankenhauskollegium in ihrer Funktionsausübung bestärkt, und so kam es, dass Direktor Rumpf am 1.4.1901 von seinem Amt zurücktrat. Noch in seinen Lebenserinnerungen klagte Theodor Rumpf: "Herr Senator Lappenberg bearbeitete die Mitglieder, so daß die ehemals ausgesprochene Machteinschränkung der Oberin zurückgenommen wurde. Dieser neue Beschluß war für mich eine Kränkung, die ich als unabhängiger Mann nicht ertragen wollte." () Theodor Rumpf: Lebenserinnerungen von Prof. Dr. Th. Rumpf. Bonn 1925.) Der Senat kam Theodor Rumps Entlassungsgesuch prompt nach, zumal schon ein Nachfolger in den Startlöchern stand. So kehrte der damals 50jährige nach Bonn zurück, wo er sich 1882 habilitiert hatte und wurde Honorarprofessor für Soziale Medizin und Chefarzt am Bruderkrankenhaus. Den Vorfall mit Hedwig von Schlichting vergaß er nie, er grub sich tief in seine gekränkte Seele ein. So machte Rumpf auch in seinen Lebenserinnerungen nicht davor halt, Frau von Schlichting zu verunglimpfen und sagte ihr nach: "Leider hatte sie von Jugendtorheiten und Neigungen nicht hinreichend Abschied genommen, woraus in der Folge unerfreuliche Konflikte entstanden. (...). Daß eine Oberin gelegentlich mit den Assistenzärzten kneipte, mit einem verheirateten Herrn der Gesellschaft ohne dessen Frau nach Paris reiste, auch sich wenig angemessen darüber äußerte, erschien mir für die Schwesternerziehung wenig passend." (ebenda.) Nachdem Theodor Rumpf Hamburg verlassen hatte, sollte er aber noch einmal mit Hedwig von Schlichting in Berührung kommen. Als er zu einer Sitzung nach Berlin in die Charite eingeladen worden war, um Tipps für eine neu einzurichtende Schwesternschaft nach dem Vorbild Hamburgs zu geben, wurde ihm die Frage gestellt, ob die Oberin Hedwig von Schlichting geeignet sei, einen Schwesternverein in der Charite zu gründen. Rumpf lobte anfangs geschickt die Oberin, um dann von den Vorfällen in Hamburg zu berichten. Nebenbei bemerkte er, dass Hedwig von Schlichting schließlich: "älter geworden und für Berlin keine Erfahrungen wie in Hamburg beständen". (ebenda.) Nach Rumpfs Ausführungen soll sich daraufhin der Verwaltungsdirektor der Charite erhoben und erklärt haben, er werde sein Amt niederlegen, wenn Fräulein von Schlichting zur Oberin des geplanten Schwesternverbandes ernannt würde. "Damit war diese Angelegenheit erledigt", (ebenda.) so Rumpf in seinen Erinnerungen. Auch in der Öffentlichkeit wurde der "Fall Rumpf/von Schlichting" diskutiert, und zwar besonders unter der Frage wie viel Eigenständigkeit eine Oberin haben dürfe? Am 2.3.1901 erschien in der Neuen Hamburger Zeitung dazu sogar ein Spottgedicht: Wer ans Neue Krankenhaus Kommt als neuer Leiter, Eine Lehre, fromm und brav. Merk sich in treuem Sinn: Erst kommt die Frau Oberin! Daß uns Rumpf verlassen will, Mögen wir beklagen, Aber kommen mußt`es so, Denn er konnt`es wagen Nicht zu beugen seinen Sinn. Oh! vor der Frau Oberin. Darum, wer an seine Stell` Wird als Leiter kommen, Halt sich stets das eine vor - Und es wird ihm frommen: Wenn ich zwar der Chef auch bin. Mein Chef ist die Oberin!“ Ein Jahr nach dem Eklat verließ auch Hedwig von Schlichting am 1.4.1902 das Krankenhaus Eppendorf. Dafür gab es mehrere Gründe: Zum einen die negative Kritik an Hedwig von Schlichtings Verhalten gegenüber dem ärztlichen Direktor des Allgemeinen Krankenhauses. Und zum anderen hatte sich im März 1902 ein Bürgerschaftsausschuss mit der Frage einer eventuellen Kompetenzüberschreitung von Seiten Hedwig von Schlichtings beschäftigt. Nach eingehender Beratung sprach der Ausschuss Hedwig von Schlichting zwar von allen Vorwürfen frei und lobte ihre Arbeit für den Schwesternverein, gleichzeitig gelangte er aber zu der Auffassung, dass die Ursache des Konfliktes in der Doppelfunktion der Oberin als Leiterin des Schwestern-Vereins und der Schwesternschule sowie als Oberin des Krankenhauses zu suchen sei. Deshalb wurde eine Trennung der Kompetenzbereiche beschlossen. Hedwig von Schlichting zog die Konsequenzen, ging und übernahm das Präsidium des Verbandes Deutscher Schwesternvereine. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Hedwig von Schlichtung neben Julie Eichholz (siehe zu ihr in der Rubrik: Frauen auf anderen Hamburger Friedhöfen, hier:; Hamburg-Nord, Jüdischer Friedhof Ilandkoppel) Vorstandsmitglied der von der bürgerlichen Frauenbewegung ins Leben gerufenen Stellenvermittlung für weibliches Hauspersonal. Text: Rita Bake Quellen: Vgl.: Hedwig von Schlichting: Der Schwesternverein der Hamburgischen Staatskrankenanstalten. In: Das Rothe Kreuz. Central Organ. Jg. XIX, Nr. 3. Berlin 1. Februar 1901. Vgl.: Ursula Weisser (Hrsg.): 100 Jahre Universitätskrankenhaus Eppendorf. Tübingen 1989.      

    Lavinia Schulz

    Maskentänzerin, Mode- und Kostümbildnerin, Entwicklung von eigenen Bühnentänzen (1920-1924), selbst entworfene Ganzkörpermasken

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    23.6.1896
    Lübben/Lausitz

    19.6.1924
    Hamburg
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    Besenbinderhof 5 (Wohnadresse) Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz 1 (künstlerischer Nachlass) Lavinia Schulz kam nach dem Ende des ersten Weltkriegs als Mitglied von Lothar Schreyers expressionistischer ‚Kampfbühne‘ nach Hamburg. Mit ihren Lebens- und Bühnenpartner Walter Holdt entwickelte sie zwischen 1920 und 1924, dem Jahr ihres Freitods, eigene Bühnentänze mit selbst entworfenen Ganzkörpermasken. Der heute im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe befindliche künstlerische Nachlass zeugt von einer in ihrer Art einzigartigen Bühnenkunst., Lavinia Schulz, Tochter von Lillie und Georg Schulz, einem Bankmitarbeiter, wuchs bis zu ihrer Übersiedlung nach Berlin im Jahr 1912 als behütetes Einzelkind in Lübben auf. ihre schulischen Leistungen waren aufgrund einer längeren Krankheit nicht besonders gut, einzig in musischen Fächern zeigte sie große Begabung. Sie lernte Geige und Klavier, erhielt Zeichen- und Ballettunterricht. Mit 16 Jahren zog sie allein nach Berlin, um ein Kunststudium zu beginnen, was durch akademische Zeichnungen im Nachlass belegt ist. 1916 fand Lavinia Schulz Kontakt zu der von Herwarth Walden geleiteten avantgardistischen Galerie ‚Der Sturm‘. Sie wurde Schülerin der angeschlossenen Kunstschule Der Sturm‘ und Mitglied der expressionistischen ‚Sturmbühne‘ unter der Leitung von Rudolf Blümner und Lothar Schreyer. An der ‚Sturmbühne‘ wurde Lavinia Schulz zunächst einige Semester in der besonderen Rezitationsform des ‚Klangsprechens‘ geschult, bevor sie am 26. Oktober 1918 in der ersten und einzigen Aufführung der ‚Sturmbühne‘ in Berlin auf der Bühne stand. In dem Drama ‚Sancta Susanna‘ des 1915 gefallenen ‚Sturm‘-Dichters August Stramm spielte sie – teils nackt – die Titelrolle. Die Aufführung endete in Tumulten, was Lothar Schreyer bewog, im ruhigeren Hamburg die ‚Kampfbühne‘ zu gründen. Lavinia Schulz folgte ihm 1919. Als weitere Mitarbeiter wurden u. a. die Hamburger Hannah Grothendieck, Max Billert und Max Olderock gewonnen, Ende 1919 kam Walter Holdt hinzu, mit dem Lavinia Schulz bald auch privat liiert war. Die ‚Kampfbühne‘ wurde zum Theater der Expressionisten in Hamburg Unter der Leitung von Schreyer entwickelte Lavinia Schulz Bühnenkostüme und Masken. Neben der Bühnenarbeit entwarf und nähte sie in der Werkstatt in ihrer Wohnung in der Lübecker Straße avantgardistische Mode und führte Aufträge für Bühnenkostüme aus. Am 2. Oktober 1919 fand in der Hamburger Kunsthochschule die Uraufführung der Dramen ‚Die Haidebraut‘ und ‚Kräfte‘ von August Stramm statt, in denen Lavinia Schulz Hauptrollen spielte. Zu Weihnachten 1919 wurde ein mittelalterliches ‚Krippenspiel‘ in der St. Katharinenkirche aufgeführt, in dem Lavinia Schulz und ihr späterer Bühnen- und Lebenspartner Walter Holdt gemeinsam auftraten. Nach exzentrischen Ausfällen des Paares während der Probearbeit wurde es Anfang 1920 von der ‚Kampfbühne‘ ausgeschlossen. Es folgten der Umzug in eine Souterrainwohnung am Besenbinderhof 5 und die heimliche Heirat. Lavinia Schulz entwarf nun Kostüme und Ganzkörpermasken, zu denen das Paar eigene teils grotesk-lustige, teils dramatische Tänze entwickelte Ähnlich wie ihr Lehrer Lothar Schreyer, der die Spielanweisungen für die Bühnenstücke der ‚Kampfbühne‘ in partiturartigen ‚Spielgängen‘ notierte, entwickelte auch Lavinia Schulz ein eigenes Notationssystem für ihre Tänze. Akribisch zeichnete sie die Bewegungen und Rhythmen in so genannten Tanzschriften auf. Im Mai 1921 veröffentlichte sie Auszüge aus der Tanzschrift für den Tanz ‚Mann und Tote Frau‘ in Form einer Holzschnittmappe. Zu Beginn des Jahres 1921 lernte das Paar bei einem Treffen des Künstlerstammtisches ‚Die Tafelrunde‘ den Komponisten und Pianisten Hans Heinz Stuckenschmidt kennen, der es fortan auf dem Klavier begleitete. Bis 1923, als Lavinia Schulz schwanger wurde, teilte das Paar mit Stuckenschmidt seine karge Wohnung, die tagsüber in einen Proben- und Arbeitsraum umgewandelt wurde. Im Dezember 1921 fand ein erster Solo-Abend im Museum für Kunst und Gewerbe statt. Zumeist bestritt Lavinia Schulz mit ihren Partnern Auftritte mit einzelnen Tanznummern im Rahmen von Veranstaltungen, etwa im Kabarettlokal ‚Die Jungfrau‘, auf den Künstlerfesten im Curio-Haus oder an den ‚Abenden der Tafelrunde‘. Gemeinsam mit Elsbeth Baack, für die Lavinia Schulz auch Bühnenkostüme entwarf, bestritten die Maskentänzer einen weiteren eigenen Tanz-Abend in den Hamburger Kammerspielen, die sich damals in direkter Nachbarschaft ihrer Wohnung am Besenbinderhof befanden. Neben zeitkritischen Stücken, die sich gegen die Industrialisierung richteten, gehörten Adaptionen nordischer Heldensagen sowie ‚Sturm‘-Dichtungen zu ihrem Repertoire. Die avantgardistische Ästhetik der Masken wurde unterstrichen durch die moderne, atonale Musikbegleitung und ihre Bewegungen, die vollständig mit dem klassischen Bühnentanz brachen. Zur Herstellung der phantasievollen Masken verwendete Lavinia Schulz aus ideologischen Gründen ausschließlich Abfallprodukte wie Sackleinen und Kisten. Die so entstandene Schwere und Starrheit der Masken war erwünscht und sollte die in ihnen möglichen Bewegungen beeinflussen. Der Vorsatz, die Tänze nicht gegen Bezahlung aufzuführen, brachte Lavinia Schulz und ihre Familie an den Rand des Hungertodes. Im Laufe des Jahres 1924 kam es zunehmend zu Spannungen zwischen der leidenschaftlichen Künstlerin und ihrem Partner Walter Holdt. Dieser zog sich aus dem Arbeitsprozess zurück. Lavinia Schulz sah ihr Lebenswerk gefährdet. Zeugen berichteten auch von Eifersuchtsdramen. Am 18. Juni 1924 erschoss Lavinia Schulz erst Walter Holdt im Schlaf und richtete dann die Waffe auf sich selbst. Sie starb am folgenden Tag im Krankenhaus St. Georg. Ihr damals einjähriger Sohn Hans Heinz blieb unversehrt und wuchs bei seinen Großeltern väterlicherseits in Hamburg und in Dänemark auf. Der künstlerische Nachlass bestehend aus 29 – teils unvollendeten – Masken und Kostümen, zahlreichen Tanzschriften, Skizzen, Modeentwürfen und Briefen, war nach einer Gedächtnisausstellung im Jahr 1925 im Museum für Kunst und Gewerbe geblieben. Auf dem Dachboden des Museums eingelagert und vergessen, wurden die Werke erst nach über 60 Jahren zufällig wiederentdeckt. Auf diese Weise überstanden die Masken auch die Säuberungsaktion ‚entartete Kunst‘, der sich das Museum für Kunst und Gewerbe im ‚Dritten Reich‘ ausgesetzt sah. Text: Athina Chadzis Abgedruckt mit ihrer freundlichen Genehmigung, aus: Athina Chadzis, in: Hamburgische Biografie. Hrsg. von Franklin Kopitzsch und Dirk Brietzke, Bd. 4, Hamburg 2008, S. 317-319.

    Ingrid Schulze-Sievers

    geb. Sievers

    Diplom-Volkswirtin

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    4.8.1918
    Königsberg

    15.12.1999
    Hamburg
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    5 Monate nach der Gründung des Akademikerinnenbunds Hamburg e.V. (ABH) im Februar 1948 wurde Ingrid Schulze-Sievers dessen Mitglied und war während ihrer 51jährigen Mitgliedschaft über 30 Jahre, davon 12 Jahre als erste Vorsitzende, für ihn, sowie auf internationaler Ebene (Federation of University Women, IFUW) tätig. 9 Jahre arbeitete sie im Finance Committee der IFUW. Sie machte den ABH über die Landesgrenzen hinaus bekannt, arbeitete mit am Aufbau der Studentenberatung der Universität Hamburg, die bundesweit zum Modell wurde, setzte sich als zweite Kuratoriumsvorsitzende der "Stiftung Hamburger Studentinnenheime" für Frauenfördermaßnahmen ein und war dem Landesfrauenrat Hamburg eng verbunden. Durch ihre Wirtschaftskenntnisse, Sprachbegabung und Eloquenz erreichte sie viele Menschen und sorgte so für ein lebendiges Verbandsleben. Ingrid Schulze-Sievers wurde mit der Medaille für treue Arbeit im Dienste des Volkes ausgezeichnet.

    Elisabeth Eleonore Christiane Auguste Ida Mathilde Seifahrt

    Volksschullehrerin, Bürgerschaftsabgeordnete der DDP und stellvertretende Bundesvorsitzende des Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenvereins

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    2.9.1860
    Homberghausen bei Homberg

    17.1.1933
    Hamburg
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    Elisabeth Seifahrt wurde auf Gut Homberghausen bei Homberg geboren. Ihr Vater war Landwirt. Als sie fünf Jahre alt war, kam sie mit ihren Eltern und ihrer jüngeren Schwester Bertha (geb. 1863) nach Hamburg und besuchte eine Privatschule, dann von 1877 bis 1879 die Präparandinnen-Anstalt und 1879/80 das staatliche Lehrerinnenseminar in Hamburg. Im Alter von 20 Jahren begann sie am 1. April 1880 ihre Tätigkeit als Volksschullehrerin.
    Fünf Jahre später wurde Elisabeth Seifahrt von der Oberschulbehörde als Volksschullehrerin fest angestellt und arbeitete in dieser Position bis zu ihrer Pensionierung im Jahre 1924. Elisabeth Seifahrt heiratete nicht, eine Heirat hätte auch die Entlassung aus dem Staatsdienst bedeutet. Sie lebte mit ihrer Schwester, auch eine Lehrerin, die sich ebenfalls 1924 hatte pensionieren lassen, in der Schröderstiftstraße 20 im Stadtteil Rotherbaum.
    Neben ihrer Tätigkeit als Lehrerin war Elisabeth Seifahrt ständepolitisch tätig. So war sie 1894 eine der Gründerinnen des Vereins Hamburger Volksschullehrerinnen, dessen Vorsitzende sie bis 1924 war. Gleichzeitig war sie von 1921 bis 1927 stellvertretende Bundesvorsitzende des Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenvereins (ADLV) und von 1921 bis 1926 Erste Vorsitzende im Landesverband Hamburger Lehrerinnenvereine. Sie arbeitete in der staatlichen Kommission für Leibesübungen mit, war Mitglied fast aller Schulausschüsse, engagierte sich für die Gestaltung des modernen Hamburger Schulwesens und half bei der Verstaatlichung einer Reihe höherer Mädchenschulen (Bergedorf, Cuxhaven, Emilie-Wüstenfeld-Schule) mit.
    Auf sozialem und frauenpolitischem Gebiet engagierte sie sich im Vorstand der Sozialen Hilfsgruppen, eines 1900 gegründeten Zweigvereins der Hamburger Ortsgruppe des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF), dem sie von 1906 bis 1919 angehörte.
    Darüber hinaus arbeitete sie auch parteipolitisch. Von 1919 bis 1927 war sie für die DDP-Fraktion Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft und damit die erste Frau, die diese Partei in die Bürgerschaft geschickt hatte. Elisabeth Seifahrt kam auf den aussichtsreichen Listenplatz 18, denn 33 Mitglieder der DDP wurden in die Bürgerschaft gewählt. In der Bürgerschaft beschäftigte sich Elisabeth Seifahrt hauptsächlich mit Erziehungs- und Bildungsfragen. 1927 ließ sie sich nicht wieder für die Bürgerschaftswahl aufstellen.
    Als Elisabeth Seifahrt sechs Jahre später starb, sprach auch die Oberschulrätin Dr. Emmy Beckmann auf der Trauerfeier.
    2007 beschloss der Ortsausschuss Fuhlsbüttel, dass in dem neuen Wohngebiet in Klein Borstel , welches neben dem Ohlsdorfer Friedhof entsteht, Straßen nach Frauen benannt werden sollen, die auf dem Ohlsdorfer Friedhof bestattet wurden. Als Quelle hierzu wurde das Buch von Rita Bake und Brita Reimers "Stadt der toten Frauen" genommen. So wurde auch nach Elisabeth Seifahrt eine Straße benannt: Elisabeth-Seifahrt-Weg.

    Claudine Staack - Dora Staack

    Schriftstellerinnen

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    30.1.1859
    Süderheistedt

    12.4.1911
    Hamburg
    9.11.1855
    Krumstedt/Meldorf

    1.1.1911
    Hamburg
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    Die Schwestern Dora und Claudine wuchsen an verschiedenen Orten Dithmarschens und der norddeutschen Provinz auf: Der Vater baute Straßen und Eisenbahnen, die Familie zog mit. Statt einer Berufsausbildung bekamen die Töchter offenbar viel Kultur und Bildung vermittelt. Claudine - später auch als Malerin aktiv - verbrachte sogar eine Zeit in Paris. Geheiratet haben beide nicht. Mit 40 Jahren, 1895, begann Dora zu schreiben und gewann im Folgejahr das literarische Preisausschreiben der Neuen Hamburger Zeitung. Und bald erschloss sie sich mit Erzählungen und Novellen auch zu anderen zeitgenössischen Blättern Zugang, lieferte Essays und Buchkritiken. Das bescheidene Zeilengeld musste schließlich den Fortfall der bisherigen wirtschaftlichen Basis ausgleichen - nach dem Tod des Vaters waren Dora und Claudine auf sich allein gestellt. Schreiben, um zu überleben: das vornehme und gebildete Hamburg las zwar die Geschichten, wusste aber nichts von den beiden Frauen, die in großer materieller Enge in einer kleinen Eppendorfer Miet-wohnung [Gosslerstraße 80, heute: Geschwister-Scholl-Straße] ihr Dasein fristeten. In ihren Texten - Claudine fing erst 1905 zu schreiben an - entwarfen sie sorglose Menschen, projizierten ihre Träume auf Frauen, die in der Provinz auslebten, was ihnen verwehr war: sich verlieben, glücklich sein, Geborgenheit finden. Doras Novellen, urteilte ein zeitgenössischer Kritiker, waren lyrisch, Claudine erzählte dramatischer. 1906 vermittelte der Schriftsteller Timm Kröger ihnen einen Verlag: "Melodien der Liebe" nannte Dora ihre Sammlung, Claudines Buch hieß "Gewitter". Kröger schrieb für beide ein gleichlautendes Vorwort, passend zur symbiotischen Lebensweise der unzertrennlichen Schwestern. Die Bücher blieben erfolglos, die Not wuchs. Das Schreiben, so kann man vermuten, wurde zum letzten Draht in die Welt, ermöglichte Kontakt mit Redaktionen, mit Literaten. Tiefe Bescheidenheit, Hingabe, Pflege der Kultur - ja, so sollten Frauen im späten Kaiserreich sein, wenn sie schon keine Kinder in die Welt setzten und einem Mann den Haushalt führten. Die Schwestern spielten diese Rolle richtig: nur, die seltenen, zufälligen Besucher erfuhren von ihrer Not. Und so wäre es vermutlich noch lange weitergegangen; die Schwestern hätten sich mit immer größerer Bescheidenheit auf immer dürftigere Existenzbedingungen eingestellt, hätte nicht ein Unfall das Ende herbeigeführt. Am 22. Dezember 1910 werden beide von einem Auto erfasst, als sie auf dem Gänsemarkt zur Straßenbahn rennen. Dora - die lebenstüchtigere - stirbt am 1. Januar 1911; Claudine - ohne die ältere Schwester völlig mutlos - öffnet sich wenige Wochen später die Pulsadern, wird aber noch rechtzeitig gefunden. Kaum aus dem Krankenhaus entlassen, erschießt sie sich am 12. April 1911. Nach ihrem Tod widerfuhr den Staack-Schwestern, was mit vielen Autorinnen passiert, die nicht viel von sich reden gemacht haben - sie gerieten in Vergessenheit. Schon die wenigen Nachrufe auf Claudine und Dora Staack waren voller Irrtümer; wenn ein Nachschlagewerk sie berücksichtigte, stand viel Falsches darin. Aber zumeist ignoriert man sie völlig. Text: Kay Dohnke, veröffentlicht in der taz vom 4.3.2000.

    Erna Stahl

    Reformpädagogin und Schulleiterin

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    15.2.1900
    Hamburg

    13.6.1980
    Hamburg
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    Erna Stahl kam aus einer musischen Familie. Ihr Vater war Inhaber einer Konzertagentur, ihre Mutter, eine Wienerin aus dem Arbeitermilieu, hatte vor ihrer Heirat zeitweise als Musikerin gearbeitet. Die musikalische Welt der Mutter faszinierte die Tochter: „Im Hause gingen Sänger, Schauspieler, also Künstler, ein und aus. Diese Welt konnte nicht ohne Wirkung bleiben, zumal sie früh schon in die Volksoper mitgenommen wurde, dort die Räume durchstöberte und auf den Schnürboden kletterte. Theaterluft war Erna Stahls Lebensluft von Kindesbeinen an, zeitlebens - wie ihr Wien - stets zweite Heimat war. Beides vereinte sich auch: Die Freude am Theater und die Liebe zu Wien im Wiener Theater, das ihr durch eine persönliche Freundschaft in höherem Alter noch besonders nahe rückte“ 1), heißt es in einem Nachruf, aus dem im folgenden ausführlich zitiert werden soll, weil er auf eine sehr persönliche Art Erna Stahls Werdegang schildert und dabei auf einige ihrer Vorlieben hinweist: „Mit 6 Jahren musste eine Schule besucht werden. Die Eltern gaben ihr Kind zu Anna Krauth, einer sehr guten Privatschule. Als die Schulanfängerin, die noch nicht lesen und schreiben konnte, der Leiterin vorgestellt wurde, überraschte sie die Anwesenden mit der Frage: ‘Wo hast du deine Bibliothek?’ Bücher strahlten für Erna Stahl auch in ihrem weiteren Leben eine Faszination aus. Mit welcher Hingabe sie ab 1954 zwei Büchereien aufbaute, ist unbeschreibbar: die meisten Bücher las sie vorher selbst, auch – und das tat sie mit Begeisterung – die Kinderbücher. Eine Ausleihe erfolgte fast immer nur in ihrer Gegenwart; ‚pfleglichste Behandlung’ (ein oft aus ihrem Mund gehörtes Wort) musste gewährleistet sein. Die Schulanfängerin, die voll Neugierde nach der ‚Bibliothek’ fragte, weil man Büchern Schönes, Wunderbares entnehmen konnte, zeigte im Grunde die Seelenhaltung, die wir auch im hohen Alter noch finden. Bibliotheken blieben für Erna Stahl geistige Zentren. Von denen Leben ausging, höheres Leben. In der Privatschule Anna Krauth blieb Erna Stahl 10 Jahre. Dass ihre frühe Eigenwilligkeit und sehr große Selbstständigkeit hin und wieder in der Schule zu Auseinandersetzungen führt, erscheint nur zu verständlich. Kurz vor dem Abschluss der 10.Klasse, dem so genannten Einjährigen, erzählt ihr eine Schulfreundin, dass sie 2 Tage nicht zur Schule käme. Sie hätte frei, um eine Aufnahmeprüfung im Lehrerseminar zu machen. Das junge Mädchen Erna Stahl geht mit, ohne Anmeldung, macht auch die Prüfung. Die Freundin fällt durch, Erna Stahl besteht und öffnet sich damit das Tor zum Lehrerberuf. Das Lehrerseminar hat Erna Stahl nicht abgeschlossen. Schon bald sieht man sie an der Universität Gastvorlesungen hören. Zu einem richtigen Universitätsstudium bedurfte es aber des Abiturs, das sie 1925 nach dem Besuch der Helene-Lange-Schule ablegte. Viele Einflüsse werden in dieser Zeit die kunst-, musik-, dichtungs- und Theater liebende junge Dame berührt haben. Geistig früh unabhängig musste sie aber um ihre materielle Selbstständigkeit sehr kämpfen, denn eine Unterstützung konnte ihr das Elternhaus nicht geben. Erna Stahl verdiente ihren Lebensunterhalt selbst, durch Unterricht oder aber, was sehr häufig geschah, sie spielte zum Tanz auf bei Freunden, in Gesellschaften oder bei Veranstaltungen. Ganz besonders gerne gab sie auch Kurse für Arbeiter in Deutsch und Geschichte an der Privatpresse Jessel. Sie erledigte ein ungeheures Arbeitspensum. Wir hören davon, dass Erna Stahl bis unmittelbar vor dem Staatsexamen neben ihrem Studium bis zu 40 Wochenstunden unterrichtet hat“ 1). 1928 begann sie an der Hamburger Lichtwark-Schule zu unterrichten. Diese Schule war keine klassische Lehranstalt, sondern eine Modellschule der Reformpädagogik. Diese Schule - ein Kurt-Schumacher-Bau am Rande des Stadtparks (dieser Platz war ausdrücklich wegen seiner Nähe zur Natur gewählt worden) - beschritt ungewöhnliche Wege. Mädchen und Jungen erhielten gemeinsamen Unterricht, den musischen Fächern wurde breiter Raum gewährt. Es wurde Englisch und Französisch gelehrt und ein Kurssystem eingeführt, um unterschiedlichen Begabungen und Neigungen entsprechen zu können. Schülerinnen und Schüler bekamen ein Mitbestimmungsrecht, es gab einen Schülerinnen- und Schülerrat und eine Schulzeitung. Die bis dahin übliche autoritär geführte Schulleitung wurde abgelöst, und es bildete sich eine Zusammenarbeit zwischen Schülern, Schülerinnen, Eltern, Lehrerinnen und Lehrern. Zum ersten Mal standen Klassenreisen auf dem Schulplan. Leistungssport oder vormilitärische Ausbildung waren verpönt, stattdessen standen spielerisches Miteinander auf der Grundlage von Fairness und Toleranz im Mittelpunkt. Trotzdem wurde auf Disziplin und Leistungsbereitschaft nicht verzichtet. [Ergänzung von Rita Bake: Eine ihrer Schülerinnen war traute Lafrenz, die in der NS-Zeit am Widerstand gegen den Nationalsozialismus beteiligt war, siehe ihr Portrait unter www.gdw-berlin.de/vertiefung/biografien/personenverzeichnis/biografie/view-bio/traute-lafrenz/] Kein Wunder, dass die Schule mit diesem Konzept den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge war. 1933 wurde der Schuldirektor, Heinrich Landahl, entlassen. Man ersetzte ihn durch einen Nationalsozialisten und hob 1937 auch die Koedukation auf. Von dem Konzept der Lichtwark-Schule blieb nichts mehr übrig. 1935 wurde auch Erna Stahl entlassen. Sie hatte sich mutig den „neuen Kräften“ entgegengestellt. Nationalsozialistische Ideen fanden in ihrem Unterricht keinen Platz. Den Hitlergruß in der Schule lehnte sie ab und las in ihrer Wohnung mit ihren Schülerinnen und Schülern die „verbotene Literatur“. Auf diesen Leseabenden machte sie ihre Schüler und Schülerinnen bekannt mit Werken verbotener Dichter und Schriftsteller wie Werfel, Hofmannsthal, Georg Kaiser und Thomas Mann und stellte auch die Malerei des Expressionismus vor, wies auf Werke vom Marc, Kandinsky und Münter hin. Erna Stahl wurde an das Alstertalgymnasium strafversetzt und musste in der Klasse von Hilde Ahlgrimm, die Biologie, Mathematik und Chemie gab, den Deutsch-, Geschichts- und Religionsunterricht übernehmen. Was zunächst in einem negativen Licht erschien, erwies sich als Glücksfall, denn „damit beginnt nicht nur fachlich eine überaus glückliche Ergänzung zweier Menschen, sondern es entwickelte sich auch eine Lebensfreundschaft. ‚In herzlichster Verbundenheit über viele Jahre schönster und reichster Arbeit’ – ein von Erna Stahl in anderem Zusammenhang geprägtes Wort – wirkten sie gemeinsam, durchstanden die Freundinnen jene Zeiten der Not, erlebten dann aber auch Augenblicke höchster Freude.“¹ Gelegentlich unterschrieben die beiden Freundinnen ihre gemeinsamen Briefe mit „Stahlgrimm“. Aber auch am Alstertalgymnasium hielt sich Erna Stahl nicht streng an den von den Nationalsozialisten vorgeschriebenen Lehrplan. Das führte soweit, dass der Schulleiter eines Tages zu Frau Ahlgrimm sagte, Frau Stahl möge sich im Geschichtsunterricht mehr am Treitschke als an Ranke orientieren. An vielen Abenden trafen sich Erna Stahls ehemalige Schülerinnen und Schüler der Lichtwark-Schule weiterhin bei ihrer alten Lehrerin. Die Jugendlichen kamen hauptsächlich aus fortschrittlichen, antifaschistischen Elternhäusern. Unter ihnen waren auch Heinz Kucharski und seine Freundin Margaretha Rothe (siehe: Erinnerunrgsstein in der Erinnerungsspirale im Garten der Frauen), die einen Widerstandskreis bildeten, der nach dem Krieg als Hamburger Zweig der Widerstandgruppe „Weiße Rose“ bezeichnet wurde. Als die Bespitzelungen durch die Nazis immer schärfer wurden, stellte Erna Stahl ihre Leseabende ein. Dennoch wurde sie am 4.12.1943 verhaftet, nachdem einige Monate zuvor bereits vier Mitglieder der Hamburger „Weißen Rose“ verhaftet worden waren – darunter Heinz Kucharski und Margaretha Rothe. Erna Stahl wurde des „Hochverrats“ beschuldigt, sie hätte in „staatsfeindlichem Sinne“ die ihr anvertrauten Jugendlichen verführt und für ihre Anschauungen missbraucht. „Erna Stahl erhält Einzelhaft. Bis Oktober 1944, d. h. mehr als 10 Monate verbringt sie in ihrer Zelle in Hamburg-Fuhlsbüttel – ohne Buch, ohne Schreibwerkzeug, ohne Papier, isoliert, allein gelassen“ 1). Ein langer Leidensweg durch mehrere Gefängnisse begann. Zunächst kam sie nach Cottbus: „Anfang Januar 1945 konnte Frau Ahlgrimm dort die Freundin noch besuchen. Dann brachen die Fronten. Über Berlin und Leipzig wurde Erna Stahl nach Bayreuth verlegt. Erna Stahl verlor in diesen Wochen in Bayreuth die Sprache, sie konnte keinen Satz mehr herausbringen, das Wort, das von ihr überaus geliebte Wort, versagte sich ihr. Man brauchte aber ihre Aussage, man musste ein Geständnis haben. Deswegen, und nur deswegen erhielt sie Schreibwerkzeug und Papier. Nun aber brach es aus ihr heraus. 20 Seiten schrieb sie, 20 Seiten Anklage, ihre große Anklage gegen den derzeitigen Verbrecherstaat und die nationalsozialistischen Machthaber. Doch damit hatte sie selbst ihre Verurteilung heraufbeschworen. Der Anwalt telefonierte nach Hoffnung machen. Doch die Kriegsereignisse nahmen einen stürmischen Verlauf. Von Berlin aus setzte sich am 12. April 1945 der Volksgerichtshof nach Bayreuth ab. Aber am 15.April 1945 besetzten - von Westen kommend - die Amerikaner die Stadt. Die Freiheit war wieder gewonnen“1). Nach der Befreiung nahm Erna Stahl ihre Tätigkeit als Lehrerin wieder auf. Mit ihrer Freundin übernahm sie die Leitung der Oberschule für Mädchen im Alstertal. Da Schulbücher fehlten, schrieb Erna Stahl ein Lesebuch für den Deutschunterricht mit dem Titel „Im Kreislauf des Jahres“, das 1947 erschien. Erna Stahl stellte auch einen Antrag auf Koedukation an ihrer Schule. Sie musste lange darum kämpfen - aber 1949 war es soweit. Als man ihr anbot, die Lichtwark-Schule neu zu eröffnen, lehnte sie ab, ebenso das Angebot, die Odenwaldschule zu leiten. Ihr schwebte inzwischen ein anderes, ein eigenes Schulmodell vor, das u. a. Elemente der Lichtwark-Schule mit denen der Waldorfschule verbanden. Nach vier Jahren erhielt Erna Stahl 1950 endlich grünes Licht für ihren pädagogischen Modellversuch. Diesen begann sie im Albert-Schweitzer Gymnasium mit zwei Klassen, die nach dem zehnten Schuljahr ihren Abschluss machten. 1954 konnte Erna Stahl dann die erste Gesamtschule Hamburgs, die Albert-Schweitzer-Schule gründen, die bis zum Abschluss der zehnten Klasse führte. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen in der Zeit des Nationalsozialismus nahmen Erna Stahls pädagogische Ideen eine neue Wendung, die sie in ihrer Gesamtschule verwirklichen wollte. Die Reformpädagogik der Weimarer Zeit hatte zwar viele Neuerungen gebracht, sie hatte aber nicht vermocht, junge Menschen im Denken und Handeln so zu leiten, dass „sie später der politischen Verführung aktiv begegnen“ konnten. Deshalb plädierte Erna Stahl für folgenden pädagogischen Versuch: „Versuchen wir das im Kinde anzusprechen, was ewig und unzerstörbar ist, binden wir es damit – ohne viel davon zu reden – an eine höhere Welt. Es ist die einzige Bindung, aus der alles rechte Maß, alle rechte Kraft, alle rechte Liebe und alle rechte Freiheit fließt. Wer dieses Maß hat, oder doch als Ziel anstrebt, kann überall – ganz gleich in welchem Beruf, in welcher Partei, in welcher Konfession er einmal stehen will und wird, ein ganzer Mensch sein. Dazu sollten wir erziehen – nicht zum Beruf, nicht zu weltanschaulicher oder politischer Verfestigung. Welcher Art auch immer“1). Erna Stahls Erziehung war eine Erziehung ohne Auslese – vom Straßenfeger bis zum Staatslenker – sagt sie. In den ersten Schulklassen wurden keine Noten erteilt. Dies sollte die Individualität stärken. Von der ersten Klasse an fanden die musischen Fächer besondere Betonung. Ein anderer Schwerpunkt war der Weg nach außen, hin zu den anderen Völkern. So wurde z.B. Englisch schon ab der ersten Klasse, Französisch ab der fünften Klasse unterrichtet. Erna Stahl stellte sich gegen den „hochgezüchteten Intellekt“ der so genannten „wissenschaftlichen Oberschule“, die die seelische Entwicklung der Kinder vernachlässige. In ihrer Schule sollte der Mensch im Mittelpunkt stehen und jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten gefördert werden. Natürlich war es selbstverständlich, dass Mädchen und Jungen gemeinsam unterrichtet wurden. In der Wirtschaftswunderzeit wuchs bei Erna Stahl die Sorge „vor einer heraufkommenden Bildungspolitik, die alles streicht, was nicht unmittelbar das Rädchen Kind zu einem funktionierenden Rad in der Industriegesellschaft präpariert“. Der übersteigerte Leistungswahn erschien Erna Stahl als Bedrohung des Kindes und der Zukunft überhaupt. Welchen großen Einfluss Erna Stahl auf ihre Schülerinnen und Schüler hatte, wird aus der Ansprache eines ehemaligen Schülers deutlich, die er anlässlich des Todes seiner Lehrerin hielt. „Ich war von 1949 bis 1953 ihr Schüler und habe sie in dieser Zeit kennen gelernt als eine energische, achtungsgebietende Persönlichkeit, die genau wusste, was sie wollte, und die uns, ihre Schüler, bis ins Tiefste geformt hat. Sie erzählte einmal von ihrer Begegnung mit Cosima Wagner in Bayreuth; wie sie vor ihr saß voller Verehrung und Hochachtung und Scheu, nur auf einer Ecke des Stuhles, die Tasse klirrte in ihrer Hand. Ich glaube, viele von uns, Schüler und wohl auch Lehrer, haben im Geist manchmal ebenso vor ihr gesessen ‚nur auf einer Ecke des Stuhles! Sie erwartete von uns Disziplin, Selbstdisziplin, so wie von sich selbst. Die katholischen Ordensfrauen waren ihr Vorbild, die noch im heißesten Sommer, ohne sich etwas anmerken zu lassen, ihre Tracht trugen. Sie konnte faszinierend erzählen. Sie hat uns Goethe erzählend nahe gebracht. Wenn sie erzählte, ging es mit ihr ‚durch’; dann überhörte sie auch jedes Pausenzeichen. Und als wir uns einmal darüber beschwerten, gab sie uns in der nächsten Stunde dadurch eine Antwort, dass sie beim ersten Ertönen der Schulglocke, mitten im Wort abbrach und wortlos den Klassenraum verließ. Wir haben auch noch eine andere Seite ihres Wesens kennen gelernt: Ihr Vermögen, sich in andere Menschen einzufühlen. Ich denke an den ersten Tag unseres schriftlichen Abiturs. Wir saßen jeder an einem Tisch im Zeichensaal der Schule am Erdkampsweg. Und für jeden hatte sie ein kleine Vase gekauft- für die Mädchen eine weiße, für die Jungen eine braune – und uns ein paar Blumen auf den Tisch gestellt. Welch ein Zeichen an solch einem Tag! Dann öffnete sie den noch amtlich verschlossenen Umschlag mit den Abituraufsatzthemen, las und nickte zufrieden. Sie hatte sich jeden von uns 18 vorgestellt und dann die drei geforderten Themen für die Aufsätze so gewählt, dass jedem von uns eines wie auf den Leib geschrieben sein musste – und wir hatten dann auch jeder ‚unser’ Thema gewählt, wie sie uns hinterher sagte. Aber sie hatte der Schulbehörde doch Themen angeben müssen, wovon eines von der Schulbehörde gestrichen wurde! Ja, sagte sie später lächelnd, das vierte hatte ich so formuliert, dass dieses Thema ganz gewiss gestrichen werden musste. Und so war’s denn auch geschehen. Sie war kein bequemer Mensch. Sie hatte ihre Ecken und Kanten. Sie hat es sich und den Menschen, die mit ihr zu tun hatten, manches Mal nicht leicht gemacht. Sie ist oft gegen den Strom und die Zeit geschwommen. Sie hat uns gelehrt, dass der Funke nur von Mensch zu Mensch im persönlichen Gegenüber überspringt; dass die modernen Medien dieses Überspringen des Funkens eher verhindern als fördern. Sie hat, auch nach ihrer Pensionierung, sich sehr engagiert und kritisch mit dem literarischen und politischen – und schulpolitischen – Geschehen auseinandergesetzt und sehr klar und unmissverständlich ihr Meinung gesagt und geschrieben. Nicht immer zur Freude ihrer Adressaten“1). Im März 1965 legte Erna Stahl die Schulleitung nieder. Zum Ende ihrer Abschiedsfeier stand Erna Stahl mit ihrer Freundin Frau Ahlgrimm auf, hielt dann jedoch einen Augenblick inne und, so heißt es in einem auf sie gehaltenen Nachruf: „wandte sich um und die Hand leicht erhebend rief sie ‚Singt mir noch einmal zum Schluss, Viele verachten die edle Musik’. Festen Schrittes durcheilte sie den Raum, verharrte aber kurz vor dem Ausgang noch einmal, hob den Kopf und sprach in den Gesang: ‚Vergesst die Kinder nicht.’ Nur wenige haben den Ruf vernommen!“ 1) 2007 beschloss der Ortsausschuss Fuhlsbüttel, dass in dem neuen Wohngebiet in Klein Borstel , welches neben dem Ohlsdorfer Friedhof entsteht, Straßen nach Frauen benannt werden sollen, die auf dem Ohlsdorfer Friedhof bestattet wurden. Als Quelle hierzu wurde das Buch von Rita Bake und Brita Reimers „Stadt der toten Frauen“ genommen. So wurde auch nach Erna Stahl eine Straße benannt:  ERna-Stahl-Ring. Text: Kirsten Leppert Zitate: [1] zwei Ansprachen bei der Trauerfeier für Erna Stahl am 27. Juni 1980. (Unveröffentlichtes Manuskript) Vgl.: Albert-Schweitzer-Schule Hamburg 1950-1975. Festschrift zum fünfundzwanzigjährigen Bestehen. Vgl.: Angela Bottin: Katalog zur Ausstellung „Enge Zeit“ im Auditorium Maximum der Universität Hamburg vom 23. Februar bis 4. April 1991. Vgl: Heinrich Christian Meyer (Hrsg.): Die Lichtwarkschule. Selbstverlag 1975. Vgl.: Erna Stahl (Hrsg.): Jugend im Schatten von Gestern. Aufsätze Jugendlicher zur Zeit. Hamburg 1948. Vgl.: Erna Stahl: Ansprache anlässlich des Besuches von Albert Schweitzer in Hamburg. Unveröffentlichtes Manuskript 1959.      

    Helma Steinbach

    Gewerkschaftsfunktionärin

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    1.12.1847
    Hamburg

    7.7.1918
    Glünsing/Lauenburg
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    Im Hamburger Stadtteil Horn befindet sich seit 1929 der Helma-Steinbach-Weg, eine kleine Straße in einer unscheinbaren Arbeitersiedlung. Am Haus Nr. 1, versteckt hinter Sträuchern, ist ein Schild angebracht: Mitbegründerin der Hamburger „Produktion“, einer gewerkschaftsnahen Konsumgenossenschaft, gegründet um die Jahrhundertwende. Die Schneiderin Helma Steinbach war die einzige Frau unter den Gründungsmitgliedern. Auch in der Gewerkschaft und der Sozialdemokratischen Partei setzte sie sich für die Interessen der Arbeiter und besonders der Arbeiterinnen ein. Sie war eine beliebte Rednerin, leidenschaftlich und resolut und arbeitete mit so berühmten Personen wie Emma Ihrer, Clara Zetkin, Luise Zietz, Carl Legien und Adolf von Elm zusammen. Wilhelmine Franziska, genannt Helma, wurde am 1. Dezember 1847 als Tochter der verarmten Hamburger Kaufmannsfamilie Steiner geboren. Da die Familie, um nicht aus bürgerlichen Kreisen ausgeschlossen zu werden, den wirtschaftlichen Bankrott vor der Gesellschaft möglichst verbergen wollte, wuchs Helma unter großen Opfern und Entbehrungen auf. Eine vermutlich aus finanziellen Gründen geschlossene Ehe verlief unglücklich, und schon nach kurzer Zeit ließ Helma Steinbach sich scheiden - ein für damalige Zeit sehr mutiger Schritt. Wie die meisten bürgerlichen Mädchen ihrer Zeit hatte auch Helma Steinbach eine Erziehung in Haushaltsführung und Handarbeit erhalten, konnte rechnen, lesen und schreiben. Daher war sie nach ihrer Scheidung in der Lage, sich als Wirtschafterin, Näherin, Schneiderin, Plätterin (Bügelfrau) und Vorleserin ihren Lebensunterhalt in harter Arbeit selbst zu verdienen. In vielen Werkstätten ließen sich Arbeiter und Arbeiterinnen, um sich politisch zu bilden, von einer Kollegin oder einem Kollegen, deren/dessen Arbeit sie in der Zwischenzeit mit übernahmen, aus Büchern und Zeitungen vorlesen. Bei dieser Tätigkeit lernte Helma Steinbach Anfang der 1980er-Jahre den aus dem Exil in den USA zurückgekehrten Zigarrensortierer Adolf von Elm (1857-1916) kennen, der später als Gewerkschaftsführer, sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter (1894-1907) und Mitbegründer der Genossenschaft Produktion und der Versicherungsgesellschaft Volksfürsorge bekannt werden sollte. Mehr als 30 Jahre einte diese beiden ungewöhnlichen Menschen eine seltene Freundschaft, konnten sie sich gegenseitig in ihrer Arbeit unterstützen und in ihrem Denken beflügeln. Helma Steinbach wurde immer mehr politisiert und erkannte bald die Notwendigkeit, dass sich Arbeiterinnen in Berufsfachvereinen zusammenschließen müssten, wenn sie bessere Arbeitsbedingungen erreichen wollten. Besonders in der Textilbranche, speziell der Heimarbeit, waren die Arbeitsbedingungen durch besonders lange Arbeitszeiten und extrem niedrige Löhne gekennzeichnet. Frauenlöhne lagen oft unterhalb des Existenzminimums. Besonders aktiv wurde Helma Steinbach im Verein der Hand-, Weiß- und Maschinennäherinnen Hamburgs, einem 1887 gegründeten Fachverein, der aus dem 1885 gegründeten Verein für Vertretung der gewerblichen Interessen der Frauen und Mädchen Hamburgs (mit 150 Mitgliedern) hervorgegangen war. Dort wurden die Arbeiterinnen nicht nur in ihren gewerblichen Interessen unterstützt, es fand auch Aufklärungs- und Erziehungsarbeit im Sinne der Sozialdemokratie statt. Zwischen den beiden Vereinen und unter den Frauen kam es jedoch schon bald zu Streitigkeiten. Ein Grund hierfür liegt wohl darin, dass die Frauen erst in einem mühsamen Prozess lernen mussten, ein weibliches Politikverständnis zu entwickeln. Helma Steinbach bekam Schwierigkeiten mit den Genossinnen wegen ihres „unweiblichen" Auftretens und wurde bereits 1888 wegen „Eigenmächtigkeit" aus dem Verein ausgeschlossen. Sie ließ sich jedoch nicht entmutigen und gründete im Februar 1890 den Zentralverein der Plätterinnen. Der Plätterinnenverein besaß einschließlich der Zweigstellen in Winterhude und Eimsbüttel an die 1.000 Mitglieder. Die Polizei versuchte zu verhindern, dass Helma Steinbach, die als gelernte Näherin kein Mitglied des Vereins sein konnte, dort eine Ansprache hielt. Aber der Polizeischreiber Rosalowsky musste feststellen, dass sie „am 15. April ihren Platz in der Versammlung wieder einnahm und als einzige Rednerin auftrat". Auch Adolf von Elm hielt im Plätterinnenverein eine Rede. Zwar konnten einige Arbeiterinnenvereine im Laufe der Jahre einige Verbesserungen der konkreten Arbeitsbedingungen für Fabrikarbeiterinnen erreichen, hatten jedoch weniger Einflussmöglichkeiten auf die Sozialdemokratische Partei als die Fachvereine der Männer. Obwohl damals ein Drittel der Erwerbsarbeit von Frauen geleistet wurde, waren zahlenmäßig viel weniger Arbeiterinnen in Vereinen organisiert. Dies lag zum einen an der miserablen Finanzlage der Frauen, die sich selbst geringe Beitragszahlungen einfach nicht leisten konnten. Andererseits definierten sich damals nur wenige Arbeiterinnen über ihren Beruf und hatten daher wenig Interesse, einem Fachverein beizutreten. Außerdem ließ die Doppel- und Dreifachbelastung durch Haushaltsführung und Kindererziehung vielen keine Zeit für Vereinstätigkeit. Auch politisch aktive Frauen gab es nur wenige. Das hatte u. a. auch seinen Grund darin, dass mit Ausnahme von Hamburg und Bremen Frauen wegen des bis 1908 geltenden Vereinsgesetzes keiner politischen Vereinigung beitreten durften. Um die Frauen aber trotzdem politisch zu motivieren, wurde auf dem ersten Sozialdemokratischen Parteitag, der 1890, nachdem das Sozialistengesetz aufgehoben worden war, in Halle abgehalten wurde, die Gründung einer Zeitschrift für sozialdemokratische Frauen beschlossen. Durch die Frauenzeitschrift, Frauenbildungsvereine und weibliche Vertrauenspersonen wurde der Zusammenhalt der Sozialdemokratischen Frauenbewegung ermöglicht. Über 30 Jahre lang erschien die Zeitschrift „Die Gleichheit“, die lange Zeit von Clara Zetkin herausgegeben wurde. Auch Helma Steinbach schrieb immer wieder Artikel für „Die Gleichheit“. Als eine von 4 Frauen unter 208 Delegierten nahm die 55jährige Helma Steinbach 1892 am ersten Gewerkschaftskongress in Halberstatt teil und vertrat dort die Interessen der Arbeiterinnen. Sie war der Meinung, dass Frauen vorläufig gemeinsam mit den Männern in einer Organisation arbeiten sollten. Bei einem Zusammenschluss von Männern bestünde zwar die Gefahr, dass die Frauen überstimmt würden, eine eigene durchsetzungsfähige Frauengewerkschaft ließe sich im Moment jedoch nicht organisieren. Mit sachbezogenem Elan forderte sie, auch weibliche Mitglieder in die Gewerkschaften aufzunehmen und machte außerdem darauf aufmerksam, verstärkt auch Frauen für die Gewerkschaften zu werben. Ihre Resolution wurde gegen eine Stimme angenommen. Bis 1923 wuchs der Frauenanteil in der Gewerkschaft von 2 % auf 20 %. Als es 1896 zum Hamburger Hafenarbeiterstreik kam, weil die Arbeitgeber den Lohnforderungen der Arbeiter nicht nachkommen wollten und eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen ablehnten, hielt Helma Steinbach engagierte Reden und forderte die Arbeiter auf, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Sie organisierte auch für die Frauen der streikenden Hafenarbeiter und Seeleute Versammlungen, um die vom Streik genau so hart getroffenen Frauen zu unterstützen und für den Streik zu gewinnen. Die Arbeitgeber blieben jedoch hart. Vermittlungsversuche des Senats scheiterten. Helma Steinbach bemühte sich weiterhin in ihren Reden um eine gewerkschaftliche Organisation der Hafenarbeiter: „Ihr waret eine führerlose Schar, jetzt aber haben Euch die zehn Wochen zusammengebracht, da seid Ihr erst etwas. Vorher waret Ihr Sklaven, die Hunde, für die Euch Eure Arbeitgeber noch heute ansehen. Da Ihr nun heute aber durch die Abstimmung gelobt, dass Ihr in Zukunft keine Hunde mehr sein wollt, so habt Ihr dadurch den Anfang zu einer Organisation gemacht." Da wegen schlechten Wetters weniger Arbeiter im Hafen benötigt wurden und Streikbrecher eingestellt werden konnten, erzielte der Streik nicht den erhofften Druck auf die Arbeitgeber. Als schließlich das Geld in der Unterstützungskasse knapp wurde, entstand die Idee, ob es nicht sinnvoller wäre, die Unterstützung der Streikenden in Form von Lebensmitteln vorzunehmen. Im Großen eingekaufte Waren hätten dann vorteilhaft an die Arbeiterfamilien abgegeben werden können. Der Streik musste mangels finanzieller Mittel erfolglos aufgegeben werden, die Idee von einer Großeinkaufsmöglichkeit blieb jedoch bestehen, und es entwickelte sich daraus eine Initiative für einen Konsum- und Sparverein. Im August 1897 wurde ein Ausschuss von neun Personen gewählt, der den Satzungsentwurf für eine Kosumgenossenschaft ausarbeiten sollte. Neben Adolf von Elm und anderen Arbeitern, die sich in der Gewerkschaftsbewegung einen Namen gemacht hatten, war Helma Steinbach die einzige Frau im Ausschuss, der von dem Hamburger Kaufmann Raphael Ernst May und von dem Rechtsanwalt Bleicken unterstützt wurde. Nachdem ein Entwurf von 134 Paragraphen ausgearbeitet worden war, konnte am 3. Februar 1899 die „Produktion“ ins Register eingetragen werden. Das besondere an der Genossenschaft „Produktion“ war: nur ein Teil der Gewinne wurde an die Mitglieder zurückgezahlt, mit dem anderen Teil sollte das Eigenkapital erhöht und für die Mitglieder ein Notfonds eingerichtet werden. Im Laufe der Zeit eröffneten viele Verkaufsstellen: eine Kaffeerösterei, eine Schlachterei und eine Großbäckerei (Wendenstraße) wurden in Betrieb genommen. 1905 konnte die Genossenschaft der „Pro“ den ersten Wohnblock (Schleydenstraße) mit 254 Wohnungen, 7 Läden und einer Gaststätte erbauen lassen. 1909 verwaltete die Genossenschaft bereits 4 Millionen Mark Spargelder und hatte 35.000 Mitglieder. Für Helma Steinbach, die dem Aufsichtsrat der Produktion mit kurzen Unterbrechungen von der Gründung bis zu ihrem Tode angehörte, bedeutete die Genossenschaftsbewegung nicht nur eine materielle Unterstützung der Arbeiterfamilien, sondern darüber hinaus ein Stück Arbeiterkultur. Ihr besonderes Anliegen war es, die Arbeiterfrauen von der Notwendigkeit des konsumgenossenschaftlichen Zusammenschlusses zu überzeugen. Auch nach der Gründung der „Produktion“ setzte sich Helma Steinbach für die Interessen der Arbeiterinnen ein und versuchte, diese für die Gewerkschaft zu gewinnen. Von seiner ersten und ihn beeindruckenden Begegnung mit Helma Steinbach erzählte Wilhelm Kaisen, der langjährige Bürgermeister von Bremen, in einem Interview mit Anke Martiny. 1905 hatte der damals 15jährige einen Auftritt Helma Steinbachs in ihrer Funktion als Vertreterin des Fabrikarbeiterverbandes und einer Schuhcremefabrik erlebt. Die Fabrikarbeiterinnen besaßen keine Umkleideräume und kaum Waschgelegenheiten, trauten sich jedoch aus Angst vor Kündigungen nichts zu sagen. Helma Steinbach wurde gebeten, nach dem Rechten zu sehen: „Und Helma kam. Ich sehe sie noch vor mir, so 'ne große Gestaltung. Damals trug man solche Hüte wie Wagenräder, und sie hatte einen Sonnenschirm in der Hand. (...) Und dann kam er an, der Fabrikbesitzer: ‚Was wollen Sie hier? – ‚Wieso, wer sind Sie denn?` -‚Ich bin der Inhaber!` -‚Ja, und ich bin die Vertreterin der Arbeiterinnen hier. Sie haben hier Zustände, die gegen jede Fabrikordnung und Gewerbeordnung verstoßen. Das ist erstmal zu bemängeln, und zum anderen, wie kommen Sie eigentlich dazu, diese Menschen wie das liebe Vieh zu behandeln?` Und sie hat ihn erstmal runtergeputzt, so dass die Frauen Nasen und Ohren aufsperrten und hörten, dass es noch etwas anderes gibt. ‚Ich bin Herr in meinem Hause, und Sie haben sofort das Haus zu verlassen.` Da nahm Helma ihren ollen Sonnenschirm her und haute auf den Tisch, und da ließ sie denn eine Rede los, die sich gewaschen hatte, nach meinem Begriff. Na, kurzum, das war meine erste Begegnung mit einer Frau, die für die Organisation der Fabrikarbeiterinnen eintrat und es sich zur Aufgabe gemacht hatte, diese zu organisieren." Als 1908 das Vereinsgesetz abgeschafft worden war, stellte sich erneut die Frage nach der Art der Integration der Sozialistischen Frauenbewegung in der SPD. Frauen konnten jetzt problemlos der SPD beitreten. Sollten da die von den Frauen geschaffenen Strukturen (Frauenagitation, Frauenversammlungen, Vertrauenspersonen, Frauentage, usw.) erhalten bleiben? Hinderten Sonderrechte die Gleichstellung mit den Männern oder waren sie eine notwendige Voraussetzung, um Gleichheit zu erlangen? Auch Helma Steinbach mischte sich in die entstehende Debatte ein. Sie war der Ansicht, dass Frauen keine eigenen Arbeiterinnenvereine, Frauenbildungsvereine („Klatsch- und Zankvereine") und Frauengewerkschaften gründen, sondern Seite an Seite mit den Männern marschieren sollten. Ebenso forderte sie die Aufgabe des Sonderrechtes, dass Frauen eigene Vertreterinnen zu den Parteitagen entsenden können. Ob sie in diesem Punkt wohl von ihrem Lebensgefährten Adolf von Elm beeinflusst worden war? Er vertrat jedenfalls die Ansicht, Frauen sollten endlich aufhören, Sonderrechte zu verlangen, wenn sie Gleichberechtigung forderten. Er hatte Angst, die Partei könne: „unter den Pantoffel der Frau" gebracht werden. 1912 erkrankte Adolf von Elm schwer und wurde von Helma Steinbach gepflegt. Als er im September 1916 verstarb, richtete sich die Ansprache der Trauerfeier im Gewerkschaftshaus auch namentlich an Helma Steinbach: „Sie teilte seine verantwortungsreiche Arbeit und alle damit verknüpften Sorgen und Kümmernisse. Sie war ihm eine Stütze und Helferin in Drangsalen aller Art. (...) Wo er kämpfend stand, da stand auch Frau Steinbach neben ihm und mit ihm für die große Sache, die uns alle verbindet." Helma Steinbach starb 70jährig während eines Erholungsaufenthaltes in Glünsing/Lauenburg an einem Herzschlag. Sie lebte zuletzt in der Schäferstr. 19 in Hamburg. Zu ihrer Einäscherung im alten Krematorium in Hamburg am 10. Juli 1918 versammelten sich neben vielen Frauen auch die Vertreter der politischen, gewerkschaftlichen und genossenschaftlichen Organisationen der Arbeiterinnen und Arbeiter. Text: Helene Götschel      

    Hanna und Olga Stolten

    Mitbegründerinnen der Arbeiterwohlfahrt (AWO)

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    17.12.1888

    24.12.1942
    30.8.1885

    20.12.1974
    Hamburg
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    Aufgewachsen in einer Arbeiterfamilie führten die Schwestern Hanna und Olga nach dem Tod der Eltern einen gemeinsamen Haushalt. Olga, Mutter eines Kindes und Hausangestellte, war später als AWO- und Frauensekretärin im SPD- Bezirksvorstand HH tätig. Hanna, gelernte Verkäuferin, arbeitete als Fürsorgerin der Jugendbehörde.1933-1942 führten die beiden einen Zeitungskiosk. 1920 mitbegründeten sie die Ortsgruppe der AWO, deren Vorstand Hanna von 1930-1933 angehörte. Hanna war von 1926-1933 Erste Vorsitzende der Fachgruppe sozialistischer Fürsorgerinnen der Hamburger AWO, Olga von 1919-1925 Frauenleiterin des Distriks Barmbek. 1925 war Hanna und 1927 Olga Delegierte der SPD auf dem Reichsparteitag und der Reichsfrauenkonferenz. Hanna gehörte von 1928-1932 der Bürgerschaft an.

    Inge Stolten

    Schauspielerin, Schriftstellerin, Politikerin

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    23.3.1921
    Hamburg

    4.5.1993
    Hamburg
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    Gemeinsam mit ihrem drei Jahre jüngeren Bruder wuchs Inge Stolten im Hinterhofmilieu der Straße Koppel 50 im Hamburger Stadtteil St. Georg auf. Ihr Vater, der ungelernte Arbeiter Louis Stolten, arbeitete als Packer; die Mutter Frieda Stolten, geb. Clasen, war als Zugehfrau tätig. 1931 nahm sich ihr schwerkranker Vater das Leben. Obwohl die Familie in finanziell armen Verhältnissen lebte, wurde es Inge Stolten ermöglicht, nach dem Abschluss der Volksschule ab 1934 die Aufbauschule in Eimsbüttel zu besuchen, wo sie 1939 das Abitur bestand. Aufgewachsen in einer sozialdemokratisch geprägten Umgebung, widerstand Inge Stolten den Einflüssen des Nationalsozialismus. Da sie als "politisch unzuverlässig" aus dem Reichsarbeitsdienst entlassen wurde, durfte sie kein Studium aufnehmen und entschied sich 1940 für eine Ausbildung an der Schauspielschule des Hamburger Schauspielhauses. Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus konnte Inge Stolten wegen ihrer guten Sprachenkenntnisse als Dolmetscherin arbeiten und kam als Sprecherin zum "British Forces Network". In den 1950er Jahren wurde sie beim Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR, später NDR) tätig, wo sie 1954 ihrem zukünftigen Lebensgefährten Axel Eggebrecht begegnete. Ihre Arbeit als Theaterschauspielerin musste sie 1956 aufgrund einer Tuberkuloseerkrankung aufgeben. Ab den 1960er Jahren profilierte sich Inge Stolten als Rundfunkjournalistin und freie Schriftstellerin. Sie arbeitete mit Eggebrecht als Drehbuchautorin und schrieb für den NDR zahlreiche Beiträge, u.a. zu Arbeitnehmer- und Frauenrechten. 1979 veröffentlichte sie die Streitschrift "Kinderlos aus Verantwortung". Sie selbst blieb gewollt kinderlos und lehnte lange Zeit eine Ehe ab, weil sie um ihre Eigenständigkeit fürchtete. Erst 1982 heiratete sie Axel Eggebrecht. Im selben Jahr erschien ihre Autobiografie "Das alltägliche Exil", in der sie sich vor allem mit der Zeit des Nationalsozialismus auseinandersetzte. Nach 1989 fürchtete Stolten ein Wiedererstarken nationalistischer Kräfte und trat daher 1990 in die PDS ein, um den Prozess der Wiedervereinigung mitzugestalten. Von 1991 bis 1993 war sie stellvertretende Bundesvorsitzende und 1991 bei der Hamburger Bürgerschaftswahl Spitzenkandidatin der PDS/Linke Liste. Text: Leicht modifizierte Fassung des Artikels von Jana Tereick: Stolten, Inge Louise. In: Hamburgische Biografie. Bd. 6, Göttingen 2012, S. 327-328.

    Dr. med. Hildegard Stromberger

    geb. Saturski

    Bildhauerin, Malerin, Ärztin

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    27.7.1904
    Jennen/Ostpreußen

    7.7. 1985
    Hamburg
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    Hildegard Stromberger war promovierte Ärztin. In den 1920er Jahren hatte sie an der Hamburger Universität Medizin studiert. An der Landeskunstschule Hamburg studierte sie Malerei bei Prof. Paul Bollmann und Prof. Willem Grimm sowie zwischen 1933 und 1936 Bildhauerei bei Prof. Henneberger und Karl Schümann. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs war Hildegard Stromberger Gründungsmitglied der konstruktivistischen Künstlervereinigung "die gruppe" Dieser Zusammenschluss von Künstlerinnen und Künstlern fand seine Anregungen besonders in Paris und führte viele Jahre lang in Deutschland und im Ausland Ausstellungen durch. Hildegard Stromberger war auch Mitglied der "Hamburger Gruppe 45", die nach Ende des Zweiten Weltkriegs von Martin Irwahn und Richard Steffen gegründet worden war. Ihr "Ziel war eine Ausstellungs- und Künstlergemeischaft ohne weitere Eingrenzungen und Festlegungen. (…) 1948 kam es zu einer Spaltung der Gruppe."1) Mitglieder dieser Gruppe waren u. a. auch Ruth Godbersen, Tom Hops, Max-Hermann Mahlmann, Fritz Husmann, Ernst Flege, Walter Siebelist, Willi Breest. In Hildegard Strombergers "Gesamtoevre bestimmt die Geometrie die Formen."2) Abstrakte, in den Worten der Zeit "gegenstandslose" Malerei, "deren konstruktivistische Formensprache" sich auch in den Wandbildern und Objekten für den öffentlichen Raum wiederfindet. Sie selbst äußerte über ihre künstlerische Arbeit, ihr künstlerisches Selbstverständnis und ihre Motivation: "1) Selbstverständnis: Blicken, d. h. alle Dinge mit unserem Geist beschicken - alle Erscheinung ist tiefste Einung deiner weiblich offenen Gebärde: menschliches Auge - deiner männlich formenden Gestaltung: menschlicher Geist. 2) Motivation: innere absolute Notwendigkeit zur Gestaltung. 3) Absicht: Kunst als notwendigen stimmigen Partner zum Leben."3) 1965 schuf Hildegard Stromberger für die Schule Weddestraße in Hamburg Horn ein Würfelobjekt; 1966 ein Bronze-Relief "Begegnung" am Hamburg-Haus in Hamburg Eimsbüttel; 1968 eine Arbeit für die Schule Fischbeker Moor 6 in Hamburg Neugraben; 1969 ein Alu-Mosaik vor der UKE-Frauenklinik in Hamburg-Eppendorf. Für die Weltausstellung in Brüssel schuf sie ein freistehendes Wandbild aus Stahl und Holz und in Helgoland ein Glasmosaik. Ausstellungen hatte sie z. B. in Paris, Kopenhagen, New York, Wien, München, Basel, Berlin, Darmstadt, Aachen, Hamburg, Stuttgart und Essen. Verheiratet war Hildegard Stromberger mit Karl Stromberger (geb. 1895), der ebenfalls Arzt war. Das Paar hatte einen Sohn und eine Tochter und wohnte in der Sierichstraße 51, wo Karl Stromberger auch seine Arztpraxis betrieb. Quellen: 1) Maike Bruhns: Kunst in der Krise. Hamburger Kunst im "Dritten Reich". Bd. 1. Hamburg 2001, S. 486. 2) Der Neue Rump. Lexikon der bildenden Künstler Hamburgs. Überarbeitete Neuauflage des Lexikons von Ernst Rump (1912). Hrsg. von Familie Rump. Ergänzt, überarbeitet und auf den heutigen Wissensstand gebracht von Maike Bruhns. 2. Aufl. Neumünster 2013, S. 456. 3) Künstler in Hamburg. hrsg. von der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg. Hamburg 1982.

    Renate Strübing-Wagner

    Reformpädagogin, Widerstandskämpferin

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    30.8.1908

    21.11.1973
    Hamburg
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    Renate Strübings lebenslange Freundin und Kampfgefährtin, Anita Sellenschloh erinnerte sich: "Wir waren ganz stolz, dass dieses attraktive und strahlende Mädchen aus bürgerlichem Elternhaus nun zu uns gehörte. Wir schätzten sie ihrer Bescheidenheit, Begeisterungs- und Liebesfähigkeit wegen. Sie, die Gymnasiastin und Studentin, war unser Vorbild, die wir aus dem proletarischen Milieu stammten. Sie hielt für uns Kurse in politischer Ökonomie ab. Sie war ne Wucht." [1]
    "Renate Strübing, geb. Wagner, kam im Jahre 1908 zur Welt und ist im Jahre 1973 im Alter von 65 Jahren gestorben. Sie entstammte einem gebildeten und kultivierten Elternhaus mit betont politischem, gewerkschaftlichem und schulischem Engagement. Die Eltern wie auch die beiden Töchter waren Lehrer bzw. Lehrerinnen.
    Die Mutter wie auch die einzige ältere Schwester gehörten als sozialdemokratische Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft an. Die Mutter stritt mit besonderem Engagement für die Verbesserung des Frauenrechts und die Frauenemanzipation [2]. Mit anderen aus ihrer Verwandtschaft stammenden Pädagogen gehörten die Wagners gewissermaßen der hamburgischen ‚Lehreraristokratie' an" ( [1], Seite 296).
    Renate Wagner verlebte eine glückliche Kindheit. "Die Eltern erzogen ihre Töchter mit pädagogischer Weitsicht; vertraut mit den Strömungen der Zeit, vermittelten sie den Kindern gesellige Freuden, Reisen, Opern- und Theaterbesuche sowie Freiheiten, die Vertrauen und Einsicht seitens der Eltern voraussetzten, ein Verhalten, das in seiner Liberalität über die geltenden Erziehungsnormen deutlich hinausging" [1].
    Die junge Renate schloss sich zunächst der bürgerlichen Jugendbewegung an und trat in den "Wandervogel" ein (Wurzel der Jugend- und Lebensreform-Bewegung, Reformpädagogik). Die politischen und wirtschaftlichen Erschütterungen während ihrer Kindheit und Jugend - erster Weltkrieg, Sturz der Monarchie, die Kämpfe um die Weimarer Republik und die Inflationsnöte -, "die den im Elternhaus gewonnenen Idealvorstellungen in keiner Weise entsprachen, mögen jenen moralischen und ideologischen Prozess ausgelöst haben, der sie über sozialdemokratisch orientierte Schüler- bzw. Jugendverbände in den Kommunistischen Jugendverband Deutschlands führte, und in späteren Jahren, als Studentin der Pädagogik, in die Kommunistische Studentenfraktion und schließlich in die Kommunistische Partei Deutschlands" [1].
    Renate Wagner besuchte in den Jahren 1915 bis 1921 die Seminarschule Hohe Weide und von 1921 bis 1929 die Staatliche Aufbauschule, an der sie das Abitur ablegte. "Inflation, ein kurzer ökonomischer Aufstieg und eine erneute Wirtschaftskrise bildeten den Hintergrund in diesem Lebensabschnitt. Darauf studierte sie neben Philosophie und Pädagogik Volkswirtschaft von 1929 bis 1932 an der Universität Hamburg. Vom Studium her eröffneten sich der jungen Studentin unerwartete Einsichten in die nationalen und internationalen ökonomischen Entwicklungen, die durch die täglichen, sich überstürzenden Ereignisse mehr als bestätigt wurden. ‚Hitler bedeutet Krieg', das wussten seine Gegner, das wusste auch Renate, und sie wussten auch, dass er auf das anachronistische Unternehmen eines Krieges gegen die Sowjetunion hinarbeitete (...). Ein tiefer Riss ging nicht nur durch das ganze deutsche Volk, sondern auch durch die mächtigsten Gegner des Nationalsozialismus, die Sozialdemokraten und die Kommunisten, die sich gegenseitig bekämpften, während die Rechte sich weitgehend einig war. Dieser Riss ging auch durch die Familie Wagner. Hier die Eltern und die Schwester, da Renate. Auch in dieser Familie war ‚die Grundtorheit unserer Epoche' (Thomas Mann), nämlich der Antikommunismus, tief verankert. Der Ausspruch ihres Vaters ‚Hoffentlich siegt Deutschland', womit er ja schließlich das Fortbestehen des Nationalsozialismus dessen Überwindung vorzog, zeigt die Schwere des politischen Konflikts innerhalb dieser Familie. Angesichts der 50 Millionen Toten des zweiten Weltkrieges und des übrigen unermesslichen Leids, das durch den Nationalsozialismus über die Menschheit gekommen war, ist dieser Ausspruch nur noch jenen verständlich, die die Tragödie dieses Zerwürfnisses zwischen SPD und KPD in jenen Zeilen miterlitten haben. Im Bündnis miteinander hätte die Arbeiterbewegung (SPD, KPD, Gewerkschaften) mit einem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad eines der grausamsten und dunkelsten Dramen der Menschheitsgeschichte abwehren können". ( [1], Seite 296 f.)
    Nach Beendigung ihres sechssemestrigen Studiums legte Renate Wagner im November 1932 ihre erste Lehrerinnenprüfung ab. "Ab 1933 hing die Anstellung der Lehrer von der politischen Einstellung ab. (...) Renate gelangte von der Universität nicht in die Schule, sondern ins KZ. Während der zwölf Jahre Hitlerdiktatur wurde (sie) insgesamt fünfmal in Haft genommen, in der Vorkriegszeit von Oktober 1933 bis Januar 1934 im Untersuchungsgefängnis Hamburg, von Februar 1935 bis Juni 1935, von März 1937 bis Juni 1937 und von Dezember 1938 bis Mai 1939 wurde sie von der Gestapo im Konzentrationslager Fuhlsbüttel festgehalten. Verhaftungen geschahen im ‚Dritten Reich' oft willkürlich, ohne Begründung, mit dem Ziel der Einschüchterung, Verunsicherung oder gar Zermürbung. So wurde Renale Strübing 1933 ins KZ Fuhlsbüttel verbracht, allein ihres politischen Bekenntnisses wegen. Sie erlebte dort grausame Folterungen ihrer Parteifreunde. 1937 reichte die Teilnahme an einer Geburtstagsfeier für weitere Monate im KZ. Silvester 1938 wurden sie, Anita Sellenschloh und dreißig andere Gesinnungsfreunde ins KoLaFu (Konzentrationslager Fuhlsbüttel) eingewiesen, die mitverhaftete Lucie Suhling hat in ihren Memoiren über diesen Kreis berichtet [3]. Jeglicher Verkehr mit ihren Freunden war ihr unter Androhung strafrechtlicher Verfolgung verboten und ihre Freundschaften waren so gut wie ausschließlich politischen Ursprungs.
    Zwölf Jahre lang gab es für Renate keinen Tag der Sicherheit, der Sorglosigkeit. Nur unter ihren Freunden und während der Arbeit gab es Augenblicke des Geborgenseins und der Ruhe. Zwischen den Zeiten im KZ oder Zuchthaus arbeitete sie zunächst als Fabrikarbeiterin, später im Buchhandel und schließlich in einem Hafenbüro.
    Es zeugt von Renate Strübing-Wagners hoher Moral, ihrer Aufopferungsbereitschaft und ihrem ungebrochenen Widerstandsgeist, dass sie sich im Jahre 1941 der Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe [4] anschloss", jener starken illegalen kommunistischen Widerstandsorganisation, die in der ersten Phase des Krieges in Hamburger Großbetrieben Widerstandszellen aufbaute und mit sozialdemokratischen und parteilosen Antifaschisten kooperierte - zur Abkürzung der unermesslichen Kriegsleiden und zur Begrenzung der Zerstörungen. Diese Organisation, der mehr als 300 Männer und Frauen angehörten, hatte Kontakte zur Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe und einige ihrer Vertreter später auch zum Kreisauer Kreis, zu prominenten Widerstandskämpfern wie Dr. Julius Leber und Adolf Reichwein. Renate Strübing-Wagner wirkte in der Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe in der Weise mit, dass sie Verbindungen zwischen wichtigen Funktionären herstellte. In einem Erinnerungsbericht von 1954 sagte Renate Strübing: ‚Ich war 1941/42 Verbindungsmann von Franz Jacob zu den Blohm-&-Voss-Gruppen über Hans Hornberger (der dort Schlosser und einer der Organisatoren der illegalen Arbeit war). Jeden Morgen ging ich mit dem Arbeiterstrom durch den Elbtunnel, - ich arbeitete im Freihafen bei Wehlen [5]. Blohm & Voss war das Glanzstück unserer Widerstandsarbeit. Die Werft hatte damals wohl 1500 Arbeiter und an die 50 waren in konspirativen Fünfergruppen organisiert. U. a. arbeiteten wir mit ausländischen "Fremdarbeitern" zusammen. Besonders enge Verbindung gab es zu polnischen Kriegsgefangenen und Zivilarbeitern, mit denen die Nazis sich verrechnet hatten. Vor allem denke ich an Michal Pozywilek, der im Lager Jungiusstraße wohnte. Mischa war Jungkommunist und hatte eine Gruppe von 10-20 Weißrussen und Polen um sich, die im Lager und im Betrieb politisch arbeiteten. Mit uns organisierten sie eine regelmäßige Brot-Geld-Zigaretten-Sammlung für sowjetische Kriegsgefangene, denen es am schlechtesten ging. Bei Blohm & Voss hing eine große Russlandkarte, auf der Fähnchen die Frontlinie anzeigten; später wurde dafür gesorgt, dass dort immer sofort der Rückzug der faschistischen Armee abzulesen war'.
    Die Gestapo deckte die Tätigkeit der Hamburger Widerstandsgruppe schließlich auf, und Renate Strübing-Wagner wurde im Januar 1943 erneut verhaftet. Angeklagt wegen ‚Hochverrats und Feindbegünstigung' und zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt, verbrachte sie ihre längste Haftstrafe von Januar 1943 bis Mai 1945 nacheinander im Konzentrationslager Fuhlsbüttel und im Untersuchungsgefängnis Hamburg, im Zuchthaus Lübeck-Lauerhof und zuletzt im Zuchthaus Witten a. d. Ruhr. Am 6 Mai 1945 wurde sie dort befreit.
    (...) Das also war die Situation, in der sich Renate Strübing, nunmehr 37 Jahre alt, nach ihrer Befreiung befand:
    - hoffend auf Wiedergutmachung des ihr Zugefügten,
    -- physisch und psychisch geschwächt, aber erfüllt von Idealvorstellungen über die Möglichkeiten, eine gerechtere und bessere Welt zu schaffen, gewachsen in den Jahren des Schweigenmüssens und der kulturellen Leere. Nun galt es, dort zu beginnen, wo sie vor zwölf Jahren gezwungen worden war, aufzuhören [1].
    Am 1. Oktober 1945 trat sie in den Schuldienst ein und übernahm in der Volksschule Hirtenweg 12 (Othmarschen) eine zweite Klasse. Im Jahre 1954 legte sie die zweite Lehrerprüfung ab. Schon im März 1950 wurde sie von ihrem Kollegium einstimmig zur Stellvertretenden Schulleiterin gewählt. Nach 24jähriger Tätigkeit als Lehrerin schied sie -gesundheitlich total erschöpft - im Herbst 1969 wieder aus dem Schuldienst aus. Renate Strübing schied aus ohne behördliche Anerkennung als Beamtin" ( [1], Seite 299). Ein Widerspruchsverfahren, in dem nicht nur Kollegen, Vorgesetzte und Eltern ihrer Schüler_innen ihr außergewöhnlichen Einsatz im Beruf bescheinigten und eine Verbeamtung auf Lebenszeit - als einen Akt der Wiedergutmachung - lebhaft empfahlen, sondern auch ihr langjähriger Hausarzt attestierte, dass sie sich ihre schwere Herzerkrankung im Zuge der Haftbedingungen erworben habe, wurde negativ beschieden.
    Der Biograf Rudolf Haun fuhr fort: "Die Nazigeschädigten wissen ein Lied zu singen von den armseligen Renten, die sie wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit beziehen, oder von den beleidigend niedrigen Haftentschädigungen, die man ihnen für die verlorenen qualvollen Jahre ihres Lebens gewährt. Da ist es den Kriegsgerichtsräten beim Volksgerichtshof und den Richtern bei den Oberlandesgerichten mit ihren Pensionen, die in die Tausende gehen, besser ergangen.
    Dennoch, in der Schule erfüllte sich Renate Strübings Leben. Sie war Lehrerin aus Leidenschaft zu ihren humanistischen und politischen Idealen. Aufopferungsvoll, ausdauernd, hingebend, ihren Kindern in Liebe verbunden, besonders den schwachen, von den Eltern und Kollegen gleichermaßen geschätzt, durchbrach sie jede normale Schranke, arbeitete bis in die Nächte hinein, sich einem Verschleißprozess aussetzend, der ihren gesundheitlichen Verfall rapide beschleunigte und sie zwang, sich wegen Arbeitsunfähigkeit pensionieren zu lassen. Doch selbst danach förderte sie schwache Kinder ihrer Schule und noch ganz zuletzt Kinder ihrer Nachbarschaft.
    (...) So gab es noch eine zweite Ebene. auf der sich ihr Leben voll erfüllte. Das war ihre Ehe mit Karl Strübing, welche erst nach 1945 geschlossen wurde. Auch war sie überschattet und durch die schwere Krankheit ihres Mannes, die er sich in elfeinhalb KZ- und Zuchthausjahren zugezogen hatte. (...) Der frühe Verlust dieses ihres Mannes war unersetzlich. Sie folgte ihm am 23. November 1973. Renate Strübing war ein tapferer, kämpfender, liebender, politischer Mensch, zähe und von einem starken Lebenswillen beseelt, mit einem erfrischenden Humor ausgestaltet, ohne Hang nach oben, gradlinig gegenüber der Obrigkeit, aufrichtig, unbestechlich, spröde vielleicht in ihrer tiefen Herzlichkeit und empfindlich gegen jedes falsche Pathos." ( [1], S. 300). Text: Dr. Cornelia Göksu
    Quellen:
    1 Rudolf Haun: Renate Strübing. Gradlinig gegenüber der Obrigkeit In: Ursel Hochmuth
    und Hans-Peter de Lorent (Hg.): Hamburg: Schule unterm Hakenkreuz. Beiträge der hamburger Lehrerzeitung (Organ der GEW = Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) und der Landesgeschichtskommission der VVN = Verein der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten e.V. Mit einem Geleitwort von Professor Joist Grolle. Hamburg 1985, S. 296 - 300 (das Inhaltsverzeichnis dieser Buchpublikation steht online unter d-nb.info/860351017/04, abgerufen am 4.5.2017 CG).
    2 Es gab eine Erna Wagner (2.10.1903 - 1982, Lehrerin, Mitglied der SPD Bürgerschaftsfraktion von Oktober 1949 bis 1970; vor 1933 Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend, ab 1921 Mitglied der SPD, bis 1933 Mitarbeit in der Frauenorganisation und im Bildungswesen. Eintritt in die NSDAP am 1.5.1937. Nach 1945 Mitarbeit in der Gesellschaft der Freunde des Vaterländischen Schul- und Erziehungswesens (Vorgänger-Organisation der GEW), Mitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW, ab 1950 dort im Vorstand, ab 1946 Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Lehrer; ab 1926 Lehrerin, von 1948 bis 1953 Schulleiterin, zwischen 1953 und 1966 wieder als Lehrerin tätig, 1966 pensioniert. Möglicherweise war sie die ältere Schwester von Renate Strübing, geb. Wagner ?
    3 Lucie Suhling: Der unbekannte Widerstand. Erinnerungen. Köln 1980
    4 Die Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe war eine Widerstandsorganisation um die KPD-Mitglieder Bernhard Bästlein, Franz Jacob und Robert Abshagen, die von 1940 bis zum Kriegsende 1945 gegen das nationalsozialistische Regime kämpfte. Sie war mit etwa 300 Mitgliedern in über dreißig Hamburger Betrieben die größte regionale Widerstandsgruppe in Hamburg. Erklärte Ziele waren die Mobilisierung der Arbeiterschaft, die Unterstützung ausländischer Zwangsarbeiter und sowjetischer Kriegsgefangener und die Sabotage der Rüstungsproduktion. Im Oktober 1942 wurden die Aktivitäten der Gruppe durch die Staatspolizeileitstelle Hamburg aufgedeckt, mehr als 100 ihrer zu dieser Zeit etwa 200 Mitglieder wurden festgenommen. In den sogenannten Hamburger Kommunistenprozessen ab Mai 1944 wurden zahlreiche Todesurteile verhängt. Insgesamt wurden 70 Mitglieder der Gruppe zwischen 1942 und 1945 hingerichtet. Dennoch gelang es der Gruppe, ihre Aktivitäten bis in die letzten Kriegstage aufrechtzuerhalten und für die kampflose Übergabe der Stadt Hamburg an die Alliierten einzutreten. Quelle: de.wikipedia.org/wiki/Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe
    (5) Gemeint war vielleicht die Holzhandlung Ernst Wehlen in Steinwerder, Ellerholzdamm 4

    Käthe Tennigkeit

    geb. Schlichting

    Widerstandskämpferin gegen das NS-Regime

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    2.4.1903
    Hamburg

    20.4.1944
    Hamburg
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    Die Eltern von Richard Tennigkeit ließen sich vor 1895 in Stettin nieder, wo Richards Vater Christoph (geb. 1871 im Kreis Tilsit) auf der Vulkan-Werft Arbeit als Schmied fand. Ursprünglich lautete der Familienname Tenekait und deutet auf ostpreußische und baltische Wurzeln der Familie hin. Die Mutter von Richard Tennigkeit, Anna, geb. Schwentorus (1871–1937), sprach noch die lettische Sprache. 1911 zog Christoph Tennigkeit ins damals preußische Wilhelmsburg (Köhlbrandstraße 7), wo er ebenfalls auf der Vulkan-Werft arbeitete. Seine politische Orientierung ist nicht bekannt, dürfte aber SPD-nah gewesen sein. Die fünfköpfige Familie wurde schrittweise in Wilhelmsburg ansässig, sie scheint anfangs in Eimsbüttel gelebt zu haben. Richard Tennigkeit besuchte zunächst von August 1914 bis März 1915 die Volksschule in der Bismarckstraße 83. Wahrscheinlich nach Abschluss der neunjährigen Volksschule zog auch er nach Wilhelmsburg. Er und sein jüngerer Bruder Bruno (geb. 1903) erlernten das Metallhandwerk und wurden Dreher. Im März 1920 trat Richard Tennigkeit dem Metallarbeiterverband bei.1) Zu diesem Zeitpunkt war auf dem Gelände des ehemaligen Gutes Berne die genossenschaftliche Gartenstadtsiedlung Berne gegründet worden Sie zog viele organisierte Arbeiter aus dem Hafen an, darunter auch Familie Tennigkeit. Dort konnten die Familien sich durch Obstbäume und eigenen Gemüseanbau und die Haltung von Kleintieren in Teilen selbst versorgen. Die Mehrheit der Bewohner war sozialdemokratisch orientiert. In den beiden Haushälften Moschlauer Kamp 22 und 24 lebten die verschwägerten Familien um Christoph und Anna Tennigkeit (Nr. 24) und Bernhard und Luise Pürwitz (Nr. 22) seit September 1926 Wand an Wand. Anna Tennigkeit und Luise Pürwitz waren Schwestern, die bereits in Stettin und Wilhelmsburg beieinander gewohnt hatten. Richard Tennigkeit, der die Berge liebte, hatte sich im April 1922 nach Lüneburg abgemeldet, um sich als Handwerker auf Wanderschaft zu begeben. Von Juli 1922 bis Mai 1923 lebte er in Darmstadt. Über Stuttgart zog er weiter Richtung Österreich und Balkan. Den Sichtvermerken in seinem Reisepass ist zu entnehmen, dass er sich zwei Monate in Salzburg und zwei Monate in Serbien aufhielt. Von März 1924 bis Oktober 1926 lebte er erneut in Österreich (u. a. in Klagenfurt) und trat dem dortigen Metallarbeiterverband bei. Im Oktober 1926 kehrte er über Thüringen nach Norddeutschland zurück und ließ sich in der beschaulichen Gartenstadtsiedlung im Nordosten Hamburgs nieder. Dort hatte sich ein reges kulturelles und politisches Leben entfaltet. Richards Bruder Bruno, Dreher bei Kampnagel, spielte Mandoline und sang im „Berner Volkschor e. V.“, der 1924 gegründet worden war und seit 1925 im Clubzimmer der Konditorei Palm probte. Der rund 80 Sänger umfassende Chor gehörte zum Dachverband des „Arbeitersängerbundes“ und trat bei Maifeiern, bei Banner- und Jugendweihen sowie Schul- und Siedlungsfesten auf. Er löste sich 1939 auf. Um 1930 unterhielten der Freie Turn- und Sportverein Berne (FTSV), die KPD und das Reichsbanner eigene Spielmannszüge. Nachdem sich Ende 1931 die Eiserne Front als sozialdemokratisch dominierte paramilitärische Organisation gegründet hatte, gab es beim FTSV Berne eine Schutzsportgruppe. Richard Tennigkeit und Käthe Schlichting lernten sich Anfang der 1930er-Jahre bei Gewerkschaftskursen kennen Richard war Mitglied im nicht parteipolitisch gebundenen Metallarbeiterverband, Käthe war im Transportarbeiterverband organisiert. Sie stammte aus einer sozialdemokratisch geprägten Familie. Ihr Vater, der Malermeister Heinrich Schlichting, kam aus Lübeck, die Mutter Anna Auguste, geb. Casper (gestorben 1962), aus Kappeln an der Schlei. Die Familie wohnte u. a. 1903 am Barmbeker Markt 8, Haus 3. Käthe besuchte im Stadtteil Winterhude von 1909 bis 1917 die Volksschule in der Barmbekerstraße 30. Sie und ihre Schwester Martha waren in jungen Jahren der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) (heute: Die Falken) beigetreten. Der Bruder Friedrich Schlichting starb nach dem Ende des Ersten Weltkriegs an den Spätfolgen einer Verletzung, die er als Soldat erlitten hatte. Die Ideen der im April 1917 von der SPD abgespaltenen USPD interessierten auch Käthe Schlichting. Der USPD-Kreisverein Hamburg-Altona war von fachlich oft gut qualifizierten Arbeitern aus dem Metall- und Werftbereich geprägt. Insbesondere die Vulkan-Werft bildete ein Zentrum der USPD. Im Metallarbeiterverband wurde zwischen Mehrheitsgewerkschaftsrichtung und USPD-Anhängern heftig gestritten. Wann genau Käthe Schlichting in die im Dezember 1918 gegründete KPD eintrat, ist unbekannt. Sie besuchte die Handelsschule, arbeitete als Kontoristin, zog um 1925 mit einer Freundin für zwei bis drei Jahre nach Nürnberg und war Anfang der 1930er-Jahre bei der im Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB) organisierten Bäckergewerkschaft beschäftigt und organisierte dort die Frauenarbeit. Nebenberuflich war sie als Gymnastikleiterin u. a. bei der PRO (Konsumgenossenschaft Produktion) in Hamburg-Berne tätig, die u. a. sportliche Freizeitangebote machte. Hierfür hatte sie im April 1929 eine Prüfung als Turn- und Schwimmlehrerin abgelegt und im September 1930 ergänzend die „Befähigung als Lehrerin der vorbeugenden und ausgleichenden Leibesübungen“ erworben. Auch Richard Tennigkeit war mittlerweile Mitglied der KPD. Um 1930 saß er für die KPD im SPD-dominierten Gemeinderat von Farmsen-Berne, wo Jonny Birckholtz (1877–1937) von der SPD als Gemeindevorsteher den Vorsitz führte und Jonny Schacht (SPD) Gemeinderat war. Bei Wahlen erreichte die SPD in Berne rund 70 Prozent, die KPD 15 bis 20 Prozent. Richard Tennigkeit hatte 1929 den „Rotsport“ – Sportverein Fichte Eppendorf mitbegründet, wo er in der Herren-Mannschaft Großfeldhandball spielte. Sofort nach der Machtübernahme der NSDAP am 30. Januar 1933 wurden Richard Tennigkeit und seine beiden Brüder, der Tischler Otto Tennigkeit (1905–1980) und der Dreher Bruno Tennigkeit (1903–1981), von einem Greiftrupp aus Polizei und SA verhaftet, allerdings bald wieder freigelassen. Konkrete Vorwürfe gegen sie hatte es nicht gegeben. 1933 wurden KPD und SPD verboten und die Sportvereine Fichte Eppendorf und FTSV Berne aufgelöst. Ebenfalls verboten wurde die SPD-Tageszeitung „Hamburger Echo“; die „Roten Blätter“ konnten 1933/34 nur unter hohem Verfolgungsrisiko in der Illegalität in Eilbek gedruckt werden. Die Gewerkschaftshäuser wurden am 2. Mai 1933 von SA und SS besetzt und das Gewerkschaftsvermögen beschlagnahmt. Der „Gaubetriebszellenleiter und Beauftragte der N.S.B.O.“ Rudolf Habedank, Leiter der Besetzungsaktion gegen das Hamburger Gewerkschafts- und das Vollksfürsorgehaus und zuständig für die Abwicklung der Gewerkschaften, schrieb Käthe Schlichting am 16 Mai 1933: „Mit Rücksicht auf die erforderliche Umstellung der Verwaltung der Gewerkschaften kündige ich Ihnen vorsorglich Ihr Angestelltenverhältnis zum nächstmöglichen Termin.“ Habedank (geb. 1893 in Mecklenburg), vordem selbstständiger Elektromeister, war 1929 in die NSDAP-Sektion Eppendorf eingetreten und seit 1931 hauptberuflicher Leiter der Nationalsozialistischen Betriebs-Organisation (N.S.B.O.) in Hamburg. Ab 1933 gehörte er dem Stab des NS-Gauleiters Karl Kaufmann an. In dieser Position eignete er sich einen Teil des geraubten Vermögens missliebiger Organisationen an. Das Einkommen von Rudolf Habedank stieg nach 1933 auf das Zweieinhalbfache seines früheren Verdienstes. Innerhalb weniger Monate waren die alten Strukturen der NS-Gegner zerschlagen. In der Wache der Freiwilligen Feuerwehr Berne war eine provisorische Polizeiwache eingerichtet und am Rand der Berner Gartenstadtsiedlung wurde 1934 im ehemaligen Gutshaus eine SS-Motorradschule stationiert. Im Juni 1933 heirateten Richard Tennigkeit und Käthe Schlichting. 1935 wurde ihr Sohn geboren. „Sowohl mein Vater als auch meine Mutter haben mir Freude am Lernen vermittelt und meinen Lerneifer durch stetes Lob für gute schulische Leistungen angeregt. Auch haben sie weit über die Hilfe bei Verrichtungen der Hausaufgaben hinaus mir schulisches Wissen durch gemeinsames Rechnen, Lesen und Schreiben vermittelt. Ihr Wunsch war, mir eine höhere Schulbildung zu ermöglichen. Meine Eltern haben mir immer wieder gesagt, daß nur ein kluger Mensch davor geschützt sei, den Irrlehren eines Hitlers zu begegnen (…)“, erinnerte sich der Sohn rund 20 Jahre später. Als mögliches Berufsziel hatten die Eltern für ihn den Lehrerberuf ins Auge gefasst, eine Berufsgruppe, die während des Nationalsozialismus die Indoktrination der Schulkinder mit der nationalsozialistischen Ideologie zu übernehmen hatte. Sich den Sohn als künftigen oppositionellen Lehrer vorzustellen, gibt Aufschluss über die Lebenshaltung des Ehepaares Tennigkeit. Wanderungen am Wochenende, bei denen Richard Tennigkeit die Geige mitnahm, und Urlaub in der freien Natur bildeten weiterhin das Zentrum der Erholung und des Austauschs. Die obligatorische Kleidung für Wanderungen und Ausflüge waren bei Richard Tennigkeit die dreiviertellangen Knickerbocker-Hosen. Daneben gab es Kontakte zu ehemaligen Mitgliedern der mittlerweile verbotenen Naturfreunde, bei denen viele Bewohnerinnen und Bewohner der Gartenstadtsiedlung aktiv gewesen waren. Auch unternahmen die Tennigkeits Fahrten mit dem damals populären und naturnahen Faltboot („Flusswandern“) und zelteten an der Ostsee. Mitunter fuhren sie mit dem Fahrrad nach Rahlstedt, um dort vegetarische Kost im Reformhaus Friedrich Bein einzukaufen, da der Berner PRO-Laden solche Produkte nicht anbot. Die Tennigkeits arbeiteten für den kommunistischen Widerstand und beteiligten sich an Sammelaktionen der „Roten Hilfe“ der KPD, die illegale Widerständler unterstützte. Die Nationalsozialisten versuchten insbesondere in Arbeitervierteln mit abschreckenden Aktionen eine Atmosphäre der Angst und Passivität zu erzeugen, so auch in Berne. Dort wurde der schwerkranke Jonny Birckholtz (SPD) 1933 auf einer Trage zum Verhör abgeholt, seine Wohnung wurde von der Gestapo durchsucht. Im November 1933 wurde das Siedlungshaus von Ernst Ehrenpfordt (SPD) in einer nächtlichen Aktion von SA-Leuten umstellt. Die Tür wurde eingetreten und das Haus von mehreren Polizeibeamten durchsucht. Im November 1934 wurde die 20-jährige Gertrud Eke, seit 1928 Mitglied der SAJ mit Tendenzen zur KPD und seit 1926 Bewohnerin der Gartenstadtsiedlung, verhaftet. Sie wurde sechs Wochen interniert und wiederholt verhört. Da sie eine fiktive Person als Kontaktpartner angab und bei ihren Aussagen blieb, wurde sie wieder entlassen. Sie hatte auch Kontakt zu Richard Tennigkeit, der ihr politische Bücher und Hefte lieh. Im März 1935 wurden neun SPD-Genossen aus der Berner Gartenstadtsiedlung verhaftet (von denen zwei im Moschlauer Kamp wohnten) und wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Im Mai 1935 wurde die illegale SPD in Farmsen aufgedeckt und zerschlagen. Tennigkeits versteckten Gefährdete wie Max Heyckendorf und Adolf Kummernuß, vermutlich in einer Kammer oder Abseite auf dem Dachboden im Moschlauer Kamp. Adolf Kummernuß (1895–1979), bis 1933 Mitglied der SPD und des Transportarbeiterverbandes, war der Verbindungsmann zwischen den mittlerweile illegalen Arbeiterparteien SPD und KPD, er wurde im Juni 1935 verhaftet und im Stadthaus, der Zentrale der Hamburger Gestapo, gefoltert. Anschließend brachte man ihn ins Konzentrationslager  Fuhlsbüttel, wo er erneut gefoltert und rund ein Jahr in Einzelhaft gefangen gehalten wurde. Auch Gustav Bruhn (1889–1944), Funktionär der KPD-Bezirksleitung Wasserkante, fand zeitweilig Unterschlupf bei den Tennigkeits. Er war, wie Richard und Käthe Tennigkeit und Max Heyckendorf, Mitglied der im November 1941 gebildeten Jacob-Bästlein-Abshagen-Gruppe und dort zuständig für die Werften; er wurde durch den V-Mann Alfons Pannek Ende 1943 an die Gestapo ausgeliefert und am 14. Februar 1944 im KZ Neuengamme gehenkt. Es bestand auch Kontakt zu Gertrud Meyer (siehe zu ihr in der Rubrik: Erinnerungsskulptur) (SAJ- und später KPD-Mitglied), die Anfang 1944 verhaftet wurde. Im Juni 1942 verteilte die Gruppe in mehreren hundert Exemplaren das „Merkblatt für Bauarbeiter“ an Arbeiter, die durch die Organisation Todt zwangsverpflichtet waren. Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde Richard Tennigkeit nicht zur Wehrmacht eingezogen, da er als Dreher im Hamburger Hafen in kriegswichtiger Produktion eingesetzt war und damit als „unabkömmlich“ galt. Seit August 1936 arbeitete er im Spillingwerk (Werftstraße 5 beim Reiherstieg), einer Reparaturfirma für Dampfmaschinen und Wendegetriebe. Die Widerstandstätigkeit der Jacob-Bästlein-Abshagen-Gruppe konzentrierte sich hauptsächlich auf Unternehmen aus der Werftindustrie und der Metallbranche. Hier wurde seit Anfang 1942 mit einem Netz aus Unterstützern eine „Betriebszellen-Organisation“ aufgebaut. Ziel war die politische Schulung und Aufklärung der Widerständler sowie die Sabotage in einigen der kriegswichtigen Betriebe. Es gab Kontaktleute bei Blohm & Voss (u. a. der Tischler Jonny Stüve), den Howaldt-Werken, der Stülcken-Werft, der Deutschen Werft, bei der Werkzeugmaschinenfabrik Heidenreich & Harbeck in Barmbek (u. a. Helmut Heins, Hans Stender), der Maschinenfabrik Gall & Seitz (Max Heyckendorf) im Hafengebiet, ganz in der Nähe des Betriebes von Richard Tennigkeit, Kampnagel AG in Winterhude, der Wandsbeker Baufirma Arthur Crone & Co. (Karl Eke, Robert Abshagen, Hein Brettschneider 1904–1944, Hans Christoffers 1905–1942), den Holsatia-Möbelfabriken in Altona-Ottensen sowie Valvo (u. a. Gertrud Meyer). Im Oktober 1942 gelang es der Hamburger Gestapo in einer großangelegten Verhaftungsaktion, Abshagen, Bästlein und rund 90 weitere Mitglieder der Widerstandsgruppe festzunehmen. Die Tennigkeits blieben zunächst verschont. Von den rund 200 Mitgliedern der Gruppe wurden ungefähr 150 verhaftet, von denen etwa 100 hingerichtet oder erschlagen wurden. Mit Hilfe eines eingeschleusten Spitzels war es der Gestapo Hamburg gelungen, einen Großteil der Gruppe zu ermitteln. Ein befreundeter Elektriker, der in derselben Straße in Berne wohnte, half, einen überdimensionierten „Blitzableiter“ auf dem Dach des Hauses Moschlauer Kamp 24 zu montieren, der mittels eines Umschalters als Antenne zum Empfang ausländischer Sender genutzt werden konnte. Auf diese Weise konnten Tennigkeits politische Freunde mit abweichenden Informationen zur Kriegslage versorgen. Möglicherweise infolge einer Denunziation führte die Gestapo am 24. Februar 1944 bei Tennigkeits im Moschlauer Kamp 24 eine Hausdurchsuchung durch. Zwei Männer in schwarzen Ledermänteln in einem schwarzen Auto Marke Wanderer hielten vor dem Haus, was damals in der ländlichen Berner Gartenstadtsiedlung ungewöhnlich war. Nach kurzer Zeit wurde der Sohn, der auf der Straße Fußball gespielt hatte, von seiner Mutter ins Haus gerufen. Dort stapelten sich im Wohnzimmer bereits Bücher und Papiere auf dem Tisch Auch Radioapparat, Kleidung/Wäsche und Schmuck wurden beschlagnahmt. Die Gestapo befragte auch den Sohn zum Aufenthalt von Max Heyckendorff, der aber die bedrohliche Stimmung wahrnahm und auf die Fragen lediglich „weiß ich nicht“ antwortete. Der Sohn wurde zu den Nachbarn geschickt, die Mutter musste ins Auto der beiden Gestapo-Männer steigen. Ob bei dieser Verhaftung auch der Kriminalsekretär der Gestapo, Henry Helms, beteiligt war, lässt sich nicht nachweisen; er wird jedoch in der Akte des Amts für Wiedergutmachung erwähnt. Richard Tennigkeit wurde auf seiner Arbeitsstelle im Hamburger Hafen verhaftet. Beide wurden ins Polizeigefängnis Fuhlsbüttel eingeliefert. Die Gestapo wollte Aussagen erpressen, so z. B. den Aufenthaltsort des untergetauchten Max Heyckendorf. Gedroht wurde mit der Heimeinweisung des Sohnes. Zwei Monate später, am 20. April 1944, wurde Käthe Tennigkeit erhängt in ihrer Zelle im Polizeigefängnis  Fuhlsbüttel aufgefunden. Als offizielle Todesursache wurde Selbstmord angegeben, der Wahrheit näher käme wohl „in den Tod getrieben“. Es ist aber auch möglich, dass es sich um einen gewaltsamen Tod in Folge eines „Verhörs“ handelte, der als Selbstmord dargestellt wurde. Die Schwester Martha Schlichting und die Eltern durften die tote Käthe Tennigkeit noch einmal im Hafenkrankenhaus sehen. Eine Todesanzeige im gleichgeschalteten „Hamburger Anzeiger“ informierte über ihren Tod. Zur Beisetzung kamen nicht nur Familienangehörige, sondern auch Arbeitskollegen von Richard Tennigkeit aus dem Spillingwerk. In der Kondolenzliste finden sich ferner die Namen Heyckendorff und Dahrendorff. Die „Lagerverordnung“ im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel gestattete den Häftlingen lediglich, zwei Briefe pro Monat zu schreiben und zu empfangen. Die Post wurde zensiert und bei unerlaubten Briefthemen oder schlecht lesbarer Schrift vernichtet. Am 20. Mai 1944 schrieb Richard Tennigkeit aus „II Saal 6 Fuhlsbüttel“ einen Brief an seine Schwiegereltern: „Endlich kann ich Euch wieder schreiben. Durch meine Verlegung auf einen Saal kann ich immer am 20. jeden Monats schreiben. Eure Briefe habe ich dankend erhalten. Allmählich bekomme ich mein Gleichgewicht wieder, doch ein Leben ohne Käte kann ich mir immer noch nicht vorstellen.“ Saal II war ursprünglich mit 48 Betten ausgestattet aber 1942/43 ständig überbelegt, sodass Häftlinge auf dem Boden oder auf Bänken liegen mussten. Anfang Juni 1944 wurde Richard Tennigkeit nach rund dreieinhalb Monaten im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel ins Konzentrationslager Neuengamme überstellt, wo er die Häftlingsnummer 35943 erhielt. Am 13. August 1944 bat er seine Schwiegereltern um Briefmarken, „denn ich darf jetzt öfter schreiben. Beachtet bitte meine neue Nummer“. Zwei Wochen später stand in einem Brief an seine Schwiegereltern zu lesen: „Ich bin jetzt Schutzhaftgefangener und wohl bis Kriegsende hier konzentriert. Einen Prozeß werde ich bis dahin wohl auch nicht bekommen. Mir geht es gesundheitlich gut, bin jetzt hier als Dreher beschäftigt …“ Möglicherweise arbeitete er als KZ-Häftling bei der Rüstungsfirma „Mauser-Werke AG“. Aus einem Brief vom 20. November 1944 ging erstmals andeutungsweise sein schlechter gesundheitlicher Zustand hervor: „Schickt mir kein schwarzes Brot, ich kann es schlecht vertragen“, schrieb er an seine Schwiegereltern. Vermutlich litt er zu diesem Zeitpunkt bereits an einer Magen-Darm-Erkrankung. Am 12. Dezember 1944 starb Richard Tennigkeit nach einem halben Jahr im Konzentrationslager Neuengamme. Als offizielle Todesursache wurde Typhus angegeben. Im Bericht des SS-Standortarztes über den Krankenstand im Konzentrationslager Neuengamme für den Zeitraum 26. Dezember 1944 bis 25. März 1945 wurde Typhus nicht ausdrücklich erwähnt, dessen Ursache verseuchte Lebensmittel gewesen sein dürften. Stattdessen wurde allgemein von „Magen- u. Darmerkrankungen“ geschrieben. Der achtjährige Sohn konnte nach der Verhaftung seiner Eltern noch sechs Monate zusammen mit den Untermietern in dem Berner Siedlungshaus bleiben. Danach zog er zu Onkel und Tante nach Rahlstedt; der Onkel übernahm auch die Vormundschaft. Der Vorstand der Gartenstadt-Genossenschaft, der für die Wohnungsbelegung zuständig war und 1933 seine Gremiumsmitglieder auswechseln musste und dessen neuer Vorstand nun in der NSDAP organisiert war, genehmigte den Erhalt des Wohnrechts an dem Siedlungshaus für den Sohn von Richard und Käthe Tennigkeit. An Käthe und Richard Tennigkeit erinnert seit Ende der 1940er Jahre eine Plakette am Haus, die von der VVN gestiftet wurde. Auch gibt es seit 1985 in Hamburg-Poppenbüttel einen Tennigkeitweg. Text: Björn Eggert, entnommen aus: www.stolpersteine-hamburg.de Quelle: [1] Für den gesamten Beitrag Tennigkeit: Staatsarchiv Hamburg (StaH) 221-11 (Entnazifizierung), Z 8005 (Rudolf Habedank); StaH 332-5 (Standesamt), 4480 u. 4/104 (Sterberegister 1935); StaH 332-5 (Standesamt), 4514 u. We 307 (Sterberegister 1946); StaH 332-8 (Meldebücher- u. Karteien Wilhelmsburg, 1892–1927), Bruno, Richard und Christof Tennigkeit; StaH 332-8 (Hausmeldekartei), Film 2549 (Moschlauer Kamp); StaH 351-11 (AfW), 050900; StaH 351-11 (AfW), 061035; Hamburger Anzeiger 26.4.1944 (Mikrofilm im StaH 741-4, Sign. S 12611); AB 1903, 1920 (Heinrich Schlichting); FZH/WdE 99 (Gertrud Eke); Stadtarchiv Darmstadt, Melderegisterblatt (1922/23); Herbert Diercks: Gedenkbuch Kola-Fu, Hamburg 1987, S. 12, 40 (m. Abb.), 41; Claudia Müller-Ebeling: Berne damals, Hamburg 1994, S. 110, 111, 116, 118, 120–121 (m. Abb.); Ursel Hochmuth/Gertrud Meyer: Streiflichter aus dem Hamburger Widerstand 1933–1945, Frankfurt/Main 1969, S. 107, 351 (Fußnote 20), 353 (Flugblatt), 359f., 371f. (Bruhn), 374–375 (Helms, Gestapo), 384, 385, S. 386 (Heyckendorf); Ursel Hochmuth: Illegale KPD und Bewegung „Freies Deutschland“ in Berlin und Brandenburg 1942–1945, Berlin 1998, S. 45–46, 52, 72; VVN/BdA Fuhlsbüttel-Langenhorn-Norderstedt: Gestapo-Gefängnis Fuhlsbüttel, Hamburg 1983, S. 46, 68; ötv Bezirksverwaltung Hamburg: Dokumentation Stadthaus in Hamburg, Hamburg 1981, S. 17–18 , 19–21; Werner Johe: Neuengamme – Zur Geschichte der Konzentrationslager in Hamburg, Hrsg. Landeszentrale für politische Bildung Hamburg, Hamburg 1986, S. 76–80; Ulrike Sparr: Stolpersteine in Hamburg-Winterhude. Biographische Spurensuche, 2008, S. 44–49, 116–121; Carmen Smiatacz: Stolpersteine in Hamburg-Barmbek und Hamburg-Uhlenhorst. Biographische Spurensuche, 2010, S. 46–48; Projektgruppe Arbeiterkultur Hamburg: Vorwärts – und nicht vergessen, Arbeiterkultur in Hamburg um 1930, Hamburg 1982, S. 192–193, S. 206; Klaus Bästlein: „Hitlers Niederlage ist nicht unsere Niederlage, sondern unser Sieg!“ Die Bästlein-Organisation. Zum Widerstand aus der Arbeiterbewegung in Hamburg und Nordwestdeutschland während des Krieges (1939–1945), in: Beate Meyer/Joachim Szodrzynski (Hrsg.), Vom Zweifeln und Weitermachen. Fragmente der Hamburger KDP-Geschichte, Hamburg 1988, S. 44–101; Werner Skrentny (Hrsg.): Hamburg zu Fuß – 20 Stadtteilrundgänge durch Geschichte und Gegenwart, Hamburg 1987, S. 266/267; Volker Ullrich: Die USPD in Hamburg und im Bezirk Wasserkante 1917/18, in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte, Band 79, Hamburg 1993, S.133–162; Karl Ditt: Sozialdemokraten im Widerstand, Hamburg in der Anfangsphase des Dritten Reiches, Hamburg 1984, S. 88; www.garten-der-frauen.de/frauen; Gespräche mit W. T., September 2009 und Juli 2010.        

    Ilse Tesdorpf-Edens

    Malerin, Impressionistin

    Ornament Image
    29.3.1892
    Hamburg

    30.7.1966
    Hamburg
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    Ilse Tesdorpf lebte als Kind mit ihren beiden jüngeren Brüdern und ihren Eltern in einer Villa am Rondeel 17 im Hamburger Stadtteil Winterhude. Der Vater war ein gutsituierter Kaufmann, die Mutter fungierte als Dame des Hauses.
    Ilse Tesdorpf besuchte das Kreussler-Lyceum. Nach dem Abschluss im Alter von 19 Jahren war sie von 1912 bis 1915 Malschülerin bei dem Maler, Grafiker und Kunstpädagogen Arthur Siebelist (1870-1945). Sie malte Landschaftsbilder, Hamburger Stadtansichten, Stillleben, Menschen und unternahm u. a. Malreisen nach Dänemark, Paris, Mallorca, in die Schweiz und nach Norwegen sowie in Deutschland an die Nord- und Ostseeküste, nach Bayern und an die Elbe. Ilse Tesdorpf-Edens malte auch Hamburgs erste Oberschulrätin und Frauenrechtlerin Emmy Beckmann.
    1918 heiratete sie den Maler Henning Edens (1885-1943). Das Paar lebte bis 1931 am Elbwanderweg in der Straße Oevelgönne 33, später in Nr. 34, danach in Nr. 76. Nach der Heirat trat ihr künstlerisches Schaffen in den Hintergrund.
    Erst nach dem Tod ihres Mannes im Jahre 1943 nahm sie ihre künstlerische Tätigkeit wieder voll auf. Kurz nach dem Tod ihres Mannes wurden sowohl ihr privates Heim als auch ihr Atelier am Rödingsmarkt 70 ausgebombt, so dass ihre bis dahin geschaffenen Werke alle verlustigt gingen. Nach der Ausbombung zog sie mit ihrer Mutter zu der mit ihnen befreundeten Familie Himpe in die Wellingsbüttler Landstraße 166, wo Ilse Tesdorpf-Edens neben Wohnraum auch eine Ateliernutzung erhielt. Die Familien Himpe und Tesdorpf kannten sich schon länger. Beide gehörten dem Großbürgertum an; Oscar Himpe hatte vor seinem Medizinstudium eine künstlerische Ausbildung erhalten.
    19050/51 ließ Ilse Tesdorpf-Edens gemeinsam mit dem mit ihr befreundeten Ehepaar Walter und Olga Reimers, die auch ihre Mäzene waren, ein Doppelhaus mit zwei Wohneinheiten an der Wellingsbüttler Landstraße 68 errichten.
    Ilse Tesdorpf-Edens war von 1948 bis 1955 Mitglied des 1949 von Adolf Wriggers gegründeten "Kleinen Hamburger Künstlerrings". Zu ihm gehörten u. a. die Maler Fritz Düsing, Albert Feser, Willi Voß, Felix Walner, Walther Reinke. Die politische Ausrichtung des Künstlerrings war links.
    Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Ilse Tesdorpf-Edens auch Mitglied der GEDOK.
    Ilse Tesdorpf-Edens hatte z. B. Ausstellungen in den Jahren 1938, 1939, 1941 in der Herbstausstellung Hamburger Künstler, 1950 im Völkerkundemuseum, 1951 im Hamburger Kunstverein, 1952-1955 in der Hamburger Kunsthalle, 1954 in Wittenberg (DDR), Halle/Saale, Bitterfeld, Potsdam Weißenfels, Naumburg; 1970 im Hamburger Kunsthaus. 1992 wurde in der Galerie Mewes eine Gedenkausstellung zum 100. Geburtstag von Ilse Tesdorpf-Edens gezeigt. Ihre Bilder befinden sich u. a. in der Hamburger Kunsthalle, im Altonaer Museum und in der Sammlung Hamburger Sparkasse.

    Margaretha Treuge

    Direktorin der Sozialen Frauenschule in Hamburg

    Ornament Image
    4.8.1876
    Elbing

    2.4.1962
    Hamburg
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    „Ich bin gebürtige Westpreußin. Meine Eltern habe ich früh verloren. Aber wir drei Kinder erhielten bei Verwandten eine liebevolle und sorgfältige Erziehung" 1), erzählte Margaretha Treuge an ihrem 80. Geburtstag. Als 13-Jährige kam sie mit ihren Geschwistern zu ihrem Großvater nach Marienburg, ging auf die Höhere Handelsschule, besuchte das Lehrerinnenseminar, erwarb die Lehrbefähigung an Mädchenschulen und absolvierte eine dreijährige Berufsausbildung, um die Befähigung zum Studium zu bekommen. Mittlerweile 23 Jahre alt, ging sie mit ihrem 2ojährigen Bruder nach Berlin zum Studieren. Dort belegte sie - formal getrennt von der Universität - in Oberlehrerinnenkursen die Fächer Geschichte, Deutsch und Philosophie. Nach dem Staatsexamen wurde sie 1904 Lehrerin an einem Berliner Lyzeum und unterrichtete nebenamtlich an der Frauenschule von Alice Salomon. Margaretha Treuge schloss sich dem ADLV (Allgemeiner Deutscher Lehrerinnenverein) an und war von 1910 bis 1921 Schriftleiterin der Verbandszeitschrift „Die Lehrerin". Für die vom ADF 1909 herausgegebene Publikation: „Politisches Handbuch für Frauen“ schrieb Margaretha Treuge umfangreiche Abhandlungen zu den Themen „Verfassung in Gemeinde, Staat und Reich" und „Die deutschen politischen Parteien". Außerdem veröffentlichte Margaretha Treuge im selben Jahr eine „Einführung in die Bürgerkunde - ein Lehrbuch für Frauenschulen", welches zu einem Standardwerk wurde. Margaretha Treuge wollte in ihren Publikationen weder sozialdemokratischen noch konservativen Parteien das Wort reden. Das Schwergewicht legte sie auf die Darstellung der kommunalen Selbstverwaltung. Denn sie war der Überzeugung, die Betätigung auf dieser untersten politischen Ebene sei für Frauen, die sich gerade erst politisierten, angemessen - zumal auf dieser Ebene die Arbeit im sozialen Bereich im Vordergrund stand, wofür nach damaliger Geschlechtsrollenzuweisung Frauen besonders geeignet erschienen. Gerade in Zeiten des Krieges erhielt die soziale Arbeit eine neue Wichtigkeit. Und so begrüßten es auch die Vertreter der Stadt Hamburg, dass im Kriegsjahr 1917 die Doppellehranstalt Soziale Frauenschule/Sozialpädagogisches Institut gegründet wurde. An dieser Doppellehranstalt wurde Margaretha Treuge Oberlehrerin für Geschichte und Bürgerkunde. Als 1919/1920 die Schulleiterinnen Gertrud Bäumer und Dr. Marie Baum Hamburg verließen - Gertrud Bäumer wurde 1920 als erste Frau Deutschlands Ministerialrätin in Berlin und Dr. Marie Baum ging 1919 als Referentin für Wohlfahrtspflege in das badische Arbeitsministerium, übernahm die 44-jährige Margaretha Treuge die Leitung der Sozialen Frauenschule. Im selben Jahr wurde die Schule als Wohlfahrtsschule staatlich anerkannt, was bedeutete, dass die Schülerinnen nun die Qualifikation einer staatlich geprüften Wohlfahrtspflegerin erwerben konnten. Margaretha Treuge betrachtete diese Entwicklung zur Verstaatlichung mit gemischten Gefühlen, denn sie befürchtete eine allzu starke Schematisierung und Routine in der Ausbildung. Am 1.4.1923 wurde die Schule verstaatlicht und war damit die erste deutsche Wohlfahrtsschule unter staatlicher Leitung. Als der Hamburger Senat 1926 Nachschulungslehrgänge für männliche Angestellte der Wohlfahrtsbehörde beschloss, weil die meisten der männlichen Angestellten nach den Lehrsätzen der alten Armenpflege arbeiteten, bedeutete dies für das Sozialpädagogische Institut, Lehrgänge auch für Männer einzurichten. Das fiel Margaretha Treuge und ihren Mitarbeiterinnen schwer. Für sie galt das Berufsfeld Sozialpädagogik als ein typisch weibliches, das die den Frauen angeborene Mütterlichkeit, die sich in Pflege und Hege ausdrückte, professionalisierte. Margaretha Treuges Vorbehalte, die „berufsethische Vertiefung" könne durch die Koedukation beeinträchtigt werden und der gesamte Unterricht verflachen, fand in den verantwortlichen Kreisen kein Gehör. Und so musste Margaretha Treuge Ostern 1930, nachdem Preußen 1927 bereits die staatliche Anerkennung männlicher Wohlfahrtspfleger geregelt hatte, fünf bis zehn männliche Schüler in die Unterklasse des Sozialpädagogischen Instituts aufnehmen. Im Herbst 1933 wurde Margaretha Treuge, die 1918 der Deutschen Demokratischen Partei beigetreten war und ihre Vorstellungen von einem demokratischen Staat weiterhin öffentlich vertrat, von den Nationalsozialisten ihres Amtes enthoben. Die „Hamburger Lehrerzeitung“ schrieb dazu 1961 in einer Grußadresse zum 85. Geburtstag Margaretha Treuges: „Es half nichts, dass die jungen Frauen und Männer, die damals im Sozialpädagogischen Institut ausgebildet wurden, sie beschworen, ‚vorsichtig` zu sein. Sie konnte nicht schweigen, wenn ihrer Meinung nach Unrecht geschieht." Margaretha Treuge wurde an eine Volksschule strafversetzt und ein Jahr darauf vorzeitig in den Ruhestand entlassen. Während der Zeit des Nationalsozialismus hielt sie in Privathäusern Kurse zu Literatur, Geschichte, Frauenbewegung und Nationalökonomie ab. Während des Krieges wurde ihre Wohnung ausgebombt und sie verlor ihre Schwester - ihre engste Lebenskameradin. Nach 1945 arbeitete die nun über 70-Jährige noch kurze Zeit erneut als Dozentin am Sozialpädagogischen Institut. 1946 gehörte Margaretha Treuge zu den Mitbegründerinnen des Hamburger Frauenringes e.V., dessen Presseausschuss sie leitete. 1949 initiierte sie mit anderen die Bildung der Arbeitsgemeinschaft Hamburger Frauenorganisationen (ahf). Außerdem war Margaretha Treuge aktive Mitarbeiterin der W.O.M.A.N. (Weltorganisation der Mütter aller Nationen). 2007 beschloss der Ortsausschuss Fuhlsbüttel, dass in dem neuen Wohngebiet in Klein Borstel, welches neben dem Ohlsdorfer Friedhof entstand, Straßen nach Frauen benannt werden sollten, die auf dem Ohlsdorfer Friedhof bestattet wurden. Als Quelle hierzu wurde das Buch von Rita Bake und Brita Reimers „Stadt der toten Frauen“ genommen. So wurde auch nach Margaretha Treuge eine Straße benannt: Margaretha-Treuge-Weg. Text: Rita Bake Zitate: Wesentliches aus: Stubbe-da Luz, Helmut: Die Stadtmütter: Ida Dehmel, Emma Ender, Margaretha Treuge. Hamburgische Lebensbilder in Darstellungen und Selbstzeugnissen. Hrsg. vom Verein f. Hamburgische Geschichte. Bd.7. Hamburg 1994.        

    Vogeljette

    (Lydia Adelheid Hellenbrecht)

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    13.12.1844
    Hamburg

    30.1.1920
    Hamburg
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    Gewandet in einem langen schwarzen Kleid, das Gesicht durch einen hauteng getragenen weißen Schleier fast verdeckt, auf dem Kopf ein Häubchen, traf man Vogeljette auf St. Georgs Plätzen an, wo sie die Vögel mit Brotwürfeln fütterte, die sie zuvor in einen mitgebrachten, mit Wasser gefüllten kleinen Eimer, gestippt hatte. Viele empfanden Vogeljettes Verhalten als ver-rückt und meinten, Vogeljette glaube, ihr verstorbener Mann sei als Spatz wiedergeboren worden. Im Alter von 30 Jahren hatte Vogeljette den 20 Jahre älteren Schreiber Johann Hellenbrecht geheiratet. Neun Jahre später starb er an der Cholera. Seitdem ging Vogeljette in Trauerkleidung und fütterte die Vögel aus Tierliebe. Damit glaubte sie, dem Andenken ihres verstorbenen Mannes gerecht zu werden, da auch er sehr tierlieb gewesen war. Sie kannte die Nachrede der Leute, ließ sich aber nicht beirren.

    Zitronenjette und Vogeljette

    Hamburger "Originale"

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    Menschen, die nicht der Norm entsprechen, scheinen häufig gleichsam Faszination wie auch Gefühle der Abwehr hervorzurufen. Mit der Etikettierung dieser Menschen als "Originale" weist die Bevölkerung ihnen einen Platz zu. Dennoch bleiben diese "anderen" Menschen durch den ihnen zugewiesenen Platz als "Original" außerhalb der Gesellschaft. Originale werden zwar berühmt, viele von ihnen aber gleichzeitig auch verlacht. Dieses Los hatte auch die Zitronenjette zu tragen. Die Bevölkerung machte sich über ihre Kleinwüchsigkeit, ihren so genannten Schwachsinn und ihre Alkoholkrankheit lustig. Auch Vogeljette wurde zum Hamburger Original. Auch sie galt als "anders" und nicht einzuordnen, wurde deshalb auffällig und als verrückt erklärt.

    Gunda Werner

    Streiterin für Frauenrechte und Frauenbildung

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    8.7.1951
    Hamburg

    22.1.2000
    Hamburg
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    Geboren in einer Nachkriegslaubenkolonie erlernte Gunda Werner den Beruf der Werbekauffrau und erstritt sich bei ihrem Lernherrn das Recht, im Büro Hosen zu tragen. Am Hansa-Kolleg holte sie auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur nach und studierte dann Philosophie und Theologie. In dieser Zeit entdeckte Gunda Werner die Frauen für sich. Gemeinsam mit ihrer Partnerin Helga Braun beteiligte sie sich maßgeblich am Aufbau des Frauenbildungszentrums DenkTräume, organisierte mehrere Frauenwochen mit, arbeitete als Referentin für Frauenprojekte im Senatsamt für die Gleichstellung, trat in der Kabarettgruppe "Frauen lachen gemeinsam e.V." auf und baute die FrauenAnstiftung mit auf - eine politische, weltweit Frauenbildungsarbeit betreibende Stiftung. Bei deren Überführung in die Heinrich-Böll-Stiftung kämpfte Gunda Werner für den Erhalt des frauenpolitischen Stiftungsprofils. In den letzten Jahren vor ihrem Tod, der auch die elfjährige Liebesbeziehung mit ihrer Lebensgefährtin Annette Hecker beendete, wirkte sie als Referentin für Geschlechterdemokratie in dieser Stiftung und setzte u. a. durch, dass die Herstellung der Chancengleichheit für Frauen und Männer zu den vertraglich festgelegten Aufgaben aller Mitarbeitenden gehört. Als intellektuelle und leidenschaftliche Querdenkerin erfuhr Gunda Werner immer wieder schmerzlich, als "zu anders" wahrgenommen und sogar angefeindet zu werden - auch von Frauen. Deshalb stritt sie für Demokratie, Minderheitenschutz und Respekt im Umgang miteinander.

    Martha Winternitz-Dorda

    Sängerin, Gesangslehrerin

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    28.3.1880
    Wien

    9.12.1958
    Hamburg
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    Martha Winternitz-Dorda begann ihre Sängerinnenlaufbahn 1899 -1901 in kleinen Rollen am Deutschen Volkstheater in Wien. Anschließend war sie an verschiedenen Bühnen engagiert, so von 1901-1902 in Troppau (Opava), 1902 -1903 in Linz/Donau, 1901-1906 am Theater von Graz und von 1908-1910 am Raimund Theater in Wien. Von 1910 -1933 gehörte sie als erste dramatische Sopranistin dem Hamburger Stadttheater (Hamburgische Staatsoper) an. Ihre besondere Vorliebe galt der modernen Musik, besonders der von Arnold Schönberg. Martha Winternitz-Dorda war die erste Interpretin der George-Lieder von Schönberg - gemeint ist damit die Uraufführung der Fünfzehn Gedichte op 15 für hohe Stimmen und Klavier aus: "Das Buch der hängenden Gärten" von Stefan George am 14.1.1910 in Wien. Auch sang sie die Partie der Tove in der Uraufführung von Schönbergs "Gurreliedern" (Wien, 23.2.1913). Schönberg selbst äußerte sich über Martha Winternitz-Dorda 1949: "Sie war sehr gut, extrem musikalisch."
    Martha Winternitz-Dorda gastierte an vielen Opernhäusern, so an den Hoftheatern von Karlsruhe und Mannheim und am Opernhaus in Leipzig (1912). Auch war sie an der Oper von Chicago engagiert (1913-1914). 1933 verabschiedete sie sich in Hamburg von der Bühne mit ihrem Auftritt als Marschallin im "Rosenkavalier".
    Danach lebte sie bis zu ihrem Tod als Gesangspädagogin in Hamburg.
    In erster Ehe war sie mit Arnold Winternitz (1874-1927) verheiratet, Komponist und Kapellmeister an der Hamburger Oper. Auch er hatte sich der modernen Musik verschrieben. 1918 sang Martha Winternitz-Dorda in Hamburg in der Uraufführung seiner Oper "Meister Grobian". Nach dem Tod ihres Mannes heiratete sie in zweiter Ehe den Pianisten Richard Goldschmied.

    Zitronenjette

    (Johanne Henriette Marie Müller)

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    18.7.1841
    Dessau

    8.7.1916
    Hamburg
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      Als uneheliches Kind in Dessau geboren, zog ihre Mutter wenige Monate nach der Geburt mit ihrem Kind nach Hamburg. Dort heiratete sie und bekam noch mehrere Kinder. Als der Vater an einem Schlaganfall starb, zog Johanne Henriette mit ihrer jüngeren Schwester zusammen und wohnte mit ihr zuerst in der Rothesoodstraße und zuletzt am Teilfeld 56. Schon als Kind hatte Johanne Henriette Müller auf Hamburgs Straßen Zitronen verkaufen müssen. Diese Tätigkeit wurde ihre Haupterwerbsquelle bis sie im Alter von 53 Jahren in die "Irrenanstalt Friedrichsberg" eingewiesen wurde. Die Zitronenjette hatte ein leidvolles Leben ertragen müssen. Johanne Henriette Müller war kleinwüchsig, 130 cm lang, 35 Kilo leicht und hatte eine dicke Knollennase. Damit fiel sie aus dem Rahmen des als normal angesehenen Erscheinungsbildes. Aber damit nicht genug: Johanne Müller galt auch als geistig ein wenig zurückgeblieben. Der Psychiater Prof. Dr. Wilhelm Weygandt führte die Zitronenjette in seinem Buch "Erkennung der Geistesstörungen" auf und bezeichnete sie als "Sporadisch-myxödematöse, harmlose Schwachsinnige mit Zwergwuchs (130cm)". (Paul Möhring: Die Hamburger Originale. Hamburg o. J.) Viele ihrer Kundinnen und Kunden hauten sie übers Ohr. Kaum jemand machte sich Gedanken über Zitronenjettes desolate wirtschaftliche Situation: sie war arm. Und nur wenige dachten daran, was man ihr seelisch antat, wenn sie zum Gespött der Straßenjugend wurde, die grölend hinter ihr herlief. Die aus dem Hamburger Bürgertum stammende Emilie Weber schrieb in ihren Jugenderinnerungen über die Zitronenjette: "ein kleines, untersetztes, schwachsinniges Wesen, welches aus einem Körbchen Zitronen zum Verkauf anbot. Durch ihr scheues, sonderbares Gebaren erregte sie den Spott und die Lachlust unserer lieben Straßenjugend und wurde vielfach von ihr verfolgt und gehänselt. Als ich erwachsen war, habe ich die Ärmste oft unter meinen Schutz genommen und sie eine Strecke mit mir gehen lassen, wenn sie mich weinend darum bat und sich vor ihren Verfolgern nicht retten konnte. Solch arme, wehrlose Geschöpfe taten mir immer leid." (Emilie Weber: Meine Jugenderinnerungen von 1836 bis 1851. Leipzig 1901. Vgl.: Johannes Sass: Hamburger Originale und originelle Hamburger. Hamburg 1962.) Aber nicht nur die Jugend jagte sie. Wenn die Zitronenjette abends in den Kneipen ihre Zitronen anbot, machten sich Kneipenbesucher einen Spaß daraus, ihr ein großes Glas Schnaps bringen zu lassen, das sie zur allgemeinen Belustigung auf einen Zug leerte. Die Folge war: sie wurde alkoholkrank und trank nun auch schon am Tage eine Flasche Kümmelschnaps leer. Danach fand sie oft kaum noch den Heimweg. Ihr Getorkel bot den Kindern und Jugendlichen zusätzlichen Anlass, grölend hinter ihr herzulaufen. Häufiger kam es auch vor, dass die Polizei sie im betrunkenen Zustand aufgriff. Dann wurde sie unter großem Hallo auf eine Karre gelegt und zur Ausnüchterung zur Polizeiwache oder zum Kurhaus gefahren. 1894 wurde Zitronenjette schließlich von der Polizei in die "Irrenanstalt Friedrichsberg" eingeliefert. Dort lebte sie fast zwanzig Jahre und wurde mit Kartoffelschälen und Gemüseputzen beschäftigt. Zeitungsberichten und Erzählungen zufolge soll sie dort einen "friedlichen Lebensabend" genossen haben. Kein Wort von schmerzhaften Entzugserscheinungen, denn dort gab es keinen Alkohol. Berühmt und zum Hamburger Original wurde die Zitronenjette, weil sie "anders" war und weil Menschen sich auf ihre Kosten amüsierten. Ihren Leiden wurde kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Stattdessen gab sie den Stoff für eine Lokalposse, die um 1900, also noch zu Lebzeiten der Zitronenjette, von Theodor Francke geschrieben und im Ernst-Drucker-Theater auf St. Pauli aufgeführt wurde. In der Hauptrolle der damals als Darsteller weiblicher Rollen dieser Art berühmte Wilhelm Seybold. 1940 schrieb Paul Möhring eine neue Zitronenjette. Er wollte keine Lokalposse auf Kosten der Zitronenjette, sondern ein Stück, das die Zuschauerinnen und Zuschauer sowohl zum Lachen als auch zum Weinen bringen sollte. Mehrere hundert Male wurde seine Zitronenjette aufgeführt. Als Kurt Simon das Stück 1955 neu inszenierte, spielte zum ersten Mal eine Frau die Titelrolle: Christa Siems-Raider. Sie wurde mit dieser Rolle berühmt. In den 70er Jahren schlüpfte dann wieder ein Mann in die Rolle der Zitronenjette: Henry Vahl. Heute wird das Stück nicht mehr aufgeführt. Aber es gibt ein Denkmal für die Zitronenjette, ziemlich verborgen und wenig beachtet am Rande der Ludwig-Ehrhard-Straße. Und es gab lange Jahre einen Zitronenjette-Preis, der seit 1985 einmal jährlich von der Hamburg Messe vergeben wurde, wobei der Landesfrauenrat Hamburg das Vorschlagsrecht besaß. Diesen Preis bekam eine nicht berufstätige Frau, die aus dem Kreis ihrer Familie herausgetreten war und sich ehrenamtlich in einem der Verbände, die dem Landesfrauenrat angeschlossen sind, besonders für Frauen engagiert hat. Wie passen die auf Grund ihrer Leistung geehrten Frauen mit der von der Gesellschaft verlachten Zitronenjette zusammen? Seit 2007 gibt es in Hamburg Ohlsdorf den Jette-Müller-Weg. Text: Rita Bake   Mit einem Korb voller Zitronen zog Zitronenjette durch Hamburgs Straßen und Kneipen. Sie war arm und lebte vom Verdienst ihrer verkauften Zitronen.Viele ihrer Kundinnen und Kunden hauten beim Bezahlen der Ware Zitronenjette übers Ohr. Und auch nur wenige dachten daran, was man ihr seelisch antat, wenn sie zum Gespött der Straßenjugend wurde, die grölend hinter ihr herlief. Verkaufte Zitronenjette abends in den Kneipen ihre Zitronen, machten sich die Kneipenbesucher einen Spaß daraus, ihr ein großes Glas Schnaps zu spendieren. Die Folge war: Zitronenjette wurde alkoholkrank. 1894 wurde sie von der Polizei in die "Irrenanstalt Friedrichsberg" eingeliefert, wo sie bis zu ihrem Tode lebte. Ihr Leiden gab Stoff für eine Lokalposse, die 1900, noch zu Zitronenjettes Lebzeiten, aufgeführt wurde. Erst in Paul Möhrings 1940 vefasstem feinfühligen Theaterstück wurde ihr angemessen gedacht.