Anna Christina Schröder

    geb. Hart

    Tänzerin und Schauspielerin am Ackermannschen Schauspielhaus am Gänsemarkt von 1773 bis 1798

    Ornament Image
    9.11.1755
    St. Petersburg
    -
    25.6.1829
    Rellingen
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    Ohlsdorfer Friedhof, Althamburgischer Gedächtnisfriedhof:
    Grabplatte zusammen mit ihrem Ehemann Friedrich Ludwig Schröder
    In den ersten Januartagen des Jahres 1773 stand in Hamburg eine junge Frau in Sommerkleidung vor der Tür Sophie Charlotte Ackermanns, der Schauspielerin und Witwe Konrad Ernst Ackermanns, des eigentlichen Begründers der stehenden Bühne in Deutschland, die zusammen mit ihrem Sohn dem berühmten Theaterreformator Friedrich Ludwig Schröder, das Ackermannsche Schauspielhaus am Gänsemarkt (später Hamburger Stadttheater, heute Hamburgische Staatsoper) leitete. So ärmlich wie ihre Kleidung war auch die Herkunft Anna Christina Schröders. Sie war als Tochter deutscher Eltern am 9. November 1755 in St. Petersburg geboren und schon als Kind in die von der Kaiserin Katharina gegründete stehende Scolary´s Tanzschule gegeben worden, um für die Bühne ausgebildet zu werden. Als der Schauspielerprinzipal Wäser sie entdeckte nahm er die neunjährige mit nach Deutschland. Da seiner Schauspieltruppe jedoch keinerlei Erfolg beschieden war, sie in den 60er und 70er Jahren zu den unbeständigsten und kärglichsten des Landes gehörte, er aber eine hohe Meinung von dem Talent und den Aussichten seines Schützlings hatte, empfahl er Anna Christina in die Obhut der seriösen Ackermannschen Gesellschaft. "Ich weiß das gute Kind keinen besseren Händen anzuvertrauen, als den Deinigen", schrieb Frau Wäser an Sophie Charlotte Ackermann.
    Hamburg war in jenen Tagen die führende Theaterstadt Deutschlands. Hier war ein Jahrhundert zuvor (1678) das erste Opernhaus errichtet worden, hier wagte Ackermann 1765 mit seiner Truppe am Gänsemarkt, dem alten Standort der Bürgeroper, ein stehendes "Comoedienhaus" zu gründen, aus dem die erste deutsche Nationalbühne hervorging, an der Lessing als Dramaturg wirkte und seine "Hamburgische Dramaturgie" verfasste. Da es jedoch nicht gelang, die anspruchsvollen Ziele zu verwirklichen, ging das Theater bald zugrunde. Erst Friedrich Ludwig Schröder wusste mit der Übernahme der künstlerischen Leitung der Bühne im Jahre 1771 der Theaterkultur eine entscheidende Wende zu geben, sowohl durch seine Spielplangestaltung - die Aufführung der Werke der Stürmer und Dränger und die Einführung Shakespeares, der dem großen nationalen Drama den Weg bahnte - als auch durch die Anhebung des Darstellungsniveaus. Schröder drang zu einer Menschengestaltung vor, die auf dem englischen Vorbild der Natürlichkeit basierte.
    Als Anna Christina Schröder in Hamburg ankam, war die Ackermannsche Truppe gerade auf Gastspielreise. So gab sie am 13. Januar 1773 zunächst nur ihr Debüt in einem Pas de deux und reiste dann der Gesellschaft nach Celle entgegen. Hier stand sie zum ersten Mal zusammen mit Friedrich Ludwig Schröder, den sie schon kurze Zeit später, am 26. Juni 1773, heiratete, auf der Bühne. Unzählige gemeinsame Auftritte sollten folgen. Als Schröder 1798, nach Abgabe der Direktion, von seinen Nachfolgern gebeten wurde, als Schauspieler ans Theater zurückzukehren, ohne dass man auch nur ein Wort über seine Frau verlor, schrieb er brüskiert: "Daß Sie meiner Frau nicht erwähnen, habe ich gefühlt wie ich mußte. Meiner Meinung nach hätte selbst die Politik gegen das Publikum erfordert, Anfrage nach ihr zu thun, wenn sie auch vorher gewußt hätten, daß sie solche ablehnen würde. Das konnten Sie nicht wissen; und ich kann doch nimmermehr glauben, daß sie in Ihren Augen so unbedeutend seyn sollte! Mit wem sonst sollte ich wohl in manchen Stücken spielen, die auf Ihrem Verzeichnisse stehn?" ¹ Und dabei hatten beide eine große Karriere für Anna Christina Schröder ursprünglich nicht ins Auge gefasst. Er, weil er aufgrund täglicher Erfahrung der Überzeugung war, dass sich der Beruf der Schauspielerin nur schwer mit den Pflichten einer Hausfrau in Einklang bringen lasse, sie, weil sie diesen Beruf nur auf Wunsch der Eltern ergriffen hatte. Doch es war anders gekommen.
    In den ersten Jahren wirkte Anna Christina Schröder fast ausschließlich als Tänzerin. Nur hin und wieder sang sie auch in der Oper und trat in Nebenrollen im Schauspiel auf. Zunehmend wagte sie sich jedoch an größere Rollen im Schauspiel, und als dann die hochbegabte und allseits beliebte Stiefschwester ihres Mannes, die Schauspielerin Charlotte Ackermann, 1775, im Alter von nur 17 Jahren starb, musste Anna Christina Schröder deren Rollen zum Teil übernehmen. Anna Christina Schröder bestand die Feuerprobe. Von ihrem Auftritt in der Titelrolle von Lessings "Emilia Galotti" am 5. Dezember 1777 - Schröder spielte den Odoaro - berichtet der Königliche Dänische Kanzleisekretär Johann Friedrich Schütze: "Mad. Schröder spielte Emilie. Nach einer vorherigen bescheidnen Entschuldigungsrede wagte sie es, diese Triumphrolle der unvergesslichen Charlotte Ackermann nachzuspielen. Wir waren Zeugen ihres sanften, empfindungsvollen Spiels. In jeder Szene sah man es dieser wackern Künstlerin (die auch als Weib ihrem Geschlechte Ehre macht,) an, wie vorbereitet sie erschien, wie fein gefühlt sie ihre Gefühle als Emilie wiedergab. Sehr wahr sagt ein Ungenannter in Nr. 8 der Litt. und Theat. Zeit. 1778: ‚Mad. Schröder spielte die Emilie und Rutland mit Beifall, welches in Rücksicht auf ihre große Vorgängerin sehr viel sagen will.? "² Über die Darstellung ihrer Ophelia im darauf folgenden Jahr schreibt er: "Mad. Schröder, als Ophelia, gelang es, sich als eine glückliche Nachbildnerin ihres großen Vorbildes zu zeigen. Ihr Spiel in den Wahnsinnsszenen erschütterte, so sehr es kann. Auch war (irren wir nicht,) sie die erste Ophelia, welche die bekannten Strophen zu singen mit Glück wagte."² 1779 stand sie in "Macbeth" auf der Bühne: "Schröder als Macbeth, Mad. Schrödern als Ladi Makbeth, beider wahres und trefliches Spiel mußte wirken, so wenig gleich dieser beider von dem Spiel der mehrsten übrigen unterstützt ward."² Der Freund und Schröder-Biograph Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer fasst Anna Christina Schröders Schauspielkunst folgendermaßen zusammen: "Die Wahrheit, Unschuld und Reinheit ihres Spiels war unübertrefflich. Sie vergriff keinen Charakter, kein falscher Ausdruck entschlüpfte ihr, sie erlaubte sich keine Uebertreibung. Sie wollte nie zur Unzeit glänzen, oder eine einzelne Stelle auf Kosten des Ganzen heben. Sie wich nie von der Bahn, die ihr der Dichter vorgeschrieben. Sie verstattete sich in der ansteckendsten Fröhlichkeit keine Gebehrde, keinen Wink, die nur der hingerissene, nicht der überlegende Zuschauer gutheißen kann. Unablässiger Fleiß, glückliches Gedächtnis, vortheilhafte Bildung, und die Sicherheit der Bewegungen welche die Tanzkunst verleiht, vereinigten sich ihre Bemühungen zu begünstigen. Auch war sicherlich das große Beispiel ihres Gatten, ihrer Schwiegerinnen, und der übrigen trefflichen Künstler, neben denen sie von Zeit zu Zeit gestanden, wesentlich erforderlich, um ihre Anlagen so günstig zu entwickeln. Aber selbst erkennen und nehmen mußte sie dies
    Beispiel, das ihr nicht aufgedrungen ward. Denn nie erlaubte sich Schröder, den sie anfangs überraschte und endlich stolz machte, ihre Eigenthümlichkeit zu unterbrechen."¹ Anders beurteilt der Schröder-Biograph Berthold Litzmann Anna Christina Schröders Talent und den Anteil, den Schröder an ihrer Ausbildung hatte: "Und wenn sie in der Folge aus einer schüchternen Darstellerin sanfter Agnesen [Rolle eines einfachen Bauernmädchens; so genannt nach der Agnese in Molières "Schule der Frauen"] sich zu einem der meistbeschäftigten Mitglieder der Bühne ihres Mannes in großen tragischen Rollen entwickelte, so wich sie darin nur dem unablässigen Drängen ihres Mannes, der zugleich ihr Lehrmeister ward, und der mit einer argwöhnischen Sorge, die in ihrer Reizbarkeit die Schwäche verriet, darüber wachte, daß man sie überall auch als große Künstlerin anerkenne. Die Freunde des Hauses, die selbst unter dem Zauber der edlen Frau standen und bald sie auch mit seinen Augen sahen, haben ihm denn auch den Gefallen gethan und viel Freundliches und Lobendes über die Schauspielerin Christine Schröder gesagt und geschrieben; und der große Meister freute sich dann allemal wie ein Kind, wenn ihm so ein warmes Lob der geliebten Stina zu Ohren kam. Daß es aber so und nicht anders ausging, das durfte sich die feinfühlige Frau als ein Verdienst besonderer Art anrechnen. Übrigens unterliegt es wohl keinem Zweifel , daß der Glaube an die große Madame Schröder ein frommer Mythus war, der von den Intimen des Hauses optima fide gehegt wurde, der aber bei der unbefangenen Kritik, von der feindlichen ganz zu schweigen, auf starken und berechtigten Widerspruch stieß. Schwerlich hat sich auch die bescheidene Künstlerin selbst darüber getäuscht."³
    Allgemeine Übereinstimmung herrscht dagegen über die Person Anna Christina Schröder. Sie war sehr belesen, besaß eine vortreffliche Menschenkenntnis und großes Einfühlungsvermögen, das es ihr auch erlaubte, die Künstlernatur ihres Mannes, die durch eine ans Unmenschliche grenzende Erziehung im Elternhaus und Internat in ihrer Unausgeglichenheit und leichten Erregbarkeit noch verstärkt worden war, zu verstehen und zu beeinflussen. Sie sah sich ganz als liebevolle Begleiterin ihres Mannes. Schröder selbst hat den Tag seiner Eheschließung immer als den glücklichsten seines Lebens gepriesen. "Sowie sie stürbe", sagte er einmal, "würde ich mich in einen Wagen setzen und davonfahren. Von einer Reise, vorzüglich aber von der wohlthätigen Zeit, die ja alles heilt, erwarte ich in solchen Fällen viel." 4
    Als Schröder 1780 wegen interner Schwierigkeiten die Direktion des Theaters am Gänsemarkt niederlegte und nach einer triumphalen Gastspielreise ein Engagement am Hofburgtheater annahm, folgte ihm seine Frau nach Wien. Dort stand das Ehepaar zuerst in Hebbels "Agnes Bernauer" gemeinsam auf der Bühne. Die Wiener Jahre wurden für Anna Christina Schröder insofern nicht ganz leicht, als sie ihrem Alter entsprechend damals ausschließlich Liebhaberinnen spielte, von deren leichten und komischen Ausprägungen das Publikum erwartete, dass sie in Wiener Mundart gesprochen wurden, so dass Anna Christina Schröder viele Rollen nicht übernehmen konnte.
    1785 kam das Paar nach Hamburg zurück, wo Schröder nach einer kurzen Zeit am Altonaer Schauspielhaus erneut die Leitung des Theaters am Gänsemarkt übernahm. Seine zweite Direktionsperiode (1786-1798) war nicht mehr von dem Rang der ersten, was z.T. daran lag, dass die literarischen Verhältnisse gesunken waren. Höhepunkt im Schauspiel dieser Jahre war 1787 die Uraufführung des "Don Carlos", in der Anna Christina Schröder neben ihrem Mann als König Philipp die Elisabeth mit großem Erfolg spielte. Danach trat sie in einer Vielzahl heute kaum noch gespielter Stücke, vornehmlich in den damals sehr beliebten Unterhaltungsdramen von Kotzebue und Iffland, auf. 1795 zog sie sich aufgrund ihres angegriffenen Gesundheitszustandes vom Theater zurück. Als Schröder jedoch durch interne Querelen in Personalnot geriet, war sie sofort bereit, einzuspringen und selbst neue Rollen einzustudieren. Bis zuletzt setzte sie sich für das Schaffen ihres Mannes ein. Als in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts der Plan gefasst wurde, das alte Theatergebäude durch ein neues Haus auf dem "Kalkhof" am Dammtor zu ersetzen, versuchten die Erben Schröders zunächst, einen solchen Bau zu verhindern. Anna Christina Schröder stimmte dann aber doch zu, weil die Vereinbarungen den Fortbestand einer wichtigen Hinterlassenschaft ihres Mannes, die Pensions- und Sterbekasse für alle Bühnenschaffenden, sicherten.
    Am 25. Juni 1829, 13 Jahre nach dem Tod ihres Mannes, starb Anna Christina Schröder auf einem Landsitz in Rellingen bei Pinneberg, wohin sich das Ehepaar 1797 zurückgezogen hatte.
    Text: Brita Reimers
    Quellen:
    ¹ Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer: Friedrich Ludwig Schröder. Beitrag
    zur Kunde des Menschen und Künstlers. 2 Bde. Hamburg 1819.
    ² Johann Friedrich Schütze: Hamburgische Theater-Geschichte.
    Hamburg 1794.
    ³ Berthold Litzmann: Friedrich Ludwig Schröder. Ein Beitrag zur
    deutschen Litteratur- und Theatergeschichte. 2 Teile. Hamburg und
    Leipzig 1890-1894.
    4 Zitiert nach: Hermann Uhde (Hrsg.): Denkwürdigkeiten des
    Schauspielers, Schauspieldichters und Schauspieldirectors Friedrich
    Ludwig Schmidt 1772-1841. Hamburg 1875.